Aristoxenus
von Tarent
Aristoxenus
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ARISTOXENüS VON TARENT
• • «
MELIK UND RHYTHMIK
DES
CLASSISCHEN HELLENENTHUMS.
ÜBERSETZT UND ERLÄUTERT
DURCH
R. WESTPHAL
EHREX.Imh.TOR DER GRIECHISCHEN BRACHE UND LITTERATUR AN DER UNIVERSITÄT MOSKAU.
Dtr Druck dr* grUchißchtn Ttxttt ».hliettt »ich sofort ihm dtr U-Ur^tzung
und Erlduttrung an.
LEIPZIG,
VERLAG VON AMBR. ABEL.
1883.
51585
\
Druck tod Metzger & Wittig in Leipzig.
Papier von Berth. Siegismund, Leipzig u. Berlin.
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DEM ANDENKEN
DES UNVERGESSLICHEN VATERS
UND
DER TEEUEN MUTTER,
DER SICH DER ABEND DES LEBENS VERGOLDE,
WIDMET
■
DIESE GEWISSENHAFT LIEBLINGSARBEIT
SEINES GANZEN LEBENS
DER DANKBARE SOHN
Vorwort.
Dreissig Jahre lang (nach Herodots Rechnung fast ein Menschen-
alter) bin ich dem Aristoxenus kaum auf Wochen untreu geworden.
Meine schönsten Stunden habe ich im Verkehre mit ihm verlebt.
Liess ich mich inzwischen auch zu Catullischen nugae und gar gram-
matischen ineptiae fortreissen, so habe ich meinen Versuch der Un-
treue als Heautontimorumenos ein Decennium lang durch freiwilliges
Exil, durch Selbsfverbannung von dem liebsten was man hat, dem
Heimathlande gebüsst. Doch der ferne Osten nahm mich gastlich
auf, viel freundlicher als ich es verdiente: er gab mir erwünschte
Gelegenheit den Aristoxenus-Studien eine möglichst weite Ausdeh-
nung zu geben, die mir unter den Sorgen daheim versagt war. Es
war mir dort verstattet, den Rhythmus Bach's und unserer übrigen
grossen Meister eingehend zu studiren, und an ihm die nöthige Paral-
lele für die rhythmische Doctrin des Aristoxenus zu gewinnen. Es
ist mir jetzt, als ob mir Versöhnung zu Theil geworden: als ob
wenigstens die Manen des alten Tarentiners nicht mehr zürnten; als
ob sie, die wie früher die seines Landmanns Archytas lange auf
Erden keine Ruhe finden konnten, zum endlichen Frieden gelangt
seien. Denn fern im Auslande liessen sie mich nicht blos das in
vollem Maasse finden, was ich früher bei Aristoxenus vergebens suchte,
sondern als überreichen Lohn für meine Treue noch etwas Anderes,
was weder ich noch irgend ein anderer bei ihm erwartet hätte. Was
mich vor dreissig Jahren zu ihm hintrieb, war das Prognostikon,
welches der divinatorische Geist des grossen Meisters G. Hermann
der Philologie von der Wiederherstellung des Aristoxenus gestellt
hatte. „Si ea quae Aristoxenus peritissimus simul et diligantissimus
scriptor litteris mandaverat alicubi reperirentur, non est dubium
lucem universae rationi poeseos accensum iri clarissimam." Zu meiner
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Vorwort zu Aristoxeniuj
grossen Ueberraschung fand ich bei Aristoxenus noch ein Anderes,
was weit über die Grenzen jenes Prognostikon hinausgeht, wovon
auch Boeckh und alle wir später lebenden noch nicht das mindeste
ahnten. Denn nicht bloss die rhythmischen Formen der alten
griechischen Künstler, Pindars und der Dramatiker, werden wie ich
fern von Deutschland erkannt, zu einer unerwarteten Klarheit durch
Aristoxenus erschlossen, mit dem die Berichte Hephaestions und der
alten Metriker nun nicht mehr in Discrepanz stehen, sondern auch
der Rhythmus der musischen Kunst christlich-moderner Welt wird
durch Aristoxenus zum klaren Bewusstsein gebracht. Vor allem und
zuerst des gewaltigen Bach, welcher das Alpha und Omega der
musischen Kunst auch in der Rhythmik ist und sein wird. Ja,
Einer ist der Rhythmus der alten und der modernen Meister! Er
ist eine der immanenten Ideen der Kunst für alle Völker und alle
Zeiten. Bach, dem gottgeliebten, war mit der Kunst des Melos zu-
gleich auch die des Rhythmus als freundliches Wiegengeschenk
durch die Musen dargebracht. Doch nur vom Melos erhielt er ein
klares Bewusstsein; der rhythmischen Gesetze, so streng er sie in-
stinctiv auch einhielt, ist er sich schwerlich bewusst geworden. Auch
von ihm wird gelten, was der berühmte Neider des Leipziger Thomas-
Cantors, der Hamburger Matheson in seinen „vollkommenen Capcll-
meister" von den Musikern der damaligen Zeit sagt: „Die Krafft des
Rhythmi ist in der melodischen Setzkunst ungemein gross und ver-
dient allerdings einer besseren Untersuchung, als sie bisher gewür-
digt worden. Die Componisten haben in diesem Stücke sowohl als
in vielen anderen nicht weniger wichtigen Dingen der melodischen
Wissenschaft mit ihrer ganzen Uebung noch nichts mehr erhalten
als einen verwirrten oder undeutlichen Begriff, scientiain confusam,
keine Kunstform und sowie der Pöbel rhetorische Redensarten braucht
ohne sie als solche zu kennen."
Bei Bachs Nachfolgern war der edle Götterfunken des Rhyth-
mus, wenn auch weniger reich sich entfaltend, doch im Ganzen
ebenso mächtig wie bei Bach : bei Mozart , Beethoven und allen
den späteren bis auf den heutigen Tag. Aber auch bei ihnen un-
bewusst Und bei allen Musiktheoretikern und Dirigenten ist es
heute noch genau ebenso, wie es der Verfasser des vollkommenen
Capellmeisters von denen seiner Zeit sagt.
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Rhythmik: practische Bedeutung.
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Die Hand aufs Herz, ihr grossen und ihr kleinen Componisten,
ihr Dichter mit eingeschlossen, wisst ihr, dass eure Muse, einerlei
ob bei homophoner, ob bei polyphoner Musik, euch in keinen anderen
Kola componiren und dichten lässt, als genau in jenen, welche vor
mehr als 2000 Jahren der treffliche Tarentiner auf Grund der mu-
sischen Kunstwerke des klassischen Hellenenthums und deren Aus-
führung verzeichnet hat? Wisst ihr, dass ihr auch eure Perioden
und Strophen nicht anders als die Griechen zu bilden vermögt?
Dass auch die Versfusse, in denen sich eure Vocal- und Instrumen-
talmusik bewegt, dem immanenten Geiste der Kunst gemäss keine
andere sind und sein können, als die in der musischen Kunst
der alten Hellenen, der 3-zeitige, 4-zeitige, 6-zeitige Versfuss? Und
dass auch eure Kola nach derselben Notwendigkeit stets ein Mul-
tiplum dieser Zahlen sind, vollständig oder katalektisch? Kennt ihr
Theoretiker diese arithmetischen Geheimnisse, diese Zahlenmysterien
des Bhythmus, die um in Platonischer Anschauung zu reden, der
Demiurg als Vater in Ewigkeit — und für die Ewigkeit — erzeugt,
und die das Ekmageion des Melos als Mutter empfangen und ge-
boren hat? Es ist nicht schimpflich, sich der arithmetischen Ge-
setze des Rhythmus nicht bewusst zu sein, denn nur der griechische
Theoretiker aus Tarent hat diese Geheimnisse erkannt, und in wissen-
schaftlicher Beobachtungsgabe mr Sachen der Kunst steht nun ein-
mal das klassische Hellenenthum allen übrigen Völkern der Cultur
und Kunst voran. Aber noch viel weniger ist es schimpflich (es
nicht zu thun, das wäre schimpflich), diese klaren rhythmischen
Sätze aus dem Berichte des alten Tarentiners sich anzueignen.
Nicht bloss theoretisch, sondern auch practisch könnten sie
für unsere Musik von Bedeutung werden, wenn auch die Dirigenten
und Virtuosen sie sich anzueignen die Mühe geben wollten. Wir
würden dann unsere Musik rhythmisch hören, was jetzt höchstens
für die Vocalmusik, für die Instrumentalmusik so gut wie gar nicht
der Fall ist. In der Vocalmusik werden die Ausfuhrenden fort-
während durch die Textesworte auf die Grenzen der Kola und Pe-
rioden aufmerksam gemacht und können nicht umhin, diese Grenzen
zu Gehör zu bringen. Hier nimmt man niemals Anstoss über die
Taktstriche hinaus zu gehen, bis man zum wirklichen Ende des
rhythmischen Abschnittes kommt, welches fast niemals mit dem
d by ÜDogleü
VIII
Vorwort zu Aristoxenus
Taktstriche zusammenfällt, der seinerseits seinem Wesen nach nichts
anderes als die stärksten Accente markiren soll:
Keine | Ruh bei Tkg und | Nacht-
Bache v6n gcs&lzneu | Zähren •
In I diesen heiigen | H&llen.
Aber wie soll man in der Instrumentalmusik die Grenzen der
Kola und Perioden ersehen? Der Taktstrich ist liier gerade so wie in
der Vocalmusik gebraucht fast niemals Kolon-Grenze. Die älteren
Componisten merken niemals jene Grenzen durch Legato-Zeichen
an, und die Herausgeber, auch Hans von Bülow, haben sie in
vielen Fällen falsch gesetzt. Man lernt sie bloss aus dem Studium
des Aristoxenus mit Sicherheit bestimmen. Und so muss man da-
rauf gefasst sein, dass man in den meisten Fällen nur das Melos
des Componisten zu hören bekommt Wie viel man so von der
Musik verhört, welche Schönheiten ungehört bleiben, wussten die
Alten. So sagt Aristides Quintiiianus (offenbar nach Aristoxenus,
aus dem er, wenn nicht unmittelbar, doch mittelbar geschöpft):
„Den Rhythmus nannten die Alten das männliche, das Melos das
weibliche Princip der Musik. Das Melos ohne Rhythmus ist ohne
Energie und Form ; es verhält sich zum Rhythmus wie die ungeformte
Materie zum formenden Geiste. Der Rhythmus ist das die Materie
der Tonalität gestaltende, er bringt die Masse in geordnete Bewe-
gung; er ist das Thätige und Handelnde gegenüber dem zu behan-
delnden Gegenstande der Töne und Accorde des Melos." Und an
an einer anderen Stelle: „Ohne den Rhythmus bringen die Töne
bei der glatten Unterschiedslosigkeit in nachdruckslose Unkenntlich-
keit und führen die Seele in die unbestimmte Irre. Dagegen kommt
durch die Gliederung des Rhythmus die Materie zu ihrer klaren
Geltung, die Seele zu geordneter Bewegung."
Wir sind gewöhnt» von unserer Musik, zumal der Instrumental-
musik, nur das Melos zu hören, müssen uns begnügen, an dem blos-
sen Melos unseren Kunstgenuss zu haben. Das ist immerhin auch
schon ein Kunstgenuss, zumal wenn der Musiker von Fach Gelegen-
heit hat, an vortrefflicher thematischer Arbeit und Stimmführung
seine besondere Freude zu haben. Aber die Hellenen hätten sich
mit dem Genu&se an dem blossen Melos, auch wenn sie in ihrer
harmonischen Kunst und Stimmführung auf derselben Höhe wie
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Rhythmik: practische Bedeutung.
IX
unsere Musik gestanden hätten, nicht begnügt. Sie hätten das eine
Freude an dem sinnlichen Stoffe genannt; sie verlangten ausser dem
sinnlichen Melos auch noch den ordnenden Geist des Rhythmus. Es sei
mir erlaubt, das Ideal eines rhythmischen Vortrages unserer Musik, wie
ich es mir auf Grundlage der Meister der antiken Rhythmopoiie
und des Theoretikers Aristoxenus nach und nach herausgebildet habe,
in dem folgenden kürzlich zu skizziren.
Die erste Bedingung, ohne die alles andere eitel sein wird, ist
sorgfältige Berücksichtigung der Caesur, mit genauer Erwägung , ob
sie an der betreffenden Stelle des Musikstückes männlich oder weib-
lich ist, denn je nach diesem Unterschiede der Caesuren ist die
Wirkung des Musikstückes eine andere. Ich habe dies in meiner
Theorie des musikalischen Rhythmus seit Bach mehrfach auseinander
gesetzt. In der Yocalmusik sind die Caesuren durch den gewöhnlich
mit Reim versehenen Ausgang des Verses angezeigt. Nur selten
hat sie auch Binnencaesuren, wie im Chorale:
Ach wie flüchtig, — ach wie nichtig, |
sind des Menschen Sachen! |
Der protestantische Choralgesang, auch bei Bach, verlangt, dass
vor einer Caesur eine Fermate eingehalten wird. Die neueste Zeit
ist diesem Verlangen entgegen und will, dass eine jede Note genau
so lang gesungen wird wie sie geschrieben ist. Man nennt das den
rhythmischen Choral. In der That ist die ältere Weise des Fer-
maten-Chorales insofern unrhythmisch, als durch das Verlängern
der Fermaten-Note die zu einer Periode gehörenden Kola ausein-
ander gerissen und die Musik auseinander gerenkt wird. Aber
in dem Verlängern der Note über ihren geschriebenen Werth liin-
aus, bedingt durch die Caesur, liegt eine natürliche in dem Rhyth-
mus selber gegebene Eigentümlichkeit, die mau sich unter keinen
Umständen entgehen lassen darf. An Stelle des Fermaten-Chorales
den fälschlich sogenannten rhythmischen Chorales setzen heisst das
Kind mit dem Bade ausschütten. Schwerlich wird man das in dem
Chorale der Bach'schen Cantaten und Passionen zu thun wagen, da
Bach selber hier die Fermatenzeichen gesetzt hat. Auf dem häss-
lichen und entschieden uiirhythmischen Zerreissen der periodischen
Einheit der Kola durch die maasslose Verlängerung des Schlusses
(die Geschmacklosigkeit mancher Organisten erlaubt sich in diesen
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X
Vorwort zu Aristoxcuus
Fermaten sogar noch ein kleines Zwischenspiel!) würde Bach sicher-
lich nicht bestanden haben. Aber gegen eine Verlängerung, wie sie
Aristoxenus in den Caesuren verlangt der hier den Chronos alogos
annimmt, hätte auch Bach nichts einzuwenden gehabt. Nach Aristo-
xenus würde nämlich die Fermaten- Verlängerung bei den im dipo-
dischen G: -Takte geschriebenen Chorälen auf ein einziges Jfc zu re-
duciren sein: immer genug, um den Rhythmus so weit zum Einhalt
zu bringen, dass man hier ein Ende merkt, aber nicht gross genug,
um z. B. den 4-zeitigen Versfuss zu einem 5-zeitigen zu machen
und hierdurch eine wirkliche Störung des Rhythmus zu bewirken.
Es hängt nur von dem guten Willen des den Gemeindechor dirigi-
renden Organisten ab, den Singenden die ungemessene Fermaten-
Verlängerung abzugewöhnen und die maassvolle aristoxenische Ver-
längerung, welche nur halben Clironos protos beträgt, an deren
Stelle zu setzen. Dann wird dem richtigen rhythmischen Gefühle
der Chtfralgesang der protestantischen Kirche nicht mehr verleidet
sein. Wir protestiren gegen Einfuhrung des sog. rhythmischen
Chorales, denn die irrationale Verlängerung am Ende des Kolons
liegt in dem Wesen des Rhythmus begründet; sie ist so begründet,
wie der Reim rhythmisch begründet ist, den unsere moderne Poesie
an dem Ende des Kolons nöthig hat und der auf demselben Grunde
rhythmischer Klarheit wie die irrationale Verlängerung der Alten
beruht. Nur soll durch die Fermaten- Verlängerung die Einheit der
rhythmischen Periode nicht zerhackt und auseinander gerenkt wer-
den ; die Verlängerung soll keine ungemessene, sondern eine maass-
haltige, sie soll griechisch, soll aristoxenisch sein.
Während beim Vortrage der Vocalmusik der Worttext, nament-
lich die reimenden Versschlüsse ein sicheres Merkzeichen für die
Gliederung in Kola und Perioden sind, fehlt es in der Instrumental-
musik an einem äusseren Kriterium gänzlich. Denn die Legato-
Zeichen, welche manche Compouisten zu setzen pflegten, sind in
vielen Fällen zweideutig. Deshalb hat auch Lussy für die Bezeich-
nung der Kola in der Notenschrift andere Phrasiningszeichen vor-
geschlagen, ähnlich denjenigen, welche durch dieNotirung der Minne-
lieder in der Jenaer Handschrift überliefert sind und analog auch
in populären Liedersammlungen für die Stellen des Athemholens
angewandt werden. In der rhythmischen Ausgabe Bach'scher Fugen
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Rhythmik: practische Bedeutung.
XI
habe ich dieselben Zeichen (nur in einer dem Auge etwas mehr
sichtbaren Form) für die Kolagrenzen angewandt und durch Ver-
doppelung des Zeichens gleichzeitig die Periodengrenzen angezeigt.
Diese rhythmischen Zeichen haben in der That für die Instrumental-
musik dieselbe Bedeutung wie dort in der Vocalmusik. Wie am Ende
eines Verses das Legato aufgehoben und frischer Athem geholt wird,
so soll auch in der Instrumentalmusik innerhalb des Kolons so viel
wie möglich ein Legato-Vortrag bestehen, der nur am Ende des-
selben oder, wo eine Binnen-Caesur stattfindet, auch am Ende der
Dipodie aufgehoben wird. Ein Staccato-Vortrag, innerhalb des
Kolons ist meist so unpassend wie nur immer möglich; es is die
„Unsitte des Fingertanzes", die Beethoven vom Claviere, das „mit
der Hand*eins sein" müsse, fern gehalten wissen will.
Aber in der Grenzscheide der Kola, wo auch der Gesang neuen
Athem schöpfen muss, ist das anologe Aufheben von Hand und
Fingern nothwendig. Wo nur in der einen Stimme ein Kolon-
Ende eintritt, die andere Stimme aber den Ton auszuhalten hat,
wird auch für diese der sonst durch das Legato-Aufheben zu be-
wirkende Eindruck durch Anwendung der Aristoxenischen Irra-
tionalität erreicht und dürfte namentlich in solchen Fällen mit
Nutzen ftlr das Kolon-Ende verwendet werden. Doch hängt das
durchaus von dem Charakter des Musikstückes, nicht bloss von dem
schnelleren oder langsameren Tempo ab, wie denn auch bei den
Griechen die sicherlich nicht schnellen trochaeischen Chorlieder des
Aeschylus die Irrationalität von sich fem halten. Sorgsames Ein-
halten der Kola-Grenzen, sei es auf welche Weise es wolle, gibt
der Instrumentalmusik den Charakter reliefmässiger Klarheit; es
überträgt auf die musische Kunst etwas von dem Wesen der Plastik,
in welcher die Griechen auf einer für alle Zeiten unerreichbaren
Kunsthöhe stehen. Dies ist es, was der Vortrag unserer Musik vor
Allem aus der griechischen Kunst sich zu eigen machen soll. Das
Melos soll durch scharfes Rhythmisiren durchsichtig und klar wer-
den, soll die unrhythmische verschwommene Sentimentalität, soll die
Gedankenlosigkeit, die man als Glätte bezeichnet und in welcher
sich die Nervösen und die musikalischen Mässigkeitsvereinler wohl
fühlen, gegen die Energie des scharfen Rhythmus aufgeben. Unsere
Musik hat alle Bedingungen des griechischen Rhythmus in sich, da
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XII
Vorwort zu Aristoieuu»
ihn die Componisten wenn auch unhewusst in sich hatten; man
bringe ihn auch nach Aristoxeuus zum hörbaren Ausdrucke! Bach's
und Beethoven's Musik wird dadurch in gleicher Weise gewinnen.
Zumal wenn wir auch dies noch von den Griechen lernen, wie
die Kola unserer Componisten zur höheren rhythmischen Einheit der
Periode zusammengesetzt sind, wenn wir hiernach für die Protasis-
Kola der Perioden einen Crescendo-Vortrag, für die Apodosis-Kola
den Diminuendo- Vortrag zur Ausführung bringen. Haben wir das
von den Griechen gelernt, so wird zumal unter scharfer Hervor-
hebung der männlichen Caesuren die Beethoven'sehe Musik noch
•
in einer ganz andern Weise als bisher „Feuer aus dem Geiste
schlagen"; auch Bach wird dann nicht mehr von Lobeanern und
anderen Mässigkeitsvereinlern langweilig und altmodisch gescholten
werden; jedes Publikum, dessen Genussfähigkeit über den Walzer
und den Parademarsch hinausgeht, wird auch den Bach'schen Fugen,
wenn sie rhythmisch vorgeführt werden, mit Entzücken lauschen.
Und das würde die practische Bedeutuug des Aristoxeuus für
unsere Musik sein! Denn ohne Aristoxenus Rhythmik würden wir
überhaupt von Kola und Perioden — ich will nicht sagen nichts
wissen, aber jedenfalls nicht mehr, als was der alte Sulzer am
Ende des vorigen Jahrhunderts davon wusste. Und das war herz-
lieh wenig, wenn es auch immer noch viel mehr und besser war,
als was Marx und Lobe nach Reicha's Vorgange aus den rhyth-
mischen Gliedern und Perioden gemacht haben. Ohne Aristoxenus
fehlte uns überhaupt die Fähigkeit, uns die Rhythmopoiie der
griechischen Künstler zur Kenntmss zu bringen.
»
Die Aristoxenische Rhythmik ist uns nun freilich nicht in einem
solchen Zustande überliefert, dass wir sie einfach vorzunehmen
brauchten, um die darin enthaltenen Schätze hervorzuholen. Nein,
es sind eigentlich nur wenige Blätter, die uns in den Handschriften
aus dem so bedeutenden Werke überkommen sind. Aber es liegt
in der bewunderungswürdigen Klarheit des grossen Denkers, die
auch seine phrasenlose Darstellung beherrscht, dass wir eigentlich
viel mehr von ihm haben als die Handschriften uns von seinem
Werke überliefern. Um bei ihm auch zwischen den Zeilen zu lesen,
dazu gehört nichts als unbedingte . die Zeit nicht schonende Hin-
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Rhythmik: Bearbeitung.
XIII
gebung an ihn und als Vertrautheit mit der Rhythmik unserer
Componisten, vor allen Bach's. Die Aristoxenische und die Bach-
sohe Rhythmik stehen in einem geradezu wunderbaren Verhältnisse.
Baeh's Rhythmik ist ohne die Aristoxenische nicht zu verstehen, aber
auch umgekehrt konnte die Aristoxenische ohne Bach nur in ihren
elementarsten Lehrsätzen verstanden werden. Alles, was über diese
Rudimente hinausgeht, Hess sich nur aus Bach erklären, indem die
Bach 'sehe Musik die practischen Parallelen für die rhythmische Doctrin
des Aristoxenus an die Hand gibt. Bach's wohlt Clav, ist gleichsam die
Beispielsammlung zu Aristoxenus. Was der grosse Denker Aristoxe-
nus auf Grundlage der Rhythmopoiie der griechische Kunst eruirt,
das wird von dem grossen Künstler Bach, ohne von den Alten etwas
zu wissen, zufolge seiner Congenialität mit den klassischen Künst-
lern des Griechenthums, noch einmal geschaffen, indem sich in dem
Kreislaufe der Geschichte die künstlerische Schönheitsidee des griechi-
schen Geistes in dem christlich-modernen Geiste wiederholt. Bei
keinem der modernen Rhythmopoiie ist das in solchem Grade, wie
bei Bach der Fall. Seinem Melos kommt daher auch die Theorie
der antiken Rhythmik praktisch am meisten zu Gute.
Es fehlen nur wenige Jahre an einem vollen Jahrhundert, dass
die Fragmente der Aristoxenischen Rhythmik den Händen der Ge-
lehrten zugänglich sind. Das geschah durch den Bibliothekar
der Marcus-Bibliothek zu Venedig Jacob Morelli, der das merkwür-
dige Denkmal des griechischen Alterthums in einer Handschrift jener
Bibliothek auffand, mit einer anderen im Vatican aufbewahrten
Handschrift vergleichen Hess und zugleich mit einem Theile des in
Byzantinischer Zeit aus dem vollständigen Werke gemachten Aus-
zuges, den rhythmischen Prolambanomena des Michael Psellus, welche
ebenfalls auf der Marcus- BibHothek in einer Handschrift vorhanden
waren, durch den Druck veröffentlichte:
Aristidis oratio adversus Leptinem, Libanii declamatio pro Socrate,
Aristoxeni rhythmicorum elementorum fragmenta, ex bibliotheca
divi Marci nunc primum edidit Jacobus Morelli Venetiis 1785.
Dem Aristoxenischen Texte hatte Morelli einige kritische und
erklärende Noten und, wie gesagt, die Parallelstellen aus dem Excerpt
des Psellus hinzugefügt Nimmt man noch die Aufgabe der vollständigen
Prolambanomena des Psellus hinzu, so hat man alles, was unmittelbar
XIV
Vorwort zu Aristoxenus
von der Rhythmik des Aristoxenus auf uns gekommen ist. Schon 1647
war Joh. Bapt. Doni mit dem vaticanischen Codex des Aristoxenischen
Rhythmus bekannt geworden, der damals wie Doni angibt, noch drei
freilich lückenhafte Bücher enthielt. Morelli fand in ihm nicht mehr
als nur noch ein einziges Buch vor (opera musica 1, p. 136. 190); das
Fragment des venetianischen Codex war noch um einige Seiten kürzer.
Fügen wir nun noch die Psellianischen „Prolambanomena in die
Wissenschaft der Rhythmik4' hinzu, so ist das mit Morelli's Texte
alles, was uns aus der Aristoxenischen Rhythmik unmittelbar über-
kommen ist Den Psellus vollständig veröffentlicht zu haben ist
das Verdienst C. Julius Caesar 's Rhein. Mus. 1842 p. 620. Es
war das dieselbe Abschrift aus einem Müuchener Codex, die sich
früher G. Hermann hatte anfertigen lassen, die dieser aber bis da-
hin zurückgehalten, weil er der Schrift des Psellus keinen Werth
zur Bereicherung unserer Kenntnisse der antiken Rhythmik beilegen
konnte, eine Ansicht, in der sich der grosse Philologe glücklicher
Weise geirrt hat.
Boeckh war der erste, welcher die hohe Wichtigkeit dessen,
was uns von Aristoxenus Rhythmik tiberkommen ist, erkannt und
mit der sachlichen Verwerthung des Ueberkominenen in energischer
Weise begonnen hat. Das geschah in seiner unsterblichen Bearbei-
tung des Pindar (1811 — 1821), die für die Rhythmik und Musik und
überhaupt für den alten musischen Vortrag der Pindarischen Ge-
dichte die Tradition der griechischen Musiker, in erster Linie die
des Aristoxenus hervorzog und zum ersten Male diese todten Buch-
staben zum Leben zurückführte. Durch ihn ist der Name des
Aristoxenus auf alle Zeiten ein für die Philologie äusserst bedeu-
tungsvoller geworden. G. Hermann, der wissenschaftliche Begründer
der griechischen Metrik, hatte die alten Musiker zunächst zur Seite
gelassen; durch Boeckh wurde auch er veranlasst, der rhjrthinischen
Ueberlieferung des Aristoxenus als Kritiker und Exeget seine Thätig-
keit zuzuwenden.
Doch blieben es immer nur einzelne Stellen, die von Boeckh
und von Hermann aus Aristoxenus herbeigezogen waren ; umfassend
und allseitig waren die rhythmischen Fragmente desselben noch
nicht behandelt, so dass Hermann seine metrischen Arbeiten mit
dem Geständnisse schliessen zu müssen glaubte: metricam artem
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Rhythmik: Bearbeitung.
XV
nondum satis explanatam esse, rhythmicam vero totam in tenebris
iacere. Eine Bearbeitung der gesammten Aristoxenischen Rhythmik,
so viel damals davon vorlag, ist das grosse Verdienst H. Feussners.
Von ihm erschien 1840 als Programm des Gymnasiums zu Hanau:
„Aristoxenus Grundzüge der Rhythmik, ein Bruchstück in be-
richtigter Urschrift mit deutscher Uebersetzung und Erläuterungen,
sowie mit der Torrede und den Anmerkungen Morellis neu her-
ausgegeben."
Was dieser Arbeit bleibenden Werth gibt, ist die äusserst
glückliche Herstellung des viellach verderbten Aristoxenischen Textes,
die liier vielfach eine abschliessende ist imd nur selten eine Nach-
lese übrig gelassen hat. Weniger war das sachliche Verständniss
durch dieselbe gefordert, dein auch die Uebersetzung nur wenig zur
Hülfe kam. Erst durch diese Ausgabe konnte die Aristoxenische
Rhythmik, die iu dem Morellischen Abdruck nur wenig verbreitet
war, einem grösseren Kreise zugänglich werden und die Arbeiten,
welche weiterhin auf diesem Gebiete erschienen sind, sind insofern
mittelbar durch Feussner hervorgerufen.
Nach Boeckh und Feussner ist Friedrich Bell ermann zu
nennen, der zwar nicht der Aristoxenischen, Rhythmik unmittelbar seine
Sorgfalt zuwandte, aber durch die zuerst von ihm herausgegebene:
Anonymi scriptio de musica Berol. 1841,
oder vielmehr, wie auch Vincent erkannte, die zwei Schriften zweier
verschiedener Anonymi, von denen die eine auch sehr wichtige
Notizen über antike Rhythmik enthielt und mittelbar für Aristoxe-
nus von grosser Bedeutung wurde. Ebenso auch Bellermann's Schrift:
die Hymnen des Dionysius und Mesomedes, Text und Melodien
nach den Handschriften und den alten Ausgaben bearbeitet
Berl. 1840.
Es war im Anfange des Jahres 1850, als ich zum ersten Male
durch August Rossbach die Feussner'sche Ausgabe der Aristoxe-
nischen Rhythmik in die Hand bekam. Diese wenigen Blätter also
waren alles, was von jenem Werke vorhanden war, das wenn es
ganz erhalten wäre nach G. Hermann's des Metrikers eigener
Ansicht dieser Doctrin eine durchaus andere Grundlage geben
würde! So sagte mir Rossbach, der sich eingehend mit der metri-
schen Theorie Hermann's beschäftigt hatte, aber diese Aristoxeni-
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XVI
Vorwort zu Aristoxenus
sehen Fragmente selber erst unlängst kennen gelernt, als er an
dasselbe Gymnasium Kurhessens, dem der verdiente Herausgeber
der Aristoxenischen Rhythmik augehörte, auf kurze Zeit als junger
Lehrer beordert war. Ich darf hier wohl jener Tage im Januar
und des darauffolgenden Zusammenlebens in Tübingen gedenken»
wo Rossbach unbefriedigt von den bisherigen metrischen Kategorien
fort und fort auf jene so schwer verständlichen Fragmente zurück-
kam und endlich auch mich nach einigem Widerstreben zu jenen
Studien fortriss, denen ich nie wieder untreu werden sollte: stets in
dem sicheren Vertrauen, dass die Siegel, die das Verständniss ver-
schlossen, durch hingebende Arbeit zu lösen und allein von hier
aus sichere Fundamente für die Metrik zu gewinnen seien. Weil
ich mich späterhin der Fortsetzung dieser Arbeiten allein unterzog,
ist unser beiderseitiger Antheil daran vielfach in unrichtiger und
ungerechter Weise zu Ungunsten des einen von uns beurtheilt wor-
den ; aber Rossbach ist nicht bloss der einzige Urheber der Arbeit,
sondern es sind auch fast alle allgemeinen Gesichtspunkte, alle för-
dernden und Frucht bringenden Apercus, ohne welche solche Studien
nicht resultatreich und lebendig werden können, von Rossbach aus-
gegangen. Was im Einzelnen geleistet, wird, bis Rossbach bei der
zweiten Auflage der Metrik die Arbeit mir allein überliess, sicher-
lich gleiehmässig unter uns beide zu vertheilen sein, ohne dass wir
damals, wo wir lediglich die wissenschaftliche Aufgabe im Auge
hatten, irgend wie zwischen Mein und Dein gesondert hätten,*) ein
jeder dachte mit Catull und Cinna: „utrum illius an mei quid ad me?"
Von der Aristoxenischen Rhythmik erschien kurz vor dem ersten
Abschlüsse unserer Studien eine Ausgabe mit Erläuterungen von
Bartels 1854 (als Bonner Promotionsschrift), an Resultaten wenig
ergiebig. Unsere» erste Bearbeitung der griechischen Rhythmik (als
erster Theil einer Metrik der griechischen Lyriker und Dramatiker
*) Der Xame Synkope wurde von mir vorgeschlagen, die Sache selber
aber (insbesondere mit Bezug auf die Spondeen) ist von Rossbach gefunden
obwohl er dies mehrfach als meine Entdeckung bezeichnet hat. Von ihm ging
auch der Gedanke aus, die Metra nicht wie Hephaestion nach einzelnen Versen,
sondern nach Strophengattungen und metrischen Stylarten zu behandeln, und
auch die Sonderung der letzteren von einander wie z. B. die Logaoeden des
Pindarischen und Simonideischen Styles geht vielfach auf Rossbach zurück.
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Rhythmik: Rosshach-Westphal, Weil.
XVII
im Zusammenhange mit den musischen Künsten 1854) hatte haupt-
sächlich den Mangel, dass sie zwischen der Lehre des Aristoxenus
und der eklektischen Tradition der Späteren (insonderheit des Aris-
tides) nicht zu sondern verstand, indem sie die erste auch in solchen
Punkten aus der letzteren zu interpretiren versuchte, wo diese nur
im Wortlaute des Terminus technicus, aber nicht in dessen Be-
deutung mit der ersteren übereinkam. Eine nicht unbedeutende Zahl
Aristoxenischer Kategorien blieb deswegen unverstanden und für die
griechische Metrik unbenutzt. Doch enthielt die Arbeit bereits die Her-
stellung der Taktscala, Von schädlichem Einflüsse für nachfolgende Be-
arbeiter war unsere irrige Ansicht über eurhythmische Kesponsion, in-
sofern diese in einem sehabloncnmässigen Parallclismus der zu einem
rhythmischen Ganzen vereinten Kola bestehen sollte. Weder in der
rhythmischen Uebcrlieferung der Alten noch auch in der Praxis der
modernen Musik kommt auch nur etwas annähernd Analoges vor,
und es ist für Emst und Solidität der Wissenschaft ein betrübendes
Zeichen, dass nachdem wir unseren Irrthum längst als jugendliche
Ucbereilung zurückgenommen, in diesen billigen Kinderspielartikeln
(„billig, aber schlecht!") sogenannter antiker Eurhythmie fortwährend
von J. H. Schmidt so umfangreiche Geschäfte gemacht werden.
Was in jener unserer griechischen Rhythmik gutes war, bestaud
lediglich in dem mehrfach erfolgreichen Versuche, das was die Alten
Positives über Rhythmik hinterlassen haben, im Zusammenhange
wieder herzustellen, ein Versuch, der zu unserer Freude willkommen
geheissen wurde, von keinem in anerkennenderer und zugleich be-
lehrenderer Weise als von H. Weil (X. Jahrb. für Phil, und Paed.
1855), der zu dem Guten, was in dem Buche enthalten war,
selber noch das Beste hinzufügte. Weil's treffliche Erörterung über
die Semeia der rhythmischen Kola war es hauptsächlich, die mich
veranlasste meiner Ausgabe der Fragmente der griechischen Rhyth-
miker (1860) eine Reihe von Erläuterungen hinzuzufügen, mit denen
dieselbe ein berichtigendes Supplement zu unserer ersten Bearbei-
tung der griechischen Rhythmik sein sollte. Im Jahre 18(53 erschien
der die Harmonik umfassende Theil unserer Metrik. Ich erwähne
sie des Vorwortes wegen, in welchem ich einige mir früher unver-
ständlich gebliebenen Punkte der Aristoxenischen Rhythmik zum
ersten Male darlegen konnte. Der zweiten Auflage der griechischen
Ariatoxenus. Rhythmik. b
Digitiz
XVIII
Vorwort zu Aristoxenus
Harmonik und Rhythmik vom Jahre 18G7— 18G8 gelang es ebenfalls,
einige auf die Aristoxenische Rhythmik bezügliche Punkte zu be-
richtigen; zugleich gab sie als Anhang einen wiederholten und ver-
mehrten Abdruck der alten rhythmischen Fragmente aus der Schrill
des Jahres 1800. Das Alles wurde ebenso in meinem Systeme der
antiken Rhythmik 18G7 dargestellt.
Der Text der Aristoxenischen Rhythmik erhielt eine erwünschte
Revision durch die von Marquardt undStudomund wieder verglichenen
Codices der Marcianischen und der Vaticanischen Bibliothek, denen
Studemund auch noch die Lesarten des Cod. Urbinas hinzulegte
(vgl. unten die Marquardt'sche Ausgabe der harmonischen Fragmente
des Aristoxenus).
Doch sollte es in den folgenden Jahren nicht an einem Ver-
suche fehlen, die rhythmische Autorität des Aristoxenus, an welcher
Hermann und Booekh unbedingt fest gehalten hatten, ganz und gar
zu annulliren. Dieser Versuch ging von K. Lehrs und Bernhard
Brill aus. Zuerst begnügte sich Lohrs, die Ueberlieferung des Aristo-
xenus unbeachtet zu lassen. Sein Grundsatz war, das rhythmische
Gefühl der Alten sei ganz genau dasselbe wie das der Modernen,
es bedürfe keiner Forschung in den rhythmischen Schriften der Alten,
um daraus zu ersehen, welche rhythmische Formen die alten Dichter
ihrer Metropooie zu Grunde gelegt; die Rhythmik der Alten ergebe
sich unmittelbar aus dem rhythmischen Gefühle der Modernen. Das
war auch der Grundsatz von H. Voss und A. Apel gewesen. Lehrs
bekannte sich zu den Silbenmessungen des ersteren, nach welchem
der jambische Trimeter der Alten folgendermassen durch moderne
Noten auszudrücken sei:
/ | .'. ti J | J. .N J | J. ? J
So waren die Jamben, welche auch die alten Metriker für ttooe?
Tolstoi erklärten, unter Lehrs Zustimmung in ttoos; TSTpocnjaoi um-
gewandelt. Dann machte A. Meissner den Versuch, auch die 7rata>vsc
der Alten aus Trsviaar^oi 7ro6s; in -«•Tjiofayjjiot umzuwandeln, da der
modernen Rhythmik jene Takte zuwider seien. Lehrs nahm auch
Meissner unter seine besondere Protektion, indem er dessen Päonen-
Aufsatz im Philologus mit einem von ihm geschriebenen Vorworte
einleitete. Dass auch Aristoxenus, nach Hermanns und Boeckhs Ansicht
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Rhythmik: Lehrs und Drill.
XIX
die grösste Autorität in rhythmischen Dingen der Alten, sowohl die
TroOi«; TptCTjpoi wie auch die r*v-aoY([jLOt ausdrücklich anerkannte, den
Mctrikem also durchaus beistimmte, das kümmerte Lehre nicht.
„Ich hielt es für möglich, sagte er, dass Aristoxenus selbst in der
Auffassung geirrt, dass er den richtigen Ausdruck für das, was er
hörte, nicht fand. Ich hielt es ferner für möglich, dass bei den
unvollkommenen Ueberresten wir aus einem Theilc schliessen, wäh-
rend uns die Ergänzung fehlt: dass wir um so mehr trotz der aus-
serordentlichen Verdienste von Rossbach und Westphal um das
Yerständniss der Rhythmiker manches noch falsch auslegen."
Da wurde im Siegesjahre 1870 zu Lehrs grosser Freude und
Beruhigung der Welt der Nachweis geliefert, dass Aristoxenus ge-
nau wie Lehrs sowohl die Iamben*wie die Päonen als gerade Takte
messe, ja noch mehr, dass nach Aristoxenus auch den Jonici ein
gerades Taktmass zu geben sei. Das geschah durch Lehrs Schüler
Bernhard Brill in der Streitschrift: „Aristoxenus rhythmische und
metrische Messungen im Gegensatze gegen neuere Auslegungen,
namentlich Westphal's, und zur Rechtfertigung der von Lehrs be-
folgten Messungen. Mit einem Vorworte von K. Lehrs." Lehrs
glaubte nun durch diese ohne seine „unmittelbare Aufforderung ent-
standene Arbeit im Alter von dem, was man in der Jugend er-
sehnt, die Fülle zu haben"; er freute sich „diesen Auseinander-
setzungen BrhTs zufolge, welche er wenigstens nicht beweisend zu
finden ausser Stande sei, den Aristoxenus nachweislich auf seiner
Seite zu finden." Nach der vorliegenden Interpretation des Aristo-
xenus gebe es kein iambisches, kein paeonisches, kein ionisches
Rhythmengeschlecht bei den Griechen, sondern nichts als nur gerade,
nur daktylische Takte, denn Iamben, Päonen, Jonici seien nichts als
nur besondere metrische Schemata des geraden 4-zeitigen Versfusses.
Brill sagt von seiner Arbeit: es sei aus den alten Ueberliefe-
rungen und namentlich aus den Fragmenten des ältesten Rhyth-
mikers Aristoxenus, auf denen hauptsächlich die Metrik Rossbach's
und Westphal's beruht, nachzuweisen, dass das rhythmische Gefühl
der Alten mit dem modernen vollständig übereinstimme, und dass
an Stellen, wo dies nicht der Fall sei, ein offenbarer Irrthum der
Rhythmiker vorliege. Von der Hoffnung diese Aufgabe zu lösen
beseelt und durch seine musikalischen Kenntnisse unterstützt, habe
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XX
Vorwort zu Aristoxenus
er sich selbst an die Fragmente gemacht, dieselben einer genaueren
Prüfung als wir unterzogen und gefunden, dass sie im Wesentlichen
mit dem heutigen Gefühl übereinstimmen.
Von der Unterstützung „durch seine musikalischen Kenntnisse4*
durfte eigentlich Brill ebenso wenig reden, wie wir davon geredet
haben. Stellen wie S. 81: „wie ja auch hei uns dem Bass haupt-
sächlich die Function obliegt, durch Markiren des schweren Takt-
theiles die Einheit im Gegensatz zu den anderen Takten hervor-
treten zu lassen", sind keine Empfehlung für die musikalischen
Kenntnisse Brill's. Hektor Berlioz nennt, was Brill dort ausspricht,
einen „Gedanken, der mancherlei lärmende Gemeinheiten und jene
lächerlichen Ausschreitungen erzeugt, unter welchen die dramatische
Musik früher oder später erliegen wird."
Das Ziel, um dessentwillen Brill die Arbeit unternahm, die rhyth-
mischen Fragmente einer genaueren Prüfung als ich zusammen mit
Kossbach es gethan habe zu unterziehen, war der Nachweis des von
Lehrs aufgestellten Axioms: es stimme die antike Rhythmik im
wesentlichen mit dem rhythmischen Gefühle der Modernen überein.
Wunderliche Täuschung, welcher Brill und Lehrs sich hingaben!
Das allerwesentlichste in der Rhythmik sind die Rhythmengesehlechter,
oder wie die Modernen sagen, die Taktarten. Wir Modernen haben
deren zwei, das des geraden und des ungeraden Versfusses. Die
gesammte Rhythmopoeie in der modernen Musik besteht darin, dass
in den Kompositionen beide Rhythmengeschlechter mit einander ab-
wechseln. Hätte Herr Brill, als er den Aristoxenus einer genaueren
Prüfung unterzog, in Wahrheit gefunden, dass dessen Rhythmik mit
der modernen übereinstimme, so müsste er nothwendig bei ihm auch
die beiden modernen Rhythmengeschlechter wiedergefunden haben.
Aber eben dies hat er bei Aristoxenus, wie er sagt, nicht gefunden,
sondern im Gegentheil die Beschränkung der antiken Rhythmopoeie
auf ein einziges Rhythmengeschlecht, das gerade. Sie ist also viel
ärmer als die moderne Rhythmopoeie: die moderne stimmt mit der
antiken nicht überein. Das ist das Resultat von Krill's Arbeit um
dessentwillen Lehrs ihn und sich selber beglückwünscht.
Freilich kommt uns dies Resultat — uns d. h. allen anderen
ausser Lehrs — höchst unerwartet. Denn wir andern seit Boeckh
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Rhythmik: Lehre und Brill.
XXI
und schon früher waren gewohnt, uns die Rhythmik der Griechen
als reich zu denken, viel reicher als die unsere. Dass sie sich auf
nur ein einziges Rhythmengeschlecht beschranke, abweichend von
unserer modernen Rhythmopoeie, welche fast in jeder einigermassen
umfangreichen Compositiou neben dem geraden Rhythmengeschleehte
auch noch eines der beiden ungeraden - denn es sind ihrer zwei
— bedarf: das sind Ergebnisse, denen zufolge die antike Rhythmik
ganz und gar nicht im Wesentlichen mit der modernen überein-
stimmen würde.
Das entspricht gewiss nicht dem von Lohrs aufgestellten Axiome,
dass das rhythmische Gefühl aller cultivirten Völker im Wesent-
lichen eins sei. Auch wir haben diesen Satz, den wir für vollkom-
men richtig halten, wiederholt ausgesprochen, aber wir sind in Be-
treff der wesentlichen Uebereinstimmung nicht so leicht wie Lehre
und Brill zufrieden zu stellen. Wir verlangen in allererster Instanz
Uebereinstimmung in den Hauptgattungen der gesummten Rhythmik,
in den beiden hauptsächlichen Rhythmcngeschlechtern. Und zu
dieser Ausnahme sind wir ebenso wie unser Vorgänger Boeckh durch
die ausdrücklichen Erklärungen desselben Aristoxenus und der näm-
lichen übrigen Quellen geführt worden, welche Brill zu Gunsten des
Herrn Lehre und* dessen von seiner Jugend an gehegten Lieblings-
idee interpretirt. Wir könnten auelytagen, zu Ungunsten des Herrn
Lehrs, sofern dieser auch den Satz aufstellt, dass dsis rhythmische
Gefühl aller Culturvölker eins sei. Ks kommt dem Herrn Lehre
aber weniger auf diesen allgemeinen, uns sogar bis ins Kleine und
Einzelne richtig erscheinenden Satz an, als vielmehr auf jene seine
erste, diesem allgemeinen Satze so sehr widerstreitende Behauptung,
dass die antiken lYochaccn und Jamben nicht 3-zeitige, sondern
4-zeitige Versfüsse seien.
Wie nun Herr Brill es anfängt, sich den Beifall des Herin
Lehrs zu gewinnen, oder was dasselbe ist, den Rhythmus jedes anderen
als des 4-zeitigen Verefusses aus der Aristoxenischcn Rhythmik hin-
aus zu escamotiren, das ist ein Kunststück ohno Gleichen, „keine
Hexerei, sondern pure — nicht Geschwindigkeit", wie Ritsehl zu
sagen pflegte, sondern Blindheit.
Wenn wir von 3-, 4-zeitigen u. s. w. Versfüssen oder monopo-
dischen Takten reden, so sind das rhythmische Zahlenangaben, die
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»
XXII Vorwort zu Aristoxenus
zuerst bei Aristoxenus vorkommen. Wir Modernen reden von 3/s-,
"/«■> 12/8"^,a^^eu un(l verstehen darunter genau dasselbe wie Aristo-
xenus, wenn er von 3-zeitigen, b'-zeitigen, 12-zeitigen Takten spricht.
Aristoxenus ist derjenige, der unsere heute gebräuchliche Takt-
nomenclatur wenigstens für den trochaeischen Rhythmus als der
erste anwendet. Aristoxenus nennt die durch den Zähler jener
Brüche angezeigten rhythmischen Maasseinlieiten „Chronoi protoi".
Wir anderen glaubten bisher mitBncckh, dass diese nach ^povoi <rpȟ>Toi
angegebenen Zahlen der Aristoxenischen Rhythmik sich auf das
rhythmische Grösscnmaass der n-ooe; d. i. der Versfüsse oder der
aus Versfüssen bestehenden grösseren rhythmischen Abschnitte be-
ziehen. So stellt es Aristoxenus selber dar. Nun erfahren wir durch
Herrn Lehrs und die „genaueren Prüfungen" des durch seine musi-
kalischen Kenntnisse unterstützten Herrn Brill, dass Aristoxenus
zwar geglaubt haben mag, mit jenen seinen Zahlen genaue rhyth-
mische Grössenwcrthe anzugeben, dass er sich darin aber gründlich
geirrt, — dass er dabei „im halbdunkcln Dämmerlichte der Kindheit"
umhergetappt habe. Wir Modernen, so denken die beiden Herren»
haben freilich ganz bestimmte rhythmische Wcrthe im Sinne, wenn
wir 3, 4, 5, 6 Achtel oder Seclizehntel sagen. Das ist aber bei
Aristoxenus, wenn er von 3, 4, 5, 6 ^oovot 7rpu/roi spricht., nicht der
Fall Wir sind klug und weise in der Rhythmik, so meinen sie.
aber Aristoxenus ist darin noch ein Kind! Wir können rhythmisch
zählen, Aristoxenus noch nicht! Alle Achtung vor Aristoxenus gutem
rhythmischen Willen, aber am Können habe es ihm nur allzusehr
gefehlt. Selbst mit der Kunst zu zählen soll es bei ihm nach Herrn
Lehrs noch eine sehr bedenkliche Sache gewesen sein. „Als ich
einst", erzählt derselbe, „aus Boeckh's Munde hörte: Aristoxenus
wird doch haben bis fünf zählen können, wusste ich allerdings besser
was sich ziemte, als dass ich dem sicheren Meister die Antwort
ausgesprochen hätte, die ich dachte : Das ist so sicher nicht" Lehrs
motivirt diese wunderliche Vorstellung folgendermassen : „Dass die
Menschen Kunst mit instinetiver Sicherheit treiben, zur Vollendung
treiben, während die Theorie spät und langsam und schwerfällig
ihre Versuche zum Bewusstsein macht d. h. selbst grosse Namen,
die immerhin für ihre Zeit schon einen Fortschritt bezeichneten,
fiir uns in der Kindheit betroffen werden, das lehrt die Geschichte
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Rhythmik: Lehrs und Brill. XXIII
fort und fort'1 Mit einem Worte, ein solch kindlicher Versuch soll
auch die Rhythmik des Aristoxenus sein. Aristoxeuus spricht zwar
von rhythmischen Maasseinheiteu , wenn er ^povot irpwTot sagt, aber
er meint danüt nicht wirkliche rhythmische Maassc, sondern Sylben.
Sein dreizeitiger Takt ist nicht wirklich ein dreizeitiger wie unser
3/8-Takt, sondern Aristoxeuus versteht darunter einen dreisylbigen
Versfuss, der möglicher Weise auch ein W'l'akt sein kann. So muss
es sich Aristoxenus gefallen lassen, dass er trotz seines „grossen
Namens4', trotzdem ihm ohne Theophrast gar die Diadochie des
Aristoteles am Lykeion zugefallen wäre, „für uns auf der Kindheit
betroffen wird(!)", dass Leute auf vorgerückterer Bildungsstufe, wie
Lehrs, sich freundlich dessen kindischer Fehler annehmen und dessen
„dreizeitigen" Takt nach ihrer besseren rhythmischen Einsicht in
einen „dreisylbigen" Takt emendiren. Aristoxeuus habe nicht
richtig zälüen können. Die Zahl drei sei zwar richtig als un be-
nannte Zahl: das falsche Zählen bestehe darin, dass Aristoxenus die
Zahl drei falsch benannt habe. Nicht drei kleinste rhythmische
Zeiteinheiten, sondern drei Sylben hätte er sagen müssen.
Es ist, als ob Aristoxeuus im Voraus geahnt habe, dass man
dereinst seine Rhythmik so verunglimpfen werde, indem man sie für
ein kindisches Werk erkläre, wie dies nun durch Lehrs und Brill
geschehen ist. Gerade für diese beiden lädier scheint er geschrieben
zu haben, was Pscllus in dem ersten Fragmente aus der Aristoxe-
nischen Rhythmik mittheilt. Leider hat Herr Brill, als er sich in
der Hoffnung Lehrs vierzeitige Messung zu retten, „selber an die
Fragmente machte und eiuer „genaueren Prüfung" als wir unter-
zog, gerade dies erste, für die griech. Metrik so ergiebige Frag-
ment unbeachtet gelassen. Es ist Psellus, welcher aus Aristoxenus
excerpirend berichtet :
„Zuerst ist zu merken, dass ein jedes Maass zum Gemessenen
in irgend einem Verhältnisse steht und hiernach genannt wird.
Auch die Sylbe, wenn sie etwas derartiges ist, welches den Rhyth-
mus messen kann, möchte sich so zum Rhythmus verhalten, wie
das Maass zum Gemessenen.
„Das ist ein Satz, den freilich die älteren Rhythmiker ausge-
sprochen. Aber Aristoxenus sagt: Die Sylbe ist kein Maass des
Rhythmus. Denn ein jedes Maass ist bezüglich seiner Quantität an
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XXIV
Vorwort zu Aristoxenus
und für sich bestimmt und steht zum Gemessenen in einem be-
stimmten Verhältnisse. Aber wie da« Maass im Verhältnis*, zum Ge-
messenen, in dieser Weise ist die Sylbe mit nichten etwas Be-
stimmtes. Sie nimmt keineswegs das eine mal dieselbe Zeit ein wie
das andere mal. Das Maass muss bezüglich der Quantität constant
sein sofern es Maass ist, auch das Zeitmaass bezüglich der Zeit. Die
Sylbe ist, um als Zeitmaass benutzt werden zu können, bezügüch der
Zeitdauer nicht constant u. s. w."
So redet ein bewährter Aristoteliker, aber kein „Kind", in seiner
Wissenschaft; ein Mann, der in derselben zahlreiche Vorgänger hat,
denen er hier bezüglich des von ihnen aufgestellten Satzes: die
Sylbe sei rhythmisches Maass, auf das entschiedenste entgegentritt.
Man hat diesen Satz ausgesprochen, als allerdings noch, wie Lehrs
sagt, die Wissenschaft der Rhythmik in ihrer Kindheit war, aber
nicht Aristoxcnus ist es, der ihn wie Lehrs und Brill wollen, aus-
gesprochen, sondern Aristoxenus ist ihm mit der logischen Schärfe
des Aristotclikers entgegengetreten, wenn er dem entgegnet:
„Die Sylbe erhält durch den Rhythmus des Mclos bald diesen,
bald jenen Zeitwerth und kann aus diesem G runde kein rhyth-
misches Maass sein. Vielmehr bedürfen wir, um ein solches zu
haben, eines von der variabelen Sylbengrösse unabhängigen
Maassstabes."
Aristoxenus ist es, der deshalb den Begriff des xpovoc ^f>u>To;
als kleinste rhythmische Zeiteinheit in die Diseiplin der Rhythmik
aufnehmen musste, wenn diese anders eine Wissenschaft von festem
Fundamente sein sollte. So wohlbedacht verfahrt der ächte Aristo-
teliker, aber kein „Kind". Und nun behaupten Lehrs und Brill,
Aristoxenus habe sich unter dem erst von ihm in die Wissenschaft
der Rhythmik eingeführten abstraften Begriffe des x?"'vo* ^p1"70*
die Sylbe gedacht!
In einem besonderen Aufsatze über den yjwvo; itpwTo; (bei
Porphyrius ist ein Theil davon erhalten) wendet sich Aristoxenus
erbittert gegen Leute, die ihn so falsch wie Lehrs und Brill ver-
stehen würden:
„Man muss sich in Acht nehmen vor der Irrung und der durch
sie hervorgebrachten Verwirrung, denn leicht kann einer, welcher
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Rhythmik: Lehrs und Brill.
XXV
durch musikalische Kenntnisse nicht unterstützt wird und solcher
Theorien, welche wir durlegen, unkundig, in der Soplustik dagegen
hinreichend bewandert ist, wie es irgendwo bei Ibykus heisst:
„mit rasendem Zorncsinundc
mir Hader entgegenbringen",
indem er (der musikunkundige Sophist) sagt, es sei ungereimt, wenn
einer die Rhythmik eine Wissenschaft nenne und sie gleichwohl
aus unbestimmten, imaginären Elementen (den ypovoi ttohjtoi) be-
stehen lasse, denn das Unbestimmte sei das Gegentheil aller Wissen-
schaft. Ich denke, es wird jetzt klar sein, dass wir des Unbestimm-
ten nicht Tür unsere rhythmische Wissenschaft bedürfen. Denn
wir setzen nicht Takte aus unbestimmten Zeitgrössen zusammen,
sondern vielmehr aus begrenzten, begrenzt dureh Grösse und An-
zahl und durch Maass und Ordnung in ihrem Verhältnisse zu ein-
ander. Und wenn wir keine derartigen Takte annehmen, so statuiren
wir auch keinen derartigen Rhythmus, da alle Rhythmen aus Takten
zusammengesetzt sind.4' Es wird dann weiter ausgeführt, dass wenn
die xpovoi -p«ü-oi in ihrer Zeitdauer auch variabel sind, sie doch
jedesmal durch das Tempo zur constanten Zcitgrösse werden und
mit ihnen auch die aus ihnen zusammengesetzten rhythmischen
Grössen, die dreizeitige, vierzeitige u. s. w.
So iudignirt ist Aristoxenus über diejenigen seiner Zeitgenos-
sen, die ihm unterstellten, als ob er mit unbestimmten Grössen
rechne.
Wer von den Zeitgenossen ihn so missverstanden hat, um ihm
dergleichen kindliche, unaristotelische Voraussetzungen zu unter-
stellen, ihm, der in seiner Disciplin die grosse That vollbracht, das
rhythmische Maass von den Sylbeu der Poesie und der Vocalmusik
unabhängig zu machen und auf den zuerst von ihm aufgestellten
Xpovo; 7r(xI>To; zurückzuführen, das wissen wir nicht.
Mehr als 2000 Jahre nach Aristoxenus Tode hat Brill wieder-
um dieselben Unterstellungen an der Aristoxenischen Rhythmik ver-
sucht, und Lehrs erklärt, die Auseinandersetzungen des Herrn Brill
nicht beweisend zu finden ausser Stande zu sein. Mögen die beiden
Herren zusehen, wie sie sich mit den nicht allzu schmeichelhaften
Worten, welche Aristoxenus gegen solche Gegner aus Ibykus an-
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XXVI Vorwort zu Aristoxenus
wendet, abfinden wollen.*) Den Satz der beiden Herren Lehrs und
Brill, dass das rhythmische Gefühl aller cultivirten Völker im wesent-
lichen eins sei, diesen Satz acceptire ich im allerweitesten Umfange.
Er ist bei mir nicht Axiom, sondern ein aus der genauen Ver-
gleichung eben der Aristoxenischen Rhythmik nüt der llhythmopoeie
Bach's, Händers, Glucks, Haydn's, Mozart's, Beethoven's folgendes
Ergebnis». Ohne Aristoxenus würde ich meinerseits nicht auf die
Immanenz der rhythmischen Gesetze bei den musischen Küustlern
der Griechen und der modernen Welt haben kommen können.
Wir stimmen auch darin mit Lehrs, dass wie dieser sagt, die
Menschen mit instinctiver Sicherheit die Kunst treiben, zur Vollen-
dung treiben, während die Theorie spät und langsam und schwer-
fällig ihre Versuche zum Bewusstsein macht, sind aber so weit ent-
fernt, mit Lehrs die Aristoxenische Rhythmik „diesem auf der Kind-
heit betroffenen" Standpunkte zuzuweisen, dass wir sie vielmehr für
eine der allervollendetsten Disciplinen erklären, welche der wissen-
schaftliche Geist der Griechen geschaffen hat, viel vollendeter als
die Poetik und Rhetorik des Aristoteles, viel vollendeter auch als
die Euklidische Geometrie. So lange die Rhythmik des Aristoxenus
noch unbekannt oder wenigstens für die moderne musikalische
Rhythmopoeie noch nicht verwerthet war, so lange konnte man von
dem Rhythmus unserer christlich-modernen Musik sagen, dass er
als Kunst nüt instinctiver Sicherheit zur Vollendung gefuhrt war,
während die moderne Theorie des musikalischen Rhythmus langsam
und schwerfällig nachhinke. Auch hier mussten eben durch das
Griechenthum der modernen Kunst die rhythmischen Gesetze, welche
den Künstlern immanent sind, zum Bewusstsein gebracht werden.
Und das Griechenthum, sofern es sich als Theorie ausgesprochen,
concentrirt sich hier auf den einzigen Namen Aristoxenus. Wie
*) Anmerkung. Herr Brill beklagt eich, dass ineine in den Elementen
des musikalischen Rhythmus 1871 gegebene Zurückweisung seiner Ansichten
über Aristoxenus unzureichend sei. Ich gebe ihm Recht. Dort hatte ich den
Schluss jener Zurückweisung während des Druckes unterdrückt, als mir die
vortrefflieho Polemik gegen Brill in Wilhelm Brambachs rhythmischen und
metrischen Untersuchungen 1871 zu Gesicht kam. Ich dachte, daran würde
Brill genug haben. Da er nicht zufrieden gestellt ist, lasse ich die ihm in der
allgemeinen Theorie des musikalischen Rhythmus versprochene auf Aristoxenus
näher eingehende Polemik hier abdrucken.
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Rhythmik: der jüngere Bellermann.
XXVII
sehr hat diesem Namen Aristoxenus die Philologie es abzubitten,
dass einer ihrer Vertreter dem Meister Boeckh gegenüber zwar
nicht laut gesagt, aber wie er gesteht, stillschweigend gedacht hat,
„es sei nicht so sieher, dass Aristoxenus habe bis fünf zählen können."
Den Herren Lehrs und Brill gegenüber halte ich es mit Herrn
H. Bei ler mann (Deutsche Literaturzeitung 1881 Nr. 18: Anzeige
meiner allgemeinen Theorie des musikalischen Rhythmus seit J. S.
Bach), wenn er sagt: „Kein Verständiger wird es bestreiten, dass
die von Aristoxenus über den Rhythmus aufgestellten Gesetze in
der Natur des Rhythmus selber begründet sind und hierdurch fiir
ewige Zeit ihre Geltung behalten werden." Durch mein Buch, heisst
es dort, werde man zunächst in klarer und verständiger Weise über
die Elemente der Rhythmik, über ihre Termini technici, wie Fuss,
Vers, System, Kolon, Strophe unterrichtet. Was in dieser Beziehung
von mir gesagt werde, fahrt er fort, könne man allen Musikstudie-
renden aufs Wärmste empfehlen. Ebenso vortrefflich sei femer,
was ich über die historische Veranlassung der heutigen Termino-
logie-Verwirrung in der Rhythmik sage, und dass ich um richtige
Begriffe und Benennungen wieder herzustellen zu den alten griechi-
schen Rhythmikern zurückgreife.
Aus diesen Worten des Berliner Musikprofessors ersehe ich zu
meiner Freude, dass die Musiktheoretiker seit einem Decennium in
den rhythmischen Anschauungen und Auffassungen fortgesclirittcn sind.
Denn als ich 1871 in den Elementen des musikalischen Rhythmus zum
ersten Male die Lehren der alten Theoretiker nutzanwendend den an-
tiken Terminus „Periode" an Stelle des jetzt in den Musik-Conservatorien
durch Lobe und Marx allgemein üblich gewordenen wieder in Auf-
nahme zu bringen suchte, da trug mir dies von Seiten eines Leip-
ziger Musiktheoretikers (in der Kalint'schen Musikzeitschrift) die
Rüge ein: Ich sei nicht hinlänglich musikalisch, um herauszuhören,
was Satz, was Periode sei und „es wird Musikkundigen unglaublich
scheinen, dass Westphal schon zwei Takte (hört!) als eine Periode
bezeichnet" Und der Amtsnachfolger desselben Professor Marx,
welcher die von den Alten abweichende Bedeutung des Terminus
■
Periode nach A. Reicha's Vorgange zuerst in Aufnahme gebracht
hat, Herr H. Bellermaun, trägt kein Bedenken die von mir aus den
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XXVIII
Vorwort zu Aristoxenus
Alten wiederhervorgeholte „Periode" „allen Musikstudierenden aufs
Wärmste zu empfehlen."
Ich dürfte schon mit diesem einen Erfolge meiner von H. Beller-
mann angezeigten Arbeit zufrieden sein können. Doch hoffe ich
auch noch eines anderen Erfolges mich zu erfreuen, den mir Herr
Bellermann einstweilen noch bestreitet *) ebenso hartnäckig bestreitet,
wie vor zehn Jahren der Leipziger Musiker in der Kahnt'schen Zeit-
schrift meine angeblich aus musikalischer Unwissenheit geflossenen
Neuerungen in der rhythmischen Terminologie.
*) Bedenklich sc heim-, es ihm, sagt Bellcrmann, dass ich die Aristoxeni-
schen Gesetze auch auf die polyphone Musik anwende und namentlich in den
Baeh'schcn Instrumental-Fugen den uubewussteu Anschluss an dieselben ent-
decke, — dass ich behaupte, keine andere Musik stehe in rhythmischer Be-
ziehung der musischen Kunst der Griechen so nahe, wie die Fugen des wohl-
temperirten Claviers. „Klarheit ist die Hauptsache". Diese zeige der Verf.
auf dem von ihm beherrschten Gebiete in bewunderungswürdiger Weise; „so-
bald er aber ein fremderes zu beschreiten versucht (dies sei die Polyphonik
und Bach), nimmt er zu Phrasen und allerlei Vergleichen seine Zuflucht." Ich
dachte, dii*s ich Phrasen zu machen ebenso wenig wie Aristoxenus im Stande
sei. Auch II. Bellermauu scheint sie in meinem Buche zu vermissen, indem
er, wo es ihm nöthig scheint, eine Phrase hinein corrigirt und mich z. B. fol-
gendes sagen laust: „Die alten Fugenregeln über dux, comes, thema werden
zwar fortdauernd ihre Gültigkeit behalten, aber sie sind zunächst nur der
äussern Erscheinung entnommen. Auch nach den todten Kegeln des alten
Fux'schen Gradus ad paraassuin kann man Instniineutalfugeu componiren.
Aber Bach'sche werden das nicht. Bach hat die todten und starren Fugen-
regeln beseitigt, indem er sie in Beziehung zu den Abschnitten der protestan-
tischen Choralstrophe setzte. Das verstehe, wer kann!" Ja, muss ich mit
H. Bellerinann ausrufen, ja, das verstehe ich nicht, das ist wirklich eine sinn-
lose Phrase. Der Leser der deutschen Litcraturzeitung wird denken, dass ieh
die sinnlose Phrase begangen; aber wenn er mein Buch liest, wird er
sehen, dass sie den Referenten zum Urheber hat, denn in meinem Buche
S. XXXII steht ganz richtig gedruckt: „Bach hat die todten und starren Fugen
begeistigt." So hatte ich richtig geschrieben. H. Bellennann hat aber nicht
richtig gelesen; und hat deshalb das, was ich in dem Buche über das Ver-
hältniss der Bach'schen Fuge zum deutsehen Minne- und Kirchenliede sage,
lieber ganz ungelesen gelassen. Denn nachweislich weiss er nur aus Vorwort
und Einleitung, dass ich in dein Buche darüber spreche. Aber nicht, was?
„Unzweifelhaft (schreibt Bellermann) hat es volle Berechtigung, wenn der Verf.
in deutschen Strophen des Minneliedes und denen des Kirchenliedes eine Ueber-
einstimmuug mit den Aristoxcuischen Grundsätzen erkemit." Dass mich der
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■
Rhythmik: der jüngere Bellcrman. XXIX
Noch erfreulicher musste mir die unbedingte Anerkennung sein,
welche der Aristoxenischen Rhythmik von einer Stadt aus zu Theil
wird, welche bisher in der Person des Herrn Lohrs und des Herrn Brill
eine Oberaus grosse Geringschätzung dagegen ausgesprochen. In
dem meine allgemeine Theorie des Rhythmus besprechenden Auf-
zatze „alte und neue Rhythmik von Dr. Felix Vogt" heisst es: „die
antike Rhythmik hat gerade die Gunst erfahren, die der unserigen
bis dahin gemangelt hat: sie ist der Gegenstand einer durch
Consoquenz und feine Durchbildung bewunderungswür-
digen Theorie geworden . . . In seinem epochemachenden
Werke über griechische Metrik hat Westphal aus den spärlichen
Trümmern von Aristoxenus rhythmischen Elementen das Lehrgebäude
des grossen Forschers in seinen Grundzügon zu reconstruiren ge-
wusst, und in diesem neuen Werke sucht er jetzt das dort Gefun-
dene für unsere Musik nutzbar zu machen." . . „Als wesentliche
Neuerung in der Taktlehre bringt Westphal den Begriff Chronos
protos." Dass der Königsberger Musikforscher dem Aristoxenischen
Referent dergleichen, was durchaus nicht meine Ansicht iat, behaupten lüsst
und noch dazu als etwas Richtiges hervorhebt und belobigt, das gehört genau
iu dieselbe Kategorie des Referirens, wie wenn er mein „begeistigt" be-
seitigt. Hätte Bellcmiann sich nicht mit dem begnügt, was die Vorrede über
Bach'schc Fugen und Minnelied vorläufig andeutet, hätte er die genaue Dar-
stellung dieses Gegenstandes in dein Buche selber nicht ungelesen bei Seite
liegen lassen, so würde er seinem Leser gerade das Gegen theil referirt haben,
dass nämlich für die Gruppirung der Miunclieds-, Kirchen- und Fugen-Strophe
die Analogie der Aristoxenischen Doctrin aufhört, dass hier der individuellen
deutschen Kunst nicht mehr die griechische respondirend zur Seite steht. Auch
ist tlas Buch so weit entfernt, die Durchführung des Themas bei den rhyth-
mischen Fugen- Analysen unberücksichtigt zu lassen, wie ihm II. Bellermann
vorwirft, dass ich vielmehr diesen Gegenstand von S. 225 — 29H in aller Aus-
führlichkeit, welche der mir verstattete Umfang des Buches zuliess, behandelt
habe. H. Bellermann belehrt mich, die Form der Fuge beruht auf der Durch-
führung des Themas in den einzelnen Stimmen derselben: „dem Verf. scheint
dieses Thema aber ohne wesentliche Bedeutung zu sein; denn bei seineu rhyth-
miseheu Eintheilungen nimmt er auf dasselbe gar keine Rücksicht und in seiner
Ansgal>e Bach'schcr Fugen, Moskau 1H7S, sagt er sogar, dass es in vielen
Fällen falsch sein würde, das Thema beim Vortrage hervortreten zu lassen/'
Bellermann würde für diese Behauptung (auch L. Köhler spricht nie in seiuer
Fugen-Ausgabe aus) ausser der Moskauer Fugenausgabe auch das Buch, welches
er hier recensirt, anführen können.
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XXX
Vorwort zu Aristoxenus
Chronos protos auch für die moderne Musik Geltung vindicirt, muss
das nicht als ein voller Ersatz für die Unbilden gelten, welche Ari-
stoxenus' Rhythmik und insbesondere dessen Satz vom Chronos
protos durch die Königsberger Philologen erfahren hat, welche
den Aristoxenischen Chrono» protos zu einem kindischen Gedanken,
über den sich Aristoxenus selbst nicht klar geworden sei, herab zu
würdigen suchten. Ja, der misskreditirte Hegriff des Chronos protos
wird noch zu grossen Ehren kommen: er wird der Grundstein wer-
den, auf welchen das bei den Neueren so verwahrloste Gebäude der
Rhythmik mit dem alten griechischen Denker aus der Schule des Ari-
stoteles von neuem aufgebaut werden muss, wenn in der Theorie
unserer Musik die Rhythmik den anderen Zweigen: der Harmonik,
der musikalischen Formlehre, der Instrumentationslehre u. s. w.,
würdig zur Seite treten soll. Aristoxenus wird für die moderne
Musik eine noch grössere Bedeutung als für die antike Philologie,
als für die Theorie der griechischen Yersitikation erhalten.
Als die höchste Anerkennung, welche der Aristoxenischen Rhyth-
mik von dem Königsberger Musikforscher gezollt wird, muss ich
es ansehen, dass er die eine oder die andere meiner Auflassungen
modellier Musik aus Aristoxenus widerlegt: „Mit der Lehre des
Aristoxenus steht die Vorpause, steht der Vortakt in Widerspruch.41
Daran knüpft Herr Dr. Felix Vogt eine Polemik gegen die mir
eigene Auffassung, welche sichtlich darauf ausgeht, mir wehe zu
thun. Trotzdem hat mir diese Erörterung um Aristoxenus's Willen
wohl gethan; sie ist der erste Anfang der Zeit, welche gelernt haben
wird, die rhythmischen Formen moderner Musik nach Maassgabe
Aristoxenischer Doctrin zu bestimmen. Dem Königsberger Musik-
forscher aber entgegne ich bezüglich des hier angeregten Punktes
zweierlei.
Erstens: Eine vollständige Besitzergreifung der Aristoxenischen
Tradition wird schwerlich eher als mit der Veröffentlichung der
gegenwärtigen Ausgabe und Bearbeitung möglich sein, und Herr
Vogt möchte wohl mit seiner Aussage nicht Recht haben: „In
seinem Epoche machenden Werke über griechische Metrik hat
Westphal aus den spärlichen Trümmern von Aristoxenus rhythmi-
schen Elementen das Lehrgebäude des grossen Forschers in seinen
Grundztigen zu reconstruiren gewusst." So freundlich und liebens-
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Rhythmik: der jüngere Bellermann. XXXI
würdig das auch gesagt ist: ich muss entschieden dies Lob ablehnen.
Vielmehr kannte ich zur Zeit der Abfassung der griechischen Metrik
die Tradition des Aristoxenus selbst für den Zweck der griechischen
Metra nur höchst unvollkommen. Es hat noch einer langen Arbeit
bedurft, bis ich im Stande war, mit einer Gesammtausgabc des
Aristotelikers auch über dessen gesammte rhythmische Tradition
vollständig zu gebieten und die scheinbare Diskrepanz derselben mit
den Metrikern, welche man allgemein seit Gottfried Herrmann und
Boeckh voraussetzte, in ihrer gänzlichen Grundlosigkeit zu erkennen.
Um so eher wird mir der Königsberger Musikforscher erlauben,
wenn ich hier freilich ohne Nachweis auspreche, dass die von mir
statuirte Vorpause und Vortakt mit der Lehre des Aristoxenus
nicht in Widerspruch steht Die vorliegende Aristoxenus- Ausgabe
nebst der sich unmittelbar an dieselbe anschliessenden im gleichen
Verlage erscheinenden „Taktlehre der Instrumental- und Vokal-
Musik von R. Westphal und Hertha Sokolowska" wird ja meinem
Recensenten baldigst zur Hand sein, und alsdann steht es ihm frei,
sein Uilheil über die Beziehungen, in welche ich Aristoxenus zu
unserer modernen Musik setze, nochmals auszusprechen.
Zweitens: Das Material der modernen Musik ist ein unend-
liches und nach der Seite der Formlehre vielfach durchgemustert,
so dass es wohl scheinen könnte, es sei z. B. für die Fugen-Com-
position eine jede Erscheinung vollständig gebucht worden. Aber
ein Jeder wird zugeben, dass es an einer Durchmusterung des
Materiales vom Standpunkte des Rhythmus aus bis jetzt
durchaus gefehlt hat. Es könnte doch wohl nicht ganz unmöglich
sein, dass, wenn eine solche Arbeit mit der nöthigen Hingabe
unternommen wird, unterstützt durch die Hilfsmittel und die bisher
ganz neuen Gesichtspunkte, welche die Theorie des Rhythmus durch
Aristoxenus erhält, dass dann doch noch der eine oder der andere
Punkt für die Theorie der rhythmischen Composition unserer Meister
sich den bisherigen Theoretikern entzogen zu haben scheinen könnte.
Und so kann ich nicht umhin, hier meine Freude auszusprechen,
dass mein Ruch über „»He Theorie des musikalischen Rhythmus seit
Bach" wenigstens Einen Leser gefunden hat (den Verfasser des Auf-
satzes „Eine neue Theorie der musikalischen Rhythmik" im Musi-
kalischeu Wochenblatte 1881. No. 35. 36. 37), welcher sich nicht
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■
XXX Ii Vorwort zu Aristoxcnus
nur der mitunter nicht gar so leichten Mühe unterzogen hat. das
ganze Buch (nicht bloss Anfang und Ende, sondern auch die be-
schwerlichere Mitte) mit sorgfältiger Prüfung der darin analysirten
Beispiele durchzulesen und dem Leser des Musikalischen Wochen-
blattes eine eingehende Darstellung des Inhaltes zu geben, sondern
mit einer für einen recensirenden Kritiker fast beispiellosen liebens-
würdigen Nachsicht hinzufügt: „dass kritische Zweifel den West-
pharschen Lehrsätzen gegenüber nur mit grosser Vorsicht zuzulassen
sind. Manchen Dingen, die beim ersten Anblick so überraschend
und sonderbar erscheinen, dass man glauben möchte, sie ohne Wei-
teres verwerfen zu müssen, ist bei näherer Prüfung dennoch nicht
beizukommen , denn es ist nicht die Art des Verfassers, Behaup-
tungen leichthin in hypothetischer Manier aufzustellen; was er
lehrt, das begründet er sorgfältig, ja mit einer fast peinlichen Ge-
wissenhaftigkeit, und stösst man doch einmal auf Sätze, deren Ent-
wickelung zunächst noch Zweifel bestehen lässt, so findet sich beim
Weitcrlescn, dass der Verfasser das etwa schuldig gebliebene über
kurz oder lang nachträgt. Volle Ausfuhrung des Details ist aber
hinsichtlich gewisser Einzelheiten von diesem ersten Theile des
Werkes noch gar nicht zu verlangen, und es ist nur billig, das
Urthcil über solche bis zum Erscheinen des in Aussicht gestellten
zweiten, speciellen Theiles zurückzuhalten. Das, worauf es zunächst
ankommt, ist, dass die allgemeinen Grundsätze des Werkes sobald
als möglich in weitere Kreise dringen , dort bekannt und gewürdigt
werden, und da lässt sich dem Leser nicht dringend genug em-
pfehlen, über dasjenige, was ihm im Buche hinsichtlich der Form
und der Ausführung individuell etwa weniger behagen mag, im
Interesse der Sache hinwegzusehen, um sich mit dem Kern des-
selben vertraut zu machen."
Wenn ich die verehrte Verlagshandlung zu bestimmen gesucht
habe, der Ausgabe des Aristoxenus ein Büchlein anzuschliessen.
welches die Ergebnisse der Aristoxenischen Taktlehre für moderne
Musik in populärer, Musikern und Laien verständlichen Weise, unter
Femhaltung alles dessen, was der Pseudonyme Reccnsent des musi-
kalischen Wochenblattes an der „Theorie des Musikalischen Rhyth-
mus seit Bach" ausstellt, so möge dieser darin den Dank für seine
ermuthigende Beurtheiluug im Musikalischen Wochenblatte erblicken.
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Rhythmik.
XXXIII
Ich weiss jetzt, dass ein einziger intelligenter Leser den mangelnden
Zuspruch des grossen Publikums wenigstens für den Verfasser auf-
zuwiegen im Stande ist.
Von den 453 Büchern, welche der fleissige Tarentiucr nacli
Suidas Berichte geschrieben hat, sind uns in den handschriftlichen
Sammlungen der griechischen Musiker ausser den rhythmischen
Stoicheia noch drei Bücher über das Melos überkommen. Sie nennen
sich die drei Bücher der harmonischen Stoicheia, und dieser Titel
bezeichnet gewissermassen ganz richtig ihren Inhalt.
Was Aristoxenus über das Melos geschrieben, kann für uns
Moderne nicht das grosse sachliche Interesse haben, wie seine Dar-
stellung der Rhythmik. Die Aufgabe der letzteren ist es, dass sie
für die moderne Welt etwa dieselbe Bedeutung gewinne, wie sie
schon fast vor mehr als einem Jahrhundert die Poetik des Lehrers
Aristoteles für unsere Dramaturgie eingenommen hat, indem man
in ihr den Kanon für die moderne Tragödie erblickte. Die Aristo-
xenische Rhythmik aber wird für die rhythmischen Formen unserer
Musik in einem noch viel höheren Grade als Kanon gelten, nicht
bloss bezüglich der rhythmischen Theorie, sondern auch wie wir zu
Anfang dieses Vorwortes kürzlich dargelegt haben, für die Praxis
des rhythmischen Vortrages, — gar nicht zu gedenken der praktischen
Bedeutung, welche die Aristoxenische Rhythmik für die Philologie
bezüglich der Norm antiker Versilication hat.
Diese Bedeutung können die Aristoxenischen Schriften über das
31elos auch nicht im entferntesten haben. Denn was soll die Theorie
der modernen Melik mit derjenigen des griechischen Alterthums
machen? Der modernen Melik, die seit Bach, Mozart und Beethoven
in demjenigen, was wir heutzutage Harmonik nennen, und in der
Instrumentation (— nach allem zu urtheilen was wir von der antiken
Melik wissen — ) wohl unendlich höher als diese steht? Nicht ein-
mal zum theoretischen Verständnisse überlieferter musikalischer
Compositionen der Griechen würde sich die melischc Litteratur des
Aristoxenus praktisch verwenden lassen, denn was die Musik-Com-
positionen der antiken Welt betrifft, so hat darüber bekanntlich der
ArUtuiann«, Melik o. Rhythmik. c
-
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XXXIV Vorwort zu Aristoxenus
böse Unstern gewaltet, dass fast alles, was die Alten von ihrer
Musik in Noten fixirt hatten, zu Grunde gegangen ist.
Aber obwohl den Aristoxenischen Schriften über das Melos eine
praktisch-reformatorische Bedeutung für die moderne Kunst ganz und
gar abgeht, ja obwohl sie bei dem fast gänzlichen Mangel überliefer-
ter musikalischer Compositionen nicht einmal im Stande sind , uns ein
anscliauliches und fassliches Bild von der betreffenden Kunst der
Griechen zu verschaffen, so haben sie doch nichts desto weniger
eine gewissermaassen kulturhistorische Bedeutung; denn auch sie
geben lebendiges Zeugniss von der Ueberlegenheit des griechischen
Geistes. Bedenken wir, dass wir die frühesten Versuche des
wissenschaftlichen Denkens, den spröden Stoff des Melos nach fass-
lich hervortretenden Kategorien zu behandeln, vor uns haben. Zwar
hatte mau sich auch schon ausserhalb der Schule des Aristoteles
mit der Auffindung solcher Kategorien abgemüht: es sind zum Theil
bekannte, ja berühmte Namen, welche Aristoxenus selber als seine
Vorgänger in diesen Bestrebungen bezeichnet und deren Anschau-
ungen er eine besondere Schrift, welche eine Würdigung derselben
enthielt, gewidmet hatte. Diese „So&ai ap|iovixa>v" des Aristoxenus
hegen uns nicht mehr vor: aus gelegentlichen Anführungen derselben
ergiebt sich deutlich genug, dass es erst der Schule des Aristoteles
vorbehalten war, den Denker heranzubilden, welcher diejenigen Punkte,
welche wir heutzutage als Fundamentsätze der „allgemeinen Musik-
wissenschaft" oder als der „allgemeinen Einleitung in die Musik" an-
zusehen gewohnt sind, in einer so klaren Weise erfasste und aus-
einander setzte, welche (man darf es ohne Scheu sagen) bis heute
bei den Musikforschem ohne gleichen geblieben ist. Ein Musiker,
der selber als Schriftsteller über Musiktheorie nicht unbekannt und
mit der ganzen dahin einschlagenden Litteratur wohl vertraut ist,
brach, als er auf meiue Veranlassung zum ersten Male die melischen
Schriften des Aristoxenus zu studiren angefangen, in die bewundern-
den Worte aus: „Nein! so verstehen wir nicht zu schreiben!", und
denselben Eindruck werden sie auf jeden machen, sofern er bei
diesen wunderbaren Entwicklungen des Aristoxenus in Anrechnung
bringt, einmal, dass derselbe ohne alle die Hilfsmittel war, mit
welchen die moderne Physik (Akustik) den Forscher über solche
Gegenstände unterstützt, und sodann, dass es nicht die Scalen der
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■
harmonischen Schriften.
XXXV
heutigen Musik, sondern die eiiharmonischen , chromatischen und
diatonischen Scalen der Alten sind, die — von den unserigen so
sehr bedeutend verschieden — das Material für die Aristoxenische
Forschung bilden. Es fehlt hier fast an allen Analogieen, welche
bei der Rhythmik des Aristoxenus und bei der Poetik seines Lehrers
Aristoteles zwischen der antiken und modernen Kunst sich darbieten.
Hätte dem Aristoxenus eine Melik, analog der modernen, als Ma-
terial des Forschens vorgelegen, so würden wir freilich vieles von
dem, was dem Aristoxenus in seiner Musikwelt die Hauptsache
sein musste, gar nicht bei ihm finden. Aber alles was wir bei ihm
finden, und mag es noch so fremd und unfassbar erscheinen, wir
dürfen fest überzeugt sein, dass er, der Aristoteliker, von wirklichen
Tliatsachen der alten Kunst spricht Wir können os nicht gelten
lassen, dass diese oder jene cliromatische und diatonische Chroa,
dass die Enhnrmonik, für die er die genau zu ermittelnden Zahlen-
ausdrücke giebt, auf lediglich idealen Berechnungen der Phantasie
beruhen solle, wie zum Tlieil auch noch der hochverdiente Forscher
Friedrich Bellermann will. Nein, Allem, was Aristoxenus als That-
sachen bespricht, liegt auch eine reale Wahrheit der helle-
nischen Kunstpraxis zu Grunde. Was wir von der einst so zahl-
reichen Aristoxeiuschen Litteratur noch besitzen, ist ausreichend
genug, um uns erkennen zu lassen, dass bei ihm (in völliger Ueber-
einstimmung des Aristoteles) die Phantasie gerade die am schwäch-
sten entwickelte Seite der geistigen Beanlagung war. Ausgebildet
ist zwar bei ihm der Sinn für Kunst und Kunst genuss, aber nicht
die poetische Begabung. Wenn er sich als Musiker, soweit dies
Fach es erfordert, gelegentlich aucli in eigenen Compositionen ver-
suchen musste, so möchten wir doch bezweifeln, dass er gerade
zu den ausgezeichnetsten Coniponistcn des Alterthums gehört hat
Aristoxenus als Schriftsteller ist trocken; er kann nicht anders als
durch den Stoff, dessen er völlig Herr ist, interessiren; zu einer
witzigen oder poetischen Phrase hat er seinen Styl niemals empor-
zuheben versucht. Ihm genügt die unbeugsame Schärfe und Klar-
heit der nüchternsten Prosa.
Noch nach einer andern Seite hin sind die Aristoxenischen
Schriften über Melos von einer kulturhistorischen Wichtigkeit Sie
fuhren uns nämlich in das akademische Leben und Wesen des klas-
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XXXVI
Vorwort zu Aristoxenus
sischen Hellenenthums. Dass Plato und Aristoteles in akademischer
Thätigkeit gelebt, wissen wir zwar, aber von dem Individuellen
dieser ihrer akademischen Wirksamkeit erfahren wir wenig genug;
die eigenartigsten Züge eben aus den Mittheilunge » des Aristoxenus.
Bei der Leetüre von Aristoxenus melischen Schriften verweilen wir
geradezu in dem akademischen Kreise von Athens Docenten- und
Studententhume. Denn Aristoxenus schreibt seine Schriften über
das Melos zunächst als Docent, es sind antike Collegienhefte zum
Zwecke des akademischen Vortrages medergesehrieben oder auch wohl
nach dem Abhalten der Vorlesungen ausgearbeitet. Im Allgemeinen
— so sehen wir — hat er von seinen Zuhörern eine sehr gute
Meinung; er traut ihnen zu, dass sie seinen Deductionen zu folgen
wohl im Stande sind, dass sie auch wohl wissen, man dürfe im ersten
Anfange einer Disciplin noch keine vollständigen und umfassenden
Definitionen erwarten. Wir sehen aber auch, wie Aristoxenus dann
weiterhin den Zuhörern ihn selber in seinein Vortrage zu interpel-
liren verstattet und ihre Fragen „warum so und nicht anders?"
mit sorgsamem und liebevollem Eingehen beantwortet. Von Inter-
esse ist auch dies, dass wir uns aus der Art wie Aristoxenus von
den Zuhörern durch Fragen interpellirt wird, überzeugen müssen,
dass seine Zuhörer vollständig im Staude sind, den ja oft nicht allzu
leichten Auseinandersetzungen des Docenten genau zu folgen, ja,
dass sie die aus der historischen Entstehung der griechischen Scala
sich ergebenden Inconvenienzen, von denen auch wir Moderne wenig
befriedigt sind, wohl herausfühlen und anders wünschen. Kurz und
gut, Aristoxenus hat in seinem Auditorium eine aufmerksame, in-
telligente, aber ueuerungssüchtige Zuhörerschaft, — Jung- Athen ist
zu Alexanders Zeit fast noch unverändert dasselbe wie zu den Zeiten
des Peloponnesichen Krieges geblieben — , Aristoxenus aber repräsen-
tirt den hypergenialen Zuhörern gegenüber das conservative Element ;
wo er mit der Logik nicht recht auszureichen glaubt, da nimmt er
das Ethos zu Hilfe.
Die rücksichtsvolle Sorge um seine Zuhörer treibt ihn zu einer
fast beispiellosen Energie?. Denn etwas anderes als Rücksicht auf
die Zuhörer kann es kaum gewesen sein, was ihn veranlasst hat,
dieselben Vorlesungen nach der ersten Ausarbeitung noch zweimal
umzuarbeiten: das eine Mal unter genauer Festhaltung der früher
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harmonischen Schriften.
XXXVII
gemachten Disposition, aber mit gänzlicher Umgestaltung des Aus-
drucks (wir nennen diese beiden Ausarbeitungen desselben Gegen-
standes bei derselben Disposition „die erste und die zweite Aristo-
xenische Harmonik"). Sodann besitzen wir noch eine dritte Dar-
stellung der Harmonik, von der uns freilich nur das Prooimion er-
halten ist („die dritte Harmonik des Aristoxenus"). Nur das Prooi-
mion ist auf uns gekommen, aber genug, um uns den abweichenden
Charakter dieser dritten Vorlesung erkennen zu lassen. Während Ari-
stoxenus in der ersten und zweiten Harmonik den Gegenstand in
achtzehn Abschnitten behandelt hat, soll die dritte Harmonik den
gesammten Gegenstand und dazu noch die Rhythmopoeie in sieben
Abschnitten vortragen. Das sind dieselben sieben Abschnitte, in
welchen die meisten Musikschriftsteller der Kaiserzeit, nachweislich
(sei es mittelbar, sei es unmittelbar) aus Aristoxenus schöpfend, die
Discipliu der Harmonik darstellen. Es ist mehr als wahrscheinlich,
dass die erste (und selbstverständlich auch die zweite) Harmonik
ein einzelner Theil von einem Cyklus der Wissenschaft über das
Melos war, d. h. der Musik nach ihrer tonalen Seite, die rhythmische
Seite der Musik und alles was nicht Melos ist ausschliessend. Dieser
Cyklus hatte mit Vorlesungen „über die Auffassungen der Harmo-
niker" begonnen, in welchen was von Aristoxenus' Vorgängern in
der melischen Discipliu gelehrt und überliefert war, kritisch be-
sprochen wurde. Dann folgte als zweiter Theil des Cyklus: die Vor-
lesungen über Harmonik. Die übrigen Theile, scheint es, waren die
Melopoeie und die Instmmenten-Lehre , vielleicht auch noch die
Theorie der menschlichen Stimme. Denn diese Discipiinen, aber nicht
etwa Rhythmik und Orchestik, muss Aristoxenus im Auge gehabt
haben, wenn er im Prooimion der ersten Harmonik von den Theilen
der Wissenschaft vom Melos spricht, welche die Sache eines schon
weiter Fortgeschrittenen seien, und über die er in geeigneten Zeiten
sprechen werde „welche und wie viele es sind und worin ein jeder
besteht"
Von der dritten Harmonik gewährt nichts den Anschein, als
ob sie blosser Theil eines Vorlesungs-Cyklus ist. Denn dass sie
als Abschnitt der Harmonik auch noch die Melopoeie zu behandeln
verspricht, das scheint dafür zu sprechen, dass sie ein ganz in sich
abgeschlossenes Werk (bezüglich Vorlesung) des Aristoxenus ist.
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XXXVIII Vorwort zu Aristoxenus
Für die pädagogische Manier des Aristoxenus ist es uicht ohne
allgemeines Interesse, dass sowohl die erste, wie auch die zweite
Harmonik in zwei Haupttheile zerfällt, von denen er den ersten als
„Eingangs- Anschnitt" (ta ev apyjj), den zweiten als „Stoicheia" be-
zeichnet. So ziemlich ein jeder Punkt der Harmonik wird zuerst
in den Eingangs -Abschnitten, dann weiterhin in den Stoicheia be-
handelt Im ersten Haupttheile trägt Aristoxenus den Zuhörern vor,
was der Augenschein über den betreffenden Punkt der Harmonik
ergebe, z. B. über den Unterschied des Singens und Sprechens,
über Tonhöhe, Tontiefe, Aufsteigen, Absteigen, Tonstufe, Intervall
u. s. w. Es leidet keinen Zweifel, dass Aristoxenus es ist, welcher
zum ersten Male unter den Griechen diese Punkte zum Gegenstand
des Denkens gemacht, wenigstens so durch sein Denken zurecht ge-
legt hat, wie bis zum gegenwärtigen Augenblicke die Musiktheorie diese
Kategorien handhabt. Der erste Haupttheil kann Alles nur im Um-
risse geben: nicht einmal die Definitionen können hier vollständig
und umfassend sein, wie Aristoxenus den Zuhörern gleichsam um
Entschuldigung und Nachsicht bittend ausdrücklich erklärt. Im
zweiten Haupttheile, den Stoicheia, befasst sich Aristoxenus nicht
mehr mit dem was der Augenschein angiebt: er stellt sich auf den
Standpunkt, wo ein jeder der vorgetragenen Sätze nach Aristote-
lischer Art unumstösslichen Beweis verlangt. Die Methode der
Beweisführung ist hier bei Aristoxenus die mathematische, und
/.war (was uns für das klassische Hellenenthum nicht befremden
kann) die Mathematik nicht in der Form der arithmetischen, son-
dern der, geometrischen Deduktion. Denn es ist dem wissenschaft-
lichen Geiste des Griechenthums cigenthümlich, dass in der Periode
der produktiven Kunstblüthc das wissenschaftlich mathematische
Denken der Geometrie vorwiegende Beachtung zuwendet, dass die
Arithmetik dagegen erst in der nachklassischen, ja der römischen
Periode von den Mathematikern mit Vorliebe in Angriff genommen
wird. (Umgekehrt tritt bei dem alten Kulturvolke der verwandten
Inder auf mathematischem Gebiete zuerst die Arithmetik in den
Vordergrund). Auch in der Harmonik, deren Ausgangspunkt die
Tonhöhe und die Ton tiefe bildet und die es insofern mit Raum-
grössen zu thun hatte, musste sich, als sie durch Aristoxenus zu
einer logisch-mathematischen Disciplin wurde, die geometrische Be-
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harmonischeu Schriften.
XXXIX
handlung von selber ergeben. Und das blieb sie bis weit über
Aristoxenii8 hinaus ; denn auch Claudius Ptolemäus unter Marc-Aurel,
in der Arithmetik schon weit fortgeschritten, bleibt dennoch in der
Harmonik, obwohl er hier ein Gegner der Aristoxeni sehen Aulfas-
sungen war, in seiner harmonischen Beweisführung im Ganzen bei der
geometrischen Methode des Aristoxenus. Für den Standpunkt der
Geometrie in der Periode Alexanders des Macedoniers ist die Har-
monik des Aristoxenus in soweit von Interesse, dass wir aus ihr ersehen,
wie die Geometrie des doch erst später lebenden Euklides mit ihrer
eigentümlichen Methode der Axioniata, Problemata und Definitionen
bereits dem Aristoxenus präsent gewesen sein muss. Denn diese
ganzen Euklidischen Deduktions-Formen finden sich auch schon in
der Harmonik des Aristoxenus angewandt In der That belehrt uns
der von Proklos zur Euklidischen Geometrie zusammengestellte
Commentar von Vorgängern des Euklid und ihren besonderen Auf-
fassungen und Darstellungsweisen, so dass Euklides Geometrie nicht
viel mehr als eine compendiöse Zusammenfassung älterer geome-
trischer Werke aus der Zeit Piatos ist. Aristoxenus, der seine
früheste Bildung bei den Pythagoräern seines grossgriechischen Hei-
mathslandes empfangen hatte, muss wohl in der geometrischen
Wissenschaft gross gezogen sein und kaum anders gekonnt haben,
als deren Methode auf die von ihm begründete üiseiplin der Har-
monik anzuwenden. Daher denn auch der Name „Stoicheia", wel-
chen er von der geometrischen Wissenschaft auf diesen zweiten
Haupt-Theil seiner Harmonik übertragen zu haben scheint. Die
dritte (in sieben Abschnitten ausgeführte) Harmonik des Aristoxenus,
in welcher (wie wir aus dem erhaltenen Prooimion ersehen) die nur
die Umrisse angebenden Eingangs-Abschnitte der ersten und zweiten
Harmonik fehlen, wird von Anfang an wohl nur harmonische „Stoi-
cheia" enthalten haben. Aristoxenus hat diese Vorlesung wohl zu
einer späteren Zeit seiner Docententhätigkeit gehalten, wo er bei
seinen Zuhörern voraussetzen durfte, dass sie der Eingangs- Abschnitte
nicht mehr bedurften. Offenbar ist diese dritte Harmonik später
als die erste und zweite geschrieben oder, wie wir eben so richtig
sagen können, als Vorlesung gehalten.
Ueber das Zeitverhältniss der drei harmonischen Schriften oder
Vorlesungen zu den rhythmischen lässt sich nichts bestimmen. Zwar
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XL
Vorwort zu Aristoxenus
wird auch die Harmonik in dem rhythmischen Werke und speciell
„die diastematischen Stoicheia" citirt. Aber Aristoxenus kann damit
ebensowohl auf eine mündliche, wie auf eine herausgegebene Vor-
lesung liinweisen. Die Citate Aristotelischer Schriften in Aristote-
lischen Werken, die manchmal selir befremden, möchten wohl auf
dieselbe Weise zu erklären sein, daas Aristoteles nicht auf Bücher,
sondern auf Vorlesungen sich bezieht Kommt doch auch bei dem
Lehrer Aristoteles dieselbe Erscheinung von Doppelgängern unter den
Schriften wie bei dem Schüler Aristoxenus vor, bei welchem letzteren
dieser Entstehungsprozess der Schriften viel klarer als bei Aristo-
teles zu übersehen ist
Nach diesen Bemerkungen über die Entstehung der harmonischen
Schriften des Aristoxenus, in denen ich einen Theil der Ergebnisse
dieses Buches antieipire, erlaube ich mir noch ein allgemeines Ein-
gehen auf den Inhalt derselben.
Schon im Voraus könnten wir aus den über Harmonik geschrie-
benen Büchern der übrigen griechischen Musiker wissen, dass wir
in den drei harmonischen Büchern des Aristoxenus nicht eine
Harmonielehre im Sinne der Modernen, sondern vielmehr dasjenige
finden werden, was wir eine Einleitung in den tonischen Theil der
Musik (Aristoxenus selber sagt „den melischen Theil") nennen würden.
Es handelt sicli in den drei Büchern des Aristoxenus hauptsächlich
um die Ton-Scalen der in der klassischen Griechenzeit gebräuch-
lichen enharmonischen, chromatischen und diatonischen Musik. Von
der Art und Weise, wie das griechische Melos die Melodiestimmen
durch andere divergirende Stimmen der Instrumente harmonisirte,
sagen die griechischen Theoretiker in den uns vorliegenden Berichten
so gut wie nichts. Man würde die ganze griechische Musik für
eine unisone halten müssen (wie man ja fast durchgängig des Glau-
bens ist), wenn nicht eine der Quellen, aus denen Plutarch seinen
Dialog über die Musik zusammenstellt (es ist wiederum auch hier
Aristoxenus, doch in einem anderen Werke als der Harmonik) eine
Nachricht bei Gelegenheit des archaischen Styles des Terpander
überlieferte, die entschieden von den gleichzeitigen divergirenden
Stimmen des Gesanges und der Begleitung redet. Trotzdem würde
uns das Stillschweigen, welches die griechischen Musiker in ihren
theoretischen Schriften über diesen Punkt bewahren, in Verlegenheit
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Harmonik. Keine Harmonielehre!
XLI
setzen, wenn sich nicht in der Musik eines anderen Volkes eine
Parallele darböte. Dies ist der Chorgesang des nissischen Land-
volkes. Russische National- Melodien, welche diesem Kreise ent-
stammen, waren uns ja schon früher bekannt; von der eigenthüm-
lichen Harmonisirung des russischen Bauerngesanges haben wir
erst durch Melgunows Ausgabe einegenaue Kenntniss erhalten. Die
mehrfachen Versuche, jene Melodien nach den Kunstgesetzen des
Abendlandes zu harmonisiren, dürfen als verfehlt bezeichnet werden,
namentlich da die Mollmelodien durchgängig des Leittones entbehren
und zu spröde sind, auch in der Begleitung dem Leittone Anwen-
dung zu verstatten. Aber das russische Landvolk selber singt seine
Melodien in polyphonem Chorgesange in einer (müssen wir sagen)
thematischen Durcharbeitung. Den abendländischen Harmonieregeln
sind diese national-russischen Chorgesänge oft sehr entgegen, wir
finden manches hart darin, wenn sich auch die abendländische
Wissenschaft der Akustik wohl damit befreunden kann. Die russi-
schen Gesetze der Harmonisirung liegen in der viele Jahrhunderte
langen Tradition des Landvolkes. Wie seine Textworte beruht auch
sein Melos: Melodie und Harmonie, lediglich auf der mündlichen
Ueberlieferung, ohne dass für die Harmonie die Gesetze jemals
von Fachmusikem ausgesprochen wären. Ebenso müssen wir auch
von der musischen Kunst der Hellenen annehmen, dass wie hier
in früherer Zeit Text und Melodie auf der Tradition beruhte (die
letztere bis mindestens in die Zeit der attischen Kunstblüthe) , so
auch die Gesetze des Harmonisirens nur der mündlichen Ueber-
lieferung angehörten, obwohl zu vermuthen ist, dass für einzelne
Gesänge die begleitende Instrumentation früher als selbst die Ge-
sangnoten aufgezeichnet worden, denn die griechischen Instrumen-
talnoten sind entschieden eine geraume Zeit früher als die Gesang-
noten aufgekommen.
Also eine Harmonik im Sinne der Modernen will Aristoxenus
in den drei Werken über harmonische Wissenschaft nicht liefern. Das
sagt er selber mehr als einmal. Es wäre kaum nöthig, lüerauf
nachdrücklich hinzuweisen, wenn nicht der neueste Herausgeber
des Aristoxenischen Originales in den Büchern der Harmonik eine
Harmonielehre suchen zu müssen geglaubt hätte, und da er sie
nicht findet, gegen das von den Handschriften überlieferte mit Un-
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XLU
Vorwort zu Aristoxenus
mutli erfüllt wird, in welchem er so weit geht, dass er das handschrift-
lich Ueberlieferte lieber für eine Byzantinische Excerptensammlung
ansieht, als fiir ein Werk dessen, den die Handschriften den Verfasser
nennen, dass er es in der vorliegenden Fassung ausser den
Einleitungs-Capiteln dem Aristoxenus gänzlich abspricht
Dem gegenüber muss ich meine früher ausgesprochene An-
sicht aufrecht erhalten, dass die drei Harmoniken des Aristoxenus
dasselbe Anrecht auf Authenticität wie die rhythmischen Stoicheia
haben, dass sie im Ganzen nicht mehr Interpolationen (auf dem
Wege erklärender Marginalglossen) und auch nicht mehr Verkür-
zungen als die rhythmischen Stoicheia erfahren haben. Ein zu-
sammenhängendes Werk bilden sie freilich nicht, sondern sind
die Trümmer von nicht zwei, wie ich früher meinte, sondern von
drei verschiedenen Werken.
Den früheren Herausgebern und Bearbeitern war dieses eigen-
thüinliche Verhältniss noch nicht bekannt. Sie glaubten den Ueber-
schriften ihrer Codices folgend eine fortlaufende Darstellung Eines
Aristoxenischen Werkes in drei Büchern vor sich zu haben.
Zuerst war es Antonius Gogavinus, welcher diese Partie des
Aristoxenus zugleich mit der Harmonik des Ptolemaeus ohne Hin-
zufugung des griechischen Textes in einer nach seinem Codex von
ihm selber angefertigten Uebersetzuug herausgab:
Aristoxeni musici antiquissirai harmonicum elementorum libri III,
CL Ptolemaei harmonicorum lib. III, Aristoteles de objecto auditus
fragmentum ex Porphyrii eomnientariis. Omnia nunc primum la-
tine conscripta et edita ab Ant. Gogavino Graviensi. Venetiis apud
Vincentium Valgrisium 1562.
Der erste, welcher das griechische Original herausgab, war Jo-
hann Meursius, der dasselbe aus einer Leidener Handschrift Scali-
gers zusammen mit Alypius und Nikomachus, in den Noten einzelne
Verbesserungsvorschläge hinzufugend, abdrucken liess.
Es folgt die Ausgabe Meiboms:
Antiquae musicae auetores septem graece et latine Marcus Mei-
boniius restituit ac notis explieavit vol. I. IT. Amstellodami apud
Ludovicum Elcevirum 1652.
Aristoxenus bildet den ersten der 7 Musiker. Den Text des-
selben hat er aus demselben cod. Scaligers wie Meursius abdrucken
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Harmonik: Ausgabe des Gogavinus, Meursius, Meibom, Mahne. XLITI
lassen mit einer wörtlichen Uebersetzung. Für seine auf Original
und Uebersetzung folgenden kritischen und erklärenden Noten hatte
Meibom noch die Collationen dreier Oxforder Codices benutzt. Ich er-
laube mir aus einem handschriftlichen Berichte, den Herr Ruelle, gegen-
wärtig Vorsteher der S. Gcnofeva-Bibliothek zu Paris, über die franzö-
sischen Codices mir zu senden die .grosse Freundlichkeit hatte, zugleich
folgendes über das in Meiboms Handschriften Enthaltene auszuziehen:
I. Scaligerianus cod. Le manuscrit, sur lequel J. Meursius
im prima les Elements harmoniques en 1616 pour la premiere fois,
fut 6dit6 une seconde et litteralement traduit en latin par Meibom
en 1652. II est assez peu correct, mais les lacunes y sont rares.
IL Seldenianus cod. Celui-ci, que Meibom devait a Seiden
d'Oxford, est le plus pur et le plus intact de ceux qu'il a consultes.
HI. Baroccianus cod. Si l'on juge par les annotations de
Meibom, ce texte est meilleur que celui de Scaliger, mais il ne laisse
pas d'avoir des lec,ons inadmissibles et des longues lacunes.
IV. Bodleianus cod. Cette copie, deposee a la Bibliotheque
Bodleienne d'Oxford, ainsi que la precSdente, semble avoir ete prise
sur celle-si. Les lecons de ces deux manuscrits sont presque toujours
les memes. Meibom dans cette circonstance les resigne sous la
denomination commune de „Oxonienses."
Dem Fleisse der holländischen Philologie sollte auch noch eine
dritte Arbeit über Aristoxenus zu verdanken sein, nämlich die
von W. Leonhard Mahne unternommene Sammlung der aus den
übrigen zahlreichen Werken des Aristoxenus erhaltenen Fragmente:
Diatribe de Aristoxeno philosopho peripatetico auetore Guilelmo
Leonardo Malme Amstel. 1743, wieder abgedruckt von G. H.
Schaeler als tomusprimus eines thesaurus criticus novus Lips. 1802.
Was die sorgsame Fragmentensammlung Malraes vergessen hat,
hat Carolus Dübner in den Fragmenta historicorum Graecorum
tom. II hinzugefugt. Ein auch bei diesem nicht gebuchtes Fragment
des Aristoxenus theilt Osann im Anecdotum Graecum mit, der
zugleich zuerst darauf hingewiesen, dass Aristoxenus eine Quelle fiir
Plutarchs dialogus de musica sei.
Mit der Verwerthung des in der Aristoxenischen Harmonik ent-
haltenen Materiales machte wiederum A. Boeckh einen sehr ener-
gischen Anfang in seinen Metra Pindari, indem es ihm gelang das
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XLIV
Vorwort zu Aristoxeuu«
Verhältniss der Aristoxenischen t<5voi (Transpositionsscalen) zu den
gleichnamigen 7 Octavengattungen zu erkennen.
In gleicher Weise machte sich um die Aristoxeni9che Harmo-
nik Friedrich Bellermann verdient, der in rascher Folge ausser
den beiden oben angeführten wichtigen Schriften auch noch die
wichtige dritte
Tonleitern und Musiknoten der Griechen 1845
veröffentlichte, welche den Nachweis führte, dass die tiefste Note
des griechischen Notenalphabetes der Schreibung nach unserem V
entspricht, obwohl (wie Bellermann ebenfalls gefunden) die griechischen
Noten ihrer wirklichen Stimmung nach eine kleine Terz tiefer stehen
als die heutige.
Auch direct auf die Aristoxenische Harmonik ist Bellerraann,
eingegangen in der Ausgabe seines Anonymus de musica. Beller-
mann weist nach dass mehrere §§ derselben direct aus Aristoxenus
Harmonik entlehnt sind. Dies gibt ihm Gelegenheit die betreffenden
Aristoxenischen Stellen kritisch unter Herbeiziehung von zwei Codices
der Leipziger Stadtbibliothek zu behandeln: Cod. LI aus dem 14.
oder 15. Jahrhundert, Nicomachus, Aristoxenus und Alypius ent-
haltend, cod. L. 2 viel jünger, in dem sich fast alle von Meibom
herausgegebene Musiker (mit Ausnahme des Bacchius) und ausser-
dem noch Manuel Bryennius befinden.
Bald nachdem ich angefangen die Rhythmik des Aristoxenus
zum Hauptgesichtspunkte meiner Studien zu machen, wandte ich
auch der Harmonik desselben eine gleiche Thätigkeit zu. Gleich
mit meiner Uebersiedelung von Tübingen nach Breslau legte ich
mir für meine Zwecke eine eigene Ausgabe des Textes an, an der
ich fort und fort arbeitete, bis sich die in dem gegenwärtigen Buche
vorliegende Gestaltung des Textes daraus ergeben hat. Der nach
Jahren begonnene Druck der damaligen Fassung des Textes wurde
nicht zu Ende geführt, und nur wenige Freunde und Bekannte wie
A. Rossbach, M. Schmidt und C. Bursian haben einige Bogen davon
zu Gesichte bekommen. Ich hatte damals erkannt, dass das erste
der drei Bücher der Rest einer selbständigen Aristoxenischen
Schrift war, welche im Alterthume auch den Titel apyai apjiovtxott
führe; das zweite und dritte Buch hielt ich für Theile der aroi/sta
apjxovixa. Ebenso gelang es mir damals von einer anderen werth-
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Harmonik: Bellermann, ßergk, Marquard.
XLV
voUen Iitteruturschicht des Aristoxenus, den Dialogen, einem Gegen-
stücke der Aristotelischen Dialoge, in dem Plutarchischen Dialoge
über Musik eine bedeutende Zahl von Fragmenten zu entdecken,
welche alle aus den Aristoxenischen aou,u.txTa aou,:roTixa wörtlich
entlehnt seien. Erst 1862 gelangte ich dazu, dies Verhältniss der
Aristoxenischen Werke im dritten Bande unserer griechischen Me-
trik, welcher die Harmonik enthielt, zu veröffentlichen; dort wurde
auch auf den sachlichen Inhalt der Aristoxenischen Harmoniken
sorgfältig*) eingegangen.
Inzwischen hatte auch Theodor Berg k die Entdeckung ge-
macht, dass das erste Buch der Aristoxenischen Harmonik von den
orot/eia apfxovixot abzutrennen und mit den von den Alten erwähnten
ap/at apjxovixal identisch sei. (Ersch. und Gruber's Encyelopaedic).
Etwas Aehnliches behauptete Paul Marquard in seiner Bon-
ner Doctor-Dissertation.
Im Jahre 1869 erschien die Ausgabe des Aristoxenus von
Paul Marquard, die durch Herbeischaffung neuen handschriftlichen
Materiales unbestreitbar die grössten Verdienste sich erworben hat.
Im Vereine mit Wilhelm Ktudeinund hat er auch auf dem Wege der
Conjectural-Kritik den Aristoxenischen Text an vielen Stelleu ent-
schieden verbessert. Aber in der sachlichen Verwerthung des Textes,
9 welche doch die Hauptsache bei seiner Aristoxenus -Ausgabe sein
soll, scheint Marquard in einer mir schwer begreiflichen Weise weit
hinter den Anforderungen, die seit den Arbeiten der 50er Jahre
an eine solche Aufgabe gestellt werden müssten, zurückzubleiben.
Auch andere würde Marquard von einem eindringlichen Studium
dieses kostbaren Restes alter Litteratur über Musik fern halten,
wenn es ihm gelungen sein sollte, dieselben für seine überall in der
Ausgabe durchgeführte Ansicht zu gewinnen, dass die „harmonischen
Fragmente" nicht von Aristoxenus herrühren, sondern ein zufällig
zusammengestelltes, zusammenhangloses Excerpten-Conglomerat un-
verständiger Compilatoren aus Byzantinischer Zeit sind, die zum
Theil nicht einmal unmittelbar aus einem Aristoxenischen Werke
geschöpft haben und sich deshalb häufig mit der wirklichen Doctrin
*) Mit Ausnahme der Citate aus Aristoxenus, da ich statt der Seiten der
Meibom 'scheu die der von mir angelegten Ausgabe uofirt hatte. Marq. S. XXXV.
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XLVI
Vorwort zu Aristoxenus
-
des Aristoxenus in grossem Widerspruche befinden. Am unbegreif-
lichsten ist mir, dass einem Herausgeber und Uebersetzcr der
Aristoxenischen Harmouik, der doch das Ganze nicht bloss im Ein-
zelnen, sondern auch im Zusammenhange durchliest, entgehen konnte,
dass im Schlüsse des zweiten und im ganzen Verlaufe des dritten
Buches die Lehre von der Continuität der Intervalle in 28 Proble-
mata nach der Methode der Euklideischen Geometrie in Axiomata
und Problemata ausgeführt ist, von denen das frühere Axiom oder
Problem immer dem folgenden als Grundlage dient Namentlich
hier ist Alles in einer unerbittlichen Logik des Zusammenhanges
dargestellt, und Alles, was etwa stört, jeder Ausfall, jeder nieht
Aristoxenische Zusatz eines Späteren mit absoluter Sicherheit zu
entdecken. Denn in Sachen der Mathematik ist mit Einfüllen und
hyperkritischen Kunststücken nicht Scherz zu treiben, wie das etwa
auf anderen Gebieten angehen möchte. Auch dies ist schwer zu
begreifen, wie es Marquard bei seiner Auffassung der Harmonischen
Fragmente als eines Byzantinischen Machwerkes überhaupt für nöthig
gehalten hat, den Lesarten der von ihm und Studemund verglichenen
Handschriften eine so lobenswerthe Sorgfalt zuzuwenden. Es müsste
denn sein, dass die Harmonik, die er ja doch nicht sachlich zu ver-
werthen verstand, ihm nur das schätzbare Material für jugendlichen
Conjecturir-Enthusiasmus war, wie er sich denn z. B. im kritischen
Commentar S. 126 bei einer von Bellermann aus dem Anonymus
hervorgeholten richtigen Lesart fast zu beklagen scheint, dass sie erst
aus dem Anonymus hätte hervorgeholt werden müssen, „als Besse-
rung der Conjecturalkritik wäre sie eine der glänzendsten ge-
wesen." Auch die ganze Verdächtigerei der Aristoxenischen Au-
thenticität sind bei Marquard wohl nur fieberhafte Versuche auf
dem Gebiete der höheren Hyperkritik. Mehrfach hätte er auf
dem Gebiet der niederen Kritik durch Anwendung einfacher Haus-
mittel curiren können, wo er lieber zu dem überaus drastischen
Mittel seine Zuflucht nimmt, fast den ganzen Aristoxenus für eine
Fälschung auszugeben/
Aber mag das nun auch schwer zu begreifen sein, durch über-
aus gewissenhafte Herbeiziehung und Verwendung des
handschriftlichen Materiales steht die Textausgabe Mar-
quard« weit über der Meibom'schen, und bildet die unab-
«
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Harmonik: Paul Marquard.
XLVII
weisbare Grundlage jeder folgenden, obwohl wir wiederholen müssen,
dass er mit diesen Mitteln viel mehr noch hätte erreichen können.
Die Handschrift, welcher Marquard mit Recht die höchste Be- •
deutung beilegt, ist:
der cod. Marcianus in Venedig (No. III classis VI manu
8criptorum Graecorum), enthaltend Pseudo-Euklides, Euklids xaiaioix-rj
xavovo;, Aristoxeni harmon., Alypius, Aristoxeni rhythmic. Unter
dem zweiten Werke die Unterschrift: EuxXeiSou xavovo; xaiaTo^.
ZtotJtjxo; otaipÖoa iv K(ov3TavTivou7toXst sutu/ä;, „mit gleichmässiger
deutlicher Schrift auf starkem Pergament. Gross Quart. Im 12ten
Jahrhundert geschrieben. Die ersten 8 Blätter haben auf jeder
Seite 28, die folgenden 20 Zeilen. Auf Linien, die mit dem Griffel
eingegraben, in ihrer Entfernung durch Punkte am Rande regulirt sind."
Was auf diesem Räume von Zosimus im 12ten Jahrhundert ge-
sehrieben, bezeiclinet Marquard als Ma. Es sind aber auch noch
die breiten Ränder von einer zweiten Hand, die nicht älter als das
vierzehnte Jahrhundert ist, angefüllt mit einem Auszuge aus Aristid.
lib. I, Anonymus de music. (Bellerm.), Nicomachus und Bacchius.
In der die Harmonik des Aristoxenus enthaltenden Partie hat eine
andere Hand als die des Zosimus „jedenfalls älter als das vierzehnte
Jahrhundert, den Text von einem anderen Exemplare oder, was
ebenso gut möglich ist, nach dem Originale des Zosimus durch-
corrigirt", von Marquard als Mb bezeichnet.
Ausserdem hat eine „dritte Hand, jedenfalls nicht älter als
das vierzehnte Jahrhundert, vielmehr wohl in das fünfzehnte Jahr-
hundert gehörig", den Text corrigirt (von Marquard als Mc bezeich-
net). Mb ist geschrieben, ehe der Text der Musiker am Rande
hinzugefügt worden war, Mc dagegen erst, nachdem man diese Aus-
füllung vorgenommen hatte.
Herr Marquard hat die Handschrift des Zosimus selber ver-
glichen, indem sie ihm auf einige Monate durch Vermittlung des
Preussischen Ministeriums von der königl. Italienischen Regierung
nach Berlin gesandt wurde.
Eine zweite der italienischen Handschriften hat W. Studemund
für Herrn Marquard verglichen. Dies ist die Handschrift des Vati-
cans Nr. 191, eine Bombycinhandschrift aus dem dreizehnten Jahr-
XLVIII
Vorwort zu Aristoxenus
hundert, die von den griechischen Musikern den Gaudentius, Pseudo-
Kuklid, Euklids xaraTouTj, Aristoxenus Harmonik, Alypius, Aristoxenus
t Rhythmik, und den Ptolemaeus enthält Auch hier ist der Text des
ursprünglichen Librarius (Marquard nennt ihn Va) von einer zweiten
(Vb nach Marquard) und einer dritten Hand (Vc), welche zuweilen
den Inhalt am Rande angegeben hat, corrigirt worden.
Marquard weist nach, dass Va eine unmittelbare Abschrift aus
Ma und Mb ist, d. h. dass der Vaticanus aus dem Codex des Zosi-
mus zu einer Zeit abgeschrieben, wo dieser zwar die Zusätze Mb,
aber noch nicht die Zusätze der dritten Hand Mc erhalten hatte.
Wo also im Codex des Zosimus die dritte Hand (Mc) eine Lesart
von Ma oder Mb ausradirt und durch Aenderung unlesbar gemacht
hat, da lässt sich aus Va die ältere Lesart des Marcianus erkennen.
Ein anderer Nutzen ist aus Va für den Aristoxenus-Text nicht zu
gewinnen.
Von Mc nimmt Marquard an, „die Correcturen dieser Hand
sind aus einer späteren bereits interpolirten Handschritt genommen,
theils richtig, theils ganz verkelul und jedenfalls nicht immer von
gleicher Autorität wie die Lesarten von Ma und Mb." Hierin hat
sich Marquard, wir dürfen sagen, zum Glück für die Restitution
des Aristo xenus-Textes geirrt. Vielmehr geht Mc auf einen Aristo -
xcnus-Codex zurück, der mit Ma und Mb jedenfalls in gleicher
Linie des Wertlies und Alters steht. Es gab ausser der Handschrift
des Zosimus noch andere aus derselben oder früheren Zeit, und es
ist deshalb von so hoher Bedeutung, dass der Corrector aus der
Zeit des 14. oder 15. Jahrhunderts, welchen Marquard Mc nennt,
eine der besten dieser älteren Handschriften gewählt hat, um da-
raus die Lesarten in den Codex des Zosimus einzutragen. Der durch
Ruelle entdeckte Strassburger Codex, der jetzt freilich auch durch
den Brand Strassburgs im August 1870 vertilgt ist, lässt im Allge-
meinen keinen Zweifel darüber, dass ausser der Handschrift des
Zosimus auch noch andere aus derselben oder noch früherer Zeit
vorhanden gewesen sein mussten. Auch ohne von Ruelles Strass-
burger Codex etwas zu wissen, hätte es Marquard nicht entgehen
können, dass die Zusätze des Mc in dem Codex des Zosimus viel-
leicht das beste sind, wenn er bei seiner falschen Meinung von dem
Byzantinischen Ursprünge der darin überlieferten harmonischen
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Harmonik: Paul Marquard.
IL
Fragmente nicht eine gewisse Missachtung, wenigstens Gleichgültig-
keit gegen diese ächten Aristoxenischen Bruchstücke gehabt hätte,
bei der es sich kaum der Mühe lohne, auf die richtige Textes-Re-
stitution eine sonderliche Mühe zu verwenden. Es genügte ihm,
die Fassung jener „Byzantinischen Arbeit" nach dem ältesten Codex,
der ihm vorlag, dem des Zosimus, mit aller Sorgfalt wieder herzu-
stellen. ,31 c ist wohl im 15. Jahrhundert geschrieben: Das Original
hatte viele Lücken nicht, welche wir im Codex des Zosimus und im
Vaticanus finden, überhaupt manche offenbare Verbesserungen, allein
auch willkürliche Correcturen."
Dieselben Lesarten, welche Mc zu denen des Zosimus hinzufügt,
finden sich auch (wie Marquard ebenfalls nachweist) in einem Floren-
tiner Codex Riccardianus, von Marquard mit R bezeichnet. Die
Collation dieser Handschrift verdankt Marquard dem Herrn Dr. van
Herwerden, welcher ihm „dieselbe während Marquardt Aufenthalt in
Holland 1863 zu beliebiger Benutzung überliess. Sie scheint aus
dem 16. Jahrhundert zu sein; eine nähere Beschreibung hatte Herr
v. Herwerden nicht beigefügt und erinnerte sich derselben auf mund-
liches Befragen derselben nicht mehr genau. Was uns das wichtigste
ist, geht aus der Collation selbst hervor. Der Codex hat manches
Richtige, doch darf dies bei der Willkür und zugleich unglaub-
lichen Lüderlichkeit, mit welcher er angefertigt ist"
(doch wohl kein Grund!) „stets nur als gelungene Conjectur ange-
sehen werden und hat auf Autorität als Ueberlieferung gar keinen
Anspruch."
Fin anderer Codex dieser Classe ist der „im Jahre 1865 von
W. Studemund entdeckte Barberinus, in der sonst schwer zugäng-
lichen Bibliotheca Barberina mit Nr. 270 bezeichnet", dessen Colla-
tion dieser nicht minder wie die des Vaticanus dem Herrn Marquard
zur Benutzung mittheilte. „Sie ist von einer sehr schönen und
sorgfältigen Hand geschrieben, in klein Folio und gehört ohne
Zweifel in die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts. Für das erste
Buch der Aristoxenischen Harmonik geht dieser Barberinus (B) mit
R und Mc. Von dem zweiten Buche an dagegen stimmt der Codex
mit Vb überein. Für diese Partie des Aristoxenus [ — wir bezeich-
nen sie mit 33 — ] ist die Zahl der Stellen, in welchem 33 von Va
oder Vb abweicht, sehr gering im Verhältniss zu der durchgehenden
Arlttoxenoi, Mellk o. Rhythmik. d
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L
Vorwort au Aristoxenus
Uebereinstiminung; die meisten derselben sind durch Flüchtigkeit
des Schreibers entstanden, an einigen hat er aber wohl willkürlich
geändert, wenn nicht gar noch ein anderes Exemplar zu Käthe ge-
zogen. Dass er dies später gethan hat, beweisen die Randbemerk-
ungen, welche sämmtlich von derselben Hand wie der Text durch
alle Partien des Barberinus (B und SB) durchgehen."
"Wir bezeichnen die Lesarten am Rande des Barberinus durch b.
Dieselben sind, wie Marquard nachweist, einem Codex entnommen,
welcher mit dem einem Meibom's aus derselben Quelle stammte,
dem Cod. S (Seldenianus). Marquard sagt: „Ueber den Seldenianus
kann nur mit äusserster Vorsicht geurtheilt werden. In der Zeit,
in welcher er für Meibom collationirt wurde, wurde einmal noch
nicht mit der nöthigen Genauigkeit verfahren, ferner aber hat Mei-
bom die Handschrift selbst nicht gesehen, seine Anführungen sind
bisweilen nicht klar, und dass ihm in der Benutzung des hand-
schriftlichen Materials doch manche Versehen untergelaufen sind,
hat die nochmalige Vergleichung des Scaligeranus [durch Marquard
in Leyden] bewiesen. ... Es würde immerhin sehr dankenswerth
sein, »wenn Jemand, der die Gelegenheit dazu hat, welche mir leider
gänzlich fehlte, eine ganz genaue Coilation von der Handschrift
Seidens anfertigte, welche mit dessen übrigen Büchern in die Oxforder
Bibliothek als bibliotheca Seldeniana gekommen ist. Er ist ge-
zeichnet mit Nr. 20 [olim 3363], chartaceus, in folio, aus dem An-
fange des 16. Jahrhunderts."
Ein vierter mit Mc, R, B stimmender Codex ist ein von Marquard
verglichener Marcianus chart. foL aus dem 15. Jahrhundert, den er
in seinem Apparate nicht aufgeführt hat, denn was er selbstständiges
habe, sei ohne alle Bedeutung. Wir bezeichnen ihn durch m. Aus
ihm seien die beiden von Bellermann benutzten Leipziger höchst-
wahrscheinlich direct oder indirect geflossen.*) Der in Leyden be-
findliche Codex Scaligeranus, welchen Meursius und Meibom haben
abdrucken lassen, sei ein junger Papier -Codex aus dem 16. Jahr-
*) Der ältere der beiden Leipziger codd., welchen Marquard :ius dem von
ihm ins 15. Jahrhundert gesetzten cod. M. entstehen lässt, wird freilich von
Bellermann dem vierzehnten oder fünfzehnten Jahrhundert zugewiesen, siehe
oben S. XLIV.
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Harmonik: Paul Marquard. LI
■
hundert, ohne alle Bedeutung. Ebenso wenig Werth theilt Marquard
dem Cod. Baroccianus und Bodleianus der Oxforder Bibliothek zu,
deren Collation Meibom benutzt hat.
In solchen Dingen wird Marquard wohl recht geurtheilt haben.
Seiner Auffassung des Mc und allem, was damit zusammenhängt,
kann ich nicht Recht geben, ebenso wenig wie wenn er über den
Aristoxenischen Ursprung der Harmonik die Acht ausspricht: „So
Terfährt kein vernünftiger Schriftsteller, kaum einmal ein deutscher
Romantiker, viel weniger ein Schüler des Aristoteles. Will man
aber darin eine Entschuldigung finden, dass dies eine der früheren
Schriften des Aristoxenus sei, so kann man gewisse Dinge vielleicht
auf Grund dessen entschuldigen , nimmermehr aber darf man an-
nehmen, dass Aristoxenus statt gerade im Anfange seiner schrift-
stellerischen Thätigkeit sich rechte Mühe zu geben, seinen Ruf durch
solche Lüderlichkeit habe begründen wollen."
Ohne solche Vorurtheile gegen den von ihm herauszugebenden
Text des Aristoxenus hiitte dem Herrn Marquard das Verhältniss
der Handschriften, deren Collation er eine so grosse Sorgfalt ge-
gewidmet hat, nicht entgehen können, namentlich nicht, dass der
Codex des Zosimus, obwohl er der älteste ist, doch erst in vielen
Stücken durch die aus einer jetzt verlorenen Handschrift genommenen
Zusätze des Mc seinen grossen Werth erhalten hat und dass wenn
Marquard darin Recht hat, diiss mit M c ein jüngerer Codex m der
Marcianischen Bibliothek aus dem 15. Jahrhundert durchweg tiber-
einstimmt, dass dann sogar dieser jüngere Codex m (Marquard hat,
was er selbstständiges hat, im Apparate besonders zu erwähnen für
überflüssig gehalten, da dies olme alle Bedeutung sei) vielfach
bessere Lesarten als der alte Codex des Zosimus aus dem 12. Jahr-
hundert enthalten muss. Zosimus hat, als er damals zu Constan-
tinopel die Harmonik des Aristoxenus zu reproduciren unternahm,
einen Codex zum Abschreiben gewählt, welcher mit nichten einer
der besten, sondern ein sehr verdorbener war. Geben wir hierfür
an dieser Stelle ein schlagendes Beispiel, welches zugleich auf die
Nachtheile der Marquard'schcn Auffassung, dass unser Aristoxenus-
Text ein Byzantinisches Machwerk sei, ein deutüches Licht wirft.
„Glaubt man", sagt Marquard im Vorworte p. Vm, „unmittelbare
Aristoxenische Excerpte oder gar mit Westphal unversehrte Schriften
d*
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lii
Vorwort zu Aristoxenus
des Aristoxenus vor sich zu haben, so kann man mit ganz anderer
Schärfe vorgehen, man kann sich dann eine bestimmte Vorstellung
von der Diction des Schriftstellers machen, man kann dann gemäss
derselben eine wirkliche Purification vornehmen. Von dem Allen
musste ich von meinem Standpunkte absehen." Weil Marquard
so gut wie Alles für Byzantinisch hält, sieht er nicht, wo der Text
des Aristoxenus durch einen Zusatz entstellt ist, der wirklich Byzan-
tinischen Ursprungs, d. i. als Randbemerkung eines Byzantinischen
Abschreibers in den Text des Aristoxenus hineingekommen ist So
hat sich im ersten Buche § 50 das Byzantinische Scholion: „Ttva
8at rafctv ^Xeiovwv oooaiv ooy}(op8ttt>v vGTjte'ov; 'Ev ^ taa ra ts xivou-
jieva sloi xal ta TjpsfAouvra Iv tat; xaiv ^evtuv 8ta<popat?" in den Text
eingedrängt, nachdem einige Zeilen des Aristoxenus an dieser Stelle
ausgefallen. Die Form etat verräth den Byzantiner. Marquard re-
stituirt aus dem Byzantinischen Scholion: Mtav Se uva ta£tv -Xstdvtov
ooo«t»v votjtsov, wodurch dann das im folgenden beibehaltene zhi
natürlich auf Rechnung des vermeintlichen Byzantinischen „Excerpten-
machers" kommt. Hätte Marquard das richtig würdigen können,
so hätte auch er hier ein Byzantinisches Rand-Scholion gesellen und
dann in der Lesart des Cod. Mc
T*'va 8al xafctv -Xetovu>v ooatuv : ^opSuiv votjtsov;
die bessere Ueberlieferung erkannt
Der Cod. R liest ebenfalls richtig:
x(va 8tj xdfciv . . .
Der Cod. B, nach einem offenbar vorgelesenen Manuscripte schreibt:
xtva 8s xafctv.
Zosimus aber hat geschrieben :
xtva rcpäfctv.
Mc hat dies „xtva ?:pa." wegradirt und das richtige darüber ge-
schrieben. Vaticanus, der seine Abschrift von dem Cod. des
Zosimus genommen, ehe dieser die Verbesserungen durch Mc
erfuhr, hat natürlich, was Zosimus geschrieben: er liest uva
izpäfctv. Aus dem Codex, welcher dem Zosimus zur Abschrift
vorlag, oder vielmehr aus einer gemeinsamen Quelle, copirt der
Cod. S, und aus einem ähnlichen nimmt der Barberinus seine
Marginalzu8ätze. Beide, S und marg. B, haben das so schlechte
Tiva 7rpa£iv mit dem Cod. des Zosimus und dem Vaticanus gemein,
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Harmonik: Paul Marquard.
LUX
ohne dass dies Zosimus verschuldet hat, denn diesmal ist das Origi-
nal des Zosimus die Ursache. Der Fehler ist älter als Zosimus. Von
den Pariser Handschriften haben nach der sicheren Mittheilung
des Herrn Bibliothekars Ch. E. Ruelle Par. a. b. cL f. g. die
richtige Lesart Tcr';tv; auch die griechische Handschrift, aus welcher
Gogavinus übersetzte, hatte richtig Tiva ta;tv -asio'vcov ousujv voyjtsov,
•was er durch „atque ordo ejus quidam ob varietatera intelligitur"
wiedergiebt. Der Cod. des Scaliger hat ebenfalls das richtige toi;'.v,
nicht diese Verkehrtheit des Zo. Der werthlose junge Papiercodex
aus dem 16. Jahrhundert, wie ilin Marquard nennt, ist an dieser
Stelle werthvoller als der Codex Zo. des 12. Jahrhunderts. Dagegen
findet sich der aus dem Original des Ma stammende, nicht etwa
von dem Librarius Zosimus verschuldete Fehler ~oa;iv im Par c und e,
nach Meiboms Angabe auch am Rande der Oxonienses. Der eigent-
liche Context der Oxonienses würde also von dem hässlichen r>p&Ziv
frei sein, er würde an dieser Stelle besser und älter als der alte
Text des Zosimus, als der Vaticanus und der Seldenianus sein. Von
den beiden Lipsienses hat der ältere Lips. I. Ti'va ßs ra&iv, am
Rande Tiva rpafctv; der Lips. 2 T(va irpafciv; auch der ältere Lips.
(aus sc. 14 oder 15) ist hier besser als Zosimus. Für Marq. ist es
wahrscheinlich, dass Lips. L aus m stammt, für mich nicht.
Richtige alte Lesart:
Ti'va oal -afciv
Mc
m T(va öat tcrfciv
R r£va 8^ ta;iv
Lips. I. Ti'va os ta;iv
B Tiva 8i -a;tv
Gog. ordo quidam
Par.a
Par.b
Par.d
Pari
Par.g
Oxoniens
nva t«;iv
Schreibfelüer:
Zosim. (Ma)
marg. Barberin.
Seid
Par.c
Par.e
marg. Oxon.
Ttva irpd;tv.
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LIV
Vorwort zu Aristoxenus
Marquard discutirt über diese Stelle S. 130. 131:
„Im älteren Marcianus (Z) hat, wie der Vaticanus beweist, ur-
sprünglich ttva rpafciv gestanden, und so hat auch der Seldenianus
und die Ränder des Barberinus und jüngeren Marcianus (m), eine
Leseart, welche ganz unverständlich ist. Daher hat Mc corrigirt:
Tt'va 8al xafctv, wie es scheint nach eigener Eingebung, da sich
das 8at sonst nur in dem abhängigen jüngeren m findet.
Auch diese Leseart ist nicht zu brauchen, da eine verwunderte
Leseart hier gar nicht am Platze ist. Ueberhaupt ist ein Fragesatz
nicht zulässig, da erstlich der folgende Accusativ unbegreiflich wäre
[der alte Uebersetzer Gogavinus begreift die Construction, da
er übersetzt: atque ordo quo quidam ob varietatem intelligitur,
er construirt richtig vo^-sov mit dem Accusativ tä^w],
feiner aber der folgende Relativsatz, der den vorhergehenden Be-
griff ja ganz genau bestimmt,
sv ^ loa xa ts xivoujisva sbi xal ta TjpsjAOuvra ev taf; tuiv ysvwv
öiacpopat;.
die Frage unmöglich macht. Also auch des Riccard. Leseart
Tt'va ötj zafciv kann nicht richtig sein.
Dem geforderten Sinne am nächsten kommt die des Barberinus
ttva 6s ta;tv „irgend eine Ordnung aber", nur dass der Gegensatz
zu nXeiovoiv und die »Schreibweise (siehe unten u. 22) der vorlie-
genden Excerpte gebieten die Wendung durch Hinzusetzung von ut'av
zu vervollständigen: jii'av 8s nva tafciv, wie ohne weiteres zu schrei-
ben ist. Der Ausfall des Wortes jxi'av oder fuav 5s und die Ver-
drehung des Folgenden kann an einer offenbar schon sehr früh ver-
derbten Stelle nicht auffallen. Auch die Lesart des Barberi-
nus ist schwerlich als wirkliche Ueberlieferung sondern
nur als weniger mislungener Verbesserungsversuch an-
zusehen."
Diese Polemiken gegen die Lesart des Mc, Ric. und Barb. ge-
hören genau in die Kategorie derjenigen, welche Marquard S. XXVI
gegen den Cod. Ric. geführt hat : „der Codex hat manches Richtige,
doch darf dies bei der Willkür und zugleich unglaublichen Lü-
derlichkeit, mit welcher er angefertigt ist, stets nur als gelungene
Conjectur angesehen werden und hat auf Auctorität als Ueberliefe-
rung gar keinen Anspruch."
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Harmonik: Paul Marquafd.
LV
In dieselbe Kategorie wie „die unglaubliche Lüderlichkeit der
Anfertigung", welche dafür angeführt wird, dass die Lesart des Cod.
nicht auf Ueberlieferung, sondern auf interpolirter Conjectur beruhe,
— in dieselbe Kategorie des Beweises gehört, was Marquard weiter
S. 131 sagt:
„Mc, sowie B und R lesen:
Ti'va oat 'ta£tv rXeioviov ouauiv yopouiv voTjriov; £v tj tsa ta te
xtvoujicva etat xcu ^psfiouvia ev tat; tuiv ysvhjv oia'f opal;, YtTV£TOtl
0 £*V TüJTOtOUTÜ) OIOV TO azl JAS37J; 6<p* XiZOLTT^ . £V TOOT<|> yOtp 000
jiev ol zspii/ovTs; 9^07701 axfvijroi sbtv h rat; rtuv ysvwv ota-
tpopal;, 000 S'ol Trepie/ousvot xivouvrai.
„Hinter den Worten uXetovcov ooawv fügt Mc yopouiv hinzu,
der Barberinus mit zwei Punkten, welche am Rande wiederholt sind,
der Riccardianus mit einem Kreuz davor. Auch ohne solche
Zeichen wird man nicht zweifeln, dass dieses Wort nur
einer Conjectur und zwar keiner glücklichen zu danken
ist" Was haben die Zeichen f oder : vor dem Worte einer Hand-
schrift damit zu thun, ob dieses eine überlieferte Lesart oder eine
Conjectur sei? Gerade so viel wie die grössere oder geringere Schön-
heit und Regelmassigkeit der Buchstaben, wie die Accuratesse oder
„Lüderlichkeit", mit der die Handschrift geschrieben ist. In den
heutigen Drucken eines Autors kann wohl durch solche Zeichen. auf
eine Lesart als Conjectur des Herausgebers u. s. w. aufmerksam
gemacht werden. Bei den Alten sind derartige Kreuze und Doppel-
puncte höchstens eine Verweisung auf den Rand, wo dasselbe Wort
mit demselben Zeichen wiederholt wird (wie es in unserem Falle
wirklich geschehen ist), und bedeuten etwa, dass dieses eine varia
lectio eines anderen Codex ist.
Herr Marquard meint, dass die Conjectur, welcher das Wort
Xopocuv zu danken, keine glückliche sei. Darin hat M. Recht: yopouiv
gibt keinen Sinn. Nun denke er sich aber, dass yopotov nur die
Trümmer einer Lesart seien, dass „f xophun" entstanden sei aus
„aoYyopotoiv", dann müsste auch er sagen, dass dies Wort, wenn es
eine Conjectur sei, eine sehr glückliche Conjektur sei! Er sagt:
„Der Leser hat die Stelle, vielleicht in Folge der vorhergehenden
Corruptelen, nicht verstanden; nach dem oben Gesagten ist es klar,
LVI
* Vorwort zu Aristoxenus
dass es hier darauf ankommt, eine der Ordnungen, in welchen die
beweglichen und feststehenden Klänge der Zahl nach gleich sind,
auszuwählen; ein Zusatz aber irXstovtov oooäv yopüart" „da es meh-
rere Seiten gibt" wäre so überflüssig als möglich, da es sich ganz
von selbst versteht und keine besondere Rücksicht erfordern kann.
Solche Verbesserungsversuche machen eben, dass diese Quelle
(McJ R, B) an Autorität der anderen des Marcianus (Ma) doch nicht
gleich steht."
Die Eindringlichkeit, mit der Herr Marquard wiederholt auf
den Leser einredet, er solle doch nicht glauben, dass Mc, R, B
irgend welche Autorität der Ueberlieferung haben; seine energischen
Hinweisungen auf die Sorglosigkeit und Lüderlichkeit, mit der die
Buchstabe der Handschrift geschrieben ; auf die liinzugefügten Kreuze
und Doppelpunkte der Handsclirift; auf die Schwierigkeit (!) einer
Construction von vorjteov mit dem Accusativ (!), — dies Alles macht
den Eindruck, als ob Herr Marquard sich selber Muth und Trost
einsprechen will in seinem Vorhaben, die anderen Codices ausser
dem des Zosimus zu miscreditiren ; „dass jene Quellen an Autorität
der des Zosimus doch nicht gleich stehen." Nur in diesem Sinne
kann ich das „doch" verstehen. Es ist ein letztes Ringen in dem
Kampfe, ein letzter stossseufzender Schluss in seiner Rede pro sua
domo, für seinen Codex Ma, für den von ihm mit so vieler Mühe
und- Sorgfalt verglichenen Codex des Zosimus: er soll und muss
die einzige Autorität sein! Die anderen stehen ihm an Autorität
nicht gleich! So redet nur ein Mann, der seinen vollen Glauben
an die Richtigkeit der von ihm aufgestellten Behauptung schon auf-
gegeben hat, bei dem die Aufrechthaltung der Behauptung mehr
Sache des Geinüthes und des Herzens, als der ganzen verstandes-
mässigen Ueberzeugung ist.
Weshalb auch nicht endlich einmal die so nahe liegende Wahr-
heit sichtlich auf sich einwirken lassen? Ist es denn etwa nicht wahr,
dass der Codex des Zosimus an dieser Stelle die nichtswürdige Les-
art „rcpafciv" hat? Mit ihm der Vaticanus, und wer sonst aus dem
Cod. Zosimus abgeschrieben oder entlehnt hat? Freilich auch der
Seldenianus, der aber wie Herr Marquard versichert, „von entschei-
dender Wichtigkeit für den Text selber zum Glück nicht ist"
Woher Zosimus zu der unvernünftigen Lesart kommt, darüber sagt
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Harmonik: Paul Marquard.
LVII
Marquard nichts. Das allein vernünftige „ta;iv" soll nach Marquardt
fernerer Versicherung eine Correctur des Mc nach eigener Ein-
gebung sein. Mit Mc stimmen fast alle anderen Codices, die
nichts mit dem Zosimus zu thun haben, überein. Woher haben
diese die richtige Lesart ta^iv, die doch eine Correctur des Mc nach
eigener Eingebung sein soll? Es wäre dem Herrn Marquard
unmöglich geworden, den Nachweis zu führen, dass die angeblich
einzige uns direct aus dem Alterthume überkommene nicht inter-
polirte Handschrift nur die Lesart -pci;iv, nicht aber raSiv gekannt habe.
Während Marquard die Lesart ra;iv als eine glückliche Conjectur
des Mc gegenüber der unverständigen Ueberliefung des Zosimus be-
zeichnen muss, wird dagegen das im weiteren Verlaufe der Stelle
von demselben Mc, auch von R und B dargebotene ^opouiv oder
yopöiv eine nicht glückliche Conjectur genannt und zurückgewiesen.
Das einfache /opouiv will freilich keinen Sinn geben, aber man lese
dies Wort „wf/opoiÜN" , so haben wir dasselbe Wort, welches
Aristoxenus in dem auf „Ti'va 6a! t<x$iv .... 5uo o 01 7rspts)M>}j,Evot
xivoGvrai" folgenden Satze gebraucht:
Toüto fiiv oov outu> xsi'of)«) . Tuw ok 3uy/opZiwv TtXetovov t
ououjv tujv ttjv efpTjjiiv^v tafciv rou 6ia tsasaptov xars^ooaajv
xal ovou-aaiv lötoi; sxaarr;; auTujv ^piau-evT;;, . . .
Wir nehmen an, dass dies Wort aof/opoiiav aucü m dem vorner"
gehenden Satze des Mc zu lesen ist:
Ttva oai ta;tv irXsiova>v ouatov ai>7}(opÖi<Lv vo^teov;
Welche Reihenfolge (der Saiten) liat man sich, da es mehrere Saiten-
complexe giebt, zu denken?
Das „-Xsiovwv ououiv" aller Handschriften ist durch das hinzu-
gefugte „aof/opotur/" so völlig befriedigend ergänzt, dass man es
als Conjectur nicht nur nicht „keine glückliche", sondern eine der
^glücklichsten Conjecturen nennen müsste, wie bei jener Lesart, von
welcher Marquard bedauert, dass sie erst von Bellerniann aus dem
Anno}TOUs hat hervorgeholt werden müssen und nicht auf dem Wege
der Conjectur entstanden ist, „sie wäre eine des glänzendsten ge-
wesen." Nein, auch auY/°P^l*"v ^ keine Conjectur, sondern aus der
Lesart des Mc und seiner Genossen R und B hervorgeholt. Ich
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LVIII
Vorwort zu Aristoxenus
denke nicht mit Marquard „Schade!", sondern sage: alle Achtung
diesen würdigen Repräsentanten der Ueberlieferung des Aristoxe-
nischen Textes, die nicht nur das vernünftige tafciv haben, wo Zosi-
mus das hassliche rcpaciv hat, sondern auch die alte im folgenden Satze
durch Aristoxenus selber bestätigte Lesart ao^xopStuw aus ihrer
Schreibung yopwv oder ^opÖuiv deutlich erkennen lassen, von welcher
Zosimus auch nicht einen einzigen Buchstaben bringt
Marquard hat nun noch zwei Einwände gemacht, dass der Frage-
satz „Ttvot oat xa*iv . . . votjtsov", nicht zulässig sei. Den ersten
Einwand, dass der Accusativ ta;iv unbegreiflich sei, hätte er selber
sich aus dem frühesten Uebersetzer Gogavinus, worauf ich schon
in dem obigen hinwies, entkräften lassen können. Den zweiten Ein-
wand, dass der auf „Tfva öcu -d;tv . . . vor^iov;" folgende Relativ-
satz: ,/Ev ^ iaa ra xe xtvouaeva etat . . der den vorhergehenden
Begriff ja ganz genau bestimme, eine verwunderte Frage unmög-
lich mache, sich selber zu entkräften, hätte Marquard den Plural
etat hinter den neutralen Nominativen Xza ta re xtvoojisva genauer
ansehen müssen. Aristoxenus hätte nothwendig toa tot -e xtvou-
u-eva h-i sagen müssen. Marquard hat sich aus seinen Bescliäftig-
ungen mit den Handschriften zu viel Takt angeeignet, um eine Ver-
änderung von stet in £tti vorzunehmen. Er lässt *bi unangetastet
ebenso wie er auch X. 387 mit Recht die befremdlichen Praeterita
^ootv u. s. w. nicht in die von ihm erwarteten Formen geändert wissen
will. „Glaubt man unmittelbare Excerpte aus Aristoxenus oder gar
mit Westphal unversehrte Schriften des Aristoxenus vor sich zu
haben, so kann man mit ganz anderer Schärfe vorgehen . . ., man
kann dann eine wirkliche Purification vornehmen. Von allem dem
musste ich bei meinem Standpunkte absehen (S. VDI).U Marquard
glaubt in der ganzen Harmonik nichts als Byzantinische Excerpte
vor sich zu haben. Da ist es ihm einerlei, ob Ion oder etat ge-
schrieben ist. Wir halten diesen Standpunkt des Herausgebers
Marquard für eine sehr verwerfliche Täuschung. Er bindet sich da-
durch für solche Fragen wie h-i oder eiai selber die Hände. In
unserer Stelle „Ttvot 8ai xa£iv -Xetovujv ouaöjv (auY^opöuGv vor^eov..."
musste ihm schon das unaristoxemsche purificationswürebge „stetv"
zeigen, dass hier ein Scholion in den Aristoxenischen Text vom
Rande gedrungen ist und die Stelle aus dem Aristoxenischen Texte
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Harmonik: Paul Marquard.
LIX
auszuscheiden sei. Die auf „T7)v 7tpoa>jY0Ptav UTr° rtuv iraXaioiw ea^e*"
folgenden Worte des Aristoxenus waren in der Handschrift verloren
gegangen. Dies war es, woran ein Librarius Anstoss nahm und
daher jene verwunderte Frage „Tiva 8al 7a;iv 7:Xetova>v ooatöv [aoy]-
'/QpZiw vo>jTeov;" an den Rand schrieb. Er beantwortet sie ganz
richtig, ganz im Sinne des Aristoxenus, da er dem folgenden
Satze: „Tooto [xsv vov outo> xsi'aÖco . rcüv 5s ouf/opStiv -Xeiovtov t
ouocüv . . die richtige Antwort auf seine Frage entnehmen konnte.
Das Nähere wird aus meiner Ausgabe selber hervorgehen. Der
geneigte Leser wird diese zu lange Intercalation in Sachen Marquardt
und der Handschriften entschuldigen, denn es galt an einem ecla-
tanten Beispiele das Verfahren desselben zu erläutern. Die Be-
handlung dieser Stelle in meiner Ausgabe selber wird nun um so
kürzer sein können.
Bei meiner langjährigen Beschäftigung mit Aristoxenus wird es
nicht als unbesorgtes Unternehmen erscheinen, wenn ich den Ver-
dächtigungen, welche der grösste Theil des uns von Aristoxenus
Ueberkommenen durch den neuesten Herausgeber erfahren hat, in
einer eigenen Ausgabe entgegentrete, die den Text in einer dem
wirklichen Urheber angemessenen und würdigen Form vorführt und-
sowohl in den sachlichen Erläuterungen wie auch in einer richtigen
und lesbaren Uebersetzung den Nachweis, liefert, dass wir hier durch-
aus zusammenhängende Bruchstücke aus mehreren Werken des alten
Tarentiners vor uns haben, die niemals das Gepräge der Gedanken-
schärfe und der logischen Consequenz, noch der individuellen Manier
des berühmten Theoretikers aus der Schule des Aristoteles verbergen
können. Sollten diese Bruchstücke aus der Aristoxenischen Literatur
über das Melos auch nicht dieselbe hohe Bedeutung wie das über
Rhythmus für uns haben — nicht eine practische Bedeutung für
unsere Philologie und musikalische Rhythmik — , so sind sie doch
jedenfalls ein glänzendes Werk des klassischen Griechenthums, in
welchem diese Rudimente der Wissenschaft vom Melos in einer viel
klareren Weise dargelegt werden, als dies von den modernen Musik-
theoretikern geschehen ist und ohne Aristoxenus geschehen kann,
daneben aber auch über viele Punkte der althellenischen Musik
nicht bloss Melos, sondern auch Rhythmus) Aufschlüsse vorkommen,
welche wir anderwärts nicht erhalten.
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Vorwort zu Aristoxenus
AVenn Marquard dies ganz und gar verkannt hat, so beruht
das zum allergrössten Theile in den Schwierigkeiten, welche ein*
jedes dem Gebiete der Musiktheorie angehörendes Werk des Aristo-
xenus für die Interpretation darbietet Es sind dieselben Schwierig-
keiten, die sich auch in der Rhythmik und in den bei Plutarch er-
haltenen Fragmenten der Synimikta sympotika dem Leser entgegen-
stellen, aber durch eindringliche Forschung bewältigen lassen. In
weit geringerem Grade sind Marquardts wunderliche Missverständ-
nisse durch die Beschaffenheit des uns überkommenen Textes ver-
anlasst, der für die Harmonik ungleich vollständiger als für die
Rhythmik vorliegt. Wie bei fast allen Werken der alten Literatur
konnte auch bei Aristoxenus die Textesüberlieferung nicht von drei-
fachen Versehen der Abschreiber frei bleiben. Erstens: Auslas-
sungen von Wörtern, von Sätzen und selbst von grösseren Partien
des Originales; zweitens Umstellungen, die wie jene auf Ueber-
sehen von Seiten der Abschreiber beruhen; drittens: Einschaltungen
solcher Stellen, die dem Original ursprünglich fremd, aber als Rand-
bemerkungen aus der Hand erklärender Abschreiber oder der alten
Leser in den Text hineingekommen sind. Auch die Aristoxenische
Harmonik hat durch diese dreifachen Versehen manchen Schaden
erlitten. Aber der Schaden ist an keiner Stelle so tief, dass er
sich nicht wenigstens genau erkennen und in den meisten Fällen
auch heilen Hesse, obgleich kein Verständiger den Anspruch machen
wird, überall die genaue Fassung des Originales wieder herzustellen.
Oft wird es genügen (in der Harmonik wie in der Rhythmik) , wenn
auch nur die erklärende Uebersetzung den ursprünglichen richtigen
Sinn angiebt LTnd wenn gerade in den harmonischen Bruchstücken
des Aristoxenus die Restitution eines verhältnissmässig schlecht über-
lieferten Textes mehr als bei anderen Denkmälern des Alterthunis
ermöglicht und auch leichter ist, so beruht dies sowohl in dem rein
sachlichen Inhalte, als auch besonders in der eigentümlichen Er-
scheinung, dass in jenen Fragmenten die Anfänge mehrerer Aristoxe-
nischer Werke vorliegen, die zu verschiedener Zeit über ein und den-
selben Gegenstand in ein und derselben Reihenfolge der einzelnen
Abschnitte niedergeschrieben sind. Dieselbe Erscheinung begegnet
uns auch mehrfach in den Schriften von Aristoxenus Lehrer Aristo-
teles. Bei Aristoxenus erklären sie sich leichter als bei Aristo-
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Harmonik: Ch. E. Ruclle.
LXI
teles. Es sind diese Doppelgänger verschiedene verbesserte Ausgaben
desselben Werkes oder dieselben Vorlesungen über ein und den-
selben Gegenstand, welche zu verschiedenen Zeiten (in verschiedenen
Semestern) gehalten und niedergeschrieben sind. Somit sind uns
für die Restitution und das Verständniss des einen der bezüglichen
Werke die Parallelstellen des anderen zur Hand.
Wie erquicklich ist der Marquard'schen deutschen Aristoxenus-
Uebersetzung gegenüber, welche weder Deutschen noch Anderen das
Verständniss des griechischen Textes erschliesst, die französische
Uebersetzung Ruelle's:
Elements harmoniques d'Aristoxene traduits en francais pour
la premiere fois d'apres un texte revu sur les sept manuscripts
de la bibliotheque nationale et sur celui de Strasbourg par Ch.
Em. Ruelle, redacteur au ministere de l'instruction publique
(gegenwärtig Vorstand der Pariser Bibliothek der h. Genoveva).
Ouvrage couronne par 1' Association pour l'encouragement des
Stüdes grecques en France. Paris 1871.
Möge Herr Professor Gavril Athanasiewic Iwanow zu Moskau mir
an dieser Stelle gestatten, ihm noch einmal für seine Freundlichkeit
meinen aufrichtigen Dank auszusprechen, dass er mich mit der Ar-
beit Ruelle's, die so wichtig für mich werden sollte, bekannt ge-
macht hat. Der französische Forscher hatte die grosse Liberalität,
dem deutschen Mitforscher auf dessen Bitten seine Auszüge der von
ihm benutzten Handschriften zur Disposition zu stellen, als er gerade
selber damit beschäftigt war, seine Textes- Ausgabe der Aristoxeni-
schen Harmonik erscheinen zu lassen. Das ist echte Wissenschaft-
lichkeit von ihrer liebenswürdigsten Seite, die sich nicht durch die
nationalen Schranken beengen lässt.
Die mir handschriftlich mitgetheilten Notizen des Herrn Ruelle
über die von ihm verglichenen Codices sind folgende:
Sept manuscrits conserves ä la Bibliotheque nationale de Paris:
Par a 2379 [anterieurement 635 et 2157; in fo., ecrit sur parche-
min, dore sur tranche, recouvert en bois, 261 fol. index (en grec.
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LX11
Vorwort zu Aristoxenus
et en latin): Diophante d'Alexandrie; Arithmetique, 6livres dont
les 2 premiers, illustres de scholies et commentaires. — Le
meme auteur sur les nombres polygonaux un livre (en grec ßijU.
ooo) fo. 1 39. (l'un et l'autre edit^s par Bamet mais sans scholies).
— Aristoxene Elements harmoniques trois livres fo. 155. —
Hipparque, comment sur les ph&iom. d'Aratus et d'Eudoxe
3 liv. fo. 193. edites par Setau.]
Ce manuscrit est generalement semblable ä celui de Seiden;
il a les meines fautes; mais comme il omet des mots et des
phrases entieres qui subsistent dans ce dernier et qui l'inverse
arrive aussi, Ton peut elablir qu'ils ont une commune origine
mais qu'ils ne sont pas transcrits Tun sur l'autre.
Par b 2449 [Ant6rieurement 2740, in 4°, ecrit sur papier; recou-
vert en simple parchemin, 75 fos. sur le premier „Codex char-
tac." 16 saec, scriptus quo continentur Aristoxeni elementoruni
harmonicorum libri tres.]
Ce parait etre le texte le plus moderne de tous, il se rencontre
le plus frequemment avec Scaliger. H ne porte jamais, que nous
sachions, de lecon que ce dernier omette et d'autre part omet quel-
ques unes de ses lecon.
■ En outre on y remarque un certain nombre d'omissioms qui
lui sont communes avec lo no. 2457 et quelques autres qui ne sont
pas dans ce manuscrit; enfin plusieurs mots que celui-ci porte en
marge sont entrSs ^lans son texte.
II contient ä la marge quelques annotations tres courtes, qui
fournissent des lecons nouvelles, admissibles pour la plupart.
D'un autre cöt6 Ton trouvera dans sa pagination un grand de-
sordre, auquel nous avons cm rem6dier par la note qui suit: ,,Ut
recte disponantus diversae bujus codicis partes, quisquis legerit
ita devolvere debebit, ut lecto folio 23° legat 40um, lecto 45° legat
25Uffl, lecto 35° legat 54nm, lecto 42° legat 56 um, lecto 63° legat 63nm
ad finem usque."
Par c 2456 [Anteneurement 435, 461, 2179; in fo., ecrit sur
parchemin recouvert enbois; de 483 feuillets; index, en grec et latin:
fol. 1 Aristide Quintilien, fol. 63 Manuel Bryenne, fol. 181 Plutarque
dialogue sur la musique, fol. 197 Euclide introduction, fol. 205 Euc-
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Harmonik: Ch. E. Ruelle. LXIII
lide xaTeTOji^ xavovo;, fol.210 Aritoxene Elements harmoiüques, fol. 240
Alypius, fol. 258 Gaudence, foL 271 Nicomaque, fol. 286 Cl. Pto-
lemee, foL 354 Porphyre commentaire, fol. 477 Bacchius.]
Nous nous sommes convaincu par le collationnement, que cette
copie ni a 6te faite ni d'apres. Scaliger ni d'apres auciin des autres,
mais d'apres la meme source que les Oxoniens. Elle porte quel-
quc mot8 omis dans les manuscrits Seal, S, Bar, Bod, A et B, et omet
ü 8on tous tel mot que ces textes präsentent.
Par d 2457 [Ant6rieurement (codex Telleriano-Remensis) 48;
(req.) 2179 in fol.; ecrit sur papier fort, 776 pages index en latin:
Aristides Quintilien, Manuel Bryenne, Plutarque sur la musique,
Euclide introduetion, Euclide division du canon, que Zosime corrigea
et commenta avec talent Constantinople, Aristoxene, Alypius, Gau-
denoe, Nicomaque, Ptolemee, Porphyre. Sfribebat sua manu Ange-
lus Vergetius cretensis a a Christi partu 1537, absolvit mense Apelleo
1. Decembre die 17a].
Ce msc. comme le pröcedent a du etre exäcute* d'apres l'origi-
nal des Oxoniens; il se recontre souvent aussi avec le texte de
Seiden. Peut-etre a-t-il 6t6 consulte par l'auteur des annotations
que porte Par b et meme par celui qui le fit ecrire ce dernier texte.
L'examen de ces divers textes nous conduit ä 6tablir qu'il sont
unc double origine. L'une a produit Par a, c, d, Seid, Bar, Bod,
ainsi que le texte de Gogavinus; l'autre Scalig et Par b.
Ferner folgende Bemerkungen niedergeschrieben seit 1855.
Par e 2460 [Antörieurement Cod. Telleriano-Romensis 47, Re-
gius 2179. In fol. 202 feuilles. Cod. chartac. XVI sec. scriptus, quo
continentur Alypius, Gaudentius, Anonymus*) de musica ineditus
„' PuÖfxo« aov^onrjxav", Bachii senioris introduetio, Euclidis introduetio
harmon., Euclidis Sectio canonis, Theonis, 'Ex tu>v tou riaTrroo irepl
^pdo^ytov, Aristoxeni, Nicomachi, Aristides, Manuelis Bryennii].
Ce ms. präsente de nombreuses analogies avec Seal, et Par. b,
cependant il n'y a pas entre eux et lui, nous en avons acquis la
preuve, les rapports d'une copie ä son original On y trouve un
*) Später hinzugefügt: Edid. Bellermaitn Berolini 1871. Gallice vertit novo-
que modo diapoauit A. T. H. Vincent (notices et extr. des racs. XVI, 2« partie).
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LXIV
Vorwort zu Aristoxenus
nombre infini de fautes, qui serablent provenir d'une dictee mal
entendue.
Par f 160 Supplement [Anterieureinent no. 1098 du fonds de
Sorbonne. Petit in 4° de 80 feuilles ecrit, ms. du XVI siecle; bonne
6criture, non signe\ 1 icre page avec titres en lettres d'or et en
arabesques. Contenu: Aristoxene, incipit et decinit ut in editis].
Ce ms. appartient a la meme famille que les mss. de Venise
cl. VI no. 3 et les msc. de Paris b, c, d, e c'est ä dire ä la seconde
famille, la premiere 6tant composSe jusqu'a ce jour de msc. de Rome
(Vatic. et Barberin), de Florence, de Venice (no. 8), d'Oxford (Seiden)
puis comme deriv6s les cod. Bodleiunus" et Baroccianus, enfin des
msc. a, c, g de Paris.
lieber den Strassburger Codex veröffentlichen die Comp-
tes rendus de l'Acadömie des Inscriptions et Belles-Lcttres 2 e serie
1. VII 1871 folgende Mtttheilung: „Notice et variantes d'un manu-
scrit grec relatif ä la musique qui a pen pendant le bombarde-
ment de Strasbourg par M. Ch. Ruelle." Hier heisst es:
La bibliotheque du seminaire protestant de Strasbourg, incen-
diee par les arm6es allemandes pendant la nuit du 24. aoüt 1870,
poss§dait une precieuse collection de manuscrits grecs, notamment
de manuscrits relatifs ä la musique. L'ann^e derniöre, au momeut
de publier sa traduction des Elements harmoniques d'Aristoxener
M. Ruelle eut communication d'un de ces monuments, not6 III 31,
contenant une copie de ces Elements, l'introduction musicale d'AIy-
pius et le Commentaire de Porphyre sur les Harmoniques de Pto-
16m6e. L'auteur ne croit plus devoir accorder une grande impor-
tance aux variantes que pouvaient renfermer ces copies de Por-
phyres et d'Alypius, dont les textes ne laissent d'ailleurs que peu ä
desirer dans les editions. Quant a la collation du texte d' Aristoxene,
eile n'a pas, il est vrai, fourni des fragments in6dits, mais, par Tim-
portance et la multitude des variantes, eile place le manuscrit dont
nous deplorons la perte au-dessus de tous exemplaires consultes
jusqu' ici des Elements harmoniques; or ils sont aujouid'hui au
nombre de vingt
Le ms. de Strasbourg, not6 dans la nomenclature dressee par
M. Ruelle, lui a paru de nature k reveler une famille qui n'aurait
eu encore aucun reprösentant, meme apres le travail fait r^cemment
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Harmonik: Ch. E. Ruelle.
LXV
en Allemagne par M. Marquard sur les copies de Venise, de Rome
et de Florence.
Le tableau des lec,ons fournies exclusivement par le manuserit
de Strasbourg präsente les resultats suivants. On y trouve 380
variantes par rapport ä Tödition grecque -latine de Meibom, dont
51 omissions; 44 de ces omissions et 250 lecons de diverses sortes
sont propres ä ce manuscrit. Plus de 100 lecons nouvelles, notam-
ment 39 restitutions formant ensemble 54 mots, sont proposees eomrae
devant prendre place dans une Edition perfectiounee des Elements
harmoiüques. Le rapport des lecons dejä coimues ä Celles qui ne
figurent que dans ce manuscrit est de 1 : 5,5, celui des omissions'
communes avec d'autres inanuscrits aux omissions speeialement notöes
dans celui-ei est presque de 1 : 6,5. Cette proportion concourt avec
les restitutions ä faire ressortir l'originalite du manuscrit en question.
Les transpo8itious s'y rencontrent une quarantaine de Ibis, et c'est le
plus souvent pour offrir une meilleure construction grammatieale.
Apres avoir etubli l'originalite du manuscrit de Strasbourg sur
rette consideration que les variantes nouvelles et les restitutions
de mots y sont nombreuses, M. Kuelie arrive sans peine a demon-
tier qu'il n'a pas de dcnves connus. En effet, aucun des lnanu-
scrits dejä exanrines ne peut etre une reproduction du ms. H,
comme le prouvent surabondamment diverses omissions plus ou
moins etendues, relevees dans cet exemplaire ä Texclusion de tout
autre.*)
La filiation direete ainsi ecart^e, il reste ä examiner les points de
comparaison et en quelque sorte la parent6 collaterale existants entre
le ms. de Strasbourg et les exemplaires etudies anterieurement.
L'auteur a not£, dans ce manuscrit. le norubre des lecons et celui
des omissions qui lui sont respectivement communes avec cbaeun des
autres; et, de son double relevey il tire cctte deduetion que les
manuscrits M (Saint-Marc. XIl* sieclc), B-r (Barberin), V (Vatican),
R (Riceardiani ä Florence) et S (Seiden ä Oxford), qui sont les meil-
*) Depuis cette cominunication M. Kuelle cbarge dune mission cu Egpagnc,
a exarnin»* los quatres manuscrits d'Aristoxene conservta a la bibliothequc de
l'Kscurial et celui de la bibliotheque nationale de Madrid. II a reconnu que
rien, dans ces cinq copies, ne diminue foriginabt^ du manuscrit de Strasbourg.
Aristuxenm, llelik u. Rhythmik. e
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LXVI
Vorwort zu Aristoxenus.
leurs, contiennent en meine temps le plus de variantes et d'oinis-
sions communes avec le ms. H. Les manuscrits Par. c, g (Biblio-
theque nationale, aneien fonds no. 2460 et Supplement no. 449) se
placent £galement im premiere ligno par la frequente conimunaut£
des variantes, tandis que par eelles des omissions ils n'occuperaient
que les derniers rangs; mais il n'y a rien a eonelure de ce dernier
fait, sinon que les manuscrits Par. e, P. que g, pour le dire en pas-
sant ont ele oublitfs comine tous les exeniplaires francais d'Aristoxene
par la philologie allemande, sont, en beaucoup d'endroits, plus com-
plets que les autres manuscrits.
M. Ruelle, en terminant, annonee l'intention de mettre ä profit
les rC'sultats dont le detail est exposc dans le tablcau des variantes,
et de donner une nouvelle edition des Elements harmoniques d'Aris-
toxene, texte qui n'est pas (comme on pourrait le eroire), d£nue de
tout earactere littcraire et qui sera redevable d'une serieuse ame-
lioration au manuscrit de Strasbourg.
Diverses observations sont adressees a l'auteur de cette com-
munication et discutees contradictoirement avec lui, principalement
par M. le viee-pr6sident.
Werth und Bedeutung des Strassburger Codex erbellt aus § 45
der ersten Harmonik, wo die drei Arten des musikalischen Melos
genannt werden. Meibom und Marquard lesen diese Stelle auf
Grund der ihnen zu Gebote stehenden Handschriften
llpu>Tov |i£v oov xotl zpsaßorarov aurcov Ostsov to oiarovov . .
OSOTSpOV ÖS TO / pCDJxaTIXC V,
-ptrov ös xat ävw:a;ov to evapp/mov, TsXsoTaup y*£> «oto»
xoi jxoXt; iisia -oXX*>G 7ro'voo auvsfti'Cerat r, 1131)7,31;."
Marquards Uebersetzung lautet: „Für die erste nun und älteste
ist die diatonische anzusetzen .... als zweite die chromatische, als
dritte und höchste aber die enharmonische, denn zuletzt und mit
grosser Anstrengung und Mühe gewöhnt sich an sie die sinnliche
Wahrnehmung." — „Krste und älteste" — „zweite" — „dritte und
höchste" — : an diesen Attributen nimmt Marquard ebenso wenig
wie Meibom Anstoss, und doch ist „dritte und höchste" nicht wohl
zu verstehen. In welchem Sinne wird das Enharmonion „das
höchste" der Tongeschlochter genannt? Der von Aristoxenus hin-
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Harmonik: Ch. E. Ruelle.
LXVI1
zugesetzte Grund, „denn zuletzt und mit grossser Anstrengung und
Mühe gewöhnt mau sich daran," erklart den Ausdruck „das höchste"
nicht.
Es ist mir unvergesslich, wie lange ich mich vergebens abmühte,
die richtige Lesart zu conjiciren. Als ich durch die übergrosse Freund-
lichkeit des Herrn Ruelle mit den Lesarten des Strassburger Codex
bekannt gemacht war, da war ein Conjiciren unnöthig, denn dort
war überliefert:
npwTOV jxsv oüv xai TCpeopütaxov . .
Ssurepov 8s to ypiofiaTixov,
Tprrov Ii xai vewTfltov to dvapfioviov, reXsurauo yap otot«« . . .
Es kann freilich kein Zweifel sein, dass diese Lesart der Strass-
burger Handschrift die richtige ist Alle übrigen fiiessen aus einem
Codex, dessen Librarius das überlieferte
xou vsturarov
in , , ,
xat avcotarov
verschrieben hatte. Ohne den Strassburger Codex würde dieser
Schreibfehler den Text des Aristoxenus fort und fort entstellen.
Herr Ruelle hat sich zwar in seiner Uebersetzung an dieser Stelle
noch nach dein Meibom'schen Texte gerichtet, seine mir schriftlich
mitgetheilten Bemerkungen enthalten bereits die Notiz, dass hier die
Lesart des Strassburger Codex die einzig richtige ist Zunächst kann
ich nicht umhin, die alten richtigen Lesarten der Strassburger Hand-
schriften mir in ähnlicher Weise zu denken, wie die an den Rand
des alten Marcianus zu den Lesarten des Zosimus durch die dritte
Hand (Mc.) hinzugefügten. Ich erwarte die weiteren Mittheilungen
des Herrn Ruelle, der mir durch Herrn Ambr. Abel zugesagt hat,
mich vor dem Erscheinen des griechischen Textes mit allen weiteren
Notizen über die Beschaffenheit der verbrannten Handschrift, soviel
er deren aufgezeichnet oder in der Erinnerung behalten hat,
gütigst zu versehen. Von diesen muss ich es abhängig machen,
in wie weit ich dem Codex A eine älinliche Entstehung wie Mc, R, B
anweisen soll.
Von den Gelehrten Deutsclüands hat sich am meisten um das
vorliegende Buch Professor Oskar Paul in Leipzig, der bewährte
Lxvm
Vorwort zu Aristoxenus.
Freund seit dem Jahre 1866, verdient gemacht Ohne seine freund-
liche Vermittelung bei der Firma Ambr. Abel, die er mir nach
Moskau hin zu Theil werden Hess, würde das Buch noch ungedruckt
sein: es machte seit einer Reihe von Jahren schon die verschie-
densten Anstrengungen aus der Handschrift in den Satz zu gelangen :
immer vergebüch, bis endlich durch Freund Paul die beiden Chefs
der AbeFschen Buchhandlung sich in wahrhaft uneigennütziger Weise
bereit finden Hessen, dem Aristoxenus ein Opfer zu bringen. Mögen
sie das Opfer nicht zu bereuen haben!
Ausserdem habe ich Herrn Professor Paul auch den Nachweis
der lateinischen Version zu danken, welche Antonius Gogavinus
1542 von der Aristoxenischen Harmonik nach einer verlorenen
Handschrift im Drucke hat erscheinen lassen. Diese Uebersetzung,
welche Marquard „bisher nirgends hatte auftreiben" können, war, wie
ich durch Paul belehrt wurde, auf der Leipziger Rathsbibliothek
vorhanden.
Noch viel höher habe ich es anzuschlagen, dass ich durch den
freundschaftUchen Verkehr mit Oskar Paul verhindert wurde, das
grosse Fragment zu übersehen, welches aus der dem Prooimion fol-
genden Ausführung der siebentheiligen Aristoxenischen Harmonik
bei Boetius erhalten ist. Es ist für den Zusammenhang der Aristo-
xenischen Litteratur von grosser Wichtigkeit. Denn in demjenigen,
was uns handschriftlich als Aristoxenisehe Harmonik überüefert ist,
findet sich zwar eine ideelle Theilung des Ganztones in Ogdoemoria
und Dodekatemoria, in Achtel und Zwölftel des Ganztones. Aristides
aber redet von einer ideellen Theilung in Vierundzwanzigstel des
Ganztones, in Sechszigstel des Quarten-Intervalles. Durch Boetius
wird in Uebereinstimmung mit Ptolemäus und Porphyrius diese Ein-
teilung dem Aristoxenus zugeschrieben, und zwar in einer viel
eingehenderen Darstellung als bei Ptolemäus und Porphyrius. In
dem Aristoxenischen Fragmente bei Boetius erscheint auch der Ter-
minus technicus „apyknos", welcher ebenfalls bei den späteren Musikern
gebräuchlicli ist. In der ersten und der zweiten Harmonik (der achtzehn-
theiligen) findet sich nicht die leiseste Spur von der Eintheilung in
Vierundzwanzigstel, dem Terminus „apyknon" begegnen wir ein ein-
ziges Mal im Abschn. XU der ersten Harmonik (im 1. Problem):
es ist das in einer Stelle, von der ich S. 266 sagen musste, sie sei
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Vorwort zu Aristoxenus.
LXIX
nicht eine genuine Aristoxenische Partie, sondern eine bewusste Ver-
kürzung und Umänderung von Seiten dessen, welcher den Stammcodex
der auf uns gekommenen Handschriften angefertigt habe.
Ich muss dies folgendermaassen auffassen : da Aristoxenus in den
achtzehnt heiligen Darstellungen der Harmonik lediglich nach enhar-
monischen Diesen rechnet, so können Boetius, Ptolemäus, Porphy-
rius die ihnen vorliegende Aristoxenische Rechnung nach Vierund-
zwanzigsteln des Ganztones nur aus der siebentheiligen Harmonik,
und zwar aus dem ersten die Gene behandelnden Meros entlehnt
haben.
In der vortrefflichen Schrift „Die Harmonik des Aristoxe-
nianers Kleonides vom Oberlehrer Dr. Karl von Jan", durch welche
der geehrte Verfasser zum ersten Male eine genaue Einsicht in das
gegenseitige Verhältniss der späteren Aristoxenianer anbahnt, sagt der
Verfasser: „Die kleineren Intervalle misst Aristoxenus nach Zwölftel-
tönen. Doch lasst sich das Intervall im Chroma hemiolion nicht
auf eine ganze Zahl von Zwölfteln reduciren, und es scheint dämm
ganz richtig, wenn Aristides 20, 22 und Porphyr. 311 den ganzen
Ton in 24 Theile zerlegt."
Bis einschliesslich des Beispieles vom Chroma hemiolion kommt
die Ausführung des Herrn Karl von Jan schon bei Boetius vor. Aus
diesem erfahren wir zugleich, dass nicht zuerst Aristides, sondern
Aristoxenus den Ganzton in 24 Theile zerlegt hat.
Von den Ausdrücken „apyknos, barypyknos, mesopyknos,
oxypyknos" heisst es in demselben Programme: „Es ist leicht
möglich, dass diese Terminologie von Kleonides eingeführt ist."
In der vorliegenden Aristoxenus- Ausgabe S. 468 sagte ich: „Dem
Aristides und Genossen" sind die kürzeren Termini durchweg ge-
läufig, mithin müssen wir dieselbe für eine von Aristoxenus erst
in der siebentheiligen Harmonik aufgebrachte Terminologie erklären.
Der ganze Zusammenhang meiner Darstellung der siebentheiligen
Harmonik wird die Bedeutung des sonst freilich viel zu braehyo-
logischen „mithin" nicht unklar lassen. Der ebenfalls nur der Kürze
wegen gebrauchte Ausdruck „Aristides und Genossen", den dasselbe
Programm von meiner früher 1868. 1867 herausgegebenen griech.
Harmonik her mit vollem Rechte getadelt hat, soll wie aus dem
neuen Buche ersichtlich ist, nichts als die kürzeste Bezeichnung
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LXX
Vorwort zu Aristoxenus.
derjenigen grioch. Musiker der Kaiserzeit sein, welche, wenn auch
nur sporadisch, Aristoxenisches enthalten. Eine gemeinsame Kate-
gorie hilden die Genossen des Aristides insofern, als sie auf die
siebentheilige Harmonik die Aristoxenus zurückgehen, vgl. S. 444. 445.
In Moskau konnte ich das gegen mich gerichtete, aber für mich so
ausserordentlich lehrreiche Programm Karl von Jan's tur die Ausar-
beitung meines Buches noch nicht benutzen: sonst würde ich nrich, um
jene Kategorie der Musiker zu bezeichnen, eines behutsameren Aus-
drucks bedient haben. Dass Aristides ein Auszug aus Aristoxenus
sei oder auch nur vorzugsweise die Aristoxenische Doctrin vortrage,
ist ja schon lange nicht mehr meine Ansicht und wohl auch im
Jahre 1863 nicht gewesen. Dass den verschiedenen Quellen dieser
späteren Musiker sorgfältig nachzuspüren ist, und dass, so lange
dies nicht geschehen, auch die Aristoxenus - Frage nicht endgültig
entschieden werden kann, dies ist auch meine feste Ueberzeugung.
Die Untersuchung nach den Quellen jener Musiker kann aber nur auf
dem Wege gefuhrt werden, welchen von Jan in seiner mustergül-
tigen Arbeit über Kleonides eingeschlagen hat. Dem Gange meiner
Studien musste es angemessener sein, zuerst die Frage nach der
Aechtheit der harmonischen Bücher des Aristoxenus einer strengen
Prüfung aus dem Zusammenhange dieser Fragmente zu unterwerfen;
bezüglich des Zusammenhanges zwischen Aristoxenus und den
Aristoxenianern, deren jeder mehr oder weniger auch fremde
Elemente neben Aristoxenus aufgenommen hat, bin ich zunächst der
Ansicht, dass diese Mischung von Aristoxenischem und Fremden
schon in einer gemeiusamen Quelle vorgenommen war (der Arbeit eines
Aristoxenianers), welche unseren Musikern der Kaiserzeit zu Grunde
liegt. Der griechische Text des Aristoxenus, welcher in demselben
Verlage des Herrn Ambr. Abel unter dem Titel erscheinen wird:
Aristoxeni Tarentini de re musica quae supersunt ad fidem co-
dieum msc. cum aliorum tum Argentoratensis et Parisiensium
collatorum per C. Ae. Ruelle (lenofevensem bibliothecarium
composuit ac recensuit R. Westphal,
stellt die Parallel -Stellen zu den Aristoxenischen Harmoniken zu-
sammen und giebt im kritischen Commentare einige eingehende,
wenn auch keineswegs abschliessende Erörterungen über das Ver-
hältniss zwischen Aristoxenus und den Aristoxenianern. Ich hoffe
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Vorwort zu Aristoxenus. LXXI
dass Herr von Jan mit jenen Erörterungen sich mehr in Ueberein-
stimmung befinden wird als mit meiner griechischen Harmonik der
Jahre 1863. 1867.
Eben daselbst werden sich auch aus Gevaerts grossem Werke
(vgl. S. 432) die Ergebnisse für den Aristoxenischen Text verwerthet
finden, was für die vorliegende deutsche Uebersetzung und Erklä-
rung nicht mehr möglich war; nicht minder auch die neue Ausgabe
des Aristides von Albert Jahn.
Indem ich nochmals dem Freunde Oskar Paul für das Ari-
stoxenische Fragment aus Boetius meinen Dank sage, muss ich
auch noch Herrn Professor Heinrich Bellermann in Berlin meinen
Dank aussprechen. Derselbe hatte die grosse Freundlichkeit, an
die Firma Ambr. Abel für meinen Gebrauch ein Exemplar der Mei-
bomschen Musiker aus dem Nachlasse seines Vaters Friedrich Beller-
niann, in welchem dieser zum Aristoxenus-Texte Meiboms die Va-
rianten der beiden auf der Leipziger Rathsbibliothek aufbewahrten
Aristoxenus-Handsehriftcn eingetragen hatte, zu übersenden.
Meinem alten Marburger Studiengenosse aus dem Jahre 1849
Herrn Dr. Berkenbusch, gegenwärtig Oberlehrer der Mathematik am
Gymnasium zu Bückeburg, habe ich für die Gefälligkeit zu danken,
dass er auf meine Bitte die von Aristoxenus gegebenen Grössen-
Bestimmungen der Intervalle in Logarithmen- Ausdrücke umgeformt
und hierdurch eine genaue Vergleichung der Aristoxenischen Zählen-
angaben mit denen des Archytas, Eratosthenes, Pidyinus, Ptolemäus
ermöglicht hat.
Der Freundlichkeit des Herrn Professor Moritz Schmidt in
Jena, der ich schon so vieles zu danken hatte, verdanke ich auch
eine handschriftliche deutsche Uebersetzung, die derselbe von der
Rhythmik des Aristoxenus in dem Ende der sechziger Jahre gemacht
hatte. Sie war mir von grosser Wichtigkeit.
Wie hätte ich in den letzten Jahren ohne B. Sokolowsky's uner-
müdete, fast überwachende Theilnahme, welche thatsächlich eine
Mitarbeiterschaft am Aristoxenus war, die Arbeit zu Ende bringen
sollen, für die sich je näher sie dem Schluss zuging um so mehr neue
Gesichtspunkte einstellten: die Chronoi podikoi und die Chronoi
Rhythmopoiias idioi, — die Aristoxenische Lelire von der stets die
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LXXII
Vorwort zu Aristoxenus.
Hälfte der Länge betragenden Kürze nach der Art des Bach'schen
D-Dur-Präludiums im zweiten Theile des Wohlt. Clav., — die Unter-
scheidung von praktisch beim Taktiren ausgeführten und bloss theo-
retischen Takten, — dann aus der Aristoxenischen Harmonik die Ver-
schiebung eines Blattes der handschriftlichen Ueberlieferung, — die
Aristoxenische Sonderung von Eingangs -Abschnitten (ap/at) und
Stoicheia. So Gott will, werde ich keine der für die Aristoxenischen
Schriften sich aufdrängenden Fragen unbeachtet gelassen haben.
Sollte dies geschehen sein oder trotz aller meiner Vorsicht ein
Versehen stattgefunden haben, so wird der rücksichtsvolle Beur-
theiler in der Schwierigkeit des Unternehmens eine freundliche Ent-
schuldigung finden. Denn trotz der langen dreissigjährigeu Arbeits-
zeit, welche ich auf Aristoxenus verwenden durfte (das letzte Drittel
derselben konnte ich Dank meinem Aufenthalt in Russland fast aus-
schliesslich ihm widmen), war doch die zweifache Aufgabe schwer
genug zu lösen. Erstens die Wiederherstellung der Aristoxenischen
Rhythmik, von der der grosse Gottfried Herrmann sagte: sie sei
nicht anders als durch eine glückliche Auffindung der vollständigen
Aristoxenischen Schrift zu ermöglichen, wenigstens eine Wiederher-
stellung bis zu dem Grade, dass sie nicht nur die Versification der
griechischen Dichter zur zweifellosen Klarheit bringt, sondern auch
für die musikalische Rhythmik der christlich modernen Meister
die unverrückbaren Normen erschliesst.
Zweitens: Aus den Trümmern der harmonischen Literatur
des Aristoxenus, in welchen der letzte Herausgeber nichts als einen
wüsten Byzantinischen Schutthaufen erblicken zu dürfen venneinte,
die Fundamente von drei Aristoxenischen Bauwerken wieder auf-
zufinden und in soweit herzustellen, dass nicht bloss Alles, was uns
indirekt aus Aristoxenus überkommen ist, in diesen drei Gebäuden
seinen richtigen Platz findet, sondern dass wir an dem, was uns von
genuinen Werken des Aristoxenus verblieben ist, ebenso sehr unsere
volle Freude zu haben im Stande sind, wie an anderen Denkmälern
des griechischen Alterthumes.
Moskau und Leipzig 1882.
R. Westphal.
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Inhalts - Verzeichniss.
ARISTOXENUS THEORIE DES RHYTHMUS.
Seite
Alis dem ersten Buche der rhythmischen Elemente 3
Aus dem zweiten Buche der rhythmischen Elemente 5
I. Zeitgrösaen des Rhythmus und des Rhyfhmizomenon 5
II, 1. Taktlehre im Allgemeinen 20
II, 2. Taktiirten und Taktgrössen 35
II, 3. Diaircsis der Takte 78
II, 4. Die Taktunterschiede nach dem Schema 113
II, 5. Irrationale Takte 151
II, 6. Einfache und zusammengesetzte Takte 157
II, 7. Antithesis der TakttheUe 157
III. Tempo 159
IV. Rhythmenwechscl 160
V. Rhythmopoeie 161
ARISTOXENUS THEORIE DES MELOS.
Die drei Schriften über das Melos 165
Die verschiedenen Darstellungen der Harmoniker als Aristoxe-
nische Vorlesungen 173
Lücke und verlegtes Blatt in der handschriftlichen Ueberlieferung.
Die Citate „ta iv dtoyij" und „arotyeia" 179
A. Erste Harmonik des Aristoxenus.
Die Verdächtigung des Buches als eines Byzantinischen Falsifikates 18t)
Die angebliche Entstehung des Prooimion aus der Conglutination
zweier Aristoxcnischer Schriften 195
Zusammenhang der ersten Harmonik des Aristoxenus mit andern
Schriften desselben 197
a. Erster naupttheil: Eingangs-Abschnitte.
Prooimion 203
I. Die topische Bewegung der Stimme, Singen und Sagen . . . 219
II. Aufsteigen, Absteigen, Höhe, Tiefe, Tonstufe 227
III. Ist die grösste und kleinste Entfernung zwischen Hohem und
Tiefem eine unbegrenzte oder eine begrenzte? 230
IV. Definition von Ton, Intervall, System; vorläufige Eintheilung der
Intervalle und Systeme 233
LXXIV Inhalte- Verzeiehniss.
V. Das musikalische Melos im Allgemeinen 239
VI. Die drei Arten des musikalischen Melos (die drei Tongcschlcchter) 241
VII. Die symphonischen Intervalle 242
VIII. Dpr (rRn7.ton und seine Theile 245
IX. Die Unterschiede der Tongeachlechter 246
X. Die Intervallen-Folge auf der Scala im Allgemeinen 263
b. Zweiter Haupttheil: Harmonische Stoicheia.
XI. Die unzusammengesetzten Intervalle 266
XII. Die eminclischen Zusammensetzungen der einfachen Intervalle . 2»>6
Ii. Zweite Harmonik des Aristoxenus.
a. Erster Haupttheil: Eingangsabschnitte.
VI. Die drei Arten des musikalischen Melos 273
VII. Die symphonischen Intervalle 273
VIII. Der Ganzton und seine Theile 275
XI. Der Unterschied der Tongeschlechter 275
X. Ueber die emmelische Intervallcnfolge auf der Scala im AUgem. 284
b. Zweiter Haupttheil: Harmonische Stoichcia.
XI. Die unzuBammengcsctzten Intervalle 285
XII. Die cmmelischen Zusammensetzungen der einfachen Intervalle . 29s
XIII. Die Systeme 345
XIV. Die gemischten und ungemischten Tongeachlechter :tS 1
XV. Die Scala-Klange 414
XVI. Die verschi» denen Stimm-Klassen . . . . . . . . . . . . 41
XVII. Die Transposition.s-Sealcn . 42<>
XVIII. Die Metabole 431
Naeh.sclirift zur /weiten Harmonik: Abschn. XIII. XIV.
C. Siebentheilige Harmonik des Aristoxenus.
Prooimion , , , , , , , , , , , , , , , , , . , , iM
1. Die drei Klanggeschleehter 464
ARISTOXFAKS SYMPOSION ODER VRRM1SOHTK
TISCHREDEN.
I. Gegensatz der alten und neuen Musik 473
n. Bewusflte Einfarhheit der alten Meister . . . . , . . . . . 475
ITT. Die Entmrmonik 478
IV. Krlangung des musikalischen Kunsturthejlg 4SI
V. Khythmische Neuerungen der archaischen Zeit 4SI
VI. Ueber die rhythmische Primärzeit 485
Die harmonischen Grundsätze der Melodie-Begleitung nach Aristo-
teles und Aristoxenus ä : s s , , , , t s s : . 487
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• *
ARISTOXENUS
THEORIE DES RHYTHMUS.
Arlatoxenut, MoHk u. Bhythmlk.
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RHYTHMISCHE ELEMENTE.
Wir müssen, was uns von dieser werthvollsten Schrift der gesammten
Aristoxenisehen Litteratur geblieben ist, einem der werthvollsten und edelsten
Kleinode der antiken Prosa- Litteratur überhaupt, aus dem in den Handschriften
der Musiker erhaltenen Bruchstücke derselben, ferner aus den wörtlichen Excerp-
ten, welche aus ihr der Byzantiner Michael Pscllus zu seinen Prolegomena der
rhythmischen Doctrin, verkürzend und mit principloser Umstellung der Aristo-
xenischen Sätze, zusammengestellt hat, und endlich aus einem Citate, welches
die harmonischen Elemente des Aristoxenus aus den rhythmischen anführen,
wieder zusammensetzen. Manches aus den rhythmischen Elementen des Aristo-
xenus ist mittelbar (aus der Schrift eines umarbeitenden Aristoxeneers) in das
Werk über die Musik von Aristides Quintiiianus und in die von Vincent ver-
öffentlichten Pariser Fragmente übergegangen. Einige* kennen wir auch aus
der von Porphyrius ad Ptolem. eitirten Schrift des unter Hadrian lebenden
Musiker Dionysius von Halikarnas rtepi irxotor^Toav „über Analogieeu in der
Musik."
Soviel auch von der Rhythmik des Aristoxenus verloren gegangen ist, den
die Taktlehre behandelnden Abschnitt, für uns den wichtigsten des ganzen
Werkes, können wir mit annähernder Sicherheit wieder herstellen.
AUS DEM ERSTEN BUCHE DER RHYTHMISCHEN ELEMENTE.
Auch ohne die Mittheilung Donis (vgl. oben p. XIV), dass zu seiner Zeit
der Cod. Vaticanus von den oroi/ei« ^iD^ixa noch drei Bücher enthalten habe,
würden wir wissen, dass das jetzt darin enthaltene nicht der Anfang der
Schrift sein kann, sondern der Anfang etwa nur des zweiten Buches. Aus § 1.
2. (J. 7. desselben geht hervor, dass eine Darstellung über den Rhythmus im
Allgemeinen als erstes Buch vorausgegangen sein muss. Aus den Aristo-
xenischen Excerpten bei Psellus lässt sich mit Sicherheit dem ersten Buche
zuweisen:
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4
Aristoxenus rhythmische Elemente.
Psell. Frg. 6.
Von den Rhythmizomena ist ein jedes ein derartiges, dass es
weder continuirlich in Bewegung, noch continuirlich in Stätigkeit
ist, sondern das eine und das andere abwechselnd.
Der Stätigkeit gehört das orchestische Schema, der Ton und
die Sylbe der melischen Poesie an, denn nichts von diesen dreien
kann wahrgenommen werden, ohne dass eine Stätigkeit vorhanden wäre.
Der Bewegung dagegen gehört der Uebergang von einem
orchestischen Schema zum anderen, von einem Tone zum anderen,
von einer Sylbe zur anderen an.
Die von dem Stätigen ausgefüllten Zeiten sind die wahrnehm-
baren, die von der Bewegung ausgefüllten die nicht wahrnehm-
baren Zeiten: nicht wahrnehmbar wegen ihrer Kleinheit, indem sie
die Grenzen der von den stätigen Elementen ausgefüllten Zeiten sind.
Zu beachten ist auch dies, dass jedes der rhythmischen Systeme
nicht in gleichartiger Weise aus den der Quantität nach wahrnehm-
baren und nicht wahrnehmbaren Zeiten zusammengesetzt ist. Viel-
mehr bilden die der Quantität nach wahrnehmbaren Zeiten die Be-
standteile des Systemes, die quantitativ nicht wahrnehmbaren
bilden die Grenzen der quantitativ wahrnehmbaren.
Von den drei Rhythmizomena ist zwar auch im Anfange des zweiten Buches
die Rede, § 3—9, jedoch in einer Weise, welche deutlich zeigt, dass auch schon
„h rote £|XTCposd£v", d. h. im ersten Buche davon gehandelt sein muss. Ohne-
hin ersehen wir aus der kurzen Kecapitulation des im ersten Buche gesagten ,
dass „£v toi; Ifirpoaftev eipT((i.£vov, xl aurwv Ixdorrj uroxetxai", was das Substrat
einer jeden der Arten des Rhythmus sei, d. i. die drei Rhythmizomena.
Aus dem Frg. 6 Psell. ergiebt sich, dass Aristoxenus die Pause als Stell-
vertreter der Töne und der Sylben zu den integrirenden Bestandteilen des
Rhythmus rechnet; denn blosse netapaseic von einem Tone zu einem anderen
Tone, von einer Sylbe zur andern Sylbe sind die Pausen nicht, da die \itta-
£<iott; als dfyvuxrtot 6id OfAixpiTT^a ypo\oi definirt werden. Wo in der Musik
keine die \ti^rt t&v j>jöjjuCouiMu*< vertretenden Pausen, sondern blosse fxtTsßdait;
vorkommen, z. B. zwischen Anakrusis und dem folgenden schweren Takttheile,
u. s. w., da sind das unendlich kleine Grenzen und dürfen daher nicht als
yp<5voi T^jotfioi gehört werden.
Auch Psell. Frg. 1 kann aus dem ersten Buche entlehnt sein. Da aber
dieses von der Sylbendauer handelnde Fragment uns die nicht überlieferte
Aristoxenische Darstellung des Taktschema reconstruiren helfen muss, so be-
handeln wir dasselbe weiter unten im Zusammenhange der Taktlehre.
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I. Zeitgrössen des Rhythmus und des Rhythmizomenon. 5
ZWEITES BÜCH DER EHYTHMISCJIEN ELEMENTE.
L
ZEITGROESSEN DES RHYTHMUS UND DES RHYTHMIZOMENON.
Büokbliok auf das erste Buch.
§ 1. Dass es mehrere Arten des Rhythmus giebt, ferner die
Merkmale eines jeden., sowie die Gründe, wesshalb man sie zusam-
men unter demselben Namen begreift, endlich die Substrate eines
jeden, das alles ist im Vorausgehenden behandelt worden. Nunmehr
haben wir ausschliesslich über den Rhythmus zu reden, welcher in
der Musik seine Stelle hat.
Aus dem ersten Buche der Aristoxeniachen Rhythmik, auf welehes hier
recurrirt wird, ist aller Wahrscheinlichkeit nach entlehnt, was Aristides Quin-
tilian über die Musik I. p. 31 Meib. bezüglich des Rhythmus im Allgemeinen
berichtet: „Rhythmus wird in einer dreifachen Bedeutung gebraucht:
1. im übertragenen Sinne bei unbewegten Körpern, wenn wir
z. B. von einer eurhythmischen Statue reden;
2. bei allen in einer Bewegung zur Erscheinung kommenden,
z. B. wenn wir sagen, dass Jemand eurhythmisch gehe;
3. im engsten Sinne bei der Stimme (der Singstimme wie der
Instrumentalstimme), und hiervon zu reden, das ist jetzt unsere
Aufgabe.44
Vom Rhythmus in der ersten und zweiten Bedeutung muss Aristoxenus in
seinem ersten Buche gehandelt haben; den Rhythmus in der dritten Bedeutung
soll das zweite Buch erörtern („vuv V tjiAtv ^epl «ito-; Xext*ov toO is poustx^
xartofiivou ^■■»ÖjaoO").
Vgl. meine Elemente des musikalischen Rhythmus 1872, § 1. „Ist eine
unserem Sinne wahrnehmbare Bewegung eine derartige, dass die Zeit, welche
von derselben ausgefüllt wird, nach irgend einer bestimmten erkennbaren Ord-
nung sich in einzelne kleinere Abschnitte zerlegt, so nennen wir das einen
Rhythmus. Es rührt diese Definition des Rhythmus von dein griechischen
Musiker Aristoxenus her und ist trotz ihrer Anspruchslosigkeit allen dem-
jenigen vorzuziehen, was moderne Kunsttheoretiker und Aesthetiker als allge-
meine Erklärung des Begriffes Rhythmus aufgestellt haben.
„Von den in der Natur wahrnelunbaren Bewegungen" (zu der ersten
Kategorie des Aristoxenus gehörend) „werden wir z. B. die des Sturmwindes,
die des rauschenden Wassers nicht eine rhythmische Bewegung nennen
können : denn wenn bei diesen Bewegungen sich auch gewisse Abschnitte oder
wenn wir wollen Einschnitte bemerken lassen, so sind doch diese nicht der
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6
Ariistoxenus rhythmische Element« § 1.
Art, dasB sie das Gefühl einer geordneten Bewegung in uns erwecken. Da-
gegen wird die Bewegung des Tropfenfalles eine rhythmische heissen dürfen:
denn die dadurch ausgefüllte Zeit wird bei den Intervallen der aufeinander
folgenden Tropfen in nahezu gleichmässige Abschnitte zertheilt Ebenso wird
die Bewegung des schwingenden Pendels, des Pulsschlages (x(vt)ou twv <iptrr
ptfi>v Aristid. de mus. II. p. 98 Meib.) aus demselben Grunde eine rhythmische
sein. (Cicero de orat. 3 § 186 sagt vom Rhythmus: „In cadentibus guttis
quod intervallis distinguuntur, notare possumus, in amni praecipitanti non
possumus" „Beim Tropfenfalle, weil sich hier die Zwischenräume unterscheiden
lassen, können wir den Rhythmus bemerken, bei dem Rauschen des Stromes
können wir es nicht."
„Es ist für den Rhythmus wesentlich, dass die aufeinander folgenden Grenz-
scheiden der einzelnen Zeitabschnitte nicht so weit auseinander liegen, üass
wir nicht anders als vermöge -einer gewissen Reflexion ihrer Zusammengehörig-
keit uns bewusst werden. Die Zeit des Tages zerfällt durch die hörbaren
Glockenschläge der Thurmuhr in geordnete Abschnitte von gleicher Zeitdauer,
aber es ist uns unmöglich, ein unmittelbares Bewusstsein von der Gleichheit
dieser Zeittheile durch unser die einzelnen Stundenangaben vernehmendes Ohr
zu erhalten. Noch weniger werden wir die gleichmässige Eintheilung in Tage
und Nächte, so empfindlich dieselbe sich auch unseren Sinnen aufdrängt, eine
rhythmische nennen können."
„Die Sinne, welche zur Wahrnehmung des in der Natur vorhandenen
Rhythmus dienen, sind der Gesichts-, der Gehör- und der Tastsinn.
Der Tastsinn vermittelt uns die Gleichmässigkeit des Pulsschlages.
Das Gehör die Gleichmässigkeit des Tropfenfalles.
Ohr und Auge zusammen die rhythmische Bewegung des Pendels.
Es sind dieselben Sinne, durch welche überhaupt eine Bewegung sich ver-
nehmen lässt — sie sind es auch, durch welche uns der Begriff des Geordne-
ten und Gesetzmässigen , des Maasses vermittelt wird und die deshalb in der
modernen Physiologie als die messenden Sinne vor den übrigen ausgezeich-
net werden."
Der Rhythmus der Musik wird uns nur durch zwei der messenden Sinne,
das Gesicht und das Gehör vermittelt.
Schon Aristoxenus scheint in seinem ersten Buche diese Vermittelung des
Rhythmus durch die drei messenden Sinne besprochen zu haben, wenn anders,
wie es doch mehr als wahrscheinlich ist, aus Aristoxenus geschöpft ist was
Aristides Quintilian an derselben Stelle überliefert:
„Jeder Rhythmus (der Rhythmus in der zweiten und der dritten der vor-
her angegebenen Bedeutungen) wird durch diese drei Sinne erfasst:
den Gesichtssinn bei der Orchestik,
den Gehörsinn beim Melos,
den Tastsinn bei den Schlägen der Adern.
Der Rhythmus der Musik aber wird durch zwei Sinne vermittelt, den Ge-
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>
I. Zeitgrössen des Rhythmus und des Rhythmizomenon.
7
sichtssinn und den Gehörsinn (durch das Auge die Orchestik, durch das Ohr
das Meioe und die Poesie)". Musik wird hier also in einem weiteren Sinne als
gewöhnlich bei uns gebraucht, es wird ausser Tonkunst, der Musik im engeren
Sinne, auch die Dichtkunst und die Tanzkunst darunter begriffen, die drei
musischen Künste der Griechen, die den drei apotelestischen Künsten: Archi-
tektur, Plastik und Malerei entgegengesetzt sind. Griech. Rhyth und Hann.
1867 § 1.
Aristides fahrt weiter fort:
Rhythmiairt wird in der Musik, d. i. in den drei musischen
Künsten die orchestische Körper-Bewegung, das Melos und der
Worttext. fDas sind die drei Rhythmizomena Aristox. Rh. El.
§ 9). Ein jedes Rhythmizomenon kommt entweder für sich allein
zur Anschauung oder zugleich mit den beiden andern, speziell
mit nur einem der beiden oder mit beiden zugleich.
Das Melos bloss für sich allein in den Tonleitern und rhyth-
muslosen Melodien,
bloss mit dem Rhythmus (aber ohne Worttext) in den Instru-
mentalsätzen und Instrumental-Kola,
bloss mit Worttext (aber ohne Rhythmus) in den sogenann-
ten xcy ufx£va» aa^ata;
der Rhythmus bloss für sich allein in dem blossenTanze (ohne
Musik und. ohne Text),
der Rhythmus mit dem Melos (aber ohne Worttext) in den
Kola,
der Rhythmus mit blossem Worttexte in den Gedichten mit
fingirter Action, wie denen des Sotades und ähnlichen.
Wie der Worttext mit einem jeden von beiden, dem Melos und
dem Rhythmus zur Erscheinung kommt, ist in dem vori-
gen angegeben.
Alle drei Rhythmizomena vereint, ergeben die vollständige
Ode (z.B. die Ode Piudars, bei welcher der poetische Text
zugleich gesungen und orchestisch dargestellt wird).
Den Worten „xal tI aiträv Ixdory owSxeiTai" § 1 zufolge hat Aristoxenus
von den Rhythmizomena auch schon Hb. I gesprochen. Dass die Aristideische
Darstellung von der Combinirung oder Isolirung der drei Rhythmizomena schon
bei Aristoxenus vorkam und daher entlehnt ist, wird um so mehr wahrschein-
lich als auch schon die Poetik des Aristoteles mit jener „Combinirung (fAefUY-
fi£va>;)" oder „Isolirung (^mpl;)" der Lexis und des Melos beginnt.
Hiernach (nach Aristides und Aristoteles) lassen sich für die musische
Kunst der Alten folgende Kunstzweige unterscheiden:
A. Ohne Orchestik.
1. Yocal-Musik: Gesungeue Poesie mit Instrumentalbegleitung ()i£ic und
ja4Xo;).
2. Recitations-Poesie: (^tX-fj ^(Aerpoc
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8 Ariatoxenus rhythmwehe Elemente § 2. 3. 4.
3. Instrumental-Musik: (6tXV) a&X7]ot«, xiftctptaic).
4. Recitations-Poesie mit gleichzeitiger Instrumentalmusik, Melodram, bei
den alten Parakatologe genannt: Plutarch de mus XVII, Aristolet.
problem 19, 6.
5. Blosser Gesang ohne Instrumentalbegleitung hatte bei den Griechen
wenigstens als ausgebildete Kunstform keine Stelle.
B. Mit Orchestik.
1. Chor-Gesang: gesungene Poesie der Choreuten mit Instrumentalbeglei-
tung und orchestischer Bewegung, die „vollständige Ode" nach Aristides.
2. Recitations-Poesie mit Orchestik verbunden, nach Aristides die Gedichte
des Sotades. Höchst wahrscheinlich wurden sie zur Zeit ihrer Abfas-
sung unter den Ptolemaeern auf dem Theater mit wirklicher Action
dargestellt. Die Späteren, welche jene Dichtungen mit Vorliebe lasen,
mussten sich die Action hinzudenken, daher „fingirte Action."
3. Instrumentalmusik mit Orchestik, unser jetziges Ballet, welches bei
unserem heurigen Publikum ebenso beliebt, wie in seinem musischen
Kunstwerthe meist bedeutungslos ist. Dem klassischen Hellenenthume
war diese Kunstgattung fremd: sie ist erst ein Product der römischen
Kaiserzeit (Pantominus).
-
4. Orchestik ohne Musik, kann immer nur eine untergeordnete Kunstgat-
tung gewesen sein. Gleichwohl wird sie von Aristoteles poetik c. 1
erwähnt, wo durch die Worte oüxtp tü> jMh*$ toicitoi t9)v filjA-rjoiv
ytu&i; äpjxovta« die Instrumentalmusik von irgend einer Gattung der
Orchestik ausdrücklich ausgeschlossen wird.
§ 2. Das» es der Rhythmus mit Zeitgrössen und ihrer Wahr-
nehmung zu thun hät, ist zwar ebenfalls schon im Vorausgehenden
zur Sprache gekommen, muss aber hier wiederholt werden, da jener
Satz gewis8ermaassen der Ausgangspunkt der wissenschaftlichen
Rhythmik ist.
Aus der hier angezogenen Stelle des vorausgehenden ersten Buches möchte
wohl das Fragment entlehnt sein bei Bachius p. 23 M:
Rhythmus ist nach Aristoxenos die Zeit, zerfällt von einem jedem
der rhy thmisirbaren Stoffe,
und bei Planud in Hermog. V, 454 Walz:
Rhythmus ist, wie Ariatoxenus und [nach ihm] Hephaestion sagt, die
Ordnung der Zeiten. Vgl. Arist. rh. El. § 7.
Rhythmus und Rhjthmizomenon verhalten sich zu einander wie die
Gestalt und das Gestaltete.
§ 3. Man denke sich diese zwei — Naturen, möcht' ich sagen
— die des Rhythmus und die des Rhythmizomenon in einem ähn-
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I. Zeitgrossen des Rhythmus und des Rhythmizomenon.
9
liehen Verhältnisse zu einander wie dasjenige, in welchem die Ge-
stalt und das Gestaltete, die ihrerseits ebenfalls nicht dasselbe sind,
zu einander stehen.
Dasselbe Bhytbmlzomenon kann der Ausdruck verschiedener rhyth-
mischer Formen sein.
■
§ 4. Wie die Materie verschiedene Formen annimmt, wenn
alle oder auch nur einzelne Theile derselben auf verschiedene Weise
geordnet werden, so kann auch eine und dieselbe als Rhythmizomenon
dienende Gruppe von sprachlichen Lauten oder von Tönen verschie-
dene rhythmische Formen annehmen, jedoch nicht vermöge der
eigenen Natur der Rhythmizomenon, sondern kraft des formenden
Rhythmus. So stellen sich, wenn man dieselbe Lexis d. i. die
nämliche Sylbengruppe in verschiedene Zeitabschnitte zerlegt, Ver-
schiedenheiten heraus, welche im Wesen des Rhythmus selber liegen.
Ebenso wie mit den Sylben verhält es sich auch mit den Tönen.
Ein Beispiel hierfür enthält der Anonymus Bellermann's § 97 und 100.
'EcdoTjfio; (sechszeitig):
§3
Tz
-M--
Tcf^ctoTjfi.o; (vierzeitig):
-t—
Ein anderes Beispiel bei Bach Kunst der Fuge Nr. 1 und Nr. 12, zu-
erst daktylischer, dann ionischer Rhythmus:
Daktylischer Rhythmus:
t.
-* — \
1-
Jonischer Rhythmus:
-j.
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10
Aristoxenus rhythmische Elemente § 4. 5. 6. 7
Das Beispiel eines poetischen Worttextes, der ohne Aenderong der Lexis
auf zwei verschiedene Weisen zu einem Rhythmus verwandt werden kann,
liefert Pindar Pyth. 2. Boeckh hat die Anfangsworte der Strophe als einen
Dochmius gefasst:
MrfaXort<SXiec a>
die Rossbach- Westphal'sche Rhythmik vom Jahre 1854 fasst den ganzen ersten
Vers als einen trocbaeischen :
MtfaXördXu; a> Supdxo | oai ßo8u7ioX^(ioj
Für beide rhythmische Auflassungen ist die äussere Möglichkeit vorhanden, ob-
wohl Pindar selber nur die zweite Auffassung, nicht die Boeckh'sche im Sinne
gehabt haben kann, wie wir an dieser Stelle nicht weiter nachzuweisen brauchen.
In allen diesen Fällen beruhen aber die verschiedenen rhyth-
mischen Formen desselben Rhythmizomenon nicht in der Natur der
Sprachsylben und der Töne selber, sondern sie empfangen diese
Formen durch etwas, dem sie an sich fremd sind, nämlich durch
den formenden Rhythmus.
An sich haben weder die Töne noch die Sprache mit dem Rhythmus etwas
zu thun, sie sind an sich nur des Rhythmus fähig; der Rhythmus wird beiden
erst durch den schaffenden Künstler gegeben und es beruht in seinem freien
künstlerischen Ermessen, wie er beides dem Rhythmus unterordnen will, oder
mit anderen Worten: wie er es zum Ausdruck des Rhythmus machen will.
Die Sylben der Sprache haben an sich zftar eine bestimmte Zeitdauer, sie
haben auch bestimmte Accente, durch welche in den modernen Sprachen ein-
zelne Gruppen von Sylben sich zu bestimmten Zeitabschnitten vereinigen. Aber
durch Sylbenlänge und Wortacccnt ist noch kein Rhythmus gegeben.
§ 5. Gehen wir nun weiter auf die Analogie ein, welche zwi-
schen dem Rhythmizomenon und der gestalteten Materie einerseits,
und dann zwischen dem Rhythmus und der Gestalt andererseits be-
steht, so müssen wir sagen: die Materie, in deren Wesen es liegt,
sich gestalten zu lassen, ist niemals mit der Gestalt oder Form
dasselbe, sondern es ist die Form eine bestimmte Anordnung der
Theile der Materie. Ebenso ist auch der Rhythmus mit dem Rhythmi-
zomenon niemals identisch, sondern er ist dasjenige, welches das
Rhythmizomenon in irgend einer Weise anordnet und ihm in Be-
ziehung auf die Zeitabschnitte diese oder jene Form giebt
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I. Zeitgrössen des Rhythmus und des Rhythmizomenon. H
Rhythmus kann ohne Rhythmizomenon keine Realität haben.
§ 6. Die Analogien gehen noch weiter. Die Form kann näm-
lich keine Realität haben, wenn nicht eine Materie vorhanden ist,
an der sie sich abprägt. Ebenso kann kein Rhythmus existiren,
wenn kein Stoff vorhanden ist, der den Rhythmus annimmt und die
Zeit in Abschnitte zerlegt. Denn wie schon im ersten Buche gesagt :
Selber kann sich die abstracto Zeit nicht, in Abschnitte zerlegen,
es mus8 vielmehr etwas Sinnliches vorhanden sein, durch welches
die Zeit zerlegt werden kann.
Das Rhythmizomenon also, so darf man sagen, muss aus ein-
zelnen, sinnlich wahrnehmbaren Theilen bestehen, durch welche es
die Zeit in Abschnitte zerfallen kann.
„Sinnlich Wahrnehmbar'4, weil der Rhythmus sonst nicht zur äusseren
Erscheinung kommen kann.
Mit §§ 3, 4, ö, 6 hat sich Aristoxenus vollständig auf den Standpunkt der
Aristotelischen Metaphysik gestellt und in Aristotelischer Weise die Abstrac-
tion des Rhythmus vollzogen. Vom Platonischen Standpunkte hätte Aristoxe-
nus gesagt: Der Rhythmus ist eine ewige Idee, vom Anbeginne dem Geiste
immanent (zunächst dem Geiste des Demiurgen, — aus dem Geiste des Demi-
urgen auch in den menschlichen Geist eingepflanzt), der Rhythmus hat also
auch eine selbständige ewige Existenz, er hat auch ohne das Rhythmizomenon
Realität. Aristoteles würde den an und für sich selbständigen Rhythmus ra Abrede
stellen, so gut er für Piatos Ideen ohne die Materie die Realität in Ab-
rede stellt. Die Identität der rhythmischen Formen in' den musischen Kunst-
werken der hellenischen und der modernen Kunst, ohne dasa irgend eine Brücke
der Tradition von der alten zu der neuen vorhanden ist, spricht für die Auf-
fassung von der selbständigen Existenz der Idee des Rhythmus im Sinne
Piatos: wenigstens hat der Rhythmus das griechische Alterthum überdauert
und zeigt sich gerade so wieder bei den christlich-modernen Künstlern, ohne
dass ihn diese auf irgend eine Weise von dorther überkommen hätten.
-
Nicht jede Anordnung des Rhythmizomenon ist Rhythmus;
sie kann anch Arrhythmie sein.
§ 7. Es ist nun aber, um den Rhythmus zur Erscheinung kom-
men zu lassen, nicht genug, dass die Zeit durch die sinnlich wahr-
nehmbaren Theiie eines Rhythmizomenon in Abschnitte zerlegt wird,
sondern wir müssen in Uebereinstimmung mit dem im ersten Buche
aufgestellten Principe und ebenso in Uebereinstimmung mit den
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■
12 Aristoxenus rhythmische Elemente § 8. 9. 10.
Thatsachen der Erfahrung den Satz aufstellen, dass nur dann Rhyth-
mus vorhanden ist, wenn die Zertheilung der Zeit nach einer be-
stimmten Ordnung geschieht; denn keineswegs ist eine jede Art, die
Zeitabschnitte anzuordnen, eine rhythmische.
§ 8. Man mag es nun zunächst ohne Weiteres annehmen, dass
nicht jede Anordnung der Zeitabschnitte eine rhythmische ist, später
wird es aus der näheren Darstellung der Rhythmik von selber klar
werden (§31 ff.). Indess lässt es sich vorläufig durch eine Analogie
anschaulich machen. Einem jeden ist es in Beziehung auf die Ver-
bindung der Sprachlaute (Vocale und Consonauten) bekannt, dass
wir weder beim Sprechen die Laute, noch in der Melodie und Har-
monie die Töne in jeder möglichen Weise mit einander verbinden,
sondern dass es hier nur einige wenige zulässige Arten giebt, — dass
es dagegen viele Weisen giebt, in welchen die Laute und die Töne
sich nicht verbinden lassen und von unserer Aisthesis verworfen
werden: es giebt viel weniger Arten der harmonischen Gruppirung
der Töne als der unharmonischen und unmelodischen Aufeinander-
folge. Eben dasselbe wird sich , nun im weiteren Fortgange (§31 ff.)
auch für die Zeitabschnitte ergeben. Denn gar manche denkbare
Lautgrössen, in gleichinässiger Folge gedacht, und gar manche Arten
von Gliederungen der Laute widerstreben dem rhythmischen Gefühle,
nur wenige sind dem rhythmischen Gefühle nach zulässig und von
der Art, dass sie der Natur des Rhythmus entsprechen. Nicht nur
den Rhythmus, sondern auch die Arrhythmie kann das Rhythini-
zomenon darstellen, es kann eine errhythmische und eine arrhyth-
mische Gestalt annehmen, und man darf das Rhythmizomenon als
ein Substrat bezeichnen, welches sich in alle möglichen Zeitgrössen
und alle möglichen Gliederungen bringen lässt
Die Theile der drei Rhythmisomena.
§ 9. Die Zerlegung der Zeit wird von jedem Rhythmizomenon
vermittels seiner Theile vollzogen. Solcher Rhythmizomena giebt es
drei: Sprachtext, Melos, Körperbewegung der Orchestik.
Hiernach wird der Sprachtext die Zeit zerlegen durch seine
Theile als da sind: vocalische und consonantische Laute, Sylben,
Worte und alles derartige (nämlich Sätze.)
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I. Zeitgröeien des Rhythmus und des Rhythmizomenon. 13
Das Melos durch die ihm eigenen Töne, Intervalle, Systeme. •
Die Körperbewegung der Orchestik durch Semeia und Schemata
und was sonst noch ein solcher Theil der Bewegung ist
Chronos protos und seine Multipla.
§ 10. Was die Namen der Zeitgrössen betrifft, so heiss' ich
Chrtfnos prötos diejenige, welche durch keines der Rhythmizomena
einer Zerlegung fähig ist; Chronos dfsemos, trisemos, tetrasemos
diejenige, in welcher der Chronos protos zwei, drei, vier Mal enthal-
ten ist (zweizeitige, dreizeitige, vierzeitige Grösse) und in entspre-
chender Weise auch die übrigen Grössen (bis zum Chronos pentekai-
eikosa-semos, der 25-zeitigen Grösse) (der grössten, welche Aristo-
xenus erwähnt).
Aristoxenus drückt die rhythmische Grösse, die als ein Multiplum des
Chronos protos bestimmt wird, stets durch ein Compositum mit „ = semos"
aus. Das simplex „Sema", auf welches diese Composita zurückgehen, kommt
in der Bedeutung von Chronos protos nicht vor, erscheint aber als Randglosse
zu unserer Stelle im Codex Vaticanus (zu den Worten „welche durch keines
der Rhythmizomena einer Zerlegung fähig ist*'). Dieselben Composita mit
= sümos kommen auch in den rhythmischen Zuschriften zu den Musikbeispielen
des Anonymus § 97—104 und zu dem notirten Texte des Mesomedischen Hym-
nus auf die Muse vor („4 oe f>ydfio; otu&exdor(|xo<;"). Ferner sind diese Compo-
sita bei Aristides Quintilianos und im Fragm. Parisinum im Gebrauch, auch
bei Fab. Quintil. inst. 9, 4, 51, wo die Erklärung gegeben wird „nam <rr,|xeiov
tempus unum est." Auch in solchen Stellen des Metrikers Marius Victorinus,
welche darauf hindeuten, dass sie aus einer rhythmischen Quelle stammen.
Hier findet sich für die Zeitdauer eines Chronos protos auch das Compositum
„monosemos" gebraucht, welches sich wieder bei Aristoxenus nicht findet. Sonst
gebrauchen die Metriker statt des Aristoxenischen „disi-mos, trisemos, tetrase-
mus" die Composita „dkhronos, trichrouos, tetrachronos" Hephaest. c. 3 eine
Composition, in welcher das Wort Chronos in der Bedeutung von Chronos
protos gebraucht ist. Zuerst bei Dionysius de comp, verbor. 17. Deutsch wird
sowohl „disemos, trisemos" wie „dichrouos, trichronos" durch „zweizeitig, drei-
zeitig" wiedergegeben.
Bei Aristides Quintil. (aber niemals bei Aristoxenus) wird für Chronos
protos der Terminus „Semeion" angewandt. Auch im Fragm. Parisin. Es
scheint dieser Gebrauch auf dieselbe rhythmische Quelle zurückzugehen, der
auch Fabius Quintilian die Stelle inst. 9, 4, 51 von der Bedeutung des
Wortes Semeion als „tempus unum" entnommen hat, umsomehr, als in beiden
für Versfus« abweicheud von Aristoxenus das Wort }>j8a6; statt t:oj; ge-
braucht wird.
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14
Aristoxenus rhythmische Elemente § 11. 12.
§ 11. Die Bedeutung des Chronos protos muss man auf fol-
gende Weise zu begreifen versuchen. Eine der vom Gefühle sehr
deutlich empfundenen Wahrnehmungen ist die, dass die Geschwin-
digkeiten der Bewegungen keine Beschleunigung bis ins Unendliche
erfahren, sondern dass irgendwo ein Stillstand in der Verkleinerung
eintritt, in welche man die Theile dessen setzt, was bewegt' wird,
wohlverstanden, in der Art bewegt wird, wie sich die Stimme be-
wegt beim Sprechen und Singen und unser Körper, wenn man tak-
tirt oder tanzt oder sonstige Bewegungen der Art ausfuhrt Bei
der Ersichtlichkeit dieses Sachverhaltes ist es einleuchtend, dass es
gewisse kleinste Zeiten unter den Zeiten*) giebt, in welchen der ein
Melos ausführende einen jeden seiner Töne unterbringt. Dasselbe
gilt selbstverständlich auch wenn es sich um Silben oder um Se-
meia der Orchestik handelt. Dass aber diejenigen Zeiten, welche
die „kleinsten" sind, weder durch zwei Töne noch durch zwei Sylben
noch durch zwei Semeia der Orchestik getheilt werden können,
ist klar.
*) Die handschriftliche Ueberlieferung des Aristoxenischen Textes an
dieser Stelle lautet:
Toutojn Ik ojtojc £yeiv cpaivo|A£vuW 8f,).ov Zxi dvafxaf<Sv dativ dv»i -iva;
•/Iotou; yp^vou; dv ol; 6 fj-cXtuStuv O^oet xu>v <p9<$YY«uv Sxciötov.
Die Handschriften sind corrumpirt. Es ist nothwendig das Wort £Xa/to-
tou; ypovou; in iXay toxou; täv yp4vt»v zu ändern, damit ein verständlicher Sinu
herauskommt. Man mag sich mühen, wie mau will: mit „D.aylawj; yp'ivoj;"
wird man nicht fertig, dagegen ist bei iXayjoToy; täv ypW; Alles klar und
verständig.
§ 12. Die Zeit nun, auf welche in keiner Weise weder 2 Töne,
noch 2 Sylben, noch 2 Semeia der Orchestik kommen können, die
wollen wir Chronos protos nennen. Auf welche Weise aber die
Empfindung zu diesem Chronos protos gelangt, das wird in dem
Abschnitte von den Takt-Schemata klar werden (vergl. unten).
Wäre Aristoxenus' Rhythmik früher bekannt geworden, so würde für
die Theorie der modernen Rhythmik sicher längst der Terminus „Chronos pro-
tos" in Gebrauch genommen worden sein, so gut wie andere Ausdrücke der
antiken Rhythmik: Thesis, Arsis, Periode, GUed. Denn der Chronos protos
ist auch für unsere Musik, sowohl die vocale als instrumentale, ein wichtiger
Fundameutalbegriff. Wir können ihn definiren: Chronos protos ist der dritte
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I. Zcitgrössen de« Rhythmus und des Rhythmizomenon.
15
Theil eines trochaeischen, der vierte Theil eines daktylischen Versfusses. Doch
da auch der Begriff des Versfusses wenigstens für unsere Instrumentalmusik
bis jetzt kein allgemein geläufiger ist, so wollen wir uns den Begriff des Chronos
protos durch folgendes klar machen.
Die Rhythmen unserer Musik sind entweder gerade oder ungerade Rhyth-
men, die letzteren zerfallen wieder in trochaeische und ionische. Die trochaei-
schen Rhythmen werden dadurch von dem Componisten angedeutet, dass er
die Taktvorzeichen , g" > "j" > g" > ' 4" ' g" ' 16 6ebraucnt- Bei trochaei-
schem Rhythmus — aber nur bei diesem, nicht bei dem die gleichen Vorzeichen
fahrenden ionischen — ist jede der im Takt -Nenner vorgemerkten Zeit-
Einheiten (jedes Viertel, jedes Achtel, jedes Sechszehutel) genau dasjenige, was
Aristoxenus Chronos protos nennt. Ist mit jenen Vorzeichen aber der ionische
Rhythmus gemeint, so ist jede der vorgemerkten Zeiteinheiten genau dasselbe
was Aristoxenus einen Chronos disemos nennt. Und ferner ist zu merken,
dass dieselben Taktvorzeicheu oft auch derartige sind, welche wir passend als
triolische bezeichnen können. Das kommt vor bei daktylischen und ionischen
(nicht bei trochaeischen) Rhythmus. Vgl. meine Auseinandersetzung in der
Theorie des musikalischen Rhythmus seit J. S. Bach. Ebendaselbst ist ange-.
geben, wie es sicli bei dem daktylischen Rhythmus mit dem Chronos protoe
verhalt Im Allgemeinen aber wird man sich aus den oben angeführten Vor-
zeichnungen des trochaeischen Rhythmus eine vollständig adaequate Anschau-
ung des Aristoxenischen Chronos protos verschaffen können.
Im trochaeischen Rhytlunus bedeutet das durch die Taktvorzeichnung
angegebene Viertel, Achtel, Sechszehntel den Chronos protos. Also J J J oder
H"j oder J"j^j werden liier je nach der betreffenden Vorzeichnung einen
Chronos trisemos bedeuten.
Auch im daktylischen Rhytlunus wird der Chronos protos entweder durch
, oder durch f oder durch £ ausgedrückt, nur dass diese Werthgrösseu nicht
durch das Taktvorzeichen ausdrücklich angemerkt sind. In entsprechender
Weise hat dann J J f } #R den Werth des Chronos disemos; J J J J
j j j j JTTj ^en ^ ertü ^es Chronos tetrasemos. Sehr selten bezeichnet
der Componist den Chronos protos im daktylischen Rhythmus durch j^; dann ist
— ein Chronos disemos, oder 5- ein Chronos tetrasemos.
0 0 '0 0 0 0 0 0
Wir nennen die verschiedenen Ausdrucksweisen des Chronos protos
die Viertel-Schreibung,
die Achtel-Schreibung,
die Sechszehntel-Schreibung,
die Zweiunddreissigstel-Schreibung.
16
Aristoxenus rhythmische Elcmeute § 13. 14. 15.
Das von Aristoxenus angegebene Gesetz der griechischen Rhythmik, dass
der Chronos protos niemals in kleinere Zeitgrössen zertheilt werden kann, fin-
det sich auch noch in unserer älteren Instrumental- Musik festgehalten. In den
Clavicr- und Orgel-Fugen Bachs, auch Handels kommen nur wenige Ausnah-
men von dem Aristoxenischen Gesetze vor. Haydn, Mozart, Beethoven dagegen
zertheilen den Chronos pro tos häufig genug; eine ganz gewöhnliche Form bei
ihnen ist, dass der Chronos protos halbirt, also J in ^ ? £ in ^ zerlegt wird.
Ob Bach in seinen Fugen die Achtel- oder Sechszehntel -Schreibung an-
wendet (die Sechszehntel-Schreibung ist bei ihm die häufigste, die Viertel-
Schreibung kommt dort nicht vor), das hängt bei ihm von dem Tempo ab.
Bei langsamem Tempo hat der Chronos protos eine längere, bei rascherem
Tempo eine kürzere Note. Bei den späteren Componisten ist das anders. Sie
richten sich mit den verschiedenen Schreibungen nicht nach dem Tempo, son-
dern nach dem Ausdrucke, in dem die Composition vorgetragen werden soll.
Bei grösserer Gravität wird der Chronos protos durch längere Note, bei grös-
serer Leichtigkeit durch kürzere Note ausgedrückt. Doch giebt es so viele
Ausnahmen, dass nicht sowohl der dem Vortrage zu gebende Ausdruck, als
vielmehr ein gewisses Herkommen, welches nicht immer vollständig zu erklären
ist, die Schreibung des Chronos protos bestimmt So wendet Beethoven für
das mit dem Ausdrucke der grössten Leichtigkeit vorzutragende Scherzo stets
die Viertel-Schreibung an, während Bach und Händel in der entsprechenden
Musikform (der Giga) die Sechszehntel-Schreibung anwenden; die Viertel-
Schreibung kommt bei Bach vorwiegend in seinen Choralvorspielen für Orgel vor.
Bei einiger Aufmerksamkeit und Uebung kommt man leicht dahin, was
bei unseren Componisten dem Chronos protos des Aristoxenus entspricht Ohne
dies zu wissen und lebendig zu fühlen, ist es schwer den Rhythmus, welchen
der Componist im Auge hat, zu treffen. Versteht man aber, was es mit unse-
ren Taktbezeichnungen für eine Bewandniss hat, so wird man die Aristoxeni-
sehen Taktbenennungen: sechszeitig u. s. w. als einheitlichen Namen für^.,
6 6
-g- ^- - Takt kaum entbehren können.
Einfache und zusammengesetzte Zeitgrösse vom Standpunkte der
Rhythmopoeie.
§ 13. Weiterhin reden wir auch von einer unzusamm engesetz-
ten Zeit mit Bezug auf ihre Verwendung in der Rhythmopoeie.
Dass Rhythmopoeie und Rhythmus nicht identiscli ist, lässt sich
freilich augenblicklich noch nicht so leicht klar machen, inzwischen
möge folgende Parallele die Ueberzeugung davon anbahnen. Wir
haben am Wesen des Melos die Anschauung gewonnen, dass Ton-
system und Melopoeie nicht dasselbe sind; auch Ton nicht, auch
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I. Zeitgrössen des Rhythmus und des Rhythmizomenon. 17
nicht Tongeschlecht und auch Metabole (melischer Wechsel) nicht.
Genau so muss man sich die Sache bezüglich des Rhythmus und
der Rhythmopoeie vorstellen. Die Melopoeie haben wir doch wohl
als eine Anwendung des Melos kennen gelernt, — in derselben
Weise dürfen wir auf dem Gebiete der Rhythmik von der Rhythmo-
poeie behaupten, dass sie eine Anwendung sei. Wir werden das
im weiteren Verlaufe unserer Pragmatie schon deutlicher verstehen.
§ 14. TJnzusammengesetzt mit Bezug auf die Anwendung der
Rhythmopoeie wollen wir eine Zeitgrösse beispielsweise in folgendem
Falle nennen. Wird irgend eine Zeitgrösse von Einer Sylbe oder
Einem Tone oder Einem Semeion der Orchestik ausgefüllt sein, so
werden wir diesen Zeitwerth un zusammengesetzt nennen; wird
aber derselbe Zeitwerth von mehreren Tönen oder Sylben oder or-
chestischen Semeia ausgefüllt sein, so wird er eine zusammen- .
gesetzte Zeit genannt werden.
Ein Analogon für das Gesagte kann die Pragmatie des Hermosm6-
non (Harm. I.) liefern. Denn auch dort ist dasselbe Megethos im enhar-
monischen Ton geschlechte ein zusammengesetztes, im Chroma ein un-
zusammengesetztes; und wiederum im Diatonon ein unzusammeu-
gesetztes, im Chroma ein zusammengesetztes; bisweilen ist das näm-
liche Megethos sowohl ein unzusammengesetztes wie ein zusammen-
gesetztes, jedoch nicht an derselben Stelle des Systemes.
Das harmonische Beispiel unterscheidet sich von dem rhythmi-
schen Satze dadurch, dass die Zeitgrösse durch den Einfluss der Rhyth-
mopoeie bald eine unzusammengesetzte, bald eine zusammengesetzte
werden kann, das Intervall aber durch die Ordnung des Tonge-
schlechtes oder durch seinen Platz im Systeme. Soviel über unzu-
sammengesetzte und zusammengesetzte Zeit im Allgemeinen.
§ 15. Nachdem sich aber unser Satz in der angegebenen Weise
zerlegt hat, heisst schlechthin unzusammengesetzt die von
keinem der Rhythmizomena zerlegte Zeit, schlechthin zusam-
mengesetzte die von allen Rhythmizomena zerlegte, gemischte
Zeitgrösse diejenige, welche von Einem Tone, aber zugleich
von mehreren Sylben eingenommen, oder umgekehrt von Einor
Sylbe, aber mehreren Tönen ausgefüllt wird.
Ariitoseno«. Mellk u. Rhythmik. 2
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18
Aristoxenus rhythmische Elemente § 15.
Für die gemischten Zeitgrössen der zweiten Art finden sich Bei-
spiele in dem melodisirten Texte des Mesomedes. Bellerniann die Hymnen des
Dionysios und Mesomedes, Westphal griechische Rhythmik und Harmonik 1867,
S. 54—65. Die Taktvorzeichnung nach Bach wohltemp. Ciavier 2, 5 Praelud.
vgl. unten im Abschnitte vom Takt-Schema.
Hymn. in Musam 4.
i - {xdc ^piva« fco - vei - tcu
M X I <J> C f M<j) C
in Helium 17, 19.
XCU - Xtt>V UTO OUpfAOOt [A<5(T/CUV
To - Xu - ei - (xo-va xös-jaov i - Xlo - aaiv
in Kemesin 9.
M I X I M I <}> C P M P C
3 b — >— £5:=*
in Helium 15.
MMMMMM P M C C <}>
■jXau-xd Ü *d-poi-8c oe - Xd • va
C P M M M C P M M I \ M
In Mus. 4 ist die Sylbe va; (in q>p£vas) ein yp<Wo« [mxtöc, und ebenso die
8ylbe v« (in loveltw).
In Hei. 17 ist die Sylbe Xeu (in Xeuxüv) und poo (in (xöoycov) ein {«*t<5«.
In Hei. 19 die Sylbe Xic (in eXloocuv).
In Nemes. 9 die Sylbe ßat (in ßalvctc).
In Hei. 15 die Sylbe Xd (in os/.dva).
Beispiele für gemischte Zeitgrössen der ersten Art (mehrere Syl-
ben auf demselben Tone) können nicht gut andere sein als etwa folgende:
In Nemesin 9: „X-f,ftou3o hi rdp' wS" sechs Sylben auf demselben Tone c.
In Helium 15: „ — xd ht ndp — " drei Sylben auf demselben Tone c
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I. Zeitgrössen des Rhythmus und dea Rhythnuzomenon.
19
Freilich wäre es correcter gewesen, wenn Aristoxenus nicht gesagt hätte:
xaTaXtj^pfrJJvcu", sondern „usi guXXaßuft rcXciövcov pev, <icl p.iök &i Tcfoctnc"
nach der ersten Harmonik § 30, 31 d. i. auf Einer Tonstufe.
Beispiele filr die schlechthin unzusammengesetzten Zeitgrössen
sind alle i&ovöotjiaoi und Star^ot ooXXaßal des Mesomedischen Textes und folgende
daä fctarjfiov pi^cflo; überschreitende Te?p4(9T)|A0i ov/.Xajäotl:
in Helium 2.
in Helium 3.
cj> M M M M C i|> M I A M
irravot; uz l/-vto-ot Ii - d> - xet<
M I M I P M I :\M
in
10.
m u u u u e 2 e u
fvj - poO|jLt-vov aü-^e va %Xl • vei«
in Nemesin 13.
K (j) p p M I f MAM
CvyÄv (AE-fd y ei-pa xpa - tgü - oa
<J> M M M r C M l K I
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20 Aristoxenus rhythmische Elemente § 16.
IL
TAKTLEHRE,
t
1. TAKTLEliKE IM ALLGEMEINEN,
a. Takt.
§ 16. Dasjenige, wodurch wir den Rhythmus markiren und
der Aisthesis fasslich machen, ist ein Takt oder mehr als Einer.
Marquard im exegetisch. Cominentar S. 302: „Ich möchte den Ausdruck
„des Aristoxenus so verstehen, „die Füsse, mit welchen wir den Rhyth-
mus bezeichnen" (ich wähle absichtlich diesen allgemeinen Ausdruck) sind
„die einfachen Füsse. aus welchen der Rhythmus besteht, durch welche ich also
„auch sein eigentliches Wesen am genauesten bezeichne, d. h. für das Auge
„„notire", für das Ohr „taktire". Habe ich z. B. den Rhythmus
— W — > — J — — N_X|f
„so ist der Fuss, durch welchen ich diesen bezeichne, nicht
- w - ^,
„sondern
.«
— .
Man kommt bei Aristoxenus »am leichtesten zu einem richtigen Verständ-
nisse, wenn man das Wort „irovs" nicht mit „Fuss", sondern mit „Takt" über-
setzt, do'jvBeroi rcoy; durch „einfacher", aiivötTo; rov>; durch zusammengesetzter
Takt. Was wir Fuss oder Versfuss nennen, kann zwar das Aristoxenisehe
ttoj; auch bezeichnen, doch fällt Fuss oder Versfuss unter die Kategorie des
tcöü; dauvöexo;:
1. ± w
einfacher oder monopodischer Takt, hat 2 Chronoi podikoi : eine Thesis, eine ArsisT
2. ± \j s. w
zusammengesetzter dipodischer Takt, hat 2 Chronoi podikoi, den einen Fuss als
Thesis, den anderen als Arsis, u. s. w. bis zur 3. Tripodie und 4. Tetrapodie
(jeder Fuss ein Chrouos).
Wir haben Marquards wegen ein gutes Stück der Aristoxenischen Takt-
lehre antieipiren müssen; dass das Gesagte richtig ist, wird unsere weitere Dar-
stellung zweifellos lassen.
Wenn nun Marquard von § lß zu § 17 weiter fortgegangen wäre, so hätte
er in seiner Weise weiter interpretiren müssen : „Die Takte, mit welcher wir den
Rhythmus bezeichnen, haben entweder zwei Chronoi podikoi, nämlich
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II. 1. Taktlehre im Allgemeinen. 21
1. der monopodische Takt - ^
so wie auch
2. der dipodische ± ^ z
oder sie haben drei Chronoi podikoi, nämlich
8. der tripodische ± w j. ^ z v^;
oder sie haben vier Chronoi podikoi, nämlich
4. der tetrapodische j. ^ j. ^ j. ^ j. ^:
Es ergiebt sich, dass unter dem roj; <Jj aT^otvojAefta t6v pjftfxiv nicht bloss
wie M. will ein einfacher ttoj« (Kategorie 1., sondern auch ein tk» j« jeder der
übrigen Kategorien 2., 3. und 4. geraeint sein muss. „Wir markiren den Rhyth-
mus und machen ihn fasslich mit einem rroü; der Kategorien 1., 2., 3., 4.
und zwar mit' Einem oder mehr als Einem." Etwas anderes kann die Stelle
unmöglich besagen und Marquards Interpretation ist also verfehlt.
Baumgart in der S. 66 genannten gegen mich gerichteten höchst
lehrreichen Streitschrift p. IX übersetzt: „Wodurch wir den Rhythmus erkenn-
bar machen, das ist der Takt, und zwar einer oder mehr als einer4'. Dann
fährt er fort: „Aristoxenua ist ein zu erfahrener Praktiker, um nicht daran zu
denken, dass mit Einem Takte die jedesmalige Rhythmengattung gar nicht
immer deutlich bezeichnet ist. Ein kurzer Takt geht so rasch vorüber und das
Verhältnis von Thesis und Arsis prägt sich dabei dem Ohre so wenig ein, dass
wir oft im ersten Takte über die Taktart noch unklar bleiben; erst die Wie-
derholung desselben Verhältnisses befestigt den Eindruck und stellt die Art
des Rhythmus ausser Frage. . . So spricht also aus Aristoxeuus die vorsichtige
Erfahrung. Er mag vorzugsweise an die dipodisch gemessenen Rhythmen ge-
dacht haben, doch braucht es dieser Beschränkung meiner Meinung nicht; der
Fälle, wo ein Takt, selbst zwei Takte das Geschlecht noch nicht sicher er-
kennbar machen, sind mancherlei denkbar.''
Im Uebrigen will Baumgart or,|Aatv6pe&a nicht in der Bedeutung von
Taktiren verstanden wissen. Ich habe oben markiren übersetzt, was nur ein
anderes Wort für denselben Begriff ist. „Eine Definition des ww; durfte Ari-
^stozenus als erfahrungsmässig voraussetzen: er hätte nur sagen können, was
„Aristides p. 80 ganz richtig sagt: xoj; ue^ ouv i<ni pipnz toü ttovtö; pjÖj*ov hx
„vj töv SXov xatfliXafißdvofxiv. Wenn Aristides vom Takte sagt: hi oj xataXopi-
„Hdvopt-* riv jkidplv, so bedeutet das zuletzt ganz dasselbe wie bei Aristoxenus
Ii «TjjiaivdfAiHa tov pjÖ^v. Jenes ist: „wir begreifen die rhythmische
„Bewegung durch da« Taktmaass", dieses „wir machen sie begreiflich". Soll
„sr^iveaöcu hier bedeuten „taktiren", so wird dem scharfsinnigen und klaren
..Aristoxenus eine Definition zugeschrieben, die ihm keine besondere Ehre machen
„würde; er hätte gesagt: „Wodurch wir den Rhythmus taktiren, das ist der
„Takt, und zwar einer oder mehr als einer." Uebersetzen wir: „Wodurch
wir den Rhythmus markiren, das ist der Takt und zwar einer oder mehr
als einer", so verliert sich zwar der Anklang an das alt-juristische „servus est qui
aervit", aber die Sache bleibt thatsächlich dieselbe: cTjualvscftat ist genau das-
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22 Aristoxenus rhythmische Elemente § 16.
•
selbe wie markiren, und dieses wieder kommt mit taktiren Überein. Auch
Baumgart, obwohl er es nicht Wort haben will, hat <njfi<uvou.t8a im Sinne de»
Taktirens gefasst: „Wodurch wir den Rhythmus erkennbar machen, ist der
„Takt, und zwar entweder Ein Takt (wenn die Angabe eines einzigen Taktes
„zum Erkennbarmachen ausreicht), oder wenn die Angabe Eines Taktes nicht
„gehörig orientirt, wenn sie über die Taktart noch unklar lässt („Aristoxeuus
„ist ein im Dirigiren erfahrener Praktiker, die vorsichtige Erfahrung spricht
„aus ihm"), dann sind mehrere Takte nöthig, um den Rhythmus ausser Frape
„zu stellen".
„Wenn Westphal mit Weil den Zusatz „Ein Takt oder mehr als
„Einer" von einem taktwechselnden Rhythmus versteht, so lässt er Aristoxenus
„abermals etwas sagen, was des Sagens nicht werth war. Das ist vollkommen
„selbstverständlich, dass jeder verschiedenartige Fuss wieder taktirt werden
„muss. Wird also je ein Takt angegeben, so kommt gar nichts darauf an, ob
„der eine dem anderen gleich ist oder nicht; es wird eben nach Einem Takt
„taktirt. Der Zusatz „Ein Takt oder mehr als einer" wäre bei Westphala
„Erklärung nicht ein Zeichen von Genauigkeit, sondern ein irre führender
„Pleonasmus."
Statt dessen lässt Baumgart nun den Aristoxenus folgendes sagen, was
ein Zeichen der Genauigkeit sein soll: „Wodurch wir den Rhythmus begreif-
lich machen, das ist der Takt, und zwar Ein Takt, wenn dieser zum Begreifen
ausreicht, oder mehr als Einer, wenn der Eine Anfangstakt zum Begreifen des
Rhythmus nicht ausreicht". Und damit macht Aristoxenus den Anfangseiner
Taktlehre! „Eine Definition des Taktes hat Aristoxenus nicht hinzugefügt,
weil er sie als erfahrungsmässig voraussetzen konnte", meint Baumgart. Aber
dass um den Rhythmus begreifen zu lassen, im günstigen Falle Ein Takt ge-
nüge, im weniger günstigen aber mehr als Ein Takt nothwendig sei, das hält
Baumgart für etwas für den Beginn der Taktlehre notwendiges! Ist das die
vorsichtige Erfahrung des Praktikers, die hier den Aristoxenus diesen Satz an
den Anfang der Taktlchre stellen heisst, so hätte er den Satz wenigstens deut-
licher aussprechen müssen, denn weder Weil noch ich habe den Satz im Sinne
Baumgarte verstanden und Marquard hatte ihn wieder in einem anderen Suine
aufgefasst. Ich will meine frühere Ansicht noch einmal aussprechen:
Der Ausdruck f»uöjxic in der vorliegenden Stelle des Aristoxenus ist das
rhythmische Ganze, die ganze in derselben rhythmischen Form fortlaufende
Compositum. Aristides sagt in der Parallelstelle: p£po< toü :tavT&< ^-jftpoü, 3>i
ou tov 5Xov %aTaXa|j.ßavofuv. Das nämliche auch Aristo», in der Abhandlung
de Chrono proto „rdvr«« oi ix tto&äv ou-puivrai." Das Ende des jböfiöj
ist da, wo dasselbe [lO.oz in ein anderes Rhythmusgeschlecht übergeht, wo ein
anderer f>'jrt|x6; beginnt Die drei Strophen des ionischen Rhythmus im Exodion
der Aeschyleischen Hiketides (an die Mclik des Acschylus wird Aristoxenus
bei seiner Rhythmik sicherlich gedacht haben) sind so beschaffen, dass der
Rhythmus des dritten Syzygie
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IL 1. Taktlehre im Allgemeinen.
0 fi^a« ZeOc ditaUZu
durch Einen «o«; markirt oder gemessen werden konnte, durch den ttow« doöv
»croi izdftr^oi oder durch den dipodischen roy; o^vöcto« ftw&exdaTiixo;
von Anfang biß zu Ende der Strophe. Aber der Rhythmus der zweiten Syzygie
K'Jirpt&oc Voux dfieXti dcopLÖc ZV eü<pptuv
konnte nicht mit ein und demselben tto-jc bis zu Ende markirt werden. Für
die ersten Verse hätte zwar der nouc dauvdc-cot e^dorjjxo; ausgereicht, der sich
bald zu tripodischen, bald zu dipodischen Kola verbindet, aber für den Schluss-
vers musste man nach der Taktlehre des Aristozenus zwei rcä&c; annehmen;
denn man maass das Kolon
rcpoTcpdv iriXoi fjvaixtöv
als einen w>y; «tvtdinjfio« und einen itou; eircdoT^o; iirfrpiTo;. Denn anders
kann das ionische dvaxXtup-tvov des Schlusses, obwohl es nicht minder wie die
übrigen KwXa dem ionischen Rhythmus angehört, nach Aristozenus (und den
Metrikern) nicht gemessen werden vgl. unten S. 70.
Hier würde ein Fall vorliegen, wie ich ihn im Auge hatte, als ich sagte,
die Stelle
*üi hk C7)|A.atvJfAefta t6v £u&jx6n xal pdbpipov zoioupev ttq edoft-fjoei, wj« irzis
de ^ i&clou« ivö;
sei von den taktwechselnden Rhythmen zu verstehen. Sie sind bei den Grie-
chen so häufig, dass es durchaus nicht als überflussig angesehen werden
kann, wenn Aristozenus gleich im Anfange seiner Taktlehre darauf Rücksicht
nimmt. Mit unserer modernen Taktauffassung steht es anders, da würden
solche Fälle immer seltene Ausnahmen sein, wenn sie überhaupt vorkämen.
Aber wenn man vom Standpunkte unserer modernen Taktauffassuug sagen
wird: In Bachs wohlt. Clav. 2, 5 ist die Fuge durch Einen Takt begreiflich
oder anschaulich gemacht, dagegen das der Fuge vorhergehende Praelu-
dium durch zwei Takte vgl. unten S. 120, da Bach hier das combinirte
12
Vorzeichen Q g gebracht hat, so würde das vollständig richtig sein und den
"Widerspruch Baumgarts nicht zu scheuen haben. Wir werden in der Folge
sehen, dass solche Combinationen verschiedener r.6hn, wie sie in der angege-
benen Compositum Bachs vorkommen, in der antiken Rhythmik gerade so häufig
anzunehmen sind , wie sie in der modernen Rhythmik zu den grössten Selten-
heiten gehören. Ich muss daher beharren, den Aristozenischen Satz von takt-
wechselnden Rhythmopoeien zu verstehen.
Sollte er die ihm von Baumgart vindicirte Bedeutung haben, so würde
er bei einem so wissenschaftlichen Theoretiker, wie es Aristozenus ist, ebensowenig
zu verstehen sein, wie die Marquardsche Interpretation entschieden falsch ist.
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24
Aristoxenus rhythmische Elemente § 17. 18. 19. 20.
b. Chrono! podikoi oder Semeia.
§ 17. Von den Takten bestehen die einen aus zwei Takt-
zeiten: einem Aufschlage (avu> XP0V0*) einem • Niederschlage
(xatto xpsvo;),
andere aus drei Taktzeiten: zwei Aufschlägen und einem
Niederschlage, oder aus einem Aufschlage, und zwei Niederschlägen,
die Takte einer dritten Kategorie aus vier Taktzeiten: zwei
Aufschlägen und zwei Niederschlägen.
§ 18. Dass nun aus Einem Abschnitte kein Takt bestehen kann,
ist klar, da ja Ein Semeion keine Theilung der Zeit bewirken, ohne
Theilung der Zeit aber kein Takt bestehen kann.
Dass aber ein Takt mehr als zwei Semeia hat, davon liegt in
dem Umfange des Taktes der Grund. Denn die kleineren unter
den Takten, die der Aisthesis leicht fasslich sind, sind leicht zu
überschauen auch bei ihren zwei Semeia. Mit den grossen Takten
verhält es sich anders, denn bei ihrem für die Aisthesis schwer zu
erfassenden Umfange bedürfen wir mehrer Semeia, damit in mehre
Theile getheilt der Umfang des ganzen Taktes übersichtlicher werde.
Weshalb aber die Semeia, deren der Takt seinem Wesen nach
benötlügt ist, der Zahl nach nicht mehr als vier sind, wird später
gezeigt werden.
Die Ariatoxenißchen Termini für die Takttheile sind:
für leichten Takttheil: für schweren Takttheil
avtu yp<5vo; Aufschlag xdtui ypovo; Niederschlag ♦ .
tö dvo> tö xdru)
ipoi; Hebung ßdloi; Niedertritt
bei der späteren (Aristides, Lateinern):
ap«i; bist;
sublatio depositio.
Die Termini des Aristides „Arsis und Thesis" gebrauchen die modernen
Musiker in demselben Sinne : „Arsis" für leichten, „Thesis" für schweren Takt-
theil. Die Philologen seit Bentley mit wenig Ausnahmen leider in dem umge-
kehrten Sinne des Aristides : „Arsis" für schweren, „Thesis" für leichten Takt-
theil. Daher die Ucbersetzungen der Germanisten: „Hebung" für schweren,
„Senkung" für leichten Takttheil. Vgl. darüber die griechische Metrik.
Der gemeinsame Name für leichte und schwere Takttheile ist bei Aristoxe-
nus xp^i nootxol (vgl. § 58); sobald keine Zweideutigkeit entstehen kann, bloss
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II. 1. Taktlehre im Allgemeinen.
25
ypdvoi. Ebenso auch a^p^ rooixd oder p.£p-yj. Ausserdem kommt bei Aristoxe-
nus der Terminus rr^tl* oder oratio. ro&txd vor. Aristides gebraucht den
Ausdruck or^eia gleichbedeutend mit yptfvoi Tip&xot. Aristoxenus nur, wie wir
eben angegeben, für Takttheile im technischen strengen Sinne, oder auch für
die Bewegungen der Orchestik.
c. Chrono! Rhythmopolias idiol.
§ 19. Durch das eben Gesagte darf man sich aber nicht zu
der irrigen Meinung verleiten lassen, als ob ein Takt nicht in eine
grössere Anzahl von Theilen als vier zerfalle. Vielmehr zerfallen
einige Takte in das Doppelte der genannten Zahl, ja in ihr Viel-
faches. Aber nicht an sich zerfällt der Tact in solche grössere
Menge (als wir § 17 angaben) sondern die Rythmopoeie ist es, die
ihn in derartige Abschnitte zu zerlegen heisst. Die Vorstellung hat
nämlich aus einander zu halten:
einerseits die das Wesen des Taktes wahrenden Semeia,
andererseits die durch die Rythmopoeie bewirkten Zerthei-
lungen.
Und dem Gesagten ist hinzuzufügen, dass die Semeia eines
jeden Taktes, überall, wo er vorkommt, dieselben bleiben, sowohl
der Zahl als auch dem Megethos nach, dass dagegen die aus der
Rhythmopoeie hervorgehenden Zertheilungen eine reiche Mannig-
faltigkeit gestatten. Auch dies wird in dem weiterhin Folgenden
einleuchten.
Der Terminus „Chronoi Rhythmopoiias idioi" im Gegensatze zu „Chronoi
podikoi" ist von Aristoxenus überliefert § 58. Ueber das Wesen dieser Chro-
noi Rhythmopoiias idioi vgl. § unten S. 105 ff.
d. Logos podiktfs und Alogla.
§ 20. Bestimmt wird ein jeder der Takte entweder durch einen
Logos (podikos, rhythmisches Verhältnis) oder durch eine solche
Alogie, welche zwischen zwei unserer Aisthesis fasslichen Logoi po-
dikoi in der Mitte liegt.
Man kann sich das Gesagte etwa so zur Anschauung bringen.
"Wenn man zwei Takte nimmt, von denen der eine den Niederschlag
gleich gross hat wie den Aufschlag, jeden im Werthe eines Chronos
disemos,
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26
Aristoxenus rhythmische Elemente § 20. 21
x -
2 2'
der andere den Niederschlag, vom Werthe eines Chrono* disemos»
den Aufschlag halb so gross:
2 1 '
wenn nun zu diesen Takten ein dritter genommen wird, dessen
Niederschlag eben so gross ist wie bei jedem der beiden genannten
Takte, während sein Aufschlag die mittlere Grösse (arithmetisches
Mittel) der beiderseitigen Aufschläge hat:
2 H
Ein solcher Takt wird einen Niederschlag haben, welcher zum Auf-
schlage in einem irrationalen Verhältnisse steht. Die Irrationalität
wird aber zwischen zwei der Aisthesis fasslichen Verhältnissen, je
nach dem Verhältnis des Isorhythmischen und des Diplasischen,
genau in der Mitte liegen. Dieser Takt hat den Namen Choreios
alogos.
Boeckh gebührt das grosse Verdienst, diesen Choreios alogos des Aristo-
xenus in den unter Trochaeen am Ende eines Kolons und im Inlaute des Ko-
lons am Ende der trochaeischen Dipodie statt des 3-zeitigen Trochaeus ver-
statteten Spondeus. erkannt zu haben. Dies geht auch aus Bacchius de musica
p. 25 Meibom hervor, wo ein Takt äX^ov» apscrö; xi\ &£aea>; paxpä; olov öpf^"
(mit einem Spondeus als Beispiel) aufgeführt ist, welcher die antithetische
Form des yopcio; aXo^o;, nämlich ein „tafißo; aXo^o;4' sein würde. Bacchius
nennt denselben 6p(ho;, doch vermuthe ich, dase an dieser Stelle des Bacchius
eine Lücke Bich befindet. (Griech. Rhythmik und Harmonik 1867 S. 96).
Der Richtigkeit der Boeckh'schen Entdeckung that es keinen Abbruch,
dass Boeckh die von Aristoxenus angegebene Messung des Chrpnos alogos
nicht richtig interpretirt, indem er die beiden Takttheilc nicht auf 2 + V!tJ
sondern + B/7 Chronoi protoi bestimmt, die Zeit des ganzen Taktes also auf 3
Zpövoi 7:pröTot. Denn Aristoxenus sagt ausdrücklich, dass der Niederschlag des
yopcio; von gleichem Zeitwerthe sei wie der des Daktylus und der des
Trochaeus, also dass er 2-zeitig und nicht •"/, -zeitig sei.
§ 21. Nur hüte man sich auch hier vor Missverständnissen aus
Unbekanntschaft mit dem Rationalen und Irrationalen, in welcher
Bedeutung es in der Rhythmenlehre zu nehmen ist Wie ich in den
diastematischen Stoicheia dasjenige als etwas der Natur des Melos
nach Bestimmbares gefasst habe, was
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II. 1. Taktlehre im Allgemeinen. 27
erstens ein Melodumenon ist,
zweitens seinem Megethos nach dadurch erkennbar, (dass es ein
Mnltiplum des kleinsten Intervalles der Meloduma ist,) wie z. B. die
symphonischen Intervalle und der Ganzton oder alles damit Messbare,
dagegen dasjenige als etwas bloss den Zahlenverhältnissen
nach Bestimmbares, bei welchem es der Fall ist, dass es (um)
ein Ämelodeton (kleiner oder grösser als ein der Natur des Melos
nach bestimmbares Intervall) ist, so soll ganz analog das Rationale
und das Irrationale auch in der Rhythmik genommen werden.
Das eine wird nämlich als etwas der Natur des Rhythmus nach
Bestimmbares gefasst, das andere als etwas nur den Zahlenverhält-
nissen nach Bestimmbares.
Die in der Rhythmik als rational gefasste Zeitgrösse muss
also
erstens zu denjenigen gehören, • welche in der Rhythmopoeie
vorkommen,
zweitens ein bestimmbarer Theil des Taktes sein, in welchem
sie einen Takttheil bildet ;
dagegen dasjenige, was als etwas bloss den Zahlenverhältnissen nach
Bestimmbares gefasst wird, muss man sich analog denken, wie in
den diastematischen Stoicheia das Dodekatemorion (Zwölftel) des
Ganztones, und wenn noch etwas Anderes von der Art bei dem
Wechsel der Intervalle vorkommt.
(Diesen Intervallgrössen steht nämlich das Mass gleich, mit
welchem wir die Arsis des Chöreios alogos, die zwischen der 2zei-
tigen und der 1 zeitigen Arsis die Mitte hält, messen, d. i. der
halbe Chronos protos, welcher keine von den in der Rhythmopoeie
vorkommenden Zeitgrössen ist.)
Aus dem Gesagten ist klar, dass die in der Mitte zwischen den
beiden Arsen stehende Arsis des Choreios alogos nicht commen-
surabel mit der Basis ist, denn es giebt kein den beiden Takttheilen
gemeinsames Maass, welches als rhythmische Grösse vorkäme.
Die Analogieen seiner diastematischen Stoicheia (Intervallenlehre), auf die
Aristozenus verweist, finden sich erste Harmonik und zweite Harmonik vgl. unten.
Der handschriftlich überlieferte Text des § 21 ist durch Auslassung
von Sätzen verstümmelt. Wir haben durch Einschaltungen in der Ueber-
setzung das Ursprüngliche herzustellen gesucht. Zur Noth kann man den
28 Aristoxenus rhythmische Elemente § 22. 26. 24.
Sinn des von Aristoxenus Dargelegten aus dem handschriftlich Erhaltenen ver-
stellen, aber eben nur mit Noth und Mühe. Aristoxenus schreibt klarer und
fasslicher, und sichert sich sonst überall vor derartigen Missverständnissen aufs
sorgsamste und peinlichste. Vgl. den Anfang gerade dieses §.
e. Siebenfache Taktrerschiedenbeiten.
§ 22- Von den Unterschieden der Takte mögen folgende sieben
dargelegt werden:
der erste, nach welchem sie durch das Megethos (den Umfang)
verschieden sind,
der zweite, nach welchem sie durch die Taktart verschieden
sind,
der dritte, nach welchem die einen rational, die andern ir-
rational sind.
der vierte, nach welchem die einen unzusammengesetzt, die
andern zusammengesetzt sind,
der fünfte, nach welchem sie durch Diairesis (Theilung in
Takttheile) von einander verschieden sind,
der sechste, nach welchem sie sich durch Schema (Form)
unterscheiden,
der siebente, nach welchem sie durch die Antithesis (Ord-
nung der Takttheile) verschieden sind.
Mit Rücksicht auf den mit der Sache noch nicht bekannt gewordenen
Leser ändern wir in den folgenden Erläuterungen der in Rede stehenden sieben
Takt Verschiedenheiten die Reihenfolge. Für den innerhalb des Griecheuthums
Stehenden konnte es kaum eine andere Reihenfolge geben ab die von Aristoxe-
nus eingehaltene ; für den zunächst auf die vulgären Takttheerien unserer mu-
sikalischen Theorien Angewiesenen müssen wir dem Verständnisse durch eine
etwas andere Reihenfolge entgegen kommen.
a'. Einfache und zusammengesetzte Takte.
§ 26. Die unzusammengesetzten Takte unterscheiden sich von
den zusammengesetzten dadurch, dass sie (die unzusammengesetzten)
nicht in Takte zerlegt werden, während die zusammengesetzten diese
Zerlegung zulassen.
Auch wenn wir den „Takt" unserer modernen Rhythmik (Musik) defi-
niren sollen, so werden wir kaum eine andere ganz sachgeraässe Erklärung
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II. 1. Taktlehre im Allgemeinen.
29
geben können, als indem wir sagen: „Der Takt ist entweder ein Versfuss oder
er ist eine Combination von zwei, von drei oder auch von vier Versfüssen.
An unserer Instrumentalmusik ist das schwerer klar zu machen als an unserer
Vocalmusik, obgleich auch für die Instrumentalmusik jene Definition des Taktes
in ihrem vollkommenen Rechte ist,
Takte aus einem Versfusse nennen wir monopodische Takte, z. B.
Don Juan
2 # t i t
4 Artige Madchen führst du her- bei
Takte aus zwei Versfüssen nennen wir dipodische Takte z.B. Zauberflöte
4 Der Vogelfänger bin ich ja
Takte aus vier Versfüssen nennen wir tetrapodischc Takte z. B.
Händel Messias
12 , ,
8 Er weidet seine Heer de
Takte aus drei Versfüssen nennen wir tripodische Takte, doch kommen
sie hauptsächlich in der Instrumentalmusik Bachs vor; für die Vocalmusik ge-
stehe ich, kein Beispiel anführen zu können.
In der Praxis geht auch der griechische Takt nur bis zur Tctrapodie;
theoretisch erkennt Aristoxenus aber auch Takte von fünf und sechs Vers-
füssen an: pentapodische und hexapodisehe Takte (vgl. unten S. 59».
So hat denn bei Aristoxenus der Takt zwei Bedeutungen. Er bedeutet
einmal „Versfuss", wie bei den griechischen Metrikern, er bedeutet sodann
eine Verbindung von 2, 3. 4, 5, 6 Versftissen, für welche bei den Metrikern der
gewöhnliche Name „Kolon" ist.
Den monopodischen (mit dem Versfusse zusammenfallenden) Takt nennt
Aristoxenus einfachen Takt: den aus mehreren Versfüßen oder monopo-
dischen Takten bestehenden Takt nennt Aristoxenus zusammengesetzten
Takt. Dies besagt die Definition § 26: ,.die einfachen Takte lassen keine
Zerlegung in Takte zu, wohl aber die zusammengesetzten."
fj'. Gerade und ungerade Taktart.
§ 24. Durch die Taktart unterscheidet sich der eine Takt von
dem anderen, wenn die rhythmischen Verhältnisse der Takte ver-
schieden sind, z. B. wenn der eine Takt das gerade Taktverhältiiis,
der andere Takt das zweitheilig -ungerade, der dritte ein anderes
der errhythmischen Verhältnisse, z. B. das fünftheilig-ungerade Takt-
verhältnis hat.
Wir Modernen unterscheiden schlechthin eine gerade und eine ungerade
Taktart. Die Griechen haben zwei ungerade Taktarten, die eiue eine zwei-
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30 Aristoxenus rhythmische Elemente § 24. 28. 29.
•
theilige wie bei uns, die andere eine ftinftheüig-ungerade, welche in der mo-
dernen Musik äusserst selten ist und keineswegs bei uns den beiden anderen
coordinirt werden kann. Selbstverständlich bezieht sich die Unterscheidung
der geraden und ungeraden Taktart sowohl auf die einfachen wie auch auf die
zusammengesetzten Takte, bei Aristoxenus nicht minder als bei den modernen.
Nur ist Aristoxenus in dieser Unterscheidung der geraden und ungeraden Takt-
art für die zusammengesetzten Takte viel gewissenhafter als die modernen
Musiktheoretiker. Ein aus vier ungeraden einfachen Takten zusammengesetzter
12
— -Takt ist nach Lobe ein ungerader Takt, nach Aristoxenus dagegen ein
gerader Takt.
„Wenn ich vier Drei - Rubel - Scheine besitze, so wird die Gesammt-
zahl der Rubel nicht minder eine gerade sein, als wenn ich zwölf einzelne
Rubel habe. Genau diesem Gebrauche von „gerade" und „ungerade", in wel-
chem die Sprache der Arithmetik und des gewöhnlichen Lebens die beiden
Wörter anwendet, entspricht der gerade und ungerade Takt im alten jetzt
mehr als 2000jährigen Gebrauche des Aristoxenus. Als dem gewöhnlichen Ge-
brauche entsprechend bedarf der Aristoxenische Gebrauch keiner besonderen
Rechtfertigung. Dagegen wäre dieselbe für den vom gewöhnlichen Leben ab-
weichenden Sprachgebrauch Lobes noth wendig, wenn dieser darauf Anspruch
macht, an die Stelle des Aristoxenischcn gesetzt zu werden." Allgem. Theorie
der musikal. Rhythmik seit Bach 1880 § 57. Ich weiss übrigens, dass die Lehre
6 12
Lobes, der —- und — Takt sei ein ungerader, keineswegs allgemein von den
Musikern adoptirt ist; alle, welche ich um ihre Auffassung fragte, meinten, dass
diese Takte unter die Kategorie der geraden zu zählen sein werden.
Y'. Verschiedenes Megethos.
§ 23. Durch das Megethos (die Grösse oder den Umfang) ist
ein Takt von einem Takte verschieden, wenn das (durch die Anzahl
der Chronoi protoi) sich ergebende Megethos in dem einen Takte
ein grösseres als in dem andern ist
Hierin weicht die griechische Anschauung von der modernen iu folgendem
Stücke ab :
Wir denken uns den monopodischen daktylischen Takt grösser und kleiner
^^^^
je nachdem er durch J J J J oder J J j'J oder J J J J bezeichnet ist, ebenso
den tetrapodisch-daktylischen Takt, je nachdem er durch ^ 0' ^ oder
J J J J oder durch J J j j ausgedrückt ist; ebenso denken wir uns den tri-
podischen - - Takt j #« j J Jjjj J j j j grösser als den tripodischen
- Takt J j j j J"Jj"j J^Jj u. s. w. Solche Unterschiede des Megethos
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II. 1. Taktlehre im Allgemeinen.
31
haben die Alten nicht, da | | i | und t , , , und i , , , in diesem
• • • • «44m «44«
Falle nicht« anders sind als je vier Chronoi protoi. Und selbst wenn in diesen
verschiedenen Schreibungen, in der Viertel-, Achtel- und Sechszehntel-Schrei-
bung, die Takte sich von einander durch grössere oder geringere Geschwin-
digkeit unterscheiden sollen, wie dies wohl in der Instrumental-Musik Bachs,
aber nicht bei Mozart und Beethoven, der Fall ist, so würde das nach
Aristoxenus ein Unterschied des Tempos, aber kein Unterschied des
Taktes sein. Die Griechen zählen, wie gesagt, bei einem Takte nur die Ge-
sammtzahl der Chronoi protoi und geben dabei das Genos (die Taktart) an.
Wir modernen müssten, um ein genaues Takt- Vorzeichen zu geben, unseren
Taktbezeichnungen noch hinzufügen, ob der Takt ein monopodischer, dipodi-
scher, tripodischer, tetrapodischer ist. Es giebt monopodische, dipodische, te-
trapodische C- Takte: die dipodischen bei Bach regelmässig q geschrieben
(kleiner alla breve Takt), während bei späteren wenigstens in den Ausgaben
C und (H gewöhnlich verwechselt wird; es giebt monopodische, dipodische,
2 4
tetrapodische — - Takte, die monopodischen bei Bach — -Takt genannt; es
giebt dipodische und tetrapodisch alla breve Takte (kleine und grosse), jene
3
C, diese $ geschrieben; es giebt monopodische und tripodische - - und ebenso
3 9
---Takte. Es giebt monopodische und tripodische —-Takte, die monopo-
9
dischen y - Takte gehören zu den triolischen, deren wir S. 15 erwähnten.
i'. Verschiedene Ordnung der Takttheile, verschiedene Antithesis.
§ 29. Durch Antithesis unterscheiden sich von einander die-
jenigen Takte, welche den schwachen und starken Takttheil in einer "
entgegengesetzten Reihenfolge haben. Dieser Unterschied wird Statt
finden bei Takten, welche gleich sind, aber den schwachen und
starken Takttheil in einer ungleichen Anordnung haben.
Hier ist der handschriftliche Wortlaut der Aristoxenischen Definition sehr
corrumpirt Ich habe ihn, so gut es gehen wollte, nach dem Sinne hergestellt.
Doch weicht diese Definition der Antithesis immerhin in ihrer Fassung von
der Manier der übrigen Definitionen ab; man möchte die erhaltenen Worte des
letzten Satzes eher einem erklärenden Scholiasten zuschreiben.
Der Anonymus Bellermanni II, § 3 und § 83 giebt die Notiz: ,,'H piv ouv
ftioie OTj|xatvcTat 2xav aiik&z ?6 arjfulov dfortXTOv tq , tj oi <£p«t; 8xav iotty-
piw 3 8a oyv f/roi 6t «pfrrje piXou; ycupU orifirJJ; 9} ypdvov tov xaXou-
(jivou xrvoü izapd ttst Ypdqprtai ^ paxpac 6typ<$vo'j — ^ rpt^pdvou yj rerpa^pö-
vo'j ^ iccvra£pövou , 'cv pev ij>5^ xcyupiva Xiy etat, iv ii piXci fiövtp xaXctTat
Sia^T^.a^fjLaTO. Von § 97 an enthält der Anonymus einige Muaikbeispiele
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32 Aristoxenus rhythmische Elemente § 29.
in Instrumentalnoten, in denen sowohl die «rt?^ wie die den ypövo; xevö; und
die jjiaxpö bedeutenden Zeichen zu den Noten hinzugefügt sind. Aber bezüg-
lich der o-riyat; schliessen wir aus diesen Musikbeispielen, dass in der zu An-
fang gemachten Angabe die Wörter 8£ai; und apat; vertauscht sind: es muss
heissen „*) jxi-» ojv apot; OTjualvetat, 8tov d^Xöj; to arjfjieiov aarirrov tJ. ^
oe ö£at; foav £oTtYfA£vov. Dem würde entsprechen, dass sonst überall bei den
Musikschriftstellern an erster Stelle die ipoi;. an zweiter die Hiai; genannt wird,
wenn nicht, wie Aristo*, rh. el. § 20, gerade bestimmte Takte gemeint sind.
Die „oTifj.fr" hatte also laut dieser Mittheilung in der alten Musik die
Bedeutung unseres Taktstriches. Für unsere moderne Notirung nehmen wir
an, dass der Taktstrich immer den Anfang eines Taktes bedeute, und wir be-
zeichnen alles dem Taktstriche Vorausgehende als Vortakt. So war es bei den
Griechen nicht. Als Beispiel eines wj; e^dor^o; bringt der Anonymus § 97:
T r l t h I r t
Hier wird der t:oj; nicht wie bei uns (von Taktstrich zu Taktstrich) ge-
rechnet, sondern je vier Tone bilden einen ttou; Haarlos, der auf der vierten
Note die ort?^ hat. Auch die in der Folge zu erläuternden Angaben
des Aristoxenus stimmen damit überein, dass nach der antiken Auffassung der
Takt keineswegs immer mit der am meisten accentuirten Note beginnt, sondern
dass auch die nichtaccentuirten oder weniger accentuirten im Anfange des
Taktes stehen können. Wir Modernen gehen dagegen so weit, dass wir z. B.
vom Anfange des Don Juan:
r ii l Ii
C Keine Ruh bei Tag und Nacht
sagen, dem Takte gehe hier ein Auftakt von dem Umfange eines ganzen Vers-
fusses voraus, obwohl wir für den poetischen Text nicht anders wissen, als
dass „Keine" ein integrirender Bestandtheil des Kolous ist. Von dem Verse
der Bachschen Cantate ,,ich hatte viel Bekümmernis":
iii ii
C Bäche von gesalznen Zähren
sagen wir sogar, dass dem ersten tetrapodischen Takte ein Auftakt von drei
Versfüssen vorausgehe. Es wäre Zeit, dass wir im Interesse der richtigen
rhythmischen Auffassung zu der Takttheorie der (kriechen zurückkehrten,
und nicht mehr den Takt äusserlich nach der Stelle des Taktstriches bemässen,
sondern den Satz aussprächen, dass auch bei uns ein Takt, namentlich ein
grösserer zusammengesetzter Takt, den Taktstrich bald am Anfange, bald in
der Mitte, bald gegen das Ende zu (vor der stärksten Accentnote des ersten
oder des zweiten oder des dritten oder des vierten Versfusses) haben könne.
Gestehen wir endlich ein, dass unser Taktstrich gegenüber der Weise der
Griechen kein Fortschritt, sondern ein noth wendiges Uebel ist. nothweu-
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II. 1. Taktlehre im Allgemeinen.
33
dig durch die Gleichzeitigkeit verschiedener Stimmen, obwohl auch die Poly-
pionie der früheren Jahrhunderte, wie z. B. Palestrinas, des Taktstriches noch
entbehren konnte.
e'. Takte von verschiedener Diairesis (Theilung).
§ 27. Durch Diairesis unterscheiden sich die Takte von ein-
ander, wenn das gleiche Megethos in ungleiche Theile zerlegt wird,
ungleich entweder sowohl durch die Anzahl wie durch die Megetho
der Theile, oder bloss durch die Megethe.
Mit den Worten stimmt die Uebersetzung nicht genau übercin, den Sinn
gitbt sie vollständig genau, 8xav xö auxö [ii^etto; cU dvtoa [Upr] Siaipeftfj, fjxoi
xaxd dpupfccpa, xaxd xe xöv dpiöpiov xat xaxd xd ixzfi^, T}xaxdddxepa. Es
ergiebt sich leicht, dass dies „eine von beiden" „Anzahl oder Grösse der
Theile" nicht die Anzahl, sondern nur die Grösse sein kann. Vgl. unten.
Ein vorläufiges erläuterndes Beispiel aus der modernen Musik: Der
6 3
---Takt und der - -Takt enthalten jeder sechs Achtel, aber die Diairesis, die
b 4
Takttheilung ist verschieden.
Takte von verschiedenem Schema.
§ 28. Durch das Schema unterscheiden sich die Takte von
einander, wenn dieselben Theile desselben Megethos nicht auf die-
selbe Weise geformt sind.
Hier ist die Textcsüberlieferung defect: „Zxav xd auxd pipTj xou aüxoü
ueittiojz ^ «uaajxoo; r]." Offenbar ist am Ende eine Lücke, welche Psellus
ausfällt, wenn er „p^ tuaauxt»; tJ xeta-fp^va" schreibt. Ich hielt das früher für
das authentische Wort des Aristoxcnus. M. Schmidt widerspricht mit Recht und
verlangt iLaaSxtu; [xet>]^." Daun würde die oia<popd xaxd o/f^a mit der
iia^opd xax dvxUhstv auf dasselbe hinauskommen, von der sie doch augenschein-
lich etwas verschiedenes sein soll. Eine Verbalform auf erfordert die durch-
gängige Analogie: sie ist noch genauer, wenn wir als Verbum Oy/^xio»]^
ergänzen.
Ataipiaei Ii otasfipouaiv dXX^Xav 2/Tjptaxi Se Statfcpojoiv dXXV)Xa»v,
8xav x4 atixö fie^etto; Zxov xd aüxd jx£p7j xou auxoü {aet^öo-j;
et; dviaa pUpr, Siaipeftirj. (boauxeue sy ;7j}xaxioi^.
„Theilungs- Unterschied ist es, wenn anders getheilt ist."
„Form -Unterschied, wenn anders geformt ist."
Das scheint zwar eine etwas äusserliche Definition zu sein von der Art
der altjuristischen „Servus est qui servit." Aber wir müssen bedenken, dass
vor Aristoxcnus die Namen xaxd Sialpeatv und /ata <jyfj(ua Sta^opd noch nicht
üblich waren, dass er zuerst diese Neuerung in der rhythmischen Terminologie
gemacht hat Und da ist der Sinn doch nur folgender: „Wenn gleich grosse
Arlttoxenu«, Melilt u. Rhythmik. 3
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34
Aristoxenus rhythmische Elemente § 25. 30.
Takte verschieden getheilt sind, so nenne ich das Theilungs- Ver-
schiedenheit der Takte; wenn gleich grosse und gleich getheilte Takte in
ihren einzelnen Thcilcn anders geformt sind, so nenne ich das Form-
Verschiedenheit der Takte." Das kann mau sich gefallen lassen.
Alle übrigen Unterschiede der iztäez, so viele ihrer existiren, sind in den
Aristoxenischen Sto^opai berücksichtigt, nur der eine Unterschied, dass bei Gleich-
heit der Taktart, des Taktumfanges und der Antithesis der Takttheile zwei
Takte eine verschiedene Silbenform haben können, z. B. der eine
loivtxöc duö |j.etCovo; die Form j. — w^, der andere die Form x , dieser
Unterschied würde von Aristoxenus übersehen sein, wenn nicht dessen „Statpopä
xaxd <T/;fifA« ™66;" eben von dem verschiedenen „Silbenschema des Vers-
fusses" zu verstehen wäre.
Es handelt sich allgemein gesagt bei dem oy^fia um die Art und Weise,
wie bestimmte rhythmische Zeitgrössen durch die p-ip^j toü pjtt|AtCofii*iy aus-
gedrückt werden. KaXrä; V eizetv toioütov vot^t^o^ £>v>ttfit£4,u6vov, oion otivaottat
|i£Ta-Ü}eo8ai ei; y pövoiv jaey^Htj 7zav:o&aird xal ei; fcuvöecEt; ravTooaTra;. Besteht das
puÖjjitCöpievov in den Silben der Xefo, so kann es vorkommen, dass dasselbe y povo>%.
pll&oi „Otto (xiöi; $vXXa?f); xarvlri'^i" oder dass es „iirö rXeidv<uv SuXXafJüiv
wzakrftfrfi". Im ersten Falle nennen wir den ypovo; „zpi; xVjv p^dponoti?;
ypf(aiv ßXezovre;" einen douvOeto;, im zweiten Falle einen ayvöeto;. Aristox.
rhythm. § 14. Die ota-fopä <r/f,|Aaxo; rooöv besteht also darin, dass in einem
no'j; derselbe y^pövo; f>y»fAix6; in der Sylbenzusammenstellung ein öouvÖcto« oder
dass er ein oyvfteTo; im Sinne der yp-rj<Ji; py&|A07roiia; sein kann.
Aber wir haben bei jeder der von Aristoxenus aufgeführten 5ia<popal roSöav
nicht blos an die dou^exoi -45e; oder Versfusse zu denken, sondern auch au
die oivÖeTOi rAhta oder Kola. Und hieran denkt Aristoxenus bei der fcioupo&i
xxtd oyfjjxa ganz speciell, wie aus der von ihm gegebenen Definition hervor-
geht. Die einzelnen Versfusse, aus denen der <j6v»)c-o; -oy; zusammengesetzt
ist, erhalten verschiedene Form durch Auflösung und Zusammeuziehung, das
ganze Kolon ausserdem aber auch noch 1) durch die verschiedenen Arten der
Katalexis, im Auslaute und auch im Inlaute, 2) dadurch dass das x&Xov ent-
weder ein xaftapöv oder ein jjlixtov ist. Also dtzdUeoi; (xaTdXr^i;) und jAtfct; sind
die beiden Elemente, auf die es bei dem <JXfj|Aa tou cdv&Itou ttooö; ankommt.
Vgl. darüber unten S. 113.
t/. Bationale und irrationale Takte.
§ 25. Die irrationalen Takte unterscheiden sich von den ratio-
nalen dadurch, dass der schwache Takttheil mit dem starken nicht
commensurabel ist.
Vgl. Aristox. rhythm. § 20 mit der von uns dazu gegebenen Erläuterung,
aus welcher erhellt, dass es bei den irrationalen Takten hauptsächlich auf deu
Auslaut des Kolons oder bestimmter rhythmischer Abschnitte im Inlaute des
Kolons ankommt.
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II. 2 a. Taktarten und Taktgrössen continuirlicher Rbythinopoeie. 35
2. TAKTARTEN UND TAKTGRÖSSEN.
a. Taktarten continuirlicher Rhythmopoeie.
§ 30. Für die Takte, welche eine continuiiliche Rhythmopoeie
verstatten*), giebt es drei Takt arten, die daktylische, die iambische,
die paeonische Taktart**):
die daktylische in geradem Verhältnisse, gerader logos \sos,
Verhältniss des Gleichen;
die iambische in dem ungeraden Verhältnisse 1:2, ungerader
logos diplasios, Verhältniss des Doppelten;
die paeonische in dem ungeraden Verhältnisse 2:3, ungerader
logos hemiolios, Verhältniss des Anderthalbfachen.
*) Continuirliche Rhythmopoeie ILw/tfi {iuftfAozoita ist bei Mar. Victoriu.
mit „continua rhythmopoeia" übersetzt Hephaestion gebraucht das Wort suvey+,;:
1. von der continuirlichen oder wenigstens mehrmaligen Folge desselben
Versfußes innerhalb eines Metrons oder Stichos. Es wenden nach ihm z. B
die Komiker im iambischen Trimetron den Anapaest cuveyö>; an, wie
Vesp. 979 xaxd^a, xatafta, xa-rdßa, xardpa, xaTaßTjao|J.oi
(fünf Anapaesten hintereinander),
Av. 108 TTO&ardi o\ 2ötv al tprfjpei; al xaXal
(drei Anapaesten hintereinander).
Hephaestion c. 5 sagt: Toütov (tgv dvdjiaiaTov) S£y_CTat tö iet|j.ßix6v rcapd
toi; xtofitxot; auvey di;, ~apd &e toi; la(ißozotoi? xal toT; Tpa^ixoü ajravidiTe-
pov. Derselbe sagt c. 6 von dem im trochaeischen Tetrametron angewendeten
Daktylus: tüj Ii iaxxüXi» xtfi xard td« Ttepirrdc £p.7iltnwrt y<t>pa; f(xiOTa ol
ßoroioi typ-fjoavTO TTOi^Til, anavltuc Se xat ol Tpa^ixol, ol fce xopuxol ooveyd>;
»azep xai £n töi ln\i^ix^i t»T> eul ttJ; dp-rlou dvarcaloTq).
1. Von der continuirlichen Folge ein und desselben Kolons oder Metrons
z. B. des dvxraiartxov rapotpuax6\ p. c. 8: Kpaxivo; Ii iv'US'jaseDoi aur«]j £yp^aato.
St^dv vjv &ra; £yt atfdv
xai Ttdvra ).<$y0v "dya xe6aet
ferner c. 9 von den yopiajxßtxd TCTpdjiCTa <S xal ouvcy doTepd £<mv ola xauxl
rd Za^oü;
Acut£ vuv djüpal Xdpvre; | xaXXlxopol tb Motoai.
Auch von dem paeonischen Verse
{hipcXixdv löt |*dxap | <piXo<ppovtu; eU ipw
sagt Hephaestion c. 13 ,,u» oVj fyapcv Tp<5r<p o jvey öä; xeypjaBai oötoj« toü
T6Tp<JJx£TpOU, TOU TpiOl TtatoOt TOt« Ttpd>T0lC iird^ClV XpTjTtXOV.
Hiernach bedeutet „r>6htz, welche die ojveyfj [>u8{A07tt>tla annehmen", soviel
wie „irtföc;, welche mehrmals oder continuirlich wiederholt werden können."
3*
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:56
Aristoxenus rhythmische Elemente § 30. 31.
Dieser Ausdruck des Aristoxenus schliesst in sich, dass es ausser den in diesem
Zusammenhange genannten TtoSe; und Taktarten auch noch andere tMzs giebt,
(audvioi iroöe;), welche eine oyvex^ ^*jftf».oiroita nicht annehmen, — welche nicht
mehrmal hintereinander wiederholt, sondern nur isolirt gebraucht werden kön-
nen, nur so, dass ihre Continuität von anderen Ttöäcc unterbrochen wird.
**) Damit wir von einer aus gleichen Einheiten (hier den chronoi protoi)
bestehenden Gruppe ein deutliches Bewusstsein des Ganzen haben, zerlegen
wir sie inTheile. Am einfachsten ist die Zerlegung in zwei Theile, einerlei ob
diese einander gleich oder in einer für unsere Aisthesis leicht zu merkenden
Weise ungleich sind. Nicht nur die einfachen, sondern auch die zusammen-
gesetzten Takte zerlegen wir in dieser Art:
_ _ | _ _ Gruppe gerader Theilung (daktylisch)
_ | dreitheilig-ungerade Gruppe (iambisch)
I fünfthcilig-ungerade Gruppe (paeonisch),
wobei wir uns eine jede der kleinen Linien entweder als einen Chronos
protos zu denken haben (dann ergeben sich einfache Takte oder Versfitsse),
oderals cinMultiplum von Chronoi protoi (dann ergeben sich zusammen-
gesetzte Takte).
b. Umfang der Takte continuirlicher Rhythmopoeie.
Von der Taktscala des Aristoxenus ist uns nur § 31—35 erhalten, von
§ 36 nur der Anfang. Damit bricht das Fragment des cod. Vatieanus für
immer ab (der cod. Venetus schon früher, innerhalb des § 19). „Bereits G.
Hermann vermuthete, dass hier ein wichtiger Theil der Aristoxenischen Rhyth-
mik verloren gegangen." G. Hermann opuscula 3 p. 92. Es ist einer der aller-
wichtigsten, allein gerade hier ist der Verlust nicht unersetzlich. Denn das
Erhaltene giebt uns die sicheren Normen an die Hand, mit denen wir die
übrigen (xefiOrj vom 8-zeitigen an restituiren und die in der Handschrift abge-
brochene Scala bis zu dem Endpunkte fortführen können, der uns aus dem
Excerpte des Psellus, aus dem Fragmentum Parisinum, aus Aristides und seinem
Uebersetzer Marcianus Capella bekannt ist. Ein Fehltritt ist hier geradezu
unmöglich, weil uns der Gang, den die Restitution zu nehmen hat, genau durch
•las Vorausgehende vorgeschrieben ist, Rosabach, griech. Rhythmik 1854, S. 59.
•
1. Dreizeitiger Takt,
monopodiaeh.
§ 31. Von den Takten (der continuirlichen Rythmopooie) sind
die kleinsten diejenigen, welche ein dreizeitiges Megethos haben.
Denn das zweizeitige Megethos würde allzuhäufige Taktschlage er-
halten müssen (jeder Takt hat ja mindestens zwei Chronoi podikoi,
also inüsste in dem zweizeitigen Takte ein jeder Chronos protos als
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II. 2 b. Taktgrössen und Taktarten continuirlicher Rhythmopoeie. 37
Chronos podikos markirt werden*). Der Taktart nach werden die
dreiseitigen Takte **) iambische sein; deim bei drei wird nur das
Verliältniss 1 : 2 stattfinden können.
*) Auch wir Modernen haben keinen zweizeitigen Takt, denn es würde die
Eigentümlichkeit eines solchen Taktes sein, dass die beiden Chronoi protoi
desselben untheilbar wären, dass sie unter keinen Umstanden und in keiner
der verschiedenen Stimmen in kleinere Zeitgrössen zerfällt werden könnten:
also z. B. 2 -Takte, deren Achtel niemals in Sechszehntel gethcilt werden
8
könnten. Von solchen ComjK>sitionen giebt es in unserer Musik schwerlich ein
Beispiel. Abo in der continuirlichen Rhythmopoeie der Modernen fehlt der
zweizeitige Takt nicht minder wie in der antiken.
Der zwei-zeitige Takt wird von Aristoxenus aus der continuirlichen
Rhythmopoeie ausgeschlossen, nicht aus der Rhythmopoeie überhaupt vgl. S. 76
Andere Berichterstatter, welche nicht wie Aristoxenus den Satz vom Unterschiede
einer continuirlichen und einer nicht-continuirlichen Rhythmojioeie an die Spitze
der Taktlehre stellen, statuiren einen zwei-zeitigen Takt als kleinsten des dak-
•tylischen Rhythmengeschlechtes Aristid. p. 35 Meib. vgl. unten.
**) Die dreizeitigen Takte sind in der modernen Musik stets einfache
Takte, bei der Achtel-Schreibung des Chronos protos als 3 -Takt, bei der Vier-
8
Q
tel-Schreibung als - -Takte notirt.
Dreizeitiger ^-Takt.
Bach, Suite L 6, 2 (Peters) Passepied II.
1. 2. 3. 4.
Dreizeitiger J -Takt
Bach Orgel-Sonate 4 (V, 1 Peters) Passacaglia
^x^xv^xn^xI^x^x ^ X X
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38
Aristoxenua rhythmische Elemente § 81. 32.
Dreizeitige Takte sind unter den—- und --Takten nur diejenigen, welche
wie die vorstehenden je vier zu einem Kolon zusammengesetzt werden
können. Nur diese sind Takte des trochaeischcn Rhythmus. Diejenigen
3 3
_ - und - -Takte aber, welche schon je zwei zu einem Kolon als Protasis
8 4
oder Apodosis der Periode zusammengesetzt werden können, wie die betreffen-
den Takte des Bach'schen Menuetts, der Polonaise, der Sarabande, Courante
sind nicht Takte des troehaeischen Rhythmus, sondern des ionischen, nicht
dreizeitige, sondern sechszeitige Takte, vgl. § 34a.
2. Vierzeitige'r Takt,
monopodUch.
§ 32. An zweiter Stelle stehen die Takte von vierzeitigem
Umfange. Der Taktart nach sind dieselben gerade (daktylische).
Denn bei vier lassen sich zwei Verhältnisse annehmen, 2 : 2 und 1 : 3,
von denen das letztere (triplasische*) nicht errhythmisch ist, das
erstere (daktylische) unter die gerade Taktart fällt.**)
*) Als isolirter Takt kommt auch der triplasische vor, aber nicht in der fort
laufenden Rhythmopoeie vgl. unten S. 75.
**) Der vierzeitige Takt (stets ein monopodischerl stellt sich bei uns in der
Sechszehntel-Schreibung des Chronos protos als --, in der Achtel-Schreibung
als — - oder als -Takt, in der Viertel-Schreibung als - oder als C-Takt dar.
4 8 4
2
Monopodischer -Takt Er begegnet selten genug. Ich entnehme ein
8
Heispiel dafür dem Faust, — nicht Gounod's Faust, sondern meines hessischen
Landsmannes L. Spohr, den wir heute mit Unrecht über dem des Franzosen
zu vergessen scheinen.
Spohr, Faust No. 9 Allegro-Chor.
Brenne La - ter-nc, na - he und fer - ne, däm - me -re auf.
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II. 2b. Taktarten und Taktgröseen continuirlicher Rhythmopoeie. 39
Flimmrc und leu-chte ü - ber die feuch-te Hai -de hin - auf!
5.
6.
0
Monopodischer -j- Takt.
Gluck Iphigenia Taur. Nr. 6 Allegro-Chor der Scythcn.
Bc - sänf-tigt ist der Göt-ter Wuth
I «
1. 2. 3. 4.
da sie uns selbst das Opfer senden.
2.
3.
4.
Mozart Don Juan Nr. 11 Presto.
Ar-tige Mädchen führst du mir lei - se
1. 2. 3. 4.
nach deiner Wei - se zum Tan - ze her - bei.
*
- 1 —
l.
3.
4.
Den monopodischen — - Takt kann man durch das blosse Taktvorzeichen
2
nicht von dem genau auf dieselbe Weise vorgezeichneten dipodischen — - Takte
unterscheiden. Daher ist die Schreibung derjenigen vorzuziehen, welche das
2 2
— - Vorzeichen dem dipodischen zueignend, für den monopodischen - - Takt die
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40
Arisfoxenus rhythmische Elemente § 33. 34.
Schreibung- - Takt wählen. Das letztere geschieht bei Bach als einzigem Bei-
spiele in dem unedirten Praeludium, welches Spitta in der Biographie Bachs
I S. 430 besprochen. Auf meine Bitte hat mir derselbe die von ihm genom-
mene Abschrift des Praeludiums („nach dem auf der Königl. Bibliothek zu
Berlin befindlichen Manuscripte — mit Bleifedercorrecturen von Alfred Dörflei
nach der Handschrift im Buche des Andreas Bach") überlassen:
12 3 4
1
i
"5*
Ii--*
£. Ä *-
2
8
L U
Monopodischer - oder C Takt-
Beethoven Clav. Sonate op. 13. Molto allegro.
fei
l.
3.
i.
2.
3.
4.
Bei Bach findet sich der monopodische - Takt selten ; höchstens in d»r
4
Vocahnusik, niemals in der Instrumentalmusik. Bei den folgenden, bei Haydn,
Mozart, Beethoven immer häufiger, ist hier auch in der Instrumentalmusik einer
der häufigsten Takte.
3. Fünfzeitiger Takt,
§ 33. An dritter Stelle stehen die Takte von funfzeitigem Um-
fange. Denn bei fünf lassen sich zwei Verhältnisse annelunen: 1:4
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II. 2 b. Taktgrössen und Taktarten continuirlicher Rhythmopoeie. 41
(tetraplasisch) und 2:3 (hemiolisch). Von ihnen ist das tetrapla-
sische kein errhythmisches; das hemiolische wir<l fünftheibg-ungerade
(paeonische) Takte bilden.
Man hat sich mehrfach bemüht (Lehrs), die fünfzeitigen Takte (paeonische
Versfüsse) aus der Rhythmik der Griechen auszuweisen, weil sie in der modernen
Musik nicht zu Recht beständen. Das letztere ist wahr, das erstere ist der Er-
klärung, des Aristoxenus gegenüber, der hier allein zu entscheiden hat, unmög-
lich; ja es sind uns in den Musikbeispielcn des Anonymus Kola aus fuufzeitigen
Versfüssen überliefert (vgl unten § 38).
4. Sechszeitige Takte,
moDopoditthe und dipodbehe.
§ 34. An vierter Stelle stehen die Takte von sechszeitigem
Umfange. Es ist dies Megethos zwei Taktarten gemeinsam, der ge-
raden (daktylischen) und der dreitheilig-ungeraden (iambischen). Denn
von den drei Verhältnissen, welche sich bei sechs ergeben, nämlich
3:3 (isorrhythmisch), 2:4 ( = 1:2) (diplasisch) und 1:5 (pentapla-
sisch) ist das letztgenannte kein errhythmisches, von den beiden
anderen aber wird das isorrhythmische dem daktylischen, das dipla-
sische dem iambischen Rhytlunengeschlechte zufallen.
a. Sechszeitige Monopodie.
Wenn der sechszeitige Takt der iambischen (dreitheilig ungeraden) Takt-
art angehört, dann ist er ein monopodischer Takt Die Alten unterscheiden
denselben von dem dreizeitigen derselben Taktart dadurch, dass sie den drei-
zeitigen „Trochaeus" nennen, den sechszeitigen „Jonicus", früher wie es scheint
„Bakcheios" Plutarch de mus. 29; der Name „Jonicus" ist zuerst bei Varro
nachzuweisen; er kam auf, als die von Sotades in diesem Rhythmus geschrie-
benen Gedichte (aus der Zeit des zweiten Ptolemaeus), welche wegen ihres
Dialektes den Namen {wwtol Xo^oi erhielten, zu einer Lieblingslectüre der Alexan-
driner wurden. Die dreizWtigen Trochaeen der Alten haben die Silbenform
£ V> £ V*/ ^ \^
oder
die sechszeitigen Jonici haben die Silbenform
± — \J \J s — \-/ w
Die dreizeitigen Trochaeen können zu einem Kolon von 4 Versfüssen
vereint werden, die sechszeitigen Jonici niemals: zwei ionische Versfüsse haben
dieselbe rhythmische Bedeutung wie vier trochaeische (als Protasis oder Apo-
dosis einer Periode).
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42
Aristoxenus rhythmische Elemente § 33. 34.
In der modernen Vocalrnusik kann der Componist einem jeden Takte
ohne Rücksicht auf die Beschaffenheit seiner poetischen Versfüsse die rhyth-
mische Beschaffenheit des Jonicus geben, unsere moderne Poesie hat kein ioni-
sches Metrum. Dass unsere Musik aber einen von allen übrigen Rhythmen-
geschlechtern scharf geschiedeneu ionischen Rhythmus hat, diese Erkenntniss
verdanken wir erst der antiken Rhythmik. Sie ist zuerst ausgesprochen in der
Theorie des musikalischen Rhythmus seit Bach § 81 ff. Bisher rechnete man
sie ohne Unterschied in die Kategorie der dreitheilig- ungeraden Takte. Die
ungeraden Takte pflegt man meist so zu taktiren, dass man einem jeden ent-
weder nur Einen oder drei Taktschläge giebt Diejenigen, denen man nur
Einen Taktschlag giebt, sind die dreizeitigen Trochaeen; diejenigen, welche je
drei Taktscldäge erhalten, sind die sechszeitigen Jonici. Dass wenigstens Bach
ein genaues Bewusstsein von diesem Unterschiede der dreitheilig- ungeraden
Takte hatte, lässt sieh aus der besonderen Art und Weise, wie er den Takt-
strich setzt, ersehen, kann aber an dieser Stelle nicht näher nachgewiesen
werden.
Das Tempo der Jonici ist im Unterschiede von den Trochaeen fast tiberall
ein langsameres, während die Trochaeen sich gewöhnlieh in einem rascheren
bewegen. Die Taktvorzeichnung ist für beide dieselbe. Man bezeichnet den
3 3
ionischen Takt entweder als — oder als oder auch, was beim Trochaeus
o 4
nicht vorkommt, als
3
2
Sechszeitige Monopodie (Jonicus) als Takt.
Beethoven, Cis Moll-Sonate. Allegretto.
: i
l±±^=4
Mi
I 1
I
Sechszeitige Monopodie (Jonicus) als ^--Takt.
Wohltemp. Clav. 1, 11 Fuge.
IL 2b. Taktgrösscn und Taktarten continuirlicher Rhythmopoeie. 43
Sechszeitige Monopodie (Tonicus) als g-Takt.
Wolütemp. Clav. 1, 8 Praelud.
m
m
b. Sechszeitige Dipodie.
Wenn der seehszeitige Takt der daktylischen (geraden) Taktart angehört,
dann ist er eine aus zwei dreizeitigen (trochaeischen) Takten zusammengesetzte
trochaeische Dipodie: bei Sechszehntel -Schreibung des Chronos protos als
^-Takt, bei Achtel-Schreibung als -i -Takt, bei Viertel - Schreibung als
— - Takt notirt
Sechszeitige Dipodie (Ditrochaeus) als ^ -Takt.
Bach, wohlt. Clav. 2, 11 Fuge.
1. 2. 3. 4. 1.
Sechszeitige Dipodie (Ditrochaeus) als -Takt.
Bach, wohlt. Clav.
Ueber den Vortakt siehe Theorie des musikal. Rhythmus seit Bach.
6
Sechszeitige Dipodie (Ditrochaeus) als -j- -Takt.
Weber, Capriccio.
1 2
8
2
^ O *4 - — I — m - m- * m m m — L m —
i TTT
Digitized tty Google
44
Aristoxenus rhythmische Elemente § 34. 35. 36.
Beispiele aus der griechischen Instrumentalmusik. Anonymus § 97.
Sechszeitiger Rhythmus.
T7l f hlr F"h7r"t
F
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Ferner Anonymus § 104.
Sechszeitiges Kolon.
Lw< uc< nv/n <riFc
c w n w l u <
**• .-- -
§ 35. Das sieben -zeitige Megcthos hat keine Takt - Diairesis.
Denn von den drei Verhältnissen, welche sich bei sieben annehmenn
lassen, ist keines errhythmisch; das eine 3:4 (das epitritisehe), das
zweite 2:5, das dritte 1:6 (das hexaplasische).
Selbstverständlich ist lüor immer nur von den rhythmischen Verhältnissen
der in der continuirlichen Rhythmopoeic vorkommenden Takte die Rede. Als
BolirterTakt unter andere Takte eingemischt kann der siebenzeitige epitritische
Takt vorkommen (vgl. unten S. 70).
5. Achtzeit iger Takt,
dipodisch.
§ 36. An fünfter Stelle werden also die Takte von achtzeitigem
Umfange stehen. Der Taktart nach werden dieselben gerade (dak-
tylische) sein, da ja von den bei acht sich ergebenden Verhältnissen
nur das Verhältnis 4 : 4 ein errhythmisches, nämlich das des geraden
Rhythmus ist. Denn (alle anderen ausser 4:4 sind nicht errhyth-
misch, 1:7, 2:6, 3:5.)
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II. 2 b. Taktgrossen und Taktarten continuirliehcr Rhythmopoeie. 45
Den achtzeitigen stete dipodiscbcn Takten des Aristoxenus entsprechen
in unserer Musik bei Sechszehutcl-Schrcibung des Chronos protos der dipodische
o 4
y - Takt, bei Achtel-Schreibung der dipodische — - Takt, angedeutet durch das
Zeichen (p, genannt kleiner (dipodischer) alla breve Takt, bei Viertel-Schrei-
bung durch de. f -Takt, genannt grosser (dipodischer, alla brevc Takt.
Aehtzeitige Dipodie als y-Takt.
Mozart, Don Juan:
Schmähle, to-be, lie-ber Junge!
Achtzeitige Dipodie als --Takt, bei Bach stets mit dem Zeichen (B,
während C entweder den tetrapodischen sechszehnzeitigen Takt oder den mouo-
podischeu vierzeitigen Takt bedeutet (letzterer nur in der Vocalmusik). Nur
als Ausnahtne kommt (H auch für den tetrapodischen Takt vor (wie Spitta und
A. Dörffel meinen, in Folge einer der Verschnörkelung zugethanen Handschrift)
z. B. wohlt. CT. 2, 5 Praclud., wo die Chrysander'sche Ausgabe das richtige
Zeichen hergestellt Bei den Spätereu gehen die Zeichen, C und C£ wenigstens
in den Ausgaben wild durcheinander, namentlich in den Beethoven'scheu : hier
ist auf die Taktzeicheu durchaus kein Verlass. (C gehört nur dem dipodisehen
Takte an (die ursprüngliche auf das Tempo bezügliche Bedeutung von alla-
breve-Takt ist als antiquirt anzusehen); es müsstc die Beethoven 'sehe, Mozart-
sche u. s. w. Taktvorzeichnung, wenn aus den Originalhandschriften das Rich-
tige nicht mehr zu ersehen ist, nach dem Bach'schen Gebrauche regulirt werden.
Bach, Cantate „Bleib bei uns"
Beweis dein Macht, Herr Jesu Christ, der du Herr al-ler Herren bist.
1, 2. 3.
Wohlt. Clav. 2, 13 Fuge.
4.
1.
2.
3.
4.
1.
2.
3. 4. L*
Orgelfuge V, 4, 1 (Peters) mit der Zuschrift „Alla breVe".
gl
3£
* £ *=
1.
1.
2.
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46
Aristoxenus rhythmische Elemente § 36. 37.
Achtzeitige Dipodie als Takt, genannt grosser (dipodischer)
alla-breve-Takt.
Als Beispiel das Silcher'sche Lied:
Der Kai - ser Bar-ba - ros - ea, der gros - se Frie-de-rich.
t j
t j. f 4 | - 1 **-
1. 2. 3. 4. | 1. 2. 3. 4.
Alle anderen Diairesen des achtzeitigen Megethos als die daktylische sind
nicht errhythmisch. Eine Diairesis 3 : 5 ist also wenigstens für continuir-
liche Rhythmopoeie durch Aristoxenus' Erläuterung ausgeschlossen. Es ist dies
von grosser Bedeutung für die rhythmische Auffassung der Dochmien, welche
zu langen Perioden continuirlich wiederholt werden. Aeschyl.-Sept. 79:
xaftcrcai orpaTo; | ffxpaT'Szc&ov Xirdiv [
■
— — \S — \J V-'V»/ _ y^J —
I
Wir besitzen über die Messung der Dochmien eine beim Schol. Hephaest.
p. 60 und im Etymol. magn. p. 2S5 vorkommende Ueberlieferung, die nach
diesen beiden Berichten, die offenbar auf Eine Quelle zurückgehen, folgender-,
maassen herzustellen ist:
Ol 7tpoetpT(ji£voi p-jftfjLOt, totpL^o; Ttilrov £^bpiTOC, «Spßol xaXoüvtat, £v laö-nrjTt rio
xetvrat xaft' 5 2xaaTo< x&v aptftfj.tüv fxovdEoi irXeovexxetxcu, rt -ydp fiovdc £«xi ~oo;
SudSa r\ Sude zpöc xpidoa ^ xpid? -pö; xexpd&a. x<u 5oyfj.lq> xptd; iaxt reo?
irevxdoa xal oud; -fj TtXe(mxxoyoa. ouxo; ouv 6 £>'j8p.ö; oix •J]56vaxo xaXtioftat
6p8<Js, irel oO {AovdSt TtXeovexxetxat. £x.X-f)8Tj xolvvv h6y\xvn, b* «p x6 xfj; dviavrr(-
xos (aeICov xaxd r^v eidtTav xpfvexat. Vgl. griech. Rhythmik und Harmonik
1867 p. 660 ff:
„Die Rhythmen, in welchen die beiden das Verhältniss ausdrückenden
Zahlen nur um eine Einheit differiren, nähern sich der la6rr^ (ungenau ist ge-
sagt h la<$T7)Tt xetvxou), xaxd W,v ejöelav xp(vovxai und heissen deshalb öpftol.
Das sind die rhythmischen Verhältnisse:
1 : 2 X070; SirXdoio;
2 : 3 X<5?oc rjptäXto;
3 : 4 X'^o« idxpixo;.
Das Verhältniss ist hier überall der von den Mathematikern sogenannte
1670; l-\\t.6pio<i (Nicom. arith. 1, 19. 20)
x + 1
x
und deshalb kommt für diese Takte auch der Name wföe? lmp6pm vor Aristid.
97 Meib.; Porphyr, ad Ptol. 241, freilich so, dass hier der nou; SirXdoto^ weil des-
2 x
sen Xdfo; zohixbs auch durch — — ausgedrückt werden kann, nicht als ^Tiuxdpios
angeschen wird.
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II. 2b. Taktgrössen und Taktarten continuirlicher Rhythmopoeie. 47
Es giebt aber Rhythmen, so erfahren wir hier, in welchen die Verhält« iss-
zahlen um mehr als eine Einheit differiren, und in dem von den Mathemati-
kern sogenannten XÖ70; fauupf)«
x + 1 + n
x
stehen. Dahin gehöre der &<fypio« <ixxdoT((j.o;, dessen X<$f&; rafcwö; 3 : 5 sei.
Dieser soll also gemessen werden als eine Zusammensetzung aus dem dreizei-
tigen Jambus und dem fünfzeitigen Pacon
\j — — ^ — oder —
3" 1 " ~" i a
vgl. Aristid p. 39 Meib.: cuvn&rcai Ii tflt^^ou xal Tialcavo; ätaptou . . . oöyjxiot
Zi £xaXoüvro hia. romlXov xal dvöfjtotov xol tö p.-?) xax eifty 8ta>pei8at T?j« ^\>diio-
roiioi. Fab. Quintil. instit. 9, 4, 47. Schol. Aeschyl. Sept. 103. 128.
Die in diesen Stellen Überlieferte Auffassung des Dochmius kann nicht
die des Aristoxenus sein, denn dieser sagt, ein achtzeitiges Takt-Megethos ist
bei continuirlicher Rhythmopoeie (und dieser gehören die Dochmien entschieden
an) nicht errhythmisch, wenn es eine andere Diairesis als 4 + 4 hat. Ari-
stoxenus hat doch offenbar für seine Rhythmik den Gebrauch bei Aeschylus
und den Dramatiken» vor Augen: wäre der dort häufig genug vorkommende
dochmische Rhythmus
w — — ^ — oder o — — o —
-
3 5 5 ~3~
gemessen, so hätte Aristoxenus die Diairesis eines achtzeitigen Taktes in eine
andere Diairesis als 8 + 8 nicht in Abrede gestellt. Also wir müssen die
uns von metrischen Scholiasten u. s. w. überlieferte Messung des Dochmius als
eines achtzeitigen Rhythmus in Abrede stellen, sie gehört in dieselbe Kategorie
von Ucberlieferungen, wie wenn Hephaestion einen jeden Choriambus als
sechszeitigeu tou; misst, trotzdem derselbe häufig genug eine katalektische dak-
tylische Dipodie ist. Auch von den beiden Bestandteilen des Dochmius nach
der Auflassung des Aristoxenus muss der eine ein katalektischer Versfuss sein.
6. Neunzeitiger Takt,
tripodlsch. "
§ 37. An der sechsten Stelle stehen die Takte von neunzeiti-
gem Megethos. Bei der Zahl neun ergeben sich die Verhältnisse
1:8, 2:7, 3:6, 4:5. Von diesen sind drei nicht enhythmisch,
wohl aber das vierte 3:6, nämlich ein diplasisches. Der neunzei-
tige Takt wird also ein dreitheilig-ungerader (iambischer) sein.
In der modernen Musik wird der neunzeitige Takt bei der Sechszehntel-
9 9
Schreibung durch Jß , bei der Achtel-Schreibung durch -g ausgedrückt
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48 Aristoxenus rhythmische Elemente § 37. 3S.
9
Neunzeitige Tripodie als-^ -Takt.
Bach, Partita 4, Giga.
Neunzeitige Tripodie als -Takt
Bach, wohlt. Clav. 2, 7 Praelud.
L 2. 3. 1. 2. 8.
Uebcr den Vortakt, s. Theorie des musikal. Rbythm. seit Bach § 182 ff.
Bach, wohlt Clav. 1, 19 Fuge.
^ 1— n
1.. 2.
3. 1. 2.
7. Zehnzeitiger Takt,
monopodUch und dipodisch.
§ 38. An siebenter Stelle stehen die Takte von lOzeitigem
Megethos. Dasselbe wird zwei Taktarten, der hemio tischen ( ftinf-
theilig-nngeraden) und der geraden (daktylischen), gemeinsam sein.
Denn von den Verhältnissen, welche sich bei 10 ergeben, sind 1:9,
2:8, 3:7 nicht errhythmisch , dagegen wird 4:6 (hemiolisch) der
paeonischen, 5:5 der daktylischen Taktart angehören.
a. Zehnzeitige Monopodie, genannt Paion epibatos vgl. unten 8. 93.
Modernes Beispiel im Volkslieder
Prinz Eu - ge - ni - us, der ed'le Rit-ter,
5. I .
II. 2b. TaktgrÖssen und Taktarten continuirlicher Rhythmopocie. 49
wollt' dem Kai - ser wiedrum kriegen
Stadt und Festung Bel-ge-rad.
Er Hess schlagen einen Brucken,
dam man kunnt' hin - ü - ber-rucken
mit d'r Ar - mee wohl für die Stadt.
Ein solcher Rhythmus hiess bei den Griechen Paion cpibatos. Wie der-
selbe von Aristides erläutert wird, s. unten S. 93.
Aristoxenus sagt in den vermischten Tischgesprächen bei Plutarch de
nrasica 33: „Wenn ich wiederholt von eigenthümlichem Charakter spreche, so
thne ich das mit Hinblick auf die Wirkung, welche die Musik auf unser Ge-
iuüth ausübt Der Grund dieser Wirkung besteht, sage ich, entweder in der
bestimmten Art und WeUe der Composition (wie die Töne und Taktzeiten zu-
sammengesetzt sind) oder in der Vereinigung (Mischung von Melischem und
Rhythmischem) oder beide Ursachen wirken zusammen. So ist von Olympus
die in phrygischer Tonart gesetzte Enhannonik mit dem Paion epibatos ver-
bunden. Hierdurch wurde nämlich die Wirkung des Anfangstheiles im Nomos
auf Athene hervorgebracht. Indem dann im weiteren Verlaufe der Composition
bloss der Rhythmus geändert und statt des paiouischen der trochaeische ge-
nommen wurde, wurde die Enharmonik des Olympus festgehalten. Aber trotz-
dem dass das euharmonische Tongeschlecht und die phrygische Tonart, und
ausserdem das ganze Tonsystein festgehalten wurde, ward doch die Wirkung
eine völlig andere, denn derjenige Theil, welcher . . . genannt wird, ist im
Nomos der Athene von dem Anfangstheile der ethischen Wirkung nach durch-
aus verschieden/'
Also der Anfangstheil des Olympischen Nomos auf Athene war iu epiba-
tiseben Paionen, der darauf folgende Theil in trochaeischeu Tetrameteru (dies
werden wir uns unter den Trochaeen zu denken haben) gesetzt. Die epibnti-
schen Paeonen waren demnach in continuirlicher Rhythmopocie gebraucht, wie
Arittoxennt, Melik n. Rhythmik. 4
50 Aristoxenus rhythmische Elemente § 38. 89. 40.
das auch in unserem Prinzen Eugenius der Fall ist. Sonst gebraucht sowohl
unsere Musik wie auch die griechische den Paion epibatos als isolirt unter
andere Takte eingemischt, und zwar die alte nicht minder wie die moderne in
ionischen Rhythmopoeien. S. 72 — 74 giebt dafür Beispiele aus Sophokles und
Beethoven. Dort wird sich zeigen, daas der Paion epibatos seinem eigenthüm-
lichen Wesen nach eine Verkürzung der ionischen Dipodie ist. Dalier denn
auch in jenem unserem Volksliede häufig die Modifikation angebracht wird,
5 3
dass die epibatißchen (— - Takte) mit ionischen (— - Takten) wechseln, z. B.
Prinz Eu - ge - ni - us, der tapfre Rit - ter
+" 1 h
Aristides beschreibt in der S. 98 anzuführenden Stelle den Paion epibatos
als einen zehnzeitigeu aus fünf Längen bestehenden Rhythmus. Doch kamen
auch andere stets zehnzeitige metrische Schemata vor, wovon wir unten S. 72
aus Oed. Rex Beispiele aufführen werden. Daher sah man auch die Archi-
locheische Strophe
als eine Verbindung des iambischen Trimctrons mit dem (zehnzeitigen) Paion
epibatos an, denn etwas anderes als diese Strophe kann unter den bei Plutarch
de mus. 28 dem Archilochus zugeschriebenen Neuerungen mit dem Ausdrucke
„Verbindung des Jambeion mit dem Paion epibatos" nicht gemeint sein.
b. Zehnzeitige (pacouische) Dipodie.
Dies ist Aristoxenus' zehnzeitiger gerader (daktylischer) Takt Bei dem
Anonymus Bellermann §101 findet sich ein antikes Instrumental-Beispiel dieses
Taktes mit der falschen Ueberschrift der Codd. „öxTotor^o;". (Der Irrthum
der Handschriften ist dadurch entstanden, dass der Takt nicht zehn, sondern
acht Notenzeichen hat):
HAT L F C F C
h A r L F C F L
hAL r h l r l
> »
| 4
— » m »
i — > —
~f ~y 1
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II. 2b. Taktgrössen und Taktarten continuirlicher Rhythmopoeie. 51
CFFFF TFlF
Ein Beispiel einer zehnzeitigen Dipodie christlich -moderner Musik würde
es sein, wenn wir den ^ - Takt der Bachschen Fuge wohlt. Clav. 2, 11 in
5
folgende — - Takte umformten.
Die rhythmus-verkürzendc Umformung ist genau nach denselben Grund-
sätzen vorgenommen, wie wenn Bach in der Kunst der Fuge aus dem dakty-
lischen Rhythmus der Fuge 1 den ionischen Rhythmus der Fuge 12 entwickelt
Dreizeitige Trochaeen und vierzeitige Daktylen sind die primären Rhythmen,
fünfzeitige Paeonen und sechszeitige Jonici sind die aus den primären durch
Verkürzung abgeleiten secundüren Rhythmen. Mit Recht unterscheidet daher
die Theorie der griechischen Metriker zwei Kategorien der Versfüsse: 1. z65e;
r?); rpoiTTjC dvciroöeia;, troehaeisehe und daktylische, 2. x6he<; r»jc oeur£pa<; dvri-
zaftelac, paeonische und ionische vgl unten. Die Auffassung der Paeone als
verkürzte Trochaeen ist schon in der ersten griech. Rhythmik 1854 als Vermu-
thung ausgesprochen.
§ 39. Das elf- zeitige Megethos hat keine errhythmische Di-
airesis. Denn von den Verhältnissen, welche sich hei 11 ergeben,
nämlich 1:10, 2:9, 3:8 4:7, 5:6, ist keines ein errhythniisches.
8. Zwölfzeitiger Takt,
tripodioch, tetrapodbeh, dipotliach.
§ 40. An achter Stelle stehen daher die Takte von 12zeitigem
Megethos. Bei der Zahl zwölf werden sich ergeben die Verhältnisse
1:11, 2: 10, 3:9, 4:8 (diplasisch) , 5 : 7, 6 : 6 ( isorrhythmisch). Von
diesen gehört das diplasische 4:8 der iambischen (dreitheilig-unge-
raden), das isorrhythmische 6:6 der daktylischen (geraden) Takt-
art an.
a. Zwölfzeitige Tripodie.
Antikes Beispiel in Anonymus Bellermann § 99 eine rhythmische D-moll-
Scala, auf- und absteigend, mit der Ueberschrift:
4*
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52 Ariatoxenus rhythmische Elemente § 40.
„Zwölfzeitiger"
< fl A w C FL TAt
Ein Beispiel antiker Vokalmusik giebt der Hymnus des Mesomodes auf
die Muse in den zwei daktylischen Hexametern, welche auf die beiden iam-
Tetrameter folgen:
Wei-se Kai -Ii - o - pc du, An - füh-re-rin lieb-licher Musen,
~ 1fc±:
25^
weiser Begründer der WeüVn, Sohn Lato's Delischer Paian.
> .-g I ' 3 1 1 — m z ß — '
1 — d "* — £ — p — *■
W "T
3 3
Bei Bach wird der zwölfzeitige tripodische Takt entweder als — oder —
notirt, jenes bei Sechszehntel- Schreibung, dieses bei Achtel-Schreibung des
Chrono« protos.
Wohltemp. Clav. 1, 21 Fuge:
1. 2. 3. 1. 2.
3£
3.
Wohltemp. Clav. 2, 22 Fuge:
1. 2.
3.
1. 2.
3.
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II. 2b. Taktarten und Taktgrössen continuirlicher Rhythmopoeie. 53
££=!=£=
1.
2.
3.
1.
Igt die zwölfzeitige Tripodie so dargestellt, dass jeder einzelne Versfuss
derselben durch einen einzigen Chronos tetrasemos ( i ausgedrückt ist, so wird
der ganze Takt ein Trochaios semantos oder Orthios genannt, je nach der
r f wr r
i — i i — i i — i Trochaios sümantos,
> n ii
■ — . i — m — i Orthios.
So zuerst in der griech. Rhythmik 1854. (Boeckh hatte die Bestandtheile
beider Takte als eine achtzeitigp und eine vierzeitige Länge gedeutet, so auch
G. Hermann). Die einzelne der drei vierzeitigen Längen des Taktes ist nach
Aristoxenus ein „xp<*vo; xaxdt jbtytoicotlac yp-fjotv douv&eTo;", daher nennt Ari-
stides den ganzen Takt einen „tou; dt7rXotic'% während ihn Aristoxenus unter die
Kategorie der „tcooc« eävftrroi" zälilen muss („da er in drei vierzeitige Takte
zu zerlegen ist*').
Bach chromatische Fuge I, 4, 1 (Peters):
s^v^ X v-/"^ X W W X
L-Ul — . L
tr. tr. tr.
v> X ^ v-/ L \J \J X
^ n= uum — .i
^/\-/X\^^/ X v> v> X
i ,
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54
Aristoxenus rhythmische Elemente § 40.
Wir haben den Bachschen Noten die entsprechenden metrischen Sche-
mata in griechischer Weise hinzugefügt. Jede Zeile hat den Rhythmus des
griechischen Hexametron; in der ersten Tripodie des Hexainetron (der Protasis
der zweigliedrigen Periode) gebraucht Bach eine Anakrusis, so dass also die dak-
tylischen Küsse des griechischen Hexametrons zu Anapaesten, das ganze
tripodisch-daktylische Kolon zu einem anapaestischen Prosodiakon umgeformt
sind. Nun wird mau ferner bemerken, dass bei Bach auf das Prosodiakon der
Protasis in der unteren Stimme als Apodosis ein aus drei unzusammengesetzten
tetrasemoi Chronoi bestehendes Kolon folgt. Dies Kolon ist es, was dem zwölfzei-
tigen Trochaeos semantos der Griechen entspricht. In der Apodosis der letzten
Zeile erscheinen gleichzeitig in der oberen Stimme drei daktylische (oder viel-
mehr anapaestische) Versfüsse, in der Unterstimme drei unzusammengesetzte
Chronoi tetrasemoi. Wir haben hier durch die verschiedene Rhythmopoeie der
beiden Stimmen dasjenige, was Aristoxenus „Chronoi miktoi" nennt (vgl. § 15).
In der Weise wie dies letzte Kolon Bachs haben wir uns die semantischen
Trochaeen des Terpander zu denken, der dieselben in seinem „Nomos trochaios"
angewandt hatte. Plutarch de mus. 28 „Terpander soll diejenige Weise der
Orthios-Melodie, welche nach Rhythmoi Orthioi gegliedert ist, und dem Orthioa
analog auch den semantischen Trochaeus erfunden haben." Der Gesang dieser
Nomoi bewegte sich in lauter Längen, gleichsam als Cantus firmus, während
die Kithara-Bcgleitung das Schema des heroischen Hexameter einhielt Vgl.
meine Gesch. der alten und mittelalterl. Musik I. unter Terpander.
#
b. Zwölfzeitige Tetrapodie.
12 12
In unserer Musik als — - oder ---Takt geschrieben, jenes bei Sechs -
zehntel-, dieser bei Achtel-Schreibung des Chronos protos.
Bach. Engl. Suite No. 6. Giga.
1. 2. 3. 4. 1. 2. 3. 4.
Bach. Engl. Suite 3. Giga.
1. 2. 3. 4. 1. 2. 8. 4.
Als Beispiel dieses Taktes in einem antiken Melos Anonym. Bellermann
§98 unter der Uebcrschrift „Elfzeitiger", einem Handschriften - Irrthum statt
„Zwölfzeitiger'4 (entstanden dadurch, dass der Takt nicht zwölf, sondern elf
Notenzeichen hat):
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IL 2 b. Taktarten und Taktgrössen continuirlicher Rhythmopoeie. 55
hAFHFC ACLhA
f=*=r
—
3.
4.
CAFLLT ATFLA
9 P v —
1.
2.
r- T L f L F ACLFA
1.
2.
3.
4.
CFCFLF ACLhÄ
i.
2.
4.
c. Zwölfzeitige Dipodie.
Hier sind zwei ionisch«- Versfüsse zu einer ionischen Dipodie coinbinirt.
Für die Griechen ist uns kein indisches Beispiel dieses Taktes überliefert.
Die moderne Musik bezeichnet ihn bei der Sechszehntel-Schreibung des Chro-
6 6
nos protos als — -, bei der Achtel-Schreibung als — -Takt.
Zwölfzeitige Dipodie als ^--Takt.
Bach, wohlt. Clav. 1, 15 Fug.
i
- #- ■ W 0 w
1 2 3 4 5
6 12 3.
4 5 6 1 2 3 4 5
6
Ueber den Vortakt vgl. Theorie des musikal. Rhythmus seit Bach § 182 ff.
■
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56 Aristoxcnus rhythmische Elemente § 41. 42. 43. 44.
Zwölfzeitige Dipodie als 4--Takt.
Bach, wohlt. Clav. 1, 4 Prälud.
3§
1. 2. 3. 4. 5.
=j
h^! - g- ■ *
1 l !
6. | 1. 2. 3. 4. J
_^
>. 6.
Ju
Ebenfalls mit Vortakt.
§41. Das 1 3zeitige Megethos kann keinen Takt (der continuir-
lichen Rhythniopoeie) bilden, denn von den bei der Zabl 13 mög-
lichen Verhältnissen 1:12, 2:11, 3 : 10, 4:9, 5:8, 6:7 ist keines
ein errhythmisches.
§ 42. Der 14zeitige Megethos bildet keinen (für die continuir-
liche Rhythniopoeie brauchbaren) Takt, denn von den für die Zahl
14 sich ergebenden Verhältnissen 1:13, 2:12, 3:11, 4:10, 5:9,
6:8, 7:7 bildet zwar das letztere 7:7 ein errhythmisches, nämlich
ein daktylisches, aber die siebenzeitigen Megethe, welche die Bestand-
teile eines solchen Hzeitigen daktylischen Taktes bilden würden,
sind für die continuirliche Rhythmopoeie nicht errhythmisch.
Bei der Gliederung 6 : 8 bildet das vierzehnzeitige Megethos den grössten
epitritischon Takt, welcher zwar nicht in continuirlicher Rhythmopoeie, aber
i8olirt unter anderen Takten vorkommt (vgl. S. 72).
9. Fünfzehnzeitiger Takt,
pentapoüiBcn, tnpoaiscn.
§ 43. An neunter Stelle stehen die Takte von 15zeitigem Me-
gethos. Bei der Zahl 15 lassen sich folgende Verhältnisse nehmen:
1:14, 2:13, 3:12, 4:11, 5:10 (diplasisch), 6:9 (hemiolisch ).
Ausser den beiden letzten sind die Verhältnisse tinrhythmisch. Das
lözeitige Megethos wird also zwei Taktarten gemeinsam sein, der
iambischen (dreitheilig-ungeraden) und der paeonischen (fünftheilig-
ungeraden).
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IT. 2b. Taktarten und Taktgrösscn continuirlicher Rhythmopoeie. 57
Der funfzehnzeitige dreitheilig ungerade Takt ist die paeonische Tripodie
der ftinfzehnzeitige Takt fönftheilig-ungerader Taktart ist die trochaeischc Pen-
tapodie
In der modernen Musik darf man so wenig den einen wie den anderen
suchen. Denn im Rhythmus paeonischer Versfüsse componirt die christlich-
moderne Zeit überhaupt nicht, sondern nur das Alterthum, und die trochaeischen
setzen wir wenigstens nicht in continuirlicher Poesie zu Pentapodieen zusammen.
15
Höchstens wird der pentapodische — - Takt einmal in einem Volksliode zwi-
15 12
sehen heterogenen Takten geschrieben, im Wechsel von — - und — - Takten
o o
vgl „Mys Lieb, we' du zur Chilehe thust ga", in meiner allgemeinen Rhyth-
mik § 50.
10. Seohszehnzeitiger Takt,
§ 44. An zehnter Stelle stehen die Takte von IGzeitigem Me-
gethos. Bei 16 sind alle übrigen Verhältnisse, nämlich 1 : 15, 2 : 14,
3:13, 4:12, 5:11, 6:10, 7:9 nicht errhythmisch, wohl aber 8:8, näm-
lich ein isorrhythmiscb.es. Der 16 zeitige Takt wird also der geraden
(daktylischen) Taktart angehören. Es ist aber das grösste Megethos
dieser Taktart, da wir nicht im Stande sind, in diesem Rhythmen-
geschlechte grössere Megcthe als das 16zeitige noch als Takte zu
empfinden (Xach Aristides.p. 35 Meib.).
Je nach unseren verschiedenen Schreibungen werden die 16 Chronoi protoi
entweder durch Sechszehntel oder Achtel oder auch durch Zweiundtlrcissigstel
ausgedrückt Der beste Terminus für den Takt würde nach griechischem Vor-
gänge — oder ~ oder ~ sein. Leider ist diese Nomenclatur nicht üblich.
» 6 16 8 32
pen l^.Takt nennen wir „4" oder C-Takt", den —-nennen wir „^-- oder
16 4 o i
16 2
grossen alla breve Takt" mit dem Zeichen C|0T den — nennt Beethov. „—-Takt".
Es ist durchaus nothwendig, diese tetrapodischen Takte stets durch den Zusatz
„tetrapodisch" von den sonst gleichnamigen und gleichbezeichnetcn monopo-
2
dischen und dipodischen C- und — - Takten zu unterscheiden, wie denn über-
haupt unsere Takt-Nomenclatur für daktylische Rhythmen viel weniger gut,
als für trochaeische ist, bei welchen letzteren wir Modernen genau so wie Ari-
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58
Aristoxenus rhythmische Elemente § 44. 45. 46.
stoxenus nach der Anzahl der in dem Takte enthaltenen Chronoi protoi sagen :
3 3 6 6 6 9 9 9 12 12 12 _.. . . . „ v . .
~8 ' 4 ' T9 7' 16 ; ¥' 12' 16 ; T ' T' 16* DlC P"nciPielle Verschie-
denheit in unserer Nomenclatur der trochaeischcn und daktylischen Takte ist
eine böse Inconsequcnz unserer musikalischen Terminologie.
16
Sechszehnzeitige Tetrapodie als C- d. i. — -Takt.
lb
In Bachs Instrumental-Musik ist kein Takt so häufig wie dieser. Dort
haben alle mit C bezeichneten Takte tetrapodische Geltung, da die dipodischen
4 4
— -Takte bei Bach das Zeichen Q haben, und monopodische — -Takte bei
Bach nur in der Vocalmusik, aber nicht in der Instrumentalmusik vorkommen.
Woldt. Clav. 1, 20.
Die meisten Bachschen Fugenthemata dieses Taktes haben genau das
Schema des anapaestischen Tetrametrons oder einer anapaestischen hypermetri-
schen Periode. Es ist von hohem Interesse, dass sich bei Bach die anapaestischen
Protasen (Vordersätze der Periode ) genau wie bei den griechischen Dramatikern
durch eine Binnencaesur in zwei Hälften (Dipodien) zerlegen. Die deutschen
Dichter, welche anapaestischc Metra bilden, wahren die Binnencaesur nicht,
wenn sie nicht etwa in bewusster Weise die Formation der Griechen nachbilden.
16
Sechszehnzeitige Tetrapodie als C O- d. i. -—-Takt.
o
Ist viel seltener bei Bach, in dem ganzen wohlt. Clav, nur ein einziges
Beispiel.
Wohlt Clav. 2, 9 Fuge, zweite Repercussion :
1. 2. 3. 4. 1. 2. 3. 4.
Sechszehnzeitige Tetrapodie als — - d. i. ---Takt.
Ist die allerseltenste Schreibung der Tetrapodie, bei Bach noch gar nicht,
erst bei Beethoven.
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II. 2b. Taktarten und Taktgrössen continuirlicher Rhythmopoeie. 59
Beethoven, Clav.-Sonate No. 3. Adagio.
1. 2. 3. 4. 1. 2. 3 4.
Der sechszehnzeitige Takt ist in unserer Musik der grösste; grössere
Takte als dieser werden nicht geschrieben. Ganz analog ist es nach Ari-
stoxenus' Berichte auch bei den Griechen, „mehr als vier Chronoi podikoi kann
ein Takt nicht haben." Theoretisch geht freilich die von Aristoxenus aufge-
führte Taktscala auch noch bis zu den pcntapodischen und hexapodischen
Takten, aber die Praxis giebt denselben keine fünf oder sechs Taktschläge,
sondern theilt solche Taktgrössen entweder in fünf monopodische oder in drei
clipodische Takte, vgl. unten. Von § 45. 46 an führt uns Aristoxenus also in die
Kategorie der bloss theoretischen Takte, d. i. derjenigen rhythmischen Kola,
welche nicht mehr als einzelne Takte taktirt werden.
§ 45. Das 17zeitige Megethos hat keine errhyth mische Diai-
resis, denn von allen Verhältnissen, welche für die Zahl 17 exi-
stiren, nämlich 1:16, 2:15, 3:14, 4:13, 5:12, 6:11, 7:10, 8:9,
ist keines ein errhythmisches.
11. Achtzehnzeitiger Takt,
hexapodtsch und tripodiach.
§ 46. An zehnter Stelle stehen die Takte von 18zeitigem Mege-
thos. Bei 18 sind die Verhältnisse 1:17, 2:16, 3:15,4:14, 5:13,
6:12 (diplasiseh), 7:11, 8:10, 9:9 (isorrhythmisch) möglich. Das
isorrhythmische 9 : 9 würde einen geraden Takt ergeben, doch würde
dieser das grösste Megethos der geraden Taktart (das lözeitige),
welches durch die Fähigkeit unseres Auffassungsvermögens gegeben
ist (§ 44), überschreiten und kann daher der 18zeitige gerade Takt
nicht vorkommen. Bei dem diplasischen Verhältnisse 6:12 ist das
18zeitige Megethos ein dreitheilig- ungerader (iambischer) Takt, und
zwar ist er der grösste dieser Taktart, weil unser Empfindungs-
vermögen nur bis zu diesem 18zeitigen Megethos einen Takt des
diplasischen Megethos vernimmt, (Nach Aristides p. 35).
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60
Aristoxenus rhythmische Elemente § 46.
In der indischen Poesie ist der achtzehnzeitige Takt «lern metrischen Schema
nach ein trochaeisches (oder jambisches) Trimetron (Hexapodie)
oder ein ionisches Trimetron
WWX — ^ w- X — U \J 2. — ,
jenes ein sechstheiliger, hexapodischer, dieser ein dreitheiliger, tripodischer
Takt,
a. Die achtzehnzeitige Hexapodie
wird zwar von den Alten nach Aristoxenus als ein einheitlicher Takt empfun-
den (sonst hätte ihn Aristoxenus nicht als äusserste Grenze der dreithei lig-
ungeraden Takte gesetzt), aber die Praxis des griechischen Taktirens zerlegte
dies Megethos stets in drei dipodische Takte (vgl. unten). Ob eine Hexapodie
als ein Takt oder als drei Takte taktirt wird, ist für den musikalischen Aus-
druck und Vortrag gleichgültig: die Hexapodie ist bei der einen Taktirung
genau derselbe Rhythmus, welcher sie bei der anderen sein würde, gerade so,
wie bei Bach musikal. Opfer das angeblich von Friedrich dem Gr. herrührende
tetrapodi8che Thema genau denselben rhythmischen Eindruck macht in der Fuge
No. 1, wo es nach zwei dipodischen Takten taktirt wird, und in der Fuge
No. 2, wo es als ein einheitlicher tetrapodischer Takt taktirt wird.
In der modemen Musik kommen achtzelmzeitige iambische und trochaeische
Hexapodien zwar häufiger vor als man denkt, aber meist nur in discontinuir-
licher Rhythmopoeie isolirt unter andere Kola gemischt. Sehr selten begegnet
man Partieen, in denen die Hexapodieen continuirlich folgen. Hier schreibt sie
der Componist in dipodischen — - Takten, z. B
ö
Mozart, Figaro No. 28 SusannarAric.
0 säu - me Uta - ger nicht, ge
f3
I
liebte
See - le,
l
I
l
f *
sehnsuchtsvoll har-ret dei - ner hier die Freundin.
'S
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II. 2b. Taktarten und Taktgrössen continuirlicher Rhythmopoeie. Gl
Noch leuch tet nicht dea Mon - des Sil- ber - fackel,
Ruh' und Friede herrschen auf den Fluren.
Dies sind Trimeter, nicht iambische, sondern trochaeische , und zwar
..akephala" (mit fehlendem Anfange): der Gesangstimme fehlt die erste der
84'chü Hebungen, die nur in der Instrumentalbegleitung ausgedrückt ist, wäh-
rend der Gesang im Anfange des Verses pausirt. Vgl. Theorie des musikal.
Rhythmus seit Bach § 179.
b. Die achtzehnzeitige ionische Tripodie
würde bei den Griechen drei Taktsclüage haben (Einen auf jedem ionischen
Versfusse) und könnte daher möglicher Weise auch bei den Alten als ein ein-
heitlicher achtzehnzeitiger Takt taktirt worden sein. Doch sind solche ionische Kola
in continuirlicher Rhythmopoeie überaus selten, wir wüssten kaum ein einziges
sicheres Beispiel anzugeben. Gesichert sind durch die Caesureu die Tripodieen
in dem ionischen Gedichte des Horaz 3, 12:
Miserarum est neque amori
dare ludum neque dulei
mala vino lavere aut exanimari
metuentes patruac verbera linguac,
aber hier stehen sie nicht in continuirlicher Rhythmopoeie, sondern bilden den
Schluss der Strophen nach zwei vorausgehenden Dipodicen. Auch in der mo-
dernen Musik giebt es schwerlich ionische Tripodieen in längerer continuir-
licher Folge. Deslialb giebt es auch kein Vorzeichen für tripodisch-ionische
9 9
Takte, die durch — oder — gekennzeichnet sein müssten. Bach drückt die
ionische Tripodie entweder durch drei ionische Einzel-Takte aus, oder er giebt das
Vorzeichen — , trotzdem dies für die ionische Tripodie unpassend ist, z. B.
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62 Aristoxenus rhythmische Elemente § 47. 48. 49. 50. 51. 52. 53.
Bach, Fis-moll Toccata zweite Fuge I. 4, 4 Peters.
Analog wie Bach dem iambischen Trimetrou wohlt. Clav. 2, 4 Fuge das
12
Vorzeichen ^- giebt, welches von Rechts wegen nur der iambischen Xetrapodie
zukommen könnte:
Da es die Griechen dem Berichte des Aristoxcnus zufolge bezüglich des
Taktirens in allen übrigen Stücken genau wie die Modernen gemacht haben,
so darf man dies auch bezüglich der ionischen Tripodie annehmen: sie wurde
wo sie vorkam nach drei Einzel takten taktirt.
§ 47. Das 19zeitige Megethos hat bei eleu sich hier ergeben-
den Verhältnissen 1:18, 2:17, 3:16, 4:15, 5:14, 6:13, 7:12,
8:11, 9:10 keine einzige rhythmische Diairesis.
12. Zwanzigzeitiger Takt,
pentapoditch.
§. 48. An die zwölfte Stelle wird daher das 20zeitige Megethos
zu stelleu sein. Unter allen sich hier ergebenden Verhältnissen
1:19, 2:18, 3:17, 4:16, 5:15, 6:14, 7:13, 8:12 (heimolisch),
9:11, 10:10 (isorrhythmisch) ist bloss das hemiolische 8:12 ein
(für die continuirliche Rhythniopoeie) brauchbares, da ja das isor-
rhythmische 10 : 10 als Taktinegethoa den grössten daktylischen
Takt überschreiten würde (vgl. § 44.)
Das zwanzigzeitige Taktmegcthos gehört also der hemiolischen d. i. fünf-
theilig-ungeraden Taktart an. Es stellt sich als ein aus fünf vierzeitigen Dak-
tylen oder Anapaesten bestehendes Kolon dar, wie Aristoph. Acharn. 285
ak [iev ojv xaxaXeioofACv <I> jAiapä xe<paX+(.
Dass dies in der That ein pentapodisches Kolon ist, ist in der griech.
Khythmik 1854, S. 93 nachgewiesen.
Aber obwohl die Theorie nach Aristoxcnus das pentapodisch-daktylisehe
Kolon als einen Takt fasst, kann die Praxis des Taktirens sie nicht als einen
einzigen Takt markiren, da nach der Versicherung des Aristoxenus kein Takt
mehr als vier Taktschlüge erhalten kann (also nicht fünf, welche beim peuta-
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II. 2b. Taktarten und Taktgrössen continuirlicher Rhytlimopoeie. 63
podigchen Takte nötbig wären). Deshalb musste das zwanzigzeitige Megethos
beim Taktiren in fünf vierzeitige unzusammengesetzte Takte zerlegt werden.
Das interessante Beispiel dieses Kolons bei Mozart Zauberflötc No. 13 ist in
dipodischen Takten geschrieben:
les fühlt der Lie be Freuden,
1. 2. 3. 4.
schnäbelt, tändelt herzt und küsst.
fSpimäiggliS
1. 2. 3. 4. 5.
§ 49. Das 21 zeitige Megethos lässt die Verhältnisse 1 : 20, 2: 19,
3:18, 4:17, 5:16, 6:15, 7:14 (diplasisch), 8:13, 9:12, 10:11 zu,
aber bei dem diplasischen Verhältnisse 7 : 14 überschreitet das Me-
gethos den grössten Takt des dreitheilig - ungeraden (iambischen)
Rhythmengeschlechtes, also ist es schon aus diesem Grunde als
Takt unbrauchbar.
§ 50. Das 22zeitige Megethos wurde zwar ein isorrhythmisches
Verhältniss 11:11 zulassen, aber es überschreitet die dem grössten
geraden Takte gestattete Grenze und ist schon deshalb für die
Rhythmopoeie unbrauchbar.
§ 51. Das 23zeitige Megethos ergiebt nur arrhj*thmische Ver-
hältnisse.
§ 52. Das 24zeitige Megethos ergiebt zwar das diplasische Ver-
hältniss 8:16 und das isorrhythmische Verhältniss 12:12, doch
würden beide Takt-Megethe dieser Art den grössten Umfang der
iambischen und daktylischen Taktart überschreiten.
13. Fünfundzwanzigzeitiger Takt,
§ 53. An dreizehnter und letzter Stelle stehen daher die Takte
des 25zeitigen Megethos, denn bei der Zahl 25 ergiebt sich das
hemiolische Verhältnis 10:15. Die Takte dieses Megethos sind die
grössten der paeonischen Taktart: nur bis zum 25zeitigen Takte
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64
Aristoxenus rhythmische Elemente § 53. 54.
kann unsere Aisthesis den hemioliscken Rhythmus erfassen. (Nach .
Aristid. a. a. 0.)
Das funfundzwauzigzeitige Mcgethos stellt sich also als ein aus fünf fiinf-
zeitigen Paeonen bestehendes Kolon dar, welches in der Praxis des Taktirens
in fünf monopodische Takte zerlegt wird. Beispiel: Acharu. 492
ooü y dxo6oo9|xev; <£7ioXet xaxdi ce x«6«0ficv tot« Xtdoic.
Vgl Griech. Rhythmik 1854 8. 93.
Nur von zwei Seiten her sind Einwendungen gegen diese zuerst in der
griech. Rhythmik 1854 mitgetheilte Restitution der Aristoxenischen Takt-Scala
gemacht worden.
1. Bernhard Brill (Aristoxenus' rhythmische und metrische Messungen
S. 37) nimmt zwar das Resultat unserer Restitution ohne irgend eine Aenderung
an, sagt aber S. 36, ob sei willkürlich, dass wir den Aristoxenus die bis zum 'ox
-aoT)|jw>v jji^eöoc eingehaltene Methode der Darstellung, wonach er jedes Megethoa
in zwei dem X670; woixi; entsprechende Abschnitte zerlegt, auch für die übrigen
fAe^flto] bis zur jedesmaligen Grenze des betreffenden flvo« pv&fiixiv haben ein-
halten lassen. Die Methode der Deduktion, welche Aristoxenus beim 2-, 3-,
4-, 5-, 6-, 7-, 8-zeitigen Megethos anwendet, ist zwar anscheinend fiusserlich
und schabloncnmässig, aber in ihrer Art vollkommen gut und höchst iustruetiv,
ganz im Geiste der analytischen Methode des Aristoteles. Wenn Aristoxenus
consequent war, so hat er diese Methode auch bei den übrigen (AC-f^dr, beibe-
halten; war er unconsequent, nicht. Ich traue dem grossen Vater der Rhythmik
diese Consequeuz zu. Brill nicht Weshalb nicht? Wohl aus keinem anderen
Grunde, als weil er die Meinung des Herrn Lehre theilt, „bei Aristoxenus
sei die rhythmische Wissenschaft noch in ihrer Kindheit befangen." Einem
Anfänger in den Kinderschuhen mag Brill keine Consequeuz zutrauen.
2. C. Julius Caesar (Grundzüge der griechischen Rhythmik S. 127) meint,
man könne nicht wissen, ob Aristoxenus alle theoretisch als £ppuö[xa zuzulas-
senden «xeY^Tj auch praktisch zugelassen oder ob er nicht vielmehr einige von
ihnen ausgeschlossen habe. Caesar's Verdacht trifft die trochaeischc und dak-
tylische Pcntaj>odie, während die paeonischc Pentapodie, da sie als Grenze des
paeonischen Rhythmengeschlechtes hingestellt werde, ohne weiteres als prak-
tisch zulässig aeeeptirt wird. Wäre Caesar mit Mozart's „Alles fühlt der Liebe
Freude" und mit dem Volksliede „Mys Lieb, we' du zur Chilche thust ga"
bekannt gewesen, dann würde ihm die daktylische und trochaeische Pentapodie
nicht bedenklich geworden sein, lange nicht so bedenklich, wie die paeonisehe
Pentapodie, die uns zu begreifen herzlich schwer wird. Sollte die daktylische
(anapaestische) Pentapodie Aristoph. Acharn. 485:
oi piv ouv xaxaXejoofjLfiv, d> fxiapa xecpaXV);
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11. 2b. Taktarten und Taktgrössen continuirliclier Rhythmopoeie. 65
irgend wie bedenklicher sein, als die paeonische ebenda«. 492:
ovj "f dxoiaojfAtv; drsAtl wA as ^tuaofjiev tot; XtftoT;.
Docli sollte es mit der von Caesar aufgeworfenen Alternative: „ob prak-
tisch oder bloss theoretisch zugelass 11 ?" sein gutes Recht haben, nur war sie
in einem ganz anderen Sinne als es Caesar denkt zu entscheiden. Die paeo-
nische Pentapodie, obwohl sie Aristoxenus ausdrücklich als Grenze der paeo-
iüschen Takte anführt, ist nicht minder ein nur theoretischer Takt ab die
daktylische und die trochaeische Pentapodie, nicht minder auch das iainbische
Trimetron. Aristoxenus selber hat die Alternative entschieden, indem er sagt,
dass der Takt nicht mehr als höchstens vier Taktschläge haben könne.
Rückblick auf die kleinsten und grössten Takt-Megothe.
§ 54. Von den drei Rythmengeschlechtern der continuirlichen
Rhythmopoeie sind also die kleinsten Takte folgende Megethe:
der iainbische Takt 3zeitig,
der daktylische Takt, 4zeitig,
der paeonische Takt, özeitig.
Augenscheinlich wird erweitert:
die daktylische Taktart bis zum lGzeitigen, (so dass hier der
grösste Takt das Vierfache des keinsten ist);
die jambische Taktart bis zum 18zeitigen, so dass hier der
grösste Takt das Sechsfache des kleinsten ist;
die paeonische Taktart bis zum 25zeitigen, (so dass hier der
grösste Takt das Fünffache des kleinsten ist).
In dieser bei PselliiH Fragin. 12 erhaltenen Stell«; des Aristoxenus haben
wir die in ( ) eingeschobenen Satze, welche bei Psellus fehlen, aus dem
Fragm. Parisinum ergänzt.
Dann folgt auf das Aristoxenische Fragment bei Psellus ein Zusatz, welcher
nicht vou Aristoxenus herrührt, sondern ursprünglich eint; zum Texte des
Aristoxenus hinzugefügte Margiual-Glossc gewesen sein inuss:
Erweitert aber wird das iambische und paeonische Rythmen-
gescldecht zu einem grösseren Takt - Megethos als das daktylische,
weil ein jedes der beiden ersteren (in seinem kleinsten Takte) eine
grössere Anzahl von Chronoi protoi bat:
Kleinster Takt. Größter Takt,
daktylisches Geschlecht 2zeitig, lüzeitig;
iainbisches „ ^zeitig, 18zeitig;
paeonisches „ ozeitig, 25zeitig.
Arlstoieuu», .Melik u. Khjthmlk. 5
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66
Aristoxenus rhythmische Elemente § 54.
Nach der durch Ar iß ti des vertretenen rhythmischen Doctrin, nach welcher
der kleinste daktylische Fuss ein Disemos ist, ist die in dem vorliegenden
Satze enthaltene Darstellung durchaus richtig und logisch: je grösser die (klein-
sten Takte) Versfüsse einer jeden Taktart sind, um so grösser ist auch die
tetrapodische, hexapodische, pentapodische Zusammensetzung der Versfüsse zu
einem zusammengesetzten Takte; je kleiner die Versfüsse sind, um so kleiner
auch die Zusammensetzungen.
Wie die Stelle früher gelesen wurde (ohne die von uns eingeschobenen
Worte), da verstand mau das Wort or^sta im technischen Sinne des Aristoxe-
nus (als ypovot momol oder Taktschläge). E. F. Baumgart sagt über die Be-
tonung der rhythmischen Reihe bei den Griechen (Programm des Matthias-
Gymnasium zu Breslau 1869). S. XXXII: „Die Deutung dieser orgeln als
Taktschläge erscheint uns unmöglich/' S. XII: „Die ganze Stelle kommt uns
vor wie eine völlig unlogische Umkehrung von Grund und Folge. Sie besagt
in der That nichts besseres, als etwa folgendes: Dieser Weg kann nicht bis
zu 18 oder 25 Meilen verlängert werden, weil nicht 18- oder 25-Meilenstcinc,
sondern nur 16-Meilensteine darauf zu stehen kommen. Und eine solche Er-
klärung soll Aristoxenus gegeben haben, der beim Vater der Logik in die
Schule gegangen ist, der scharfsinnige, klare Kopf, der über den Rhytlimus
Alles gedacht und geschrieben hat, was das Alterthum davon wusstc! Es bleibt
nur zweierlei übrig: Entweder ist der Satz eine Zu that des Psellus aus irgend
einem gelehrt sein wollenden Grammatiker oder der Sinn ist ein anderer. Wir
nehmen das letztere an." S. XXXII: „Die Stelle gewinnt ein ganz anderes
und, wie wir meinen, völlig einleuchtendes Aussehen, wenn wir die OTjijieta als
ypOvot upö*TOi des kleinsten Fusses fassen (vgl. Aristides: yp<ho; -pcöTo; 8c xal
ar^iios xaXetTai). Rechnen wir den Pyrrhichius als kleinsten Fuss des geraden
Geschlechtes, so ist 1) im f£vo; Toom der 16-zeitige Fuss vom kleinsten das
Achtfache, 2) im ?£vo; otTiXacicrv der 18-zeitige Fuss vom kleinsten das Sechsfache,
3) im y£no; t(jaiöXiov der 25-zeitige Fuss vom kleinsten das Fünffache. Und
das ist eine der Xatur der Sache ganz entsprechende Scala: Je kleiner der
kleinste Fuss, desto mehr Einzelfüsse können zu einer grösseren Einheit ver-
bunden werden; je grösser schon der kleinste Fuss, desto schwerer übersehet!
wir eine grössere, aus seiner Wiederholung gebildete Einheit, desto geringer
niuss also die Zahl der Einzelfüsse sein." Der scharfsinnige für Aristoxenus
viel zu früh verstorbene Baumgart hat mit dieser Auffassung unstreitig das
richtige getroffen, und auch wenn die daraus von ihm gezogeneu Folgerungen
falsch sind, sich dadurch um die Aristoxenische Rhythmik wie irgend ein
an« lerer verdient gemacht. Von den von ihm gestellten Alternativen: Ent-
weder rührt der Satz nicht von Aristoxenus her oder es sind die Aristoxe-
nischen crjjjLela rooixd anders zu verstehen" hätte er sich zugleich für beide
entscheiden müssen, vgl. unten. Denn 1. der Ausdruck ct)[A6üw kommt
zwar bei den späteren wie dem von Baumgart citirten Aristides (zuerst bei
Fabius Quintiliau) als ein mit ypovo; Trpüjxo; gleichbedeutender Terminus vor.
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II. 2b. Taktarten und Taktgrössen continuirlicber Rhythmopoeie. 67
niemals aber (wie es fälschlich noch Bocckh annahm) bei Aristoxenus. 2. Bei
denselben späteren Berichterstattern über Rhythmik (namentlich bei Aristides)
wird als kleinster daktylischer Takt der Disemos statuirt, wahrend Aristoxenus
§ 31 sagt: „Die kleinsten Takte sind die von dreizeitigem Megethos, denn das
disemon Megethos würde allzuhäufige Taktschläge erhalten müssen'' und § 54
wird diese Grössenangabe ausdrücklich wiederholt. Von Aristoxenus kann
der in Frage stehende Satz nicht herühren; er hat vielmehr einen Anhänger
der Aristideischen Theorie zum Urheber, der zur Erklärung des hier von ihm
misa verstandenen Aristoxenus ein Scholion an den Rand setzte, schon ehe
Michael Psellus aus der Aristoxenisehen Rhythmik den Auszug machte. So ist
auch dies Scholion in den Auszug hineingerathen, glücklicher Weise lässt es
sich als solches erkennen. Es ist genau von der Art, wie die in den Text
der Aristoxenisehen Harmonik hineingerathenen Marginal-Scholien.
Kurz und gut, der Schluss des § 54 stammt nieht von Aristoxenus, und
wir besitzen mithin von ihm keine weitere Angabc darüber, weshalb in der
einen Taktart der grösste Takt ein grösseres Megethos hat als in der anderen.
Es genügt, was er in dem Vorausgehenden darüber angegeben: „Vermöge un-
serer Auffassuiigskraft können wir in der und in jener Taktart keine grösseren
Takte als den jedesmal von mir angegebenen als Takteinheit fassen." Diese
liei Aristides p. 35 M. erhaltenen Sätze über den Grund der verschiedenen Aus-
dehnung der Takte können vollkommen ausreichen und müssen von Aristotclisch-
Aristoxcnischem Standpunkte als durchaus genügend erscheinen: es ist eben die
llerufung auf die Thatsaehe. Achnlich verfährt Aristoxenus auch in der Har-
monik, wenn er von dem Minimum und Maximum der symphonischen Inter-
vallgrössen spricht.
Hätte Aristoxenus seine rhythmische Theorie nicht vom Aristotelischen,
sondern vom Platonischen Standpunkte aus entwickelt, so dürften wir ihm wohl
zutrauen, dass er für die Maxiina der Tak tum fange eine metaphysisch-mathe-
matische Begründung zu geben versucht hätte, etwa wie Plato in seinem Ti-
maeus die diatonische Scala aus geometrischen, arithmetischen und harmoni-
schen Proportionen ableitet. Aehnlich hat auch Feussner iu .seiner Schrift über
Aristoxenus einen mathematischen Satz für die Verschiedenheit der Takt- Maxima
ausfindig zu machen versucht. Doch denken wir, mit solchen Versuchen ist
seifet im besten Falle, wenn sie nämlich zu annehmbaren Resultaten führen
<was aber bei Feussner nicht der Fall ist) nichts getlian: unsere Wissenschaft
von der Rhythmik der Griechen ist damit nicht weiter gefördert. Seien wir
froh, dass es der Beobachtungsgabe des Aristoxenus gelungen ist, eine auch
für unsere moderne Kunst fort und fort gültige Scala der praktisch mög-
lichen Taktgrössen aufzustellen: ohne dieselbe würden wir nicht wissen, welche
Takte und Kola wir in den Compositionen unserer Meister zu suchen haben.
Denn dass wir in der christlich-modernen Musik z. B. keine Combinationcn aus
fiinfzeitigen (paeonischeu) Versfüssen zu suchen haben, bringt in der Sachlage
keine grosse Aenderung hervor.
5*
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68
Aristoxenus rhythmische Elemente § 55. 56.
Am meisten wird uns befremden, dass Aristoxenus zwar eine Combination
von sechs dreizeitigen Takten, aber nicht von sechs vierseitigen Versfüssen
anerkennt, da wir doch unbestritten in unserer Munik auch die letzterer be-
sitzen. Wir müssen überzeugt sein, dass Aristoxenus auch in dieser Beziehung
eine richtige Beobachtung aus der musischen Kunst der Alten mittheilt. Für
die alte Instrumentalmusik können wir ihn freilieh nicht controlliren, aber für
die Vocalmusik d. i. die indische Poesie steht uns die Cou trolle zu: Aristoxe-
nus hat genau die Wahrheit berichtet. Die griechische Metrik würde das aus-
zuführen hüben.
c. Isolirt vorkommende Taktarten und Taktgrössen.
§ 55. Von den Taktarten sind die normalsten die drei ge-
nannten, nämlieh die des isorrhythmischen, des diplasischcn und des
hemiolischen Verhältnisses (die gerade, dreitheilig-ungerade und fünf-
theilig-ungerade Taktart). Biswcilcu kommt aber- auch (isolirt unter
andere Takte eingemischt) ein Takt des triplasischen Verhältnisses
(1:3) und des epitritisclieu Verhältnisses (3:4) vor (welche wir
oben von der continuirlichen Rhythmopoeie ausgeschlossen haben V
(Das Megethos der Takte des triplasischen Rhythmengeschlech-
tes ist das 4zeitige.)
Das Megethos der Takte des epitritisclieu Rhythmengeschlechtes
beginnt mit dem 7zeitigen als dem kleinsten und erstreckt sich bis
zum 14zeitigen als dem grüssten.
§ 56. Und zwar verhält es sich in der Natur des Rythmus mit
den Verhältnissen der Takte wie in der Harmonik mit dem Wesen
des Symphonischen.
Dionys, ap. Porphyr:
Die Musiker werden das nämliche bezeugen, dass die sympho-
nischen Intervalle und die rhythmischen Verhältnisse der Takte
Gemeinsames und Verwandtes haben, denn ihre Ansicht ist, dass
die Symphonien durch folgende Verhältnisse bedingt sind:
die Quarte durch das epitritische 3:4,
die Quinte durch das hemiolische 2:3,
die Octave durch das diplasisehe 1:2,
die Doppeloetave durch das triplasische 1:3,
denn die Homophonie ist nach jenen Musikern durch das Verhält-
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II. 2c. l8olirt vorkommende Taktarten und Taktgrösscn. G9
niss des Gleichen verursacht. Das seien die nämlichen Verhältnisse,
in denen zufällig auch die Takte der Rhythmen verborgen seien:
die meisten und die am normalsten gebildeten in dem Verhältnisse
des isorrhythmischen 1:1, des diplasischen 1:2 und hemiolischen
2:3, einige wenige auch im epitritischen 3:4 und im triplasischen
1:3.
Erläuterungen zu § 55. 56.
1. Vom epitritischen und triplasischen Bhytfimengeschlechte
im Allgemeinen.
Plato der früheste Schriftsteller, welcher der griechischen Taktarten ge-
denkt (er sagt nicht fiv/,, sondern slorj, nennt deren nur drei: rep. 3,
400a: Tpia £otIv eior; i; mv-at 3aoet; -Xixovrat. Damit meint er die daktylische,
diplasische uud hemiolische Taktart. Ganz Recht, denn nur die rr^Se« dieser
in der Aristoxenischen .Scala berücksichtigten drei ^ivr, gestatten eine ouvr/i,;
j>u»|xoT:oua oder wie Plato sich ausdrückt: können zu Ji'iaei; verknüpft
werden, mag man nun dies Wort in dem Sinne der späteren als Dipodie <S. s^)
oder in einer weiteren Bedeutung fassen.
Aristoteles sagt Probl. 19, 39: KaöaitEp iv -rot; fiirpot; ol irooe; fyo-j« -po;
ai^ro'j; Xd-pv töv rpö; laov tj oOo rpö; ev xai rtva <£XXov, ovJtcw xat oi iv Tg
cjficpmvia '^ÖÖY-yot Xo^ov eyouoi xivtjactu; zpö; o'jtoü«. Wir lesen hier bei Aristoteles,
vorausgesetzt, dass dies Problem ein acht Aristotelisches ist ivgl. Prantl. über
Arist. Probleme), genau dasselbe, was uns Aristoxenus §54 in dem Auszuge des
.Psellus mitthcilt, x&v zootx&v X^cov eteoiaiaxot ttotv oi tpeT; 3 te to j laou %i\ 6
toü ötrXaolou xai ö xoü f^ioXlou* fivsTat 05 -ote ^ov»; xai iv Tpir/.ctattp / 07a.
f Ivctat xal iv imTpiT«;). "Fan 0£ xcti iv toO pyöpLOÜ »yoci 4 Ttooixö; XG70; oioztp
iv x&O Tjppioouivo'j tö ai»picpa>vov. Die Stelle, welche Porphyrius aus Dionysius
Tepl 6|aoiot/)tcdv mittheilt, (dem jüngeren unter Hadrian lebenden Dionysius, dem
Musiker und Sophisten, welcher nach Suidas 24 Bücher puttfxtxd br^^^i-t,
36 Bücher einer jxoyotx-fj laTOpia, 24 Bücher piouaixfj; Ttaioeta; oiarpi^d»v ge-
schrieben) diese Stelle lüsst keinen Zweifel, wie die Analogie zwischen Sym-
phonieen und Taktarten zu verstehen ist. Sic zeigt auch dies, dass was der
jüngere Dionysius in seiner Abhandlung nepi &jxotoTTjTu>v (vermuthlich einem seiner
24 Bücher pvOpwuüv 'j^ojAVT^dTtuv) als Ansicht der Musiker citirt, aus derselben
Quelle stammt, woher auch Psellus seine rhythmischen Prolambanomena excer-
pirt hat, woher mittelbar auch Aristides und das Fragmentura Parisinum ihre
Nachrichten über das epitritisclre Rhythmengeschlecht überkommen haben,
nämlich aus der Rythmik des Aristoxenus. Der Ausdruck Mey<py£oTaTOi" des
Psellus findet sich auch bei Dionysius; was Psellus mit „flvcTal totc kojc" aus-
drückt, das ist dasselbe wie das „dXtfoi oi xive«'« des Dionysius. Psellas hat
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70
Aristoxenus rhyth mische Elemente § 55. 56.
den Aristoxenus (freilich unvollständig genug) verbotenus excerpirt; wie Dio-
nysius von der Darstellung abgewichen, darüber steht uns kein Urtheil zu.
Auch Aristides p. 35: -pooxiö£aot o£ xtve; xai xo inlxpixov und 6 öe h' zp6; xov
Y y£vv? T0V £nlxptxov ).oyov wird wenigstens mittelbar aus Aristoxenus stammen,
ebenso auch Aristid. p. 35: To hi i-lxptxov dpyexai fiiv drö eTCxaar)|i.o'j, Ytvcxai
hk ?tu; Teaoape5xatSexa«TrjiAO"j. £-dvw; hi tj ypf)ois aüxoy.
Ich bemerke hier, dass in der angeführten Stelle aus den Aristotelischen
Problemen dem Wortausdrucke nach an 4 -jivr) £jO|Atxd gedacht wird : X^ov tov
7tpö; (sov — Tj ö6o zpö; ev — tj xat xi^a dXXov d. i. ausser dem isorrhythmischen und
dem diplasischen nicht ein Rhythmengeschlecht, das hemiolische, sonderu eines
• von den anderen Rhythmengeschlechtern: die anderen ausser dem isorrhythmi-
schen und diplasischen sind das hemiolische und das epitritische oder
das hemiolische und das epitritische und das triplasische. Denn
wenn auch Aristides des triplasischen nicht gedenkt, so wird es doch in dem
JVagmente des Psellus neben dein epitritischen ausdrücklich erwähnt, und auch
aus der Stelle des Dionysios geht mit Notwendigkeit hervor, dass es von den
Musikern d. i. Aristoxenus so gut wie das epitritische anerkannt war.
„Die von Aristoxenus aufgestellte Analogie, die für uns keine andere Be-
deutung hat als zu zeigen , dass Aristoxenus den Xo^o; £-(xpixo; und xptTtXdatoc
„entschieden anerkennt, stammt von den Pythagoreern. Hieraus erklärt sich
„die Thateache, dass in dieser Analogie die sechste der musikalischen Sympho-
„nieen, die Undecime, xö oid raoär* xai 5id xeaoapcav 3 : 8 nicht genannt ist. Ihr
„entspricht kein rhythmisches Verhältniss. Musste nun nicht gerade, so fragen
„wir, auch die Berechtigung des epitritischen und triplasischen Geschlechtes
„problematisch sein, da es keinen der Undecime entsprechenden Xö^oc |bofMx6«
„3: 8 gab? Die Antwort ist nein; wenigstens nach der Theorie der alten Py-
„thagoreer konnte hierdurch die Analogie nicht gestört werden. Denn wir wissen,
„dass deren Schule die Undecime in der Zahl der Symphonieen nicht gelten
„lassen wollte. So berichtet Ptolemaeus Harmon. 1, 5 p. 9 Wall."
Die Undecime in die Zahl der Symphonieen eingeführt zu haben, darauf
macht Aristoxenus' Zweite Harmonik § 47 Anspruch. Vgl. meine Griechische
Rhythmik und Harmonik vom Jahre 1867.
2. Vom kleineren (siebenzeitigen) Epitrit
Hcphaestion statuirt den tto-j; inixptxo; izxisr^oz
— \j — — und — — ^ —
in zwei verschiedenen Metren:
1. im ttuvtxov in £Äct3oovo; dvaxX(6jj.eviv', wo auf einen xplxo; icaUuv rcxxd-
ot({jlo; ein Srixcpo; iwrpixo; erxdor^o; folge Heph. c. p. 12: wexe xfjv icpö xtj;
xpo/aixf,; (pdaetu;) sei Ymaftai revxdorjuov, xoux döxt xplxr(v -atamxTjv, xai xr,v
xpoyatxfjV, iiT.uxiu rpoxdxxotxo rffi {amxt];, Ylveaöai iTtxaOT^ov xpoyVt'xfjV, x^>v
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II. 2c. Isolirt vorkommende Taktarten und Taktgrössen.
71
xaXoifievov Scuxepov £:uxpixov. Zwei rcöSe; dieser Art nannte man zusammen
iamxöv feipcxpov dvaxXdtpcvov xaxd töv dvaxXtupLEvov yapaxxr]pa:
zapd 5' tj'jt« ll'jft'i|jL'ivopov
xaxdouv £paixa tpeuftuv.
v^"^ — ^ —
v- - v '
TTClltUV iTlltpiTO;
rcv-da^pi'.; eTTTdaTjuo?.
Den £:r{xpixo; jtoj; schliesst Aristoxenus von der O'jvcy^j; ^uftfionoela aus.
Als Bestandtheil des d-^xXmpEvov steht der t:oj; erctxpixo« sTrcdorju-o; nicht in der
cjvey^c p^fyoTtoda, sondern stets als isolirter Takt unter anderen, nämlich in
unmittelbarer Nachbarschaft eines raUuv revxdo^fjios, er kann niemals eine cou-
tinua rhythmopoeia bilden und sollten auch noch so viele dvaxXebfUv« auf ein-
ander folgeu. Es steht also nichts entgegen, <Ia*s dieser Epitrit des Anaklomenon
ein wirklicher -oj; iztxpixo; snxdGTjuo; ist. Wir dürfen nicht zweifeln, dass
Hephaestion hier die alte rhythmische Tradition überliefert, und dass auch
Aristoxenus das dvaxX<t*|A6NOv nicht anders gemessen hat.
Auf diesen Fall aber muss das Vorkommen der eirrdoT^o; izlxptxoc be-
schrankt gewesen sein. Denn
2. im xpoyatxov und iatfixliv, wo jene Versfüssc - ^ und ^ —
an Stelle der trochaeischen und iambischen Dipodie - ^ - w und w — ^ -
häufig genug gebraucht werden, und wo Hephaestion sie ebenfalls als eTrrdoT)-
|*ot i^xpiToi aufiasst, kommen sie nicht isolirt, sondern ausserordentlich häufig
auch in mehrmaliger Wiederholung ohne durch andere VersfÜsse unterbrochen
zu sein vor, z. Ii. Aristoph. Kquit 291:
Ozotc [Aoüfxai | xd; 6&o0; oo-j"
ßXi^o^ cf; d- | axapodu-yxxos.
£v d-yopa xd- | fi» xiftpafAfAii.
otacpop-f^oj a | et xi fp6;ei«.
x azposop-fjac» o | cl XaX-rjost;*
6jxoXoy» xX£~- | xeiv o-j o ouy(.
vtj xkv fEpf*r)v | x6v d-yopatov,
xäniopxw j -je jiXerctfvxiuv.
Hippolyt 752:
KXcivd« 'Aft-fjvac Mouv6you o' | dxxalotv ix&^oavxo rXex- \ xd; izsi-
aadxouv dpyd; Itz d-|re(pou xe 7a; £(3aoav.]
Trach. 101:
H zovxla; avXdivoi; rj | otaoatotv d-dpoi; xXtöei;, | etn tu xpaxtaxeOoav
xax' K\tn 1.
Auch in iambischen Trimcteru. Vgl. Aias 545. Man hat Noth, so viele
unmittelbar auf einander folgende Diiamben und Ditrochaeen zu finden. Wie
sollte es da nun kommen, dass die sechszeitigen Diiamoen und Ditrochaeen in
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72 Aristoxenus rhythmische Elemente § 55. 56.
die Klasse xäv ttoS&v t&v xai ouvc/f, p-jO^o^tia«* £-ioeyofx£v<ov gerechnet wer-
den, dass dagegen die unter Diiamben nnd Ditrochaeen eingemischten Vers-
füssc — — — und — \y aus der £uOfxo-oita «vs/^; ausgeschlossen
würden, wenn sie eircdsrjfiot inb^ttoi wären? Für die continuirliche Rhyth-
niopoiie heisst es § 35 vom e7rxd<JT({Ao; ircixpixo; „oux fyet öiatpcotv Ttoftix^v . . .
ouSei; ioriv IppuOpto;." Es folgt hieraus mit Notwendigkeit, dass- der Versfuss
s. s. — und — j. \j ± , wenn er wie in den herbeigezogenen Beispielen der
Stellvertreter des Ditrochacus oder des Diiatnbus ist, kein E-xdoTrijAo; iTihotto;
ist, dass viel in ehr Hephaestion sich irrt, wenn er ihn fiir einen i-rrzdar^oi
xptxo? erklärt. Wir können hier den Hephaestion aus Aristoxenus berichtigen:
er hat kein 7-zeitiges, sondern ein 6' ,'s -zeitiges Megethos — oder auch vielleicht
irgend ein anderes (vgl. unten), nur nicht das Megethos eines tcou; £rlxpixo;
iTrrda^fio;, denn diesen konnte er nur haben in einer nicht a^eyjfj; frubp.0r.01i7.
3. Vom grösseren (vierzehnzeitigen) Epitrit.
Wir würden durchaus fehl gehen, wollten wir in dem 14-zeitigen Epitit
etwa die Verdoppelung des 7-zeitigcn voraussetzen, denn ein solches \it-(tdoz
xeaoapeoiatScxdoTjjzov würde ein pifetto; h Xö-ycp !sa sein, da es in zwei gleiche
Hälften zerfallen würde: es wäre ein 7tou; SaxTvXixöc, aber kein £-lxpixo;.
Mit unserem grossen Epitrit muss es darin dieselbe Bewandniss wie mit
dem kteinen siebenzeitigen haben, dass er in der Rhythmopoeie nicht mehrere
Male hinter einander gebraucht werden, sondern stets nur isolirt unter
andere icfött eingemischt werden kann. Der siebenzeitige wurde , wie wir ge-
sehen, stets mit einem fiinfzeitigen Paion verbunden und kam in der dvdxXaot;
des ionischen Rhythmus vor. Den vierzehnzeitigen können wir zunächst an
unserer modernen Rhythmopoeie klar machen. Wie in einer besonderen Art
der ionischen. Rhythmopoeie die Alten den kleinen siebenzeitigen Epitrit mit
dem fünfzeitigen Paion (dem Ttaltuv oidpio;) verbanden, so verbindet z. B.
Beethoven in der ersten Es-dur Clav. Sonate, in der ionischen Rhythmopoeie des
Largo-Satzes, den vierzehnzeitigen grossen Epitrit mit dem zehnzeitigen Paion
epibatoß.
1« Paion epibatos.
2* Grosser Epitrit. 8. Jonisehe Dipodie.
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II. 2c. Isolirt vorkommende Taktarten und Takt^rösseu. 73
4. Jonische Tripodie. 5. Paion epibatus.
«. • Grosser Epitrit 7. Jonische Tripodie.
Die Zahlen oberhalb der Notenzeilen bezeichnen die Kola ( 1 . . . 7 ) , die
Zahlen unterhalb der Noteuzeilen sind die Chronoi Rhythmopoiias idioi (vgl.
S. 105. 112), ciu jeder von dem Umfange zweier Chronoi protoL
3
Alle vorausgehenden Kola des im - - Takte geschriebenen Largo sind
ionische. In der vorstehenden Partie sollte Kolon 1 eigentlich eine ionische
Dipodie Hein. Dieselbe ist aber um den letzten Chronos di.semos verkürzt;
sie ist statt eines zwölfzeitigen Dimetron ionikon ein zehnzeitiger Paion epiba-
tos geworden. — Das Kolon 2 .sollte wiederum ein ionisches Dimetron sein;
aber um so viel das vorausgehende Kolon 1 verkürzt ist, um so viel (nämlich
um einen Chronos dfcemos) musstc das ihm folgende (Kolon 2) vergrössert wer-
den. So ist aus einem zwölfzeitigen Dimetron ionikon ein vierzehnzeitiges Epi-
triton geworden. Der zehnzeitige Paion epibatos ist einer der Takte tü>v %*\
cjveyij ^idpoKoitav imhr/oni\o>v (vgl. oben); der vierzehnzeitige Epitrit ist von
der «jvey-T;; ^vOfjioiroda ausgeschlossen, er kann nur (wie in unserem Falle) in
Verbindung mit einem heterogenen Takte, d. i. isolirt unter anderen Takten
vorkommen. Was das vorausgehende (Kolon 1) zu wenig hatte, nmss das fol-
gende (Kolon 2) zu viel haben. So wird die „nicht continuirliche" Rhythmo-
poeie ausgeglichen. Es folgt als Kolon 3 wieder ein regelmässiges Dimetron
ionikon. Ein Dimetron ionikon ist auch Kolon 4; doch das ihm folgende
Kolon 5 ist wieder ein um den Chronos disemos verkürztes Dimetron ionikon
d. i. ein zehnzeitiger Paion epibatos. Nun folgt an sechster Stelle wiederum
statt eines zwölfzeitigen Dimetron ionikon ein zur Ergänzung des Rhythmus
um einen Chronos disemos verlängertes Kolon, nämlich wieder wie an zweiter
Stelle ein vierzehnzeitiger grosser Epitrit, ah den sich an siebenter Stelle ein
regelmässiges Trimetron ionikon von achtzehn Chroni protoi anschliesst.
Wir haben mit der rhythmischen Erklärung des ionischen Satzes der
ersten Beethovcnschen Es-dur-Souate zugleich die rhythmische Analyse der ioni-
schen Strophe Oed. Rex 483—497 Dindorf gegeben.
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74 Aristoxenus rhythmische Elemente §.55. 56.
1. Aewd jjlsv ouv, oeivd tapdooet | ootp^c otcuvo8£xa;,
2. oy-re ooxoüvr ovY dTtwpdoxovO' * | 8 ti hll-m &'dropä.
3. r^TOjAott S'itarlatv ojt' ev- [ ödV &p&v o*!>t' tatara.
5. Tj| xü) llo/.y^ou veixo; fxeit1 o-j- | ts 7rdpoiö£v tot' £fa»Y' oSf* Tavüv riu
6. £fAaöov, Ttpö; Swj 8f) ßaoa^iu
7. £zl rdv iniSajjiciv | spdtiv eija.' OloiwS&a Aa(Jöaxt&au .
8. iirlxoypo; d5V;).<uv öavdrtuv.
1. — \s ' W ' X — W X — V> X — N-/ V> ^
Grosser Epitrit Paion epibatos.
2. — v> ■ x — v_/ x — v_/ ^ x — ^> v_, x
>. * » i
Grosser Epitrit Paion epibatos.
3. ^wx— ^v^x — ^ <w» z — \j i.
- > V . I
Jon. dimetron Paion epibat.
4. \J S_< X — V_, \_/ x
Paion epibat.
5. X — ~ v _L — w v^' X — \_-^>X— V-ZV^X— v^\~>X —
* ' . — . t
Jonic trimetr. Jonic trimetr.
6. \y \j x w ■ \„ ■ x — v- ■ w x
V '
Grosser Epitrit.
7. w v x ~ ^ x — w ^ x — w x — ^/ >^ x
Paion epibat Jonie. trimetr. katalekt.
8. w ^ x w ^ x — x
Großer Epitrit
Diese Acccntuations- Auffassung der V. 1 und 2 finde ich auch bei W.
Dindorf Metra Aeschyli u. s. \v., der für dieselbe« folgendes Schema giebt:
— , \S \J 1. — w' W X — ^ X — v-/ w X
Alle Ehre dem verdienstvollen Philologen, der hier ohne von Aristoxenus und
Beethovenscheu Parallelen etwas zu wissen nach eigenem richtigem rhythmischem
Gefühle, abweichend von allen früheren nicht ein Choriambikou erblicken
wollte, obwohl die antiken Metriker dasselbe schwerlich anders als Choriam-
bikon genannt hätten.
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II. 2c. Isolirt vorkommende Taktarten und Taktgrössen. 75
m •
4. Die übrigen nur isolirt vorkommenden Takte.
a. Der triplasische Tetrasemos.
In dem Excerpte des Psellus wird er unmittelbar neben dem Epitrit ge-
nannt. Wir können nicht zweifeln, das* diese Stelle des Psellus direkt
aus Aristoxenus genommen ist. Auch Dionysius bezeugt sein Vorkommen in
der Rhythmopoeie. Freilich ist das nicht die ouvc^S j>utt|AOiroita, von der ihn
Aristoxenus § 32 aufs entschiedenste ausxchlie<*t. Wo wir die Aristoxenischen
Epitrite zu suchen haben, Hess sich aus Hephaestiou und Beethoven entnehmen,
nämlich als isolirte Takte unter ionischem Rhythmus. Ebenda haben auch die
triplasischen Takte ihre Stelle. Docli muss ich zunächst das negative Resultat
angeben, dass Hephaestions „ttoj; xexpdypow; ix ßper/eta; xai fxaxpa; xai 3pa-
ysiac, 6 djA^tßpaxu; ^ — o" (Heph. c. 3) damit nicht gemeint sein kann, wenn
auch spätere Metriker diesen Fuss dem -jevo; xpnrXdoiov zuweisen, gerade wie
Hephaestion selber den unter Trochaeen gemischten Fuss — w einen
tzo'jz d^tTptxo; nennt. Also ist
'EpacjAOvtöi) XaplXac Hephäst, c. 15
von den Alten nicht amphibrachisch gemessen worden:
— O, <J — W , v-/ — v_/,
denn hier würden die dreisylbigen Versfüsse in einer jvjdpLoroita ouvsyjJ); ge-
braucht sein, von der Aristoxenus § 32 deu xexpdo7)[i.o; noy; xptrcXdsio; ausdrück-
lich ausschliesst. Vielmehr muss auch Aristoxenus das vorstehende Kolon so
gemessen haben, dass der erste itou; desselben ein revxdoT;uo; iraiaiv öeyxepo;
war, wie diese Messung bei Hephaestion vorkommt
Dagegen würden Metra wie Prometheus 397 Dindorf:
1. Y.x£vu> os to< O'J* ! Xo|*£\a; xuya; lIpou.T(fteü.
2. Saxpuolcxaxxov ir. iooouv | paOtvtüv &' el | ßojxeva £eo; napeidv
3. voxloi; exc-y;* tra^ai;. | dui^apxa fdp tdöe Ze6;
4. l&to« vöjxoi; xpaxyMtuv | u^ep-f^avov Öeot; xot; | itdpo« evoetxwaw aty|idv,
im Anfangskolou des v. 1 mit einem *oj; xExpdoTjfAoe xptnXdoio; anlauten, auf
den ein xexpdoT^o; oaxrjXtx&c folgt:
I > / S I I \ / \
1. \J — W — — \^ \J — V> — — —
2. \^V^ — — <«/ W — | U U - — | W V»/ \J — ^/ — —
3. WV> — \-/ — \J — — | W w — v^ — v> — • —
4. wo — \j — \j — — Iww — — v/ — — I \j \-/ — — — o — —
Ebenso Sophokl. Elektra 1058 Dindorf:
1. Ti xouc dvottev | 'fpovifiiuxdxou; otoovou;
2. icopcopevc* xp<xpä; xrrjoo(*iwu; d?p' tuv xe flXdoxoi-'otN d<p «av t tfvaoiv
c&ptuot, xdV oix loa; xeXoü|Aev;
3. dXX' ou xd^ Ali; daxpairdv | xai xd> oipaviav Oepiw, | oapov oix drcdvijxoi.
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76 Aristoxenus rhythmische Elemente § 55. 56.
4. oi yÖcma ßporotot 'fdfia, ' xaid jxoi ß<5aoov otxxpdv
5. Ära xol; IvepfK Axpetöai;, | iyopevxa o^pouo1 ivetör,.
/ — — — > > > i > / \
1. \j — \j — — i ^ ^ — \y
2. w ^ — w> — \j | ~> \j — ^ — \j f ^ — \j — \j •■
•v^w — ow — s> — w
3. — — — \J \J — \J — | — — — W — O — | — Ö — s-/ v-/ — —
4. _^v^_^_^__ | ^ ^ — w — w
5. w v_/ — v> — w | ^ ^ — ^/ —
In beiden Stroplieu, der des Prometheus und der Elektra. ist der gemein-
same Anfang
\j — ^ — —
kein katalcktische« lambikon, denn dieses würde nach S. 18. 19 anders zu
messen sein (mit verlängerter vorletzter Sylbc), sondern eben eine triplasisch-
spondeische Dipodie, eine Dipodie aus einem 4-zeitigeu Triplasios und einem 4-
zeitigen Spondeus. Das in beiden Strophen auf diese Dipodie folgende ionische
Anaklomenon zerfallt nach antiker Messung in einen 5-zcitigen Paion und einen
7-zeitigen Epitrit vgl. oben S. 71. Es ist nicht ohne Interesse, dass sowohl die
beiden rMtz itrtxpixoi wie der ^ov; xptTcXotcto;, welche *ammtlich von «1er vnv/ifi
^'jOfioTTotta ausgeschlossen werden, als isolirt eingemischte Takte in der ioni-
schen Rhythmopoiie vorkommen. In v. 4 der Elektra-Strophe erscheint wie-
derum der intxpixo; xeoaapeoxai&exdcirjiAo;, wie unter den Ionici Oed. Rex. 483
vgl. oben S. 74, wenn auch in einem abweichenden Schema.
Ob der tsvjs xptrXasto; noeli anderweitig in der Rhythmopoeie zugelassen
wird, daB würde die griechische Metrik zu untersuchen haben.
b. Der daktylische Disemos.
Aus der ouveyr,; p'ySf/owxia sclüiesst ihn Aristoxenus aus § 31. Aber als
isolirten Versfuss muss ihn auch die alte Rhythmik anerkannt haben. Das
Fragmentum Parisinum § 11 (Griech. Rhythmik u. Harmonik 1867 Anhang
S. 45) sagt: "Ap/txai Ii xo SaxxyMx&v dnö xexpao^ixo'j [ä^tu^f,;], aSfcexai pi/pt
ixxultxaoi^o'j. &<jtc -ylvcaftat xöv fj^iaxov wJ&a xoO iXaylaxoy xexpcmXdsiov. "Eon
hi 8xe xal lv otor^tp flvtxat oaxxyXtxo; Ttoti;. Die Fassung dieser Stelle erinnert
durchaus an die Pscllianischen Prolambanomena § 12 u. 9, namentlich dürfte die
wörtliche Uebereinstimmung fiart ^Iveobai xöv jxiywxov 7:65a . . . xoO iXaytarov» in
den beiderseitigen Darstellungen und ,,f Ivexcn hl ttoxc ttoCic xat . . .'* und „Itzi
Ii oxe xal iv Sia^4p.tp -fbexai fiaxxuXtxi*; rou;" zu betonen sein. Freilich stammt
das Fragm. Paris, nicht direct aus Aristoxenus, sondern durch Vennittelung
eines Uniarbeiters, dem auch das nicht Aristoxenische „ix xexpaff/jnou dfoi'jf^"
aufzubürden ist. Auch Aristides spriclit die Existenz eines rove SaxxuXixos
iloTjfio; mit absoluter Bestimmtheit aus p. 35 Meib.
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II. 2c. Isolirt vorkommende Taktarten und Taktgrössen. 77
Wo wir ihn zu suchen haben? Da wo ein ttov»; Storno« isolirt zwischen
anderen z<5oec steht. Das geschieht bei den Lesbischen Dichtem im Anfange
eines {iirpov roXuoy^jxdTiorov Hephaest. c. 16, z. B. dem «Depexparetöv :
zcXSxeoat SoveiTat
v£> ^ J. ^ ^ - ± —
und in den SaxrjXixd AioXixa Hephaest. c. 7:
x£Xop.at xtva tiv yapievra Mivtova xaXloaat
Ueber die Messung dos polyschematistischen Pyrrhichius s. unten .
c. Auch noch andere Megethc,
welche Aristoxenus in seiner Taktscala aus der oyvr/Vj; f»v»8(Aoroita aussehliesst,
gehören zu denen, welche als isolirte Einmischungen unter anderen Takten
vorkommen. Aus Aristoteles Metaph. 14, 6 wissen wir, dass die Griechen den
heroischen Vers in folgender Diairesis maassen :
xwXov <iptoT6p<Jv xtüXov &e£i6v
r r- \
A^Bpa uoi ^w£7:e fAOÜoa, l i:oXjTpo::ov 8; (idXa roXXa
' , ' v /
8-sylbig 9-sylbig
ll-zeiti^ 13-zeitig
Dort in der Aristotelischen Metaphysik ist die Rede von Zahlen- Analogieeu,
welche von manchen gezogen würden. Von den beiden mittleren Saiten des
Oktacliordes komme auf die eine die Zahl 9, auf die andere die Zahl 8 (die
Saitenlängen ausdrückend nach Pythagoras und Pluton). Von Aristoteles selber
wird diese Analogie nicht gebilligt.
6 c
H f
9 g
12 c
„Ebenso habe der epische Vers (wenn er aus lauter Daktylen besteht) die
gleiche Hümme von 8 -f- 9 = 17 Sylben."
Die strenge Theorie, die wir bei Aristoteles in der Diairesis des epischen
Verses vertreten sehen, fasste ihn also nicht als einen daktylischen, sondern als
einen daktylisch-auapaestischen Vers, uls eine Tiepiooo; olxouXoc aus zwei ver-
schiedenen Versfüssen, ähnlich wie es d»*r Fall ist bei Bach in dem daktylisch-
anapaestischeu Tetrametrou wohlt. Clav. 1, 18:
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78
Ari>toxenus rhythmische Elemente § 55. 56.
l w II
• II
14 zeitig.
16 zeitig.
1 1
Und so wird durch die Aufeinanderfolge katalektischer und nkatalektischer
Kola stets eine non continua rhythmopoeia bewirkt; was das eine Kolon über
die für die continua rhythmopoiia verlangte Grösse hat, das hat dort das
andere Kolon stet« zu wenig und hierdurch findet die richtige Ausgleichung
der Megethe statt, so da.«s schliesslich wieder dieselbe Summe der Zeitgrössen
sich ergiebt, welche die fortlaufenden Kola der «me/f,; p^jS)|AO-oua haben wür-
den. Bereits gaben wir 8. ~'A aus der ersten Es-dur-Sonate Beethoven's an dem
nur in der „non continua rhythmopoeia" vorkommenden grossen Epitrit ein
Beispiel dieser Ausgleichung der Kola-Grossen.
3. DIAIRESIS DER TAKTE,
a. Die Takt-Diairesis in Chronoi podikoi.
Von der oiatpeot; roowr,, welche § 35 genannt wurde, jener Theilung des
Taktes in zwei dem Logos podikos entsprechende Abschuitte, ist diejenige
Diairesis des Taktes in Theile |u£pT() zu scheiden, mit welcher es die
xo-d c.totp£aiv otacpopd der Takte zu thun hat und von der § 27 eine allgemeine
Definition gegeben wurde. Die jxipTj des letzteren Falle« sind die. ypövoi n&otxoi
oder ST;jxeta -oorxd, die apoti; und £daeis, die leichten und schweren Takttheile,
unter deren Anwendung der taktirende Dirigent (r,fep.u>v) die Singenden
und Instrumentalisten den Rhythmus einhalten lässt. Sie haben eiu wesentlich
praktisches Interesse, während die aus der otaipeci; -ooi*-^ sich ergebenden zwei
Abschnitte des Taktes theoretischer Art sind, um die betreffende Taktart zu
bestimmen. Bei den einfachen Takten ist diese theoretische oexipeoi; mit der
praktischen Takt-Diairesis identisch, denn jeder der beiden theoretischen Ab-
schnitte ist zugleich ein praktischer, eine Arsis oder eine Basis. Dagegen sind
bei den zusammengesetzten Takten die beiden Diaireeen verschieden, denn der
zusammengesetzte Takt hat je nach Umfang* und Taktart entweder zwei oder
drei oder vier Takttheile.
Es war ein Mangel der ersten griechischen Rhythmik (1854), dass diese
Arten der Diairesen nicht geschieden wurden. Dort war jeder der beiden dem
X<Sfo; TCi$i-x&t Abschnitte entweder als Niet; oder als dpot; gefasst, z. B.:
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II. 3a. Takt-Diairesis in Chronoi prodikoi.
79
— \y — v , — ^ — ^
• / '
ttioi; dpoi;
m
— \*/ — ^, — v>
Öeoi; apot;
- w - \> - vy, — \> — ^
s / V <
tisai; äpai;
Dieser falschen Auffassung ein Ende gemacht zu haben, ist das grosse
Verdienst IL Weil's in seiner Besprechuiig des Buc hes (Weil über Arsis und
Thesis N. J. f. Phil. u. Paed. 76 S. 396). Anschliessend an den in der Rhyth-
mik besonders betonten Satz, dass rous bei Aristoxcnus in einem anderen Sinne
als in dem uns geläufigen Sinne der Metriker gebraucht wird, dass er nicht
bloss Einzelfuss, sondern dasselbe wie Kolon bedeute, sagt Weil, dass wenn
Aristoxenus einem jeden rouc mindestens zwei, den tAeydXot wtöes aber auch
drei und vier Semeia vindicirc, dass dann die ne-y*'01 rcooe; von den grösseren
der in der Aristoxenischen Scala enthaltenen rAhtt verstanden werden müssteu.
Auch Aristides gebe hiermit im Einklang dem 10-zeitigen Paion epibatos vier
Chronoi, dem 12-zeitigen Trochaibs seinantos und orthios drei Chronoi. Sich
stützend auf die Stelle des. Psellus § f>4, die, wie sie handschriftlich überliefert
ist. die Zald der Semeia mit dem grössten Megethos jeder Taktart in Causal-
Nexus bringt:
Taktarten Zahl der Semeia grosstes Megethos
■ydvo; oaxrjXixöv 2 16-zcitig
Y^vo; intfafa 8 18-zeitig
Y£vo; 7:at(«vix<iv 4 25-zeitig
nimmt Weil an, dass die zwei Semeia der daktylischen, die drei Semeia der
iambischen. die vier Semeia der paeonischen Taktart zu vindicircu seien. Die
Tetrapodic habe hiernach zwei, die Tripodie drei, die Pentapodie vier Semeia.
Die Auffassung Weil's hatte sich seitdem unsere Metrik zu eigen gemacht,
zuerst in den Fragmenten und Lehrsätzen der griechischen Rhythmiker 1861,
S. 128. Jedem tetrapodischen Kolon gaben wir mit Weil nur zwei Semeia,
eine 8£oi; und eine o&si;:
W V> — W V> — — W w' —
Erst Dr. E. F. Baiungart in seiner vortrefflichen gegen mich gerichteten
Streitschrift „über die Betonung der rhythmischen Reihe bei den Griechen" im
Programm des katholischen St. Matthias-Gymnasiums zu Breslau machte da-
rauf aufmerksam, dass diese Auffassung unüberwindliche Schwierigkeiten habe.
„Wenn wir nicht glauben wollen, dass die Griechen aus einer Art theoretischer
Steifheit den ganzen Zweck und Nutzen des Taktirens unsicher und illusorisch
gemacht haben, so können wir ihnen eine solche Handhabung derselben nicht
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80 Aristoxenus rhythmische Elemente § 57.
zutrauen." Baumgart verwirft deshalb die Beziehung der aus 3 und 4 Xp<Svot
bestehenden Takte auf die rMn cjvöe-roi und kehrt' zu der alten Auffassung
Boeckh'a zurück.
Boeekh metr. Pind. p. 22 und Ind. lect. Berol. 1825 p. 5 hält die 2, 3, 4
yp6vot oder STjjAeta, welche 'Aristoxenus § 17 den wfte; zuertheilt^ für identisch
mit den ypivot ttoojtoi. Die betreffenden ro5e; seien der 2-, 3-, 4-zeitige, obwohl
Aristoxenus weder den 2-zeitigen roj; für die ouvcy^; pjßfAonoiia anerkennt
noch auch jemals wie Aristides den Tenninns «rrjuetov als gleichbedeutend mit
ypovo« rpÄTo; gebraucht. Nach Boeekh also würde Aristoxenus keinen grösse-
ren rcoi»; als den 4 -zeitigen Daktylus oder Auapaest statuireu. Das glaubt nun
Boeekh auch in der That aus Aristoxenus Worten schliesscn zu müssen, denn
wenn es (sagt Boeekh) im weiteren Fortgange der Aristoxenischen Stelle § 19
heissc, durch die Khytlunopoeic werde ein ttoj; auch in mehr als 4 yp^vii zer-
legt, so seien damit die das 4-zcitige Megcthos überschreitenden 7^&e; vom 5-
bis zum 25-zettigen gemeint. Jene (vom 2- bis 4-zeitigen) seien die dojvOeroi
-öoe;, diese (vom 5- bis zum 25-zeitigen) seien die ouv»exot; — der 5-zeitige
Paion sei aus einem Trochaeus und Pyrrhichius, der 6-zeitige Jonicus aus
einem Spondeus und einem Pyrrhichius zusammengesetzt u. s. w.
Dieser an sich ganz seharfsinmgen Deutung Boeckh's widerspricht, dass
Aristoxenus dem ypovoc zootxi; unter Umständen ajich das pi-fetto« 8Xov roSös
giebt s. unten. Dies ist bei Boeekhs Identificimng von yp«Svo; rpA-o; und it^cion
nicht möglieh, denn ein ypövo; npöro; kann imtcr keinen Umständen einen
ZXo; roj; bilden, um so weniger, als Aristoxenus nicht einmal das [xi^efto; 6lar4-
piov als -r/j; anerkennen will.
Boeekh hat unbeachtet gelassen, dass nach seiner Interpretation des Aristo-
xenus dieser dem toI^jj-o; ttoj; drei o-r^eta zuertheilen müsste, während Aristo-
xenus demselben § 20 zwei OTjueta vindicirt hat. Ebendaselbst giebt Aristo-
xenus dem rov>; xeTpaor^o; zwei ot^ela, nicht wie es nach Boeekh der Fall
sein müsste, vier or^eia. Auch dem 5-zeitigen Paion wird von M. Victorinus
eine TptotjpLo; ftisi; und eine 'JaTjjAo; apat; zuertheilt, also zwei, nicht al>er
fünf 3r(|AEia; dem 6-zcitigen Jonicus «'ine Tetpaairj|Ao; 8£ct; und eine Storno; ipet;,
wieder zwei, nicht sechs Seincia; nicht minder heisst es vom 6-zeitigen Ditro-
chaeus bei Victor. , ,uniis pes ipsiv, alter ft£aiv obtinebit", wiederum zwei Semeia.
Auch die 8-zeitige anapaestisehe und daktylische Dipodie hat trotz ihres 8-
zeitigen Megethos gleich der troehaeisehen nur Eine dlpai; mid Eine 8£oi; Für
alle Tc«55e» vom 5-zcitigen bis zum 8-zeitigen steht es fest, dass sie nur zwei
Semeia haben. Und da sie alle nur 2 Semeia haben, bo gehören sie nicht,
wie Boeekh will zu den pcYdÄot it^oe;, da die p.efd>Ai tcoBe; nach Aristoxenus
mehr als 2 CTjueta, nämlich 3 oder 4 nöthig haben. Wir müssen also die
jASfdXoi Tftöe; nothwendig unter den die Achtzoitigkeit überschreitenden fiE^iSTj
suchen, nicht aber unter den otaip£oet; ut:ö pjftpLOTrouac YivSp-evai.
Baumgart hat Boeckh's Auffassung etwas modificirt. »ber keine der eben
aufgezählten Schwierigkeiten hinweggeräumt. Es lässt sich nun einmal das
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IL 3a. Takt-Diairesis in Chrouoi podokoi.
81
OT(fjieiov des Aristoxenischcn § 18 nicht mit dem ypovo; ^pöbtos identificircu,
wenn nicht Aristoxenus Darstellung voll der grünsten Widersprüche sein soll.
Nichts desto weniger hat sieh Baumgart um dir Lehre von den o^fxeia
aufs höchste verdient gemacht, indem er nachweist: auf die Stelle des Psellus,
welche hier Weil zur Grundlage gemacht, dürfe jene Lehre unmöglich gestützt
werden; der Sinn bei Psellus, wenn dort Logik vorhanden sein «olle, müsse
ein anderer sein, nämlich derjenige, welchen wir oben angegeben haben.
Wir bleiben dabei, dass Weil's Erklärung der Aristoxenischcn Lehre von
den Semcia im Wesentlichen das richtige gesehen, indem er die [xefdXoi rAhti d. h.
die Kola ins Auge zu fassen betout; dass allein Weil das Richtig getroffen,
aber nicht Boeckh- Baum gart. Doch hört nach Baumgarts richtigen Ein-
wanden die Stelle des Psellus auf, ein Hülfsmittel zu sein, um den verschieden-
artigen 7r<Sfce; o'jv&eTOt eine bestimmte Semeien- Anzahl zuzuweisen. Das einzige
Hülfismittel sind die bei den Metrikern vorkommenden Angaben über apai; und
Hcsu, besonders über die ßdsei;. Schon früher versuchten wir die letzteren
zu benutzen, besonders System der antiken Rhythmiker 1S65 S. 107. Doch
war uns damals noch die Stelle des Psellus das Regulativ für die Be-
nutzung, und die Verwerthung des in den Metrikern enthaltenen Materiales
deslialb eine unrichtige. Die Uebereinsrimmung zwischen den Metrikeru und
Aristoxenus ist eine noch viel grössere als wir damals ahnten; sie lässt uns
zugleich eine Identität der griechischen Taktirweise mit der modernen erkennen,
die auch Baumgart vollständig befriedigt hätte.
Von der Aristoxenisehen Ausführung der Diairesis in Chronoi podikoi ist
durch Psellus ein einziges Fragment gerettet worden, aus dem Zusammenhange
des Abschnittes, auf welchem sich Aristoxenus § 18 beruft. Leider enthält
dies Fragment nur einen Theil von dem, was schon in jenem § 17 zu lesen is-t.
§ 57. Denn von den Takten bedürfen die einen ihrem Wesen
nach bloss zweier Seraeia, einer Arsis und einer Basis,
die anderen Takte bedürfen dreier Semeia, nämlich einer Arsis
und einer zweifachen Basis,
die Takte einer dritten Kategorie haben vier Semeia nöthig:
zwei Arsen und zwei Basen.*)
•) Die Semeia der dritten Kategorie sind nicht in der Parallelstelle § 17,
sondern blos in der vorliegenden Stelle genannt. Dadurch ist sie wichtig ge-
nug. Für die Takte der zweiten Kategorie dagegen ist sie unvollständiger als
die Parallelstelle, denn dort sind als die drei Semeia des hierhergehörenden
Taktes genannt
«il h't ix Tpt&V
66o (j.ev tu>v ava), £m»; os toO "/.«xtuj,
tj d; £v6; jxev toj avo>, ojo Ii Ttüv xd'tu.
Caesar (und ihm folgend Bartels) glaubt bezüglich der aus drei Semeia be-
stehenden Takte für die beiden parallelen Stellen Uebcreinstimmung herstellen
Arl«tox«DU», Melik u. Rbjtliraik. G
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82
Aristoxenus rhythmische Elemente § 57.
zu müssen. Er bewirkt sie dadurch, dass er in dem Excerpte die eine der
beiden Alternativen, welche § 56 nicht aufgeführt ist, weil sie bei Psellus nicht
angegeben sei, als einen unglücklichen Zusatz der Aristoxenus- Handschrift ent-
fernt. Wo wir die Wahl haben bei derartigen Discrepanzen werden wir eher
an eine Auslassung von Seiten des Epitomators Psellus zu denken haben, der
ja so mangelhaft wie möglich excerpirt. Das zeigen solche Stellen des Psellus,
für welche das Original der Aristoxenisehen Rhythmik erhalten ist. Und wer
mag denn überhaupt aus der Rhytlimik des Aristoxenus, von der wir nur
so Weniges haben, noch dies Wenige durch Auswerfungen verkürzen? Unsere
erste Pflicht ist, was Aristoxenus überliefert, festzuhalten und in der Erklärung
keine Müh« und Sorgfalt zu sparen, bis dieselbe gelungen ist.
In dein Folgenden stellen wir zur Erörterung der aus zwei, aus drei, aus
vier Semeia bestehenden Takte zunächst Alles zusammen, was wir sonst bei Aristo-
xenus und, wo dieser uns verliest, bei den antiken Metrikern darüber vorfinden.
a. Takte mit zwei Semeia.
Im Voraus ist zu reeapituliren, dass Aristoxenus die durch Accentuation ver-
schiedenen Semeia auch ypövoi nennt, nämlich den leichten „ovo ypovo;", den
schweren Takttheü „*<£tw ypovo;". WTo kein Missverständniss möglich ist, lasst
er bei ypövoi die Zusätze avo> und -a*™ aus.
Für „avw ypövo;" sagt Aristoxenus auch „Arsis", für „xäreo ypovo;** aber
niemals „Thcsis" (wie alle anderen Quellen der Metrik und Rhythmik), son-
dern „Basis."
Monopodische Takte.
Für zwei einfache Takte sind bei Aristoxenus selber die Semeia ihrem
dynamischen Werthe nach bestimmt § 20, nämlich für den 3-zeitigen und den
4-zeitigen Takt: „Der 3-zeitige Takt hat einen Slor^o; xa-rci ypovo;, einen
halb so grossen dtvcu ypovo;.
Der 4 -zeitige Takt hat einen olor(u.o; xdTto ypovo; und einen eben so
grossen dve» ypovo;."
Neben diesen beiden kleinsten rationalen Takten bestimmt Aristoxenus
auch die beiden Takttheile des irrationalen, des yopeto; 0X070;. Die Basis (diesen
Terminus gebraucht er nunmehr statt xdrw ypövo;) ist dieselbe wie der schwere
Takttheü des rationalen trisemos und tetrasemos, während die Arsis des Choreios
alogos die mittlere Grösse von den Arsen des trisemos und tetrasemos habe,
^ou; Tpto'/jpo; rou; T6Tpocr)|«>;
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II. 3a. Takt-Diairesis in zwei Chronoi podikoi. 83
yopeto; dXojo«;
_ ^
ßdat« apst;
Ueber den einfachen 5 -zeitigen und 6 -zeit igen Takt verlassen uns die
eigenen Angaben des Aristoxenus. Ergänzend tritt ein, was die Metriker, namen-
lich Marius Victorinus im Cap. „de rhythmo" mittelbar aus Aristoxenus Rhyth-
mik überliefert p. 53 Gaisf. Rhythmorum autem tres esse differentias volunt,
in daetylo, iambo, paeone, quae fiunt per dpoiv et 8£ow. Nam daetylus aequa
temporum divisionc taxatnr . . . dicunt in dpott et Hau aequalem rationein Ivos
.... Iambus a brevi syliaba ineipit, quae est unius temporis, et in longam
detwüt, quae est temporum duorum. trochaeus autem contra. Secundus autem
rhythmua in iambo dupli ratione substitit, [Aovöurjfxo; (unius enira temporis) dpau
ad oio7](aov 8£civ comparatur . . . Eadem et in ionicis dupli ratio versatur ....
eritque öIot(|ao; dpot; ad itTpadr^os 06otv seu contra ....
Tertius autem rhythmus, qui paeonicus a musicis dicitur, hemiolia subsistit,
quae est sexcupli ratio. Hemiolium enim dicunt uumerum, qui tantundem
habeat quantum alius et dimidium amplius ut si compares tres et duo. Nam
in tribus et dus at essem dimidium contiretur, quod cum evenit Tptorjjxo; Äpot;
ad i(o7)(xov 8£«iv aeeipitur i. e. tres partes in sublatione habens, duas in posi-
tione, seu contra. Quam rationein maxime ineurrunt paeouici versus et bacebiei
ita nobia gradientibus ut paeonicus servetur rhythmus. Hae sunt tres partitio-
nes, quae continuam MM-oTOttav faciunt. Aristoxenus autem ait nou omni modo
inter 8e composita tempora rhythmum facere ....
Mar. Vict. p. 2483 (im Cap. de arsi et thesi): In cretico nunc sublatio longam
et brevem occupat, positio unam longam, vel contra positio longam et brevem,
sublatio unam longam.
— — oder — v-/' —
/
dp«; ftioi; &£ai; dpoi;
TpWTJfAO; ÖlffTjfAO; Tpi3T;[JL0; 0107^0;
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84 Aristoxenus rhythmische Elemente. § 57.
zo-j; £;dferjfio;
— — ^
Ölst; apai;
Dipodische Takte und Taktordnungen.
Uebcr die zusammengesetzten Takte, vom 6-zcitigen dipodisqhen au,
sind uns bezüglich der Takttheile wiederum die Zeugnisse, der Metriker zur Hand.
Nach ihrer Angabe wird ein fjiixpov entweder nach mono|>odischen oder nach
dipodischeu Bcstandtiicüen gemessen. Der gemeinsame Terminus für diese ge-
meinsamen Bestandteile des fifixpov ist „ßdai;". Die fJdoi; ist also entweder
eine lACivorootxi) oder ct7tooix-?j ßäoi;.
Von der pcwitooix^) ßdot; redet Schul. Hephaest. pag. 162: Xi^erai oe xö
rjpaüxiv e;d[i.eTpov di:ö toü dpiO|Aoy töjv ßdoecuv.
Die dipodische Basis definirt Schul. Hephaest. p. 124: Bdot; o£ irzi tö £x
h'jo -ooüjv oyv£3TT]x<J; , toO jjlsv dpaci, toj 0£ «>£aet rcapaXaix^avoixsvyj. *H o5rto;-
£dai; eadv t) ex -ooo; xai xataX/^eoj; vvjt£ot'. ;;.ti; ouX/.a^f,; -ool boy|x£vr;;. Da-
her wird fSdat; gleichbedeutend mit otzoofo oder ay^la gebraucht; selten von
Hephacstion, wenigstens selten in dem uns von ihm vorliegenden Encheiridion p.36 :
Td fAev -jap ex oüo iowlx&v xal Tpoyaixfj; ßdaeaj;. Mar. Victor. 2489 R : Duorum
pedum copiüatio ßdsi; dieitur, . . . qui si eiusdem generis fuerint dipodiara
aut ut quidam tautopodiam, sin dtspares . . ., syzygiam efticiuut. In qua ipsi;
nimm, altcrum fteoi«; pedera obtinebit
Mit dem von dem Metrikern gebrauchten Terminus ßdai;, der sich, wie
wir hieraus ersehen, auf die rhythmische Accentuation (dpat; und ö£ou) des
Metrums bezieht, steht im Zusammenhange der Ausdruck „jäalveiv" oder „'Iii-
veoSai'"' in den oft wiederkehrenden Ausdrücken ßalverai fAsroiv xaTo otro5tav
oder xtrrd (xovozoolav (Schob Hephaest. 163) oder auch activisch fJa(vo[t£v xatd
Oizootav, j>atvo(X£v oxTasTjiuo;.
Lateinisch wird dies von den Metrikern wiedergegeben durch „scanditur
singulis pedibus'' oder „per syzygiam'' Mar. Victor. 2521 P. Hiernach kann
wohl kein Zweifel sein, dass sich ßdoi; und ßalvav zunächt auf das Takttreten
bezieht.
Andere lateinische Ausdrücke für denselben Begriff sind:
ferire
S. meine Theorie der antiken Rhythmik,
caedere >
Breslau, F. E. C. Leuckart S. 109.
percutere
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II. 3a. Takt-Diairesia in zwei Chronoi podikoi.
85
Das Substantivum ,.percussio" erscheint mit „3dat;" durchaus gleichbe-
deutend. Mar. Victor. 2572: Fcritur dipodiis trimcter tribus, quem a numero
pedum ut diximus nostri seuarium, a numero percussionum trimetrum Graeci
dicunt. Mar. Victor. 2508: Tribus percussionibus per dipodiaa caeditur.
Besonders bemcrkenswerth ist Fab. Quintil. inst 9, 4, 51: Magis tarnen
Ulis licentia est, ubi tempora etiam animo metiuntur et pedum et digitorum
icta intervalla signant quibusdam notia atque aestimant quot breves illud spa-
tium habeat: inde 7eTpdortpLOt, ;r£vrd«7juoi, deinceps longiores fiunt percussiones,
nnm 3rj|iciov tempus unum est. Zur Erläuterung dieser Angabe Quintiliaus
folgendes:
TCTpdaTjao; percussio bei einem ^iaivcjöai xard rMa Ttipaa^uov:
^ev-:daTj|j.o; percussio bei einem ^atveoftai xa-rd r<5oa rEvrdsTjixov:
— \j — revtdaTjo.'/; ßiai;.
Die longiores percussiones. welche Quintilian im Sinne hat, sind:
e^dar^jLo; percussio bei einem fktveottat xatd xihz eSdor^ov:
~ — — s;dorj|jLo; -laot;,
und bei einem ßaiveoftai xaxd iuro&iav efcdaTj.uov:
- w - ^ d;diT([Ao; jJdm?,
6xTda7j[xo« percussio bei einem 3aiveot)cti xatd oizoola^ ^xTasT^ov
^ w - ^ ^ - wrdsTjfAo; £dai;.
Dass alle diese Mittheilungen des Fahrns Quintilian und der Metriker
aus der Doctrin des Aristoxeuus stammen, den ja namentlich Marius Victorinus
auch sonst als Gewährsmann anführt, kann kein Zweifel sein. Freilich ist
Aristoxenus nicht die unmittelbare Quelle, sondern ein die Rhythmik des Ari-
stides umarbeitender Aristoxcneer, dem wir auch sonst in der rhythmischen
und melischen Litteratur der Alten begegnen. Ihm gehört an: 1) dass .statt
des Aristoxcnischen Chronos protos der Terminus ot^uciok gebraucht ist 2) dass
statt des schweren Takttheiles nicht pdai«, sondern iHo«; gesagt wird. 3) der
eigentümliche Gebrauch des Wortes ßdo«. Das Wort selber ruft zwar die
Aristoxenische -Jdst; als Terminus für starken Takttheil in Erinnerung, ein
Terminus, der bloss bei Aristoxenus vorkommt. Wie nämlich bei Marius Victorinus
das Wort /c6pa oder sedes, als Ausdruck für den einzelnen Versfuss gebraucht
das Gebiet oder den Umfang eines einzelnen rhythmischen Accentes mit In-
begriff der zum Accent gehörenden unbetonten Sylben bezeichnet, so ist „jidai;
Ixr.olvAi" der Terminus für das Gebiet eines Hauptaccentes mit dem dazu ge-
hörenden Nebenaccente, welches das Megethos einer Dipodic hat, geworden.
So ist der Aristoxeuischc Terminus ,,,Vzai;"' zwar nicht bei Aristides, denn dieser
sagt ftioi; statt jäd«;, wohl aber in der Terminologie der Metriker und des
Fabius Quintilian festgehalten, zwar in einiger Modifikation der Bedeutung,
aber unter Fcsthaltung des rhythmischen Grundbegriffes: des durch das Nicdcr-
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HG
Aristoxenus rhythmische Elemente § 57.
treten des Fusses oder die percussio zu markirenden Megethos, auf welchen
der rhythmische Accent kommt.
Wir können also Aristoxenus Doctrin über die iro5e; mit zwei ortetet
dahin vervollständigen;
1) alle r.6bti douvö-Eiot haben zwei (njfieta, eine dpai; und eine Man (ßebte).
2) alle roSSe; cjv&etot vom Umfange einer Dipodie haben ebenfalb zwei
OTjjxeia, eine dpai; und eine ttioi; (ßdat;), nämlich:
a. der rouc e;d<n)fi.o; oaxxuXixö;:
dps.
± \J, Mi ^
b. der rcou? oxxdffTjfxo; 8axxuXtx6;:
dpa. 8eo.
X v-' ^ , ^ w
c. der 7tou; oexd<jY)p.o; oaxxyXtx'S;:
dpa. Ma.
j. w — , Jt \s —
d. der Ttou; ouoexdaT)po( 6axxjXix<4; :
dpa. ftea.
\^ v> X — , \J <U IL —
Die Reihenfolge dp«;, ftiai? (ßdat;) entspricht der unmittelbar von Ari-
stoxenus gemachten Angabe, doch werden wir alsbald sehen, dass auch die um-
gekehrte Reihenfolge: &Eat; (jädat;), dpot; möglich ist. Unsere rhythmischen
Quellen nämlich geben diese letztere Accentuation für den tou; öxxdoTjfAo; 5ax-
xuXtxo; an, in welchem jedes Semeion durch einen einzigen xaxd j^duorotla;
^pfjaiv doovdcro; yp<5vo; dargestellt ist, den sog. arttvoEto; [xeI£cdv 8 xai omXoü;
ix xexpaa-fjpiou dsaco; xai xexpaaT)|Aoy dpoca»;
ftiot; dpot;.
Aristid. I. p. 30 M. Die beiden Bestandteile dieses achtzeitigen Taktes hat
schon Boeckh richtig als zwei vierzeitige Längen erkannt. Vgl. Aristid. IL
p. 97. 98: T&v iu low X6?tp . . . el oid fATjxfaxwv ypovwv ou;j.fSahg flvEaftat xoj; iz^oa;,
xXelcav ^) xaxdaxaat; £pup ai-wix' dv xfj; otawta; . . . Ata xouxo xov; pajxtaxou; toi;
lepot; ypivot;, oU expwvTO ^apexTctafiivot; xr(v xe zepl xaOxa otaxptßiJ)v jiilav xai
(ptXoywpiav £voetxv.iti,Evoi xf,v xe atixAv oidvotav IoÖxtjxi xai pL^jxei xröv ypövrov e;
xoOfxiÖTTjTa xa&taxdvxE; w; xa6xrjv ovaav bfUiav b-r/fy.
Die verschiedene Ordnung der Chronoi podikoi in dem dipodischen Takte
bezeichnen wir Modernen durch verschiedene Setzung des Taktstriches, welcher
entweder vor dem ersten oder vor dem zweiten Versfusse der Dipodie steht.
In der Theorie des musikal. Rhythmus seit Bach habe ich diese beiden Formen
des dipodischen Taktes die beiden Taktorduungen genannt. Z. B. für den
dipodischen (j;-Takt:
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II. 3a. Takt-Diairesis in zwei Chronoi podikoi.
87
Erste Taktordnung (Taktstrich vor dem ersten Versfusse):
Be - weis' dein Macht, Herr Je - su Christ,
«r ff i ii i
apoi;
Man apot
der du Herr al - 1er Her ren bist.
apoic Heotc apai;
Zweite Taktordnung (Taktstrich vor dem zweiten Versfusse):
Kei - ne Ruh bei Tag und Nacht,
± - IL — ± — Jl
apoii öiot; dtpau 8£<Ji;
nichts was mir Ver-gnü-gen macht,
pp — 4 — p— =h
t — » * .-1
£ — JL — 2. — JL
äpst; öioi; apsi; ftscu
Wir wiederholen, was wir schon früher angedeutet, dass es auf einer fal-
schen Auffassung des Rhythmus beruht, wenn man in der modernen Musik
den Takt von einem Taktstriche bis zum nächsten Taktstriche rechnet, oder
kürzer, wenn man unter Takt dasjenige versteht, was von zwei Taktstrichen
eingeschlossen ist. Nur äusserst selten ist dies der Fall. Genau wie man für
den poetischen Text in dem zweiten Beispiele die Versfusse folgendermassen
zählt:
Keine | Ruh bei Tag und | Nacht,
12 3 4
und so wenig man in dem poetischen Texte den ersten Versfusw „keine" von
dem folgenden als Auftakt abtrennen wird, ebenso darf man auch im Melos
den ersten Takt nicht erst mit dem zweiten Versfusse beginnen lassen, zumal
da — wenigstens in dem vorliegenden Falle und so auch in fast allen anderen
— das Melos genau dieselbe Accentuation hat wie der deutsche poetische Text
beim Recitiren. Vielmehr müssen wir, der griechischen Rhythmik folgend, nicht
bloss von unseren bisherigen Vorstellungen über zusammengesetzte Takte und
deren Taktart (wie der Lobescheu \ abgehen, sondern uns auch darin der an-
tiken Doktrin, die hier schärfer als wir zu sehen verstand, anschliessen, dass
wir den Satz aufstellen:
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88
Aristoxenus rhythmische Elemente § 57.
in einem dipodischcn Takte steht der Taktstrich entweder vor der
Hebung des ernten oder der des zweiten Yersfusses.
Grössere Ruhe und grössere Bewegung, das sind die wichtigen Unterschiede
de« musikalischen Ausdruckes, die wir bei den Gegensätzen der beiden Takt-
ordnungen in
ii i ii i
Beweis dein Macht Herr Jesus Christ
— IL — ± — il — ±
und
IUI II
Keine Ruh bei Tag und Nacht
j. - IL - ± - IL
sofort heraushören. Dieselbe erste Taktordnung wie in „Beweis dein Macht
Herr Jesus Christ", wendet Bach überall für die im dipodischen Takte ge-
schriebenen Choräle an; diejenige Taktordnung dagegen, welehe in „Keine
Ruh bei Tag und Nacht" angewandt ist, in welcher der Taktstrich nicht vor
dem ersten Vcrsfusse steht, wo der Takt nicht mit der »sai«, sonder der eipau
anfängt, liebt Bach in den Gavotten und in der rnstrumentalfuge. Ph. Spitta
Leben Bachs I, S. 774 sagt von dieser zweiten Acceutuationsart: „Es darf
nicht unbemerkt bleiben, dass darin jene, Bach eigentümliche innere Erregt-
heit sich offenbart, indem erst nach dem Verlaufe von einem Takte der
stärkste Aeeent hörbar wird, dem alles vorhergehende in eigener Unbefricdi-
gung zustrebt/*
Aristoxenus (denn offenbar gehen auf ihn die darüber handelnden spä-
teren Musiker als ihre wenn auch nicht unmittelbare Quelle zurück) unter-
scheidet drei Style in der Musik, die niimlichen für die Melopoeie und Rhyth-
mopoeie d. i. für das melische und rhythmische Element der Musik. Sie werden
die drei Tropni (d. i. ^Compositionsarteu) oder auch Ethe (d. i. Charaktere) ge-
nannt, indem man dabei von der verschiedenen Art und Weise ausgeht-, wie
die Seele der Zuhörenden durch die Compositiou afficirt wird, eine Affection,
die nach griechischer, gewiss richtiger Auffassung in gleicher Weise durch die
Rhythmopoeie wie durch die Melopoeie bewirkt wird. Was Aristoxenus selber
darüber im Zusammenhange gesagt, ist nicht mehr erhalten, aber was Spätere
aus ihm über diesen Gegenstand geschöpft haben, davon ist uns wenigstens
das Wesentlichste überkommen. Es war in die Schrift eines Aristoxeneera über-
gegangen, der hauptsächlich die dritte Harmonik des Aristoxenus umarbeitete
und der dann von den Musikern der römischen Kaiserzeit ihren kurzen Dar-
stellungen zu Grunde gelegt worden ist Unter ihnen ist die dem Euklides
zugeschriebene Einleitung in die Harmonik.
Ilm ihm heisst es p. 21 Meib.:
°K<jti Ik StaoTaXTixöv (asv t,!)o; fxeXozoda; ot ou c/(fjLaiv£Tai p^aXo-pi-eta
xai fclappia «u/fj; dvop&Be; *al ~pa;et; itfwixoX xat z-iOir) tojtqi; olxeia. -/J)^«
oe toutoi; [Aa/.toTa |a£v yj xpaY«)0W *ai töiv Xotrwv oe Soa to6to\> ly.eTat toü yapix-
Tfjpo;.
»
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II. Sil. Takt-Diairesis in zwei Chronoi podikoi.
89
I'jotoXtixöv U, Ii oy (md-yeTai t) tyjy)\ et; -zrtr.t^rr^a xi\ dvavopov oid-
Oeotv. dpfjtooci o£ t6 toioOtov xa.Td<mrijj.a toi« epro-txoi; TrdÖeat xal ftp^voi« xal olx-
TOt; xal tot; KapaicX^olot;.
'II auy ootixov oj ^06; dort ji.eXoroua; u» rapireTat ^peu/TT,; d^X'fc **i
xaTdoTTjfjLa £Xeud£pt4v te xal clpijvixo\. dpjioV/jai 0 a&T«» ÜSpwi, zaiäve;, E^xrijAta
xal Td toutoi; Spot«.
Also folgende drei Compositionsarten oder Cliaraktere werden flir die mu-
sische Kunst der Griechen unterschieden:
I. Der diastal tische d. i. der erregte Charakter, in welchem sieh Hoh-
heit, Glanz und Adel, männliche Erhebung der Seele, heldenmüthige Thatkraft
und Affeete der Art darstellen. Besonders in den (Chor-) Gesängen der Tra-
gödie und Ähnlichen Compositionen.
II. Der hesyehastisehc d. i. der ruhige Charakter, durch welchen Seelen-
frieden, freier und friedlicher Zustand des Gemüthes bewirkt wird. Dem wer-
den angemessen sein die Hymnen, Pneane, Enkomieen, Trostlieder und ähnliches.
III. Der systaltische d. i. der gedrückte, beengte Charakter, welcher
das Gemüth in eine niedrige, weichliche und weibische Stimmung presst. Es
wird dieser Tropos für erotische Affeete, für Klagen und Jammer und Aehn-
liches geeignet sein.
Auch im systaltischen liegt Erregtheit wie im diastaltischen Ethos, aber
keine Erregtheit edler Art, soudern diejenige, welche wir Sentimentalität nennen.
Aus anderen Mittheilungen der Alten folgt, dass mich die monodischen Ge-
sänge der Tragödie (die Bühnen-Arien) zu dem systaltischen Tropos gerechnet
werden.
Unsere Choräle, welche bei Bach im dipodischen (j'-Takte erster Ordnung
notirt sind , müssen als Typus des ruhigen Charakters gelten. Ihnen entsprechen
bei den Griechen die *3|Avot, die ihrerseits als Haupt-Typus des hesychastisehen
Tropos genannt werden. In der That ist auch der daktyliseh-dipodischc Takt
erster Ordnung als czovosto; [leilitov für die heiligen Hymnen gebraucht worden,
. wie wir aus der Stelle des Aristides belehrt werden. So werden die Compo-
sitionen in dem mit der dpai; beginnenden Takte, — ..die Compositionen der
innerlich erregten Stimmungtvgl. Spitta)" — den griechischen Compositionen
des Tporo; oiaTraXTtxo; entsprechen. Somit sind wir wieder im Besitze der
antiken Nomenclatur. Der zo-j; oxTda^jio; mit der Ordnung der Semeia
»tat; apat;
ist ein roic dxTdo7)|io; f(ov»y aoTtxi;,
mit der umgekehrten Ordnung der Takttheile
dpai; Uiot;
ist er ein tto-j; öxTdar^o; otaaTaXTix«i;.
Was den dritten der griechischen Tropoi betrifft, so nimmt das Sentimen-
tale bald die erregte Weise der Tropos diastaltikos, bald die Rulle de« Tropos
hesychaatikos an.
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Aristoxenus rhythmische Elemente § 57.
b. Takte mit Tier Semeia.
Tetrapodische Takte und Taktordnungen.
Die tetrapodischen Takte oder Kola sind es vorwiegend, welche Aristo-
xenus im Auge haben muss, wo er sagt:
Ol U täv ttoSäv tercapat 7u<p0xaai otjjulot; ypfjodat, ojo ipoesi xal l-jo
ßdaeat,
denn zufolge, der bei den Metrikern erhaltenen Ueborlieferung über die per-
cussio der ßdtaei; haben sie folgende Accentuation :
dpo. 8£a. dpa. 8£o.
£ ^ JL ^ J. <J ML w
^Z^>JL\JJ.^>JL
± \J \J JL \^ ^ JL ^ \J JL \J \J
\J ^ ± v> \J JL \J \J ± \J \J JL
\ > >
fJdot; ßdots
"Apotc, d£«t;, dp«;, dlot; oder in der Terminologie des Aristoxenus: "Apsic,
ßdau, apot;, ßdais: das sind die (60 dpaet; und 5io [ideet;, welche Aristoxenus
den aus 4 <n)p.eia oder 4 yptfvot tto&ixoI bestehenden roi&e; (jieYdXoi zuertheilt.
Es ist schon oben darauf hingewiesen, dass sich in dem von den Metrikern
gebrauchten Ausdrucke ßdtoi; die unmittelbare Spur Aristoxenischer Terminologie
erhalten hat, denn wenn auch der Gebrauch des Wortes sich bei den Metri-
kern verändert hat, so bezeichnet es doch immer noch das Verhaltniss des di-
podischen |a£Xo; der tetrapodischen Takte zum rhythmischen Accente.
Aus den Angaben des Aristoxenus § 17 und des Aristides ersehen wir,
dass für die o0y8etoi w5Se; so gut eine $ict<fopd xax dvxl&eoiv wie für die dauv-
8etoi Tz6hti besteht, dass also für die tetrapodischen Takte auch folgende An-
ordnung der öTjjjieta vorkommen konnte:
%ia. dpa. 8£o. doi.
JL\JJ.\>JL^/J.^ '
^ JL \J J. \J JL \J J.
JL w ^ J. <U \J JL o ± \J ^
^ ^ JL ^ ^ ± \J ^ IL sj j_
>■ , — . v 1
Die mit der apai; anfangende Tetrapodie würde der diastaltischen oder er-
regten, die mit der 8£ci; beginnende der hesychastischen oder ruhigen Compo-
si tonsweise angehören.
In der christlich moderneu Musik sind die tetrapodischen Takte besonders
zahlreich bei Bach vertreten, am meisten für den daktylischen Rhythmus in
der Form des C-Taktes: C-Takte des diastaltischen Tropos in den Instrumeu-
talfugen, C-Takte des hesychastischen Tropos in den Allemauden der Suiten.
*
Ilov; £xxai6exdo7)fi.o; Sta3Ta).Tix<i;:
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II. 3a. Takt-Diaircsis : Takte von vier Chronoi podikoi.
91
Bach, Wohlt. Clav. 1, 2:
1. 2.
3.
4.
dpo. ßda. dpa. ßdat;. %
Ale Beispiel aus Bach wählen wir die allemandenartige Bearbeitung des
thüringischen Volksliedes: „Ich bin so hing nicht bei dir gewdst" Kaiserlingk-
Variationen Nr. 30 (I, 6, 3 Peters).
1. 2. 3. 4.
Ich bin so lang nicht bei dir ge-west
ßdai;, dpoi;, ßdot;, apot;.
Mit dem Taktschritte hinter der Hebung des dritten Fusses (dritte Takt-
ordnung) Wohlt. Clav. 1, 3 (nach einem thüringischen Tanz-Thema):
1.
2.
3.
4.
1. 2.
3.
4.
.11
- ^OjNw- V_/ X,W^ X -X,- X,- X,\-/>^ X
ßdoic apot; ßdc« dpat; ßdoi; dpot; ßdaw apoi;
flau; 5oooexäoT4fxo; fjouy a ottx<5c.
Ausser der 16-zeitigen Tetrapodie giebt es nur noch einen tetrapodischen
Takt, den hmUxdir^oi, unseren geraden - oder "-Takt. Ein Beispiel bei
Bach für den hesychastischeu Tropos dieses Taktes:
Engl. Suite H Gigue
ßdat; dpoi; ßdata dpo.
Diese hesychantische Accentuation der Tetrapodien ist es, welche Bentley
verlangt, wenn er accentuirt haben will:
te advenio spem, salutem, | consilium, auxilium expetens.
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92 Aristoxenus rhythmische Elemente § 5".
Die Hauptaecentc sind von Bentlcy durch ' markirt; mit Rücksicht auch
auf die Nebenaccente soll hiernach gelosen werden:
11 t n i 11 i n i
Ad tc advenio spem, salutem, 1 consilium, auxilium expetens.
Aus Bach haben wir diese Accentuation der Tetrapodien nachgewiesen,
welche Bentley als die allgemeine und einzige verlangt. Aber obwohl sie auch
bei den Alten nicht gefehlt haben wird, ist doch nicht diese den Anfang des
Ditrocbaeus, sondern nur die den zweiten Fuss desselben durch den Ictus aus-
zeichnende Accentuation nachzuweisen, nicht blos in der Hauptstelle des Aristo-
xenus, sondern auch bei Mar. Victorin p. 2489 P., nach welcher die Accentuation
des trochaeischen Tetrainet ron folgende sein würde:
i Ii i n i niii
Ad te advenio spein, salutem, | consilium, auxilium expetens.
Aber weder die eine, noch die andere Accentuation darf die Recitations
poesie durch gehend anwenden, vielmehr muss auch für die lateinische Reeita-
tiou derselbe Wechsel wie für die deutsche als möglich statuirt werden:
r ii i ii in i n
Seid umschlungen Millionen, | diesen Kuss der gauzen Welt! ( |
ir i ■ Ii f i ii ii i
Brüder, überm Sternenzelt | muss ein lieber Vater wohnen. [ |
Auch in den deutschen Versen wechselt die diastaltische und hesycha-
stische Accentuation, d. i. die ruhig gemessene und pathetisch erregte Accen-
tuation, je nach Verschiedenheit des Wortaccentes und der logischen Bedeut-
samkeit der Wörter ab. Das Melos verlasst häufig genug die natürliche Accen-
tuation des Worttextes, wie denn z. Beethovens Comj>ositiou der vorstehenden
Verse Schillers von der Accentuation der Schiller'schen Worte mehrfach ab-
geht. Auch die besten und ausgezeichnetsten Melopoeien schliessen sieh iu
ihrer Accentuation nicht ängstlich an die der Recitatiousverse , ohne dass wir
dies dem Componisten zu einem grossen Vorwurfe machen dürfen. Wer, wie
Sulzer in seiner Theorie der schönen Künste, den absoluten Anschluss des
melischen Accentes an den Recitationsaccent verlangt, der hat damit die Mög-
lichkeit strophischer und antistrophiseher Responsionen für das Melos in Abrede
gestellt, denn der Dichter vermag fast niemals den antistrophischen Versen
dieselbe Aecentuation wie den strophischen zu geben, weder im Deutsehen,
noch in den antiken Sprachen (vgl. Musikalische Rhythmik seit Bach § 172. 173).
Im Melos hält der Componist für die strophischen Verse dieselbe Accentuation
wie für die antistrophischen ein, entweder die hesychastische oder die diastal-
tische, in den Recitationsversen des Dichters dagegen findet ein fast fortwähren-
der Accentuationswechsel statt. Will sich der Rccitirendc continuirlich au eiu
Recitationsschema binden (wie es Bentley für Terenz verlaugt), so wird das
metrische. Recitiren zu einem langweiligen und pedantischen Scandircn. Ge-
schmackvolles Vers-Lesen ist dasselbe wie geschmackvolles Prosa-Lesen: Mau
folge stets der durch die logische Bedeutung der Wörter und Sätze gebotenen
Accentuation, in der Poesie wie in der Prosa; es ist durchaus nicht unküust-
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11. 3a. Takt-Diairesis: Takte von vier Chronoi podikoi. 93
lerisch, wenn über dem Inhalte des declainirten Gedichtes der Rhythmus bei
den Zuhörern uubemerkt bleibt, obwohl der grössere Künstler immer derjenige
ist, welcher den Zuhörer ausser am Inhalte gleichzeitig auch an der rhythmi-
schen Formation Genuss empfinden zu lassen im Stande ist. Dazu gehört aber
selbstverständlich, da** das Aecentuireu kein schablouenmässiges ist: weder
eontinuirlich nach hesyehastischer, noch continuirlich nach diastaltischer Acccu-
tuatiou !
Paion epibatos.
Ausser den tetrapodisehen Takten gehört zu den Takten mit vier Seine ia
auch der Paion epibatos, wie H. Weil richtig gesehen hat.
Es ist ein als ttoj; gefasstes Kolon, welches nach Aristid. p. 54 aus fünf
Langen besteht:
£x fiaxpä; disem; xai p.apxäc apoetu; xai gjo fia*pü>v (Haetuv xai p.axpä;
dpasw;
&. a. 8. 9 ft. d.
Aristoxenus würde ihn einen aOvftero; tto-j; nennen, Aristides reelmet ihn
unter die d-Xot d. i. doiSv&erot z<JSe$, weil er bei diesem Schema lediglich aus
gleich grossen ypovot otcTituoi besteht (d-Xoüv ist bei ihm so viel wie bei den
Metrikern xa&ap»5v, oiivHerov soviel wie jmxtov). Weiterhin sagt Aristides:
„KtfiTjTat jx£v ojv inßoTi; £ireio^ tetpdat /pu>u.sv<>; [idpcoiv ix oiiotv apsetuv
xai O'jow ota'f&potv fteoetov f^exat."
„Er heisst iztßa-rö; d. i. ein Paeon, bei welchem das Takttreteu zur An-
wendung kommt, weil er vier Takttheile hat. 2 apoei; und 2 verschiedene 8£oei;."
Auch p. t>4 spricht Aristides von der oiz/.f; 8£at; des Epibatos. Dass er
auch in der oyvey ^; p-j&jxorroita vorkommt, so gut wie in unserem Prinz Eugenius,
peht aus Aristoxenus bei Plutareh de intis. liervor. In seiner Anwendung als
isoürter Takt bei Sophokl. Oed. R. 4MS (vgl. oben) würde auf ihn die Messung
des Aristides folgendennassen anzuwenden sein:
w \J X — ^ ^ J.
d. Ö. d. ».
Er ist hier ein rhythmisch verkürztes otpeTpov iamxöv du eXdjaovoc, be-
stehend aus einem 6-zeitigen tamxö; dV iXdasovo; und einem 4-jseitigcn dvdzai-
oto;. Beide ^ioec haben hier die Gliederung, welche sie als douvöc-rot mioe;
haben würden. Der 6-zeitige tomxo; besteht aus einer 2-zeitigen dpoi; und einer
4-zeitigen SUst«, der 4-zeitige dvdzaiiTo; aus einer 2-zeitigen iHai;. Daher die
zwei oid^opoi $Uaet; oder die ützXfj Ö£ai; nach Aristides, die 9eot; des ionischen
und die *>£ot; des anapaestischen Versfusses.
Ich weiss nicht, wie Baumgart a. a. 0. S. XXV dazu kommt, zu behaup-
ten: „Die 4 uipTj des Aristides sind unserer Meinung nach 4 jiipt; rfj; X£;ea>;
„oder wenn man will, 4 «pö^oi. Der 7tatca> eztfJoxo; hatte, wo er in der Poesie
. .vorkam, nur 4 Sylben
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94
Aristoxenus rhythmische Elemente § 57.
„Auf jede Sylbe fiel ein Aceent, ein schwerer oder leichter in der von Aristides
„zuerst angegebenen Folge, beim Dirigiren möglicherweise auch nur ein Nieder-
ster Aufschlag, und so gebraucht der Versfuss nicht mehr als vier Aecente
„oder Sehläge. Es erklärt sich nun ohne Weiteres, was Aristides mit seinen
„zwei verschiedenen Thesen will, auch was die o«:Xi) 8£otc besagt Die ver-
schiedenen Thesen sind die beiden Thesen von ungleicher Dauer; die doppelte
„Thcsis ist die vierzeitige; denn diese ist es, auf welcher allein die von
„Aristides angegebene „erschütternde Wirkung" des Rhythmus beruhen kann . . .
„Wahrscheinlich sind meistens nur vier Sehläge gegeben worden, aber die Praxis
„konnte unter Umständen recht wohl auch fünf für zweckmässig halten. Darüber
„hatte bloss der Dirigent zu entscheiden."
Was Baunigart von den fünf Schlägen der Praxis bemerkt, das ist nicht
ganz unrichtig, denn Aristoxenus verlangt, dass jeder -o!»c ausser seinen Chro-
noi podikoi, deren der Epibatos hier nach Aristides vier haben wird, auch
noch seine Chronoi Rhythmopoiias idioi erhalten müsse, deren Anzahl grösser
als die der Chronoi podikoi sind.
1 2 3 4
a.' 0. n. ft. Chronoi podikoi.
O W V> ^/ — ,
cup&c hxm - voÖetd;
\> w ± — ^ \J S
1 2 3 4 5 Chron. Rhythmop.
Im Paion apibatos, der verkürzten ionischen Dipodic, würden die Chronoi
Rhythmopoiias idioi denen der vollständigen ionischen Dipodie, aus welcher er
abzuleiten ist, ganz analog sein. Nur hatte darüber nicht, wie Baumgart meint,
der Dirigent nach dem jedesmal vorliegenden Falle die Entscheidung zu treffen;
vielmehr geht aus Aristoxenus hervor (vgl. unten), dass die Chronoi Rhyth-
mopoiias ebenso unerlässlich waren, wie die Chronoi podikoi. Wenn der für
Aristoxenus leider zu früh verstorbene Baumgart diese Thatsache der antiken
Rhythmik noch kennen gelernt hätte, so würde er mit dieser Modifikation der
von ihm bekämpften Weil'schen Auffassung sicherlich zufrieden gestellt sein;
denn sie trägt den Forderungen des modernen Taktirens die vollkommenste
Rechnung.
c. Takte von drei Semela.
Tripodische Takte und T-aktordnungen.
Wenn zu den Takten mit zwei Semeia die dipodisehen, zu den Takten
mit vier Semeia die tetra podisehen gehören, so bleiben natürlich als Takte mit
drei Semeia die tripodischen übrig.
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II. 3a. Takt-Diairesis: Takte von drei Chronoi podikoi. 95
In unserer modernen Melik sind Tripodien der oyve^c j>u9|A0Trola sehr
selten, so geläufig sie auch der heroischen und elegischen Poesie der Alten
waren.
Ein Beispiel von tripodischen Kola unserer Voealmusik ist Gluck Iphi-
genia taurica No. 1. Bei Gluck ist das tripodiach -daktylische Kolon je in drei
monopodischen Takten geschrieben.
Zur Hül-fe, all-ra'äch-ti-ge Göt-ter, habt mit uns Armen Geduld,
der Blitz dem Trotzen der Spötter, uns schirmet in gnä - di-ger Huld!
&. —p -
uns schir-met in gnft - di - ger Huld!
NIM
- J. - J. ^ ^ J. ^\^>x^^i^^i II
Das ist eine Strophe ganz ähnlich der Hora tischen:
Diffugere nivea | redeunt iam gramiua campis |
» t t
arboribusquo eomae ,
nur das8 bei Gluck dem tripodischen Kolon epodikon nicht ein, sondern zwei
dikola vorausgehen und dass jedes tripodische Kolon durch Anakrusis erweitert,
also ein anapästisches Prosodiakon ist.
Gluck lässt jeden der -<5Se; Texpaor^oi einen einzelnen Takt bilden. Das
ist genau dieselbe Messung dieser Verse, welche die alten Metriker für das
daktylische Hekametron statuiren, nach welcher dasselbe aus zwei Kola mit
der Messung xered wföa, xatd ßdoiv fiovora>8ix-fjv besteht
xäXov xtbXov
\ ' v / v / v 1 v / V /
ßdou; ßdci; ßdai; ßcteic ßäai; ßdai;
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96
Aristoxenus rhythmische Elemente § 57.
Ich bemerke, dass auch hier der von den Metrikern gebrauchte Terminus
jJdoi; sich an die Aristoxenische Bedeutung des Wortes anschliesst, dass es
mit Rücksiebt auf den rhythmischen Accent zu verstehen ist; nur umfasst es
nicht bloßs die accentuirte Silbe, sondern auch das Gebiet der zur Accentsilbe
gehörenden unaccentuirten. Wird irgend ein Kolon nach monopodischen Tak-
ten taktirt, so bleibt die durch die stärkeren und die schwächeren H£aet;. d. i.
die durch die Haupt- und die Nebenictus bedingte Accentuatiou von Seiten
des Taktireudeu unbezeiehnet. Auch die Metriker lassen sie bei ihrer Messung
xard rooa unbezeichuet.
Aristoxenus dagegen fasst mit Rücksicht auf die Accentuatiou das tripo-
dische Kolon als einen einheitlichen -oj; oüvtte-ro;. Hat er bei den t:ööe;, denen
er vier or^eia oder /povoi rooixot vindieirt, die tetrapodischen Kola, bei den
;r6oe; mit zwei ar^eta die dipodisclien Takte im Auge, so ist, wie gesagt, iücht
anders zu denken, als dass unter den zofo;, denen er drei -/pivoi zrÄnni giebt,
die tri podischeu Kola zu verstehen sind.
Die aecentuelle Beschaffenheit dieser drei yp<Woi tooixgi bestimmt er § 17
folgendermassen :
ol Ii Ix xpt&v, ouo ;xev täv dvtu, e>ö; os toj xdtai
ir( d; evo; fiev roü dvoj, o->> o* x&v xd?w.
Das sind zwei tripodisehc Kola, die sieh durch verschiedene Reihenfolge
der ypovot rootxot ihrem dynamischen Werthe nach unterscheiden. Das erste
Kolon:
dva> yoövo;, dvw ypovo;, xdtt» ypovo;;
(iß»;) (*pst;) (ßdat;)
das zweite Kolon:
dvtu ypovo;, xd-u> ypövo;, xdttu ypovo;.
(dp»;) (/dst;) (^dat;.
Wenn Bachs Instrumentalmusik naeh tripodischen Kola gegliedert ist. so
3 3
ist sie nach tripodischen oder ^ Takten geschrieben und zwar stets mit
einer Accentuatiou die der ersten der von Aristoxenus angegebenen zwei For-
men entspricht z. B. wohltemp. Clav. 1. 21 Fuge:
7 -7Fn
— , — J. , — .££ \ w w , w _i , —
avoj avtu xdtto dvtu ovuj xdxe
Dieselbe Accentuation scheinen die daktylischen Hexameter in Mesorae-
des Hymnus auf die Muse zu haben
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II. 3a. Diairesis in Semeia: Takte von drei Chronoi podikoi. 97
KaXXtö-7reia ootpa, fiou-cdiv irpoxaödrfETi tepTrvröv
avo> avco xcbcu äv(o ava> xdxw.
Die zweite der oben gedachten Aristoxenischen 2-r)(j.eia-Ordnungen für den
rripodischeu Takt:
ävw ypovo; xaxcu yp<5vo; xaTiu ypo\o;
(*>U) (?aot;) (ßobt;)
ist die einzige, welche in der zweiten Aristoxenischen Stelle über die Zahl der
y_povot Tto&txoi (in dem Excerpte des Psellus) genannt wird:
oi Ii xptolv, dtpaei xctl Si-Xrj ßaoei.
Wir fühlten uns durchaus nicht berechtigt mit Caesar und Bartels die
eine der beiden ^fiEta-Ordnungen, weil sie von Psellus nicht erwähnt werde,
zu streichen. Das Fragment der Aristoxenischen Rhythmik ist bereits bo de-
fect, dass wir Alles, was uns geblieben ist, sorgsam zu Rathe halten müssen:
von «lern glücklich Verbliebenen dürfen wir nicht das Geringste wegwerfen,
wir müssen warten, bis uns die Erklärung geglückt ist. In unserem Falle
hat Bachs wohltemperirtes Ciavier sie ermöglicht.
Die zweite von Aristoxenus gegebene Auflassung für die Sr^aeia-Ordnung
des tripodischen Taktes wird durch Aristides bezeugt. Dieser redet nämlich
von zwei triiH>disch-daktylischen Rhythmen, in denen jeder vierzeitige Versfuss
durch eine einzige gedehnte Länge ausgedrückt ist, dem oplho; und dem xpo-
yoüo; <njp.avT(i;, von denen er p. DK Meib. sagt: „Sidt x& irXeova^civ toi« |Aaxpo-
tcxtoi; "J(X0l? npodfoyor* d$iuju.a" und die er p. 37 Meib. beschreibt:
5pftio; h ix T6Tpacr/;{j/,y dpseoa; xal ixtzai^vj öiacaj;,
also: ■ ' , , " ■ , " ,
dp«; 8£st;
xpoyato; otjliiyto; h i\ 6xxaaf,uoü Odaem; xai xETpaurj^ou äpsEu»;,
also : , "
i 1 i_
dloi; apat;
Genauer ist der Rhythmus angegeben in der Namenserklärung p. 38:
orjjxavxö; hi (xaXsixai), 8tt ßpaöC»; urv toi; ypovn;, ärrtTc/v^tot; ypTjxeu errj-
(jiaatat; TtaoaxoXo'j&^tjEco; eVxa, ot-Xactx'tov xct; ft£a£i;.
Aristides zählt beide Rhythmen zu den arXoi. Wir hatten schon oben
Gelegenheit anzumerken, dass dies nicht die Ansic ht des Aristoxenus sein kann,
der vielmehr beide Rhythmen gleich der daktylischen Tripodie
zu den Tjvftexot rMti rechnen muss. Denn von dieser sind jene beiden Rhyth-
men des Aristides nur dadurch verschieden, dass die yp<ivoi no^txot der dak-
tylischen Tripodie aOv&exoi xazä. jbuÖjjLOTroiCa; yp^siv sind, die des tfpfttoc
ArUtoxenu«, Melik u. Rhythmik. 7
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98
Aristoxenus rhythmische Elemente § 56.
und oTjfxavr'S; aber da'jvSUtot vgl. § 14. Diese Beschaffenheit der y>*6voi hat
Aristides im Auge, wenn er die zooe;, in denen sie enthalten sind, änXoi d. i.
daivfte-rot nennt. Ebenso ist es ein Versehen des Aristides oder seiner Quelle,
wenn er beim fySho; und S7(uav:<>; das eine Mal von einer iix-cfor(fxo; ܣat;
spricht, das andere Mal den Takt einen tto-j; oi-XaatdCwv rd; ftiaetc nennt.
Das zweite ist ohne Zweifel das Richtige, schon weil er nur auf diese Weise ein
Taktvon drei ypovo». Tto^txoi ist, die er doch ab tripodischer Takt haben muss.
Diese ganze Auffassung der zwölfzeitigen Takte, welche aus 3 vierzeitigen
Chronoi bestehen, hat die Rhythmik der vortrefflichen Arbeit H. Weil's zu
danken. Ein Beispiel dieses Rhythmus in der christlich-modernen Musik haben
wir oben aus der chromatischen Fuge Bach 's beigebracht.
Bis zu dieser Grenze gehen diejenigen Kola, von denen jedes auch als ein
zusammengesetzter Takt aufgefaßt werden und als solcher beim Dirigiren
taktirt werden kann: da« dij>odische Kolon durch zwei Hauptschlage, da,« te-
tra]>odische durch vier Hauptschläge (und ebenso auch der Paion epibat«»s>.
das tripodische Kolon durch drei Hauptsehlägc. Es ist damit nicht gesagt, dasd
alle diese Kola stets so aufgefasst und taktirt werden, es kann das Kolon auch
als eine Gruppe von mehreren einfachen Takten (Versfüssen) taktirt werden,
die Dipodie als zwei Takte, die Tripodie als drei Takte, die Tetrapodie als
vier Takte. Es kann auch das tetrapodischc Kolon beim Taktiren als zwei
einzelne dipodische Takte taktirt werden. Das ist alles auch in unserer modernen
Musik so, wie es Aristoxenus von der griechischen darstellt.
Es giebt ausser den dipodischen , tripodischen, tetrapodischen Kolon auc h
noch pentapodische und hexapodische Kola (aus fünf und sechs Versfussen).
Auch von diesen hat nach Aristoxenus ein jedes die Bedeutung eines Taktes,
aber es wird nur theoretisch als solcher gefasst, praktisch dagegen vom Hege-
mon (Dirigenten) niemals als je Ein Takt taktirt. Es müsste fünf oder sechs
Taktschläge haben, aber mehr als vier Taktschläge gaben die Griechen
nach Aristoxenus Berichte einem Takte nicht. In der moderneu Musik ist es
genau ebenso. Das sind theoretische Takte. Auch in der modernen Musik
müssen sie als solche gefanst werden, indem der vortragende Solist oder auch der
Dirigent eine klare und lebendige Uebersieht habe, mit welchem Kolon er es in
einem jeden Falle zu thuu hat, und sich stets bewusst sei, im wievielten Vers-
fnsse des betreffenden Kolons er sich jeweilig befindet z. B. bei einem hexapo-
dischen Kolon:
Beethoven erste Es-dur Sonate AUegro-satz: Kolon 49
1. 2. 3. 4.
• :
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I
II. 3a. Diairesis in Semeia. Keine Takte von 5 oder Ii Chronoi podikoi. 99
Bach wohlt. Clav. 1, 2 Fuge
1. 2.
3. 4.
5. 6.
ferner in einem ]>cntapodisehen Kolon: ebendaselbst Bach wohlt. Clav. 1, 2
(mit folgendem rripodischen Kolon).
1. 2.
3. 4. 5.
I.
2.
JA.
■ ■ - 5t* r
Beethoven Clav. Sonat. 3 Adagio.
l. 2. 3. 4.
5.
1.
2. 3. 4.
I
! !
T
!
d. Keine Takte von fünf oder sechs Chronoi podikoi.
Die moderne Musik kennt zwei-, drei*, viertheilige Takte mit der betref-
fenden Zahl von Haupttakt>ehhigen (Berlioz in den unten S. 106 angeführten Stel-
leu). Dasa Takte von mehr als vier Theilen geschrieben werden, findet sich höch-
stens versuchsweise; eingelebt haben sich Takte von fünf Takttheilen nicht und
werden es auch wohl niemals können. Unsere klassischen Meister hatten kaum
Veranlassung gehabt sie zu schreiben. Denn obwohl bei ihnen auch pentapo-
dische und hexapodische Kola gar nicht so selten sind wie man gewöhnlich
7*
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100 Aristoxenus rhythmische Elemente § 56.
denkt, so kommen dieselben doch hauptsächlich nur isolirt unter anderen Kola
vor, nicht fortlaufend für grössere rhythmische Partieen.
Bei den Griechen sind pentapodische und hexapodische Kola häufig genug
auch in fortlaufender Rhythmopoeie , nicht nur das hexapodische Trimetron
iambikön, sondern auch der Alcaische, Sapphische, Phalaeceische Vers, welche
schwerlich ein anderes als ein pentapodisches Megethos gehabt haben
können. Aber dennoch ist es, als ob die rhythmische Praxis der Griechen
nun einmal in Allem mit der modernen übereinstimmen sollte. Denn Aristo-
xeuus lehrt §17. 18: „Es giebt Takte von zwei, drei, vier Chronoi podikol, aber
mehr als vier Chronoi haben die Takte nicht. Weshalb es aber nicht mehr
als vier Chronoi giebt, wird späterhin gezeigt werden."
Vom modernen Standpunkte aus würde die Antwort folgende sein:
Schon das Taktiren nach vier Hauptbewegungen ist einschliesslich der
zu jeder Haupt bewegung hinzukommenden Nebenbewegungen des Handgelenkes
(vgl. unten S. 10fi) complicirt genug, weshalb es der Dirigent nur bei langsamem
Tempo durchführt. Takte von mehr als vier Taktschlägen vermöchte der
Dirigent nur so auszufahren, dass die Aufführenden, um derentwillen er doch
taktirt, nur wenig Nutzen davon hätten. Sie würden verwirrt werden, die
rhythmische Bedeutung der Handbewegungen nur schwer verstehen und das
Taktiren würde seinen Zweck verfehlen. Deshalb schreiben Gluck und Mozart,
wenn sie in pentapodisehen oder hexapodischen Kola componiren, lieber nach
monopodiachen oder dipodischen Takten, von denen je füuf oder drei auf ein
Kolon kommen.
Viel anders wird auch Aristoxenus die von ihm aufgeworfene Frage:
,,Ari n ou flveTat z).£tw (njiAeto ?ü>v xerraptuv;" nicht beantwortet haben. Er
wird in seiner Ausführung des Abschnittes von der Diairesis in Chronoi podi-
kol (denn dieser ist es. auf welchen mit „Ga-epov Jci/dfjce-rai" verwiesen wird)
gesagt haben: dass es deshalb nicht der Fall sei, weil das Markiren von
irXeiw aT,[X£ta :äv TCTraptov von Seiten der Dirigenten für die rapaxoXo-jdtjoi; (das
Folgen von Seiten «1er Ausführenden) keinen Nutzen habe, weil es die Aus-
führung nicht nur nicht erleichtern würde, sondern unter Umständen erschweren
und in Verwirrung bringen könne.
Theoretisch wird das Vorkommen von Takten aus 5 und 6 Versfüssen in
der Aristoxenischen Rhythmik (§ 54) anerkannt, denn er nennt den 18-zeitigen
als den grössten jambischen, den 25-zeitigen als den grössteu paeonischen Takt:
augenscheinlich fasst er diese G-fussigcn iaii^ty.d und diese 5-füssigen -atamxd
deshalb als rooe;, weil er in ihnen dieselbe Solidarität des Accentuations-
verhiiltnisses wie in den 2-füssigcn, 3 -flüssigen, 4-füssigen Takten fühlt.
Aristoxenus gehört nun einmal, wie Baumgart a. a. 0. p. XXXVI sagt, „zu
den Feinhörern, welche die Accentuation des Kolons genau empfinden" — eine
Fähigkeit, die Baumgart für sich selber und seine Collegen unter den Musikern
in Abrede stellt. Auch Aristoxenus hat die 5 oder 6 VersfÜssc jener Kola in
ihrer rhythmischen Bedeutung als Chronoi podikoi empfunden, worauf seine
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II. 3a. Diairesis in Seineia. Keine Takte von 5 oder 6 Chronoi podikoi. 101
Definition der &ta<fopd xata otafpeotv, die wir S. 105 ff. noch näher erörtern, hin-
deutet, aber praktisch wird das Markiren dieser fünf oder sechs Verefüsse
als der Chronoi podikoi eines zusammengesetzten Taktes nicht ausgeführt
wegen der grossen Schwierigkeit, die dasselbe der irapaxoXojdrjot; bereiten
würde.
Die Pentapodie, mag sie aus drei-zeitigen , vier-zeitigen oder 'fünf-
zeitigen Versfüssen bestehen, wird also, obwohl Aristoxenus das Bewusstsein
festhält, dass sie ein einziger zusammengesetzter Takt xerrd Xöjov t)|j.i6Xto> ist,
von dem antiken %e;*c6v stets als eine Gruppe von 5 monopodischen Takten
dirigirt. Wir haben oben S. 95 gesehen, dass auch ein tripodisches Kolon nach
der Darstellung der Metriker nicht als ein einheitlicher Takt (wie Aristoxenus
darstellt), sondern als eine Gruppe von 3 einzelnen monopodischen Takten
vom Dirigenten markirt wird. Während aber eine Tripodie auch als einheit-
licher zusammengesetzter Takt markirt werden kann, kann die Pentapodie nie-
mals anders als eine Gruppe von 5 monopodischen Takten dirigirt werden.
Die Hexapodie d. i. das trochaeische oder iambische Trimetron wird
immer so taktirt, dass jede der drei dipodischen flauet;, von denen die Metri-
ker reden, als ein einheitlicher dipodischer Takt markirt wird. Für die Aus-
führung des Melos macht das nun keinen grossen Unterschied, ob das Trime-
tron von dem Dirigenten in drei Takte zerfällt wird, oder ob es, was nicht an-
geht, als ein einheitlicher grosser Takt markirt würde. Wie gesagt, der Unter-
schied für den Ausführenden wird nicht gross sein, nicht grösser, als wenn
Bach im musikalischen Opfer dieselbe daktylische Tctrapodie in Nr. 2 als tetra-
podischen Takt schreibt, in Nr. i durch zwei dipodische Takte ausdrückt. In dem
einen, dem einzig vorkommenden Falle, wo der Dirigent eine jede der drei im
Trimetron enthaltenen ßdaei; als selbständigen dipodischen Takt markirt, giebt
er jeder Dipodie ihren Hauptaccent und ihren Ncbenaccent. Im andern Falle,
wo die drei Dipodien zu einem grösseren Takte vereint würden, würde von
den Hauptaccenten, welche die Dipodien haben, unter kräftigerem oder weniger
kräftigem Aualangen des ganzen Armes der eine zum stärksten Hauptacccnte,
der andere zum schwächeren Hauptacccnte, der dritte zum noch schwächeren
Nebenaccente etwa so:
— \j jti \J — ^ ji \j — \y £
V ' «■ ' * '
Der Dirigent würde in diesem Falle die verschiedene Dynamik der Ac-
cente durch drei verschiedene Grade, welche er für die Stärke des Auslangens
mit dem dirigirenden Oberarme anwendet, für die Ausführenden fasslich machen,
eine Gradation, die, da er nach drei dipodischen Takten taktirt, unterbleibt.
Wie nun jeder der drei einzelnen dipodischen Takte (die drei Jiaaet; oder
percussiones Fab. Quintü.) taktirt wurde, darüber geben die in letzter Instanz
aus griechischen Quellen schöpfenden lateinischen Metriker folgenden Bericht:
Juba bei Priscian 1321: Der Trimetcr nimmt an der 2., 4. und 6. Stelle
nur solche Füsse an, die mit der Kürze anfangen, quia in his locis feriuntur
per conjugationem pedes trimerrorum [libb. pedestrium metrorum], weil an den
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102
Aristoxenus rhythmische Elemente § 56.
genannten Stellen, der 2., 4. und 6., die Versfüssc der Trimeter den Ictus haben.
Wenn man also bisher annahm, der Trimeter werde an der 1., 3., 5. Stelle
betont, so lehrt Juba „qui inter metricos auctoritatcm primae eruditionis ob-
tinuit, iusistens Heliodori vestigia, qui inter Graeeos huiuBce artis anti&tes ant
primus aut solus est" gerade das Gegentheil: der Vers soll nach ihm (und
Heliodor) an der 2., 4., 6. Stelle den Ictus haben.
Caesius Bassus bei Rufin p. 2707 : „Da der Iambus auch Füsse des dak-
tylischen Geschlechtes annimmt, so hört er auf als iambischer Vers zu erscheinen,
wenn man ihn nicht durch die Percussion in der Weise' gliedert, dass man beim
Taktiren den Fusstrittt auf den Iambus kommen lässt Demgemäss nehmen
jene Percussionsstcllen keinen andern Versfuss an, als den Iambus und den
ihm gleichen Tribrachys."
Asmunius bei Priscian p. 1321: „Da der Trimeter 3 Ictus hat , so ist es
nothwendig, dass er die Verlängerungen durch Irrationalität (moram adjecti-
temporis) an den Stellen zulässt, auf welche kein ictus percussonis kommt.4'
,?Im 1., 3. und 5. Fuss hebt der Vers an (hat die Dipodie den xaÖTjfO'jfjLcvos
ypövo;), im 2., 4. und 6. hat er den Ictus."
Terentianus Maurus v. 2249: „Weil der Vers bloss an den ungeraden
Stellen den Spondeus annimmt, so müssen wir den Iambus der zweiten Stelle
anweisen (vgl. 2261 et caeteris qui sunt secundo compares) und müssen hier-
her beim Seandiren den gewohnten Ictus verlegen (adsuctam moram = adsuetum
ictum), welchen die inagistri artis durch den Schall des Fingers oder durch den
Niedertritt des Kusses zu unterscheiden pflegen."
Atilius Fortunatianus p. 2692: „In den anlautenden Stelleu oder subla-
tiones (apaeic), welche ungleiche Stellen genannt werden, kommen alle 5 Fiisse
vor (Iambus, Spondeus u. s. w.), in den auslautenden Stellen oder depositiones
(Ö£oei;), welche gleiche Stellen heissen, nur solche Füsse, welche mit einer
kurzen Sylbe anfangen."
Also der Lehrer, der die Schüler im Tercntius unterwies, sagte ihnen von
dem Verse:
Poeta cum primum animum ad scribendum appulit,
dass sie ihn folgendermassen zu betonen hätten:
Poeta cum primum animum ad scribendum appulit,
indem er auf die zweite Hebung der Dipodien
r t t
. . cum scrib . . . it
den Sehlag des Fingers oder den Tritt des Fusses fallen Hess.
Bentley im schediasma de metris Terentianis lehrt richtig: ictus percussio
dieitur, quia tibicen dum rhythmum et tempus moderabatur, ter in trimetro,
quater in tetrametro solum pede feriebat. Aber um die weiteren Zeugnisse be-
kümmert sich Bentley nicht, und nachdem er in den auf jenen Satz folgenden
Worten die bekannte falsche Definition von apai; und H£at; gegeben, fährt er fort:
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II. 3a. Takt-Diairesis. Uebersicht.
103
Hos ietus sive dpsst; magno discentium commodo nos primi in hac editionc
per accentus acutos expressimus, tres in trimetris:
Pocta cum priraum animum ad scribeudum appulit
Die Zeugnisse der lateinischen Metriker basiren auf der Doctrin eines
älteren griechischen Metrikers, des Heliodor oder eines noch älteren, und was
dieser über die Accentuation des Trimeters sagte, fliesst aus der Gelehrsamkeit
Alexandriens. Was Bentley dem ganz Entgegengesetztes lehrt, basirt auf dem
vulgären Taktgefühl der Modernen. Die Tactirung, welche beim Trimeter die
AI ten wollen, ist die diastaltischc, was Bentley verlangt, die hesychastische. Bei
einem Melos wtirde e9 wohl Sinn haben, continuirüch für trimetrische Partien
entweder die eine oder die andere beider Takt-Ordnungen anzuwenden. Aber
bei der Recitation, welche sowohl die alten magistri artis, wie auch Bentley
allein bei ihren Accentuationslehren von Augen haben, hat das schwerlich einen
Sinn, denn beim Lesen der Verse würde es den Tod eines guten Vortrages be-
deuten, wenn man fortwährend Schablonen massig immer diastaltisch oder immer
hesychastisch accentuiren wollte. Wir haben darüber bereits oben S. 92 ge-
sprochen.
e. Uebersicht der oiatyopd 7ä»v sooöiv xaxd oialpeatv.
Die in der allgemeinen Uebersicht und Definition der Taktunterschiede
von Aristoxenus gegebene Definition des Unterschiedes nach der Diairesis § 27
sind wir nunmehr im Stande vollständig zu verstehen und durch Folgendes
zu erläutern.
Die Aristoxenisehe Scala der z4ge; ergiebt als „IppyOjAa" dreizehn ^.v\i^
3 jAEY^Tj für äayvfteroi zooe;: das toIot^ov, Te-pasrjjxov, -evcäffTjjxov,
1 fii^eÖo; als xoivov für eiuen drjv&STo; und einen ouvOeio; rou;, nämlich
das e^dcTjjjLOv (as^eSo;,
9 jxE-yiÖT; für -<5öe; a-jv8c?oi, und zwar
5 fAEYsÖT, als Toto für je einen ttou;. nämlich das öxTdatjjjiov, iwEdatj |aov,
exxaiOExdo^nov, eixoodaTJtuov, TrevrexaisixoodaT^OM,
4 ptfi^ als xoivd für mehrere ojvöexot ttooe;.
Die [ac7£»t, xoivd (einerlei ob für einfache oder zusammengesetzte zo&ec)
unterscheiden sich von einander durch verschiedene ötatoEat;. Diese wird von
Aristoxemis § 27 definirt:
Aiatpiost ös oiaciioouot dD.TjXrov, 5rav -o aü-ö U.I7E&0; e{; dvtaa {iipr, Swi-
pc8^ T,T0t xorrd dfx'^vcepa, xard te tov dptftaöv xi\ xatd ?d [ae^t,, r, xctrd
ft-XTEpa.
Wir haben diese Definition nach den vorliegenden Worten auszuführen.
A. To üüt'j ad^eöo; tö t&v -ofctbv öiaipeirai eU p-spf) xaxd te
rd [aey^t] xai xaxd töv dpiÖfiov dvtea.
1. Aexdsrt{iov fxeyefto« ouo -ooeüv xoiviv
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Aristoxenus rhythmische Elemente § 27.
a) toO fJte-v iv Tau) Xfy» oexaaVjjxoy
|i£po; |A£po;
— \s — — \j — 2 jxiprj TrevraaTjua
b) toO &e ^fjnoXltjj Xöftp OETta^fAoy
|A. |A. (X. JA.
— — — — — 4 fiipT], Tp(a (xsn SbTjixa, En oe TeTpdoTjurjv.
2. Aa>ocxdo7j(xov jAife&o; Tptär* roo&v xoiv<v
£uo ja£v £v taip X<5y«> ttooöv
fx£po« fiipo;
a) ^v_/ w w 2 jjiipT) ifcda^ua
b) — — ^ — — w 4 (xipTj TpforjjAa
i
c) ivö; oe £v oinXastip Xfyp ^ooo;
(x£po; {i£po« (Aipo;
^ ^ w w 8 (xip^ e^dar^a.
JTTT^ fffffi
1 I I I I I
3. rievTE*cit5rxa57jfjiov [a£ye&o; öio zooü>v xoiv<$v
a) toü (Aev £v (irXaoltp X«5ftj> 7too6;
|x£po; ftspo; u£po;
_ \j — _ w _ _v^_ Tpid {AtpT^ -evrdoT([Aa
• 0 0 0*0 0 0 0 0 0
b) toü os £v TjiAioXtiij \6fw zoo«5;
|A. |A. {A. (A. fi.
-
— w — ^ — w _>w/ — 5 [Aipir] TptarjjAa.
csT zsd zäJ* ssf si^
4. XDx-ojxcnoexdoTjfAOv (A^eöo; fcvoiv ttoowv xoiwv, exaxipoy o' a-j-rcbv £v oinXa-
otti» XiSft»
|a£P. fx£p. 1x£p.
a) ^ w v-/w 3 lASpr, i;do7)jAa.
i i i
• • P P P P • • -
b) — W — ^ — ^ — ^> — — ^ 6 (AtOT^ TpiOTjJAa.
m IM =/ ^ £±/
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II. 3b. Takt-Diairesisis in Chronoi Rhythmopoiias idioi. 105
B. To aixö n^edo« otatpetxai ci; avioa xaxd xd pfflÜr} jitpr,.
5. fE$a<rr)|i.ov (t^cftoc fcuoTv 7roSfiv xotvov
a) toO ja£n i\ ämtaafap mU<i
pip. [*.
w 2 |x£p7) d\wa, t6 |xcv xexpdorijAOv, xö 5e Slor^ov.
* P * P P •
cur y
b) xoy oi £v low Xö-j-tp ttoW«
;x. ja.
— - \J 2 fJlipT] Tp(07j|A«.
* P P P P •
=y yy
Von den beiden für die xaxd otatpcoiv oiaipopd von Aristoxenus statuirten
Alternativen: „8xav xö a*ixö pi*fefto; ei; dvtoa fxipT) Siatpeftrj a) fjxot xax' dj/sd-
xepa, xaxd xe xöv dpi&jAov xal xaxd xd jAejidtj b) Tj xaxd ftdxepa" kann die
zweite Alternative (b) nur den Einen Fall umfassen: uiprj taa jxsv xaxd xov
dptöfxov, dvtaa xaxd to (jt£Ye^°* » für den zweiten Fall, welcher dem Wortlaute
nach möglich sein könnte, too uev xaxd xöv dptdfxöv, dvioa oe xaxd xö ja^eNo;,
ist in der Scala der von Aristoxenus als ippuBuot zugelassenen roSie; kein Raum.
b. Takt-Diairesis in Chronoi Rhythmopoiias idioL
In der Einleitung § 18 heisst es bei Aristoxenus, nachdem er von den
Takten mit zwei, drei, vier Takttheilen geredet, und dass ein Takt nicht mehr
als deren vier haben könne:
„Bei dem oben Gesagten darf man sich aber nicht zu der irrigen Meinung
„verleiten lassen, als ob ein Takt nicht in eine grössere Anzahl von Theilen
„als vier zerfalle. Vielmehr zerfallen einige Takte in das doppelte der genann-
ten Zahl, ja in ihr vielfaches. Aber nicht an sich zerfallt der Takt in solche
„grössere Menge, als wir in § 17 angaben, sondern er wird von der Rhythmo-
„poeie in derartige Abschnitte zerlegt. Die Vorstellung hat nämlich aus ein-
„ander zu halten
„einerseits die das Wesen des Taktes wahrenden Semeia,
„andererseits die durch die Rhythmopoeie bewirkten Zeitteilungen.
„Und dem Gesagten ist hinzuzufügen, dass die Semeia eines jeden Taktos über-
„ail, wo er vorkommt, dieselben bleiben, sowohl der Zahl als auch dem Mege-
„thos nach, dass dagegen die aus der Rhythmopoeie hervorgehenden Zerlegungen
„eine reiche Mannigfaltigkeit gestatten. Auch dies wird in dem weiterhin Fol-
genden einleuchten."
Den materiellen Inhalt des Aristoxenischen Berichtes versuchen wir uns
folgendermaßen zum Verständniss zu bringen. Von den folgenden drei Zeilen
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Aristoxcnus rhythmische Elemente § 57. 58 a.
enthalte die erste die xoy ~oBö; S'jva|xtv cfoXdcoovTa or(uEia, nämlich 1) für den
noi; £vt 56o ypöv(ov, 2) Ix Tpt&v, 3) ex TErrdpcrv, durcli zwei, drei, vier kleine
Striche dargestellt. Die zweite und dritte Zeile enthalte durch kleinere Striche
ausgedrückt die von Aristoxenus ,,e\toi; t&v -ooüiv" zugeschriebenen „öia'.f/laei;
uno tt;; j)uö|i.ozoila; 7tvoaevai", welche das oircXdaiov und das TroXXazXdffiov , das
doppelte und vielfache von der Zahl der im Takte enthaltenen 2 oder 3 oder
4 Semeia betragen. Und zwar sei in der zweiten Zeile das SiTtXdsiov, in der
dritten das r:oXXd:tXdoiov augegeben, indem wir uns das -oXXarXdciGv m indes te ns
als ein dreifaches denken müssen.
Td OT,(xeta rd toj tcoSö; o-jvojaiv cpuXdaaovTa.
I I t:. ex 5-jo 2) z. ix tpt&v 3) z. £x Terrdpiuv
12 l 2 i 12 3 4
AI uro tt(; |>jÖfxo-oiia; Ytvöfi.evai oiaiploei;.
Evioi tot* roo&v et; ömXdoiov toü elpTipivou TtXTjflav);
1234 1 7 3456 (234567*
\ I \ I ^ r\ / \ / \ / \ / \ / V /
xat ci; TtoXXazXdoiov fiepi^ovroii
123456 123456789
v I V / V • V „ ' \ .
Die Worte et; Si-Xdoiov xat el; iwXXazXdstov reden von einem Multipluireu
der 2, 3, 4 in einem „zou; xa&' ayxov" enthaltenen orj^eta oder y_ptf*#i, aus wel-
chem sich die Zahl der üzö ttj; j!>o8|xo-oita; Y^ueva P-P^i ergeben muss. Ent
weder muss die Semeia-Zahl mit 2 multiplicirt werden (SirrXdciov toO etpr^ivoj
zXtjttoy;), oder mit 3, oder vielleicht auch mit 4, mindestens aber mit 2 und 3
(rttXXa-XdoiON toü eipTjpivou tcXt^Ioj;).
Wir ziehen aus dieser Stelle zunächst keine Folgerungen, sondern wollen
nur eine genaue Interpretation des Wortlautes geben. Aber folgende Stelle
aus Hcctor Berlioz Instrumentationslehre deutsch von Alfred Dörftel 1864 mag
hier als eine Parallele herbeigezogen werden. In dem Capitel „der Orchester-
dirigent" heisst es dort nämlich S. 259: ,.Ist das Tempo sehr langsam, so muss
man jeden Takttheil noch einmal abtheilen, also acht Bewegungen für den vier-
theiligen und sechs Bewegungen für den dreitheiligcn Takt machen, indem mau
jede der oben angegebenen Haupt bewegungen verkürzt wiederholt . . . Der Arm
muss bei diesen kleineu ergänzenden Bewegtmguugen , welche wir für die
Unterabtheilung des Taktes andeuten, durchaus unbctheiligt bleiben und nur
das Handgelenk den Taktirstab in Bewegung setzen." Was Berlioz Haupt -
bewegungen nennt, würde dem Aristoxenischen „ttjv tou ttoSö; cuvafiw cvXdo-
oovea CT,fj.efa" entsprechen; was dort kleine ergänzende Bewegungen
heisst, entspricht dem Aristoxenischen „ü-ö rfj; jbty*o-oda; ftvo^evat wupeoet;."
Die Bcrlioz'schcu Beispiele der ergänzenden kleinen Bewegungen beziehen sich
auf ein Verdoppeln der vier und der drei Hauptbewegungen. In dem Beispiele
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II. 3b. Takt-Diairesis in Chronoi Rhythmopoiias idioi. 107
398 auf S. 66 des Anhanges ist ein Beispiel für das Verdreifachen gegeben.
Vom Vervierfachen dürfte in dem modernen Dirigiren kein Beispiel vorkommen.
Am Schlus.se des § 18 verweist Aristoxenus auf einen später folgenden Ab-
schnitt seiner Rhythmik, in welchem er die Lehre von der Zahl der Chronoi
rhythmopoiias idioi, die man den Takten zu geben habe, klarstellen werde.
Wir besitzen aus ihm ein kleines von Psellus überliefertes Fragment.
§ 57. Jeder Takt, welcher zerfällt wird, wird in eine grössere
und in eine kleinere Zahl von Theilen zerfallt.
Die Uebersetzung: ,.Ein jeder in eine grössere Zahl [von Theilen] zer-
falltc Takt wird auch in eine kleinere zerfällt", welche irgendwo vorgeschlagen
ist, liegt ferner ab. Die von mir gegebene Uebersetzung ist einfacher und
näherliegend. Der Sinn dieses Aristoxenischcn Satzes ist klar genug: bei der
Diairesis wird ein jeder Takt in eine grössere Zahl von kleineren Chronoi rhythmo-
poiias idioi und in eine kleinere (höchstens bis zu vier gehende) Zahl von grösseren
Chronoi podikoi zertheilt. Die kleineren, beim Dirigiren mit dem Handgelenk oder
Unterarme ausgeführten Taktirbewegungen (vgl. H. Berlioz a. a. 0.) pflegen
wir nur hei langsamem Tempo auszuführen, bei raschem Tempo giebt
der Dirigent nur die Hanptbewegungen (die Chronoi podikoi) an. Nach dem
vorliegenden Fragmente des Aristoxenus hat der griechische iflviäiv die Auf-
gabe bei jedem Takte neben der geringeren Zahl der Chronoi podikoi auch
noch die grössere Zahl der Chronoi rhythmopoiias idioi zu markiren; wi<- bei-
derlei Chronoi ausgeführt wurden, darüber fehlt uns leider die Darstellung des
Aristoxenus. Dass zugleich das Markiren beiderlei Arten von Chronoi notwen-
dig war. einerlei ob das Tempo ein langsameres oder ein rascheres war, geht
auch aus dem Schlüsse des Fragmentes § 5Sb hervor. In 5Sa wird von den
beiden Arten der Taktirtheile Folgendes gesagt:
§ 58a. Ton den Chronoi sind die einen Chronoi podikoi, die
andern sind Chronoi rhythmopoiias idioi.
Chronos podikos ist derjenige, welcher das Megethos eines
Taktabschnittes hat. des leichten oder des schweren oder eines gan-
zen Taktes.
Chronos rhythmopoiias idios ist derjenige, welcher diese Me-
gethe überschreitet oder hinter ihnen zurückbleibt.
Diese Stelle ist wiehtig genug, denn
1) sie macht uns mit den kürzesten Termini für die in Rede stehenden
Arten der Chronoi bekannt: ypovoi zooixot für die r?)v zvj zooi»; oivafxiv
s'j/.acaovra or^eia, ypovot ^uftfjLOTrotto; Ioim für die j-6 tt(; ^uöfjioroita;
7'.vö»i£vat oiaif»£aet;.
Der Terminus /plvoi rootxoi kommt auch bei Aristides p. 34 M. vor. T/ri
Tö>v yoovrov ol {*ev «Ht).ot, oi xal moixol xgt>.oOvrat, ol xai zoXXanXoT (Marcianus
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108
Aristoxenus rhythmische Elemente § 58.
Capeila: „Siinplicia sunt quae podica perkibentur ....). So ist umzustellen.
Weshalb die zootxol als dt— Xo t , die ^j8[xotoeIi; Tätot als zoXXarXot bezeichnet
werden, geht aus Aristoxenus § 59 hervor. Vgl. S. 110.
2) Sie sagt ausdrücklich, dass der ypövo; rootxöc entweder a) in einer
Arsis oder Basis oder b) in einem oXo; zo*j; besteht. Das Erstere ist der Fall
bei dem yp&*>; roowJ; eines tjM aoyvftero;, das zweite bei dem yptfvo; 7to*tx«>;
eines t.o-ji ouvöeTo;.
Den Ausdruck „ö napotXXaastuv -riJTa tat jj-e^i»^ e(t £rt tö puxpyv elx £-i
tö px^a-' finden wir genau so bei Pseudo. Euklid, p. 9 Meib. wieder, wo er
von den irrationalen Intervallen gebraucht ist aXo-fa Sc (oiaorr^aTi) ts zapi*/.-
Xdrrovra taOta -rd fze?^?) Irl tö fj.et£ov 7} Izt to IXarrov dX^Y«» oiaarfiixiTt. Es
ist zu vermuthen, dass auch diese Worte des Pseudo-Eukleides aus Aristoxenus
geflossen sind, wenigstens mittelbar, denn Pseudo-Eukleides excerpirt seine
introductio harmonica aus einem Aristoxeneer, welcher von der dritten (damals
noch vollständigen) Harmonik des Aristoxenus eine Umarbeitung vorgenommen
hat. Vgl. meine Vorbemerkung zur dritten Harmonik des Aristoxenus. Auch
I. Harm. 48 kommt derselbe Ausdruck tW ir:\ t6 pif« . . . eh* i~l xo ptixpov vor.
In unserer Stelle der Rhythmik ist „elr Irl tä . . . etV d-t -6 <j.i-
xpöv" nicht von der kleineren oder grösseren Anzahl der betreffenden Chronoi,
sondern von dem Megethos der Chronoi zu verstehen. Was von dem Verhält-
nisse des Megethos der Chronoi podikoi zu dem der Chronoi rhythtnopoiias
idioi in unserer Stelle gesagt ist, ist übrigens zu karg, als dass wir es bis ins
Einzelne interpretiren können. Ich wenigstens unterlasse es für jetzt darauf
einzugehen. Die Angaben dagegen über das Vcrhältniss der beiderseitigen
Chronoi bezüglich ihrer Anzahl im rou;, ergiebt eben, weil bestimmte Zahlen
genannt sind, eher bestimmte Resultate und soll weiterhin auf Grundlage des
Ueberliefcrten auszuführen versucht werden.
§ 58 b. Und es ist der Rhythmus, wie gesagt, ein System aus
den Chronoi podikoi, von denen jeder bald ein leichter, bald ein
schwerer Takttheil, bald ein ganzer Takt ist. Rhythmopoeie da-
gegen wird sein, was aus Chronoi podikoi und Chronoi rhyth-
mopoiias idioi besteht.
Der Takt als abstrakte mathematische Grösse, als Fach, welches ausge-
füllt werden soll (Aristoxenus: wj; xaxd t^v aytoy ouvapuv § 18. 19) hat
bloss ypövot rooixol — zwei, drei, vier; ,,<ÜTt 70p £; ev6; ypdvou zoj; oix
av ett) cpavepov, ir.tüif.ep iv 07)}ieiov oj itoiet ätalpEGiv yptfvoy". Der mit
den Theilen des Rhythmizomenon, mit Tönen oder Sylben ausgefüllte Takt,
der Takt in seiner concreten Erscheinung, bedarf ueben der zwei oder drei
oder vier yp'5v>t rofcixoi gleichzeitig auch noch der -/pfaot xf(; p-jftuo-oib;
«toi. 'PuBjxö; in unserer Stelle ist die Reihenfolge abstrakter Takte, etwa auch
die Takte im Geiste des Componisten vor der Darstellung derselben durch das
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II. 3a. Takt-Diairesis in Chronoi Rhythmopoiias idioi. 109
Melos; ^dponatt* ift die im Melos dargestellte Reihenfolge der Takte, ist die
rhythmische Compositum des Tonkünstlcrs. Sagt nun Aristoxenus, der Rhyth-
mus ist ein System aus Chronoi podikoi (aus Arsen. Basen, ganzen Takten), die
Rhythmopoeie dagegen ein System aus Chronoi podikoi und zugleich aus
Chronoi Rhythmopoiias idioi, so kann dies doch nur dasselbe besagen, was wir
auch schon als Sinn des § 57 erkennen mussteu und was scharf genommen auch
schon in § 19 enthalten war, dass nämlich bei der Ausführung einer Rhyth-
mopoiie (d. i. einer Composition) durch Sänger und Instmmentalisten der Diri-
gent zugleich die Chronoi j»odikoi und die Chronoi rhythmopoiias idioi zu mar-
kiren hat. Es liegt darin ferner dieses, dass der tjY£!A"JV De' (len Griechen neben
den dirigirenden Hauptbewegungen stets die dirigirenden Nebenbewegungen
für die Takte anzugeben hatte, dass die letzteren nicht wie bei uns bloss bei
langsamem Tempi anzugeben waren. Und hieraus dürfte wiederum hervor-
gehen, was ohnehin schon wahrscheinlich ist, dass bei den Griechen keine so
raschen Tempi wie bei uns genommen werden, dass die antike 017107^ mit un-
serer verglichen durchschnittlich eine langsame war, obwohl innerhalb dieses
im ganzen langsamen Tempo immer noch genug Raum für die Gradationen
des Tempo vorhanden waren. Vgl. erste Harmon. § 27: „Wir vermeiden es
beim Reden die Stimme ruhig auszuhalten, wir müssten denn durch leiden-
schaftliche Erregtheit dazu genöthigt werden. Heim Singen aber vermeiden
wir gerade umgekehrt die continuirliche Bewegung und lassen die Stimme so
viel wie möglich verweilen, denn je mehr wir einen jeden Ton als einen für
sich gesonderten einheitlichen und stiitigen Ton zum Vorschein kommen lassen,
um so klarer wird das Melos von der Aisthcsis aufgefasst".
Dass hier den dirigirenden Nebenbewegungen eine ähnliche Bedeutung
eingeräumt wird wie den Hauptbewegungen, dass sie zwar nicht für die Theorie,
aber für die Praxis des Taktirens für gleich notwendig wie jene gehalten
werden, dürfte bei den durch unsere früheren Studien des Aristoxenus gewon-
nenen Anschauungen befremden, denn früher wussten wir nichts davon. Aber
Aristoxenus sagt es an drei Stellen des aus seiner Rhythmik uns vorliegenden
Bruchstückes. Wie nach § 18 (Schluss) der Verlauf seiner vollständigen Rhythmik
einen Abschnitt enthalten haben muss, in welchem die Lehre von den Chronoi po-
dikoi als denllauptbewcgungen des Taktirens dargestellt war. so kann es nach § 19
(Schluss) auch nicht an einem Abschnitte gefehlt haben, welcher den Chronoi rhyth-
mopoiias idioi als den taktirenden Nebenbewegungen gewidmet war. Ks liegt in
dem eigentümlich klaren Wesen der Aristoxenischen Darstellung, in der logi-
schen Manier derselben, dass wir von dem ersteren Abschnitte, obwohl er tat-
sächlich nicht mehr vorliegt, doch aus einzelnen Andeutungen das meiste, was
darin enthalten war, restituiren können. Für den Abschnitt von den taktiren-
den Nebenbewegungen ist eine Restitution unmöglich. Denn was von dem
Megethos der Chronoi Rhythmopoiias § 58a gesagt wird, entzieht sich ganz
unserem Verständnisse und was von der Zahl dieser Chronoi für den einzelnen
Takt gesagt wird, ist zu allgemein, als dass wir darauf eine vollständige Theorie
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110
Aristoxenus rhythmische Elemente § 59.
der Chronoi podikoi begründen wollten. Wir dürfen dem Abschnitte über die
y^ovot pjÖfioroita; das kurze Fragment aus der dritten Harmonik hinzufügen:
£ 59. Allgemein zu sagen, es bedingt die Rhytlnnopoiie viele
und mannigfaltige Bewegungen, die Takte aber, durch welche w;ir
die Rhythmen bezeichnen, stets einfache und constante Bewegungen.
Das Wort ..Bewegungen" können wir jetzt im Sinne von IL Berlioz a. a.
O. gebrauchen. Dasselbe wie in unserem Fragmente § 59 sagt Aristoxenus
auch schon § 19: Kai Tiposttexiov -rot; eipr^evoi^ Z-i Tai fAEv exdoTO-j rrooö; a^o-tia
otajjisvEi loa ovra xal tw dptbjjujj xal t<Tj [AE^et, al 6' taö Ti(; pjilfiorotea; ^e/ö-
(Asvat oiatpioet; TtoXXf.v Xa^dvojat -oixiXiav. "Karat os tojto xai ev toi; Eireera
'yavco'iv. „Und dem Gesagten ist hinzuzufügen: die Semeia eines jeden Taktos
sind überall, wo er vorkommt, constant, sowohl der Zahl wie dem Megethos
nach, dagegen gestatten die aus der Rhythmoi>oeie hervorgehenden Bewegungen
eine grosse Mannigfaltigkeit. Auch dies wird in dem weiter folgenden klar
werden."
Das nämliche ist auch bei Aristides p. 34 Mcib. enthalten: "F/ti t&v ypovt»v oi
ijev d-Xoi, oi y.ai ttooixoI xaXovvrat, oi oe -oXXa7tXoi. So habe ich diesen Satz
schon in den Fragmenten der griechischen Rhythmiker durch Umstellung emeu-
dirt, denn die handschriftliche Ueberliefemng lautet: Tti t<ov ypöv<uv oi usv
ä-Xot, oi oe zoXXa-Xoi, ot xai rrootxoi xaXoüvrat. Maricauus Capeila übersetzt:
Sed temporum alia simplieia sunt quae podica perhibentur, wobei das griechische
Original von der fehlerhaften Umstellung noch frei geblieben zu sein scheint.
Daraus folgt nun, dass Megethos und Anzahl der Chronoi Rhythmopoüas
für ein und denselben Takt z. B. den Iti-zcitigcn nicht constant, wie die Chronoi
podikoi, sondem variabel ist. Die Chronoi podikoi (Hauptbewegungen des
Taktirens) folgen aus der logischen Natur des Taktes und sind immer dieselben,
die Chronoi Khythmopoiia.s (die Nebenbewegungeu des Taktirens) sind drin
Megethos und der Anzahl nach für ein und denselben Takt variabel. Das
wird uns nicht Wunder nehmen. Denn bei uns ist es nicht viel anders. Die
in der Natur des Taktes liegenden Hauptbewegungen sind coustant, die
Nebenbewegungeu hängen von der Form ab, welche der Compoiüät der
betreffenden Rhythmopoiie gegeben hat; ob der Dirigirende sie so oder so
den Ausführenden verständlich machen will oder sich dieser Mühe ganz
überheben zu können glaubt, das hängt von der jedesmaligen Rhythmopoiie-
Beschaffenheit des Melos ab. Hier muss das Ermessen der Dirigenten ent-
scheiden.
Und doch deuten die Zahlenangaben des § 19 darauf hin, dass wenigstens
einige allgemeine Normen für den doiDuö; töiv tt(; ö'jHfjioroita^ lotarv ypovcuv be-
standen haben, welche Aristoxenus dargestellt haben wird in dem Absclmitte.
auf welchem er sich mit den Worten: „'Kurt 6s toüto xat £» -oi; ereita wXvepoV'
beruft. Eiiüges davon lässt sich wieder gewinnen.
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II. 3b. Takt-Diairesis in Chronoi Rhythmopoiias idioi.
111
MeplI/mat -jap £vtot täv rooäiv tf; tö otTtXdatov toü eipT](ji£vou zX^Öou; apift-
|j.ov xal el; to roXXarXäoiov". „Es werden nämlich einige der Takte in Chronoi
Rhythmopoiias derartig eingetheilt, dass die Zalü der Chronoi podikoi (2, 3, 4|
um das 2 fache oder vielfache vergrössert wird/' Wir haben dabei also an ein-
fache Takte oder au zusammengesetzte Takte von 2, 3, 4 Versfüsseu zu denken.
Dass in der Anzahl der Chronoi rhythmoi>oiias die Zahl der Chronoi podikoi
verdoppelt ist, lässt sieh leicht denken für die aus daktylischen Versfüssen be-
stehenden rjjhti ouvötTot, denn der einzelne Versfuss hat als solcher zwei Semeia,
einen leichten und einen schweren Taktthcil. Es ist kaum anders möglich, als
dass z. B. in einer anapästischen Tetrapodie neben den vier die Chronoi podikoi
markirenden Hauptbewegungen auch noch doppelt so viel Nebenbeweguugen,
die Chronoi rhythmopoias idioi markirend, angegeben wurden, von denen auf
jeden Versfuss zwei kamen, der eine auf den leichten, der andere auf den
schweren Thattheil des einzelnen anapästischen Versfusses. So würde des
7to j« £xy.aiOExd3TT)fio; ausser seinen vier die Chronoi podikoi markirenden Haupt-
bewegungen im Ganzen acht die Chronoi rhythmopoiias idioi angebende Xeben-
bewegungen erhalten, so dass also dieser Takt zu denjenigen „tviot t&v ttooäv"
gehörte, in welchen der „dpiflfiö; täv Terrdpajv twoix&v yp6va>v ei; ot7rXdatov
dpi8[Ao\ jjicpiCETat.'4 Der 16-zeitigc Takt ist einer von denjenigen, in welchem die
Zahl der 4 Chronoi podikoi in der Zahl seiner Chronoi rhythmopoiias zu acht
verdoppelt ist. Bezeichnen wir die Chronoi podikoi durch römische Zahlen ober-
halb des Notensystems, die Zahl des Chronoi rhythmopoiias idioi durch arabische
Zahlen unterhalb des Xotensystcms, so würde z. B. das Fugenthema wohlt. Cl.
1, 2 folgendennaaf*seu nach der Bestimmung des Aristoxeuus taktirt sein:
I II III IV
oo3. aps. Uta. /oo^ot 7:001x0t
/ -v -\ » / V
.\^\-/ ± — J_ \J ^ X — IL
^ ! — j. ^ ^ ± — it y p<ivot ^ji)|xo7:oita; totot.
1 2 3 4 5 6 7 8
< — ^ — - * ' - *
Hiermit wäre auch die Frage Baumgarts erledigt (a. a. 0. p. VI.):
„Denken wir uns eine auapästische Tetrapodie. Wie trafen Sänger und Spieler
den gleichzeitigen Anfang? Wir sehen dazu keine Möglichkeit Eine solche
Möglichkeit musste freilieh auch für das griechische Taktireu vorhanden sein."
Mit Recht sagt Baumgart p. VI: „Das steht sicher, dass die griechischen Vjfe-
jao\s; im Wesentlichen keinen andern Beruf und Zweck hatten, als unsere
Dirigenten." Eben aus diesem Grunde genügte es nicht, wie Aristoxenus sagt,
dass sie die Chronoi podikoi taktirten, sondern sie hatten auch noch die Chronoi
rhythmopoiias idioi zu markiren. Die Art und Weise freilich, wie sie das Be-
zeichnen beider Arten von Chronoi gleichzeitig mit einander vereint haben, ob
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112
Aristoxenus rhythmische Elemente § 59.
sie etwa für das Eine den Fuss und für das Andere die Hand gebraucht, oder
ob sie es machten, wie dies H. Berlioz als unsere heutige Taktirmethode be-
schreibt, dass die Hauptbewegungen mit dem ganzen Arme ausgeführt werden,
die Nebenbewegungen dagegen nur mit dem Unterarme oder dem Handgelenke
im Anschlüsse an die Bewegungen des Oberarmes, darüber giebt das uns er-
haltene Fragment der Aristoxenischen Rhythmik keine Mittheilungen und das
Versprechen des Aristoxenus § 18: „"Eoxai oe xoüxo xat h xot; tneixa tpavtpfSv"
ist ein unerfüllbares geworden, da der hiermit citirte Abschnitt seiner Rhyth-
mik untergegangen ist.
Doch soll nach Aristoxenus die Zahl der Chronoi rhythmopoiias idioi nicht
blos das zweifache, sondern auch das vielfache von der Anzahl der Chronoi
podikoi sein. Unter dem vielfachen müssen wir, wie bereits oben bemerkt,
mindestens das dreifache verstehen. Werden wir bei dem zweifachen auf
Zusammensetzungen aus Versfüssen des geraden Rhythmus verwiesen, so wer-
den wir bei dem „dreifachen" selbstverständlich auf die Versfttsse des unge-
raden Rhythmus geführt. Wir werden am Sichersten gehen, wenn wir hierbei
zunächst an Zusammensetzungen aus ionischen Versfüssen denken. Die ionische
Dipodie, als einheitlicher Takt gefasst, hat (wie alle dipodischen Takte) zwei
Chronoi podikoi. Bei dreimal so viel Chronoi Rhythmopoias wird sie deren
sechs haben. Als Beispiel diene das Kolon 3 der S. 72 aus Beethoven's erster
Es-dur Sonate angeführten Partie:
I II Chronoi podikoi.
> \ \
\J \J ± \w/ —
s/ v/ — — ^ - - Chronoi rhythmopoiias.
1 2 3 4 f> 6
Die ionische Tripodie, falls sie bei den Griechen als einheitlicher
lö-zeitiger Takt vorkam, mussten sie beim Dirigiren mit 3 yp*5voi zooixot und
mit 3 mal 3 ypövot ^jrtjxo-otta; taktircn. Vgl. Kolon 7 derselben Stelle aus
Beethoven:
i II III
r \ , \ I- \
1 2 3 4 5 6 7 8 9
Nach dieser aus Aristoxenus folgenden Taktirweise der Ionici müssen diese
Rhythmen z. B. Bachs wohlt. Clav. 1, 11 F-dur Fuge taktirt werden, vgl.
Theorie der musikal. Rhythmik S. 236. Auf jeden Chronos disemos kommt
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II. 4. Takt-Schema. 113
eiiie der rhythmischen Taktir-Zahlen , welche in diesem Falle (beim ionischen
Rhythmus) keine Chronoi podikoi, sondern Chronoi Rhythmopoiias idioi sind.
Ob auch in Zusammensetzungen ungerader troehaeischer Versfüsse
zu einem grösseren Takte der einzelne Chronos protos als Chrono» Rhythmo-
poiias fungiren kann, darüber unten S. 124. 125.
4. DIE TAKT -UNTERSCHIED E NACH DEM SCHEMA.
Die Taktverschiedenheit nach dem Seheina darf nicht mit der nach der
Diairesis verwechselt oder vermischt werden, wie es früher von mir geschah,
wo ich die Fälle 2a und 2b, Xr. 4a und 4l> der S. 104 als Falle der Schema-
verschiedenheit ansah. Denn wenn auch auf diese die Kategorie der Schema-
verschiedenheit zu passen scheint, so ist doch nichts, was auf sie die Anwendung
der von Aristoxenus über Diairesisverschiedenheit aufgestellten Definition hin-
dert, unter welche wir sie oben begreifen mussteu. Die Analogie der übrigen
Fälle erfordert die Kategorie der Diairesisverschiedenheit mit Notwendigkeit.
Wir haben vielmehr S. 33. 34 uns dafür entschieden, dass ayfjjxa -oßäiv bei
Aristoxenus dasselbe ist wie das metrische Schema, von welchem die Metriker
reden, d. i. der durch verschiedene Sy Ibenbeschaffenheit hervorgebrachte Formen-
Unterschied desselben -ov»; im engeren und im weiteren Sinne des Wortes, als
.tto'j; dauvftcTOs (Versfuss) und als nov>; ovnBcto; (metrisches Kolon). Die Aristo-
xciüsche Definition § 28 bezieht sich vorwiegend auf die grösseren -öoe* oder
Kola. Wenn die Metriker von einem Metron polyschematiston sprechen, so
fassen auch sie das Wort o/fi(ua in diesem letzteren Sinne, Hephacst. c. 16.
Der Schemaunterschied der zusammengesetzten Takte oder Kola, welchen
Aristoxenus im Auge hat, bezieht sich also darauf, dass in der indischen Poesie
ein und dasselbe Kolon von gleichen |x£pr„ gleich der Anzahl und dem Megethos
nach, das eine Mal durch ein anderes Sylbensehema als das andere Mal ausge-
drückt sein kann. Das eine Mal ist es ein akatalcktisches, das andere Mal
ein katalektischcs oder brachykatalektisches Kolon, welches die Katalcxis ent-
weder im Auslaute, oder auch im An- und Inlaute hat. Im letztern Falle
wird ea in der metrischen Tradition prokatalektisch oder dikatalektisch genannt,
wofür der Gesammtname asynartetisch ist. Vgl. unten S. 131.
Ferner kann von zwei gleichgrossen Kola das eine ein von den Metrikern
sogenanntes katharon, d. i. aus gleichen Versfüssen bestehendes, das andere
ein Kolon mikton, d. i. aus ungleichen Füssen zusammengesetztes sein. Vgl.
S. 130.
Bei der Katalexis handelt es eich um die den Betrag einer fehlenden
Sylbe ergänzenden Pause oder Sylbendehnuug nach Art der uns in den kata-
lektischen Versen des Mesoinedes überlieferten 3- und 4-zeitigen Sylbeidangen
Ariitoieam, Melik u. Rbjtbmik. y
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114
Aristoxenus rhythmische Elemente § 60.
vgl. oben 8. 18. 19. Bei den xül* pinxi handelt es sieh vorwiegend um die Frage,
wie bei der Verbindung 3-seitiger und 4-zeitiger Versfüsse in demselben Kolon
die Sylben des Mt los zu messen sind.
Ueber die Sylbeninessung in der Katalcxis hat sich von Aristoxenus keine
Andeutung erhalten. Seine Doctrin iat in dieser Beziehung durch die notirten
Textesworte der Mesomedischen Hymnen zu ergänzen.
Dagegen besitzen wir ein Aristoxenisches Fragment, welches über die
Sylbendauer im Allgemeinen spricht Es bildet dasselbe den Anfang der
Pselianischen Prolambanomena. Sollte es auch ni<:ht aus dem Aristoxenisohen
Abschnitte vom Takt-Schema excerpirt sein, sondern vielleicht dem ersten ein-
leitenden Buche der Aristoxenischen Rhytlunik angehören, so dient es doch
jedenfalls dazu, uns über jene Doctrin sachlich aufzuklären und mag daher
hier eingereiht werden.
§ 60. Zuerst ist zu merken, dass ein jedes Maass zu dem Ge-
messenen in irgend einem Verhältnisse steht und davon den Namen
hat Ist die Sylbe etwas Derartiges, was den Rhythmus messen
kann, so wird auch sies ich zum Rhythmus wie das Maass zum Ge-
messenen verhalten.
• Das haben nun freilich die älteren Rhythmiker so angenommen.
Dagegen sagt Aristoxenus: Die Sylbe ist kein Maass. Denn ein jedes
Maass ist an sich quantitiv bestimmt und steht zu dem Gemessenen
in einem bestimmten Verhältnisse. Aber in dieser Beziehung ist die
Sylbe in iltrem Verhältnisse zum Rhythmus nicht etwas Bestimm-
tes, wie es das Maass im Verhältnisse zum Gemessenen ist Denn
die Sylbe nimmt nicht immer das eine Mal dieselbe Zeit ein, wie
das andere Mal ; das Maass aber muss, insofern es Maass ist, bezüg-
lich der Quantität constant sein, und ebenso auch das Zeitmaass be-
züglich der in der Zeit gegebenen Quantität; die Sylbe, wenn sie
Zeitmaass sein sollte, ist bezüglich der Zeit nicht constant, denn die
Sylben halten nicht immer dieselben Zeitgrössen ein, obwolü stets das-
selbe Grössenverhältniss. Denn dass der Kürze die halbe Zeit, der
Länge das Doppelte derselben zukommt . .
Damit schliesst das Fragment des Psellua. Das bei ihm fehlende Schluss-
verbum des Aristoxenischen Satzes könnte einen allgemeinen Sinn haben, wie
in der älmlichcn Stelle bei Fab. Quintil. inst. 9, 4, 48 „Longam esse duorum
temporum, brevem uniux, etiam pueri sciunt." Es könnte aber der Satz des
Aristoxenus auch näher auf die Thatsache der Sylbendauer eingegangen sein
und die Ausnahmen von der Regel angegeben haben. Denn dass Aristoxenus
wen der hier angegebenen Regel
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IL 4. Takt-Schema.
115
„Die Kürze ist die Hälfte der Länge"
bestimmte Ausnahmen statuirt hat, leidet keinen ZwefeL Da ist zuerst nach
Aristoxenus eigener Aussage (§ 20) eine irrationale Sylbe des Trochaeus, welche
l1/, -zeitig ist. Da sind ferner die aus den Melodieen des Mesomedes sich er-
gebenden Langen, welche über das 2-zeitige Maass hinaufgehen, welche 3- und
4- zeitig sind, mit einem Worte die Langen der Katalexis, von welcher auch
die Metriker sagen, dass hier eine ouXXaß^j nofii laoupivrj vorkomme.
Von Sylben anderer Messung als diesen ist uns von den Alten nichts
überliefert. Wir wissen nichts davon und fassen die Regel des Aristoxenus
mit ihren Ausnahmen folgendermasscn zusammen:
Die Länge ist überall das Doppelte der Kürze.
Ausnahmen sind:
1. die anderthalbzeitige irrationale Sylbe (nach Aristoxenus eigenen
Worten),
2. die mehr als 2-zeitige Länge der Katalexis (nach den notirten Hym-
nen des Mesomedes).
Gern bestätige ich dem Herrn Brill (Aristoxenus rhythmische und metrische
Messungen S. 20. 73), dass die Art und Weise, wie unsere frühere griechische
Khythmik und Metrik die Ausnahmen fasste, irrig war; ebenso constatirc ich
ihm auch dieses, dass Aristoxenus keine kyklischen Versfüsse statuirt vgl. Erste
Harmonik § 25—28. Irrig waren demnach auch die Sylbenmessungen der grie-
chischen Metrik vom J. 1867/68, ausser den dort angegebenen Messungen der
Daktylo-epitrite, die ich auch jetzt für richtig erkläre.
Der grösste Vorwurf, den man dem Hephästion mit den übrigen Metri-
kern macht, ist der, dass er im Einzelnen von keiner andern Sylbcnmessung
als von der 1 -zeitigen und 2-zeitigen wisse, wenn auch im Allgemeinen die
Thatsache anderer Sylbenmessung wenigstens den übrigen Metrikern nicht un-
bekannt sei (denn das kleine Encheiridion Hephästions sagt nichts davon).
Und doch müssen wir sie von jenem Vorwurfe freisprechen. Sie geben uns
die Kategorieen der Katalexis und Brachykatalexis, welche nicht zur Seite ge-
schoben, sondern richtig verstanden sein wollen, und dann Alles enthalten,
was von langen Sylben über die zweizeitige Messung hinausgeht Wenn sie
die Katalcxis und Brachykatalexis der gemischten Kola falsch bestimmen, wenn
Heliodor den 5-zeitigen Paion mit dem katalektischen Ditrochaeus, wenn auch
Hephästion den 6-zeitigen Choriamb mit der 8-zcitig zu messenden katalektisch-
daktylischen Dipodie confundirt, so sind das Fehler, welche wir zu erkennen
und zu berichtigen im Stande sind.
Ausser den bezeichneten Irrungen bezüglich der Katalexis begehen sie
den durch Aristoxenus zu corrigirenden Fehler, dass sie den unter Trochaeen
eingemischten Epitrit für einen 7-zeitigen zo-j; halten, während die Schlusa-
läuge dieses Epitrits keine 2-zeitige, sondern eine 1 '/„-zeitige fAaxod ist.
Darin aber begehen sie keinen lrrthnm, dass sie uberall, wo er vor-
kommt, sowohl in %&Xa xatfapd wie in xäiXa |Mxxd, den Trochaeus und lambus
S*
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116
Aristoxenus rhythmische Elemente § 60.
für einen 3-zeitigen, den Daktylus und Anapäst für einen 4-zeitigen Versfuss
halten, daas auch der im Choriamb enthaltene Daktylus nach ihrer Messung
nichts anderes als ein 4-zeitiger Daktylus sein würde. Der Irrthum war viel-
mehr lediglich auf unserer Seite, wenn wir von trochacisch zu messenden Dak-
tylen, von daktylisch zu niessenden Troehaeen gesprochen haben. Die nie-
lische Metrik der Griechen hat solche Verfiisse niemals gekannt. Denn die
sogenannten kyklischen Daktylen, von denen Dionysius berichtet, dass sie nach
Einigen nicht viel verschieden von den Troehaeen gewesen sein sollen, gehören
nicht der strengen Rhythmik des Melos, sondern der freien Dcclainatious- oder
Recitationsrhythmik , nicht der gesungenen" Poesie des Melos, sondern der
„gesagten " Poesie des Rhapsodenvortrages der heroischen Verse an.
Bontley war der erste, der den Satz von der „Taktgleichheit" der in
den alten Metreu auf einander folgenden Versfüsse aussprach:
„Ietus pereussio dicitur, quia tibicen diun rhythmum et tempus modera-
batm*, ter in trimetro, quater in tetrametro solum pede feriebat. Hos ictus sive
ipoei; magno discentium com modo nos primi in hac editione per accentus accu-
tos expressimus. tres in trimetris, quattuor in tetrametris. Horum autem accen-
tuum duetu, si vox in Ulis syllabis acuatur et par temporis mensura, quae
ditrochaei vel impltou Seu-ripou spatio semper finitur, inter singulos accentus
servetur, universus eodem modo lector eiferet, quo olim ab actorc in scena ad
tibiam pronuntiabantur.
Qua re ego jain ab adolescentia . . . aliam mihi scansiouis ratiouem institui,
per ot-ootav scilicet Tpoyatxfjv hoc modo:
po- | eta dederit | quae sunt adole- | scentium."
Man hat mehrfach darnach gesucht, diesen Satz von der Taktgleichheit
bei Aristoxenus aufzufinden. Wir haben oben die Stellen S. 19. 59 besprochen,
welche mau in jenem Sinne falsch interpretirt hat.
Bentley ging zwar bei seinem Axiome der antiken Taktgleichheit von
der modernen Musik aus, wie man aus den die Anakrusis abscheidenden Takt-
strichen ersieht, mit denen er den Trimeter des Tereuz versah. Aber erst J.
H. Voss wagte es. die metrischen ro&c; dureh unsere Notenzeichen auszudrücken.
Sein Taktgefühl veranlasste ihn bei den Mischungen dreizeitiger und vierzei-
tiger Versfüsse zu der Annahme, daas der vierzeitige Daktylus der den Rhyth-
mus bestimmende Takt sei, und dass mithin die Troehaeen aus dreizeitigen zu
vierzeitigen Versfüssen gedehnt werden müssten:
2.
4
i n |
* 1
1 |
J. H. Voss, Zeitmessung der deutschen Sprache 1802, S. Ib3 ff.
A. Apel, der sich zu demselben Axiome der Taktgleichheit bekannte,
machte es iu der Ausführung umgekehrt wie Voss; sich stützend auf den ky-
klischen Fuss des Rhetor Dionysius, von welchem dieser zu verstehen giebt,
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II. 4. Takt-Schema.
117
das» sein Rhythmus dem trochaeiacheu sehr nahe komme, fasste Apel den drei-
adrigen Trochaeus als den für den Rhythmus massgebenden Versfuss, dem
der Daktylus gleichgestellt werdeu müsse:
> I *
• I 0 4
A. Apel, Aphorismen über Rhythmus und Metrum, Anhang zu dem Drama
Aetolier 1806; A. Apel. Ueber Rhythmus und Metrum, allgemeiue musikalische
Zeitung 1809; A. Apel, Metrik 1814 u. 16.
A. Boeckh, anfangs tun Anhänger der Apel sehen Messung, „Ueber die
Versmaassc des Pindar" in Wolfs und Buttraann's Museum der Alterthumsw.
1H08, S. 344, leugnete später die Kxistcnz eines Versfusscs J^J bei den Grie-
chen. In seiner späteren Auffassung de metris Pindari 1811 p. 105. 268 geht
er von Aristoxenus Stelle über den yopeioc dXoYo; aus. Dies sei der unter
Trochäen vorkommende Spondeus. Aber der von Aristoxenus dem yopEio;
aA.070; vindicirte SUbenwerth 2-Ml4 sei nicht die absolute Grösse, sondern
diese Zahl gebe nur das relative Verhältniss der beiden Takttheile an, da der
Rhythmus gleiche Takte erfordere. Der yopeio; iXo-yo; müsse dem
dreizeitigen Trochäus, der neben ihm vorkomme, gleichwertig, also drei-
zeitig seiu:
12 _^
2 1 7 T
_ ^ _ _
3 3
Das ist aber eine falsche Interpretation des Aristoxenus, vgl. unten S. 118
Unrichtig ist mithin alles Andere, worin die Boeckh'sche Messung den vermeint-
9
liehen /p4>o; 0X070; ^ zu Grunde legt. Denn Boeckh substituirt diesen
Werth auch der Länge des mit Trochäen gemischten Dactylus, da dieser nach
Dionys de comp. verb. 17 ein»' ikoyn jjiavtpi haben müsse:
9 6 6 9 6 6
7 7 7 7 7 7 2 1 2 1
— ^ ^> — — <j — ^/
■ ' ■ ' \ > > >
3 3 3 3
In den daktylo-epirritischen Metren, welche bei den Alten iTTtO'jvtteT*
heissen (S. 135). soll der Epitrit derselbe wie in den trochäischen Versen sein,
aber der hier vorkommende Daktylus sei nicht wie in den Logaöden der
kyklische, sondern liabe das Megethos einer trochäischen DijK>die, „quod sentiet,
qui huiusmodi versus reete (!) didicerit aut recitare aut cancre".
12 9 3 3 3 3
2 l "7 7 3 2 2 3 2 2 3 3
— ^1 — — — — -^i-^i — —
■ _ ' ■- > •■ 1 v
6 6 6 6
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118 Aristoxenus rhythmische Elemente § 60.
Der in diesen Metren vorkommende Creticus habe die Messung:
12 £ 12
"5 5 5
_ ^ —
v '
6
Von diesen «einen Sylbenmessungen im Allgemeinen sagt Boeekh: „Nostris
notis designari nequeunt, sed disci poterant facillime. Quae etsi conjectura
nituntur, tarnen neque ex veteribus refutnri posse, nec commodiorem viam novi,
qua inotrorum veterum inaequali mensurae conciliari aequalitas proraus neces-
saria possit." Doch widerlogen sie sich aus den Worten des Aristoxenus „rfjv
jj.ev ßdmv Iotjv aiToi; <4|A<pot£pot; £ytu\" (vgl. SS 20). Auch widerspricht die
Aristoxenische Scala vom Takt-Megethos, denn die in den daktylo-epitritischen
Strophen häufig genug vorkommenden daktylischen Tctrapodieen würden der
Boeckh'Hchen Messung zu Folge ein dreissigzoitiges Megethos haben, was nach
Aristoxenus für kein daktylisches Kolon möglich ist
* ' v . , ^ 1 V /
6 6 ß »;
Metr. Pind. p. 104 bemerkt Boeekh noch:
Superest igifur ut servatis rationibns numerisve immutata siut tempora;
quod fieri vidimus duetu rhythmico, quam Graeci vocant dfui-ji^.
Diese letzte Bemerkung ist richtig. Alles Andere in seiner Sylbenmessung
ist falsch.
Die Rossbach-Westphal'sche Metrik stellte sich in der ersten Auflage
1856. mach einem bald wieder aufgegebenen Versuche, den die erste Dar-
stellung der griechischen Rhythmik vom .1. 1854 bezüglich der Ausgleichung
der Trochäen und Dactylen gemacht hatte) ganz und gar auf den Standpunkt
Apel's, alle mit Trochäen verbundenen Daktylen dreizeitig messend. In der
zweiten Auflage 1868 nahm sie für die daktylo-epitritischen Metra einen dem
Vossis<hen ähnlichen Standpunkt ein, indem sie den Trochäus dieses Metrtuns
als einen vierzeitigen mit dem Dactylus gleichgrossen Versfuss ansah. Doch
vermied sie sowohl die Vossische wie die Apcl'sche Sylbenmessung, indem sie
J 3 0 statt Vossens J.
J\ »s statt Apel's !"T1
0 0 0 0'0 0
statuirte, mit Rücksieht auf den von Aristoxenus über das Sylbenmass aus-
gesprochenen Satz, dem weder Voss, noch Apel, noch Boeekh gerecht gewor-
den war.
Wenn wir die Sy Iben der gemischten (und episynthetiseheu) Metra weder
wie Voss noch wie Apel messen dürfen, weil beiderlei Messung dem Satze des
Aristoxenus. dass die Länge stets das Doppeitc der Kürze sei,
mit Ausnahme der a*at; des rov>; fto-foe und, wie aus den Xotirungen
des Mesomedes tolgt, der Katalexis-Sylbe
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IL 4. Takt-Schema.
119
widerstreite, sondern dass wir uns die beiden Ausnahmen abgerechnet ganz
an die Sylbenmessung Hcphacstions halten müssen, kehren wir da nicht auf
den Standpunkt vor Voss und Apel zurück? Leugnen wir da nicht geradezu
für die meisten Metra der Alten den Rhythmus?
Diese Frag«* steht mit der anderen in unmittelbarem Zusammenhange:
wie verfährt der moderne Khythmopoios, wenn er solche Metra wie die [xixtA
u. drtaiivOera zu melodisiren hat? Denn von dem rhythmischen Gefühle der Mo-
dernen gehen Voss. Apel, Lehre und alle Übrigen aus, mit Ausnahme des ein-
zigen Boeckh in seinen Metra Pindari.
Der moderne Componist macht freilich den Trochäen« und den Daktylus
genau zu denselben Versfüssen, entweder alle zu vierzeitigen Daktylen oder
alte zu dreiseitigen Trochaeen. Und wie in der Vocalmnsik, ebenso macht er
es auch in der Instrumentalmusik, immer dieselben Versfüsse bis zum Eintritt
eines Taktwechsels inne haltend.
Ausnahmen von dieser Gleichheit der auf einander folgenden Versfüsse
(ungenau nennt man sie Taktgleichheit i sind selten genug. Denn es kommt
vor, dass unter geraden vielseitigen Versfüssen des Melos unter Festhaltung
des vierzeitige« Megethos auch dreitbeilig ungerade Versfüsse vorkommen,
welche als Triolen notirt werden. Hiernach habe ich Griech. Metrik 1868 § 616
das Melos rhythmisirt, welches ieh nach einer Melodie des Mesomedes für Pind.
ol. 3 benutzt habe:
Auch hier ist das Aristoxenische Sylbengesetz gewahrt
Ganz vereinzelt ist es, dass ein Componist auch der Taktschreibung nach
vierzeitige Daktylen und dreizeitige Trochaeen zu einem Kolon oder einer
Periode verbindet. Aber auch dies kommt vor. Und zwar bei keinem ge-
ringeren als J. S. Bach, aus dessen Rhythmopoeie ja mehr als aus allen übrigen
für die griechische Metrik zu lernen ist.
Die Tetrapodieen seines D • Dur Praeludium im wnhltemp. Clav. 2,5 sind
theils iambische,
theils daktylische
J. ^ £ >w J. ^ s> X
Beide verbindet er zu einer IVriode, welche wir nach antiker Nomencla-
tur ein episynthetisches Tetrametron S. 135 zu neuneu haben:
Durch eine den beiden Tetrapodiecu gemeinsame Taktvorzeichnung
12
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Aristoxeuus rhythmische Elemente § 60.
12
in der das Vorzeichen C sich auf die daktylische, " auf die troehaeische (iam-
o
bische) Tetrapodie bezieht, zeigt Bach an, dass die daktylische Tetra]xxlie (C)
dieselbe Zeifrlauer wie die iambische (^) hat. Ein jeder einigermasscn er-
fahrene Ciavierspieler wird dies in so ungewöhnlicher Takteehreibung gehal-
tene Praeludium ohne Schwierigkeit, selbst ohne viel zu reflectiren, richtig vor-
tragen können: er wird die gleiche Zeitgrösse beider tetrapodisehen Takte,
genau wie Bach es vorschreibt, das eine Mal in vier daktylische, das andere
Mal in vier troehaeische (iambische) Versfüsse so eintheilen, dass auf den dak-
tylischen Versfuss genau die nämliche Zeitdauer wie auf den iambischen kommt.
Lassen wir aus dem Bach'schen Praeludium alles Ungriechische (die hal-
birten Chronoi protoi), auch den Vortakt (musikal. Rhythm. seit Bach §182 ff.)
zur Seite und machen wir die Bachsche Periode durch Einführung gemischter
Zeiten (oben § 14. 15) der griechischen conformer, auch wenn das Bachsche
Melos dadurch verlieren sollte, so lauten jene Perioden:
£2:
i
8
t» r ■ — r— q
0
.11.
Wie diese beiden Perioden geschrieben sind, so halten sie vollständig und
in allen Stücken das Aristoxenische Sylbengesetz fest. Obwohl nicht jede Kürze
der Kürze, nicht jede Länge der Länge gleich ist (die des Jambus nicht der
des Daktylus gleich ist, denn die iambische Kürze ist = £ die daktylische
Kürze o £ angesetzt), so ist doch die Länge immer das Doppelte der Kürze,
mit Ausnahme der katalektischen Längen; die 4 -zeitigen Längen der unteren
Stimme in den daktylischen Kola sind s-ovosioi fxeUove; und als solche dikata-
Iektische Dipodieen.
Sn wie in dem Bachschen Praeludium werden wir uns auch für das grie-
chische Melos die rhythmische Sylbenbeschaffenheit aller Metra, in denen 3-zei-
tige mit 4 -zeitigen Versfüssen vereint sind, zu denken haben. Denn es giebt
keine andere Khythmisirung. in welcher sie dem Aristoxenischcn Sylbengesetze
entsprechen würden. Wir können das, wenn wir wollen, einen Taktwechsel
der Versfüsse nennen, aber es ist ein Taktwechsel, welcher nur den ).«S«p; zo-
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II. 4. Tukt.-Scheina. ■ 121
ouw; der verschiedenen Versfüsse verändert, doch ihre Zeitgrös*e gleich sein
lässt. Wir können uns an einen solchen Taktwechsel leicht gewöhnen, wie
denn das Nachsehe Präludium einen überaus fasslichen Khvthinus einhält, mit
welchem wie gesagt jeder Clavierspieler leicht fertig wird und von dorn man
sich, wenn man ihn einmal gehört hat, kaum denken mag, dass er anders sein
könne. In dci Czernysehcn Ausgabe des wohlt. Clav, ist er freilich verändert,
ungefähr so, wie sich Apel die gemischten Metrader Alten denkt. Aus der
Vergieichung des Hachschen Original-Rhythmus mit dem umgeformten Rhyth-
mus bei Oerny lässt sieh sofort erkennen, dass der letztere nichts als Trivia-
lität ist. Man hat, um Apels und Voss' Messungen gegen Aristoxenus aufrecht
zu erhaltm, eingewandt: „Leugnen wir die für den Trochacus durch Aristoxe-
nus in Abrede gestellte Messung J.J, so machen wir die grichische Tonkunst
zu der allerlangweiligsten, die gedacht werden kann." Das heisse „den Rhyth-
mus in spanische Stiefel einschnüren.'4 Unseren Chorsängern und Dirigenten
mögen die Aristoxenischen v/i^a-a fremder sein als die modernen und im
vorliegenden Falle der £y9|x£; xotiA; des Bachscheu Originales, aber langweili-
ger ist die Czeroysehe Umformung, eine entschiedene Verballhornisiruug des
originellen Bachsehen Rhythmus. Mehr als moderne Gesangchöre sind Pindars
Sänger daran gewöhnt, „Acopuu 'fcu^dv £vap|xo?ai zeolX«»44. Für diese konnten
die „Acüpia irioi/.a" nicht spanische Stiefel sein.
Es wird von Interesse sein, die bei Bach wiedergefundene Aristoxcnische
Sylbenmessung auch nach den sonstigen Ueberlieferungen der Aristoxenischen
Rhythmik zu controlliren.
Die Aristoxcnische Rhythmik behandelte die Vereinigung daktylischer
und trochaeischer Versfüsse in dem Abschnitte von den -ooixd c/r^ata. Die
Ausführung desselben fehlt uns. Erhalten ist uns die Definition: S/Vati oe
fttatpspojot ol rAoa äXX^).«Jv, 8xav -ri a>rd fxfpT) toü vjWj [le^iftou; ja-J) cuaa'jro;
(oyrjfiaTtaÖ^) vgl. oben § 28. Das Bachsche Praeludium muss uns die fehlende
Ausführung der Definition ersetzen. Dasselbe Zeit - Megethos zerlegt sich in
dem daktylischen C-Kolon in die gleiche Vierzahl gleich grosser uip^ (Vers-
12
fiisse) wie in dem iambischen -Kolou; aber ein jedes jxspo; ist in dem C-Takte
12
auf eine andere Weise als in dem gleich grossen -Takte geformt, dort ist
8
dasselbe ein Daktylus, hier ein Jambus.
Femer verweist die Aristoxenische Rhythmik auf den die nootx'x o/i^i-*
darstellenden Abschnitt in der Lehre vom /p4vc; r.pAto; § 12. „°fh U toottom
Xfyiexoi toDtov t. ata&^oi;, cpavepöv eoroi i-i tä>v zootxtbv ay T]|xdTa>v". Was die
syTjtxata zoStxa mit dem yp'ivo« rpä»to< zu thun haben, ergiebt sich in Ermange-
lung der Aristoxenischen Ausführung aas unserem Bachschen Beispiele, wo
der Chronos protos in dem iambischen Kolon einen anderen Zeitwerth als in
dem daktylischen hat. Dort ist der yp<Svo; zpörro; von Bach als ^ , hier als
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122 • Aristoxenus rhythmische Elemente § 61.
£ angesetzt, ohne das« natürlich der iambische xp"Wo; ttoAto; das Doppelte des
daktylischen ist. Wie ihn jedesmal unsere ata&TjOi; zu nehmen hat, ist nach
Bachs Beispiele fasslich genug.
Wir besitzen nun noch ein Aristoxenisches Fragment über die Schemata
podika in seiner dritten Harmonik § 9. Mit den Worten „rcdXiv i\ toi; rapl
|>-j»fioj; rcoUd xoiaüd' ipöfxcv fiv<5|Aeva" verweist er geradezu auf einen uns nicht
mehr erhaltenen Abschnitt seiner rhythmischen Stoicheia:
§ 61. Man muss wissen, dass es die Wissenschaft der Musik
zugleich mit Constantem und Variabelem zu thun hat . . . Auch in
der Rhythmik sehen wir Vieles von dieser Art. So ist das Ver-
hältniss, nach welchem die Rhythmengeschlechter verschieden sind,
ein constantes, während die Taktgrössen in Folge des Agoge va-
riabel sind. Und während die Megethe constant sind, sind die
Takte variabel: dasselbe Megethos z. B. das 6-zeitige bildet einen
(ionischen) Einzeltakt und eine (trochaeische) Dipodie.
Offenbar beziehen sich aucli die Unterschiede der Diairesen
und der Schemata auf ein constantes Megethos. Allgemein ge-
sprochen: Die Rhythmopoeie erfordert viele und mannigfache Be-
wegungen, die Takte dagegen, mit den denen wir die Rhythmen
bezeichnen, einfache und immer die nämlichen Bewegungen.
Die Scldussworte dieses Satzes waren schon § 59 Gegenstand der Be-
sprechung.
Was in diesem Paragraphen (in der Stelle der dritten Harmonik ) vorangeht,
davon bezieht sich der letzte Satz auf die xaxd Siaipcatv otatpopd: xal xwv f«-
Yeftwv jxev<5vrajv dviuoiot Y'-Yvovrai ol tt*5oe;, xal xo aoxo (ae^eSo; . . . , übereinstimmend
mit der von Aristoxenus gegebenen Definition dieser oieupopd § 27 (S. 108). Der
vorausgehende erste Satz muss sich demnach auf die x«txd a/jp« Sta^opä be-
ziehen: xai jjlevovto; xoü Mfoy xaft ßv Stcuptstai xd fivr, , xd pe-ji^ xivttxat xdiv
7ro5dbv, 3id x^v rfti d^a^f,; oivautv.
Auch diese Worte werden durch das Beispiel Bachs vollständig erläutert:
Alle iambischeu ztäti behalten dort ihren zootxo; (afxßixö;, alle dakty-
lischen ihren Xvp« tt^ixq; «axxu).tx<; ; aber während der nofcntd; der t*v7j
^uftfjuxd constant bleibt, ist das Zeit-Megethos variabel. Denn der Zeitumfang
des (4-zeitigen) daktylischen ist bei Bach dem Zeitumfange des (3-zeitigen)
iambischeu Versfusses als gleich angewiesen. Und zwar geschieht diese
Oleichstellung der Zeitgrösse nach Aristoxenus, wie wir hier er-
fahren, durch die dy«^ d. i. das Tempo.
Von der dy«?^ spricht Aristoxenus in seinem Aufsatze :«pt xoO rpAxou
yp6*>'j (vgl. vermischte Tischgespräche). Kr sagt: "Üxt ffefaep tlolv exdoxou x&v
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II. 4. Takt-Schema.
123
bvftp&v d^TOYott dretpoi, dneipoi eWtai xal ol irpebxot y p<Svoi. „Wenn da» Tempo eines
jeden der Rhythmen unbestimmt ist, so werden auch die Chronoi protoi desselben
unbestimmt sein". To Vavrrö oe oufxßVjaeToi xal irepl xo-jc xpio-/)fAOv$ (die aus drei
Chronoi protoi bestehenden iambischen Versfusse) xal repl xoy; xfixpao^AOuc
(die aus 4 Chronoi protoi bestehenden daktylischen). . . . Ka&ÖXoy oe votjx£ov
o; av X^cpfriQ xdrv &'j&fj.div 5fA.oiov eItcciv 4 xpoyalo; iirl rfjaof xivos dfmyfiz xt&elc
drtipot exelvcov rp<6xmv sva xiva Xfyi>exat ei; i'jxov. „Wenn man z. B. den Tro-
t-haeus in einem bestimmten Tempo nimmt, so wird man auch einen der an
flieh unbestimmten Chronoi protoi in einem bestimmten Zeitwerthe nehmen."
So setzt auch Bach in jenem Praeludium den Chronos protos des Trochaeus
12
(Jambus) als £ an (im — - Takte) , während er für den Chronos protos des
Daktylus (im C-Takte) angesetzt hat.
Es möge hier auch noch seinen Platz finden, was Aristidcs in seiner
Rhythmik (wohl auf Grundlage des Aristoxenus) über die ifm^ berichtet:
'A-fiuy^ oe toxi j>vd|Aix-?j ypovojv xdyo; tJ ßpaouxtj« otov oxav xu>v Xö-ytuv otw^o-
(jLEvoav ou; ol 8£s£t; -oioüvxot zpo; xd; dpasi;, ota^optu; exdaxou ypövou xd fAef£ftT]
TTpo^Epa>(xeda. Aristid. p. 42 Meib. und weiterhin:
McxaßoX^ hl £axi p^jftjxtxVj d>.Xola>3i; ^ i-^m-jf^ Unter den einzelnen
xf.orot xf,; (ie-ro[^o).fJ; ist dann von Aristides an erster Stelle die nexaßoX^ xax'
dymi+fi genannt . an zweiter erst die fiexa^X-f) xaxd Xoyov ttooixov. Die Reihen-
folge wäre wohl »He umgekehrte, würde nicht die ficta^oXf) xax' dfmii^ die häu-
figere sein.
Hiermit müssen wir sagen:
Dem zeitlichen Megethos nach werden nach Aristoxenus (und Aristides)
die daktylischen und trochaeisehen Versfusse gleich grosser durch ihr Schema
verschiedener Kola einander gleich gestellt durch die fieta-io).?i d^tu^f,; d. i.
durch Veränderung des Tempos, in erster Instanz durch Veränderung der
dein Chronos protos anzuweisenden xayjxV); oder ßpaoyxT,;.
Boeckh war auf dein richtigen Wege, als er Apels modernisirende Mes-
sung, die er in seiner ersten Arbeit auf Pindar angewandt hatte, späterhin
ganz und gar verwarf und bloss aus dem rhythmischen Berichte der Alten
Aufschluß» erhalten zu können glaubte: „Superest igitur ut servatis rationibus
numerisve immutata sint tempora, quod fieri vidimus duetu rhythmico, quam
Graeci vocant ifm-f^s." Metr. Piml. p. 104. Doch gebrach es ihm bis zu
Ende seiner metrischen Arbeiten au einem sorgfältigen Eingehen auf Aristo-
xenus, dessen Satz über die Sylbenzeiten ihm bei seiner Pindar-Arbeit nicht
kümmerte. Auch konnte er sich von Apels Einfiuss nicht ganz frei machen,
denn dessen kyklischer Daktylus spielt bei Boeckh's späterer Messung noch
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Aristoxenus rhythmisch« Elemente § fil.
immer «in« grosse Roll«. Es kam hinzu, dass Boeckh in Aristoxenus Inter-
pretation bezüglich des yopeioc 0X070; einen niemals von ihm erkannten Irr-
thum sich hatte zu Schulden kommen lassen. Daher «lenn zur Grössenbestim-
mung der indischen Sylben jene wunderlichen Bruchzahlen mit dem Zahler
7 und 5, „cui rite exsequendae ipse Apollo impar sit;< G. Hermann „de epi-
tritis doriis dissertatio 1H24 opusc. II. 105, de metrorum quorundain mensura
rhythmica dissertatio 1815 II, 83. Aber alle Anerkennung dem Ingenium
Boeckh's, dass er die Gleichstellung der Versfüsse durch dqaifT], wenn auch
gewissermaßen nur als Axiom aussprach!
Obwohl A. Boeckh die Erklärung giebt, dass nach der Aussage des da-
mals lebenden Berliner Musiker Grönland ein musikalischer Vortrag die von ihm
(Boeckh) angegebenen Sylben messuugen ausführen könne (Pind. II praefat),
so war doch das Verfahren der antiken rje^öve; (Chordirigenten) ein viel,
viel einfacheres, als es nach Boeckh's Zahleu nothwendig gewesen seiu müsste.
Lassen wir den antiken fjcpcuv die S. 120 angegebenen Bach'schen Perioden
naeh Aristoxenus Vorschrift dirigiren. Er wird jede der Bach'scheu Tetra-
podieen als einen tcoj; ojvöero; fassen, er wird einem jeden tio-j; 4 ypovot
zoöixoi geben in folgender Reihenfolge:
avtu yp. , xotoj yp. , a-vtu yp. , y.äxw yp.
a'poi; , t^ai3i; , apoi; , ^dat;.
Auf den vierten Chronos d. i. die zweite jidot; kommt der stärkste Haupt-
ictus, auf den zweiten Chronos (d. i. die erste ^äot;) kommt der weniger starke
Hauptictus, auf die 2 übrigen Chronoi, niimlich den ersten (die erste ipot;)
und den dritten (die zweite apoi;) kommen Nebenictus. Jeder ypoVi; ttooixö;
ist ein Versfuss, in «1er einen Tetra])odie ein 3-zeitiger trochaeischer (jambischer),
in der anderen ein 4-zeitig«r daktylischer Versfuss. Der rjepiüjv hat dem
Chore die 4 ypoVn 7:001x0t je nach ihrer verschiedenen Dynamik als y po'vot mit
Hauptictus oder mit Nebenictus zu markiren. Wie er das gethan, ist uns nicht
speciell überliefert. Nehmen wir deshalb an, er habe das Markiren wie der
modern« Dirig«nt ausgeführt, nämlich durch verschiedenartige Bewegungen des
ganzen Armes: von rechts nach links, von unten nach oben, von links nach
rechts, von oben nach unten; weiteres Ausholen des Annes bezeichnet« den
Hauptictus.
Ausser den auf die 4 ypovot 7:001x0t kommenden Hauptbewegtingen hatte
er nach Aristoxenus auch noch die ypovot puttfAozoua; töiot zur Bestimmung des
einem jeden der Versfüsse zukommenden Rhythmus anzugeben. Der moderne
Dirigent führt dies durch Nebenbewegungen des Unterarmes aus, die sich
jedesmal an die Hauptbewegungen des Oberarmes ansdiliessen. Nach Aristo-
xenus waren diese Nebenbewegungen so nothwendig wie die Hauptbewegungen.
Ihre Zahl ist das Doppelte oder auch das Vielfache (also mindestens das Drei-
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II. 4. Takt-Schema.
125
fache, vielleicht auch das Vierfache) von der Zahl der Hauptbewegungen.
Es muss also vorgekommen »ein, dass eventuell auf jeden Chrouos protoa eine
Nebeubewegung des Dirigenten kam. „Tempora animo metiuntur et pedum et
digitorum ictu intervalla signant quibusdam notis at(|ue acstimant, quot breves
< = rptuTotic y pövou;) illud spatium habeat . . . nam «T^ctov tempus est uniun."
t^uintil. iust. 9,4,51. Also angenommen, dass der einzelne Chrouos protos als
Chrono» Rhythmopoiias idioa zu markiren war, erhielt der in einein trochaei-
schen .Kusse bestehende Chronos pudikos tlroi, der in einem daktylischen be-
stehende Chrouos podikos vier Chronoi Uhythmopoiias idioi.
Die drei Chronoi protoi des in einem Trochaeua bestehenden Chronos
podikos taktirte der Chor-Hegemon in einer langsameren Agoge, die vier
Chronoi protoi der daktylischen in einer rascheren Agoge, wobei er nach seinem
rhytlunischen Gefühle (nach seiner viz\htiiz) abmass, dass die drei chronoi protoi
d<-s einen Chrono« podikos zusammen genau dasselbe Zeit-Megethos erhielten,
wi»- die vier Chronoi protoi des anderen. Der modferne Dirigent hält bloss bei
ein« -m langsamen Tempo die Nebenbewegungen (yp«5voi pyftfAOTtoita; Üotoi) anzu-
geben für uöthig. Der antike Dirigent hatte, wie <«s scheint, viel häufiger als
der moderne auch die y_p«5voi pj&pioTOtla; auzugebi-n, denn Ariatoxenus sagt :
zi; ',i h otupoSuevo; cl; izleito dpiÖf*ov xal ei; ikdrem Siaiperrat Psell. frg. 10,
was am einfachsten und natürlichsten zu interpretiren ist: Ein jeder Takt,
welcher taktirt wird, wird in eine grössere Zahl (von ypovoi f&ioi) und in eine
kleinere Zahl (von yo»tai ttoSixoi) zerlegt. Denn die jxi/jr,, welche der Tjeutbv
am häufigsten zu taktiren hatte und die des genauen Taktirens nicht entbehren
konnten, waren die; in episynthetischen und gemischten Metren gehaltenen: die
Pindarischen Meie g«'hörten ohne Ausnahme in diese Kategorie und die meisten
Cantica der Tragoedie nicht minder. Hier war für den Tjejjubv das ötaipetollat
r.'.hi in yp«5vot ttooixo'i und in yp6>«t pjH[Aoroila; gleich unerlässlich , einerlei ob
das Tempo ein langsameres oder ein rascheres war.
Die aus Bach herbeigezogenen Periodeu würden naeh der Terminologie
Hephaestions nicht zu den fjirpa fiotti, sondern zu den i-tsuvöexot gehören, da
ein jedes Kolon entweder ein iambisebes oder ein daktylisches xiftapöv ist und
die Ungleichheit der Schemas nur darin besteht, dass iambisebes und dakty-
lisches Kolon mit einander zu einem jx^Tpov reTpapetpov vereint sind. Aber
auch die {jirpa «jux-ra können bezüglich der Sylbenbeschatteuheit nicht anders
als die i~t<z'j^t-n gemessen werden , denn es lässt sich keine andere Messung
denken, welche nicht dem Aristoxenischcn Sylbengesetze widerspräche. Eälsch-
lich vermutheteu wir früher, dass sich beide Arten von Metra, die epiaynthe-
tischi n und die gemischten, auch durch Verschiedenheit des Rhythmus unter-
scheiden müssten. Ein Unterschied ist freilich vorhanden, aber er besteht in
der Verschiedenheit der Accentuation, wel« he bei den episynthetischen Metra
vorwiegend eine hesychastisehe , bei den gemischteu eine diastaltische ist. Die
Sylbendauer ist dieselbe: jeder trochaeische Versfuss bleibt ein trochaeischer,
jeder daktylische ein daktylischer, bloss der Zeitdauer nach werden die ver-
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Aristoxenus rhythmische Elemente § 61.
Bchiedenen Versrusse durch die p.tT*$o)A\ d^m^i einander gleichgestellt. Die
tetrapodischeu Compositioncn kann man durch das Vorzeichen eines puöfto; *oi*>;
ihrem Rhythmus nach aufs Genaueste bestimmen. Oder auch so, dass man
die Tetrapodie in zwei dipodische r.tätz zerfallt, «leren jedem man das dipo-
dischc Vorzeichen des jbttpo; xoivö;
giebt. Tripodische Compositioncn in den gemischten Metren zu bezeichnen,
wird man wenig Gelegenheit finden. Wo es beim Taktwechsel vorkommen
sollte, wird alsdann das Vorzeichen des pjttp.os xotvS; folgendes sein
3 9
4 8"
Indem man sich eines dieser den p-j%o; xotvo; angebenden Taktvorzeichen
zu einem metrischen Schema, welches Mischungen dreizeitiger und vierzeitiger
Verefüsse tuthält, hinzudenkt, reicht das blosse Schema besser als alle mo-
dernen Notenzeichen zur genauen Bestimmung des Rhythmus aus. Mail braucht
höchstens nur noch die Accente der einzelnen Verstösse anzugeben. Dann
versteht sich alles übrige von selbst, auch die mehr als zweizeitige Länge, die
ja lediglich der leicht erkennbaren Katalexis angehört. Es dürfte die Zeit ge-
kommen sein, um einzusehen, dass die durch Voss und Apel beliebt gewordene
Umschreibung der antiken Versschemata in moderne Notenwerthe eine blosse
Spielerei ist, ein Dilettantiren, das die wahre wissenschaftliche Einsicht in den
Sachverhalt, wie er nun einmal ist, nur erschwert, aber nicht im Mindesten
erleichtert.
Als Beispiel eines gemischten Metrons diene Find. Ol. 1 atroph.
1. 'AfiiOTV» [i.ev uöujp, ö 6e | /pvaö; aittou.evov irüp,
2. äte oia-p^rti [ vvätI pefavoßoe Ifyy* 7t/o6xou,
3. et o'acH) i fapiev | eVjtai tplXov Tjtop, | u.7]*.eV dXloi» sv.«Snei
4. dXXo Ua/.zv<iT£po^ h | pa (poewöv aarpov dp^- | ja<x; oV aiöepoi,
5. jaTjO )).-ju.r{a; d^va | ^ipxepov auoctoo^tv,
6. <58«n h 7toX>ia-o; uu-vo; äficpißotXXcTot,
7. co^öjv pt^Tieoat xe/.aoetv
8. Kpovoy -aio £; defvedv ixeuiv/j;,
9. fidxatpav fl£piovo; ea-dav.
3. j.^ j. ^ j.^ ± I i^i / l^^x^x^z
4. ±^x^-l^^j.^> | z^x^x^"wz I -i ^ z ^ x
6. ^ Z ±^ s
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II. 4. Takt Schema.
127
7. ^-i^z^^vi
8. ^ — ±\jj.u±^\j^j.
9. ^\j\^j_\jjm^>j_
Ein aus 3 Trochaeen bestehendes Kolon heisst nach der Terminologie
Hephacstions (s. unten S. 131) ein brarhykatalektisches Pimetron, d. i. ein
Kolon aus 2 Dipodieen, in welchem der letzte Versfuss nicht durch Sylbcn
auagedrückt ist
— w — _
Dipodie. Dipodie.
Wir müssen auch Kolon 2 a und 4 c £xt oiarcpliret und -pa; HC öU8£po;
unter diese Kategorie zählen, d. h. in ihnen nicht tripodische Kola, sondern
tetrapodische Kola, am Ende mit einer Pause erkennen. Alle übrigen Kola
der Strophe sind klar genug und bedürfen kaum einer anderen Erläuterung,
als dass der Anfangsfuss der drei letzten Kola:
Kprfvou
(iaxoi-,
wie der Anfangsversfuss in dem Musikbeispiele des Anonymus § 104 oben
S. 44 zu fassen ist, in gleicher Weise auch der Anfangsfuss des Kola la:
"Apt-.
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128 Aristoxenus rhythmische Elemente.
Wie im Wasser die reinste Kraft, wie von köstlichem Kleinod
nichts so begehrt wie Gold, welches das nächtliche Dunkel erleuchtet :
An dem weiten Himmels ■ zel - te glänzt so mild kein an-de-rer Stern
wie die Sonne strahlt,
r — "
r
•
e
fr -ß
^-r t> — r— <
r
i
uyj- — i
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II. 4. Takt-Schema.
129
und kein andrer Sieg so herrlich glänzt wie der Sieg Olym - pi - aa :
J
irr
j
— i — • — • • •—(—•-'
von dannen der viel - er - sehnte Hymnus auf sich schwingt
4^ j rn
=n x reif
— i ■
i ; in i
durch der
Wei - sen Kunst, wenn mit Ge - sang
f jag
-J-J— f
55E
Kro-nos Sohn zu prei - sen wir dem gastlichen Heerd
X
r
i
5:
I N i 3
• — • — • — • — — \—
des glück
sc - Ii - gen Freundes Hi • e • ro nahn.
J * J_«i— 4-
I
5
I
Ariit
Melik u. Rhythmik.
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130
Aristoxenus rhythmische Elemente.
Die ungemischten, gemischten und episynthetischen Metra
nach Hephaestion.
Nach Hephaestion besteht für die VersfÜsse ein vierfaches Genos, von
denen ein jedes mindestens ein zweifaches Eidos hat. Die vier Gene unter-
scheiden sich durch die Anzahl der Chronoi protoi des Versfusses, die Eide
(Unterarten) durch dasjenige, was Aristoxenus „Antithesis" nennt. Ais oberste
Kategorie erhebt sich über den vier Gene noch diejenige der zweifachen Anti-
patheia, genannt die erste und die zweite Antipatheia (primäre und secundäre
VersfÜsse).
A. Primäre VersfÜsse, V. der ersten Antipatheia.
I. Genos der 3 zeitigen VersfÜsse:
1. Erstes Eidos: 3 zeitige Trochaeen,
2. Zweites Eidos: 3 zeitige Jamben.
II. Genos der 4zeitigen VersfÜsse:
1. Erstes Eidos: 4 zeitige Daktylen,
2. Zweites Eidos: 4 zeitige Anapaeste.
B. Secundäre VersfÜsse, V. der zweiten Antipatheia.
III. Genos der özeitigen VersfÜsse:
Paeone, Bakchien.
IV. Genos der Özeitigen VersfÜsse:
Jonici a majore, Jonici a minore, Choriamben. Heliodor und nach
ihm auch H. statuirt noch ein Eidos der Antispaste s. u.
A. Metra der ersten Antipatheia.
Ungemischte Synartetika.
Ein Metron, dessen VersfÜsse ein und demselben Eidos angehören, heilst
ein Metron monoeides, d. i. Metron desselben Eidos, gleichförmiges Metron,
auch Metron katharon (d. i. ungemischt).
Rücksichtlieh seines Auslautes ist ein Metron:
akatalektisch, wenn das Megethos eines jeden Versfusses vollständig
durch die Lexis (Sylben) ausgedrückt ist, z. B. das trochaeische Dimetron
_w -v-u |
Koci/, T.it 07,07 dvo/.^o;,
katalektisch, wenn ein Theil des auslautenden Versfusses fehlt
_ W _ sJ _ V-/ _ I
' • v J
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H. 4. Takt-Schema. 131
brachykatalektiseh, wenn dem Auslaute ein ganzer Versfuss fehlt
— \J — w — ö |
> / v >
Bei den unvollständigen Metren findet entweder eine Pause statt (dies
überliefert Arisüdes p. 40 M.), oder es tritt wie in den Hymnen des Mesomedes S. 19
für die letzten Sylbcu eine die Zweizeitigkeit überschreitende Verlängerung ein.
Ungemischte Asynarteta.
Eine Katalexis kann aber nicht bloss im Auslaute, sondern auch im In-
laute des Metrons stattfinden. Ein solches Metron wird von Hephaestion ein
asynartetisches genannt, und zwar, wenn die Füsse desselben demselben
Eidos angehören, asynartetisches monoeides (kathar6n). Ist ein solches
Metron im Außlaute katalektisch , so hat es zwei Katalexen, eine inlautende
uud eine auslautende und heisst daher dikatalektisch Heph. 16,14. 15 z.B.
das elegische Metron, durch doppelte Katalexis aus dem heroischen entwickelt:
Nt|t'oec oi Mo'j<tqc | o6x d^vovro, ©IXot.
das dikatalektische Tetrametron trochaikon (jedes Kolon brachykatalektiseh):
V ' v / v / v /
Aeüpo Srpxs Motoai | yp6ocov Xurotaat.
das dikatalektische Tetrametron iambikon (jedes Kolon katalektisch):
— J. ^ 1 ^ ± 1 \ — 1 ^ 1 ^ ± JE. |
Findet dagegen eine inlautende Katalexis in einem akatalektisch aus-
lautendem Metron statt, so heisst es „prokatalektisch" (welches vorn, aber
nicht hinten eine Katalexis hat), z. B. das prokatalektische Tetrametron
trochaikon:
/ w _i ± x I i^i1-1 J. ^ J. ^ I
£ori (xot xaXd -die | ypuo£oiaiv dv#£|xotaiv
Die inlautende Katalexis kann auch so fallen, dass das erste Kolon eines
asynartetischen Metron einem anderen Genos als das zweite angehört; dann
kann man dasselbe nicht mehr monoeides nennen, sondern dürfte höchstens
monogenes sagen (dasselbe Genos, aber verschiedene Eide). Aber der Terminus
„asynartetisches monogenes*' ist bei den Alten ungebräuchlich. Man nennt
ein Metrum der in Rede stehenden Bildung ein asynartetisches antipath£s
der ersten Antipatheia z. B. das iambische Dimetron mit einer inlauten-
den Katalexis:
-ivi-i^i | i w^ujr vi Heph. 15, 9,
A^uT^po; drfvfj; %a\ K<5pfj; | t^v ravtjY'Jpiv oißrov |
9'
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UJ2
Aristoxenus rhythmische Elemente.
^1^1^ j.^s | 1^1^11 Heph. 15, 10,
'E«}k>; tjviy1 i-wJTa; l i$£Xifi.'iev doTTjp.
Rückblick: Besteht da« Kolon aus Versfüssen desselben Eidos, so heisst
es katharon oder monocides, und zwar synartetikon (der Name nur bei La-
teinern „concxum"), wenn es keine inlautende Katalexis hat
— \J — V> _ ^ _ O
asynarteton monoeides, wenn es bei Versfüssen desselben Genos eine
inlautende Katalexis hat
— \y — _ ^/ —
_ W _ — ^ W — ,
asynarteton antipathes erster Antipatheia, wenn durch die inlautende
Katalexis aus dem Kolon monoeides verschiedene Versfüsse desselben Genos
entstanden sind:
\j — — _ ^ —
v_/v-/_s>/W— — ^ v-/ —
Gemischte Metra synartetika der ersten Antipatheia.
Hat das Kolon Versfüsse verschiedener Gene zu seinen Bestandteilen,
so nennt man das eine Mischung und das Kolon selber ein gemischtes. Ins-
besondere sind es die Versfüsse der ersten Antipatheia. die 3 zeitigen und die
4 zeitigen, welche eine Mischimg mit einander eingehen. Die Art der Mischung
ist hier eine zweifache:
1. Das Kolon hat mehrere auf einander folgende 4 zeitige Füsse: mehrere
Daktylen oder mehrere Anapaeste. Dann hoisst es gemischtes Daktylikon
oder gemischtes Anapaistikon, beide mit Gesammtuamen Logaoidikon:
s^^jl^^i^s^ logaoidisches Daktylikon,
^•^s^^i^x^j. logaoidisches Anapaistikon.
Geht aber der dreizeitige Fuss mehreren vierzeitigen voraus, so wird für das
Kolon von Hcphaestion der Name aeolischen Daktylikon gebraucht
i ^ ^ i ^ w/ x a« olisches Daktylikon;
analog kommt bei Tricha p. 279 W . auch der Name aeolisches Anapaistikon vor,
während Aristides p. 51 Meib. beide Arten der Mischung, die mit anlautendem
Trochaeus (bei folgenden Daktylen) und mit anlautendem Jambus (bei folgen-
den Anapaesten) logaoidisches Daktylikon und logaoidisches Anapaistikon zu
nennen scheint.
2. Soweit ist die Theorie der Metriker einfach genug. Wenn aber durch
die Mischung nur Ein 4 zeitiger Fuss mit mehreren 3 zeitigen vereint ist, so
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II. 4. Takt-Schema.
133
wird die Theorie, wenigste!» bei Hephaestion, complicirter. In den aus dem
älteren Systeme Varros und Caesius Bassus fliessenden Darstellungen begegnen •
wir zwar auch eiuer Auflassung, nach welcher Mischungen dieser Art nach
4 zeitigen und 3 zeitigen Füssen gemessen werden vgl. die Metrik.
Aber nach dem durch Heliodor zur Geltung gekommenen Systeme (dein
auch Hephaestion sich angeschlossen), werden solche Mischungen nach 6syl-
bigen Versfussen gemessen: dem Jonicus a majore, Jouicus a minore, Choriam-
bus und Antispast, wobei für die Jonici eine Licenz statuirt wird, welche sie
im Gebrauche der ungemischten Metra nicht haben; analog auch für den zu
ungemischten Metren überhaupt nicht verwandten Antispast:
für -~> w die Licenz ^ - ^ ^
für ^ ^ die Licenz s-> <w — ^
für w w die Licenz Z Z .
Indem man diese Licenzen statuirte, hatte man eine ausreichende Nomenelatur
für alle Mischungen mit nur Kinem 4 zeitigen Fusse: doch müssen wir wohl
bedenken, dass es sich bei Heliodor und Hephaestion nicht mehr um die rhyth-
mische Bedeutung der Versfüsse, sondern bloss um das Sylbeuschema handelt.
In der folgenden Uebersicht der Mischungen mit nur Kinem vierzeitigen
Fussc unterscheiden wir die thetischeu und die anakrusischeu Mischungen: in
jenen beginnt das Kolon mit einer Thesis, in diesen mit einer Anakrusis. Zur
leichteren rhythmischen Orientirung scheiden wir, wie es in unserer Musik ge-
schieht, die Anakrusis von dem Folgenden ab und gewinnen dann daktylische
Versfüsse statt anapat-stischcr. So erhalten wir eine übersichtliche Nomenelatur:
Thetische Mischungen:
1. Choriambikon j. w ^ x w j. ^ i
2. Antispastikon ^.Z ±^> ^ j.
3. Kpichoriambikou x^s^s ^^i
Anakrusische Mischungen:
1. Jonikon apo meizouos Zj.^^z^i^s
2. Epionikon ap' elassonos Zs^i^^s^j.
/
3. Kpiouikon apo meizouos Z i w s Z j. ^ w j. .
D.h.: Mischungen Eines Daktylus mit 3zeitigen Versfüssen, des Daktylus
an 1. oder 2. oder 3. Stelle, entweder ohne vorausgehende Anakrusis (in den
thetischen Mischungen) oder mit vorausgehender Anakrusis (üi den auakrusi-
achen Mischungen).
Jede durch die Vorsatzsylbe „epi" gekennzeichnete Mischung \ Kpichoriam-
bikou, Kpiouikon ap' elassonos und apo meizouos) ist nach Hephaestion eine
,,kat' autipatheian muis", jede der drei anderen eine „kata syinpatheian mbds",
nach dem von den alten Metrikern aufgestellten Grundsätze:
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134
Aristoxenus rhythmische Elemente.
Beide Jonici sind mit dem Ditrochaeus verwandt, mit dem Diiambus
nicht verwandt.
Umgekehrt ist Choriambus und Antiapast mit Düambus verwandt, mit
Ditrochaeus nicht verwandt.
Dieser Grundsatz hat seine Richtigkeit für die ionischen Versfüsse, sofern
diese Bestandteile wirklicher ionischer Rhythmen sind : aber er ist durchaus
äusserlich in dem von den Alten statuirten Jonicus der daktylisch-trochaeischen
Mischungen, ebenso hat er für Choriamb und Antiapast gar keine Geltung.
Nichtsdestoweniger machen die Metriker diesen Grundsatz zum Eintheilunga-
Principe für die gemischten Kola, indem sie dieselben in Kola homoioeide und
Kola antipathe unterscheiden. Die Logaoidischen Daktylika und Anapaistika
werden von den Metrikern unter die Klasse der homoioeide Metra gezählt. Die
Classification der homoioeidü und antipathö (kata sympatheian und kat' anti-
patheian mikta) wird schwerlich früher als seit Hcliodor datiren. Mit der Ein-
teilung in Verafüssc der ersten und der zweiten Antipatheia haben diese kat'
antipatheian mikta sichtlich nichts zu thun.
Verliert in den Mischungen der ersten Antipatheia der hier von den Me-
trikern statuirte 6sylbige Versfuss die ursprüngliche rhythmische Bedeutung,
so gilt ein Gleiches auch für die hier von den Metrikern aufgestellte Theorie
der Apothesen (des Auslautes). Was dem Rhythmus nach katalektischer Aus-
gang ist, wird hier als akatalektiseher gefasst; der dem Rhythmus nach brachy-
katalektische Ausgang heisst bei Hephaestion katalektisch; der dem Rhythmus
nach katalektische heisst bei Hephaestion brachykatalek tisch. Die Logaöden
dagegen werden bei Hephaestion bezüglich ihrer Apothesis dem genauen rhyth-
mischen Werke nach benannt:
akatalekt.
»
— V-/ ^
— \J Sj
— \J
_ w ^
- SJ —
\J —
— ^ \J
— \J \->
— \J
- \J w
<- _
_ ^ _ w
—J >*. '
[hyperkatal]
katalckt.
[akatalekt]
brachykatalekt.
[katalektisch].
Gerade so wie bei den logaödischen Daktylika härten die Theoretiker
auch bei den Choriambika die Apothesis benennen müssen.
Asynartetische Mischungen.
Wie Hephaestion zwei Arten d<r Mischungen unterscheidet, homoioeide
und antipathe (d. i. kata sympatheian mikta und kat' antipatheian mikta), so
nimmt er auch für die Asynarteten eine Klasse der homoioeide und eine Klasse
der antipathö an. Auch als Asynarteten haben die letztereSi (die antipathe) nichts
mit dein Unterschiede der Versfüsse erster und zweiter Antipatheia zu thun.
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H. 4. Takt-Schema.
135
Hat ein metron homoioeides und antipathes eine inlautende Katatelexis,
so ist es ein Asynarteten homoioeides und Asynarteten antipathes. Der Unter-
schied beider Arten von Mischungen ist selbstverständlich bei den Asynarteten
eben so ftusserlich und bedeutungslos, wie bei den Synartetika.
Da sich die Apothesen der gemischten Kola in der Nomenclatur der Me-
triker verschoben haben, so muss diese falsche Benennung natürlich auch bei
den gemischten Asynarteten sich geltend machen. Das Metron Priapeion
j. — j. ^ s ^ i | j. — i ^ ^ s j. Heph. 10,
■fjptcTfjaa jjteN itploy | Xezroy ptxp&v droxXa;
sollt«, da sein erstes Kolon seiner wahren rhythmischen Beschaffenheit nach
ein katalektisches ist, ein dikatalcktisches Asynarteton sein, aber die Metriker
sehen das erste Kolon als ein akatalek tische« an (vgl. oben S. 134) und so wird
das Priapeion in die Klasse der nicht asynartetischen Metra gezählt.
Dagegen die M«*tra
j. ^ ^ j. ^ i ^ | x j. ^ j. ± Heph. 15, 17,
5X£te -fajj.ßp£, aoi fisv | 5i| fapiov, (öc apao
und
J.^ L wv-» J. ± | J.^ £\J^
avopec, np<5ay e-e tövvojv | £;ejpT]p.aTt xawp, Heph. 15, 14
werden in die Klasse der dikatalektischen Asynartete gezählt (Heph. 15, 14),
denn beide Kola gelten den Metrikern als katalektische (sie sind eigentlich
brachykatalektisch ).
Dagegen werden die Verbindungen eine« choriambischen Dimetrons mit
einem trochaikon zu den Asynarteten gezählt Heph. 15, 12, 13
j.^^i^i^>± | ± ^ j. ^ j. j.
tov fiupoTtotöv fyVV I ^tparriv et xojx^oci
XUUjr^I^i | J_<~> £\J ±
Eüic xwoo/arr ava; | yotp' l^aix' 'Kxfpavrlor,;
Da hier der Choriamb mit den (im zweiten Kolon folgenden) Trochaeen
verbunden ist, so gehören die beiden nach Hephaestiou in die Klasse der kat'
antipatheian mikta. Aber weshalb heissen sie Asynarteta? Wohl nur deshalb,
weil hier dieselbe iambisch-trochaeische Aufeinanderfolge
_ _ W _ _
wie in
fveor 'AroXXtuv tüj yopvi' rf,; Xupr,; dxoja>.
Episynthetische Metra.
Während bei einer Mischung in ein- und demselben Kolon 3-zeitige und
4-zeitige Versfüsse vereint sind, sind bei einer Episynthesis die zu einem Metron
verbundenen Kola ein jedes ungemischt , das eine aus 3-zeitigen, das andere aus
4 -zeitigen Versfüssen. Beispiele episynthetischer Metra nach Hephaestiou 15, 1 —7.
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136
Aristoxenu8 rhythmische Elemente.
Nr. 1. Z/j.^^j.^^j.~\±^jj.^>j.Z<
EpaOfxovtÖTj XapiXac | ypf,fj.d toi f«Xotov.
e'joai|xov' £tixt£ os n^TTjp | Ixpluiv ^ö^pr,«;.
Nr. 2. x^^z — — z^^'i^^lz^z^^w
OGx £tV ö|j.ö>; ttdXXet; draXöv yp<ia, | xdp^CTat fdp 7(5rr
xal ,3^330; opsor* o-jcnaHtdXovc | oioc f(v Tjjif,;.
Nr. 3. — ^ ^/ - ^ v> — _ | _ ^ _ ^ — w —
dX).d [V ö XustfAeXy,;, a> j 'raupe, odfivxrat zofto;.
Nr. 4. — ^ ^ — w - — | - ^ — _
TH p ttt AtNopi^Yi; tüi | Tuppaxyo
Tdp(a£va XajATtpd x£ar £v | jAjpnv^tu.
Nr. 5. — — ^ — - | — w ^ — \j ^ —
-päixov jxr; eüjVjv- ! Xov fUfjiev ojoavtav.
Nr. G. — |_v^__
yatpe -aXato^oviuv dvo^iov Seativ cvXXcqe ravros^mv.
Nr. 7. — — w__j_wv-/_v^^
fi; /.al rj-el; dp<"» -eXiv.ei -A/xxo £av8dv 'AÖdvav.
Es ist möglich, dass in diesen episynthetischen Metren auch je zwei der
sich durch Verschiedenheit der Versfüsse scharf abscheidenden Bestandtheile ein
einheitliches Kolon gebildet haben, z. B. in Nr 4 ein pentapodisches Kolon,
ehenBo in Nr. 5. Analog auch in Nr. 6 und 7. Immerhin aber lassen sich die
Bestandtheile auch als selbstständige Kola fassen.
Hephaestion rechnet sämmtliche Episyntheta unter die Klasse der asyn-
artetischen Metra. Die Asynarteta der beideu übrigen Kategorieen, die unge-
mischten und gemischten, waren sämmtlich solche, welche im Inlaute eine
Katalexis oder Braehvkatalexis hatten. Dies weisst darauf hin, dass auch die
dritte Kategorie, die Episyntheta, da sie Asynarteta genannt werden, eine inlau-
tende Katalexis oder Braehvkatalexis haben, also z. B. Nr. 1 :
Nr. 3 eine inlautende Brachykatalrxis:
ebenso Nr. 4:
Nur eines der von Hephaestion aufgeführten Episyntheta scheint im In-
laute keine Katalexis zu haben, nämlich Nr. 2, vielleicht auch Nr. 5.
B. Metra der zweiten Antipatheia.
I. Metra 6-zeitiger Versfüsse:
Ionika apo meizonos jl — w ^ ± - ( — )
"HpTjv TtOTe <paoiv Heph. 11
T(; rijy u&pbjv U|aö>v.
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IL 4. Takt-Schema.
137
Ionika ap' elassonos ^ \j ± — \j ^ j. ( — )
Tioe Mmjcu xpovcire-Xot Heph. 12
2t/.eXö; xojjl<|;6; dvf,p.
Choiiambika - ^ z - ^ - j. -
Aeinä (tev ojv, oetvd tapäsaet Oed. R. 483.
Ueber die Accentuatiou und den Gebrauch der ungemischten 6-zeitigen
Choriambika s. oben S. 74. Am häufigsten Bind die Ionika ap' elassonos, sel-
tener die Ionika apo meizonos; die Cliorianibika als ungemischte Kola 6-zeitiger
Versfüsse kommen nur isolirt unter anderen Kola des ionischen Rhythmus vor,
niemals in continuirlicher Rhythmopoeic, s. a. O.
Unter die 6-zeitigen Verstösse (ionischer Rhythmus) werden die gleich
grossen Ditrochaeeu eingemischt:
Tic r^v uopbjv jfitüv I tyfyrj- Ifai riwiv Heph. 11
± — —
Der Ionikos apo meizonos wird mit <len Ditrochaecn so gemischt, dass
statt seiner wie Hephaestion sagt, ein fünfzehiger Paion tritos substituirt und da-
rauf folgend ein Kpitritog deuteros angenommen wird S. 71. Man nennt diese
Art der Mischung mif einem eigenen Terminus ,.Anaklasis", das Kolon in wel-
chem dieselbe vorkommt ein ..anaklomenon"
AtA [aoi Havctv y^voit * o'i ydp *n
^ ^ 2 ^ — \j j. — \s ± —
V . y .' ^_ /
Nach dem Schema dieser gemischten Ionika fasste man <lie oben S. 182
angeführten Mischungen der ersten Antipatheia als gemischte Ionika oder Epio-
nika ap' elassonos, indem man auch für diese die Freiheit der Substitution
eines 5-zeitigeu Paion mit folgendem Epitritos deuteros annahm d. h. die eine
Länge des Ionikos ap' elassonos werde in die Kürze umgewandelt
Unter Annahme derselben Freiheit, die erste Länge des Ionikos mit der
Kürze zu vertauschen, führte man nun auch die anakrusisch anlautenden
Mischuugen der ersten Antipatheia auf gemischte Ionika apo ineizoncs zurück
( vgl. oben S. 133.)
Wie man die anakrusisch anlautenden Mischungen der ersten Antipatheia
als Ionika und Epionika schematisirte , so wandte man auf die thetisch anlau-
tenden das Schema des Choriamb an und nannte sie gemischte Choriambika
und Epichoriambika,
Auch die thetisch anlautenden Mischungen , welche an zweiter Stelle den
Daktylus hatten, wurden in dem von Varro vertretenen Systeme ab Jonika
gemessen:
•/aip' u» /pvoöxepai;, ^(Jax-ra, xt/iuv
± — l 1^1 —
indem der anlautende Spondeus zusammen mit der Lünge des ersten Daktylus
als Molossus gefasst wurde. Man ging also, indem man das mit einem Molos-
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138
Aristoxcnus rhythmische Elemente.
Bus anlautende ionische Schema auf die trochaeisch- daktylischen Mischungen
übertrug, von der spondeischen Form der von Hermann sogenannten Basis aus
und musste dann für die trochaeische, iambische oder pyrrhichische Form der-
selben die Licenz des Wechsels des Molossus — — — mit den Versfüssen
— u — und ^ und ^ w — als Gesetz annehmen (d. h. der Molossus wech-
selt mit dem Creticus, dem Bakchius, dem Anapaest)
j. — j. x ^ J.
x 1
V '
s /
Mit dieser Varronischen Messung kam man, wenn man anders die Vere-
füsse nur dem äusseriichen Sylbcnschema nach, nicht dem rhytlunischcn Werthe
nach zu bestimmen sich begnügen wollte, ebenso gut und besser aus, als wenn
man für die vorstehenden Kola die antispastische Messung anuahm. Heliodor,
der die antispastische Messung aufbrachte, hat sich damit um die Theorie der
Metrik schlecht verdient gemacht Handelt es sich bloss um eine Nomenclatur
des Sylbenschcmas, nicht um den Khythmus, so darf man die choriambische,
epichoriambische, ionische, epiouische Messung der betreffenden Kola bequem
beibehalten. Aber mit Heliodors antispastischer Messung ist es anders: sie ist
nicht bequem , sondern möglichst unbequem , da sie in vielen Fällen mit den
Caesuren in Widerspruch steht, z. B.
T)XÖe; ix irepdxrov | ^äc, eXetpavxlvav. k
Heliodors Erfindung der antispastischen Messung hat Hephaestiou zum
Schaden der metrischen Theorie adoptirt: sie muss aus ihr wieder entfernt
werden, wie dies schon G. Hermann und ihm folgend Boeckh gethan hat. Den von
Varro gebrauchten Terminus ionisch für das schlechte Heliodorische Antispastikon
wollen wir nicht wieder einführen, doch werden wir für diese Mischung den Termi-
nus „Glykoneische Mischung" anwenden dürfen, vom glykoncischen Dimetron bis
zum glykoneischen Trimetron, und wollen nicht minder für die glykoneische, wie
die choriambische, epichoriambische, epionische und ionische Mixis die Apothesis-
Terminologie Hephaestions nachdem S. 134 Angegebenen berichtigen. Auch He-
phaest. 16 wird ,,Glykoneionu in einem weiteren Sinne (für die polyschema-
tistisch mit dem Glykoneion zu vertauschenden Schemata z. B. das Epichoriam-
bikon) gebraucht. Doch stehen wir vou unserem früheren Vorschlage ab, von
einem ersten, zweiten, dritten Glykoneion im Sinne des Epichoriambikon, Anti-
spastikon und Epichoriambikon Hephaestions zu reden. Wir behalten Hephae-
stions „Choriambikon und Epichoriambikon" bei, ebenso auch das Epionikon
apo meizonos und ap' elassonos. Das in dieselbe Kategorie gehörende Jonikon
„tnikton" kennzeichnet sich durch diesen Zusatz als eine Mischung der ersten
Antipatheia, da wir für die wirkliche rhythmische Mischung des 6 zeitigen Jo-
nikus mit dem 6zeitigeu Ditrochaeus (der zweiten Antipatheia angehörig) den
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IL 4. Takt-Schema.
139
von den Metrikern überlieferten Terminus Jonikon „auaklomcnon" in Anspruch
nehmen.
II. Metra 5-zeitiger Versfüsse.
Das ganze Genos nennt Hephaestion das paeonische, welches 3 Eide habe :
das kretische j. ^ — j. ^ — oder — w j. — \J j.
das bakcheische ^ ± — o ± —
das palimbakcheische ± — ^ j. — ^ oder — x ^ — ± ^
Das kretische soll nach ihm tauglich zur Melopoeie sein, die beiden an-
dern nicht. Das palimbakcheische kommt freilich sehr selten vor, das bak-
cheische ist häufig genug, denn die Dochmien können nach Aristoxeuus nichts
anderes als katalektische bakcheische Dimetra sein (s. S. 46. 47), während sie
Hephaestion (mit Heliodor) als antispastische Metra ansieht, eine Auffassung,
die gerade so viel werth ist, wie die antispastische Auffassung der Glykoneien.
Wir halten das Hepbaestioneischc System der Metrik, mit Ausnahme aller
von ihm aus Heliodor adoptirten antispastischen Messungen für durchaus ge-
rechtfertigt, speciell die Hephaestioneischen Sylbenmessungen, dass jede Kürze
eine eiuzeitige, jede Läuge eine zweizeitige ist.
Die eine Ausnahme erleidet dies Sylbengesctz in der Katalexis, in
welcher wie Aristidcs sagt, eine Pause eintritt, oder wie wir aus den notirten
Hymnen des Mesomedes wissen, die Katalexis-Sylbe eine Verlängerung über
die Zweizeitigkeit hinaus erleidet.
Wie gross die Pause oder die Verlängerung sein muss, wissen wir jedes-
mal genau. Aber ob Pause oder ob Verlängerung eintritt, wissen wir im ein-
zelnen Falle nicht genau, ist für uns, die wir doch das antike Melos nicht aus-
zuführen haben, auch gleichgültig. Die einzigen Uebelstände bei Hephaestion
bezüglich der Katalexis sind die beiden folgenden:
1. Bei den gemischten Daktylo-Trochaeeu sind die Hephacstiouischen
Apothesis- Bestimmungen nur für die Logaöden richtig, für die anderen Mi-
schungen unrichtig, indem hier eine bestimmte Verschiebung derselben statt
gefunden hat: das dem Rhythmus nach akatalektischc wird „hyperkatalektisch",
das katalektische wird „akatalektisch", das brachykatalektische wird ,,katalek-
tisch" genannt
2. für die inlautende Katalexis der 4 zeitigen und 3 zeitigen findet bei
Hephaestion stets eine Verwechslung der katalektisch-daktylischen Dipodie mit
dem das gleiche Sylbenschema darbietenden Choriambus statt:
i i j.^^ i | j. i ^ ± ^> j.
enthalt nach Hephaestion auch in dem anlautenden Kolon zwei „6 zeitige"
Choriamben, obwohl dasselbe ein dikatalektischcs Dimetron daktylikon ist
Der wirkliche Choriambus ist ein 6 zeitiger Versfuss (Hephaest 3) und er-
scheint als solcher im Vereine mit ionischen Rhythmopoiien (vgl. oben S. 74);
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140 Aristoxenus rhythmische Elemente.
was Hephaestion einen Choriainb nennt, ist entweder eine katalektisch-dakty-
lische Dipodie und hat dann einschliesslich der Pause ein 8 zeitiges Megethos,
oder der Choriamb Hephaestions ist metrischer Bestandteil eines Kolons wie
V J V /
eine Auffassung die, wie schon Boeckh sah, dem Rhythmus so wenig wie mög-
lich Rechnung tragt, die man sich aber immerhin für die Nomenclatur gefallen
lassen kann, wenn es sich darum handelt, nur das betreffende Sylbeuschema
zu bestimmen. Auch dieser Choriambus muss ein 6 zeitiges Sylbeusehema dar-
stellen, da die Kürze eine einzeitige, die Länge das Doppelte derselben ist.
Aehnlich wie \ lephaestion , wenn er katalektisch - daktylische Dipodieen
mit Choriamben verwechselt, macht es Heliodor, wenn er fünfzeitig paeoniwhe
Cretiei für 6 zeitige „Baseis" mit einer Pause erklart. Sehol. ad Hephacst. c. 13.
Die zweite Ausnahme erleidet die Hephaestionische Regel, dass die
Kürze 1 zeitig, die Länge 2zeitig sei, in den unter die Troclmeen oder die .Jamben
eingemischten Epitriteu, welche Hephaestion für 7 zeitig erklärt, dem Aristoxe-
nischen Berichte gemäss aber nur ߣ zeitig sein können.
Die einfachen, zusammengesetzten und gemischten
Rhythmen nach Aristides Qnintilianns.
Wo sich Aristides in seiner Darstellung der Rhythmik des Wortes -r»j;
zur Bezeichnung des Verstosses oder des Kolons bedient , da schöpft er aus
einer Darstellung, welche der Aristoxenus möglichst verwandt ist (aus dem
Auszuge, welchen einer der bei Ptolemacus u.a. sogenannten Aristoxeneer aus
dem Werke des Meisters gemacht hatte); wo dagegen Aristides zur Bezeich-
nung der beiden Begriffe das Wort puÖu';; gebraucht, da ist seine Quelle eine
andere. Wenigstens ist der Gebrauch der beiden Worte das fast regelmässige
Kriterium für die Unterscheid ung der beiden Quellen. Die zweite Quelle (B)
bezeichnet Aristides durch: ,,0l O'jtiTrX^xovTE; r?j fiexpix-Tj öempla rept ji'ji)-
p.ä>v", die andere, auf Aristoxenus zurückgehende Quelle (A) heisst bei ihm
Ol youplCovre;".
Nach dem Berichte der Quelle B theilt Aristides die Rhythmen in ein-
fache | unzusammengesetzte), in zusammengesetzte, in gemischte Rhythmen.
I. Einfache oder unzusammengesetzte Rhythmen sind diejenigen,
welche Einem Rhythmengesehlechte folgen, z. B. die vierzeitigen
— \J \J
II. Zusammengesetzte Rhythmen sind diejenigen, welche zwei oder
mehreren Rhythmengeschlechteu folgen; sie sind entweder
1. zusammengesetzt kata syzygian aus zwei einfachen und un-
gleichen Versfüssen, z. B. die aus zwei daktylischen Versfüssen zusammen-
gesetzten
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II. 4. Takt-Schema. 141
*
, Jonikos apo mcizonos,
Jonikos ap' elassonos ;
die aus zwei Versfüssen des iambisch»-n Rhythmengesehlechtes zusammenge-
setzten
^ — , — w erster Bakcheios,
— ^, ^— zweiter Bakcheio».
2. Zusammengesetzt kata periodon aus mehr als zwei Versfüßen
zusammengesetzt, z. H. die aus 3 Versfüssen
-v./, Prosodiakos Rhythmos,
aus 4 Versfiissen
w-, ow, _v_/, Prosodiakos Rhythmos,
«ler aus 2 Syzygieen
o^/, Prosodik6s Rhythmos;
ferner die zusammengesetzten 12 zeitigen Rhythmen:
a) Rhythmen aus 1 Jambus und 3 Trochaeen:
w \y — \j - \y Trochaios ap' iatnbu
— — ^> — ^ — Trochaios apo bakcheiu,
— \j — \^>^ \^ Bakcheios ap' iambu,
— \> — ^ — Jambos epitritos.
b) Rhythmen aus 1 Troeharus und 3 .Jamben:
_v^v»/_n^_v^_ Jambos apo trochaiu,
w Jambos apo bakcheiu,
^ — ^ ^ ^ — Bakcheios ap' iambu,
w — w _ ^ v-/ Trochaios epitritos.
ci Rhythmen aus 2 Trochaeen und 2 Jamben:
^ - ^ einfacher (erster) Bakcheios ap' iambu,
_v_/_v_/w_^_ einfacher (zweiter) Bakcheios apo trochaiu,
^ v^-^w- mesos Trocliaios,
_^r^_w w mesos Jambos 'IWhaios.
In dieser befremdlichen Nomonclatur erklärt sich die Bezeichnung „Bach-
cheios" aus den vorhergehenden Benennungen des Choriambus und Antispast.
Die ganze Anschaung, die dieser Messung nach zweisi lbigen Versfüsseu zu
Grunde liegt, hat schliesslich die Hephaestionische Messung nach 4sylbigen
Versfüssen zu ihrer Voraussetzung, die man in dieser Messung des Aristides
in je zwei 2sylbige Versfüsse getheilt hat. Auch bei den Metrikern kommt
theilweise etwas älinlichcs vor.
3. Gemischte Rhythmen sind nach Aristides solche, welche bald in
Chronoi, bald in Rhythmoi aufgelöst werden, wie die 6 zeitigen. Aristides zählt
derselben sechs auf:
— - w aus einem Trochacus als Thesis und einem Trochaeus als Areis,
s- _ — Jambus als Thesis, Jambus als Arsis,
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142
Aristoxenus rhythmische Elemente.
_ w ^ _ Trochaeus als Thesis, Jambus als Arsis,
^ ^ Jambus als Thesis, Trochaeus als Arsis,
-Z — Z Troch. alog. als Thesis, Troch. alog. als Arsis,
Z - Z - Jamb. alog. als Thesis, Jamb. alog. als Arsis,
Die Bestandteile dieser Dipodieen sind also entweder Chronoi d. i. Thesis
und Arsis, oder Versfusse. Im ersteren Falle sind sie „in Chronoi aufgelöst"
(das ist der Fall bei der Hephaestioneisehen Messung nach 4sylbigeu Vers-
füssen) und bei Aristides drittem Prosodiakos; im zweiten Falle sind sie „in
Versfusse aufgelöst" (das ist der Fall in den 12zeitigen Perioden des Aristides).
Gemischt im Sinne des Aristides ist also dasjenige, was bei Hephaestion
xoivi; heisst, vgl. dessen xotvd xarä oy£otv: was auf zwei verschiedene Arten
in Strophen getheilt werden kann — mit einem Worte: was eine zweifache
Auffassung zulässt.
Zusammengesetzt im Sinne des Aristides ist dasjenige, was bei Hephae-
stion gemischt heisst.
Unzusa minengesetzt oder einfach im Gebrauche des Aristides wird vou
Hephaestion xaftapöv oder ijAoioeioe; genannt.
In dem zweiten Buche des Aristides wird das Ethos der Rhythmen be-
schrieben p. i>7 — 100 Meibom. Hier heisst es von den zusammengesetzten
Rhythmen :
Die zusammengesetzten Rhythmen sind leidenschaftlicher,
weil meistenthcils die (einfachen) Rhythmen, aus denen sie be-
stehen, sich als ungerade ergeben,
Gerade (daktylische) Rhythmen bilden die Bestandteile der zusammen-
gesetzten Joniker (welche nach Aristides Erklärung aus Pyrrhichius und
Spondeus bestehen), ungerade (iambische und trochaeische) Rhythmen
bilden die Bestandtheilc der 12zeitigen kata periodon zusammengesetzten
Rhythmen.
und viele Aufregung dadurch zeigen, dass nicht einmal die Mege-
thos-Zahl, welche in den Versfüssen enthalten ist, dieselbe Ord-
nung bewahrt, sondern bald mit der Länge anlautet, mit der
Kürze auslautet oder umgekehrt, bald von der Thesis, bald vou
der Arsis aus die Periode ausführt;
z. B. die 3 zeitigen Versfusse:
bald w-, - ^, — - <~s
bald v_/_, w— , w _.
In einem höheren Grade noch haben diesen Eindruck die aus
mehr als zwei Rhythmen bestehenden, denn grösser noch ist
hier die Anomalie. Deshalb bringen sie, wenn sie mannigfaltige
Körperbewegungen veranlassen, die Seele in nicht geringe Un-
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II. 4. Takt-Schema.
143
ruhe. Die bei einem Rhy thmengeschlechte beharrenden verur-
sachen geringere Bewegung, die in andere Rhy thmengeschlechter
übergehenden ziehen die Seele bei jeder Aenderung in heftige
Mitleidenschaft, zwingen sie zu folgen und der Mannigfaltigkeit
conform zu werden.
Deshalb sind unter den Bewegungen der Arterien diejenigen,
welche dasselbe Eidos bewahren, doch bezüglich der Zeitdauer
einen kleinen Unterschied machen zwar unruhig, aber nicht ge-
fährlich. Diejenigen freilich, welche bedeutend in den Zeiten
wechseln und gar die Taktarten verändern, verursachen Furcht
und Schrecken.
Auch wer beim Gehen gehörig lange und gleiche Schritte
im Spondcustakte macht, der wird Ehrbarkeit und Männlichkeit
verrathen; wer gehörig lange aber ungerade Schritte macht im Tro-
chaeen- und Paconen-Taktc, der zeigt sich feuriger als sich ziemt;
wer kurze und ungerade Schritte geht, nach der Weise irratio-
naler Rhythmen, der wird sich als gänzlich schlaff erweisen; wer
ganz kleine Schritte im Pyrrhichius-Takte geht, der erscheint
niedrig und unedel; wer ohne Ordnung bald diese bald jene Arten
von Schritten macht, erscheint nicht recht bei Sinnen und geistes-
verwirrt
Das Recurriren des Aristides auf die Rhythmen des Pulsschlages und
des Gehens lässt keinen Zweifel, dass er auch bei den vorher von ihm nach
ihrer Chronos-protos-Zahl bestimmten Rhythmen an wirklich rhythmische Mes-
sungen denkt; der betreffende roy; jaixto«, den er als egaoTjtio« hinstellt, soll
in Wirklichkeit das Mass von 6 Chronoi protoi haben:
6
3 3
der betreffende 12 zeitige Rhythmus soll das Mass haben
12
, — ■ v
Z^,' ^SZ1 ^ •
3 Y 3
Aristides verfährt darin genau wie Hephaestion, dass er jede Kürze als
1 zeitig, jede Lange als 2 zeitig fasst, und dass er ebenso wenig wie dieser die
durch die Katalexis verursachte Zeitdauer bei Keinen Gcsammtzahlcn in Mit-
reehnung bringt. Dem Aristides ist es gerade so Ernst damit wie dem He-
phaestion, dass die Sylbenmessungen buchstäblich genau genommen werden
sollen, wenn dieser lehrt, dass das Epiehoriambikon (12zeitige Rhythmus des
Aristides.) zu messen sei
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144
Aristoxenus rhythmische Elemente.
/
6 6
Choriamb. Diamb.
Der ganze Unterschied zwischen beiden besteht darin, dass Hephaestion
nach 6 zeitigen 4sylbigen Versfussen eintlieilt, Aristidea dagegen den 4sylbigen
Versfuss halbirt und daraus zwei 2sylbige 3 zeitige Füsse erhalt. Bei dem einen
haben diese Messungen so wenig wie bei dem anderen mit rhythmischen Ab-
schnitten der betreffenden Kolons zu thun.
Auch mit dem zweizeitigen Versfusse ist es dem Aristides Ernst: im Jonieus
z\ü> ZZ
und im Prosodiakos
^-f
3 2 3 3
wo Hephaestion misst:
^ . - >
5 6
Dass man zu irgend einer Zeit in dieser Weise die Rhythmen taktirt
habe, wollen wir nicht behaupten; aber die Theorie (bei Aristides die Theorie
derjenigen, welche Metrik und Rhythmik verbanden) lehrte es so und verstaud
unter Rhythmen im Allgemeinen genau dasselbe, was wir Takte (einfache oder
zusammengesetzte) nennen. Eben diese Rhythmen hat Aristides im Sinne,
wenn er im zweiten Buche von dem Ethos der einfachen und zusammenge-
setzten Rhythmen die oben angeführten Erörterungen vortragt. Die im Eidos
wechselnden Rhythmen sind eben jene 12 zeitigen
eben diese Rhythmen tund es, welche je nach dem geringeren oder grösseren
Wechsel der einfachen Verstösse, aus denen sie bestehen, „die Seele in nicht
geringe Unruhe bringen und bei jeder Aenderung in heftige Mitleidenschaft
ziehen»" Baiungart hat zwar Recht, dass sich die Darstellung des Aristides
mitunter in einer nicht sehr klaren Phraseologie bewegt*), aber für die vorlie-
gende Stelle vom Taktwechscl haben wir keinen Grund dem Aristides nicht zu
glauben, dass die Griechen so gefühlt haben. Es stimmt das gar zu sehr mit den
von G. Hennann aus dem Inhalte der Pindarischen Oden gemachten Beobachtun-
gen von der grösseren Ruhe der im episynthetischen Metrum, mit der grösseren
Bewegung und Leidenschaftlichkeit der im gemischten Metrum gehaltenen Ge-
sänge. Den fein fühlenden Sinn der Griechen afficirte ein gemischtes Metrum
*) Vgl. Baumgart p. XXIV des mehrfach citirten Programms: „Zuletzt
wird hier (beim Trochaeos semantos) Aristides vor lauter Gefühl so unklar im
Ausdruck, dass man denken könnte
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II. 4. Takt-Schema.
145
\S \J \J ~ \J — _ ^ _ v_/ \^
anders als ein episynthetisches
_ \s w _ .
In «lern gemischten Metrum fand in der That ein Wechsel des Rhythmus
und der Versfüss«! fühlbarer statt als im episynthetischen , wenn gleich die
Versfüsse anders gefasst w erden müssen, als Aristides und Hephaestion, mecha-
nisch das Sylbenschcma berücksichtigend, sie angeben. Dem Maasstabe un-
serer modernen rhythmischen Theorie und auch der Theorie des Aristoxenus
kommen wir näher, wenn wir in dem gemischten nicht weniger wie in dem
episynthetischen Metrum 4 zeitige daktylische und 3 zeitige trochaeische Vers-
füsse absondern, die zwar dem Zeitinegethos einander genau gleich sind, aber
durch die Taktart »ich von einander unterscheiden-, denn die 3 zeitigen sind
immer ungerade Versfüsse, mit diplasischer Gliederung, die gleich grossen 4 zei-
tigen sind imir.er gerade Versfüsse mit daktylischer Gliederung. Schon das
"Vorwalten der Szeitigen Versfüsse mit diplasischer Gliederung macht die ge-
mischten Kola bewegter, wie Aristides 98 M. sagt: -aÖTjTtxcfcxepol t£ riat TtJ) xata
tö irXetorov ?ou; i\ u>v cj^eWrai p^Dfxojc h dvw6r/)Ti OeoipetsÖat. Das sagt Ari-
stides von den „^jftpol ouvfoToi", welche genau dasselbe sind wie die gemischten
Kola des Hephaestion.
Die „Sjllabae longig longiores" and „brevibus brevioreB"
nach Dionysius und den Metrikern.
„Dass die Kürze eine einzeitige, die Länge eine zweizeitige Sylbe ist,
«las wissen auch die Knaben" sagt Fabius Quintiiianus nach Aristoxenus. Das
ist auch die Lelire des Hepliaestioneischcn Encheiridion. Aber es gab auch
Lehrbücher, in welchen der Satz von einer Kürze, welche kürzer als die Kürze
sei, von einer Länge, welche länger als die Lange sei, ausgesprochen war,
vermuthlich auch in einem der umfangreicheren Werke des Hephaestion. Die
älteste der uns erhalteneu Quellen, welche jenen Satz überliefert, ist die Schrift
des Dionysius de compositione verbomm; die zweite sind Longins l'rolegomcna
zu dem Encheiridion Hcphaestions; dann wird dasselbe von lateinischen Me-
trikern, Marius Victorinus und Diomedes berichtet, fast überall mit nahezu
denselben Worten, so dass eine gemeinsame Quelle (Aristoxenus V) , aus der
auch schon Dionysius geschöpft hat, zu Grunde liegen muss:
Die Rhythmik und Musik verändert den Zeitwerth der Sylben durch Ver-
kürzung und Verlängerung, so dass die Kürzen tmd die Längen in ein-
ander übergehen: oft macht der Rhythmus die Kürze zur Länge, die
Länge zur Kürze, es giebt syllabac „brevibus breviores" und syllabae
„longis longiores", (Kürzen, die kürzer als die Kürze, und Längen, die
länger als die Länge sind).
Ariatoxenui, Melik u. Rhythmik. 10
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140
Aristoxenus rhythmische Elemente.
Dies ist der Inhalt der Stellen, die wir weiter unten (S. 149. 150) im Ein-
zelnen aufzuführen haben. Zunächst wollen wir die verschiedenen Sylben, die hier
genannt sind, an dem oben herbeigezogenen l*raeludium Bachs, welches als das
Beispiel zu dem Sylbengesetze des Aristoxenus gelten muss, nachweisen. Denn
alle die jetzt in Rede stehenden Angaben über die Sylbendauer halten sich
durchaus innerhalb der Grundregel des Aristoxenus.
Die Bachsche Compositum, deren Chronoi mit Aristoxenus Forderung
übereinkommen, hat eine Verzeichnung , welche zwei verschiedenen Takten,
12
a) dem C- Takte (daktylische Tetrapodie) und b) dem ~ - Takte (trochaeische
Tetrapodie) gemeinsam ist.
a) Gehen wir von dem Vorzeichen des C- Taktes aus (der Tetrapodie
aus vier 4 zeitigen Füssen), dann ist die Kürze des Daktylus als Chronos
protos aufzufassen und als rhythmische Maasseinheit = 1 anzusetzen. Die Kürze
des Trochaeus ist alsdann das *3 -fache des Chrom« protos (— V;s Chr. pr.i
\_/ ^ \J —
n ii n n u n n n n
4
4
12
b) Gehen wir von dem Taktvorzeichen -— aus (der Tetrapodie aus vi«-r
ö
3 zeitigen Füssen), dann ist die Kürze des Trochaeus als Chronos protos
aufzufassen und als Einheit i — 1) anzusetzen; die Kürze des Daktylus ist dann
s .4 des Chr. pr.
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II. 4. Takt-Schema.
147
:<
3
S
3
Hiermit haben wir Material, um die verschiedenen Zeitgrössen, von denen
unsere Quellen reden, im Einzelnen nachzuweisen.
Syllabae longis longiores, Sylben, welche länger als die Länge sind.
Dies sind zunächst die Sylben der Katalexis: in a) die vierzeitige Länge der
daktylischen Katalexis, in b) die 3 zeitige Länge der trochaeischen Katalexis.
Ferner ausserhalb der Ktttalexis (im Inlaute de* Kolons): in a) ist die Länge
der Trochaeus = 2*/„ dir des Daktylus = 2; in b) ist die Länge des Trochaeus
= 2, während die des Daktylus nicht grösser als 1 '/* ist.
Rechnen wir noch die vom Anonym. Bellerm. § 1. 83 aufgeführte 5 zeitige
Länge hinzu, deren Verwendung wir leider nicht genau kennen, so sind das
die sämmtliehen sieben Längenwerthe , welche in der Melopoeie der Griechen
vorkommen können :
- 5 -zeitig (?) - 2-' a zeitig.
1 4 -zeitig — 21 i zeitig.
3 -zeitig - 2 zeitig.
- 1" .zeitig.
Die letztere hat zugleich die Funktion als leichter Takttheil des irrationalen
Trochaeus.
Das sind Längen, die wir auch in der modernen .^^lsik hören können,
denn wir finden sie (bi* auf die b zeitige) in jener Compositum des grossen
Meister Bach, welche genau dem Aristoxenischen Gesetze über die Sylbenwerthe
d« r griechischen Musik entspricht. Jeder andere Längeuwcrth würde dem
Aristoxenischen Sylbeugesetze widerstreiten (man mache die Probe!).
Syllabae brevibus breviores, Sylben, welche kürzer als die Kürze
sind. In a) ist die Kürze des Trochaeus eine l'/3 zeitige; die (kürzere) Kürze des
Daktylus eine 1 zeitige, in b) ist die Kürze des Trochaeus eine 1 zeitige, die kürzere
Kürze deB Daktylus eine :14 zeitige: denn die vier Kürzen des vierzeitigen (dak-
tylischen) Fusses nehincn denselben Zeitwerth ein, wie die drei Kürzen des
dreizeitigeu (trochaeischen Fusses).
Drei ihrer Zeitdauer nach verschiedene Kürzen sind es also, welche in
der griechishen Musik vorkommen können :
^ 1 '/s zeitig.
■>j 1 zeitig.
v> 3 '4 zeitig.
Für mehr als diese drei lüsst das Sy Ibengesetz des Aristoxeues keinen Raum:
man statuire irgend eine andere, es wird dieselbe, welcher Grösse sie auch
sei, dem Aristoxenischen Gesetze widerstreiten.
10*
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148
Aristoxenus rhythmische Elemente.
Trotz ihrer dreifach verschiedenen Dauer bleibt hier die Kürze in jedem ihrer
Werthe Chronos protos. Es geschieht, wie Aristoxenus in der dritten Harmonik
sagt, „otd t^v rf(; i^iaft^ ojvaaiv," wenn die als Chronos protos fungirende Sylbe
bald eine 1 zeitige, bald eine 1V3 zeitige, bald eine ^zeitige ist; wenn mit Einem
Worte im Schema des zusammengesetzten Taktes die einzelnen Verefüsse, aus
denen er besteht, ihr jedesmaliges Rhythmengeschleeht constant festhalten,
während die Zeitdauer derselben variabel ist. Das ist der Grund, weshalb
Aristoxenus in seinem Abschnitte von Chronos protos § 11 auf den Abschnitt
vom Taktecheina verweist: ,"0v öc tp^Trov X^et« toütov (töv ypovov TTp&Tov)
■f] alaörjou, sotvEpiv eOTai £ni täv tto&ix&v oyrnid?wv".
Auch in dem nach Aristoxenus Sylbengesctae rhythmisirten Präludium
ßaehs ist der Chronos protos in den daktylischen Versfüssen (des C-Taktes)
• «v 12
als * , in den trochaeischen (des g Taktes) als #N angesetzt. Natürlich soll
der als £ angesetzte Chronos protos nicht doppelt so gross sein wie der als
0 angesetzte. Vielmehr ist durch das Vorzeichen des pt>fyi.o; xoivö; genau
angegeben, dass
wemi man * als Chronos protos fasst, dass dann f = — Chr. pr.,
wenn man f als Chronos protos fasst, dass dann #^ = Chr. pr.
Noch zwei andere Wertlie der Kürze sind übrig, aber einer Kürze, jlie
nicht die Function des Chronos protos hat:
w 2 zeitig
l'/jj zeitig
Das ist die Doppelkürze, welche bei den Aeolischeu Lyrikern als Anfangs-
fuss eines gemischten Kolons steht, isodynamiach mit dem Spondeus, Trochaeus,
Jambus. Hephaest. c. 7.
"Kpoc oVjte pk*6 Xuoi|aeX^; Sovel
fXuxözixpov d(xdLyexov tfpTrsxov.
"Atöi, ool S^pLiBcv ja&v d7rf,yfttT0
tppovciooTjv, ItX ©"AvipofA^Scrv iz&Tfi
12
Bei dem Vorzeichen des ^uSfiö; xotvo; C - - sind die vierfach verschiedenen
Aufangsfüsse dieser 4 Kola zu messen:
"Epo; V fXux6 'AtOt cpocrioo.
\j — w o — w — —
J J J .N J J
Es ist kaum anders möglich, als dass der pyrrhichische Anfangsfusg des
:ieolisch-daktylischen Tetrametrons (2 dipod. Basen = 4 mouop. B.>, dasselbe
Maas« wie der spondeischc gehabt hat; bei der Messung nach dem Vorzeichen C:
—
2 2 2 2
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IV. Takt-Schema. 149
12
bei der Messung nach dem Vorzeichen — - :
ö
\j ^/ — —
ii. ii'
Dies muss derjenige Fall sein, welchen Dionysius in der gleich anzufüh-
renden Stelle im Auge hat, wenn er sagt: p.cTaßdXXoo3w aÜTd; aeioüaai xal
ai^ovaai, Aare roXXdxt; eu Td ivdvrta pteTayoupeiv, und desssen Longin mit den
Worten gedenkt: rcoXXdxt; yoüv xal tön ßpay!>v irotst (Aaxp4v. Hatte der Be-
richterstatter, dem Dionysius und Longin hier folgen, den Alcaeus und die
Sappho zu seiner Lieblingslectüre und seinem Lieblingsstudium gemacht, wie
dies Hephaestion in seinem Encheiridion entschieden gethan hat, so ist der
Ausdruck xoXXdxt;, den Marius Vietorinus ungenau durch plerumque wieder-
giebt (vgl unten), in seinem vollen Rechte, denn dort waren ja die pyrrhichi-
scheu Anfangsfüsse der Kola häufig genug.
Wir lassen nunmehr die ihrem Inhalte nach bereits erläuterten Stellen
auch ihrem Wortlaute nach folgen:
Dionys. Hai. de comp. verb. 11.
'H jiiv -eC?) Xs;t; «vjSenö; out ovdjxaTO; oute £r,}Jt.aTo; ßtd£ETat toj; ypövou;
oioe jjLtTaTlÄTiOiv, dXX ota; T.apt'O.rffe tt| tpuaet Td; ot>XXa£d; tc£; ts paxpd; xal
ßpa^Eta;, xotauTa; «pXdrrei. 'II og f>y&{jux^ xat (loyaix-fj fiETaßdXXouatv a&Ti;
[xctojsat xai oj;ouoat, &ote roXXdxi; e{; tos ivdvria txETa/mpetv. O^äp Tat; auX-
Xaßat; d-cu8uvouoi toj; ypdvob«, dXXd toi; ypövot; Ta; ouX&aßeU.
„Die Prosarede nimmt die Sylbenquantität sowohl beim Nomen wie beim
Verbnm, wie sie durch die Sprache an sich gegeben ist, ohne die Längen und
Kürzen in ein aus ihrer sprachlichen Natur nicht folgendes rhythmisches Maass
hineinzuzwängen. Die indische Poesie aber bestimmt die Sylben nach rhyth-
mischen Chronoi d. i. nach Zeitmaansen, welche aus dem Begriff des Rhyth-
mus folgen; sie verändert die natürliche Prosodic der Längen und der Kürzen,
indem sie diese bald über die Prosodie des Sprechens hinaus ausdehnt, bald
verringert, oft sogar in das Gegentheil übergehen lässt."
Lougin prol. Hephaest. § 6.
"En toIvjv Siac£p£t ^uÖjxoO tö (AtTpov, -Jj tö {jl£v (Airpov reitrjY^Ta; £yet toü;
yp<5voy;, (xaxpÄv te xat f*pa/6v . . ., 6 oe jw&pö; tb; ßotiXETat 2Xxei tov; y^poVj'j;,
roXXdxt; -p-iv xal töv flpa/uv ttoui jAaxpoY
„E» unterscheidet sich das Metron (der Recitations-Poesie) dadurch von
dem Rhythmus (der melisehcn Poesie), dass jener feste Zeitgröaseu hat, eine
lange und eine kurze . . ., der Rhythmus dagegen nach Ermessen die Zeiten
verlangsamt, oft auch die Kürze zur Länge macht."
Marius Victor.
Differt autem rhythmus a metro, quod metrum certo numero syllabarum
vel pedum finitum est, rhythmus autem ut volet protrahit tempora, ita ut breve
tempus plerumque longum efficiat, longum contrahat.
Diomedea p. 468 Keil.
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150
Aristoxcnus rhythmische Elemente.
Rhythmi certa dimensione temporum tenninantur et pro nostro arbitrio
nunc brevius artari, nunc longius provehi possunt
Mar. Victor, p. 49 Gaisf.
Inter metricos et musicos propter spacia temporum quac syllabis com-
prehenduntur nun parva dissensio est. Nam musici : non omnes inter se longas
aut brcves pari mensura consistere, si quidem et brevi breviorcm et longa
longiorem dicant posse syllabam fieri. Metrici autem: prout cujusque syllabae
longitudo et brevitas fuerit, ita temporum spacia detiniri, neqiie brevi brevio-
rem aut longa longiorem quam natura in syllabarum enuntiatioue protulerit
posse aliquam reperiri.
Ad haec musici qui temporum arbitrio syllabas committunt in rhythmicis
lnodulationibus aut lyricis cantionibus per circuitum longius extentae pronun-
tiationis tarn longis longiores quam rursus per correptionem breviores brevibus
proferunt.
Von den sieben Abschnitten der speciellen Taktlehre, welche Aristoxenus
in der einleitenden kurzen allgemeinen Taktlehre ankündigt, nämlich 1) Takt-
Megcthos, 2) Taktart, 3) rationale und irrationale Takte, 4) einfache und zu-
sammengesetzte Takte, 5) Diairesis im Takttheile, 6) Schemata der Takte,
7) Antithesis der Takttheile (Taktordnung) hat sieh in unseren rhythmischen
Stoicheia nur die Auaführung der ersten und der zweiten, und auch von letzterer
nur der Anfang erhalten. Doch genügte die gewissenhafte Verwendung ver-
einzelter Fragmente bei Psellus uud anderen nicht bloss um die beiden ersten
Abschnitte wieder vollständig herzustellen, sondern auch um in den Besitz der
wesentlichsten Punkte aus der Lehre von der Takt-Diairesis und dem Takt-
Schema zu gelangen. Gestehen wir, das« uns diese ganze Restitution der Ari-
stoxenischen Taktlehre nimmermehr ohne die Parallele aus der Instrumental-
Musik des grossen Bach hätte gelingen können. Der Vergleich der jetzigen
Bearbeitung der Aristoxenischen Rhythmik mit unseren früheren (1854, 1861,
1807), in denen wir die Bachsehen Parallelen nicht herbeiziehen konnten, wird
hierüber keinen Zweifel lassen: die Aristoxenische Rhythmik war nur mit Hülfe
der Baehschen zu verstehen.
Ausser den vier genannten Abschnitten der Taktlehre hat dieser Theil
der Aristoxenischen Rhythmik auch noch die drei übrigen: irrationale und
rationale Takte — , einfache und zusammengesetzte Takte — , Antithesis der
Takttheile besprochen, mag das nun in längeren Abschnitten oder in kürzeren
wie bei den Taktarteu der continuirlichen Rhytlunopoeie geschehen sein. Ob-
wohl uns von diesen zusammenhängenden Besprechungen nicht das Mindeste
vorliegt, macheu wir dennoch den Versuch das Hauptsächlichste zu restituiren.
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II. 5. Irrationale Takte.
151
5. IRRATIONALE TAKTE.
In der Definition der sieben Taktunterschiede § 24 der Aristoxenischen
Rhythmik heisst es:
Die irrationalen Takte unterscheiden sich dadurch von den rationalen,
dass das Verhältniss des leichten Takttheiles zum schweren kein rationales ist.
Rationale Verhältnisse sind diejenigen, welche einem der in der vw/ifi puö-
(jiozoua vorkommenden Xöfot ■noSwot entsprechen: 2 : 1, 2 : 2, 2 : 3. Irrational
diejenigen, in welchen sich das Megethos der beiden Chronoi podikoi nicht
durch ganze Zahlen, sondern nur durch Bruchzahlen ausdrücken lässt, wie beim
Trochaios alogos, dessen Basis eine 2 zeitige, dessen Arsis eine 1'/, zeitige ist.
Dies ist von Aristoxenus in der Einleitung seiner Taktlehre, wo er den Logos
ptxiikös und im Gegensatze dazu die Alogia auseinandersetzt, eingehend er-
örtert worden § 19. 20.
Nach jeuer Definition der sieben Taktunterschiedc aber giebt es nicht
Einen aXoTo; ttou;, sondern es müssen mehrere dXoyot rotes; vorhanden sein.
Auch nach Aristides' Definition der Taktunterschiede p. 34 Meib. giebt es
mehrere iXo^oi ttooc;, ebenso wie es melirere pTj-ol roioe; giebt. Es heisst dort:
TerapTT) tj tüjv fa-iwn o>v £yoj*e> x6v lAyn eteeiv rfj; dpoetu; rpi; t?jv 8£atv
xal (tüiv) dX^aiv ms oix ly&fxev oioXoy xiv [tov a6xov] xuiv ypovtxtüv jjiepüiv
el-etv Tcpö; dXXTjXi.
Unter den mehreren irrationalen darf man nicht die beiden durch An tithesis
der Takttheile sieh unterscheidenden irrationalen Takte von 3VS zeitigem Mege-
thos verstehen, den irrationalen Trochaeus und den irrationalen Iambus, weil
dieser Unterschied in der siebenten und letzten Sta^opd des Aristoxenus und
des Aristides begriffen ist.
Irrationale Takte von einem grösseren Megethos als dem 3 V2 zeitigen
würden dagegen nicht unter die öwpopd x-axd y£v>; gehören, denn bei der oia-
epopd xaza y^vo; sind es die l^oi ro&ixoi, wodurch sich die Takte unterscheiden,
aber nicht die dXoYiat. Es ist ganz allgemein zu nelunen, was Aristoxenus
§ 19 sagt: "Esrai tj dXoY^o |A£-a;j o-io Yvuuptfxwv tt* alaMpti und § 20
tj fjii^ XT;*^Ö£ioa tön dpoetuv oüx Istat o6jAfjL£tpo; [idsei.
Nach Aristides p. 42 Meibom giebt es sowohl eine jjieTaßoX^ ix foxo«
ei; oXoyov, wie eine fjLET-a-JoX^ 1% i\6-(vj et; dko-pn.
Im § 19 und 20 giebt Aristoxenus nur ein vorläufiges Beispiel der dXoY^ci
am yopelo; dXoYo;. In der specielleu Darstellung der Taktlehre, welche von
den r.6ln aloyA handelt, wird er auch die übrigen irrationalen Taktgrössen
behandelt haben.
"Wie er dies auch gethan, er muss es der § 19 und 20 gegebenen Er-
klärung analog gemacht haben: xVjv (xev jidstv totjv xot; djjupordpot; tyuiv, rJjv oe
dpciv (xioov piiYeöo; i/o-jans töv dpoetuv. Das würde der Theorie nach fol-
gende rAlti ergeben.
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152 Aristoxenus rhythmische Elemente.
Ilou; t&pwrai Xo-f«;»:
Xpovtxd fjiprj:
llou; ujptrcai dXtrfla:
Xopeto; pr^TÖ; Tpiffrjfjio;
2 + 1.
yopeioc dXofos.
•
AdxxuXos pr(xö; TeTpcb?]|j.oc
2 + 2*
2+2.
2 + 2*
2 + 3.
_ .
2 + 3|
SdxrjXo; 0X070;.
1
'loovixi; £ir)76; e;dar)|j.oc 2 + 4.
i
Für die das Verhältniss der Takttheile angebenden Zahlen müssen wir
das von Aristidcs bei der otot'fopd töv ^tjtäv xal täv 4X6? tuv gebrauchte allge-
meinere Wort ypovtxd [xiprj wählen, denn ypdvoi rco&txol bezieht sich wie Xiyot
Ttootxoi zunächst nur auf die rationalen, nicht auf die irrationalen Takte.
Während der aXo^oc yopelo; in der Metrik als ein für den Trochaeus
stellvertretender Spondeus sich darstellt, würde ein den Daktylus stellvertreten-
der Versfuss — w _ als iXo^o; SdxruXo; aufzufassen sein wie er vorkommt
z. B. in dem Archilocheischen Metron
Kai ß-/i<jaa; <>p£(uv QueftaiitdXo'j; | olo; tjn irz ^ßr,;
Die antike Irrationalität hat ihre hauptsächlichste Stelle am Ende eines Kolons.
Ich führe aus meiner musikalischen Rhythmik folgende Erläuterung an (S. 132):
„Wenn der Vortragende ein Musikstück, dessen Kola ohne Pausen an
einander schlicssen, zum klaren rhythmischen Ausdruck bringen will, so ge-
nügt in manchen Füllen kein Aufheben des für den Inlaut des Kolons ein-
gehaltenen Legatn's; der Vortragende wird den Trieb haben, den Werth der
Schlussnote des Kolons zu verkürzen, er wird spielen als ob ein • darüber
gesetzt sei. Für gewisse Compositionen wird dies Abstossen der Schlussnot**
am Ende des Legatos nicht unzweckmäßig sein. Aber wenn man die unter
dem Punkte stehende Note allzukurz abschlägt, so macht das bei öfterer Wieder-
kehr den Eindruck des Kecken und Muthwilligen, des Komischen und Frivolen,
und daher wird das Abstossen, wenn man nicht gerade den angegebenen Ein-
druck hervorbringen will, zur Seite zu lassen sein. Ein anderer Weg, die End-
note des Kolons als solche klar hervorzuheben, besteht nicht in der Verkür-
zung, sondern umgekehrt in der Verlängerung der Note am Schlüsse des
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II. 5. Irrationale Takte.
153
Legates oder vor Wiederbeginn des ueuen Legates. Wohlverstanden nicht
eine Verlängerung, welche die durch die verlängerte Note hervorgerufene
Ueberschreit ung des rhythmischen Werthes durch Verkürzung einer anderen
Note auszugleichen sucht (Chrysander in der Anzeige m. Systemes der griech.
Rhythmik 1866 in seinen Jahrbüchern), sondern eine wirkliehe Verlängerung
des rhythmischen Werthes, etwa so:
^F»^F ^P^F^F^F ^F^FP^» PJ^P^PPJ w * ™ ™^F ^P^F^PPJ ^P^F^P ^F ^P^P^P^P T0? •
» - .- . . <
oder was dasselbe ist:
J5 «55 J5 JB } > : E J3 «33 JE .M 1
Diesen zweiten Weg haben die Griechen eingeschlagen. Sie nennen das irra-
tionale Verlängerung.
Auch in der modernen Musik giebt es eine das strenge rhythmische
Maas* übersehreitende Verlängerung am Ende der Kola. Sic findet statt im
protestantischen Chorale und wird hier in der Notenschrift durch die Fermate
bezeichnet. Der Schlusston soll „länger" ausgehalten werden. Um wie viel
länger, das hängt von dem Belieben der Singenden oder des dirigirenden Orga-
nisten ab. Gewöhnlich wird der unter der Fermate stehende Sehlusstou des
Kolons so sehr verlängert, dass die zusammengehörenden rhythmischen Glieder
auseinander gerenkt werden, dass sich der Organist sogar Zeit nehmen kann,
zwischen den beiden Kola unter der Fermate noch ein kleines Zwischenspiel
anzubringen, da*s der rhythmische Zusammenhang der Kola zur Periode auf-
hört. Wohl manchem ist durch diese hässliche Unsitte die Freude am Chorale
verdorben, daher mau vielfach die Fermaten gänzlich verbannt und die soge-
nannten „rhythmischen" Choräle eingeführt hat, in denen jeder Ton genau in
dem Zeitwerthe, in welchem er geschrieben ist, gesungen wird.
Die Bach'sche Musik freilich wird sich die alten Fermaten-Choräle nicht
nehmen und statt ihrer die „rhythmischen" Choräle nicht octroyren lassen.
Denn sowohl in den Cantaten wie in den Passionen hat Bach selber die Fer-
maten zu seinen Noten hinzugefügt:
»
Ach wie flüch-tig,
ach wie nich-tig
sind der Menschen Sa - chen.
AI - les, al - les was wir sc - hen, das muss fal - len und ver- ge-hen.
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154
Aristoxenus rhythmische Elemente.
wer Gott fürcht't bleibt e - wig ste-heu.
Wäre diese Melodie in troehaeischem statt in daktylischem Rhythmus
gesetzt, so Wirde sie genau folgendem trochaeischen Metrum der Alten ent-
sprechen :
Die Irrationalität findet im ersten Kolon zweimal (am Ende jeder Dipodie i. in
in den übrigen Kola je nur einmal (am Ende der letzten Dipodie) statt
Die durch die Fermaten angedeuteten Ketardirungen des strengen Rhyth-
mus würden nach der Angabe des Aristoxenus folgendermaasseu auszuführen sein :
r— ' 'F ^-
3sö
Die Retardation um einen ganzen Chrono» protos, d. i ein Achtel, würde
den Griechen schon zu laug sein,
AI - les, al - les was wir se - hen
Denn bei einer derartig« in Retardation (um einen ganzen Chronos protos)
würde der erste Versfuss „alles*4 zwar ein 4 zeitiger (daktylischer), der zweite
„alles'4 aber ein 5 zeitiger (paeonischer I sein. Ebenso „was wir" ein 4 zeitiger
Spondeus, „sehen" ein 5 zeitiger Versfuss. Deshalb sagt Aristoxenus: „dXvjict
toictjtt,, welche einen Takt bestimmen kann, >>;s> Xöytuv dvd jiisov l<s-\lt. Der
irrationale Daktylus steht gerade in der Mitte zwischen dem rationalen (4 zeitigen)
Daktylus und dem rationalen 1 5 zeitigen! Paeon. Würde man die irrationale
Verlängerung des 4 zeitigen Versfusses auf einen ganzen Chronos protos (statt
eines halben) ausdehnen, so lägen „ö-jöfxoi pe?at3rf>i).ovTc; et; Irepa *ihrt" vor,
von denen es bei Aristides p. 99 heisst: „;Wu>; dvtttXxojoi zip l'->'/+p exüot^
^ta-iopä, r.ardzta^'A ?£ /.'A ojAieijoUat tt; TroixtXfot xa-Mvcrpcd^ovre;'', 6ie seien
denjenigen Arterien-Bewegungen gleich „*l fjÖTj Xlav TraoaXXdTTGjoat toi; ypivoi;
t, /.ai 7d Y*vr, ueraßd/./.'/jS'/t «po-jepai te eist xcii d).£8pif>t". Die Verlängerung
um einen ganzen Chronos protos würde zwar auch den rhythmischen Abschnitt
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II. 5. Irrationale Takte. 155
inarkiren, aber das wäre eine Verlängerung über die griechische Maasshaltig-
keit hinaus: die Verlängerung um bloss einen halben Chronos protos bedingt
keinen rhythmischen Wechsel der Versfüsse, die 4 zeitigen daktylischen werden
durch sie niemals zu 5 zeitigen paeonischen.
Wie maasslos aber sind nun erst die Fermaten unseres Chorals ! Sie haben
unstreitig denselben Zweck wie die dlt/fla der Griechen, sie sollen das Ende
der rhythmischen Glieder, das Ende der Kola zur klaren Anschauung bringen,
— ein Bedürfniss, welches in der modernen Metropoeie so lebendig gefühlt
wurde, dass es hier zu der rhythmischen Form des Reimes führte. Es liegt
also der Choralfennatfe etwas recht Vernünftiges, ein rhythmisches Moment von
wesentlicher Bedeutung zu Grunde. Aber die Verlängerung der Fermaten
wird in unserem Choralgesauge so sehr übertrieben, dass man zwar recht
deutlich die Kola-Enden hört, dafür nun aber der Zusammenhang der Kola zur
Periode für unser Ohr verloren geht: um das Gute, welches durch die Ver-
längerung erreicht wird, die Fasslichkeit der Kola-Grenzen, muss man etwas
sehr schlechtes, die Zerstückelung der Perioden in den Kauf nehmen. Die
Griechen, welche schon eine fictardatiou der Kola-Grenzen um einen ganzen
Chronos protos mit den gesundheitsgefährlichen und verderblichen Verzoge-
rungen beim Pulsschlage verglichen, würden unsere Dehnung der Choralfer-
maten einen Wahnsinn nennen. Aber wir dürfen, wie man sagt, nicht das
Kind mit dem Bade ausschütten. Wir dürfen das rhythmisch Gute, das zur
Klarheit des Kola- Verhältnisses dienende, welches in dem Fermaten-Choräle
liegt, nicht ganz und gar wegwerfen, indem wir den sogenannteu rhythmischen
Choral an dessen Stelle setzen, der aber eigentlich kein rhythmischer ist, son-
dern sich stabil an den geschriebenen Noteuwerthen halt. Es ist gar manches
in den geschriebenen Noten nicht zu lesen, was doch darin enthalten ist, z. B. in
Bach's instrumentalen Compositiouen nicht, der (ausser dem Takt Vorzeichen)
niemals eine Andeutung für den Rhythmus hinzugefügt hat. So müssten auch
in dem Chorale die Fermaten eingehalten werden, selbst wenn sie nicht ge-
schrieben wären. Aber die maasslose Verlängerung, welche die Perioden aus-
einander rcisst, muss aufhören. Wir müssen die Choralfermate im Sinne des
Aristoxenus interpretiren und ausführen, wie wir es oben bei dem Bach'sclien
Chorale „Ach wie flüchtig" versucht haben.
Auch ausser der Choralmusik giebt es noch manche Musik, für welche
die irrationalen Verläugerungen des Aristoxenus mit grossem Nutzen für Klar-
heit und Fasslichkeit der Compositiou ausgeführt werden könnten. Zwai nicht
jede verträgt sie, ebenso wie auf klassischem Bodeti die trochaeischeu Cantic.a
des Aesehyleischen Chores sie ferne von sich halten. Aber man wird sie z. B.
in der E-dur Fuge des wohlt. Clav. 2, 4 schwerlich entbehren können, wenn
diese wumlerbare Compositum im richtigen Ausdrucke zu Gehör gebracht werden
soll (Allg. Theor. d. Rh. 2(J8), nicht als „unbehagliche Fuge", wie sie sogar der
grosse Bach- Verehrer Carl van Bruyck („Technische und aesthetische Analysen
des wohlt. Clav. ) praedicirt. Ich setze die letzte Periode der Fuge in ihrer richtigen
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156
Aristoxenus rhythmische Elemente.
rhythmischen Phrasirung hierher, indem ich nicht da« Fermatenzeichen 7, son-
dern die Umkehrung desselben C zur Andeutung der Aristoxenischen d).o-{ii
anwende, dagegen das Baeh'sehe Zeichen 7 am Ende des Ganzen beinhalte.
T ,
I w
I 2.
m
crrsr.
ptu cresc.
^ Ol
• — « '
\
2 3
Formen wir den bei Bach vorliegenden daktylischen lanapaestischen) Rhyth-
mus in einen trochaeischen mit Trochaioi alogoi um, so würde der Periode
folgendes metrische Schema der Griechen entsprechen:
mehr freilich noch folgendes iambische Schema, in welchem di«* durch 1 b< -
zeichneten Retardinmgen sich in den iambisehen Anakrusen hörbar machen
würden (jedesmal hinter di r mit 7 bezeichneten Anakrusis):
Auch die Griechen begossen in ihrer Notenschrift ein rhythmisches Zeichen
für die dXo-fia:
X Z ~ GZ Z N l l | M Z [ <bC p M <b C ;
au - p7j 5s aÄv i^' dX - a£ - ojv ifi-d; op£ - va; oov • e i - xa»
Das Zeichen ~ hinter der auf der ersten Sylbe „au-" stehenden Note
(des Cod. Neapolit, wofür der Cod. M. das Zeichen | hat), kann keine andere
Bedeutung haben als deren irrationale Verlängerung zu markiren. Auch schon
Bellennann erkennt darin das Zeichen für „den langen durch Dehnung
oder stärkeres Ansingen auszudrückenden Auftakt." Fr. Bellcrmann die
i
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n. 6. Einfache u. zusammengesetzte Takte. 7. Antithesis der Takttheile. 1 57
Hymnen des Dionysius und Mesomedes § 64. Dieselbe Markirung der Irratio-
nalität auch in den Instrumental -Beispielen des Anonymus Bellermann § 97
vgl. oben S. 44.
6. EINFACHE UND ZUSAMMENGESETZTE TAKTE.
Die von Aristoxenus in der Einleitung zur Taktlchre gegebene Definition
dieses Unterschiedes haben wir S. 28. 29 unter Berücksichtigung der bisher
in unserer modernen Musiktheorie üblichen Unterscheidung von einfachen und
zusammengesetzten Takten besprochen. Es ist dies der Punkt, welcher die
hohen Vorzüge der Aristoxenischcn Taktlehre vor der vulgären modernen am
überzeugendsten und sofort erkennen lnsst. Vgl. Musikalisches Wochenblatt
18M No. 85— 87: Ernst „Eine neue Theorie der musikalischen Rhythmik";
Musikwelt 1881 No. 37-38, „Alte und neue Rhythmik" von Dr. Felix Vogt;
Deutsche Litteratur-Zeitung No. 18 „Westphals allgemeine Theorie des musi-
kalischen Rhythmus seit J. Seb. Bach" von H. Bellermann. Die Opposition,
welche vor einem Decennium gegen die Aristoxenische Theorie von einfachen
und zusammengesetzten Takten und überhaupt gegen die Aristoxenische Rhyth-
mik zu Gunsten der vulgären rhythmischen Theorie bei Lobe und anderen er-
hoben wurde von Dr. Schucht in der Kahntschen Musikzeitschrift (bei Gelegen-
heit meiner Elemente des musikalischen Rhythmus 1871) scheint jetzt, wie es
nicht anders sein konnte, verstummt zu sein.
Von der dem Unterschiede der einfachen und zusammengesetzten Takte
gewidmeten Ausführung in der speciellcn Taktlehre des Aristoxenus ist uns
nicht Ein Satz verblieben. Aber es beruht in der Eigentümlichkeit der Aristo-
xenischen Rhythmen-Darstellung, dass trotzdem gerade dessen Theorie der ein-
fachen und zusammengesetzten Takte uns vollständig klar vorliegt.
7. ANTITHESIS DER TAKTTHEILE.
Was Aristoxenus' allgemeine Definition der Taktunterschiede darüber an-
gegeben, ist 8. 31 — 32 besprochen. Schon dort ist darauf hingedeutet, dass dieser
Unterschied der Antithesis nicht bloss für die einfachen Takte, sondern was noch
viel wichtiger ist, auch für die zusammengesetzten Takte besteht. Es ist diese
Verschiedenheit der Antithesis der Takttheile in den zusammengesetzten Tak-
ten dasselbe, was ich in der „Allgemeinen Theorie des musikalischen Rhyth-
mus seit Bach" im Anschlüsse an Aristoxenus die verschiedenen „Taktord-
nungen des dipodischen, tetrapodischen und tripodischen Taktes" genannt habe.
Wie dies von Aristoxenus aufgefasst wird, erhellt aus demjenigen, was wir
von seiner Darstellung der Diairceis in Chronoi podikoi wissen. So dürfen wir
getrost behaupten, dass wir die Aristoxenische Lehre von der Antithesis in
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158
Aristoxenus rhythmische Elemente.
allen wesentlichen Punkten genau kennen, trotzdem uns von der speciellen Be-
sprechung, welche Aristoxenus diesem Gegenstande in den rhythmischen Stoi-
cheia gewidmet hatte, nichts verblieben ist.
Dass mit der Taktlehre die Rhythmik des Aristoxenus nicht abgeschlossen
war, ersehen wir aus der Rhythmik des Aristides Quintiiianus, welche, wie
wir mehrfach bemerken mussten, als Hauptquclle zwar nicht unmittelbar Ari-
stoxenus' rhythmische Stoicheia, wohl aber eine Schrift über den Rhythmus
zu Grunde legte, welche dem Aristoxenischen Werke so ähnlich wie möglieh,
vermutlich ein Auszug war, welchen ein uns dem Namen naeh unbekannter
Aristoxeueer aus dem Werke des Meisters gemacht hat. Bei Aristides sind die
Haupttheile der Rhythmik folgende p. 32 Meib.:
\Uptj oe ^jttptx-i;; navie . oiaXot|x3avou.6v fdp
I. — epl zpoutwv ypov«ov,
II. TTCpl 7EV&V TTOOtXÜIV,
III. -epi dfai^i jj-jibtixf);
IV. repl fjLETa^oXwv,
V. zepl p-j&jioroilac.
Für den ersten dieser sieben Abschnitte hat Aristides den Titel nach dem
Anfange gewählt, sonst hätte er ihn nennen müssen „Zeiten des Rhythmus
und des Rhvthmizomenon", genau so wie wir den eisten der Aristoxenischen
Abschnitte seinem Inhalo naeh benennen mussten. Denn trotzdem, dass dem
Aristides in diesem Abschnitte der Aristoxenischen Darstellung gegenüber ei-
niges eigenthümlich ist (dass der Chronos protos „Semeion*' genannt, die Ver-
gleichungen mit der Geometrie u. s. w. u. s. w.), wird kaum ein Zweifel ge-
stattet sein, dass dem Aristides hier die Doctrin des Aristoxenus vorgelegen;
möglich auch, dass, wo Aristides ausführlicher als Aristoxenus ist, hier in der
handschriftlichen lleberlieferung des letzteren ein Ausfall stattgefunden hat.
Der zweite Abschnitt der Aristideischeu Rhythmik ist, wenigstens im An-
fang, ein getreuer Reflex der Aristoxenischen „Taktlehre" — die sieben Tnkt-
unterschiede genau in der Aristoxenischen Reihenfolge. Naeh der Aufzählung
und kurzen Definition der sieben Taktunterschiede bespricht Aristides zuerst
die Taktarten, dann die Takt-Megethe. Dabei verdient hervorgehoben zu
werden, dass beide, Aristides wie Aristoxenus, in der Reihenfolge dieser beiden
Abschnitte sieh eine Licenz von der unmittelbar vorhergehenden Ankündigung
der sieben Taktverschiedenheiten verstatten, denn zuerst sollte vom Takt-Me-
gethos und erst zweitens von den Taktarten die Rede sein. Selbstverständlich
ist diese wunderliche Ucbereinstimmung zwischen beiden nicht anders zu er-
klären, als dass der eine von ihnen die Darstellung des andern benutzt hat.
Welche Quelle von Aristides in der Takt-Lehre noch ausser der Aristo-
xenischen benutzt ist, ist früher S. 140 besprochen. Diese Benutzung einer
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III. Tempo.
159
nicht -Aristoxenischen Quelle findet statt p. 32—40 Meib. Dann kehrt Aristi-
dea zu seiner früheren Quelle zurück, die freilich hier wiederum von der Dar-
stellung der Aristoxenischen Stoicheia abweicht, aber dem Wesen nach durch-
aus auf Aristoxcnischer Doctrin ruht. Es lag dem Aristidcs, wie gesagt, mittel-
bar oder unmittelbar jener uniarbeitende Auszug vor, welchen ein uns unbe-
kannter Aristoxeneer aus dem Werke des Meisters gemacht hat
Nun folgen hinter der Taktlehre der dritte, vierte und fünfte von den
Abschnitten der Aristideischen Abschnitte, welche wie der erste und der zweite
in der Aristoxenischen Rhythmik ihr Urbild haben, wenn uns aueb jegliches
Kriterium fehlt, um zu entscheiden was etwa Aristides nicht aus Aristoxeims
geschöpft hat.
HL
TEMPO.
('A^toy^ p-j8u.ua,)
Darüber schreibt Aristides: „Rhythmische Agoge ist Schnelligkeit oder
Langsamkeit der Zeiten, z. B. wenn wir unter Festhalrung der Verhältnisse,
in welchen die Thesen zu den Arsen stehen, die Megethe einer jeden Zeit ver-
schieden erseheinen lassen. Die beste Agogc der rhythmischen Emphasis ist
ein mittlerer Abstand der Thesen und der Arsen."
Der Schlusssatz ist dunkel genug. Es könnte scheinen, als ob hie/ unter
Thesen und Arsen etwas Aehulichcs zu verstehen sei, wie man in der Metrik
da* Wort Hebungen und Senkungen von betonten und unbetonten Silben zu
gebrauehen pflegt. Aber in diesem Sinne fasst die Aristoxenische Rhythmik
das Wort Arsen und Thesen entschieden nicht, vielmehr gebraucht er diese
Termini genau in demselben Sinne wie unsere Musik leichte Takttheilc und
schwere Takttheile. Das Wesentliche derselben ist, dass sie ein bestimmtes Me-
gettyos, eine bestimmte Zeitdauer haben, dass sie bestimmte messbare Bestand-
teile des Takt-Megethos, sowohl einfacher wie zusammengesetzter Takte sind,
im letzteren Falle also den Umfang eines ganzen Versfusses haben. Die ac-
centuirten Silbe oder der accenttragende Ton wird also immer nur den Beginn
des betreffenden rhythmischen Takttheiles bezeichnen können, aber nicht den
ganzen Taktthcil selber.
Es verschlägt hierbei nichts, dass Aristoxcuus § 58 b „exri pvöjAö; piv oj-
«rrjfid Tt aypicifievov ix tu>v ttoSixüiv y pivwv d>v 6 fjisv dipaeio;, h hi (jäaetu;, h U
ZXo'j roWc" die Ausdrücke Arsis und Basis nur auf den unzusammengesetzten
Takt, nicht auf den zusammengesetzten bezieht, denn auch die Arsis und die
Basis des einfacheu Taktes oder Versfusses muss nicht minder wie die des zu-
sammengesetzten Taktes, in welchem sie den Umfang eines ganzen Versfusses
hat, ein ganz bestimmtes messbares Zeitmegethos haben, wie dies ja Aristoxeuus
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Aristoxenus rhythmische Elemente.
an dieser Stelle ausdrücklich ausspricht. Wiederholen wir also unser Geständ-
niss, dass wir den Schlussatz der Aristideischen Stelle von der dfto^ nicht
verstehen, mag er nun aus Aristoxenus oder anders wo geschöpft sein.
Eine zweite Stelle über die Agoge findet sich bei Aristides in dessen
zweitem Buche (über das Ethos der Rhythmen) p. 99. 100 Meib. : „Ferner sind
von den Rhythmen diejenigen von schnellerer Agoge warm und thatkräftig,
die Rhythmen von langsamer und zögernder Agoge (nach) gelassen und ruhig.4'
Diese letztere Bemerkung sagt das nämliche, was wir in unserer modernen
Musik bei einem schnelleren und einem langsameren Tempo fühlen, wird aber
schwerlich aus der Aristoxenischen Rhythmik entlehnt sein, eher aus einem
rhythmischen Werke des jüngeren Dionysius von Halikarnass (vgl. oben).
In demjenigen, was uns von dem rhythmischen Stoicheia des Aristoxenus
vorliegt, findet sich die d^u)^, nirgends erwähnt, wohl aber in seinem Aufsätze
repi ypdvoy rpcuTou nach unserem Vermuthcn einem Theile der vermischten
Tischgespräche, unter denen man in dieser unserer Ausgabe die betreffende
Stelle nachsehe.
Ferner wird von Aristoxenus die ä-jw(i\ in seiner dritten Harmonik be-
rührt. Ihr zu Folge muss von der Agoge in der Aristoxenischen Rhythmik
im Abschnitte Takt-Schema die Rede gewesen sein. Man sehe denselben.
Noch wollen wir nicht unerwähnt lassen, dass unter unseren Quellen der
Rhythmik das Fragmentum Parisinum das Wort d^ui^ in einem anderen Sinne
als Aristoxenus, nicht vom Tempo sondern von der aü;t(oi; to-> tüiv ttooäv [xe-
■flüo'jz gebraucht, worüber oben II. 2 b. Was hier im Fragmentum Parisinum
Thatsäfhlichcs berichtet wird, stammt zweifellos aus Aristoxenus, doch nicht
unmittelbar, sondern aus einer ähnlichen Schrift wie derjenigen, aus welcher
Aristides Quintiiianus seine Aristoxenea überkommen hat. Hierbei entziehen
sich uns imu alle Vermuthungen; es wird wohl niemals zu sagen sein, wer
derjenige war, welcher das Wort ayia^ zuerst im Sinne des Fragmentum Pa-
risinum angewandt hat.
IV.
■
RHYTHMEN WECHSEL.
(Me-ajioXf) pybfMXTj).
*
Dass Aristides auch den vierten und den fünften Theil der Rhythmik
nicht minder wie den ersten und zweiten aus der Schrift eines Aristoxeneers
excerpirt habe, dafür lässt sich die Analogie geltend machen, welche Aristoxe-
nus zwischen der Rhythmik und der dritten Harmonik bezüglich der Anord-
nung des Gegenstandes befolgt hat. Denn auch seine dritte Harmonik schliefst
Aristoxenus mit analogen Theilen, wie Aristides die Rhythmik: fiErafioMj und
jxe'/.OTroila, analog der Aristideischen jxtTa^oXfj pufyMvtf, und puftpoTrotla.
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IV. Rhythmeuwechsel. V. Rhythtnopoeie.
Von der ersteren schreibt Aristides p. 42 Meib.: „rhythmische Metabole
ist Aenderung in den Rhythmen oder dem Tempo. Die Metabolai geschehen
auf zwölf Arten:
nach dem Tempo,
nach dem Taktverhältniss,
wenn man aus einem in eines übergeht,
oder aus einem in mehrere,
oder aus einem einfachen in einen gemischten Takt,
oder aus einem gemischten in einen gemischten,
oder aus einem rationalen in einen irrationalen,
oder aus einem irrationalen in einen rationalen,
oder in einen durch Antithesis verschiedenen Takt."
Die Handschriften schwanken zwischen der Lesart „zwölf Arten" u. „vier-
sehn Arten". Aber zu Folge demjenigen, was Aristides im Einzelnen aufrührt,
sind es weder zwölf noch vierzehn, sondern nur acht verschiedene Arten. Die
griechische Rhythmik vom Jahre 1854 macht den Versuch, die Zahlenvcrsclüeden-
heiten auszugleichen. Wir verweisen darauf zurück. Nur der Curiosität wegen
verweisen wir auf die Interpretation der Aristideischcn Rhythmeuwechsel,
welche Herr von Drieberg vom gänzlich modernen Musikstandpunkte aus (ohne
sich um Aristides Worte zu kümmern) versucht hat.
Dass Aristides hier nicht au« der eigenen Schrift des Aristoxenus excer-
pirt, verräth der Terminus „Uebergang aus unzusammeugesetztem in gemisch-
ten Takt u. s. w.". Die Quelle ist wahrscheinlich die von Aristides p. 40 Meib.
angegebene, also eine gute Quelle, auch wenn dieselbe vom zweizeitigen Takte
ausgeht. Ihre Angaben sind deshalb beachtenswerth, insbesondere fordert der
Uebergang aus rinem rationalen in den irrationalen Takt und aus
einem irrationalen in «'inen irrationalen die Wissenschaft der griechi-
schen Metrik zu angestrengtem Nachdenken auf. Dass unter den Arten der
Metabole zuerst die Aenderungen des Tempo und erst in zweiter Linie
die Aenderungen des Taktverhältnisses genannt sind, dafür ist in unserem
Abschnitte vom Taktschema eine Erklärung gegeben worden.
V.
RHYTHMOPOEIE.
Die beim vorausgehenden Theile angeim-rkte Analogie zwischen der An-
ordnung der Aristideischen Rhythmik und der auf Aristoxenus zurückgehenden
Harmonik (desselben Aristides, des l'seudo-Euklides u. s. w.) wird in diesem
letzten Theile noch auffalliger. Denn die Rhythmopoeie ist wie Aristides selbst
zu bemerken für nötliig halt, genau bo wie die Mclopoeie in die Lepsis, Chre-
Ariitoxanut, Melik u. Rhythmik. U
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162
Aristoxenus rhythmische Elemente.
sis und Mixis getheilt, und ebenso sind die drei Arten der Rhythniopoeie ge-
nau dieselben wie die der Melopoeie. Nur Aristoxenus kann es »ein, von dem
diese so überaus gleichförmige Gliederung der Rhythmik und der Harmonik
herrülirt.
Was Aristides von der Eintheilung der Rhythmo}>oeie in Lepsis, Chresis
und Mixis excerpirt, ist zu dürftig, als dass es für unsere Kenntniss der alten
Rhythmik forderlich, ja auch nur durchweg verstandlich sein könnte. Boeckh
hat hier eine Umstellung im Aristideischen Texte vorgenommen, durch welche
das Verst&ndmss nicht gefördert wird, daher wir nicht näher auf tue eingehen.
Aber welche hohe Wichtigkeit enthält die noch kürzere Notiz über den systol-
ischen, diastaltischen, besyebastischen Tropos der Rhy thmopoeie ! Sie muss uns
ein heller Leitstern »ein, nicht bloss in der grichisehen Rhythmik mui Metrik,
sondern auch in der modernen Rhythmik. Einfache Termini, mit denen so ausser-
ordentlich viel gesagt ist! Nur der wissenschaftliche Gehst der Griechen hat sieb
dieselben errungen. Ohne Bedenken dürfen wir sie auch für die moderne Musik
adoptiren*). Wir haben das besondere Glück, dass gerade für den Unterschied
der drei Tropoi Rhythmopoiias uns weitere Aufschlüsse durch die Harmonik
des Aristides und Pseudo-Euklid zu Theil werden. Wir haben dieselben schon
oben im Abschnitte von der Diairesis in Takttheile für die rhythmische Aceen-
tuation zu verwerthen gesucht. Ob sie noch eine andere Bedeutung haben,
lassen wir unentschieden.
*) F. Vogt, Musik. Welt 1881 No. H8 S. 436 b.
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ARISTOXENUS
THEORIE DES MELOS.
■
11*
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»
DIE DBEI SCHBIFTEN ÜBEB DAS MEL08.
Es handelt sich in den drei harmonischen Büchern des Ari-
stoxenus hauptsächlich um die Ton-Scalen der in der klassischen
Griechenzeit gebräuchlichen enharmonischen, chromatischen und
diatonischen Musik. Der Verfasser stellt sich die Aufgabe, die
Ordnung, welche in diesen griechischen Tonleitern besteht (sie sind
von denen .der heutigen abendländischen Musik abweichend genug),
in ihrer Vernünftigkeit und Notwendigkeit nachzuweisen. Die von
ihm angewandte Methode der Darstellung ist nicht wie bei uns die
mathematisch-akustische. Diese wird auch schon in der Harmonik des
Ptolemaeus angewandt und ist auch dem Aristoxenus (oben S. 68)
nachweislich nicht unbekannt. Aber Aristoxenus verschmäht sie; in
der That war die Akustik der Alten noch nicht so weit gekommen,
dass man mit ihrer Hülfe die Tonleitern einigermassen ausreichend
hätte entwickeln können. Auch bei Ptolemaeus ist die Form der
mathematischen Deduktion noch nicht die arithmetische, die hier
der Sache nach allein anwendbar sein würde, sondern die geome-
trische. Und so ist auch bei Aristoxenus die Methode der Beweis-
führung vorzugsweise der in den geometrischen Elementen des Eu-
klid augewandten äusserst ähnlich*).
*) Euklide« Geometrie ist freilich früher als Aristoxenus Harmonik ge-
schrieben. Aber Proklus in seinem Commentare zu Euklid giebt werthvolle
Notizen über Euklids Vorgänger. Unter ihnen haben wir das Muster zu
suchen, dem Aristoxenus seine geometrische Methode in der Darstellung der
Harmonik entlehnt hat
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ICH
Aristoxenufl Schriften über das Melos.
Die in den Tonleitern liegende Ordnung, welche die Voraus-
setzung, gewisserinaassen den Stoff der musischen Kunst bildet, nennt
Aristoxenus Herinosmenon (^pjxosfxsvov), die diesen Gegenstand be-
• handelnde Disciplin gmonJin] tzboI tou rp;ioa{isvou oder auch mit
dem auf denselben Stamm zurückgehenden Worte apjAovtxrJ.
In Meiboms Ausgabe führen die drei harnionischen Bücher auf
Grund der von ihm benutzten Handschriften folgende Titel:
'ApWTofcsWJ dtp(J.GVtxä)V UTOiycttUV upttitov (A').
oeuxepov (B ').
Tptrov (r'i.
Meibom hält sie für die drei continuirlieh fortlaufenden Bücher
ein und desselben, höchstens am Ende etwas defecten Werkes.
Boeckh schein^ derselben Ansicht zu sein. Aber sie ist unrichtig,
denn von den Einleitungen abgesehen enthalten die zwei letzten
Bücher B' und U zusammen denselben Stoff, der schon im ersten
Buche A' enthalten ist,, genau in derselben Ordnung, bloss die Dar-
stellung ist versclueden.
Die beiderseitigen Einleitungen des Buches A' und des Buches
B' sind sachlich verschiedenen Inhalts; sie haben im Einzelnen
nichts mit einander gemein, als dass sie beide den Inhalt und Zweck
der harmonischen Wissenschaft im Allgemeinen in gleicher
Weise definiren. Auch gegen Ende des Buches B' erscheint eine
Partie § 66 — 69, welche in A' keine Parallele hat. Im Uebri-
gen ist Alles dasjenige, was in B' auf das Prooimion folgt und nach
jener aparten Partie im Buche P' fortgesetzt wird, der genaue
Doppelgänger der im Buche A' hinter dem Prooimion gegebenen
Darstellung. Wo diese dem Buche V' parallele Darstellung des
Buches B' beginnt, ist dies im Buche B' in dem Codex des
Zosimus von der Hand b durch den Marginalzusatz „'Apyr" ange-
merkt; derselbe Marginalzusatz findet sich auch in Par. d, auch
wohl noch in anderen Handschriften. Von hier an ist der Paralle-
lismus zwischen A' und B' T' so entschiedene Thatsache, dass wir
in der vorliegenden Ausgabe die entsprechenden Paragraphen mit
denselben entsprechenden Zahlen haben numeriren können. Was
den Umfang der beiden Parallcldarstellungeu in A' und B' T be-
trifft, so fehlen in B' die §§ 25 — 44 des Buches A', dagegen geht
die in B' Y' enthaltene Darstellung weit über die Grenze der in A'
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Inhalt von Hannon. A' und B* V.
167
gegebenen Darstellung hinaus, obwohl sie auch in B' V am Ende
abgebrochen ist. Ich skizzire in dem Folgenden den Parallel-ln-
halt der drei über die Harmonik handelnden Bücher, indem ich
ausser den §§ auch den Inhalt der umfassenderen mit römischen
Zahlen numerirten Abschnitte angebe.
Buch A .
Prooimion A § 1—24. Darin das
Inhaltsverzeichniss § 4 ff.
I. Continuirliehe und discontinuir-
lichc Bewegung der Stimme (A
§ 25-281.
II. Aufsteigen, Absteigen, Höhe,
Tiefe, Tonstufe |A § 20—30).
III. Grösste und kleinste Kutfernung
zwischen Hohem u. Tiefem (A
§ 33-35).
IV. Definition von Ton, Intervall
und System und Einteilung der-
selben i A § 36—41).
V. Allgem. Unterschied des musikal.
Mdos von den übrigen Arten
des Melos iA § 42-44i.
VI. Die drei Arten des musikalischen
Melos: diatonisches, chromati-
tisches. enharmonisches | A §45).
VII. Die symphnnisehen Intervalle (A
§ 46-48).
VIII. Der Ganzton und seine Theile
(A §49).
IX. Die Unterschiede der Tonge-
»chlechter und wie sie entstehen
( A § 50 1:
a) die Bewegungsriiumc der Li-
chanos und Parhypate ( A § 51
—53).
b) die Tongeschlechter im Ein-
zelnen und die Chroai (A
§ 54-5«).
Buch B' u. r.
Prooimion B § 1 ff., durchaus
verschieden von <lein Prooimion
des Buches A'.
VI. Genos diatonon, chromatikon,
enhai-monikon B § 45.
VII. Die symphonischen Intervalle (B
§ 46— 4mi.
VHI. Der Ganzton und seine Theile
(Ii § 491.
IX. Die Unterschiede der Tonge-
schlechter und wie sie entstehen
(B § 50):
a) die Bewegungsriiume der Li-
chauos und Parhypate B § 51
—53,
b) die Tongeschlechter im Ein-
zelnen und die Chroai (B
§ 54-56).
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168
Aristoxenus Schriften über das Melos.
c) die beiden unteren Tetra-
chord-Intervalle (A § 57. 58).
X* Ueber die Intervallfolge auf der j
Scala im Allgemein. { A 59 — 61). j
XI. Die einfachen und zusammenge-
setzten Intervalle. Fehlt gänz-
lich.
XII. Die emmelischen Zusammensetz-
ungen der Intervalle. Von diesem
Abschnitte sind im Buche A
nur wenige zusammenhangslose
Sätze erhalten.
c) die beiden
chord-IntervaUe (B § 57. 58).
X. Ueber die Intervallfolge auf der
Scala im Allgemein. (B § 59 — 61).
XI. Die einfachen und zusammenge-
setzten Intervalle.
Von diesem Absclinitte der An-
fang nicht überliefert Erhalten
bloss ein Theil: ,. Bestimmung
der diaphonischen Intervalle
durch die symphonischen" § 62
—69, welche in den Handschrif-
ten hinter § 71 ihre Stelle be-
kommen haben.
XII. Die emmelischen Zusammensetz-
ungen der Intervalle, dargestellt
in achtundzwanzig Problemen.
Probl. 1 und 2 als Axiome (B
§ 70. 71).
[Einschaltung der Partie über das
Bestimmen der Intervalle durch
die Symphonieen 62 — 69. Eine
Verlegung der Blätter der Hand-
schrift.]
Probl. 3-6 (r § 72-78.)
Aufeinanderfolge gleicher Inter-
valle: Probl. 7—13 (r § 79—85).
Aufeinanderfolge ungleicher In-
tervalle : Probl. 1 4— 1 8 (P 86—90).
Die unmittelbaren Nachbar-
intervalle eines jeden Intervalle»
Probl. 19—26 (r § 91-105).
Das Diatonon hat 2 oder 3 oder
4 Intervallgrössen zu Bestand-
teilen, das Chroma und Enhar-
harmonikon deren 3oder4. Probl.
27. 28. i.r § 106. 107).
XIII. Die Schemata der Systeme (T
§ 108. 109), unvollständig.
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Inhalt von Harm. A' und B' P.
169
Dass ein Schriftsteller dieselbe Disciplin zweimal in verschie-
denen Werken behandelt, und zwar in derselben Reihenfolge der
Abschnitte und gar der Paragraphen, das ist ganz und gar nicht
auffallend. Aber das dergleichen in ein und demselben Werke ge-
schehe, dergestalt, dass das im ersten Theile dargestellte noch ein-
mal mit anderen Worten im zweiten und dritten Theile dargestellt
würde, das wäre durchaus unerhört. Es kann keinem Zweifel unter-
liegen, dass die beiden parallelen Darstellungen des nämlichen In-
haltes nicht verschiedene Bücher desselben Werkes sind, sondern
dass sie verschiedene Werke bilden. Wir haben in den drei har-
monischen Büchern des Aristoxenus nicht Eine Harmonik, sondern
um dies sogleich aus den folgenden Erörterungen zu anticipiren, drei
verschiedene Darstellungen der Harmonik.
Die Paralleldarstellung im ersten Buche einschliesslich des
Prooimions ist die erste Harmonik des Aristoxenus.
Die Parallcldarstellung des zweiten und dritten Buches von der
in den Handschriften enthaltenen Mariginalzusehrift Äpjpj an ist die
zweite Harmonik des Aristoxenus.
Die im zweiten Buche enthaltene Anfangs-Partie ist das Prooi-
mion einer dritten Harmonik des Aristoxenus.
Keine der drei Aristoxenisehen Darstellungen der Harmonik be-
sitzen wir vollständig. Aus der ersten Harmonik liegt uns die An-
fangspartie vor, aus der zweiten die Mitte, zum Theile das nämliche,
wie aus der ersten; aus der dritten Harmonik besitzen wir nur
das Prooimion.
Meine grieclusche Harmonik 1863 S. 41 (1867 S. 37) hatte
noch nicht erkannt, dass das Prooimion des zweiten Buches als
Fragment eines dritten Werkes abzutrennen sei. Sie nahm an, dass
die drei harmonischen Bücher z w e i verschiedenen Werken des Ari-
stoxenus angehören, und erst im weiteren Verlaufe der handschrift-
lichen Ueberliefening die bei Meibom ihnen vindicirten Titel erhal-
ten haben müssten. Die Titel der Meibom'schen Handschriften seien
zwar auch schon dem fünften nach-christlicheii Jahrhunderte be-
kannt, denn Proclus im Commentare zu Piatos Timaeus 3 p. 192
citire das erste Buch als irpeüro; tt,; apjiovixTj; Tretyeiuioscu;.
Aber der Musiker Klaudius Diuymus aus der Zeit Nero's, (dem
Aristoxenus noch um 400 Jahre näher als Proclus stehend) citire
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170
Aristoxenus Schriften über das Molos.
das Prooiinion des jetzt so genannten Buches B noch als -po-
ofjitov toO TTptufrou tujv apfiovtxtov oTov/£ttuv, (bei Porphyr, ad Ptolem.
p. 211) und Porphyrius selber aus der Zeit des Diocletian oitire
eine Stelle aus B als irpÄto; twv apjiovt/wv arot/eitov Porphyr, ad
Ptolem. p. 297. Dagegen führe dei-selbe Porphyrius das bei Mei-
bom sogenannte erste Buch A § 34 als rowro; Trspi apyöw an.
Ausserdem berichte Porphyr, ad Ptolem. p. 258, Aristoxenus sei
von einigen seiner Nachfolger deshalb getadelt worden, weil er seine
oroiysta apjAovua nicht mit der Lehre vom Tone, sondern mit den
Tongeschlechtern begonnen habe; hieraus folge, dass auch bei diesen
„Nachfolgern des Aristoxenus" das bei Meibom sogenannte zweite
Buch der Stoicheia den Anfang der Stoicheia gebildet habe, dass
dagegen das bei Meibom sogenannte erste Buch der Stoicheia nicht
den Titel der apjxovixa rroi/sia geführt haben könne. „Denn jenen
Tadel konnten sie nur dann aussprechen, wenn in den ihnen vor-
liegenden Exemplaren das jetzt sogenannte ßißX. B den Anfang
bildete; in der That fängt nämlich Aristoxenus in dieser seine Dar-
stellung der harnionischen Elemente mit den Tongeschleehtem an
und erklärt, dass es nicht nftthig sei über die Natur des Tones zu
reden. Wäre damals A zu den atoi/*ia appovr/a gezählt worden,
so hätte der Tadel nicht gemacht werden können, denn A $ 36 be-
ginnt die Harmonik mit dem Tone, also gerade so wie jene Nach-
folger des Aristoxenus es für passend halten.
Dieses Resultat, zu welchem ich in der griechischen Harmonik
d. J. 1803 gelangte, hat seitdem eine willkommene Bestätigung er-
halten durch die Veröffentlichung der von Manjuard und Studemund
herbeigezogenen Aristoxenus-HandschrinVn ( 1 8f J9).
In dem Cod. Yenetus, dem ältesten von allen, führt das zweite
Buch in der Unterschrift nicht wie bei Meibom den Titel 'A. apfxo-
vi/uiv 37<H/euuv ß', sondern wie bei Porphyrius A. 3tor/euov apjiovt-
xtov a, und ebenso das dritte nicht den Tittel 'A. aroi/etu» •{ , sondern
Handschriften des
Didyinius und Porphyrius:
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Ueberlieferte Titel.
171
W. yrotyeuov otpixovuojv ß'. Zwar ist in der Handschrift in jenes a'
ein ß' hineincorrigirt und ebenso in jenes ,3' ein /, aber a und ,3',
nicht |5t' und 7' sind die Lesarten der prima manus.
In der Ueberschrift des zweiten Buches ist zwar im Venet. wie
hei Meibom der Titel 'A. apjxovixow ,3', aber die secunda manus hat
die Lesart A. apfiovixtov oroi/sttov a angemerkt.
Dem ersten Buche Marquard's giebt der cod. Venetus in der
Ueberselirift den Titel A. irpo tu>v apjxovixwv aroi/Etiov und ahnlieh
der cod. Barberinus A. 7:00 tcuv app.ovtxu>v irpirov. Die Unterschrift
des Buches lautet im Venetus A. to irpirov Tror/ctov: eine secunda
manus, die zugleich oroiysiov in aTot^e'-wv corrigirt, schreibt über
-ocütov die Lesart upo twv — , also:
Apurr'^vou z?> Trpi T<öv «rroiyclrov rpuJrov.
Die Uebereinstimmung mit Didyraus und Porphyrius lässt keinen
Zweifel, dass die im Venetus erhaltene Variante
'Apioro;£vo'j oroiysüov dofjiovix'üv a' . . . ß'
an Stelle des Meibom'schen: /
'ApioroSdvo-j arotyEtcuv dpuowxujv 3' . . . /
die alte Lesart ist, und eben dies führt zu der Ueberzeugung, dass
auch das nicht bloss durch den Venetus, sondern auch durch den
Barberinus, wohl auch noch durch andere Handschrilten an Stelle
des Meibom'schen
Aptrro;fvoy «pfiovixöiv ototyeUuv a
überlieferte
auf alter Tradition beruht. Dieser Titel ist zwar ein anderer als
der von Porphyrius überlieferte
'Api3T0;£wj äp|AOvtx«iv dpywv a,
immerhin aber rührt er aus einer Zeit, in welcher man noch wusste,
dass das betreffende Buch nicht zu den oxoi/sTa aptxovixa gehörte.
Der Titel ist augenscheinlich durch die Aufeinanderfolge der Aristo-
xenisehen Bücher in der Handschrift veranlasst. Man hatte zwei
Bücher rcor/sia apfiovixa des Aristoxenus, ihnen ging noch ein
anderes voraus „das den harmonischen Stoicheia vorausgehende"
„to ro6 twv 3rot/eto)v otpfiovixuiv", ein ähnlicher Titel wie tinter den
Werken von Aristoxenus Lehrer Aristoteles der Titel:
„rd pe-rd -rd ^uatxd" d. i,
„das auf die dxpdaot; <?j<3\xit folgende".
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172
Aristoxenus Schriften über das Melos.
Meine im Jahre 1863 in der ersten Auflage der Harmonik über das Ver-
hältniss der 3 Aristoxenischen Bücher der Harmonik veröffentlichte Conjectur,
deren Bestätigung durch die Handschriften der Marquard' scheu Ausgabe 1869
ich im unmittelbar Voranstehenden registriren musste, habe ich in der zweiten
Auflage der Harmonik 1867 unverändert wieder abdrucken lassen, da damals
nur Ptolemaeus eine neue Durcharbeitung erhalten konnte; doch finde ich in
meinem Exemplare der ersten Auflage zu S. 47 (vor dem letzten Absätze) fol-
genden Manuscript-Zusatz, den ich damals für den Wiederabdruck niederschrieb,
aber während des Druckes zurückzog, weil ich mir wohl bewusst war, dass
damit die Aristoxcnische Frage nicht erledigt sein würde, und schon damals
die Hoffnung hatte, dass ich dem Aristoxenus noch eine umfassende Arbeit
widmen würde (eine Hoffnung, die nun freilich erst durch die vorliegende Aus-
gabe sich realisirt). Jenef in dem Jahre 1866 niedergeschriebene Zusatz lautet:
„Soweit die erste im Sommer 1863 veröffentlichte Ausgabe der griechischen
„Harmonik. Gleichzeitig erschien eine Dissertation von Herrn Marquard über
„die harmonischen Bücher des Aristoxenus, in welchem derselbe ebenfalls zu
„dem Resultate gelangte, dass von den drei die Harmonik behandelnden Bücher
„des Aristoxenus das erste einem ganz anderen Werke als das zweite und
„dritte angehöre. Auch wird darin die Acchtheit des einen dieser beiden
„oder beider Werke angezweifelt.
„Nicht lange nachher e: schien der Grundriss der griechischen Litteratur
„von Theodor Bergk in «lern Nachtrage zu Ersch und Grubers Encyclopaedie,
„wo S. 446 folgendes ausgesprochen ist: „Von den 3 Büchern der Harmonik
„ist übrigens das erste ganz zu trennen. Es bildet dies Buch den Anfang einer
„selbständigen Schrift Ttepl dpy wv, und erst mit dem zweiten Buche beginnt die
„Darstellung der Harmonik."
„Das Verhältniss der beiden denselben Gegenstand behandelnden Schriften
„lässt sich noch bestimmter als es in der ersten Auflage geschehen ist folgen-
„dermaassen auffassen. Beide Werke sind unmittelbar aus den Vorlesungen,
„welche Aristoxenus über Harmonik gehalten hat hervorgegangen , das erste
„aus einer früheren, das zweite aus einer spateren Vorlesung über denselben
„Gegenstand. Die spätere dieser Vorlesungen ist vielleicht nicht von Ari-
stoxenus herausgegeben, sondern von einem der dieselbe nachschreibenden Zu-
„hörer, deren Persönlichkeit mehrere male in der entschiedensten Weise in
„den Znsammenhang des von Aristoxenus Vorgetragenen hineintritt.
„Was die erste Vorlesung über die Wfcai äpfiavtxüiv sagt (£v tot; ffizpooBev),
„braucht man von keiner besonderen Schrift zu verstehen, sondern es kann
„sich dasselbe auch auf einen früheren Theil derselben Vorlesung beziehen."
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Die verschiedenen Darstellungen der Harmonik
als Aristoxenische Vorlesungen.
Die eben mitgetheilten , zu Halle im Jahre 66 niedergeschriebenen Be-
merkungen über die Entstehung der Aristoxenisehen Schriften als Vorlesungen
sollten nach ursprünglicher Absicht in die zweite Auflage der griechischen
Harmonik aufgenommen werden. In der Hoffnung, dem Aristoxenus dereinst
eine umfassendere Arbeit zu widmen, habe ich, wie gesagt, damals den Ab-
druck der Bemerkungen unterdrückt. Auch jetzt, wo ich nicht mehr wie da-
mals nur zwei, sondern drei verschiedene Darstellungen der Aristoxenischen
Harmonik annehme, muss ich die Entstehung aus Vorlesungen festhalten.
Für die erste Harmonik findet sieh ein deutliches Indicium dieser Ent-
stehung im § 38 bei der Definition des Systemes:
„Doch muss der Zuhörer jede der gegebenen Begriffsbestimmungen ent-
gegenkommend aufzufassen versuchen, ohne sich dabei zu kümmern, ob die
„gegebene Definition vollständig oder zu allgemein sei; er muss den guten
„Willen haben, aiv ihrer Bedeutung nach einzusehen, muss denken, für den
„Zweck des Lernens sei sie ausreichend, wenn sie in das Verständniss dessen,
„was hier gesagt wird, einzuführen vermag. Denn nicht leicht lässt sich über
„das zum Eingange Gehörige etwas sagen, was nicht angegriffen werden könnte
„und eine vollständig ausreichende Erklärung enthielte. Am wenigsten ist dies
„bei den drei vorliegenden Punkten: „Ton, Intervall, System" der Fall."
Das ist eine Entschuldigung des Aristoxenus, die er ganz unzweifelhaft
in einer mündlichen Vorlesung, in der Anwesenheit seiner Zuhörer gemacht hat.
In der zweiten Harmonik ist es die Stelle von den Bewegungsräumen
der Licbano8 und der Parhypate § 53b. c. d. e, aus welcher hervorgeht, dase
die hier vorgetragenen Punkte Aristoxenus nicht bloss vor seinen Zuhörern
erörtert, sondern auch unmittelbar durch einen seiner Zuhörer zu dieser Erör-
terung veranlasst ist, — er ist während der Vorlesung von einem Zuhörer in-
terpellirt worden:
„Hier warf nun einer der Zuhörer die Frage auf, wie es komme, dass,
„wenn irgend eines der unmittelbar unter der Mese liegenden Intervalle, wie gross
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174
Aristoxenus Schriften Uber das Melos.
„es auch sei, gesetzt werde, dass dann stets der tiefere Ton desselben Lichanos
„heisse? Denn warum sollen die Mese und Paramese u. s. w. stets ein und
„dasselbe Intervall begrenzen, zwischen der Mese und Lichanos aber bald ein
„kleineres, bald ein grösseres System angenommen werden? Besser sei es, den
„Namen der Töne zu ändern u. s. w.". Alle Achtung vor dem Scharfsinne
des alt-Athenischen Zuhörers aus der Vorlesung des Aristoxenus, der bezüg-
lich der Intervall-Nomenclatur das durchaus gerechtfertigt«; Verlangen hat, dass
bestimmte constante Intervall-Grössen auch bestimmte constante Namen haben
sollten. Ja, gleiche Thatsachen, gleiche Benennungen! Der alte Zuhörer des
Aristoxenus hatte ganz Recht. So hätte es in der Musik der alten Hellenen
sein müssen, wie es ja auch in der unserigen nicht anders ist. Leider aber
hatte das historische Festhalten an den alten Tetrachorden jene höchst eigen-
tümliche von der unserigen so abweichende Intervallen-Noinenclatur nun ein-
mal hervorgerufen und Aristoxenus ist eonservativ genug, um das einmal Her-
gebrachte auch hier in Schutz zu nehmen: Wenn die gleichen Namen auch
nicht gleiche Thatsachen bezeichnen, so bezeichnen sie doch wenigstens ahn-
liche Eindrücke des Kthos, und auch diesen Aehnlichkeiten müsse Rechnung
getragen werden. Wir merken wohl, es kostet dem Aristoxenus alle Mühe,
um die bestehenden Thatsachen gegenüber den gar nicht ungerechtfertigten
Einwendungen des intelligenten neuerungssüchtigen Zuhörers zu schützen.
Li der vorher angeführten Stellt; der ersten Harmonik (das waren die
Vorlesungen über Harmonik aus einem der früheren Semester! setzt Aristoxe-
nus bei seinen Zuhörern den guten Willen voraus, sich vorläufig mit seinen
Definitionen zufrieden zu stellen, auch wenn sie vorerst an der nöthigen Voll-
ständigkeit noch dieses oder jenes zu wünschen lassen sollten. Hier in der
Wiederholung desselben Collegs in einem späteren Semester wird Aristoxenus
bereits von seiner Zuhörerschaft interpellirt : der rein didaktische Vortrag geht
in ein Colloquium über.
Genau so wird Aristoxenus in der zweiten Harmonik § 72 interpcllirt:
„Jetzt war einer von den Zuhörern bezüglich der Intervall-Folge in Zwei-
„fel, zunächst im Allgemeinen, worin die Aufeinanderfolge bestehe, dann ob
,,sie bloss auf Eine oder auf mehrere Arten vor sich gehen könne, endlich ob
„beides, die Synemma und die Diezeugmena eine Aufeinanderfolge sei. Hierauf
„pflegten folgende Auseinandersetzungen gegeben zu werden
Auch hier hat Aristoxenus sich viele Mühe zu geben, um den Einwenden
des Zuhörers gehörig zu begegnen. Es liegt am Tage, dass wir an dieser Stelle
nicht die Worte eines Aristoxenischen Collegienheftes , nicht die Wort«; einer
noch zu haltenden Vorlesung vor uns haben. Die Worte können, wie sie hier
vorliegen, erst nach der mündlich gehaltenen Vorlesung niedergeschrieben sein.
Und zwar besagt das Imperfectum: „etwa folgende Auseinandersetzungen pfleg-
ten gegeben zu werden", dass Aristoxenus dies nicht unmittelbar nach der Vor-
lesung, sondern geraume Zeit nachdem er die in Rede stehende Vorlesung
mehrmals (in verschiedenen Semestern) gehalten hatte.
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Hervorgegangen aus Vorlesungen.
175
Noch einige andere Stellen der zweiten Harmonik würden sieh durch
Annahme von Interpellationen, welche Aristoxenus durch seine Zuhörerschaft
erfahren, erklären lassen: nämlich
§ 75 (viertes Problem):
„Auch in Beziehung auf dieses Problem findet eine Irrung Htatt, bezüg-
lich des Unistandes, dass ein unzusaininengesetztes Intervall von der-
„selben Grösse sein könne, wie das zusammengesetzte eines anderen
„Tongeschlechtes"
und § 7S (sechstes Problem):
„Es ist gewöhnlich, dass einige auch bei diesem Probleme einen Anstoss
„nehmen, nämlich diesen, weshalb hier „höchstens" hinzugefügt und aus
„welchem Grunde nicht einfach gezeigt ist, dass jedes Tongcschlecht
„aus so viel einfachen Intervallen, wie in der Quinte enthalten sind,
„besteht Diesen wird entgegnet, dass u. s. w.".
Doch lassen sich diese beiden Stellen auch anders erklären. Die drei
vorher angeführten Stellen dagegen reden von den Zuhörern zu ausdrücklich, als
dass man darüber Zweifel hegen könnte, da*« die erste und zweite Harmonik
des Aristoxenus aus Vorlesungen hervorgegangen sind, und zwar ist die zweite
Harmonik entschieden erst nach der Zeit, wo Aristoxenus die Vorlesung ge-
halten, ausgearbeitet worden.
Dass auch die dritte Harmonik des Aristoxenus aus Vorlesungen hervor-
gegangen ist, darüber haben wir zwar keine so direkten Zeugnisse wie für die
erste und zweite Harmonik. Aber auch für sie wird der gleiche Ursprung wie
für die erste und zweite Harmonik überaus wahrscheinlich. Denn der Anfang
des Prooimions, des einzigen Restes dieser dritten Harmonik § 1 , in welchem
der Verfasser von der Eigentümlichkeit der Vorlesungen Piatos und Aristo-
teles redet, erklärt sich am natürlichsten, wenn auch diese dritte Harmonik
des Aristoxenus ursprünglich als eine Vorlesung gehalten war.
Hoffen wir, dass diese Nachweisungen dj-s Ursprunges der drei ähnlichen
Werke des Aristoxenus dazu beitragen werden, auch den Ursprung der ver-
schiedenen über denselben Gegenstund handelnden Werke des Lehrers Aristo-
teles aufzuhellen.
Erst nachdem ich zur zweiten Auflage meiner Harmonik den Zusatz nieder-
geschrieben, dass die harmonischen Schriften des Aristoxenus aus mündlichen
Vorlesungen hervorgegangen sind, las ich 1868 die das Datum dieses Jahres
tragende Ausgabe der harmonischen Fragmente des Aristoxenus von Marquardt
Im Schlüsse der Arbeit S. 390 heisst es dort: „Es ergiebt sich als unzweifel-
haft das Resultat, dass wir weder die dp/ai noch die oxoiyeia des Aristoxenus
„auch nur annähernd in der Gestalt vor uns haben, wie sie von Aristoxenus
„abgefasst sind, dass wir vielmehr im Buche A' und ebenso auch im Buche B' V
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■
176 Aristoxenus Schriften über das Melos.
„Excerpte (statt der dpyai und arotyeta) zu erblicken haben, und zwar Excerpte»
„welche nicht einmal aus ein und demselben, sondern offenbar aus verschiedenen
„Büchern des Aristoxenus gezogen sind."
„Hierbei jedoch tritt noch ein eigentümlicher Umstand zu Tage, welcher
„die Lösung der Frage erheblich erschwert. Sind nämlich die beiden Theile
„ganz abgesondert von einander gemachte Sammlungen, wie ist es zu erklären,
„dass sie in der ganzen Auswahl der Anordnung, ja selbst in einzelnen Wen-
dungen eine so höchst auffallende Aehnlichkcit zeigen (nur mit Ausschluss der
„letzten Abschnitte B' P von § 62 an)? Sind die beiden Sammlungen von
„verschiedenen Leuten aus vereclüedenen Werken des Aristoxenus gemacht,
„warum zeigen sie so wenig individuelle Verschiedenheit? In meiner Disser-
tation habe ich diese Erscheinung dadurch zu erklären versucht, dass ich einen
„einzigen Excerpter annahm, welcher zu irgend einem Zwecke beide Sammlungen
„gemacht habe. Diese Erklärung wird sich nicht halten lassen , gerade weil
„der Zweck so ganz räthselhaft ist."
Vielmehr sind die beiden so ähnlichen „Excerptsammlungen", welche Mar-
quard hier vor sich zu haben vermeint, die genuinen Reste der ersten und der
zweiten Aristoxenischen Harmonik, weit weniger durch Auslassungen, Umstel-
lungen und Zusätzen depravirt, als wie an sich erwartet werden könnte.
Marquard fährt fort: „Ich bin daher, zuerst durch Einwände Studemunds
„aufmerksam gemacht, einen Schritt weiter gegangeu und zu der Ansicht ge-
„laugt. dass wir allerdings die Machwerke zweier Excerptoren haben, die Aehu-
„lichkeit aber, welche einein Zufall sclüechterdings nicht zugeschrieben werden
„kann, ihren Grund in dein gemeinsamen Original hat, welches selbst schon
„eine Compilation aus verschiedenen Werken des Aristoxenus war, so dass
„wir überhaupt nicht unmittelbar aus diesem gezogene Excerpte besitzen und
„den vorhandenen Resten in der That nur der Name „Fragmente" gegeben
„werden darf. Dieses Resultat würde für uns sehr niederschlagend sein, wenu
„uns nicht der Inhalt der einzelnen Partieen wenigstens zum grössten Theil
„dafür bürgte, dass wir es doch überwiegend mit wirklich Aristoxenischen Au-
fhaltungen und auch wohl Ausdrücken zu thun haben. Von welcher Be-
schaffenheit nun jenes gemeinsame Original war, kann man sich nach diesen
„doppelten Ecerpten ungefähr vorstellen. Aus verschiedenen Werken geschöpft,
„in denen die gleichen Gegenstände auf eine mindestens der Form nach ver-
schiedene Weise behandelt waren, musste es eine Gestalt gewinnen, welche
„neben einer fast vollkommenen Uebereinstimmung in der Sache manche Ver-
schiedenheiten in Behandlung und Darstellung zeigte.
„Dass unter Quellen dieses gemeinsamen Originals die Grundzüge (ipyat)
„und die Elemente (a-ot/eia) einen hervorragenden Platz eingenommen haben,
„liegt wohl in der Natur der Sache, aber auch andere sind herbeigezogen wor-
„den und unter diesen ganz sicher Collegienhefte. An solche hatte ich früher
„auch gedacht; Studemund ist der Meinung, dass sie Hauptquelle gewesen
„seien, allein dafür finde ich keinen rechten Grund, wohl aber ist mir un-
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Hervorgegangen aus Vorlesungen.
177
„zweifelhaft geworden, dass alle jene Partieen, in welchen die oben besproche-
nen auffallenden Tempora der Vergangenheit erscheinen*!, aus solchen Heften
„genommen sind, wird es doch durch den Ausdruck "H87) o£ xt; ^TtöprjoE t&v
„dxotxSvrcuv fast geradezu gesagt Uebrigens scheint jenes Original für immer
„verloren zu sein."
Die hier von Marquard herangezogene Stelle des Aristoxenus ist dieselbe,
welche wir oben S. 174 ausfuhrlich erklärt haben. Wie unser Vorgänger be-
züglich den Ausdruck „fast geradezu44 gebrauchen kann, ist mir unerfindlich.
Berichtet doch Aristoxenus geradezu in einer absolut nicht misszuverstehenden
*) Marquard meint hier folgende Stellen der zweiten Harmonik:
§ 52c: lipo; 69) rauta totoÜTOi £X£y&T)Oav Xöfot . . .
§ 73: *H6t) Ik xt? "f)7TÖ{>Tj;e to»v dxouovraw . . .
§ 73: Hp6; 3e touto toioütoi Ulfo-rzo h'tfoi ...
§ 97: "H5tj hl ttoi xai toüto tg -p^Xrjfia rcapiaye nXdvirjv . . .
§ 98: llpös o9) xauta uptüTOv pisv iX^/Jh) . . .
§ 108: "lUtj tl ti; ^rdpTjOe otd r( oüx av xai xauxa rd y^vtj Ix 060 do'jvft^Touv.
In allen diesen Stellen heisst es, dass bei diesem oder jenem Satze des
Aristoxenus irgend ein Anstoss genommen worden sei, zum Theil mit dem aus-
drücklichen Bemerken, dass dies von einem der Zuhörer geschehen, und ferner
wird dann mitgetheilt, was Aristoxenus darauf erwidert habe oder zu erwidern
pflegte oder was darauf zu erwidern sei. Wir unterschreiben, was Marquard
S. 388, wo er diese Stelle anführt, bemerkt: „So erörtert Niemand die An-
sichten der Gegner, so erzählt vielmehr der, welcher bei Unterhaltungen, Vor-
lesungen u. dgl. über den Gegenstand zugegen gewesen ist und nach der Hand
darüber referirt." S. 391, wo Marquard mittheilt durch Studemuud daran er-
innert zu sein, dass „Collegienhefte die Hauptquelle gewesen seien44, meint er,
daas jene Stellen aus solchen Heften genommen sind. Vielmehr muss man
sagen, daas in jenen Stellen Berichte aus den Vorlesungen des Aristoxenus
gegeben sind, sofern sie aus dem Gange des didaktischen Vortrages in eine
Art von Disputatorimn übergegangen sind und zwar Berichte von einem, welcher
bei den Vorlesungen zugegen war. Das kann ein Zuhörer gewesen sein, es
kann aber auch Aristoxenus selber in einer Schrift, welche er nach Abhaltung
der Vorleaungen niedergeschrieben, deu Bericht gegeben haben, dass und wie
er damals von seinen Zuhörern interpcllirt worden sei. Eine solche Schrift
kann man nicht gut Collegienheft nennen, sondern ein aus einer Vorlesung
entstandenes Buch, die spätere Ausarbeitung einer früher gehaltenen Vorlesung.
Doch gilt dies nur für die zweite Harmonik des Aristoxenus ; die erste Har-
monik kann dagegen recht gut ein „Collegienheft" sein, zum Gebrauche für
eine zu haltende Vorlesung niedergeschrieben. Ebenso auch die dritte Har-
monik, wenn uns anders das Prooimion, wie es doch deu Anschein hat, er-
mächtigt, auch hier eine Beziehung zu der Docenten-Thütigkeit des Aristoxe-
uns anzunehmen.
Artitoienui, Mellk u. Rhythmik. 12
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178
Aristoxenus Schriften über das Melos.
Darstellung, dass ihn einer »einer Zuhörer intcrpellirt und was er selber da-
rauf geantwortet habe. Schon ganz abgesehen von allem sachlichen Inhalte,
ist das eine überaus interessante Notiz: Der Bericht eines alt-athenischen Do-
centen, wie es ihm in einer seiner Vorlesungen einem intelligenten Zuhörer
gegenüber (fast möchte man ihn einen genialen nennen) ergangen ist, und wie
der didaktische Vortrag zu einer Art von Colloquium wurde. Ich kann aber
nicht einsehen, wie jene Stelle aus einem Collegienhefte, (so versichert Mar-
quard) genommen sein könne. Vielmehr ist es eine schriftliche Darstellung
des betreffenden Docenten, niedergeschrieben zu einer Zeit, wo er die Vor-
lesung, über die er berichtet, bereits gehalten. Oder soll die betreffende
Stelle als eine Randbemerkung gefasst werden, in welcher ein nachschrei-
bender Zuhörer die den Zusammenhang des Vortrages unterbrechende Zwi-
schenunterhaltung eines anderen Zuhörers mit Aristoxenus nachgeschrieben
hat? Das erstere ist überaus wahrscheinlich, das zweite gar nicht Marquard
scheint absichtlich zu unterlassen des Näheren zu erklären, wie er sich den
Zusammenhang mit dem Aristoxenischen Collegienheften denkt Studemund,
sagt er, sei der Meinung, dass sie Hauptquclle gewesen seien. Darf ieh mir
eine Conjectur erlauben, so hat Marquard von dem, was ihm Studemund
mitgctheilt, etwas vergessen. Denn Studemund wird dem Herrn Marquard
nicht verschwiegen haben, dass er ihm meine Meinung berichte, dass ich zu
Halle im Oktober 1866 im Studirzimmer des leider vor kurzem verstorbenen
Professor Theodor Bergk, diesem meinem alten Lehrer und meinem jungen
Freunde Wilhelm Studemund, von den Vorlesungen, welche Aristoxenus zu
Athen über Harmonik gehalten, in freundschaftlicher Unterhaltung Mitthei-
lung machte. Ich erinnere mich deutlich, dass dieser unser Unterhalrungs-
gegenstand den beiden Herren Studemund und Bergk damals ganz neu war.
Selbstverständlich gereicht es mir zur Freude, dass jenes Lrgebniss meiner
Studien, die harmonischen Schriften des Aristoxenus seien aus Vorlesungen
hervorgegangen, sowohl Studemunds wie Marquards Beifall gefunden hat.
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Lücke und verlegtes Blatt
in der handschriftlichen Ueberlieferung von B' Schloss.
Die Citate „ra iv apxi" um' » arot/ela".
Ich freuo mich auch bezüglich dos Schlusses von B' wenigsten« theilweise
mit Marquard übereinstimmen zti können. Es handelt sich um die Abschnitte,
welche im Prooimion der ersten Harmonik folgendermaassen skizzirt werden:
X § 13. „Weiter haben wir von der Aufeinanderfolge der Intervalle auf
den Systemen anzugeben, was darunter zu verstehen ist und wie sie darin
entsteht."
XI § 14. ..Hierauf muss zuerst von den unzusammengesetzteu Intervallen
gesprochen werden, dann von den zusammengesetzten.44
XU § 15. „Wenn wir uns aber mit den zusammengesetzten befassen, so
müssen wir, da diese zugleich Systeme sind, auch über die Zusammensetzung
der unzusammengesetzten Intervalle zu handeln im Stande sein."
Der Abschnitt X soll also die Intervallenfolge auf der Seala im Allge-
meinen besprechen.
Die specielle Ausführung dieses Abschnittes liegt sowohl in der ersten
wir in der zweiten Harmonik vor.
In der ernten heilst es § 59: „Die unmittelbare Aufeinanderfolge der
Intervalle genau zu definiren ist im Anfange gar nicht leicht, doch muss man
versuchen, sie im Umrisse anzugeben.*'
In der zweiten Harmonik § 59 heisst es: „Hierauf ist über die Aufeinander-
folge der Intervalle zu handeln, indem wir zunächst die Art und Weise an-
deuten, in welcher die Aufeinanderfolge zu definiren ist."
In beiden Darstellungen der Harmonik geht dieser Abschnitt X über ei-
nige sehr allgemeine Gesichtspunkte, welche die Methode der Untersuchung
darlegen, nicht hinaus. Offenbar soll weiterhin noch ein Abschnitt folgen,
welcher der genauen Darstellung der Intervall-Aufeinanderfolge gewidmet ist.
Ausführlich und nahezu vollständig ist dieser Abschnitt in der zweiten
Harmonik — nur sehr fragmentarisch und abgekürzt in der ersten Harmonik
— erhalten. In der zweiten Harmonik beginnt er § 70: „Es wird nun der erste
und notwendigste von den Punkten, welche sich auf die emmelischen Zu-
sammensetzungen der Intervalle beziehen, zu bestimmen sein." Mit diesen
Worten beginnt die Reihenfolge der 28 Probleme, welche diese Lehre ausführen.
12*
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180 Aristoxenus Schriften über das Melos.
Der Abschnitt X, welcher die Intervall-Aufeinanderfolge im Allgemeinen
definirt (§59—61), geht in der zweiten Ilarmouik der handschriftlichen Ueber-
lieferung demjenigen Abschnitte, welcher die Intervall-Aufeinanderfolge aus-
führlich in 28 Problemata darstellt, unmittelbar voraus. Marquard bemerkt
S. 387 darüber folgendes: „Es ist zu Consta tiren, dass ein directer Zusammen-
hang zwischen den beiden Abschnitten nicht stattfindet. Aristoxenus hat im
„ersten der beiden Abschnitt«' allerdings von Dingen gehandelt, welche wir, in
„aller Breite ausgeführt, im zweiten derselben finden; aber gerade dies ist ein
„klarer Beweis, dass diese Abschnitte nicht unmittelbar aufeinander gefolgt
„sind. Denn welchen Sinn hatte es, einen Gegenstand ganz kurz in der Haupt-
sache zu berühren und die ausführliche Behandlung auf später zu verweisen,
„wenn diese unmittelbar folgen sollte? Ausserdem sagt Aristoxemis (§61), die
„genaue Auseinandersetzung über die Folge der Intervalle lasse sich erst
„geben, wenn die Zusammensetzungen der Intervalle erörtert worden sind.
„Mau erwartet demgemäss die Behandlung der Punkte in jener Reihenfolge
„Aber wiederum (vgl. S. 192) entspricht die Ausführung nicht der Ankündi-
„gung." Soweit stimme ich meinem Vorgänger durchaus und vollständig bei.
Nicht aber den Folgerungen, die er aus seiner richtigen Deduktion zieht. „Es
„muss zweifelhaft erscheinen, ob die beiden Abschnitte überhaupt in einem
„und demselben Werke gestanden haben.*'
Für die in Rede stehenden Abschiütte ist das Inhaltsverzeichnis des
Prooimious intakt, die Ausführung lückenhaft. Denn in der Ausführung § 61
sagt Aristoxenus: „Die genaue Erörterung der Aufeüianderfolge ist nicht leicht
„zu geben, bevor die Zusammensetzungen der Intervalle erörtert worden sind."
Genau so wollte Aristoxemis es halten auch zufolge dem Inhaltsverzeichnisse des
Prooimious, welches zwar der ersten Harmonik angehört, aber dieselbe Geltung
auch für die zweite wie für die erste Harmonik hat (vgl. oben).
Dem Prooimion gemäss will nämlich Aristoxcnus handeln:
X. Ueber die Intervallfolge im Allgemeinen.
XI. Ueber die unzusamuiengcsctzteu und dann über die zusammenge-
setzten Intervalle.
XII. lieber die Zusammensetzung der unzusammengesetzten Intervalle, d. i.
ihre Reihenfolge auf der Scala.
Das stimmt mit jenen Worten des § 61 überein, dass, um die Aufeinander-
folge zu erörtern, vorher die Zusammensetzungen der Intervalle erörtert sein
müssen.
Ueber die Intervalle „im Allgemeinen" (xaft' 5Xov>) will Aristoxenus laut
des Prooimious § 7 im IV. Abschnitt sprechen. Wir besitzen diesen Abschiütt
§ 37 ff. Doch soll dies nach Aristoxenus § 38 nur eine vorläufige Erörterung
sein: er könne dort die Sache nicht hinreichend und ausführlich auseinander-
setzen, der Zuhörer dürfe das noch nicht erwarten, er müsse den guten Willen
haben, sich vorläufig an den Definitionen genügen zu lassen. Dann giebt Ari-
stoxenus § 39 von den Unterschieden der Intervalle vorläufig fünf an: 1. den
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Lücke und verlegtes Blatt von B' Schluss. 181
Unterschied nach dem Megethos, 2. symphonische und diaphonische Intervalle,
3. unzusammengesotzte und zusammengesetzte , 4. Unterschiede nach den Ton-
geschlechtern, 5. rationale und irrationale Intervalle. Die übrigen Intervall-
Einteilungen aufzuführen sei für jetzt nicht nöthig. Ebenso ist auch § 40. 41
die Eintheüung der Systeme nur eine vorläufige. „In dem Folgenden wird
alles genauer gezeigt werden/'
So geht auch aus dem Abschnitte IV. hervor, dass der dort gegebenen
vorläufigen Erörterung der Intervalle und Systeme im weiteren Verlaufe der
Harmonik eine näher eingehende Darstellung folgen soll.
Die versprochene genaue Erörterung der Intervalle sind eben die auf
Abschnitt X folgenden: Abschnitt XI („zuerst über die unzusammengesetzten,
dann über die zusammengesetzten Intervalle" ) und Abschnitt XII („Zusammen-
setzung der unzusam mengesetzten Intervalle auf der Scala").
Der Abschnitt X ist erhalten. Der Abschnitt XII ist ebenfalls erhalten.
Der Abschnitt XI fehlt. Die Handschrift hat statt des Abschnittes XI eine Lücke.
Doch nicht der ganze Abschnitt XI ist in der handschriftlichen Ueber-
lieferung ausgefallen. Ein Theil davon ist erhalten, doch hat derselbe seinen
ursprünglichen Platz geändert: es hat die Verlegung eines Blattes, enthaltend
1 Columne und 4 Zeilen der Meibom. Ausg., vom Ende in die Mitte des Bu-
ches stattgefunden.
Das fragliche Blatt, welches aus der speciellen Intervallen-Lchre (aus
Abschnitt XI) übrig geblieben ist und vor den 28 Problemata (Abschnitt XII)
stehen sollte, hat zu seinem Inhalte eine „über die Bestimmung der dia-
phouischen Intervalle durch die symphonischen" handelnde Partie, welche
sich nunmehr in dem Prototypon unserer Handschriften zwischen das zweite
und dritte Problem . eingedrängt hat und somit den Schluss des Buches B'
(bei Meib.) bildet. Als Aristoxenus seine zweite Harmonik niederschreibt, da
redet er so (in § 72), als ob dem 3. Probleme unmittelbar vorher das l. und 2.
Problem vorausgehe. Das 3. Problem lautet nämlich (§ 72): „Die aufeinander-
folgenden Tetraeborde sind entweder verbunden oder getrennt. Verbindung
heisse es, wenn zwei in der Scala aufeinanderfolgende Tetrachorde, welch«' dem
Schema nach analog sind, in der Mitte einen Ton geineinsam haben. Tren-
nung heisse es, wenn zwischen zwei in der Scala aufeinanderfolgenden analog
gebildeten Tetraeborden ein Ganztoii in der Mitte steht." Beweis: „Dass bei
benachbarten Tetrachorden eines von beiden (Verbindung oder Trennung) statt-
finden muss, ergiebt sich aus dem Vorliegenden avepöv ix tiüv u-oxeiuivojv."
Mit dein Letzteren sind eben die Probleme 1 und 2 gemeint Es können also
diese damals, als Aristoxenus diese Partie niederschrieb, von dem Probleme 3
nicht durch den Abschnitt über die Bestimmung der diaphonischen
Intervalle durch die symphonischen getrennt gewesen sein; in dem
Originale muss sich Probl. 3 continnirlich an Probl. 1 und 2 angeschlossen haben.
Auch Marquard <S. 386) weiss, dass die „Bestimmung der diaphonischen
Intervalle durch die symphonischen" an einem verkehrten Platze steht. „Ein
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182
Aristoxenus Schriften über das Melos.
Zusammenhang mit dem Vorhergehenden ist in keiner Weise vorhanden/'
Das» das Einschiebsel an seinem falschen Platze aus der den 28 Problemata
unmittelbar vorausgehenden Intcrvallen-Lehre (Abschnitt XI) hereingekommen
ist, sagt Marquard freilich nicht, vielmehr hat er sich „die völlige Gewissheit
verschafft, dass wir es hier mit Stücken zu thun haben, welche den Stoicheia
(Elementen) ganz fremd sind." Marq. S. 386. „Sie enthalten Dinge, welche
mit der Harmonik nur in sehr entferntem Zusammenhange stehen, eigentlich
nur technische oder praktische Kunstgriffe lehren" (ebendas.).
Diese Gewissheit (Marquard ist völlig überzeugt) ist nicht auf bessere
Gründe gestützt als seine Ucbcrzeugung, dass fast sämmtliche Ueberreste
der Aristoxenischen Harmonik nicht von Aristoxenus geschrieben, sondern dass
sie von verschiedenen Byzantinern aus verschiedenen Schriften (darunter auch
Aristoxenische) compilirt sind.
Aus der Bestimmung der diaphonischen Intervalle durch die symphoni-
schen, sagt Aristoxenus § 66, lasse sich die Richtigkeit der von ihm in* der
„Arche" gemachten Angabe prüfen, dass die Quarte aus zwei Ganztönen und
einem Halbtone besteht. Diese vorläufige Angabe findet sich sowohl in der
ersten wie in der zweiten Harmonik : nämlich
Erste Harmonik X. Unterschied der Tongeschlechter.
§ 54. „Auf welche Weise untersucht werden muss, ob die Quarte mit
„einem der kleineren Intervalle gemessen wird, oder ob sie allen commensurabel
„oder incommensurabel ist, pflege ich bei der Bestimmung der Intervalle durch
„die Symphonien zu sagen (£v toi« oid oupuptuvte; Xa^avo^Uvot; X^txat); da aber
„der Augenschein ergiebt, dass sie aus zwei Ganztönen und einem Halbtone
,besteht, so möge zunächst dieser Umfang für die Quarte fest gehalten we rden."
„(yicoxsioftiD toüto dv etvat tö jx^efto;)."
Wir sind fast gezwungen diese Stelle in Beziehung zu setzen mit dem
unter den 28 Problemata stehenden Einschiebsel über die „oiaa-djfxaxa öuvatd
XTjtpJHjvai otd aupepama;," in welchem es heisst §66: .»Il^Tepov o öpftä»; u7r<5xci~ai
iv dpyjjj tö otd reaadparv oyo x«5va>v xai r^loeo; xerrd t<5vÖc töv Tpörrav i^exdoettv
dv xt; dxpifJ&araTa."
Zweite Harmonik VIII. Der Ganzton und seine Theile.
§ 4H. „Ganzton ist dasjenige Intervall, um welches die Quinte grösser
„als die Quarte ist. Die Quarte aber besteht aus zwei Ganztönen und einein
„Halbtone".
Trotz dieser ausdrücklichen Citate in dem frühereu Theile der Aristoxe-
nischen Harmonik hat sich Marquard „die völlige Gewissheit verschaffen kön-
nen," dass wir es bei jenen in den früheren Theilen der Harmonik von Ari-
stoxenus selber citirten Partieen von der Bestimmung der diaphonischen durch
die nyinphonischcn Intervalle mit „Stucken zu thun haben, welche den Stoi-
cheia ganz fremd sind," „dass dort Dinge enthalten sind, welche mit der Har-
monik nur in sehr entfernten Zusammenhange stehen."
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Die Ueberschriften xd iv ipy-jj und vzwyeXa.
183
Den Ausdruck „Stoicheia" gebraucht Aristoxenus selber in der ersten
Harmonik § 61 (X Abschnitt über die Intervallen- Folge auf der Scala im All-
gemeinen). Er schlieset diesen Abschnitt mit den Worten:
„Auf welche Webe nun der Aufeinanderfolge nachzuforschen ist, ist aus
„dem Vorstehenden klar. Wie sie aber vor sich geht uud welches Intervall
„zu einem anderen hinzugesetzt oder nicht hinzugesetzt wird, das wird in den
„Stoicheia gezeigt werden."
Also der Abschnitt X, welcher die Intervallenfolge auf der Scala im Allge-
gemeinen bespricht, welcher (wie Aristoxenus § 59 sagt) die unmittelbare Aufei-
nanderfolge der Intervalle nur im Umrisse anzugeben versucht, dieser Abschnitt
gehört noch nicht zu den Stoicheia. Denn erst die nähere Ausführung dieses
Abschnittes ist os, welche Aristoxenus in den Stoicheia geben will. Demnach
gehören die die Intervallenfolge speciell ausführenden 28 Problemata den Stoi-
cheia an. In der ersten Harmonik liegen von diesen Problemata nur einige
unzusammenhängende fragmentarische Satze vor. In der zweiten Harmonik
sind dieselben nahezu vollständig erhalten ( von § 70 an „Es wird nun der erste
und notwendigste von den Punkten, welche sich auf die emmclischen Zu-
sammensetzungen der Intervalle beziehen, zu bestimmen sein"). Dieser ganze
Abschnitt XII der zweiten Harmonik (nicht minder auch die fragmentarische
Paralleldarstellung der ersten Harmonik) gehört nach Arigtoxeuua' Selbst-
Citate zu den Stoicheia.
Aber der Abschnitt X (der ersten und zweiten Harmonik), wohin wird
dieser, wenn er nach Aristoxenus' Erklärung von den Stoicheia ausgeschlossen
werden muss, zu rechnen sein?
Auch hierüber giebt Aristoxenus selber die nöthige Auskunft. Er beginnt
jenen Abschnitt § 5U mit den Worten:
„Die unmittelbare Aufeinandefolge der Intervalle zu bestimmen, ist in
„der dpy-?j gar nicht leicht; man muss versuchen, sie im Umrisse au-
„zugeben."
Also die dpyi\ giebt den betreffenden Gegenstand im Umrisse an, die
orot^eia sollen zeigen, wie die in der dpy^j im Umrisse angedeutete Aufeinander-
folge der Intervalle im speciellen vor sich geht, . . . welches Intervall nach
einem jeden Intervalle gesetzt oder nicht gesetzt wird.
Den in der „dpx*j" in> Umrisse angegebenen Gegenstand führen die
„ototXela" in den Einzelheiten aus.
In allem, was uns von den harmonischen Schriften des Aristoxenus ver-
blieben ist, werden die Stoicheia nur dieses einzige Mal (erste Harmonik § 59)
erwähnt
Die dp/*, wird öfter genannt z. B.:
Erste Harmonik. IV. Abschnitt: Ton, Intervall, System: allgemeine
• Definition und Eintheilung.
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184
Aristoxenus Schriften über das Melos.
§ 38. „Der Zuhörer muss jede der angegebenen Begriffsbestimmungen
entgegenkommend aufzufassen versuchen, ohne sieh dabei zu kümmern, ob die
gegebene Definition vollständig oder ob sie zu allgemein sei, er muss vielmehr
den guten Willen haben, sie ihrer Bedeutung nach einzusehen; muss denken,
sie sei ausreichend für den Zweck des Lernens, wenn sie nur in das Verständ-
niss dessen, was hier gesagt wird, einzuführen vermag. Denn nicht leicht lässt
sich über das dem Eingänge Angehörige (rd h dpy/jj) etwas sagen, was nicht
angegriffen werden könnte, sondern eine vollständig ausreichende Erklärung
enthielte; am wenigsten ist dies bei den drei vorliegenden Punkten Ton, Inter-
vall, System der Fall.
Wo in Meiboms Buche B nach dem Prooimion der dritten Aristoxenischen «
Harmonik die darauf folgende anfangslose zweite Harmonik beginnt (mit Ab-
schnitt VI: den „drei Tongeschlechtern") steht am Rande die Zuschrift 'A&/t4
vergl. S. 166. Schon in der dem Zosimus vorliegenden Handschrift stand dies
Margiuale, denn es findet sich auch in solchen Handschriften, die nicht aus
dem alten Venetus geflossen sind. Die Randglosse kann nicht die Bedeutung
haben, dass der nebenstehende Text „ den Anfang" eines neuen Buches bilde,
denn es ist ein neues anf augsloses Buch, welches an dieser Stelle folgt,
(die ersten fünf Abschnitte mit dem ihnen vorausgegangenen Prooimion sind
in den Handschriften nicht überliefert). Wir haben das Marginale daher nicht
sowohl durch „Anfang" als vielmehr durch „Eingang** oder „Eingangs- Partie"
zu übersetzen, es ist ein Rest der alten Ueberschrift ,,-zi h <£p/^j". In dem
Inhaltsverzeichnisse des Prooimions ist zwar nicht angegeben, dass eine Reihe
von Kapiteln als Eingangs-Partie gefasst werde, aber aus den von uns im Vor-
ausgehenden angegebenen Stellen des Aristoxenus folgt mit Gewissheit, dass
er eine Anzahl von Abschnitten als eine die betreffenden Gegenstände im Um-
risse darstellende Eingangs- Partie angesehen wissen will, welche von der später
folgenden, die betreffenden Gegenstände specieller darlegenden Partie abzu-
trennen sei. Rührt auch jenes Marginale nicht von der eigenen Hand des
Aristoxenus her, so ist es doch sicher in dem Sinne des Aristoxenus etwa von
einem die Vorlesung des Meisters herausgebenden Zuhörer richtig als Ueber-
schrift hinzugefügt, wenn gleich es in der uns überkommenen des Anfangs
ermangelnden Handschrift nicht an der richtigen Stell»* steht. Der Abschn. VI
„vorläufige Aufzählung der drei Tongcschleehter" gehört zwar seinerseits auch
in die „Eingangs-Partie" (~i <£p/flK aber diese Ueberschrift „tä ty'/Z"
wird in der alten noch unverkürzten Handschrift der zweiten Harmonik nicht
vor dem Abschn. VI, sondern etwa vor Absehn. I „Topische Bewegung der
Stimme" oder gar vor dem Prooinuon gestanden haben und aus dem im übrigen
nicht erhaltenen Anfange der zweiten Harmonik zurückgeblieben sein, bis es
dann im Codex des Zosiinus an den Rand verdrängt ist.
Der Titel, unter welchem Aristoxenus die auf die „Eingangs-Partie" fol-
genden Abschnitte der speciellcren Ausführung begreift, der Titel „I/rotycla"
wird wie gesagt in den harmonischen Schriften des Aristoxenus vom Autor
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Die Ueberschriften ?d h dpy ft und aror/ela. 185
mir einmal citirt, aber er gebraucht ihn als Citat in seiner Rhythmik. Dort
nämlich sagt er § 21 bei der Erörterung der rhythmischen Irrationalität:
„Wie ich in den diastematischen Stoicheia dasjenige als etwas der
Natur des Melos nach Bestimmbares gefasst habe . . . , dagegen das-
jenige als etwas bloss den Zahlenverhältnissen nach Bestimmbares,
... so soll ganz analog das Rationale und auch Irrationale in der
Rhythmik genommen werden."
Die Stelle der Harmonik, worin das aus seiner Intervallen-Lehre ange-
führte. Citat zu lesen war, ist uns in den Harmonik- Handschriften nicht fiber-
liefert. Sie muss in dem Abschn. XI: ..Von den einfachen, dann von den zu-
sammengesetzten Intervallen gestanden" haben, jenem Abschnitte, von welchem
nur der Snhluss: „das Bestimmen der diaphonischen durch die symphonischen
Intervalle" in der zweiten Harmonik erhalten ist. Wo Aristoxenus im „Umrisse"
von den Intervallen spricht § 38, das gehört nach seiner Aussage nach der
„Eingangs-Partie'4, also noch nicht den „Stoicheia" an, doch verweist er an jener
Stelle auf die im weiteren Verlaufe seiner Harmonik folgende spccielle Aus-
führung der Intervalle.
Eben diese uns fehlende speeielle Ausfülirung der Intervallen-Lehre (Ab-
schnitt XI) ist es, welche Aristoxenus in der Rhythmik als „diastcinatische
Stoicheia" citirt. Der Zusatz „diastematische" setzt voraus, dass der die spe-
eielle Lehre von den Systemen darstellende Abschn. XIII, von dem uns nur
die beiden ersten Paragraphen erhalten sind, im Sinne des Aristoxenus als
systematische Stoicheia zu benennen seien würde.
Wollte man in der ersten Harmonik § 61:
„Wie die Aufeinanderfolge der Intervalle vor sich geht, und welches
Intervall zu einem anderen hinzugesetzt oder nicht gesetzt wird, das
wird in dem Stoicheia gezeigt werden"
statt „Stoicheia" mit der Einschaltung eines Wortes „diastematische Stoicheia"
lesen, so würde damit zwar der Sinn des Aristoxenus getroffen sein. Aber
wenn Aristoxenus in dem Citate der Rhythmik „diastematische Stoicheia"
sagt, so folgt daraus keineswegs, das Aristoxenus auch in der ersten Harmonik
§ 61 zu „Stoicheia" denselben Zusatz „diastematisch" hinzugefügt haben muss.
Vielmehr gehören alle auf § 61 folgenden Abschnitte zu den Stoicheia im Sinne
des Aristoxenus; die nächstfolgenden zwei Abschnitte sind die von den Inter-
vallen handelnden „diastematischen Stoicheia"; der alsdann weiterhin folgende
Abschnitt, welcher die Systeme eingehend (nicht wie Absehn. IV im Umrisse)
bespricht, würde nach Aristoxenischer Analogie die „systematischen Stoicheia"
sein.
Wenn Aristoxenus diejenigen Partieen der Harmonik, welehe die betref-
fendrn Gegenstände nicht wie die „Eingangs-Partiecn" im Umrisse behandeln,
sondern im Speciellen ausführen, als Stoicheia bezeichnet, so wird er zur Wahl
dieses Ausdruckes durch die „geometrischen Stoicheia" der Vorgänger Euklids
bewogen sein (vergl. oben S. 165). Entschieden thut sich Aristoxenus, der frühere
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180
Aristoxenus Schriften über das Melos.
Schüler der Pythagoräer, auf die geometrische Methode, welche er für seine
Darstellung der Harmonik anwendet, gar viel zu Gute. Das sehen wir aus dem
Abschn. XII mit seinen 28 Lehrsätzen in der Form geometrischer Axiome und
Probleme; das sehen wir ferner aus dem Schlüsse des Prooimions seiner dritten
Harmonik. Für die ersten Anfänge seiner Wissenschaft erlaubt er sich frei-
lich nicht mit seinen Zuhörern sogleich den Weg der geometrischen Stoicheia
zu betreten, da niuss er, um verstanden zu werden, die betreffenden Gegen-
stände erst nach ihren Umrissen vortragen. Das sind die Eiugangs-Particen
seiner Doctrin, ?a iv dpyjQ- Erst nach dieser einleitenden Verständigung darf
Aristoxenus es wagen, seinen Zuhörern die Gegenstände in der nöthigen Voll-
ständigkeit, an welcher nichts vermisst werde (vgl. § 38), in strictcr mathema-
tischer Beweisführung vorzutragen. Von da an sind seine harmonischen Er-
örterungen „Stoicheia", so gut wie die geometrischen Stoicheia der alten Vor-
gänger des Euklides, welche wohl unmittelbar auf die Schule des Pythagoras
zurückgehen. In dem reichhaltigen Commentare des Proklus zu den geome-
trischen Stoicheia des Euklid erfahren wir viel einzelnes auch über die Vor-
gänger des Euklides, ihre Abweichungen in der Methode und in der Nomen-
clatur, z. B. bezüglich der Axiomata und Theoremata; wir erfahren auch dies,
dass die geometrischen Stoicheia des Euklid keineswegs eine Original- Leistung,
sondern ein zusammenfassendes Compendium sind.
Subsumiren wir schliesslich die 18 Abschnitte der beiden ersten harmo-
nischen Schriften des Aristoxenus, welche das Prooimion aufführt, unter die
von Aristoxenus im Verlaufe der Vorlesungen geinachten zwei Hauptabthei-
lungen :
A. Tot Iv dpxi-
Prooimion vgl. S. 184.
I. Topische Bewegung der Stimme (vgl. S. 184).
II. Absteigen, Aufsteigen, Tiefe, Höhe, Tonstufe.
III. Ob unendlicher oder endlicher Abstand zwischen Hohem und Tiefem?
IV. Vorläufige Definition und Eintheilung von Ton, Intervall, System
(vgl. § 38).
V. Vorläufige Scheidung der Arten des Melos.
VI. Drei Arten des musikalischen Melos im Umrisse (vgl. Marginale
zu B § 45: doy+i).
VII. Die symphonischen Intervalle.
VIII. Ganzton - Intervall und seine emmelischen Theilc (vgl. B § 49 mit
§ 66 S. 182).
IX. Worauf die drei Tongeschlechter beruhen (vgl A § 54 mit B § 66
S. 182).
X. Die Aufeinanderfolge der Intervalle auf der Scala im Umrisse an-
gedeutet (vgl. A 59).
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Die Ueberschriften t<x h dpxfi »nid srot/cta. 187
B. Itot^eta.
XI. Die r infachen und zusammengesetzten Intervalle (vgl. rh. § 21).
XII. Die emmelische Zusammensetzung der einfachen (vgl. A 61).
XIII. Die Systeme.
XIV. Die Mischung der Tongeschlcchter.
XV. Die Töne der Scala.
XVI. Die verschiedenen Stimmlagen (Stimmregionen).
XVII. Die Trauspositions-Scalen.
XVIII. Die Metabole.
Soviel wir von der dritten Harmonik des Aristoxenus aus dem von ihr
allein erhaltenen Prooimion ersehen können, ao enthielt dieselbe keine vorläufig
instruirenden Abschnitte, keine „ti h flUv^g", sondern bestand lediglich aus
„OTOiycta."
Jetzt dürften Vir im Stande sein, die Citate der Imrmoniacheu Schriften
des Aristoxenus bei Kiaudius Didymos, Porphyrius zu verstehen: wo die erste
Harmonik als rcepl dfr/röv citirt wird, da ist dies nicht als Titel des Werkes
anzusehen, sondern gilt von der Eingangs -Partie desselben. Wo das „Prooi-
mion der Stoicheia" citirt ist, da ist die dritte Harmonik gemeint, die ja, wie
uns wahrscheinlich wurde, keine einleitenden, nur die Umrisse gebenden Ab-
schnitte enthielt. An Stelle des von Aristoxenus selber herrührenden rd dv
*PX!j 8t<*nl Uberschrift im Venetus u. a. der dem Sinne nach ganz gleiche
Aufdruck xd tzoo x<öv oroe/ettav.
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Erste Harmonik des Aristoxenus.
Sie ist eine durch Lücken, Umstellungen und Zusätze mehrfach
Versehrte, aber dennoch im Ganzen gut erhaltene und trefflich zu-
sammenhängende Darstellung der Harmonik als der ersten und
fundamentalen Disciplin unter den theoretischen Disciplinen der
Wissenschaft vom uiXo;, d. i. der tonischen Seite der Musik im
Gegensatze zur rhythmischen. Die Schrift beginnt anknüpfend
an frühere Auseinandersetzungen des Aristoxenus über das jieXo?
mit einem Prooimion, in welchem Aristoxenus den Begriff der von
ihm als Harmonik bezeichneten Disciplin und eine Uebersicht der
einzelnen im folgenden zu behandelnden Abschnitte giebt. Die auf
das Prooimion folgende Ausführung nennt folgende 10 Abschnitte
(von ungleicher Ausdehnung):
I. Die contiuuirlieke und die discontinuirliche Bewegung
der Stimme (beim Sprechen und beim Singen).
II. Aufsteigen, Absteigen, Höhe, Tiefe, Tonstufe.
III. Ist die grösste und die kleinste Entfernung zwischen
Hohem und Tiefem eine unbegrenzte oder eine begrenzte?
IV. Definition von Ton, Intervall, System; vorläufige Ein-
theilung der Intervalle und Systeme.
V. Das musikalische Melos.
VI. Die drei Arten des musikalischen Melos (das diatonische,
chromatische, enharmonische).
VII. Die symphonischen Intervalle.
VIII. Der Ganzton und seine Theile.
IX. Die Unterschiede der drei Tongeschlechtcr.
X. Die Folge der Intervalle im Allgemeinen.
Soweit der gut und im continuirlichen Zusammenhange über-
lieferte Theil dieses Buches. Dem Inhaltsverzeichnisse des Prooi-
mions gemäss will Aristoxenus nach dem zehnten noch folgende
acht Abschnitte ausführen:
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Nach Marquard ein Byzantinisches Machwerk. 189
XI. Die einfachen und die zusammengesetzten Intervalle.
XII. Die Zusammensetzung der einfachen.
XIII. Die Systeme.
XIV. Die Mischung der Taktgeschlechter.
XV. Die Scala-Töne.
XVI. Die Stimmlagen.
XVII. Die Transpo8ition8-Scalen.
XVIII. Die Metabole.
Aus dem XII. Abschnitte, der nach Aristoxenus' gelegentlicher
Andeutung einer der wichtigsten und umfassendsten der ganzen Har-
monik sein soll, finden sich in unserem Buche einige wenige un-
zusammenhängende Sätze. Von den übrigen Abschnitten ist darin
gar nichts erhalten.
Die Verdächtigung des Baches als eines Byzantinischen
Falsifikates.
•
Die Schädigungen, welche der Text des Buches in der handschriftlichen
Ueberlieferang erlitten hat, sind unter Anwendung der einfachsten Mittel der
Kritik säinmtlich zu entdecken und zum Theile zu heilen. Es gehört fast in
da* Gebiet der incredibilia, was der neueste Herausgeber und Erklärer Paul
Marquard aus dem Buehe bezüglich der Aufdeckung seines Zusammenhanges
und bezüglich der Frage höherer Kritik gemacht hat. Dass Marquard das
Buch seinem ,,hochverehrten Lehrer Friedrich Ritsehl in dankbarster Gesinnung
gewidmet" hat, wird sich dieser haben gefallen lassen müssen.
Den Hauptanstoss nimmt Marquard daran, dass die Reihenfolge der in dem
Prooimion angekündigten Abschnitte in der Ausführnng eine andere ist, als sie im
Prooimion angekündigt war. S. 371: ,,Kam dein Aristoxenus während der Aus-
„führung der Gedanke, dass diese Anordnung und die Aufnahme dieser Capitel
„besser sei als die in der Disposition angekündigten, so musste er die Dispo-
sition ändern. Es ist einfach lächerlich, eine Disposition vorauszuschicken
„und sich nachher nicht nach ihr zu richten; sie würde, während ihr Zweck
„ist, den Leser zu Orientiren, die gründlichste Verwirrung desselben bewirken,
„wie denn jeder, welcher die Schrift in der jetzigen Gestalt zum ersten Mal
„liest, über allzugrosse Uebersichtliehkeit derselben nicht zu klagen haben Wird.
„So verfährt kein vernünftiger Schriftsteller, kaum einmal die deutschen Ro-
mantiker, viel weniger ein Schüler des Aristoteles. Will man aber darin
„eine Entschuldigung suchen, dass die dp/*l eine der frühesten Schriften des
„Aristoxenus sind, so kann man gewisse Dinge, wie oben angedeutet worden,
„allerdings auf Grund dessen entschuldigen, nimmermehr aber darf man an-
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19Ü
Aristoxenus erste Harmonik.
„nehmen, dass Aristoxenus statt gerade im Anfange sich rechte Mühe zu geben,
„seinen Ruf durch solche Liederlichkeiten habe begründen wollen."
Marquard schliesst aus dem Allem: „Man kann dreist annehmen, dass wir
„diese ganze zerfahrene Behandlung allein der Hand des letzten Redacteurs
„zu verdanken haben, — nicht dem Autor, sondern dem, welcher in das ihm
„vorliegende Material ohne Rücksicht auf den Zusammenhang hineingreift und
„sieh herausholt was ihm gerade mundet."
Byzantinische Gelehrte pflegen freilich mit älteren griechischen Schriften
genau in der hier von Marquard angegebenen Weise zu verfahren. Auch
Aristoxenischen Schriften ist dies Schicksal zu Theil geworden. So hat es
Michael Psellos nicht für einen Raub gehalten, aus der uns handschriftlich
erhaltenen Rhythmik des Aristoxeuus ein Opusculum zu fabriciren unter dem
Titel: MiyrfjX toü TeXXoO TtpoXafußavdfAeva cU t7)v |>'j&{Mx*)v dictortjp.Tjv. Dass es
keine eigene Arbeit ist, sondern aü-coXeSel mit völlig willkürlicher und unver-
ständiger Aeuderung in der Reihenfolge der Sätze abgeschrieben aus Aristoxenus,
den er nur obenhin im Eingänge einmal erwäluit — das sagt Michael Psellus
mit keinem Worte. Die ganze Bedeutung dieses Opusculum besteht nur darin,
dass die Rhythmik des Aristoxenus zur Zeit, wo Psellus sie so schamlos plün-
derte, noch etwas vollständiger vorlag als in den auf uns gekommenen Hand-
schriften, so das« wir dem Byzantinischen Freibeuter noch immerhin zu ei-
nigem Danke verpflichtet sind.
Von der Art der rhythmischen Prolambanomena des Psellus würde nun
auch die uns in den Handschriften des Aristoxenus als dessen erstes Buch der
Harmonik vorliegende Schrift sein, wenn anders die Meinung Marquards die
richtige wäre. Vgl. Marquard S. 395. Ich glaube durch diesen Vergleich mit
Psellus die Ansicht Marquards genau getroffen zu haben. Ich wiederhole ihr
gegenüber die in meiner griechischen Harmonik ausgesprochene Behauptung,
dass jenes den Namen des Aristoxenus tragende harmonische Buch eben so sehr
ein achtes Werk des Aristoxenus ist, wie die den Namen des Aristoxenus tragende
Rhythmik.
Nicht minder wie an der Rhythmik hat sich auch an der Aristoxenischen
ersten Harmonik ein Byzantiner versucht, der aber seiuen Namen nicht auf die
Nachwelt gebracht hat. Wir besitzen sein Fabrikat unter dem Titel des
ävtt»vu(jio; zepl |aou;ixt^ zum ersten Male herausgegeben von Bellermann, der
zugleich das Verhältnisa dieses Traktates zu seiner Aristoxenischen Quelle aus-
führlich besprochen hat.
Wer sich also der Ansicht Marquards anschliessen kann, der um*s an-
nehmen, dass aus einem Aristoxeniseheu Buche ein Byzantinischer Anonymus
durch principlose wilde Umstellung der Säty.e ein neues Buch ähnlich den
rhythmischen Prolambanomena des Michael Psellus gemacht habe, ein Buch,
welches in den auf uns gekommenen Handschriften der griechischen Musiker
den falschen Titel des Aristoxenischen dpy il öpfiovtxai oder tö -pi xä>v oxoiydtuv
äpfjLcmxäiv führe.
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Nach Marquard ein Byzantinisches Machwerk.
191
dass dann ferner aus diesem Machwerke eines Anonymus ein zweiter
Anonymus (der Anonymus Bellermanns) durch fortgesetzte principlose wilde Um-
stellung und willkürliche Auslassung von Sätzen einen zweiten Tractat irepi
[iwnxffi gemacht habe.
Der erste Tractat würde ein direeter, unmittelbarer Auszug aus Aristo-
xenus, der zweite ein indirecter, ein Auszug des Auszuges sein.
So müseten wir nach Marquard glauben. Aber jener erste Auszug ent-
halt nach Marquards Behauptung wenigstens zu Anfang noch rein Aristoxenisches,
ohne Umstellung der Sätze. Dies ist nämlich das Prooimion mit dem darin
enthaltenen Inhaltsverzeichnisse. Freilich könne auch das Prooimion nicht als
Theil des Aristoxenischen dpyaX gelten, denn es seien Bruchstücke aus zwei
verschiedenen Aristoxemischen Werken darin contaminirt. Gerade in dem In-
haltsverzeichnisse verrathe sich die Fuge des Contaminates. Der erste Anfang
§ 1—9 möge aus dem Eingänge der dpyaX hergenommen sein, aber von da an,
von § 10-23, habe der Excerptor aus einem anderen Aristoxenischen Werke
die Ankündigung der Abschnitte entlehnt. Doch wenn auch aus 2 verschie-
denen Werken des Aristoxenus , Aristoxenisch sei das ganze contaminirte
Prooimion, ohne dass der Byzantische Anonymus daran seine die Sätze Um-
stellende und durcheinander werfende Hand angelegt habe. Aber mit der auf
das Prooimion folgenden Ausführung der im Prooimion angekündeten Ab-
schnitte § 24 beginne das Werk des Anonymus; unmöglich dürfe man dies
für Aristoxenisch halten, da darin das Zusammengehörende aus einander ge-
trennt, da der logische Zusammenhang gestört, da es mit einem Worte eines
Schülers des Aristoteles unwürdig sei.
Es ist nothwendig zur Beurtheilung der Marquardschen Verdächtigung
die Reihenfolge der im Prooimion angekündigten Abschnitte mit der Reihen-
folge der Abschnitte in der auf das Prooimion folgenden Ausführung zu ver-
gleichen.
Inhaltsverzeichniss des
Prooimion.
§ 4. Topische Bewegung der Stimme.
§ 5. Absteigen, Aufsteigen, Tiefe,
Höhe, Tonstufe.
§ 6. Abstand zwischen Hohem und
Tiefem.
Ausführung.
I. Die Unterschiede in der topi-
schen Bewegung der Stimme als
contiuuirliche (beim Sprechen)
u. discontinuirliclie ibeim Singen).
II. Absteigen, Aufsteigen, Tiefe,
Höhe, Tonstufe.
III. Ob die grösste und kleinste Ent-
fernung zwischen Hohem und
Tiefem eine unbegrenzte oder
begrenzte'?
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192
Aristoxenus erste Harmonik.
§ 7. Ton
Definition des Intervalle»,
Eintheilung,
Definition des Systemes.
Eintheilung.
§ 8. Allgemeine Andeutung der Arten
des Melos.
§ 9. Die drei Arten des musikalischen
Melos.
<§ 10 fehlt).
(§ 11 fehlt).
§ 12 Die Topoi, auf denen die drei
Tongeschlechter beruhen.
§ 13. Die Aufeinanderfolge der Inter-
valle anzudeuten.
(12 iL 13 in den Codd. umgestellt ).
§ 14. Die einfachen und zusammen-
gesetzten Intervalle.
§ 15. Die Zusammensetzung der unzu-
sammengesetzten.
IV. Definition des Tones,
Definition des Intervalle«,
Definition des Systemes,
Eintheilung der Intervalle,
Eintheilung der Systeme.
V. Allgemeiner Unterschied des mu-
sikalischen Melos von den übri-
gen Arten des Melos.
VI. Die drei Arten des musikalischen
Melos.
VII. Die symphonischen Intervalle.
VIII. Das Ganzton-Intervall und seine
im Melos vorkommenden Theile.
IX. Auf welche Weise die drei Ton-
geschlechter entstehen?
X. Die unmittelbare Aufeinander-
folge der Intervalle soll im Um-
risse angedeutet werden.
XI. Die einfachen und zusammen-
gesetzten Intervalle.
XII. Die Zusammensetzung der ein-
fachen.
Die Abschnitte I— VI sind genau so auch im Inhalteverzeichnisse des
Prooimion augegeben, wenn man die in der Handschrift fehlende Erwähnung
des Tones § 7 restituirt.
Von Abschnitt VII an. sagt Marquard, stehe dagegen die Ausführung
mit dem Prooimion im Widerspruche. Auf VI solle nämlich dem Prooimion
gemäss folgen, „was unter der Aufeinanderfolge der Intervalle zu verstehen
sei?"; statt dessen folge Abschnitt VII „die symphonischen Intervalle", welche
dem Prooimion zufolge § 12 erst hinter IX den Tongeschlcchtern folgeu sollten.
Die von Marquard hervorgehobenen Widersprüche zwischen Inhaltsver-
zeichnis» und Ausführung in der Reihenfolge der Abschnitte sind vorhanden.
Jenes sind die kleinereu, dieses die b 'i weitein grösseren Massen. Marquard
verlangt, dass jene kleineren Massen, von denen auf jeden Abschnitt nur
wenige Zeilen kommen, die Norm für die Anordnung der grösseren Massen
abgeben sollen. Das ist freilich, wie Marquard einsieht unmöglich. Das Um-
gekehrte würde möglich sein, dass nämlich die kleineren Massen, die nur
wenig Zeilen enthalten, nach Massgabe der grösseren Massen (der Ausführung)
sich ordnen sollen. Nach Marquard beruhen die Diserepanzen zwischen Aus-
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Nach Marquard ein Byzantinisches Machwerk.
193
fuhrung und Prooimion in der Ausführung. Dass sie im Prooimion liegen könnten,
daran hat Marquard nicht gedacht. Er hält das Inhaltsvcrzeichniss des Pro-
oimion» in allen Stücken für intact, so sehr auch sonst nach seiner Ansicht
das Prooimion von Mängeln der Textesüberlieferung wimmelt. Man hat nicht
die mindeste Garantie, eine lückenlose Textesüberlieferung gerade für das I n -
halts verzeich niss des Prooimions vorauszusetzen, mn so weuiger, da dies
Inhalts Verzeichnis nach Marquards Versicherung ja aus zwei verschiedenen
Werken des Aristoxenes', den dpyi\ und noch einem anderen Werke com-
pilirt ist
Wollen wir jetzt unsern Blick auf die einzelnen Abschnitte richten, welche
im Prooimion genannt sind, und auf diejenigen, welche hinter dem Prooimion
ausgeführt werden ! Alle elf Abschnitte der Ausführung sind auch im Inhalts-
verzeichnisse des Prooimion genannt mit Ausnahme des VII. und VIII. Ein
dritter Abschnitt X i § 13 1 ist im Prooimion an eine andere Stelle gesetzt als an
diejenige, an welcher ihn die Ausführung behandelt. Die Annahme einer Lücke
im Prooimion, in welcher der Inhalt der beiden Abschnitte VII und VIII ge-
nannt war, etwa:
§ 10. Sodann sind die symphonischen Intervalle näher zu behandeln.
§ 11. Darauf ist der Ganzton-Intervall zu definiren und in seine Theile
einzutheilen
und die Annahme einer einzigen Umstellung (der §§ 12 u. 13) hebt alle Disere-
panzen zwischen der Ausführung und dem Prooimion auf.
Dass nicht auch Marquard diese Lücke nebst der Umstellung erkannt hat,
dass er das Inhaltsvcrzeichniss des Prooimion durch und durch für unverletzt
hält und lieber die ganze Ausführung für Byzantinisches Flickwerk erklärt,
dazu bedurfte es seiner ganzen Voreingenommenheit gegen die Ausführung,
bei der er „vom ersten Durchlesen her über allzugrosse Deutlichkeit nicht zu
klagen hatte" und die ihm auch späterhin nicht klarer geworden ist. Sie ver-
führt ihn, lieber die Auslassung von ganzen umfassenden Abschnitten im ver-
meintlichen Originale der Ausführung, als einen Ausfall von wenigen Zeilen
im Inhaltsverzeichnisse zu statuiren.
Wo Marquard mit so einfachen Mitteln einer gesunden und besonnenen
Kritik ifast mit Ilausmittelchen. wie Wilhelm Sigismund Teuffei sagen würde)
hätte helfen können, thut er lieber das Ungeheuerliche: er erklärt die ganze
Ausführung, die ihm beim ersten Durchlesen nicht übermässig klar gewesen
sei. für das nach einem Aristoxenischen Originale angefertigte Machwerk eines
Byzantiners. Da» heisst freilich ein drastisches Mittel angewendet! Aber welch
leichtsinniges Fortgeben altgriechischen Gutes! Welche nicht zu revoeirende
Ungerechtigkeit in dem Vorwurfe der Lüderlichkcit, mit der er die gewissen-
hafte Arbeit des Aristoxenus zu miscreditiren sucht! Marquard gleicht dem
thörichten Manne, der ein werthvolles solides Haus, mit einigen alten kostbaren
Möbeln darin als Erbtheil empfängt, aber weil zwei Zimmer der Möbeln ent-
behren und weil sie in. einem dritten verkehrt gestellt oder etwas geschädigt
Arittoieuai, Mellk u. Rhjthmik. 13
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11)4
Aristoxenus erste Harmonik.
sind, das werth volle solide Hau«, weil es nicht zu den Möbeln passe, zu ver-
nickten befiehlt. Denn was macht Marquard mit Aristoxenus anders, als dass
er dem Leser gegenüber ihn und seine Autorität vernichtet, indem er ihn für
eine Byzantische Fälschung ausgiebt?
Der Grund für alle diese Behauptungen ist dem Herrn Marquard angeblich
die grosse Discrepanz, welche zwischen Abschnitt VII ff und dem Vorausgehenden
bestehe. Es herrsche hier voll« Zusammcnhangslosigkeit. Aus dem überlieferten
Texte geht hervor, dass gerade das Umgekehrte der Fall ist, n;imlich dass guter
Zusammenhang vorhanden ist. In dem Vorausgehenden heisst es Abschnitt III
§ 35: aA/xd xdy er* etrj zeoi to6t(u> 6 Myo; oux faafxiioi ei; tö zotpöv, fctfoep h
tüic ir.ma toOt ,lr.io%i'\>'xo%*\ Tteipa-iov, d. i. „Dass der Abstand zwischen Tiefe u.
Höhe, wenn wir die Stimme und da* Gehör berücksichtigen, nicht unendlich klein
oder unendlich gross ist, ist also klar. Wenn wir hierbei aber auf die Natur
de* Melos an sich Rücksicht nehmen, dann wird es der Fall sein, dass die
Grösse des Abstandes bis ins Unendliche geht. Aber vielleicht ist es nicht
nöthig für jetzt darüber zu handeln; deshalb soll in dem weiter Folgen-
den der Versuch gemacht werden, dies zu untersuchen."
Wo ist der mit iu toi; ereita bezeichnete Abschnitt zu suchen? Es i*t
der Abschnitt VII, von welchem Marquard behauptet, dass er von einem an-
deren Verfasser herrühre als das Vorausgehende. Dort heisst es nämlich § 47:
O'jtcu fiiv öjv tyj*. eotxcv eivcd ti pifiGTOv o'j^cuvov oidsnjpv. Katd [xtvvroi tt(v
■/j(A6Tlpav ypfjtnv (Xiyaj 8 i,|j.S7(ipav tt)v te otd xfj; toD dvftpu>~ov> ^om,; Ylv5fA^vriv
xal rf,v oid tö»v ^p^avur*) cpalv£Tot{ ti |x£Yl9T'iV eivav tüiv *rjfrfa>viuv. toOto o £ot! tö
otd tt£vte xal to ota £ta t-so&v, fi£ypi ^dp toj Tplo otd ^ootov oux £ti oiaTclvofiv etc.
„So scheint es nun nach der Natur des Melos keine äusserste Grenze für
„die Grösse der symphonischen Intervalle zu geben. Jedoch mit Rücksicht
„auf unsere Praxis (ich nenne „unsere" die durch die menschliche Stimme und
„durch die Instrumente gegebene) giebt es augenscheinlich ein grösstes unter
„den symphonischen Intervallen. Und zwar ist dieses das aus der Doppeloctave
„und der Quinte zusammengesetzte Intervall, denn bis zu dreiOetaven können
„wir nicht hinaufsteigen."
Marquard scheint die Behauptung, dass der Abschnitt VII von einem an-
deren Verfasser als die vorausgehenden ivon ihm dem Aristoxenus vindicirten)
herrühre, nicht anders als in dem guten Glauben ausgesprochen zu haben, dass
diejenigen, welche diese Behauptung lesen, die Aristoxenische Harmonik selber
ungelcsen lassen würden. Denn wer sie wirklich mit einigem Nachdenken
liest, der weiss sofort, dass der Verfasser des Abschnittes VII und des Ab-
schnittes III ein und derselbe ist, dass wenn also Abschnitt III, wie Marquard
sagt, Aristoxenisch ist, dass dann auch der Abschnitt VII den Aristoxenus
ebenfalls zum Verfasser hat. Dasselbe wird man auch für die weiteren auf
VII folgenden Abschnitte finden. Wir können es unterlassen, auf die betref-
fenden Stellen hier hinzuweisen. Aus unserer Ausgabe und erläuternden Ueber-
setzuug ergeben sie sich dem I^eser von selber.
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Das Prooimion nach Marquard conglutinirt. 195
Die angebliche Entstehung des Prooimion
ans der Conglntination zweier Aristoxenischen Schriften.
Das Auffallendeste in der Art der Kritik, welche Herrn Marquard für
Aristoxenus beliebt, ist dies, dass er das mit der folgenden Ausführung nicht
stimmende Inhaltsver/eichniss des Prooimion, um dessentwillen er die ganze
Ausführung dem Aristoxenus abspricht, das auffallendste — sage ich - ist
dies, dass er das Prooimion zwar für Aristoxenisch erklärt, aber nicht aus
Einem Werke entnommen, sondern aus zwei verschiedenen Werken des Ari-
ßtoxenus contaminirt wissen will. Wäre das wahr, so wäre schwer zu begrei-
fen, weshalb das Inhaltsverzeichniss aus zwei Werken genommen sei, die
erste Hälfte aus einem, die zweite aus einem anderen. Noch schwerer aber
ist einzusehen, wie Marquard das für höhere Kritik halten kann, wenn er aus
einem Inhaltsverzeichnisse, das aus zwei verschiedenen Aristoxenischen Werken
contaminirt ist, das Kriterium für die Authenticität oder Nicht- Authentizität
der dem Verzeichnisse folgenden Ausführung entnehmen zu können glaubt Ja,
wäre es ein einziges, in sich zusammenhängendes Inhaltsverzeichnis eines ein-
zigen Aristoxenischen Werkes, so Hesse sich nach demselben ermessen, ob die
Ausführung des Inhaltsverzeichnisses demselben Werke des Aristoxenus wie
das Inhaltsverzeichniss angehört oder nicht. Aber wenn, wie Marquard behaup-
tet, der erste Theil des Inhaltsverzeichnisses einem anderen Werke als der
zweite angehört! Kann es da noch massgebend für dasjenige sein, was auf
das Inhaltsverzeichniss folgt!
Doch hat es mit der Contaminatiou des Inhaltsverzeichnisses aus zwei
Aristoxenischen Werken eben so wenig zu sagen wie mit allen übrigen Ergeb-
nissen der höhereu Kritik, welche Marquard an Aristoxenus ausübt. Die Fuge
der Contamination sei im Inhaltsverzeichniss deutlich genug zu erkennen. Sie
finde sich in dem Satze:
§ 12. Kit dnoooTiov t«; tüm ytvüiv otaifopi; «ita« ta; h toi; xwjpivot«
töiv «pbo^euv. Dass das ein dem Inhalte nach durchaus zusammenhängender
Satz ist, desseh Wort«', auch wenn ein handschriftlicher Fehler darin steckt,
aufs engste zusammengehören, weiss Marquard recht gut Denn Marquard
selber setzt in seinem exegetischen Commentare zu Ari.stoxeuus die von diesem
und anderen Musikern sattsam wiederholte Lehre auseinander, dass der Unter-
schied der Tongeschlechter auf den sogenannten veränderlichen Tönen der
Scala {den xivo'j|icwi beruhe. Der Proslumbauomenos, die Parhypate,
Hypate, Mese, Nete sind unveränderlich lisTujTs;); Parhypate, Lichanos, Trite
sind veränderlich: durch das Aufwärts- und Abwärtsstimmen der letzteren
wird die Verschiedenheit der Tongeschlechter hervorgebracht. Das natürlich
ist es, was in dem vorliegenden Satz«: des § 12 kürzlich angegeben sein muss.
Nun ist freilich in den Handschriften ein Wort falsch Überliefert: statt
äi-Kpopa; aÜTd; steht öia^opd; otjtf^. Schon Meibom weiss, dass das falsch ist,
13*
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196 Aristoxenus erste Harmonik.
weiss auch, daas Stoupopd; a<kd; geschrieben werden muss. „Hilft nichts4', meint
Marquard, „man muss den Satz zertrennen!'' Er giebt den Text, wie wenn
Meibom niemals gelebt hätte, und übersetzt „Alsdann sind die Unterschiede
derselben in den beweglichen Klängen auseinander zu setzen." Was „der-
selben'' bedeuten soll, erfährt man nicht. Marquard setzt voraus, aus dem
Commentare werde es der Leser erfahren. Da erfährt derselbe, dass es gar
nichts bedeuten soll und überhaupt nichts bedeuten kann , denn da** seien zwei
unvollständige Satzfolgen, so zu lesen:
EtT diroooriov tdc t<"jv -jeyün ötatfopd; -rirf,; . . .
Td« £v toi; xiwjuivu; tun ^Hffmy, dro&OTiov Ii xol tox T<5roy; iv oT;
xinoDvtok.
Hinter ateffi (oder vor oi»-f(;, das wird nicht klar) zeige sieh die Fuge, die
aus der Contamination zweier verschiedenen aus zwei verschiedenen harmo-
nischen Werken des Aristoxenus genommenen Inhaltsverzeichnissen zurückge-
blieben sei.
In dem handschriftlich überiieferten Texte fehlt allerdings eiu Wort, auf
welches, man täv jevuiv ^tatfopd; beziehen könnte. Wir haben 8. 192. 193
aus anderen Gründen nachgewiesen, dass vor den Worten des § 12 eine band
schriftliche Lücke vorhanden ist, in welcher ursprünglich eine wie auch immer-
hin gehaltene Inhaltsanzeige des Abschnitte* VIII stand, welcher in der Aus-
führung § 49 mit den Worten scbliesst:
xoÄetaöc) oe ?ö jasv Rdyiotov oUat; ivotpfjfivto; sXi/Iott^ to K e/opEvov Steou
Das sind die drei kleineren Theile des Ganztones, die dreifachen eigen-
artigen Bestandteile des enharmonischen , chromatischen, diatonischen Tonge-
schlechtes. Darauf folgt nun in §12: „Sodann sind die auf den veränderlichen
Scalatönen beruhenden Tongeschlechtcr selber zu besprechen": erst die In-
tervall-Megethe, auf denen sie beruhen (§ 11), dann die Tongeschlechter
selber, das enharmonische, chromatische, diatonische und ihre verschiedenen
Chroai (§ 12 t. Das ist Alles im besten Zusammenhange und die vermeintliche
Fuge der Contamination, welche Marquard vor oder hinter a-itf,; erkannt haben
will, ist vielmehr ein längst von Meibom berichtigter Fehler der Handschrift.
Marquard weiss mit dieser Berichtigung Meibom's nicht anzufangen, weil von
Meibom noch nicht die Lücke § 10 und 11 u. die Umstellung der §§ 12 u. 13
erkannt war. Wir könnten uns auf jenes ?i; t<üv fevuw ^ta^opd« rixd; als einen
evidenten äusseren Beweis für die Richtigkeit unserer Annahme der Lücke
und der Umstellung S. 193 berufen, wenn hier noch ein Beweis nöthig wäre.
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Ihr Zusammenhang mit anderen Schriften (Vorlesungen). 197
Zusammenhang der ersten Harmonik des Aristoxenus
mit anderen Schriften desselben.
Bezüglich der angeblichen Zweitheiligkeit des Inhaltsverzeichnisses sagt
Marquard ferner noch:
Das Inhaltsverzeichniss beginnt mit den Worten (§ 4).
Ilpükov uev ojv d;:dvTtuv rVjv tf,; ^tuv^c xtvy(aiv otopirrlov t<7) pIXXovri rpay*
fxarejeaftat ztpt [j-eXo-j; aür^v tt,v xatd tottov.
Es schliesst mit den Worten (§ 24):
Td fiev ojv rfj; dpjjLovixfj; xaXwfUvrjC £ttkjttjat(; {xe"pTt -a-itd te xi\ ToaaOtd
£a-:t, rd; f d^tuTipiu toutojv TTpa^fiaTela; t'tteg £tno[Aev dpyOfAEvoi TeXeiOTepovi ti"^;
•jnoX^TrrloN ctvai.
Im Anfange des Ruches hatte Aristoxenus nämlich gesagt (§ 1):
Tx h dvoi?£ptu 3aa ttEtupsrrn y_puij*£vr}S f(orj tf,; noiTj-ixfj; te ayarf^aat
xai toi; to*>i; o0x£7i ti'jttj? £otiv.
Marquard denkt sich, aus der am Anfange des Verzeichnisses genannten
r.toX ptiXo-j; ^pa^aa-Ttta stamme der erste Theil den Verzeichnisses, aus der am
Ende (§ 24) genannten dopoNixj) i-izzi^ stamme der zweite Theil. Und zwar
aus folgendem Grunde: „Die ersten sechs Abschnitte unseres Buches (I— VI)
behandeln Dinge, welche meist von der Art sind, dass sie in einer dpp.ovixrj
ezts-r^T,. nicht stehen konnten, sie behandeln sozusagen alle möglichen Urele-
mente der Musik" (!>; in einer zEpl piXo-j; £i:t3TT((iT( oder was dasselbe sei, in
den «pyai, seien sie überaus passend.
Wie weiss Marquard etwas darüber, welcher Inhalt für die Aristoxcnisehe
TTEpl [a£Xov>; ir.iati^, und welcher Inhalt für die Aristoxenischen dpyat passen«!
oder unpassend sei? Das von ihm hierüber Angegebene ist eben sosehr Phan-
tasie, wie das was er über den Inhalt der dptxovtx^ änorfjij.T, , in der er eine
Compositionslehre erblicken zu müssen glaubt, angiebt. Er bestimmt die da-
hin gehörenden und nicht gehörenden Dinge etwa nach der Compositionslehre von
Marx oder Lobe, aber nicht nach der ausdrücklichen, nicht misszuverstehenden
Definition, welche Aristoxenus von seiner dpfiOMtx^ r>paf\i.o.xtia gegeben hat.
Aristoxenus selber protestirt wiederholt dagegen, dass die dpfiovix-f) eine Com-
po*>itioMslehre sei. Es ist als ob er sich alle Mühe gebe, den Missverständnissen
des Herrn Marquard im Voraus zu begegnen. Aber Herr Marquard lässt alle
diese Verwarnungen unbeachtet. Im Anfange unseres Buches sagt der Ver-
fasser, dass die Harmonik die theoretische Disciplin sei, welche die ersten Ele-
mente des Melos, Tonsysteme und Tonleitern, behandele. Darüber gehe die
Harmonik nicht hinaus; die Verwendung der Tonsysteme und Tonleitern in
der Composition (suwjwi,) gehöre einer anderen Disciplin an (er meint die
ixeXoTOita), einer Disciplin die nicht für die Anfänger, sondern für die schon
weiter Fortgeschrittenen bestimmt sei. Das ist doch deutlieh genug. Dasselbe
Hagt er in dem Fragmente bei Plutarch de musica 34 b : „Die Harmonik vermag
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198
Aristoxenus erste Harmonik.
nicht derjenige zu beurthcilen, welcher sich blos die Keuntniss der Harmonik
erworben hat, sondern nur derjenige, welcher die sämmtliehen Theile der Musik
and die Musik als Ganzes, so wie auch die Verbindung und Zusammensetzung
der Theile im Auge hat. Wer blos Harmoniker ist, der ist in enge Schranken
eingeschlossen." Das ist genau dasselbe, was wir in der ersten Harmonik § 1
lesen. Aus welchem Werke des Aristoxenus Plutarch diese Stelle entlehnt
hat, wissen wir nicht. Aber auch in seiner dritten Harmonik § 3 wiederholt
Aristoxenus das nämliche: „Ausser Harmonik gehört, wie ich stets sage,
noch vieles andere in das Gebiet des Musikers." Also auch noch in anderen
Schriften hatte das Aristoxenus häufig wiederholt oder wenigstens seine Zu-
hörer darauf fort und fort hingewiesen.
Die Harmonik des Aristoxenus ist also mit Nichten eine Compositions-
lehre; das wissen wir aus seiner oft wiederholten Versicherung. Marquard hat
das übersehen.
Und dass in den „dpyal" von allen möglichen Urel erneuten der Musik
geredet worden sei, das hat Marquard wohl nur aus dem Namen dpyal ge-
schlossen. Ebenso wenig hat Marquard einen Grund, die dpyal mit der repl
pi£Xou; imvti^ zu identificiren.
Wer nicht in so grossen Vorurthcilen gegen Aristoxenus wie Marquard
befangen ist, der um jeden Preis die Aristoxeuus-Schriften zu einem Conglomerat
Byzantinischer Excerpte herabwürdigen will, dem kann das Verhältniss, in wel-
chem unser Buch zu der repl fiiXoos rpa^AaTela oder repl fx£).ooc iriOTTfjpnr; steht,
nicht verborgen sein. Aristoxenus selber sagt es ja deutlich genug:
Die repl ptiXou; irtoTTjpiT] hat mehrere Theile. Der erste Theil derselben
ist die dp[AONMc?) rpaYfxarela. Derselbe handelt repl oucTTjfxdTwv nal repl tovojv
in den XVIII Abschnitten, welche das Prooimion des ersten Buches namhaft
macht und von denen die vollständige Ausführung der 10 ersten auf das Prooi-
mion folgt.
AVas darüber hinausgehe, namentlich die Anwendung der Systeme und
Tonarten in der roir,Tix^ oder Compositionslehre gehöre nicht mehr der Har-
monik an. Darüber wolle er, sagt Aristoxenus, e*v toU xad+jxouoi yp6voi; reden.
Auch noch folgende Stelle aus Plutarch. de mus. 33, die ebenfalls aus
Aristoxenus stammt, ist herbeizuziehen: „Die Harmonik behandelt die Tonge-
schlechter, Intervalle, Systeme, die Töne, die Tonarten und die Metabole aus
einem Systeme in das andere. Aber weiter erstreckt sie sich nicht, so dass
man nicht einmal suchen darf, aus der Harmonik zu erkennen, ob der Com-
ponist die Tonarten richtig angewandt hat*'.
Also ein fernerer Theil der repl pi).oug inoTTjp;^, ausser der dpfxovtx^ ist
die ae>.oroila.
Aber ausser der ap|xovix^ und |u).oroil? müssen noch mehrere pip-rj zu
der repl pi/.oue imorr^r, gehört haben, da es heisst „t^; repl jiiXouc erurrriixT^
ro). jpiepoO; ouar^" (also mehr als zwei, mindestens drei Theile). Welche pUpt)
mögen dies gewesen sein?
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Ihr Zusammenhang mit anderen Schriften (Vorlesungen).
19!)
Aristides de mus. führt als Disziplinen oder Theile der musischen Kunst auf :
3 jjilpTj xeyvixa: dtp|i.oW..v, [>j8(jlixöv und ,uEtpixöv (A^po;,
3 jxepT) ypTj«ixdf: [aeXotioiIi, j)u8|aojroda, rotr(ot; (roiTjxtxta uipo;),
3 jji^p^ ^ca^eXTixa: o&favtxov, «>oixK ynoxpixtxiv fjtlpo«, d. i. Instru-
mente, Gesang, Action.
Die letzteren nennt Pollux 4, 57—154, Aristoxenus gebraucht dafür den Ge-
sammtnamen ip^vela Plutarch. mus. 32a; wenigstens begreift er hiermit die
Organ ik und die Odik.
Von diesem [xdp>] r?j; jxoysixf,; kann die Rhythmik, Metrik, Rhythmopoieia,
auch die Hypokritik nebst der Orchestik nicht zu den jxlpT) rfj« irepl piXöys
iTctcrf^T^ gerechnet sein. Denn Aristoxenus scheidet Rhythm. § 13 die rapt
Ikikovs, öewpta von der TiEpl toj; ^j8(jloj; oder der pjfl|Mx9) TTpa^oxEla ab: axmp
iv ttq toü jxdXou; sp'joei Te8so>pT)xa{Jicv, ott . . ovtcu; uTroX^rciov eysiv xal repl
wi« ßuft|Aou; . . . £zl te rrj; py8(Aixf,; xp^\xaidai oioajTtu; tpapi^. Wir Modernen
drücken die beiden Seiten der Musik, welche Aristoxenus mit (xO.o; und ^jÖjjlö;
bezeichnet, so aus, dass wir von den tonischen Elementen der Musik (Melodie,
Harmonie, Instrumentation) und den rhythmischen Elementen der Musik sprechen,
wofür wir auch die Termini Melos und Rhythmus gebrauchen können. Der-
selbe Gegensatz von u£Xo; und |>j8(io; findet sich auch Rhythm. § 21: &<n:ep
ov* £v tou 5ta«TT,(jiaTixot; atoiyetot; tö jaev xatcl p-cXo; p^tta ciXr^ftTj . . ., o'jtoj
xai tot; ^jftjxot; ü-oXt^t^ov £"/eiv to te jWjTÄv xal tö iXo-p*.
Wenn Spätere wie Bacchius p. 14 Meib. das Wort ;a£Xo; in einem weiteren
Sinne gebrauchen: uiXo; sm ix ^ftöfftuv &iaoTT,tAiTmv xat yp4vu>v
avYxe((i.£vov, wenn bei Anonym, p. 29 t-Xeiov f*£Xoc die vollständige Composition,
bestehend aus u.eX«;j&(a, p\»ftfjtöc, Xs;i; ist, so kann das auf die Interpretation der
klaren nicht misszuverstehenden Aristoxenisehen Stellen von keinem Ein-
flüsse sein.
Die rEpt jjLeXou; irtorfy.t.Tj ergiebt sich hiernach als eine aus mehreren
Tbeiicn bestehende — sagen wir Encyclopaedie der Musik nach ihrer tonischen
Seite — im Gegensatze zu der rhythmischen Seite der Musik. Dass in der
Aristoxenisehen rrepl [jlO.ov»; ir.i-3Tri[tii ausser der Harmonik (in dem S. 197 an-
gegebenen Sinne) auch die [AEXorntta ein besonderes ;jiepoc bildete, lässt sich
mit einiger Wahrscheinlichkeit aus Aristoxenus selber nachweisen.
Von seiner Behandlung der Melopoeie nämlich spricht Aristoxenus in der drit-
ten Harmonik § 1 : Es sei nöthig beim Beginne einer Vorlesung genau den In-
halt derselben anzugeben,, was Plato vernachlässigt , Aristoteles dagegen stets
sorgfältig beobachtet habe. Aristoxenus wolle es für seine Harmonik ebenso wie
Aristoteles halten. Denn die einen unter den Zuhörere versprächen sich von
dieser Disciplin zuviel, als sei sie ausreichend für die gesammte musikalische
Bildung. Einige glaubten sogar, dass sie durch den Besuch dieser Vorlesung
nicht nur Musiker, sondern auch in ihrem Charakter veredelt würden, und zwar
glauben sie das deshalb, „weil wir in unseren Untersuchungen (über Melopoeie),
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200
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Aristoxenus erste Harmonik.
wenn wir in den einzelnen Compositionsarten zu setzen versuchten, zu erörtern
pflegten, dass die eine Compositionsart nachtheilig, die andere vortheilhaft auf
den Charakter einwirke, — ein Missvcrständuiss, bei welchem sie den vortheil-
haften Einfluss, den die Musik insgesauunt gewähren kann, ganz und gar nicht
erfasst haben." In <ler Melopoeie (denn diese ist, die liier gemeint ist) zeigt
sich Aristoxenus als praktischer Musiker: er componirte in den einzelnen Ton-
arten, um Beispiele der verschiedenen durch sie bewirkten Afficirung des Ge-
müthes zu geben, von der auch Aristoteles am Schlüsse seiner Politik und
Plato in seinem Werke vom Staate geschrieben hat. AVenn der letztere seine
Leser zum besseren Verständnisse des verschiedenartigen Charakters der Ton-
arten an den praktischen Musiker Dämon verweist, der ihnen das klar machen
könne, so setzt bereits Plato eine Unterweisung in der Melopoeie voraus, wie
sie späterhin Aristoxenus nach seiner eigenen Aussage gegeben hat. Wir
können nicht sagen, dass Aristoxenus an jener Stelle auf eine von ihm ge-
schriebene Schrift über Melopoeie hinweise, sondern er redet so, als ob es sieh
um eine über Melopoeie gehaltene Vorlesung handele. Wir wissen nun freilieh,
dass die römische Kaiserzeit mindestens vier Bücher des Aristoxenus über Me-
lopoeie besass. Porphyrius ad Ptolem. harm. p. 298. Aber diese waren wohl
nur der Ertrag jener über Melopoeie gehaltenen Vorlesungen.
Ausser der (xeXoTzoita gehört auch noch das öpTfavixöv uioo; (Theorie der
Instrumente) und das «wotxöv |i£po; (Theorie der menschliehen Stimme) zu der
zepl ixe).o-js izviTf^. Der ersteren gedenkt Aristoxenus in der dritten Har-
monik § 3.
Ammonius s. v. xtttapt; citirt das Werk des Aristoxenus tü> r.toi
öpY*vtUN"» Athenaeus 14 p. 634d „t« -nept aulüv xat ^pYct^coV vgl. 635b
174e; Athenaeus 14, 634 e „zpfiTov -epi ay)»<bv -rp^aeiu;".
Bei diesen ihren vier jxipTj : äofi.ovtxr( , (leKoiroiia, 4pYavixfjf moix-r, kann die
rept (u£Xoi>; iniarr,}!^ von Aristoxenus wohl als eine „roXypLepTj; ojoa vtotl St^pT,-
|a£vy( eU r/.etoj; t?>£a;", von denen die äpixovixTj die erste sei, bezeichnet werden.
Auch auf eine der ersten Harmonik vorausgehende Darstel-
lung beruft sich Aristoxenus. Er citirt diese seine frühere Arbeit mit den
Worten y)|mv ft^i^x-xi tpavepöv e\ toi; £fj.7ipooftev fixe ^reoxoTTOy|iev t«; t&v äpfto-
vixdiv W;a; (§ 3) „Es ist uns das im Vorausgehenden klar geworden , als wir
die Ansichten der Harmoniker betrachteten." Ferner § 16 r.ipi rfj; suvfteaecu;
tt(; täv dsuvdittuv SiasTr^attuv, ol; d<xi xai ojOTTjtAaaiv sivat zo>c ayfiplalvs'. , ol
z/v6i5T0i tü>v äpf*ovt*mv ojo' 8ti zpaifaaTC JTi'iv igoHovto • &fj>.ov or4{uv i * toi; ffAirpo-
o8ev flfwv*. „Dass man über die Zusammensetzung der einfachen Intervalle
zu Systemen handeln müsse, haben die Meisten unter den Harmonikern sogar
uieht einmal als Notwendigkeit gefühlt. Das ist uns in dem Vorausgehenden
klar geworden." Dann ferner über denselben Gegenstand § 18: 'EpaToxXij; ö'
ireyelp^aev dva:woetxTixcö; s;api8fj.eiM ed. xt fxipo«. "O-t o oüorv elp^xtv, dXXd
rävra ^eyof, xal tü>v tpaivoulvajv tt, ala&Tjaet StTjudpTTjxe , T£»:u'jpT(Tat ja£v Ipr.p'j-
oÖsv ot vjxip xaö' aOtf.v i^^äCojxev ttjv rp«Y[jiiT£bv Taix^v. ..Eratokles unter-
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Ihr Zusammenhang mit anderen Schriften (Vorlesungen).
201
nahm es, ohne Beweisführung eine theil weise Aufzählung zu machen. Dass er
aber Nichts gesagt, sondern Alles falsch und der unmittelbaren Erscheinung
der Thataachen widerstrebend, das hat sich im Vorausgehenden gezeigt, als wir
eben diese Pragmatie der Prüfung unterzogen." Seine im Vorausgehenden ge-
gebene Prüfung der Ansichten der Harmoniker nennt also Aristoxenus eine
Pragmatie, so gut wie die Darstellung der Harmonik selber.
Auch in der uns vorliegenden Rhythmik bezieht sich Aristoxenus mehr-
fach auf -cd £|A7:poo8ev § 1: "Ott (jlev toO £>y8f*oy TiXetou; etoi tpuocic xal Ttola ti«
crit&v exda-qj . . . dv rot; ffATrpoofte-* eipr(fi£viv. Nüv hi f,(jLiv itepl atkoy ).ex-
t£ov toO £v [xojatxTj Tatrouivoy J^jHijloO.
§ 2: "Oti f*ev oyv zepi toj; yp<5voy; doTt xal tv tojtöjv atoft^oiv, EtpYjTat fxsv
£v toi; £[x7:poo86v, Xcxtc4v os xal -dhv vyv, dp/^ ^dp Tp«5nov Ti-'« tt,; toO
r.toi tojc |>y8[Aoy; £jrwrf)(ir(; dotiv a5rr(.
§ 6: 'Ersio^, 6 jjiev yptao; a6to; au-öv oü tiftvei, xaftdrEp £v toi; £fi-po«
sftsv EtrOfJLEV.
Hier muss tx £[ATrpoo8ev von einem früheren Buche der p^jflfjuxrj -paf-
(AaTcia gesagt sein, denn das Vorliegende ist nicht der erste Anfang der
rept wj; jb-jftjjLoy; crior^fATj, sondern nur der Anfang eines einzelnen Buches
derselben: in dem diesem Buche Vorausgehenden muss von dem ausserhalb der
musischen Kunst zu Erscheinung kommenden Rhythmus die Rede gewesen sein.
Mit den in der ersten Harmonik erwähnten ,,-d £jx-poa8ev" muss es eine
andere Bewandniss haben. Denn den uns vorliegenden Anfang der ersten
Harmonik § 1 bezeichnet Aristoxenus selber als den Anfang der Harmonik
§ 24: Td |xev ojv tt); dppovtxfj; xaXoyfi£vrrf; irAS-i^ir^ jjiprj TotOrd ts xal toaayTa
istt. Td; o' dvtotipoj TOyiajv zoa-fuaxd'ii drsp EiropLEv dp/opevot T£AEtoT£poy
tivö; yro).T(zTdov elvat. Also der Anfang der dpjAOvtxfj -pa^TEia kann Td £u-po-
a8ev nicht sein. Es ist vielmehr, wie Aristoxenus selber sagt, eine besondere
die M*ai täv dp;AOvtxö>N behandelnde ^p^aTcla. Dieselbe scheint in einer
eigenen Schrift niedergelegt gewesen zu sein. Denn dasjenige, was Aristides
de inus. p. 21 aus den Diagrammata der älteren Harmoniker inittheilt, stimmt
mit dem von Aristoxenus Angeführten (vgl. S. 200) und kann schwerlich an-
derswoher als, mittelbar oder unmittelbar, aus Aristoxenus TrpaYjjiaTela über die
o4;ai dpfAOvixwv entlehnt sein. Und doch citirt Aristoxenus, was er über die
&4;ai dppwxwv gesagt, in seiner ersten Harmonik als Td farpooftcv !
Vermuthlich hielt Aristoxenus einen Cyklus von Vorlesungen über die ein-
zelnen Theile der repl fiiXoy; irATrf^\trt. Den ersten Theil bildete eine kritische
Darstellung dessen, was frühere Schriftsteller über Harmonik gelehrt oder ge-
schrieben hatten. Dies ist die ^pa^u-atEta zcpl Td; W;a; dpjAovixwv. Es folgt
als zweiter Theil dieses Cyklus die uns erhaltene Vorlesung nepl rf}; dp|/.ovtxf);
xa).oy[AeV(; rpaYjxaTEia;. Eine dritte Vorlesung war die über ucXoiroua, auf die
sich Aristoxenus in seinem Prooimion zur dritten Harmonik beruft, und welche
den Musikern der römischen Kaiserzeit in 4 Büchern vorlag. Eine vierte und
fünfte Vorlesuug mag die über öprawrf, und über «jiou^ gewesen sein.
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202
Aristoxenus erste Harmonik.
d tA£f>o;: Ttepi W;ac tipjAOvtxtüv rrpaY^Teict,
[Atpo;: Ttcpl tö Tjpjjio3(A£vov rpaY(xaTew,
oder öpjxovixf) TTpaffiaTeia,
y' |>ipo;: wepl rf]« [AEXoTtttls; 7rp5YfAaxe(a,
o' pipo;: xo zcpl x&v ipfaviov,
(e' filpo;: «i&ixov jiipo; ?)
Wenn Aristoxenus sagt: ,,-ct £|x;:poGShv", so ist damit nicht das gemeint,
was dem betreffenden Abschnitte der Harmonik vorausgeht, sondern das, was
in der rept |a£Xou; irAarr^ dem dppLovm&v fji£Xo; vorausgeht und was eben mit
diesem appovix^ im nächsten Zusammenhang steht, etwa als historische Ein-
leitung der Harmonik.
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ERSTER HAUPTTHEIL.
EINGANGS- ABSCHNITTE.
Prooimion.
§ 1. Da die Wissenschaft vom Melos*) aus einer Anzahl von
Theilen besteht und in mehrere Disciplinen zerfällt, so muss eine
derselben der Reihenfolge nach die erste sein und eine elementare
Bedeutung haben. Diese ist die den Namen Harmonik führende.
Sie behandelt nämlich die Theorie der Elemente**) des Melos, d. h.
dasjenige, was sich auf die Theorie der Systeme und der Tonscalen
bezieht. Nur dieses, aber nichts weiteres, darf man von dem der
Harmonik kundigen als solchem voraussetzen, denn eben darin be-
steht das Ziel (Zweck) dieser Disciplin. Was da noch weiterhin bei
der Verwendung der Systeme und der Tonscalen in der Compositum
ein Gegenstand der theoretischen Untersuchung ist (nämlich die
Melopoeie)f)? gehört nicht der Harmonik, sondern derjenigen
Wissenschaft an, welche die Harmonik und zugleich die übrigen
Disciplinen umfasst, die im Vereine mit einander die Theorie der
gesammten Musik bilden. Es ist dies der Inbegriff dessen, was
zum Wissen und Können (zur Hexis) des Musikers gehört ft).
*) Marquard S. 191: „Hier ist das Wort jxlXo; in seiner allgemeinsten
Bedeutung zu nehmen : musikalische Composition." Gründlich falsch. Ruelle
verweist bezüglich „jiiXo;" auf Xotiees et Extraita des manuscripts XVI (1847)
l'ouvrage de M. A. J. H. Vincent sur la miifique des anciens Grccs p. 6.
Das Wort ulXo; im musikalischen Sinne bedeutet zunächst und ursprünglich
einen Gesang, ein Lied, ein in Tönen vorgetragenes Gedicht, einschliesslich der
begleitenden Instrumeutaltöue; gleichbedeutend mit i<s\ia, vM^ Denkt man
daran, dass das Lied auch durch blosse Instrumentaltöne nachgebildet werden
kann (Lied ohne Worte), und da#s auch die begleitenden Töne als u£Xoc ge-
fasst werden können, so ist die Definition bei Bacchius p. 14, 22 vollkommen
ausreichend: M£Xo; . . . U £x ^»^(»v x*\ hiwr^i-vn %n\ yr/vcov cv>piei-
juvov. Wie hier durch die Worte „x*\ yoävuv angegeben ist, bezeichnet das
Wort fiiXo; in dieser seiner älteren Bedeutung das betreffende Musikstück
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204 Aristoxenus erste Harmonik § 1.
nicht bloss nach seiner tonalen, sondern auch nach seiner rhythmischen Seite.
Plato rcp. 3, p. 398: „tö |aIXo; ix tpiö» sau orfxeiiAevov , Xo^w (= X£;eid;) tc
x*l appovia; xa\ öv8|aoD. leg. 2 p. 256. Auch bei Aristid. p. 6, 19; 28, 24.
Doch da in der Musik die Qualität (d. i. Höhe und Tiefe) der Töne das
Charakteristische ist (denn der Rhythmus kommt auch in dein Recitations-Ge-
dichtc, nicht bloss in dem gesungenen vor), so wird im technischen Gebrauche
des Aristoxenus und der sich an ihn schliessenden Musiker das Wort rxiXoc
ausschliesslich auf die tonale Seite der Musik, auf die Melodie- und Beglei-
tuugstöne bezogen und dem pjfttxo; entgegengesetzt. Das man schon vor Ari-
stoxenus das Wort vorzugsweise auf das Tonale bezog, zeigt z. B. Horn. Hymn.
18, 16:
tote o lanepo; IxXayev o«>?»
\tjoj|jlov vjx äv t^v^e zapaopafxot iu |xeX£e<i3w,
opvu, t,t eapo; TtoXjavÖio; £v rstaXoiaiv,
Upf(vov tTrtrpoyiojo' (ayet [ieX^ojv doiof,v.
und mehrfach auch Pindar.
In keinem anderen als diesem excluBiven Sinne wird das Wort durch-
gängig von Aristoxenus gebraucht, genau wie in der aus dem Musiker Diony-
sius dem jüngeren (aus dem ersten Buche -epl ö[xoior/jTwv) bei Porphyr,
ad Ptolem. p. 219 citirten Stelle: Ka-i \xh ?e toj; iptxovtxov»; fjüa ayeoöv xai
r, i-j-ZTi O'ioia £<m p-jftjxoü te xai fxeXoy;, ot; tö ö$j ~a/J Zoxti xai tö [iapo £pavj,
xai xaö^Xoj ofj tö T,pixoajxevov xtvr,3ccuv Ttv&v aufXfxeTpia xai dv X0701S dpift|xä>v ti
i|x|xeXf, SiaoTT(fjiaTct (Analogieen zwischen Melos und Rhythmus). Wir können
zwar das, was die Griechen unter Melos verstehen, durch Umschreibungen wieder-
geben (,. tonale Seite der Musik"). Aber das einfachste ist es, hierfür eben
das Fremdwort „Melos" zu entlehnen, ebenso wie wir den ..Rhythmus" in un-
serer Sprache längst aeclimatisirt halnm. In diesem Sinne hat bereits R. Wagner
das Wort Melos in Gebrauch genommen. Wir bemerken, dass unter
„Melos" Alles gehört, was nicht Sache des Rytlunus ist, nicht bloss die Melo-
die, sondern auch jegliche Harmonisinnig.
Wollen die Musik-Schriftsteller das Wort „aeXo;" in dem zuerst angege-
benen allgemeinen älteren Sinne gebrauchen, so fügen sie „-riXetov" hinzu d. i.
„vollen Melos", „dem auch der Rhythmus nicht fehlt." Da wie zu Anfang
bemerkt das Wort jxsXo; in ursprünglicher Bedeutung denselben Sinn wie asjjia
und vihii hat, so kommt teXeiov fxiXo; genau mit demjenigen überein, was bei
Aristides p. 32 Meib. „TcXtia ip&r/4, „perfecta eantilena", genannt wird: fxäXo;,
pjHfiö;, Xe;t; . . . t-jüti o-juiravra (xt7Vj[xeva teXetav «Äip rötet, bei Mart. Ca-
peila p. 190 Meib. „quac cuneta socia perfectam faciunt cantilenam". Vgl.
Anonym. Bellerm. prior ij 12 Mo-joixt, i«Ttv irAS-zi^ r.t[A [aeXo; tö xdXctov
ftEa>pT,Ttx^ täv iv avTf, xai toi; fxipEotv a-jTf,;. "AXXot öe o'jtoj; *E$i« iJetup^Ttx^
-t xai zpaxTix^ xai zoiTjTtxr, tö>v sepl tö tO.eiov |x«Xo;. Movatxö; os iflTtv ö
£[xretpo; toü TcXeioy [xiXo-j; xai oyvdfxevo; in dxpt3eia; tö irpinov TT,pf(aat tc
xal xphat.
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Prooimion.
205
Anonym. Bell, posterior § 29 Mouttxr, iarw ■ entar/.fxTj OeroprJTtx'?) xai
zpaxTix-f] fi£Xouc TeXelou te xai öpYavtxoO. tJ (t<I>v) TipE^vrojv re xai
rpewSvnuv £v fjt£Xeai xai ^vttjxot; . . . TeXeiov ;x£Xo; ioti wp.Elixrm £x te
) £;ca>; xai p£Xov; xai pj&jxoü. Fügen wir noch hinzu, dass das blosse „}x£Xo;u,
ebenso wie (xcXui&a, Y]puootxsw bei Aristoxenus niemals im concreten Sinne
von ausgeführten Compositionen zu verstehen, niemals „xat ^vip-fetav" zu fassen
sei, sondern stets „xard viva^tv" von dem abstrakten Tonmateriale, welches
der Künstler für seine Compositionen benutzt, aber für Aristoxenus nur rück-
sichtlich seiner Beschaffenheit als Material ein wissenschaftliches Interesse hat.
MiXo;, rxeXtp&ta, Yj&jxocjxjvov heisst bei Aristoxenus so viel etwa wie „Tonleitern".
In dem Sinne des Aristoxenus könnten wir auch die Scalen, welche sich bei
Plato im Thnaeus aus den Proportionen des Demiurgen ergeben, ein p£Xo;,
tjpjxoofxivov, eine (icXiuola nennen.
**) Theorie der Elemente des Melos, oio« tü>v k^tojv tö>v h txeXet »ew-
P^tixtj. Steht weder in den Handschriften noch in den Ausgaben, wohl aber
in den mittelbar aus Aristoxenus excerpirenden Porphyr, ad Ptol. und Anonym,
de mus. I u. II, nur das» statt zput»7cu\> t&v £v jxiXei die Worte i:p. t. iv fA&ystxif;
überliefert sind (Porphyr.) Diese Lücke hat auch Carl von Jan im Philolog
XXIX p. 360 ff. erkannt.
t) Auch in dem Aristoxeuischen Fragmente bei Plut. de mus. 33 wird
die Mclopoeie von den Theilen der Harmonik aufgeschlossen. „Die Harmonik
nämlich behandelt die Tongeschlechtcr, Intervalle, Systeme, die Töne, die Ton-
arten und die Ucbergänge aus einem System in das andere, aber weiter er-
streckt sie sich nicht, so dass man nämlich nicht einmal suchen darf, aus der
Disciplin der Harmonik zu erkennen, ob der Componist in einer dem Charak-
ter der Tonarten entsprechenden Weise den Anfang in hypodorischer, oder
den Sclduss in mixolydischer oder dorischer, oder die Mitte in hypophrygischer
oder phrygischer Tonart gesetzt hat, denn auf derartige Fragen geht die Dis-
ciplin der Harmonik nicht ein, da sie die Bedeutung des einer jeden Tonart
eigentümlichen Charakters unberücksichtigt lasst. Denn weder die Theorie
des chromatischen noch des enharmonischen Tongeschlechtes giebt die Bedeu-
tung von deren eigentümlichen Charakter an, dessen Erreichung doch der ei-
gentliche Selbstzweck der Composition ist und in Folge dessen die Coinposition
in bestimmter Weise auf uns einwirkt, sondern es ist die* vielmehr dem Com-
ponisteu anheim gestellt. Offenbar ist auch das Tonsystem der harmonischen
Disciplin etwas anderes als die Vocal- und Instruinentalstimine der in dem
Tonsystenie sich bewegenden Melopoeie, deren Behandlung der Harmonik nicht
angehört." Ist dies Fragment des Aristoxenus, in welchem er bezüglich des
Umfange* der harm. Disciplin mit der ersten und der dritten Harmonik durch-
aus übereinstimmt, aus den gemischten Tischgesprächen des Aristoxenus ent-
lehnt, wie nach meiner Ausgabe der Plutarchschen Schrift wohl schwerlich ein
Zweifel sein kann, so sind auch die vermischten Tischgespräche noch vor de-
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206
Aristoxenus erste Harmonik § 2.
dritten Harmonik des Aristoxenus geschrieben, denn hier hat er abweichend
von der ersten und zweiten Harmonik und den Tischgesprächen auch den Ab-
schnitt von der Melopocie in die Harmonik aufgenommen. Wir ahnen nicht, wie
Aristoxenus dazu gekommen ist , im Fortgange seiner wissenschaftlichen Thätig-
keit den Umfang der Harmonik zu verändern, ebenso wenig, weshalb er die
in der ersten und zweiten Harmonik mit so grosser Elmphase behandelte wich-
tige Lehre von der continuirlichen und discontinuirlichen Bewegung der Stimme,
die Definition des Tones u. s. w. aus der dritten Harmonik ausgeschlossen hat
(worüber schon die Alten klagten vgl. obeu S. 170). Man könnte darauf kom-
men, an dem Aristoxenischen Ursprünge der dritten Harmonik oder ihres Prooi-
mion zu zweifeln, wenn nicht gerade dies Prooimion besser denn irgend etwas
anderes als Werk des Aristoxenus bezeugt wäre.
tt) Fast genauso Mattheson: ,,der vollkommene Capellmeister d.i. gründ-
liche Anzeige aller derjenigen Sachen, die einer wissen, können und voll-
kommen inne haben muss, welcher u. s. w."
§ 2. Was die früberen Bearbeiter der Harmonik betrifft, so
ist es eine Tbatsacbe, dass sie Harmoniker im eigentlichen und
engeren Sinne des Wortes*) sein wollen, (nämlich Enharmoniker.)
Denn bloss mit der Enharmonik haben sie sich befasst, die übrigen
Tongeschlechter niemals in Erwägung gezogen. Zum Beweise dessen
dient, dass ja bei ihnen bloss für die Systeme des enliarmonischen
Tongeschlechtes Diagramme vorliegen; für diatonische und chro-
matische hat man sie nie bei ihnen gefunden. Und doch sollte
eben durch ihre Diagramme die ganze Ordnung des Melos klar ge-
stellt werden. (Ebenso ist es auch mit ihren sonstigen Darstel-
lungen), in denen sie bloss von den oktachordischen Systemen der
Enharmonik sprachen, während über die übrigen Tongeschlechter
und die übrigen Systeme**) in diesen und anderen Tongescblech-
tern niemals einer von ihnen eine Forschung angestellt hat; viel-
mehr nehmen sie von dem dritten***) Tongeschlechte der ganzen
Musik einen einzigen Abschnitt vom Umfange einer Oktave und
beschränkten hierauf ihre ganze Wissenschaft.
*) Das Wort d^oviot mit seinen Ableitungen dpfiovixöc und iva^uovixo; ist
zugleich auch der Terminus technicus für eine der drei Hauptgattungen des
antiken Melos, „das enharmonische Tongeschlecht". Aus Aristoxenus i nicht
bloss der vorliegenden, sondern noch anderen Stellen) erfahren wir die auf-
fallende Thatsache, dass die sämmtlichen Vorgänger des Aristoxenus in der
Theorie der Melik nur jenes eine, das seltenste Tongcschlecht herbeigezogen
und in den Notentabellen dargestellt, die beiden anderen dagegen, das diato-
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I'rooimion.
207
niscbe und das chromatische mit der in der dritten Harmonik § 6 angegebenen
Ausnahme gar nicht berücksichtigt haben. Wie diese Thatsache zu erklären,
darüber habe ich in der griech. Harmonik 1863 § 4 (1867 S. 29) eine Ver-
muthung aufgestellt.
Jene Vorgänger des Aristoxenus nannten sich app.ovtxot. Aristoxenus sagt von
ihnen an der vorliegenden Stelle § 2: sie waren wirklich nur dpfjiovtxol in dem
engeren Sinne von Enharmonikoi. Dem Aristoxenus, der in vollem Masse
die Gabe der Klarheit, aber nun einmal nicht die Gabe des Witzes hat, muss
man dies als ein „salse dictum" (griech. Harm. a. a. O.) schon hingehen lassen.
Marquard scheint vor „Tojc jxcv oiv ^rpooftcv das Vorhandensein einer Lücke
im Texte anzudeuten. Nach meinem Ermessen ist hier keine Lücke. Denn
seinen Zuhörern gegenüber, bei denen er nach § 37 den guten Willen zum
Verstehen des von ihm (dem Docentcn) Vorgetragenen voraussetzt, war der hier
vorliegende Anfangssatz des § 2 verständlich genug: war ihnen doch unmittel-
bar vorher eine Auseinandersetzung der oö;at äppiom&v gegeben s. oben S. 200.
Was hier in der Textesüberlieferung fehlt, sind vielmehr die auf „Toi»; y.ks o-jv
£fxrpoo»tv" folgenden Worte: „T^up^vou; rfj; ipfAovixfj; vj^ifaxtv dXxftf/S
welche schon die griech. Harmonik 1863 (1867 S. 20) aus Proklus ad Plat. Ti-
maeum restituirt und auch Marquard in seine Ausgabe 1868 aufgenommen hat.
Eiue Lücke scheint auch weiterhin vor „h oT; nepi oyarrj^aTuiv ^XTayöpSav
evapfiovimv ja«4vov üe-jov" stattzufinden, welche ich in der Uebersetzuug dem
Sinne nach ausgefüllt habe.
*•) Die überlieferte Lesart r/r^i-w muss zu a j<jTT]|x'iTa>v emendirt werden.
Von den Systemen war das Oktachord genannt. Die übrigen sind das Hende-
kachord, Dodekachord u. s. w. vgl. zu § 41. Von diesen hatten die Harmo-
niker nicht gesprochen. Aber was die Schemata des von ihnen herbeigezoge-
nen oktachordischen Systemes betrifft, so hatten sie deren sieben besprochen
vgl. § 18, das waren alle Schemata, andere giebt es nicht.
•**) Nach der handschriftlichen Uebcrlieferung würde es heisseu: „von
der gesammten Melodie (musikalischen Melos) des dritten Theiles (oder Ab-
schnittes) ein einziges Tongeschleeht von dem Umfange einer Oktave." Das
könnte nur das enharmonische Tongeschlecht sein. Aber des dritten Theiles
oder Abschnittes? M eibom glaubt die „dunkle" Stelle so erklären zu müssen,
dass Aristoxenus unter dem dritten Theile den Abschnitt von den Tongeschlech-
tern verstehe. Doch wie hatte er dies den dritten Abschnitt nennen sollen V
denn der Abschnitt von den Tongeschlechtern ist bei ihm in der ersten Har-
monik der sechste (§9.45), in der dritten Harmonik dem Prooimion zufolge der
erste (vgl. dort § 8). Marquard: „Hatten bloss das Melos, nicht Rhythmus
und Metrum erörtert". Dann würde Aristoxenus etwas überflüssiges, störendes,
widersprechendes und unrichtiges gesagt haben: überflüssig, weil es von den
äpjiovixoi nach den vorhergehenden Bemerkungen selbstverständlich ist, dass
sie sich zunächst mit dem Melos (nicht mit Rhythmus und Metrum befasst
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208 Aristoxenus erste Harmonik § 3. 4.
t
haben); störend, weil das so unklar und unverständlich gesagt sein würde, dass
Meibom eine ganz andere Interpretation als Marquard gegeben hat; wider-
sprechend und unrichtig, weil Aristoxenus in der Rhythmik § 60 (Frg. 1 des Psellus)
auch die rhythmischen Ansichten seiner Vorgänger (der ^aXaio(l) herbeigezogen
und gründlich widerlegt hat. Ruelles Uebersetzung wiederholt die Meibom sehe
Interpretation, doch nicht ohne bedenklich darauf hinzuweisen, dass Aristoxenus
die Tongeschlechter nicht im dritten, sondern im ersten Abschnitte [der dritten
Harmonik] behandelt habe. Es bleibt nichts als die Annahme einer unrichtigen
Textüberlieferung übrig, ein Fehler, welcher durch Umstellung der beiden auf
Tptto'j folgenden Substantiva unter Beibehaltung der beiderseitigen Casus-
endungen auf das leichteste zu entfernen ist.
§ 3. Dass sie aber auch selbst über diesen Theil, auf den sie
sich beschränken, so gut wie gar nichts erforscht haben, ist uns
bereits in dem Vorausgehenden, als wir die Ansichten der Harmo-
niker prüften, klar geworden*) und wird uns noch klarer werden,
wenn wir nunmehr die einzelnen Theile unserer üisciplin durch-
gehen und ihr Wesen erläutern werden. Es wird sich nämlich
zeigen, dass sie von jenen Theilen die einen gar nicht, die anderen
nicht ausreichend behandelt haben. So werden wir die Mängel
unserer Vorgänger darlegend zugleich einen Ueberblick über das
Wesen unserer Wissenschaft geben.
*) Ueber die Ansichten der Harmoniker werden uns durch A. folgende Mit-
theilungen gemacht :
1. Lasos aus Hermione in Argos, der bekannte Dithyramben- und
Tragödien - Dichter aus der Zeit des Pisistratus, einer der Lehrer des Findar
in der Technik der musischen Kunst. Er war nach Suidas s. v. Ado** (vgl.
K'jx'/.tooiodoxaXo;) der erste, welcher über Theorie der Musik schrieb. Diese
Schrift war es, welche dem Aristoxenus in seinen M-n tü>v dofxovtxuiv vorlag,
vgl. unten § 4. Da Lasos nicht den Unterschied zwischen „Singen und Sagen",
zwischen der xivr(at; cpcovfj; o-jvtyifi und ?>iaorrjjj.aTnc?) erörtert habe, so sei es ihm
passirt, dass er dem Tone die Eigenschaft der „Breite" zugeschrieben habe.
Vgl. S. 221. Auch Chamaileon von Herakleia hatte eine Schrift über ihn
geschrieben, Athen 8, 338 b. Diog. La. I, 1, 14.
2. Epigonos aus Ambrakia, Bürger von Sikyon. Virtuose, der das nach
ihm benannte vielsaitige Instrument erfunden. Athen 4, 183d; 14. 637 f. Einige
der Epigoneier hatten gleich Lasos dem Toue die Eigenschaft der Breite viu-
dicirt, sagt Aristoxenus § 4, und zwar aus demselben Grunde wie Lasos.
3. Eratokles und seine Schule. Von ihm führt das Prooimiou der ersten
Harmonik folgendes an: a) erste Harm. § 15: Das Melos scheidet sich von der
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Prooimion : Inhaltsaugabe.
209
Quarte aus nach oben zu und nach unten zu in je zwei Transpositioussealen.
Vgl. die Anmerkung zu § 16. b) erste Harmonik § 22. 60: Er nahm eine
Katapyknosis an (Scalen aus 28 enharmonischen Diesen für die Oktave).
4. 5. Pythagoras aus Zakynthos und Agenor aus Mitylene habe die
Transpositionsscalen. freilich nicht vollst« nd ig, aufgezählt. Als sechstes Vor-
aristoxenisches Schulhaupt nennt Porphyr, ad Ptol. p. 189 den Athener Dämon.
Aus jener Zeit der alten Harmoniker, wo man nur die Enharmonik, nicht aber
die Cbromatik und Diatonik in den Diagrammen behandel, rührt die auffal-
lende Einrichtung der uns überlieferten Notentabellen, dass keine andern als
nur die enharmonischen Scalen richtig notirt sind, die diatonischen und chro-
matischen an vielen Stellen so, als ob es enhannonische seien. G riech. Rhythm.
und Harm. 1867. S. 448 ff.
An einer Stelle des Aristides p. 21 Meib. finden sich sechs Notenscalen,
welche völlig nach Art jener Diagrammata der alten Enharmoniker ausgeführt
sind: „Terpa/opiixai oiaipioei; ali xai ol zdvu «oXai^Taxot trpoc xa; äppo-
vla; xi/ptjvrat.'' Sie stellen, wie Aristides sagt, die von Plato in der Repub-
lik p. 399 recensirten sechs Octaveugattungeu dar und sind als eine Art von
Commentar anzusehen, den ein voraristoxcnischer Musiker zu jener Stelle des
Plato geliefert hatte und den Aristoxenus vennuthlich in seine U^n dpjAovtx«*
aufgenommen hat, von wo aus er denn ohne Zweifel nach mehreren Mittel-
gliedern in das Werk des Aristides gekommen ist.
Inhaltsangabe.
L
§ 4. Wer die Wissenschaft des Melos behandeln will, nniss
zu allererst die topische Bewegung der Stimme erörtern.
Dieselbe ist eine zweifache. Sie wird nämlich ausgeführt sowohl
wenn wir sprechen, als auch wenn wir singen oder auf einem In-
strumente spielen — denn augenscheinlich kommt in jeder dieser
beiden Bewegungen (Sprechen und Musiciren) verschiedene Tonhöhe
und Tontiefe vor, und wenn dies der Fall ist, dann ist die Bewe-
gung eine topische. Beides aber sind verschiedene Vorgänge.
Worin dieser Unterschied besteht, ist noch von Niemand sorg-
fältig erörtert worden, und doch ist es, wenn dies unterbleibt, nicht
leicht das Wesen des Tones darzulegen, der ja, wenn man ihm
nicht mit Lasos und einigen aus der Schule des Epigonos thörich-
ter Weise die Eigenschaft der Breite zuschreiben will, etwas ein-
ArUtoienai, Melik a. Rhythmik. 14
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210
Aristoxenus erste Harmonik §5 — 9.
gehender behandelt werden muss. Wird dies letztere geschehen
sein, dann lässt sich bezüglich vieler der folgenden Punkte klarer
urtheilen.
Dein Sprachgebrauche der Griechen folgend (der zugleich derjenige fast
aller anderen Völker ist) vindicirt Aristoxenus den Tönen die räumlichen Di-
mensionen der Höhe und der Tiefe, nicht bloss den gesungenen Tönen, son-
dern auch dem Sprechen, bei welchem man ja höhere und tiefere Accente unter-
scheidet (tövo; t6vo; fiop6;)- Singen uod Sprechen sei dem allgemeinen
Substrate nach ein und dieselbe ^om, ; beides unterscheide sich durch die ver-
schiedenartige Bewegung der Stimme, welche beim Sprechen eine continuirliche,
beim Singen eine discontinuirliche , bei beidem aber eine topische, auf den
räumlichen Dimensionen des Hohen und des Tiefen beruhende Bewegung sei.
Der letzte Grund von Singen und Sprechen liegt also nach Aristoxenus in
etwas Rhythmischem, der verschiedenen Zeitdauer.
Lasos und die Schule des Epigonos statuirte für die Töne auch noch die
räumliche Dimension der Breite. Zu dieser von Aristoxenus verworfeneu Auf-
fassung seien dieselben dadurch verleitet, dass sie dcu Unterschied der con-
tinuirlichen und der discontinuirlichen Bewegung nicht erfasst hätten. Sie
müssen also die Zeitdauer des Tones als Dimension der Breite gefasst haben:
beim Singen seien die Töne „mehr oder weniger breit" (je nach ihrer Zeit-
dauer), beim Sprechen „schmal".
IL
§ 5. Zum Verständnisse derselben ist ausserdem eine Unter-
suchung über Absteigen (avesi;) und Aufsteigen (iirtraaic), über
Tiefe (^apurr^) und Höhe (o;utt(;) und über Tonstufe (rast;) und
über deren Unterschiede nothwendig. Denn Niemand hat hierüber
etwas genügendes gesagt*); viel mehr wurden von diesen Punkten die
einen gar nicht verstanden, die anderen in unklarer Weise aufgefasst.
*) Vgl- § 30: „Denn wohl die meisten sagen, Aufsteigen und Höhe, Ab-
steigen und Tiefe sei dasselbe. Es scheint nicht unpassend nachzuweisen,
dass diese Auffassung eine verkehrte ist".
III.
§ 6. Hierauf ist zu besprechen, ob der Abstand des Tiefen
und Hohen bis ins Unendliche vergrössert oder verkleinert werden
kann oder nicht, oder in welcher Beziehung dies (Vergrössern und
Verkleinern) möglich oder unmöglich ist.
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Prooimion: Inhaltsangabe. 211
IV.
§ 7. Ist (lies bestimmt worden, so ist zu sagen, worin der
Ton*) besteht; dann ist das Intervall (oiaarr^ot) im Allgemeinen
so weit dies nöthig ist zu bestimmen; darauf ist es einzutheilen,
nach so vielen Unterschieden wie dies möglich ist; sodann ist vom
Systeme eine allgemeine Definition aufzustellen und anzugeben,
wie die Systeme ihrer Natur nach einzutheilen sind.
*) Vgl. 8. 192.
V.
§ 8. Weiterhin ist über das musikalische Melos eine Andeu-
tung und allgemeine Erklärung zu geben, da ja mehrere Arten des
Melos vorhanden sind, unter dieser aber nur eine im Hermosinenon
und Melodumenon *) vorkommt. Um aber auf diese letztere hinzu-
führen und sie von den anderen zu sondern, ist es nothwendig auch
die übrigen zu berühren.
*) Porphyr ad Ptolem. p. 196: Aiacpipct -jap tö rjpfxoqjtivov dp|iWac, £ tö
dpiÖjiTjTÖv ipt8|AOÜ, etvai fäp tö äpirtfATjtöv dpiöpiöv £v üXtq ^ ojv SX^, t6 ße ^p-
[xoopifcvov äppiovtav iv {JXiß ouv CJXtq d. i. ,,Es unterscheidet sich das Harmoni-
sirte von der Harmonie wie das Gezählte von der Zahl; das Gezählte sei näm-
lich eine Zahl in Stoff oder mit Stoff und das Harmonierte eine Harmonie in
Stoff oder mit Stoff'. Vgl. Marquard S. 204. Also wie sich in der Rhythmik
der Rhythmus zum Rhythmizomeuon verhält, so verhält sich in der Melik die
Harmonie zum Hennosmenon.
Rhythmik
Melik
Gestaltetes
a/T^AaTt^piEvov
Rhythmizomenon
Hermosinenon
Gestalt
Rhythmus
i
Harmonia
VI.
§ 9. Nachdem wir das musikalische Melos bestimmt haben,
so weit dies ohne auf das Einzelne einzugehen im Allgemeinen und
im Umrisse gestattet ist, sind die Arten, in welche das genannte
musikalische Melos zerfallt (d. i. die Tongeschlechter) zu unter-
scheiden und von einander zu sondern.
14*
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212
Aristoxenus erste Harmonik § 10 — 16.
VII.
§ 10. (Sodann sind die in dem zweiten Unterschiede der In-
tervalle sich ergebenden symphonischen Intervalle näher zu
betrachten.)*)
*) Dieser § 10 ist in der handschriftlichen Ueberliefermig ausgefallen.
Vgl. oben S. 192. 193.
VIII.
§ 11, (Darauf ist eine Definition des' Ganztones (tovo;)
zu geben und jeder der kleineren Theile, in welche derselbe
zerfällt, aufzuführen.)
*) Dieser § 11 ist in der handschriftlichen Ueberliefening ausgefallen.
Vgl. oben S. 192. 193
IX.
§ 12 Sodann sind die auf den veränderlichen Scalatönen be-
ruhenden Tongeschlechter selber sowie auch die Topoi, in wel-
chen die Veränderung vor sich geht, zu besprechen. Alles dies hat
niemals einer auch nur im entferntesten in Betracht gezogen, vielmehr
müssen wir über alle diese Punkte von Anfang an auseinander-
setzen, da wir ja nichts, was der Rede werth, darüber bekommen
haben.*)
•) Dieser § 12 steht in den Handschriften hinter § 13. Vgl. oben S. 192. 193.
X.
§ 13. Weiter haben wir von der Aufeinanderfolge der Inter-
valle (a'jveyeia xai to £$7;;) auf den Systemen anzugeben, was da-
runter verstanden werden soll und wie dieselbe auf ihnen entsteht*)
*) Dieser § 13 steht in den Handschriften vor § 12. Vgl. oben S. 192. 193.
XL
§ 14. Hierauf muss zuerst*) von den unzusammengesetz-
ten Intervallen gesprochen werden, dann von den zusammen-
gesetzten.
*) Das hinter doivöcTov stehende zp&Tov muss vor ntpi Sia<rnr)fiotTa>v ge-
stellt werden wie in seinem Commentar auch von Marquard geschehen ist.
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Prooimion: Inhaltsangabe.
213
xn.
§ 15. Wenn wir uns aber mit den zusammengesetzten Interval-
len befassen, so müsseu wir. da diese zugleich .Systeme sind, auch
über die Zusammensetzung der unzusammengesetzten In-
tervalle zu handeln im Stande sein.
§ 16. Die meisten Harmoniker nun haben nicht einmal ein-
gesehen, dass es nothwendig ist, diese Zusammensetzung in Betracht
zu ziehen, wie aus den früheren (Vorlesungen) klar geworden ist.
Yon den Eratokleern aber ist nur dies bemerkt worden, dass sich
das Melos von der Quarte aus aufwärts und abwärts nach der
Höhe und nach der Tiefe hin zu einem zwiefachen (Melos) theilt,
ohne zu bestimmen, ob dies von jeder Quarte aus und weshalb es
der Fall ist*), und ohne bei den übrigen Intervallen zu untersuchen,
auf welche Weise das eine zum anderen gesetzt werden, — auch
nicht, ob eine feste Norm besteht, nach welcher ein jedes Intervall
zum anderen hinzugefugt wird und ob aus ihnen auf die eine Weise
Systeme gebildet werden können, auf die andere nicht, oder aber?
ob dies unbestimmbar ist. Denn über nichts von diesem Allen ist
eine Erörterung, weder mit noch oline Nachweis gegeben worden.
Und obwohl in der Zusammensetzung des Melos eine bewunderns-
werthe Ordnung besteht, so fehlt es nichtsdestoweniger nicht an
solchen, welche durch die bisherigen Darsteller unserer Disciplin
veranlasst, der. Musik eine sehr grosse Unordnung beimessen.
Zeigt doch nichts von dem, was wir sonst sinnlich wahrnehmen,
eine so grosse und so treffliche Ordnung, wie dies aus unserer Dar-
stellung selber sich ergeben wird. Für jetzt aber wollen wir die
weiteren Abschnitte aufzählen.
*) Aristoxenus sagt wörtlich: „dass sich das Melos von der Quarte aus
nach beiden Seiten hin zweifach theilt4.', d. h. sowohl nach der Höhe wie nach
der Tiefe hin sich s o theilt, dass es ein zweifaches wird.
Dass das Melos von einem Tetrachordc aus auf doppelte Weise auf-
wärts steigt, kann dann vorkommen, wenn das betreffende Tetrachord in
ein und derselben Transpositionsscala das eine Mal in dem Syneminenon-, das
andere Mal in dem Diezeugmenon- Systeme derselben genommen wird; z. B.
vom Tetrachord a b c d steigt man aufwärts
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214 Aristoxenus erste Harmonik § 16. 17.
im Tono8 Lydios, systema synemmenon.
ab c d es f g »->■
D <TTg" i b c d'esTg
im Tonos Lydios, systema diezeugmenon:
a b c d e f g
D efgabcdefgaesfg.
Dass das Melos von einem Tetrachorde aus auf doppelte Weise abwärts
fortschreitet, kann vorkommen, wenn das betreffende Tetraebord das eine
Mal in dem Synemmenon-Systeme, das andere Mal in dem Diezeugmenon-Sy-
steme der nächst verwandten Transpositions-Scala genommen wird ; z. B. vom
Tetrachord a b c d steigt man abwärts
im Tonos Hypophrygios, systema diezeugmenon:
G ABcdesfgabcd
im Tonos Lydios, systema synemmenon:
d efgabcdesf
Diese durch die Eigentümlichkeit des Synemmenon- und Diezeugmenon-
Systcmes veranlassten Thatsachen der griechischen Tonscala sind es, welche
Eratokles im Auge hatte, wenn er sagt: „das Melos theile sich von der Quarte
aus abwärts und aufwärts in zweifacher Weise (zu zwei verschiedenen Trans-
position8-Scalen, z. B. die mit d beginnende Moll-Seala in eine ?- und in eine
??-Scala). Aristoxenus sagt, dass diese von Eratokles erwähnte Thatsache
im Allgemeinen richtig sei, er vermisst nur, dass Eratokles nicht angegeben
habe, ob es von jeder Quarte aus und weshalb es der Fall sei. Es igt nicht
von jedem Tetrachorde aus der Fall, würde Aristoxenus sagen, sondern nur
von dem durch die Hypato und die Mese Lichanos eingeschlossenen Tetrachorde
aus, beziehungsweise dem durch Paramesos und Nete diezeugmenon einge-
schlossenen Tetrachorde. Dem alten Meibom („difficilis est locus, quem diu
me torsisse foteor") darf man es nicht zu hoch anrechnen, dass er die Stelle
interpretirt : „tetrachordum, quod duobus immobilibus tonis continetur, bifariam
tantum secari posse cantando, , sive ab acumine descendas ad gravitatem , sive
contra a gravi accendas in acutum. Po^tquam enim in genere enarmonio in
aeumen modulatus fueris diesin atque diesin i. e. duas wectiones tetrachordi
feceris, impossibile est aliam praeterea in eodem tetrachordo facere sectionem.
Itaque in superiorem stabilem sonum incides. Quacunque igitur divisione se-
cueris tetrachordum, nunquam plures intermedia» facies sectiones quam duas.
Nec ullus ex antiquis qui tono in melius mutandi studio generum divisiones
sunt agressi, plures legitur conatus facere. Recentiores tarnen dictis suis hemi-
toniis aliud introduxerunt. Porro eadem est ratio, si ab accumine progrediaris
ad gravitatem." Um so mehr hätte man von dem neuesten Aristoxenos-Com-
mentator erwarten sollen, dass er die Stelle richtig erklärt, dass er vor Allem ge-
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Prooimion : Inhaltsangabe.
215
merkt hatte, dass hier von der Zusammensetzung der einfachen Intervalle zu
einem Systeme, aber nicht von der Theilung des Tetrachordes im enharm.
und Chromat. Tongeschlechte die Rede sein soll. Aber Marquard erklärt
wie Meibom: „Dieser Ausdruck, dass von der Quarte, d. h. von den Grenz-
klängen der Quarte aus die harmonische Fortschreitung nach beiden Seiten
sich doppelt scheidet, ist wegen seiner Kürze sehr dunkel. Es ist nach dem
Vorhergehenden die Rede von der Zusammensetzung der unzusamraengesetzten
Intervalle, daher ist zu vermuthen, dass hier jene doppelte Fortschreitung ge-
roeint ist, nach welcher man vom tiefsten Grenzklange einer Quarte aus ent-
weder einen Ganzton oder im enharinonischen Geschlechte eine grosse, im
chromatischen eine kleine Terz, und vom höchsten aus entweder einen Ganzton
oder ein gedrängtes System im enharmonischen Geschlechte von zwei Viertel-
tönen, im chromatischen von zwei Halbtönen setzen kann, so dass man in der
That sagen könnte, die Fortschreitung scheide sich nach beiden Seiten hin,
d. h. nach der Höhe und nach der Tiefe zu , von einer Quarte aus doppelt.
Unvollständig war allerdings die Angabc, und als solche bezeichnet sie Ari-
stoxeuus ja, da auf das diatonische Geschlecht der Satz keine Anwendung fin-
det, abgesehen von anderen Umständen, welche Aristoxenus rügt.'' Im Gegen-
theil, die doppelte Theilung des Melos von der Quarte an, welche Eratokles
im Auge hat, passt für alle Tongeschlechter, für das diatonische nicht minder
wie für das enharmonische und chromatische, auch wenn er in der Weise der
älteren Harmoniker (vgl. § 2) nur von dem enharmonischen Tongeschlechte ge-
redet haben sollte.
Viel besser Ruelle : „Meybaura explique tres-ingenieusement cette phrase qui
suivant son expression l'a torture longtemps. Mais nous croyons remplacer avec
avantage son interpretation par une conjecture qui a recu d'adhesion de M.
Vincent. Peut-etre s'agit-il ici d'un Systeme heptacorde compose de deux te-
tracorde8 conjoints (vollständig richtig! et dont le chant se trouve portag6 en
deux par chacun des tetracordes, c'est-a-dire deux tetracordes conjoint« dont
les differentes grandeurs partielles se trouvent chantees musicalement ou si Ton
veut harmonieusement avec un repos observe a la moiti6 de cette corde de
gamme, qui est la mese.u
XIII.
§ 17. Wenn nämlich gezeigt worden, auf welche Weise die
unzusammengesetzten Intervalle mit einander zusammengesetzt wer-
den, dann sind die aus ihnen bestehenden Systeme zu behandeln,
die übrigen nicht minder wie das vollständige System (tsXsiov), und
zwar in der Weise, dass wir zeigen, wie viele und welche es sind,
und dass wir die aus dem verschiedenen Umfange folgenden Unter-
schiede und wiederum bei jedem Umfange die Verscliiedenheiten
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21«
Aristoxenus erste Harmonik § 17—20.
des Schemas, der Synthesis und der Thesis*) angeben, dergestalt
dass bei den Meloduinena Nichts, sei es Umfang, sei es Schema
oder Synthesis (oder Thesis) ohne Nachweis bleibt.
*) Der Ausdruck „Thesis" bleibt in den indischen Bruchstücken des Ari-
stoxenus unerklärt. Doch findet er sich auch im zweiten Bruchstücke § 90:
Kaxd fjiev ouv xd p-e^tih) x&v oiaax7}u.dxajv xal xd; xdsv <p8oY7a»v xdaet; drceipd 7to>;
^alvexai eivai xd repl (xo) «JtiXo;, xaxd xd; ouvdfiei; xal xaxd xd el&rj xal xaxd
xd; ö^oei; reirepasi^va xe xal xexciY|Aiva. Die Verbindung mit xaxd ö-jvdp.et;, in
welcher hier xaxd xd; 9£oet; vorkommt, deutet entschieden darauf hin, dass die
xaxd 8£otv und xaxd ovvapuv footAaota xujv «8öyy«"vi welche bei Ptolemaeus vor-
kommt und von der wir griech. Harmonik 1867 § 32 S. 352 — 367 ausführlich
gehandelt haben und deren Darstellung wir durchaus aufrecht erhalten, trotz
der abweichenden Auffassung unseres Vorgängers Bellermann und trotz der
Einwände, welche unsere in der Harmonik des J. 1863 gegebene Darstellung
in dem Lissaer Schulprogramme v. 66 in dem Aufsatze über Ptolemaeus erfahren
hat, auch schon bei Aristoxenus vorkam. Dies war uns in der Harmonik d. J. 1867
noch unbekannt. Dort konnten wir noch nicht mehr sagen als folgendes S. 353:
„Die ganze Art und Weise, wie Ptolemaeus von der 6vo(xaala xaxd Oiatv redet
zeigt, dass sie unmöglich etwas erst von ihm selber Erfundenes ist. Er setzt
dieselbe vielmehr als die den Lesern meines Buches bekannte Ouomasie voraus,
und die folgenden Erörterungen werden keinen Zweifel lassen, dass die von
Aristoxenus aussclüiowlich (!) reeipirte «SvofAaafa xaxd Sivapiiv zwar die ältere
ist, dass aber die sogenannte thetische Nomenklatur schon eine geraume Zeit
vor Ptolemaeus in der Praxis der ausübenden Musiker aufgekommen war und
sich hier allmälig so befestigt hatte, dass Ptolemaeus nie als die vulgäre an-
sehen durfte." Schon die Aristotelischen Problemata setzen sie, ohne freilich
den Terminus A-vouaota xaxd 0£otv zu gebrauchen, voraus gr. Harm. a. a. 0. Um
so weniger darf es auffallend erscheinen, das» auch Aristoxenus sowohl die
<Svouac(a xaxd ö£atv wie die xaxd 56vaiav gekannt und in seinem ersten und zweiten
Werke zepl piXou; behandelt hat, wie wir aus der jetzt vorliegenden Stelle und
dem § 90 der zweiten Schrift ersehen. Der Terminus xaxd JUotv und xaxd oy-
vafiiv wird wohl von Arintoxenus herrühren.
§ 18. Mit diesem Theile der Disciplin haben sich die übrigen
ausser Eratokles nicht befasst, der ohne Nachweis eine theilweise
Aufzählung (der Systeme) unternommen hat. Dass er aber nichts
(von Bedeutung) gesagt, sondern Alles unrichtig angegeben und mit
seinem Wahrnehmungsvermögen sich geirrt hat, ist schon früher,
als wir diesen Gegenstand (TtpaYfiaTefa)*) an sich behandelten, dar-
gethan worden. Denn man hat sich, wie wir in den früheren Vor-
lesungen [lv toi; ejx~po3Öev) sahen, nirgends mit den übrigen Syste-
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Prooimion: Inhaltsangabe.
217
men befasst; bloss von Einem Systeme und nur für Ein Tonge-
schlecht hat es Eratokles unternommen, sieben**) Schemata der
Oktave aufzuzählen, die er durch Umstellung der Intervalle nach-
wies, ohne indess zu erkennen, dass wenn vorher nicht die Schemata
der Quinte und der Quarte***) dargelegt worden und dann fer-
ner, welche Art der Zusammensetzung es sei, nach welcher sie
eramelisch zusammengesetzt werden, dass ( — sage — ) in einem
solchen Falle sich herausstellt, dass es mehr als sieben (durch das
Schema verschiedene) Systeme giebt. Doch haben wir, dass dem
so ist, schon in den früheren Vorlesungen ausgefülirt, und so wollen
wir dies jetzt zur Seite liegen lassen uud sofort die weiteren Ab-
schnitte unserer Discipliu angeben.
*) Also die „oo;ai äpjxovix&v" so gut eine -pa^rel*, wie das vorliegende
„dpfxoxxov jjipo;."
■*) Sieben Schemata, wie auch weiterhin in diesem § 18 gesagt wird.
Deshalb ist das handschriftlich Ueberlieferte td oyr^ara in ir.™ vtfpvz* zu
ändern.
***) Weshalb zuerst die Quinte, erst dann die Quarte geuanut?
XIV.
§ 19. Sind die Systeme sowohl*) nach jedem der Tonge-
schlechter wie nach jedem ihrer Unterschiede aufgezählt worden,
so wird, da die Tongeschlechter unter sich gemischt wer-
den, zu untersuchen sein, aufweiche Weise**) dies letztere geschieht.
Denn eben worin diese Mischung besteht, haben (die Früheren***))
nicht eingesehen.
*) Die Lesart xa\ xaiK des Cod. B. ist statt des blossen r.aö' der übrigen
aufzunehmen.
**) Vor wiieitai ist zu ergänzen xata Tiva rp<5~ov oder tIvi xp^nip.
**•) KotTatjAenaJHjxtoav erfordert nothwendig ein Subject, wie ol Tipo -rjatüv
oder dgl.
XV.
§ 20. Darauf folgt die Erörterung der Scala-Töne, da die
Systeme für die Unterscheidung derselben nicht ausreichen*).
*) Hier stimmt die erste Harmonik mit dem Prooimion der dritten § 14
in der Angabe des Grundes wörtlich übereiu.
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218 Aristoxenus erste Harmonik § 19—24.
XVI.
§ 21. Jedes System wird auf einer bestimmten Stimmlage
ausgeführt. Wenn nun auch das System*) an und für sich**) hier-
durch***) nicht verändert wird, so wird doch dem auf ihm genom-
menen Melos durch Eigenthtimlichkeit der Stimmlage ein nicht un-
bedeutender, sondern ein fast sehr grosser Wechsel zu Theil. Des-
halb wird derjenige, welcher die Harmonik darzustellen unternimmt,
so weit es angemessen ist, d. h. soweit es die natürliche Beschaffen-
heit der Systeme selber erheischt, über die Stimmlage im Allge-
meinen und im Besonderen zu reden haben.
*) Hinter Xa^ßdvovca; nicht T<Sirot>, sondern worfjxaToc hinzustellen.
**) Zu lesen xad' auto nach Z., nicht mit den übrigen Handschriften
xa&' abtbv.
***) aüxoü bei dem vorausgehenden xaö' avto überflüssig. Die ganze Stelle
ist zu lesen: Xajxjäcfoov (toc toü 3,jQTri\t'x)'zoz auroü, fö fCfvi|*evov iv oOt^
ia£Xo; xtX.
XVII.
§ 22. Haben wir aber die Systeme und über die Eigenthtim-
lichkeit der Stimmlagen gehandelt*), dann ist auch über die Trans-
positionsscalen zu sprechen, nicht in der Weise, dass wir gleich
den Harmonikern die Katapyknosis zu Grunde legen.
Ueber diesen Abschnitt haben einige von den Harmonikern,
doch ohne ihn besonders zu behandeln und nur um das Diagramm
auf dem Wege der Katapyknosis herzustellen, in der Kürze und
nach Zufall einiges bemerkt, über das Allgemeine hat jedoch kein
einziger gesprochen; dies ist uns aus dem Vorausgehenden (über
die Meinungen der Harmoniker) klar geworden.
*) Hinter -ztran oUei^to; ist oisXÖ^vra; einzuschieben.
XVIII.
§23. — — — — — — — — — — — —
Dieser Theil der Lehre von der Metabole, kurz zu sagen, ist es,
der sich auf die Theorie des Melos bezieht.
Die dritte Harmonik § 21 will die gesammte Metabole in ihrem ganzen
Umfange behandeln; hier in der ersten soll nur ein Theil behandelt werden,
vermuthlich mit Ausschluss dessen, was sich auf die Mclopoeie bezieht.
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I. Die topische Bewegung der Stimme, Singen und Sagen. 219
§ 24. Das sind nun der Zahl und dem Inhalte nach die ein-
zelnen Abschnitte der sog. harmonischen Wissenschaft. In Betreff
der über diese Abschnitte hinausgehenden Disciplinen (S. 202) ist, wie
wir sagten, anzunehmen, dass sie die Sache eines schon weiter
Fortgeschrittenen sind. Heber diese nun ist in den geeigneten Zei-
ten zu sprechen, welche und wie viele es sind und worin ein jeder
besteht. Für jetzt versuchen wir, die erste darzustellen.
I.
Die topische Bewegung der Stimme, Singen und Sagen.
Topische und Schwingungs-Bewegnng der Töne.
Dass die Stimme (Sing- oder Instrumentalstimme, tftuvf) dhöpumvT, oder
öpfavtx-fj) von einer tieferen zur höheren oder von einer höheren zur tieferen
Tonstufe fortschreitet, dass sie aufwärts oder abwärts sich bewegt, dass sie
auf- und niedersteigt, dass sie zeitweilig auf derselben Tonstufe beharrt
oder stillsteht, dass zwei gleichzeitig ertönende Stimmeu sich in Parallelen
(d. i. parallelen Linien oder Abstanden) bewegen, dass sie in moto contrario
fortschreiten, . . . das sind Termini und Anschauungen, welche man so lauge
als es Musiker und Componisten giebt festhalten wird. Sie beruhen auf der
Voraussetzung, dass die Töne durch die Dimension der Höhe und der Tiefe
verschieden sind. Aristoxenus, der zuerst unter allen Theoretikern des Mclos
in diese Anschauungen und Tennini Licht und Klarheit gebracht hat, nennt
die auf die Voraussetzung der Höhe und Tiefe basirtc Stimmbewegung
d. i. das Fortschreiten nach der Höhe und Tiefe zu „topische Bewegung
der Stimme*', d. h. Bewegung in räumlichen Dimensionen, zum Unter-
schiede von der physikalischen oder akustischen Bewegung des Tones, der zu -
folge die Klänge auf den Schwingungsverschiedenheiten der durch da« mensch-
liche Stimmorgan oder die musikalischen Instrumente in Bewegung gesetzten
Luft beruhen.
Das Griechenthum hat der Akustik einen grossen Theil seines Denkens
zugewandt von Pythagoras bis Klaudius Ptolemaeus: die Namen Archytas,
Eratosthencs. Klaudius Didymos bezeichnen die zwischen der Arbeit des Py-
thagoros und des Ptolemaeus in der Mitte liegenden Stationen. Der Höhepunkt
der akustischen Forschung bei den Hellenen lässt sich dahin skizzireu, dass
man den Unterschied des grossen und des kleinen Gauztones erkannte und
beide genau wie die Akustik des vorigen Jahrhunderts auf die Schwingungs-
verhältnisse 8 : 9 und 9 : 10 zurückführte. Plato legte den bis zu seiner Zeit
gefundenen Ergebnissen der Akustik eine überschwänglichc Bedeutung bei, indem
er glaubte, aus den von Pythagoras oder Archytas entdeckten akustischen
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220
Aristoxenus erste Harmonik § 24. 25.
Zahlenverbältnlssen den Kosmos construiren zu können. Sein Vorgang grift*
so tief in das hellenische Denken und Fühlen ein, dass ein wissenschaftlicher
Astronom wie Aristarch von Samos der Vergessenheit anheim fiel, dass die
astronomischen Grundanschauungen des Ptolemaeus, die trotz der nüchternen
Akribie desselben innerhalb der Platonischen Vorstellungen sich hielten, bis
über das Mittelalter hinaus die allein herrschenden blieben, und dass es erst
eines neuen Aristarch von Samos in der Person des Copernicus von Thorn
bedurfte.
Aristoxenus ist mit den akustischen Forschungen seiner Zeit vertraut (war
er doch in der Schule der Pythagorccr aufenvachsen); auch seine Rhythmik
beweist das, indem er Analogien zwischen den Verhältniszahlen der Rhythmcn-
geschlechter und der von den Pythagoreem als solche anerkannten symphoni-
schen Intervalle zieht. Aber sowie Aristoteles der Platonischen Anwendung
akustischer Verhaltnisszahlen auf den Kosmos widerstrebt, so war auch Aristo-
xenus scharfsinnig und nüchtern genug um einzusehen, dass sich mit Hülfe
der damaligen Akustik nicht einmal die Scalen des Melos construiren Hessen.
Er that Recht daran, die Coustruction der Scala von der topischen Bewegung der
Stimme aus auf geometrischem Wege zu versuchen, denn kaum ist die Wissen-
schaft unserer Tage nach tausenden von Jahren des physikalischen Forscheus
so weit gekommen, dies auf dem arithmetischen Wege der Akustik zu errei-
chen. Aristoxenus fasste die Schwingung« - Bewegungen der Töne als etwas,
was der Physik angehöre: mit der Musik als Kunst habe nur die topische Be-
wegung der Töne zu thun, denn weder die Wissenschaft des Rhythmus noch
des Melos konnte durch die Akustik andere Grundlagen gewinnen. Dass dies
der Gedanke des Aristoxenus ist, ergiebt sich deutlich aus dem, was er in dem
Abschnitte von der topischen Bewegung der Stimme von der bei „Jenen" soge-
nannten Bewegung sagt, die bei einem höhereu Tone eine grössere, bei einem
tieferen eine geringere Schnelligkeit hat. § 31.
Singstimme und Sprechstimme.
Gesungenes und gesprochenes Gedieht, „Singen und Sagen" wie die alte
deutsche Bezeichnung lautet, gehört beides der musischen Kunst an. Beides
wird im Rhythmus vorgetragen, das eine im Rhythmus der 'Li/.r; Xe;t;, das an-
dere im Rhythmus des Melos. Worin besteht der Unterschied? Im Deutschen
ist er fühlbar genug. Er bezieht sich wesentlich auf die Versfüsse. Kola, Perio-
den, Strophen hat das gesprochene Gedicht mit dem gesungenen gemeinsam.
Auch die Versfüsse; aber bei diesen empfinden wir den Unterschied am deut-
liebsten. Denn des Gegensatzes von Hebungen und Senkungen der Versfüsse
sind wir uns auch in der declamirten Poesie bewusst, aber es wird uns schwer, ja
unmöglich ein bestimmtes Zeitmass oder Mass Verhältnis» dieser beiden rhyth-
mischen Abschnitte anzugeben. Unser rhythmisches Gefühl ist schon befrie-
digt, wenn das Kolon oder die Periode eine gewisse Anzahl vou Hebungen
hören lässt: wie lange oder wie kurz die Stimme beim Aussprechen derselben
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I. Die topische Bewegung der Stimme, Singen und Sagen. 221
*
verweilt, das irritirt uns nicht; wir gestatten gern und sehen gerade darin den
Vorzug eines ausdrucksvollen Deklamirens, dass bei solchen Sylben, welche
für den logischen Zusammenhang besonders bedeutungsvoll sind, länger ver-
weilt wird, einerlei ob durch längeres Aussprechen oder durch Pause. Und
an welchen Stellen diese Pausen vorkommen, ob am Ende des Kolons oder
innerhalb des Kolous und de» Verafussea, ist uns ebenfalls einerlei. In dem
Gesänge aber ist die Zeit- Ausdehnung der Hebungen und der Senkungen
einem bestimmten Maasse unterworfen und ebenso sind die hier vorkommenden
Pausen integrirende Bestandteile des Rhythmun. Also kurz: die rhythmischen
Accente sind den Versfussen des dcclamirten Gedichtes mit dem gesungenen
gemeinsam, aber im declamirten Gedichte entzieht sich die Zeitdauer der Mess-
barkeit, während sich im gesungenen ein strenges Zeitmass erkennen lässt So
ist es bei uns. Wie war es bei den Griechen? Die modernen Griechen spre-
chen viel schneller als wir Deutschen, sie gehören zu den schnell sprechendsten
aller Nationen. Auch wenn sie Gedichte deklamiren, wird man niemals dem
Unterschied der Sylbendauer messen können. Daraus wird man aber wohl
noch keinen Schluss auf das Altgriechische sich verstatten dürfen.
Nun, auch die alten Griechen haben über diesen Punkt nachgedacht.
Lägen uns die Schriften des alten Lasos und der Epigoneer vor (§ 4), so würden
wir darin vermuthlich folgenden Unterschied zwischen deklamirtem und ge-
sungenem Gedichte angegeben finden: Beim Singen sind die Sylben breiter,
beim Sprechen schmaler oder „ohne Breite". Das ist aus der Mittheilung des
Aristoxenus § 4 zu folgern. Aristoxenus selber sieht beides, Singen und Spre-
chen, als topische Bewegung der Stimme au, denn auch beim Sprechen kommt
durch die in der Sprache selber gegebenen tieferen und höheren Accente ein
Aufsteigen zur höheren, ein Niedersteigen zur tieferen Tonstufe vor (Nach
Dionys, von Halikarnas de comp, verbor wird bis zu einem Quinten-Inter-
valle auf- und abgestiegen — in unseren modernen Sprachen noch bis zu
grösseren Intervallen). Aber trotzdem kein anderer Forscher für das Singen
und Sagen eine solche generelle Identität wie Aristoxenus angenommen hat, so
beschreibt dieser dennoch den Eindruck, welchen ihm das Sagen gegenüber dem
Singen macht, in einer Weise, dass wir nicht zweifeln können, das alte Hel-
lenenthum habe beim recitirenden und melischen Vortrage seiner Poesie genau
dieselben Unterschiede gemacht, wie wir modernen Menschen. Er berichtet:
§ 25. Zu allererst sind die Unterschiede der nach der Höhe
und nach der Tiefe zu (nach räumlichen Dimensionen) fortschrei-
tenden Stimme anzugeben.*) (Wenn nämlich eine Stimme von der
Tiefe in die Höhe 1 lin aufsteigt , oder von der Höhe in die Tiefe
hinabsteigt, so nennen wir ihre Bewegung eine topische (xata tottov
xt'vipi;), da sie gewissennassen einen Kaum von oben nach unten,
oder von unten nach oben durchschreitet.f) Für jede Stimme aber.
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222
Aristoxenus erste Harmonik § 25—28.
die sich in der angegebenen Weiseft) zu bewegen vermag, ist eine
zweifache Art der Bewegung zu unterscheiden, die continuirliche
und die discontinuirlichc Bewegung.
*) Die Cod haben aurfjc Tfj; xaxd t<5tov xivr)ae<»c xd; oiaspopd?. Was soll
hier aurfjc bedeuten? Ich lialte es für ein zu tilgendes Schreib- Versehen
Dagegen wird wohl ein von xtvf,aea>c abhängiger zweiter Genitiv nicht gefehlt
haben.
t) Mit einziger, aber regelmässiger Ausnahme der Polemik gegen die
oo£ai dp(j.ovtxö>v, verfahrt Aristoxeuus wie ein moderner Schriftsteller, der das
im Inhaltsverzeichnisse Gesagte in der Ausführung als ungesagt betrachtet und
daher in der Ausführung noch einmal angiebt Daher werden einige die xa?d
TÖr.ov xlvrjoi; definirenden Worte in der Ausführung nicht gefehlt haben.
tt) Das handschriftliche ai-riv hinter töv elpr^ivov ist zu tilgen. Mar-
quard übersetzt: „Jede Stimme kann sich eben in der angegebenen Weise be-
wegen."
§ 26. In continuirlicher Bewegung durchschreitet die Stimme
einen Raum (so erscheint es wenigstens der sinnlichen Wahrneh-
mung) in der Weise, dass sie nirgends länger verweilt*), auch nicht
(wenigstens nicht nach dem Eindrucke der Empfindung) an den
Grenzen (der einzelnen Abschnitte), sondern continuirlich bis zum
Aufhören sich fortbewegt
In der zweiten Art der Bewegung, der discontinuirlichen, scheint
sie sich in der entgegengesetzten Weise zu bewegen. Beim Fort-
schreiten nämlich bleibt sie auf einer bestimmten Tonhöhe, dann
wieder auf einer anderen. Und wenn sie dies ununterbrochen thut
— ich meine ununterbrochen der Zeit nach — dergestalt , dass sie
die Stellen, an welchen eine Tonstufe an die andere grenzt, unbe-
merkbar durchschreitet, auf den Tonstufen selber aber verweilt und
bloss diese vernehmbar werden lässt, so sagen wir von ihr, sie führe
eine Melodie aus und befinde sich in discoutinuirlicher Bewegimg.
*) Hinter tu; dv IrrauivT, ist vermuthlich ein herzustellen, wel-
ches der Abschreiber leicht übersehen konnte.
§ 27. Beides aber, was wir hier als Bewegung bezeichnet,
müssen wir in dem Sinne auffassen, wie es sich unserer sinnlichen
Wahrnehmung gegenüber darstellt; ob es möglich oder unmöglich
ist, dass die Stimme sich (von einer Tonstufe zur anderen) bewege
und dann (eine Zeit lang) auf einer Tonstufe verharre, das gehört
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I. Die topische Bewegung der Stimme, Singen und Sagen. 223
einer anderen Untersuchung an*) und ist für unsere Wissenschaft
der Harmonik unwesentlich: wie es sich auch verhalte, es macht
wenigstens für die Scheidung der emmelischen Bewegung der Stimme
von der nicht emmelischen dasselbe aus.
Kurz, wenn die Bewegung eine solche ist, dass sie den Ein-
druck auf das Gehör macht, als ob sie nirgends ruhig verweile, so
nennen wir dieselbe eine continuirliche; wenn sie aber den Anschein
gewährt, als ob sie an einer Stelle ruhig verweile, darauf einen Ort
(von einer Tonstufe zur anderen) durcheile, und wenn sie dies fort-
während abwechselnd bis zum Aufhören zu thun scheint, dann nen-
nen wir diese Bewegung eine discontinuirliche.
*) Aristoxenus verweist auf das erste Buch der Rhythmik, auf diejenige
Partie, aua welcher das Fragment 6 des Psellus stammt (vgl. oben § 4).
§28. Die continuirliche Bewegung nun heisst bei uns Sprechen,
denn wenn wir uns mit einander unterreden, dann macht die Stimme
eine derartige topische Bewegung, dass sie den Anschein hervor-
hebt, als ob sie an keiner Stelle anhalte. In der zweiten Art der
Bewegung, der discontinuirlichen, zeigt sich das entgegengesetzte,
indem sie vielmehr den Eindruck macht, als ob sie an bestimmten
Stellen ruhig verweile; von demjenigen aber, der dies zu thun scheint,
sagen wir alle nicht mehr, dass er spreche, sondern dass er singe.
Dem entsprechend vermeiden wir es, beim Reden die Stimme
ruhig anzuhalten, wir müssten denn etwa durch eine leidenschaft-
liche Erregtheit getrieben werden, in eine derartige Bewegung zu
verfallen. Beim Singen aber vermeiden wir gerade umgekehrt die
continuirliche Bewegung und suchen die Stimme so viel als möglich
verweilen zu lassen, denn je mehr wir jeden Ton als einen für sich
geordneten, einheitlichen und stetigen zum Vorschein kommen lassen,
um so klarer wird das Melos von der sinnlichen Wahrnehmung auf-
gefasst
Dass also von beiden Arten der topischen Bewegung der Stimme
die continuirliche als Sprechen, die discontinuirliche als Singen sich
darstellt, erhellt, denke ich, aus dem Gesagten.
Es komme ihm vor, sagt Aristoxenus, als ob die Sprechstimme und die
Singstimme, in denen beiden ja verschiedene Tonhöhe und Tontiefe vorhanden
sei, sich dadurch unterschieden, dass beim Sprechen die Sylben niemals auhal-
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224
Aristoxenus erste Harmonik § 28.
ten, sondern dass sofort von der einen Sylbe zur anderen gegangen werde, und
dass sich dies fortwährend bis zum Ende des ganzen Sprechens wiederhole.
Beim Singen aber bleiben die Sylben beim Fortschreiten auf bestimmten Ton-
höhen stehen. Uebereinstimmend hiermit sagt Aristoxenus in der Rhythmik
ap. Psellum Fr. 6: Die fjtExaßdceu, die Uebergänge von einer Sylbe zur anderen,
seien xptucToi Sid apuxpöxtjxa 3>zrttp opoi xivec tfvxe;, die Sylben selber dagegen
seien •p'diptfxot xaxd xö rosÖN yp6voi. Also Aristoxenus' Ohr rindet ein Zcitmaass
für die Sylben, aber nach der obigen Stelle geschieht das nur, wenn sie ge-
sungen werden; die Sylben der ouvt/^; x formst; 'fomj;, die gesprochenen Syl-
ben entziehen sich ihm der Messbarkeit. Bloss leidenschaftliche Erregtheit könne
wohl der Grund sein, dass auch beim Sprechen in der Sylbendauer etwas »tä-
tiges (^p£|Atai) vorkomme, sonst befinden sich die gesprochenen Sylben in einer
xMjotc ouve^;, sind also nicht ptuptfxot xaxd xö rooöv ypovoi.
So lässt sich zwar an die gesungene Poesie der Zeit -Maassstab der ver-
schiedenen Versfüsse, z. B. des vierzeitigen Daktylus anlegen, aber nicht an
die ^iHj £|Afj.ETpo« ).£$t;. Hier hört man nicht den yvtupijio; -^p^Mo; xexpdT^ixo;,
nicht die Hon als oior^o;, nicht die dpoi; als Starke man hört von dem Rhyth-
mus nur das Moment des rhythmischen Accentes und der Accentlosigkeit, die
Zeitdauer entzieht sich der Beobachtung. Im gesungenen oaxxyXtxöv kann man
es genau zur atoÖTjutc kommen lassen, dass die 8£<ju genau so lang wie die
dpoi; ist. In der Recitations-Poesie ginge das zur Noth auch, aber eben nur
zur Noth: es wird pedantisch klingen, wenn man es versucht, eben weil es
der natürlichen Weise des Sprechens, der xtvr^ot; tfaiv?};, zuwider ift.
Denn etwas natürliches ist es nicht, wenn man die Sprechsylbcn , die doch in
continuirlichem Flusse weiter gehen, gewissermassen aufhalten und durch Zeit-
maasse fixiren will. Sollte das nicht unnatürlich erscheinen, so inüsste ein Grund
für die Einhaltung bestimmter Sylbendauer vorhanden sein , z. B. melodrama-
tischer Vortrag, gleichzeitige Begleitung der gesprochenen Worte durch Instru-
mentalmusik, also immerhin eine Art von melischem Vortrage, denn nur im
Melos ist die bestimmte messbare Zeitdauer der Sylben etwas Natürliches.
Auch in der Sprech-Sprache giebt es kurze und lange Sylben : 8v und xö
ist immer kürzer als mv und xtj5. Davon kann man sich mit einer Sekunden-
uhr leicht überzeugen; denn in ein und derselben Zeit lässt sich öv oder xo in
grösserer Anzahl wiederholen als twv und -<;>. Aber dass die lange Sprechsylbe
die doppelte Zeitdauer der kurzen habe, das ist nicht richtig. Das Verlmltniss
1:2 ist der Kürze und Länge erst künstlieh angewiesen, als die >i;t; zum me-
li sehen Rhythmizomenon wurde.
Die in der Melik ausgebildeten rhythmischen Spraehformen , die Metra,
sind dann auch für die lil^ >i;i; beibehalten worden. Auch in der reeitirten
Poesie, die sich vom Melos emaneipirt hatte, mussteu die Versfüsse wahrnehm-
bar gemacht werden. Vor allem behielt man die rhythmische Accentuation
der Versfüsse aus der indischen Rhythmik für die Recitation bei. Mit den
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I. Die topische Bewegung der Stimme, Singen und Sagen. 225
Zeitm nassen war es etwas anderes. Zwar fand der ^povoc Ttp&xo; in seiner Ei-
genschaft als untheilbarer Zeitwerth in der kurzen Sylbe seinen natürlichen
Ausdruck, denn die Sylben der ouve-^c xlvijotc «povfj;, die nach Aristozenus
überhaupt keine messbare Dauer haben, sind jedenfalls untheilbare Zeitwerthe.
Aber wie verhält es sich in der tyxki\ l pjxexpo« Ufa mit der langen Sylbe ? Eine
Silbe noch einmal so lang als eine andere auszuhalten, ist im leidenschafts-
losen Sprechen gegen die Natur der oro^c xlvrjoi; «puivfjc; man kann es zwar,
aber wer so spricht, der spricht unnatürlich, pedantisch, lächerlich. Die lange
Sylbe wird auch im Verse immer etwas länger gesprochen als die kurze, ohne
aber bis zur strengen Zweizeitigkeit ausgedehnt zu werden. Sie ist kürzer als
die SloTjfAoc paxpd, als die rhythmische Länge des Melos. Eine solche Sylbe, welche
länger ist als die kurze und doch kürzer ist als die fcloTjfio« piaxpd, kommt auch
in der aus dem Melos entlehnten Theorie des Rhythmus vor. Sie erscheint
z. B. in dem /opetoe 0X0705 als sog. iXo-foc dva> ypovo; vgl. S. 26.
Die kyklischen Versfüsse.
Die mit der rhythmischen Theorie keineswegs unbekannte Theorie der
Rhetorik verfiel auf diese iXo^oc fxaxpd der Rhythmiker, wenn es galt, für die
Lunge des Daktylus beim Recitiren einen Zeitwerth anzugeben. Es geschah
das, wie man für die Rhetorik auch von tcöocc, von xd>Xa, von rccploooi sprach.
Thrasymachus von Chalcedon (Suidas s. h. v.) hatte zuerst diese Kategorieen aus
der Rhythmik auf die Rhetorik übertragen. Aus einer solchen älteren x£^vtj
p^xoptxfj scheint Dionysius entlehnt zu haben, was er de comp. verb. 17 sagt:
'0 oi drcö (laxpök dpy6\itvoz, X^»v 6t i; xd; ßpa^ciac, SdxxuXos j*iv xaXci-
Tat ... 01 jxlvxoi jtuftpixol xo6xou xoü tw>6ö« tJ)v fxaxpdv ßpa^ox£pav elval «paci Tfjc
xcXtta« (i. e. xfjs 6io-f)fi.oy piaxpäc), oix f^ovtec &e elrcelv itöocp, xaXoüotv aix-fjv £Xofov.
Und an einer anderen Stelle de comp. verb. 20 bei Gelegenheit des Verses
A-J&ec Ircstxa n£6ovic xuXtvSexo Xäa« dvato^;:
0&x* «UYXOTaxexuXiorat x«j> ßdpu xffc :i£xpa« ^ x&v ovojidxaiv ouv&coi«; . . .
Erttd' i*xaxalo«xa ovXXafifiiv ouoäv iv tu» axl/tp, &£xa ja£v slot ßpa^rfat ouXXaßal,
erxd hi pvövai piaxpal xal ou&' auxal x£Xctot . d^dfxt) ouv xatcoitdo*« xal owr£X-
Xcoftai x-Jjv ?ppdoiv, ttq ßpayuxrjxi xeöv ouXXaß&v itpeXxopUvtjv . . . °0 hi pdXtoxa xröv
aXXav 8au[xdCetv d$iov, {tudpot o&6el; xäiv (laxprä» ot tpoaiv i^ouai irlitxeiv cU f*i-
xpov ^pt}»^ . . . ipiaxafjipuxxai x«y oxty<p irX-Jjv iid xfj; TcXcurfjc, oi &i dXXoi xdv
xcs elol tdxTj\ot xal outot *ys i?apa6c6ca>7pi£va{ f^ovtt; xdc dX^you« Aare (iL-/) «oXi»
ota^ipctv iviou; xä»v xpo-^atcwv (so dass Einige diese Daktylen nicht viel von den
Trochaeen unterscheiden oder: dass nach Einigen der Unterschied zwischen
diesen Daktylen und den Trochäen nicht gross ist). 06(£v t6 dvr«:pdxxov
ivdv cVcpo^ov xal itcpupcpf) xal xaxappioyoav eivat x-fjv eppdatv ix xoiojtobv ou^-
XCXpOX7]|A£vT)-V f>l>Ö(Jl&V.
Im unmittelbaren Fortgange der zuerst angeführten Stelle sagt dieselbe
rhetorische Schrift:
Arlitoxeaus. Mdlk a. Rhythmik. 15
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226
Aristoxenus erste Harmonik § 28. 29.
"E?epov 6e dvrloTpo?<h Tiva to6t<j> p'J&fJ.«», 8; dzö ?a»v [ipayet&v dp;dfttx>;
tfjv iXo^ov TcXeuta, toütov y^nptaavre; drc& twv dvaTraioxwv (sc. TeXcituv) xuxXov
xaXoöot, irapdleiYH-a aOxoy «pipovrec tokSvBc
xiyytni rA'tM u^IttjXo; xatd -yäv.
Weshalb man diesen Anapaest, die Antithesis des mit verkürzter Länge
gesprocheneu Daktylus, „x6xXo;" nannte (G. Hermann liest x6xXio«), scheint
mit den vorher angeführten Worten evTpoyov xat TtepKpepfj xal xatopp£ouoav th
Nat -rfjv <pp<£atv ix tow6tojv oufxexpoTTjijivYjv ^uftfiSv zusammenzuhängen. Solche
Daktylen und Anapaeste mit verkürzter Länge haben nichts von dem Steifen
und Pedantischen des nach genauem Zeitmaasse sich abmühenden Scandirens,
sondern erscheinen als fliessende und abgerundete Versfüsse; xuxXo; ist wie
in xuxXo; Tteputöou (Abgerundetheit der Periode) gebraucht.
Die kyklischen Versfüsse gehören der Deklamation an.
G. Hermann bezog diese „kyklischen" Füssc auf alle daktylischen Hexa-
meter des Epos im Allgemeinen. Wir sind damit, vom. Standpunkte Hermanns
aus, der stets zunächst an die tUXV) £jjt(jL£Tpo; X££i;, nicht an die Versfüsse des
Melos denkt, vollkommen einverstanden. Soll ein Hexametron der Recitations-
Poesie in Noten aufgedrückt werden, so wird sich Aristoxenus dem wider-
setzen, ist es doch die ouvey^s xlvr^ai; ywWfi, in welcher es keine fjpejjilot, keine
xatd tö ttoG&v f'viuptptot ypövot giebt! Annähern« 1 aber wird man dem Rhythmus
des Recitations-Hexametrons immerhin durch folgende Notirung nahe kommen :
± \J v-y
L —
1 c 1
c i
S -
Das sind genau die roo*;, wie die Berichterstatter, welche Dionysius ex-
cerpirt, sie sich denken. Gleich grosse Versfüsse, „gleichbleibende" Takte sind
das freilich nicht! Man kann diese Noten nicht mit den Fingern als Takte
des 7£vo; loov mit gleich langer 8£oi; und ipoi; taktiren. Aber solche Takte
kommen nach Aristoxenus1 nicht misszuverstehender Auseinandersetzung ja
auch nicht der ouvey-Tjc xlvrjai; epeuv-r);, nicht der <jnXf) IfxjjLCTpo; X££i; zu. „Oratio
non deseendit ad strepitum digitorum" sagt Fabius Quintilian. Uobereinstiui-
mend Atil. Fortunat p. 2689 metrum sine psalmate prolatum proprietatem suam
servat, rhythmus antem nuuquam sine psalmate valebit. So sprechen die Me-
triker von dem recitirten vom Melos einancipirten Metrum im Gegensätze zu
dem nielischen Metrum, welches sie Rhythmus nennen. Aristoxenus bezieht
sich in seiner Rhythmik nur auf diesen strengeren, die yp<5voi genau einhalten-
den Rhythmus des uiXo;, dessen Gesetze in freierer Form auf die Recitatious-
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II. Aufsteigen, Absteigen, Höhe, Tiefe, Tonstufe.
227
Poesie übertragen werden. Seine rhythmische Theorie weiss daher nichts von
kyklischen Versfüssen, worin ich gern dem Herrn Brill beipflichte.
Ich gestehe, dass ich geirrt habe, wenn ich früher mit Apel im Gegen-
sätze zu G. Hermann den kyklischen Takt des Dionysius in die stren-
geren Gesetze des melischen Rhythmus Eingang verstatten zu müssen glaubte.
Um so mehr aber sind die von Brill und Lehrs acceptirten Messungen J. H.
Voss' und Meisners abzuweisen, nach denen etwa Mendelssohn oder irgend ein
anderer unserer Musiker die antiken Dichtertexte melodisiren kann, von denen
uns aber mit keinem Worte überliefert ist, dass die antiken Dichter selber so
rhythmisirt haben (vielmehr ist uns etwas ganz anderes überliefert vgl. S. 1 14 ff.)
und nach denen noch weniger die betreffenden Texte recitirend vorgetragen
werden können, wenn der Vortrag nicht ein gezwungener, unnatürlicher, pedan-
tischer, lächerlicher sein soll. Nach Aristoxenus ist die Sprech-Stimme ausser
Stande, die Sylben als -^pepiat xatd *ri rooiv yp<ivoy tt; alatWjsei yv<£»pi{xoi vor-
tragen zu können, das kann bloss die Sing-Sthnmc.
II.
Aufsteigen, Absteigen, Höhe, Tiefe, Tonstufe.
Vgl. Prooim. § 5.
§ 29. Da sich ergeben, dass die Stimme beim Singen das Auf-
und Absteigen unvermerkt zu vollziehen, die Tonstufen selber aber
vernehmbar erklingen zu lassen hat (— hat sie doch den Raum des
Intervalle8, welchen sie ab- und aufsteigend durchmisst, gleichsam
im Verborgenen zu durchlaufen, dagegen die aneinander grenzenden
Töne deutlich und voll zur Erscheinung kommen zu lassen — ), da
sich dies ergeben hat, so wird nunmehr vom Aul- und Absteigen
von Höhe und Tiefe und von der Tonstufe die Rede sein
Das Aufsteigen (£7^031;) ist die discontinuirliche Bewegung*)
der Stimme von einem tieferen zu einem höheren Orte; das Ab-
steigen (avesi;) die Bewegung von einem höheren zu einem tieferen;
Höhe (ofcuTT,;) ist das Resultat des Aufsteigens, Tiefe ([tapoTr,;) das
Resultat des Absteigens.
*) Hinter xtvrjoi; rr); «pravi^ steht in den Codd. noch das Wort ouvtyjf,;.
Das Gegentheil Sioarr^aTtx^j würde richtiger, freilieh überflüssig sein. Der
Docentenvortrag des Aristoxenus, der in seiner peinliehen Gewissenhaftigkeit
stets besorgt ist, es möchte von seinem Vortrage den Zuhörern etwas entgangen
sein, erklärt die vorhergehende Parenthese, die allerdings im vorigen Kapitel
15*
^Google
228 Ariatoxenus erste Harmonik 29— 31.
Gesagtes noch einmal sagt, aber deshalb nicht mit Marq. S. 367 für eine In-
terpolation zu halten ist.
§ 30. Dass wir hiermit vier Begriffe und nicht zwei gesetzt
haben, mag dem oberflächlichen Beobachter vielleicht widersinnig
erscheinen, denn wohl die meisten sagen, dass Aufsteigen und Höhe,
Absteigen und Tiefe dasselbe sei. Es erscheint der Nachweis nicht
unpassend, dass diese Auffassung eine verkehrte ist.*)
Versuchen wir den Vorgang selber ins Auge fassend uns klar
zu machen, was wir eigentlich thun, wenn wir beim Stimmen eines
Instrumentes die Saiten hinunterlassen oder hinaufziehen. Wer der
Instrumente nicht ganz unkundig ist, der weiss, dass wir die Saiten
beim Hinaufspannen auf eine höhere, beim Hinunterlassen auf eine
tiefere Tonstufe bringen. In der Zeit nun, während deren wir eine
Saite auf eine höhere Tonstufe versetzen, kann doch unmöglich
schon die Höhe, welche durch das Aufsteigen entstehen soll, vor-
handen sein; dann erst wird die Höhe vorhanden sein, wenn das
Hinaufstimmen zur gewünschten Höhe geführt hat und die Saite
nun fest steht und nicht mehr bewegt wird; dies aber wird ein-
treten, wenn das Hinaufstimmen aufgehört hat und nicht mehr fort-
dauert, denn es ist nicht möglich, dass die Saite zugleich verändert
wird und fest steht Dasselbe werden wir auch vom Absteigen und
der Tiefe sagen, nur dass hier die umgehrten Richtungen stattfinden.
Aus dem Gesagten ergiebt sich, dass das Absteigen sich von
der Tontiefe unterscheidet und zwar in derselben Weise wie Ursache
und Folge ; in gleicher Weise ist auch das Aufsteigen von der Höhe
verschieden.
*l Vgl. Prooimion § 5.
§ 31. Dass das Aufsteigen mit der Höhe, das Absteigen mit
der Tiefe nicht identisch ist, ist, denke ich, aus dem Vorausgehenden
klar geworden. Dass nun aber auch das fünfte*), nämlich die Ton-
stufe, von jedem der genannten Begriffe verschieden ist, wollen wir
einzusehen versuchen.
Was wir unter Tonstufe (raai;) verstehen, ist etwa dasselbe,
wie Verweilen und Feststehen der Stimme. Dabei sollen uns die
Meinungen derer nicht irre machen, welche die Töne auf Bewegun-
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II. Aufsteigen, Absteigen, Höhe, Tiefe, Tonstufe. 229
gen**) zurückführen und die Behauptung aufstellen, die Stimme
sei ganz und gar eine Bewegung, während es uns passiren werde,
dass wir sagen müssten, es könnne bei der Bewegung (in unserem
Siime) Yorkommeu, dass sie keine Bewegung, sondern ein Ruhen
und Stehenbleiben sei. Wir unsererseits nämlich dürfen getrost
die Tonstufe auch so definiren, dass wir sagen, sie sei eine gleich-
bleibende oder identische Bewegung oder weichen bezeichnenderen
Ausdruck man hier ausfindig machen möchte. Denn auch dann
werden wir nichts desto weniger sagen, die Stimme stehe in dem
Augenblicke, wo sie laut der Deklaration unserer sinnlichen Em-
pfindung weder in die Höhe noch in die Tiefe geht, und thun danu
nichts anderes, als diesem Zustande der Stimme einen Namen zu
geben. In der That aber wird dies (nänilich das Stehen), wie es
der Augenschein lehrt, beim Singen von der Stimme ausgeführt,
denn sie bewegt sich, wenn sie ein anderes Intervall zum Vorschein
kommen lassen will; sie steht, wenn sie den Ton angiebt.
Wenn nun die Stimme das ausfuhrt, was wir Bewegung nennen
(verschieden von der bei Jenen so genannten Bewegung, die bei
einem höheren Tone eine grössere, bei dem tieferen eine geringere
Schnelligkeit hat) und wenn sich die Stimme dann wieder in dem
Zustande befindet, den wir Ruhe nennen, so wird das nicht anstössig
sein. Es ist somit klar, was wir unter Bewegung und Ruhe der
Stimme und was Jene unter Bewegung der Stimme verstehen. Doch
genug hiervon an dieser Stelle ; anderwärts ist darüber ausführlicher
und genauer gehandelt***)
*) In den Handschriften Tplrov statt ft£j*7rrov d. i. P statt F'. Die Besse-
rung kennt auch Marquard im krit Commentar. Doch sagt er, dass sich die
überlieferte Lesart damit entschuldigen lasse, dass vorher je zwei Begriffe mit
einander verbunden werden und so der ueue als dritter erscheinen könne.
**) Walirscheinlich zu lesen: eU Ttvas xir/joeu, vgl. dritte Harm. § 33 irA
-i*>c «poaviQS ^1 xtWjöewc ddpo; dlpyöjxsvoi. Hier sind diejenigen gemeint (Pytba-
gorcer), welche schon vor Aristoxenus oder zur Zeit desselben die Töne als
Schwingungsbewegungen definirten. Diese Art von Bewegimg hat A.
nicht im Sinne, sondern vielmehr die topische Bewegung der Töne (von der
Höhe zur Tiefei.
***) In dem ersten Buche der Rhythmik. Erhalten ist aus jener Ausei-
nandersetzung Frg. 6 des Psellus s. oben S. 4.
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230
Aristoxenu» erste Hannonii: § 32—34.
§ 32. Dass nun die Tonstufe weder ein Aufsteigen noch ein
Absteigen ist, ist völlig klar — die Tonstufe, sagen wir, ist Ruhe
der Stimme, das Auf- und Absteigen ist wie wir im Vorausgehen-
den gefunden haben Bewegung; dass aber die Tonstufe zugleich etwas
anderes ist als Tiefe und Höhe, wollen wir zu erfassen versuchen.
Es ergiebt sich aus den Vorhergehenden, dass sich die Stimme,
sowohl wenn sie in die Höhe, als auch wenn sie in die Tiefe ge-
gangen ist, im Zustande der Ruhe befindet. Wenn wir nun aber
auch die Tonstufe als Ruhe aufgefasst haben, so ist dieselbe doch,
wie aus dem gleich zu sagenden erhellen wird, nichtsdestoweniger
ein mit der Höhe oder mit der Tiefe nicht identischer Begriff.
Bedenken wir, dass das Feststehen der Stimme in einem Beharren
auf ein und derselben Tonhöhe besteht. In diesem Zustande wird
sie sich befinden sowohl wenn sie in der Tiefe als auch wenn sie
in der Höhe fest steht. Wenn nun bei der Tonstufe die beiden
entgegengesetzten Zustände (des Hohen und des Tiefen) vorhanden
sind ( — musste doch sowohl bei der Höhe wie bei der Tiefe ein
Feststeheu der Stimme stattfinden — ), wenn dagegen bei der Höhe
niemals die Tiefe und bei der Tiefe nicht die Höhe vorhanden ist: so
ist es klar, dass die Tonstufe; da sie gemeinsam bei der Tiefe und
bei der Höhe vorkommt, etwas anderes als die Höhe und die Tiefe ist.
Dass nun die fünf Begriffe: Tonstufe, Höhe und Tiefe, Aufsteigen
und Absteigen von einander verschieden sind, ist aus dem Vorher-
gehenden klar geworden.
UI.
Ist die grösste und kleinste Entfernung zwischen Hohem und
Tiefem eine unbegrenzte oder eine begrenzte P
Vgl. Prooiin. § 6.
§ 33. Da wir das Vorausgehende festgestellt haben, so wird
sich daran die Untersuchung schliessen, ob der Abstand zwischen
Tiefe und Höhe ein unendlich grosser und kleiner*) oder ob er ein
begrenzter ist.
*) eTt lizl plf* , . . e?T tizi tb fxixp«5v wie Rhythm. § 58 a.
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III. Ist die grösste und kleinste Entfernung zwischen Hohem etc. 231
Wenn wir (A) das Vermögen der menschlichen Stimme
berücksichtigen, so ist der Abstand, wie nicht schwer einzusehen ist,
kein unendlicher. Der Umfang nämlich, über den eine jede Instru-
mental- und Vokalstimme gebietet, sowohl der grösste wie der
kleinste, ist ein begrenzter. Denn die Stimme kann den Abstand zwi-
schen Tiefe und Höhe weder ins Unendliche vergrössern, noch ins
Unendliche verkleinern, sondern irgendwie muss sie in beiderlei Be-
ziehung einen Halt machen.
§ 34. Wir müssen nun für jedes von beiden, den kleinsten und
grössten Abstand, eine Grenze finden mit Rücksicht auf zweierlei,
nämlich auf das, was die Töne hervorbringt, und auf dasjenige,
was sie beurtheilt. Das erstere ist die Stimme, das zweite das Ge-
hör. Denn das, was jene ausser Stande ist hervorzubringen und
dieses ausser Stande ist zu beurtheilen, das geht über den in der
Musik brauchbaren und für die Stimme erreichbaren Umfang hinaus.
a. In Beziehung auf den kleinsten Abstand zwischen Hohem
und Tiefem scheint die Produktionsfahigkeit der menschlichen Stimme
und die Receptionsfahigkeit des Gehöres augenscheinlich an der-
selben Stelle aufzuhören. Denn ein Intervall, welches kleiner ist
als die kleinste Diesis vermag weder die Stimme deutlich hervorzu-
bringen, noch das Gehör in der Weise deutlich zu empfinden,
dass es angeben könnte, der wievielte Theil der (kleinsten) Diesis
oder irgend eines anderen bestimmbaren Intervalles dasselbe sei .*)
•) Marquard S. 223 macht aufmerksam auf Porphyr, ad Ptolcm. p. 257,
wo eine Stelle aus den Aristoxenischen o6|A|u%Ta uTtofivVjfxaTa citirt wird: in Be-
ziehung auf die kleinen Abstände zwischen Hohem und Tiefem versage die
Fähigkeit des Gehörs früher als das Tonmaterial, d. h. man würde noch kleinere
Intervalle als die kleinste enharmonische Diesis hervorzubringen die Fähigkeit
haben, aber unser Ohr würde dieselben nicht mehr deutlich empfinden oder
wenigstens nicht genau zu bestimmen im Stande sein. Freilieh sage Aristo-
xenus im ersten Buch rcepl dpy&v . . . heisst es dann weiter bei Porphyrius
unter Anführung unserer Stelle der ersten Harmonik. — Die Worte ck* «XXov
Ttv>c t&v ■pa>jii|xtDv ßtaoTTjfAdTßiv werden von Marquard entfernt. Besser zu cTtc
Eisern; den Zusatz iXa/lorrj; hinzufügen. I\(6pipa oiaarfjjxaTa steht im Gegen-
sätze zu dfuXcpSij'ta vgl. § 55 c.
b. In Beziehung auf den grössten Abstand kann es den An-
schein haben, dass die Stimme, wenn auch nicht um viel vom Ge-
hör übertroffen wird. (Denn ).*)
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232
Aristoxenus erste Harmonik § 34—36.
*) Zu verstehen ist hier nicht, was Aristoxenus von dem grössten Ab-
stände im Sinne hat. Es wird eben ein mit fdp eingeleiteter Satz hinzugefügt
gewesen sein, ähnlich wie ein solcher auch der vom „kleinsten Abstände"
handelnden Angabe hinzugefügt ist.
Aber mag man nun bei dem kleinsten wie bei dem grössten
Abstände denselben Grenzpunkt für Stimme und Gehör statuiren,
oder aber bei dem kleinsten Abstände denselben Grenzpunkt, bei
dem grössten einen verschiedenen, so wird es doch immerhin eine
kleinste und eine grösste Ausdelmung des Abstandes geben, ent-
weder eine für das den Ton hervorbringende und das ihn beurthei-
lende, oder eine für jedes von beiden eigenthümliche.
§ 35. Dass also der Abstand zwischen Tiefem und Hohem, wenn
wir die Stimme und das Gehör berücksichtigen, nicht unendlich klein
oder unendlich gross sei, ist wohl klar. Wenn wir hierbei aber
(B) auf die Beschaffenheit des Melos an sich Rücksicht
nehmen, so wird es der Fall sein, dass die Vergrösserung des Ab-
standes ins Unendliche geht.
* *
*
Indessen würde die Erörterung dieses Punktes tür jetzt unnö-
thig sein. Daher wollen wir das weiter unten untersuchen.*)
*) Marq. übersetzt: „Wenn die Beschaffenheit der musikalischen Fort-
schreitung an und für sich ins Auge gefasst würde, [so würde sich eine Ver-
grösserung ins Unendlichen ergeben] so dürfte die Auseinandersetzung hierübe r
wohl anders lauten; für die vorliegende Abhandlung ist sie jedoch nicht nöthig,
daher müssen wir sie späterhin in Betracht zu ziehen versuchen." S. 124
„Wir finden hier im überlieferten Text zwei Nachsätze . . . Ich halte den ersten
für eine Glosse zum zweiten, und nur weU ich zweifelhaft bin, ob ich sie dem
Excerptor oder einem Leser zuschreiben soll, habe ich mich mit der Einschlies-
sung in Klammem begnügt." S. 224 : „Aristoxenus lässt es nach unseren Ex-
cerpten unbestimmt, zu welchem Resultate man gelangeu würde, wenn man
ohne Rücksicht auf Stimme und Gehör den Abstand zwischen Höhe und Tiefe
untersuchte. Dies Resultat liegt so auf der Hand, dass der betreffende Leser
es sich hätte sparen können, dasselbe dazuzuschreiben." Mit Marquards an-
geblichen zwei Nachsätzen ist es nicht in der Ordnung. Vor dem zweiten
Nachsatze ist im Texte eine Lücke anzunehmen. Die Texteslesart dieses Satzes
gebe ich nach der glücklichen Herstellung von Otto Rossbach aus dem Ano-
nymus Bellermanns.
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IV. Definition von Ton, Intervall, System, vorläufige Eintheilung etc. 233
In der Aussage des Aristoxenus, dass mit Rücksicht auf die Beschaffen-
heit des Melos an sich der grösste Abstand zwischen Tiefem und Hohem
ein unbegrenzter sein würde, dürfen wir eine Concession des Aristoxenus an
die in Piatos Timaeus vorkommende, aber ohne Zweifel schon Vor-Platonische
Construction zweier Tonscalen erblicken, von denen die erste drei continuir-
liche Oktaven, die andere drei continuirliche Duodecimen umfasst. Vgl. Griech.
Rhythmik und Harmonik 1867, S. 66. 67. Doch gab Aristoxenus diese Con-
cession nicht ohne Bedenken, die wir nun freilich bei der vorhandenen Lücke
der Ueberlieferung nicht mehr genauer kennen, aber im Allgemeinen aus der
Verweisung auf „xd iKtna1' erschlieasen können. „Freilich würde von so un-
begrenzten Abständen Niemand etwas zu hören bekommen, wenn wir auch
von 3, 4 und mehr Oktaven aus dem Vereine von Stimmen verschiedenen Alters
und von Instrumenten verschiedener Mensuren uns eine Vorstellung machen
können," wie nachher in Abschnitt VII gesagt wird. Eben dieser Abschnitt
ist es, auf welchen sich das Citat „h rot; liteira h^^^/\HiaiX'x'.t, bezieht.
IV.
Definition von Ton, Intervall, System,
vorläufige Eintheilung der Intervalle und Systeme.
Vgl. Prooimion § 7*).
*) Im Prooimion ist „Ton" aus den Handschriften ausgefallen. Dann ist
dort kürzlich angegeben „Definition des Interv alles, Eintheilung desselben, De-
finition des Systcmes, Eintheilung der Systeme" (vgl. § 7). Hier in der Aus-
führung wird erst die Definition von Ton, Intervall und System, dann die Ein-
theilung der Intervalle und Systeme gegeben. Die Abweichung hat in der er-
strebten möglichsten Kürze des Prooimions seinen Grund; man darf nicht
suchen, die Responsion zwischen Ausführung und Prooimion bis ins Einzeistc
herzustellen. Auch im § 37 werden „Ton, Intervalle und Systeme" als zu-
sammengehörend genannt. Der Uebersichtlichkeit wegen haben wir die von
der zweiten und dritten Hand des Mediceus an den Rand geschriebeneu In-
haltsangaben in den Aristoxenischen Text hinciugenommen.
Definition des Tones.
§ 36. Nachdem wir dies erkannt, müssen wir eine Definition
des Tones geben. Sie mag in Kürze lauten: Der Ton ist es, wenn
die Stimme auf eine einzige Tonstufe fällt. Denn dann scheint es
ein für das Melos*) verwendbarer Ton zu sein, wenn es der Fall
ist, dass die Stimme auf einer Tonstufe stehen bleibt.
*) Das musikalische Melos als Singen im Gegensatze zu dem Melos des
Sprechens.
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234 Aristoxenus erste Harmonik § 37—39.
Definition des Intervalles.
§ 37. Die Definition des Tones haben wir gegeben. Intervall
aber ist das von zwei nicht auf gleicher Tonstnfe stehenden Tönen
Begrenzte. Im Allgemeinen zeigt sich nämlich das Intervall als
der Zwischenraum zweier Tonstufen, welcher fähig ist, in seiner
Mitte Töne aufzunehmen, die da höher als die tiefere und tiefer als
die höhere der beiden begrenzenden Tonstufen sind. Der Zwischen-
raum (ötcupopa) besteht in der grösseren oder geringeren Spannung.*)
*) Scheint ein nicht von Aristoxenus herrührender Marginal -Zusatz zu
sein; er redet sonst zwar von einem imtclvcw, aber nie von einem Teheiv.
Definition des Systemes.
§ 38. Somit wäre das Intervall definirt Das System aber
haben wir als das aus mehr als einem Intervalle Zusammengesetzte
zu denken.*)
Doch muss der Zuhörer**) jede der gegebenen Begriffsdefiiü-
tionen entgegenkommend aufzunehmen versuchen, ohne sich dabei
zu kümmern, ob die gegebene Definition vollständig oder zu allge-
mein sei; er muss vielmehr den guten Willen haben, sie ihrer Be-
deutung nach einzusehen; muss denken, sie sei ausreichend für den
Zweck des Lernens, wenn sie in das Verständniss dessen, was hier
gesagt wird, einzuführen vermag. Denn schwer lässt sich in den Ein-
gangsabschnitten***) etwas sagen, dass es nicht angegriffen werden
könnte und eine vollständig ausreichende Erklärung enthielte; am
wenigsten ist dies bei den vorliegenden Punkten: Ton, Intervall,
System der Fall.
*) Also c d e f g, aber auch schon c d e f oder c d e würden ein System
sein.
**) Wir haben eine „Vorlesung vor Zuhörern44, das Collegienheft des
Aristoxenus für die erste Harmonik vor uns, vgl. S. 173 ff.
***) tuJv iv äpyjjj ist nicht dasselbe wie dritte Harm. § 23 „dpxä;" und
„fxcTct Td; ip/d;", „dpyoeiöfj Ttpo^Xr^aTa" d. i. Axiome und auf Axiome basirte
Troblemata, sondern bedeutet die im Anfange aufzustellenden Sätze, die Ein-
gangsabschnitte, vgl. S. 183 ff.
Eintheilung der Intervalle.
Aristoxenus giebt hier für die Unterarten der Intervalle und ebenso der
Systeme bloss die Namen an, ohne eine Definition hinzuzufügen. Die Einthei-
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IV. Definition von Ton, Intervall, System, vorläufige Einteilung etc. 235
lung soll nur „eine vorläufige sein'*, „die Definitionen sollen später folgen",
wie es zu Anfang des § 40 und am Schlüsse des § 39 heisst Aristoxenus darf
bei seinen Zuhörern resp. Lesern voraussetzen, dass sie mit den Unterarten
der Intervalle und Systeme im Allgemeinen bekannt sind. Wir fügen den
Worten des Aristoxenus eine ebenfalls nur „vorläufige" Erklärung in kleinerer
Schrift hinzu.
§ 39. Nach diesen Definitionen haben wir den Versuch zu
machen, zuerst die Intervalle und dann (ebenso) die Systeme nach
allen praktisch- wesentlichen Untersclueden, die sich aus der Natur
ergeben, einzutheilen.
Die Intervalle werden eingetheilt:
1. Nach dem Umfange (Megethos), durch den sich das eine
von dem anderen unterscheidet.
Der Umfang des Ganzton-Intervalles c d ist ein kleinerer als das Di-
tonos- Intervall (grosse Terz) c e, die Quinte cg ist grösser als die Quarte cf.
2. In symphonische und diaphonische Intervalle.
Symphonisch und diaphonisch ist bei den Alten nicht dasselbe, was wir
in unserer Musik consoiürend und dissouirend nennen. Symphonische
Intervalle sind die Quarte, die Quinte, die Octave, die Doppeloctave und
jede Gombination der Octave oder Doppeloctave mit der Quarte oder
Quinte. Alle übrigen Intervalle wie Secunde, Terz, Sexte, Septime sind
diaphonisch.
3. In zusammengesetzte und unzusammengesetzte In-
tervalle.
Auf der diatonischen Scala ist der Halbton und der Ganzton ein unzu-
sammengesetztes, die Terz, Quarte, Quinte u. s. w. ein zusammengesetztes
Intervall.
4. Nach dem Tongeschlechte, (denn jedes Intervall ist ent-
weder ein diatonisches oder chromatisches oder enharnionisches.)*)
Kigenthümliche Intervalle der diatonischen, der chromatischen und enhar-
monischen Scala: z. B. auf der chromatischen der Halbton neben einem
Halbtone (e f fis), auf der enharmonischen der unserer Musik fremde
Viertelton.
*) Dass eine solche Erklärung von Aristoxenus* selber hinzugefügt war,
erhellt aus der im entsprechenden § 39 vorkommenden Eiutheiluug der Systeme
in diatonische, chromatische, enharmonische. Vgl. die jedesmal mit räv ^dp
beginnende Definition der letzten 3 Arten von Systemen.
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236
Aristoxenus erste Harmonik § 39—41.
5. in rationale und irrationale Intervalle.
Alle in unserer heutigen Musik zur Anwendung kommenden Intervalle
würden nach griechischer Anschauung in die Klasse der rationalen fal-
len, ausserdem auch der erwähnte Viertelton der enharmonischen Scala.
Irrational aber ist z. B. ein in der griechischen Musik praktisch verwendetes
Intervall, welches grösser als der Viertelton, aber kleiner als der Halbton
ist. Alle Multipla des Vierteltones sind rationale Intervalle, alle auf den
Viertelton nur in Bruchzahlen zurückführenden Intervalle sind irrationale.
Die übrigen Arten der Intervalle lassen wir für diese Pragmatie
als unwesentlich zur Seite.
z. B. dass die rationalen Intervalle in gerade (aprto Siaor/jjxaTa) und un-
gerade (itcpirtd otaorif)(i.oTo) zerfallen, von denen Aristoxenus bei Plutarch
de mus. 38. 39 spricht Das gerade Intervall enthält ein Multiplum aus
einer geraden Anzahl von Vierteltönen (2, 4, 6). Das ungerade eine unge-
rade Anzahl derselben (3, 5, 7). „Zoa bizb r7j; £Xo^(ottj« Siioewc [xeTpeTtai repiT-
xdxic" Aristox. a. a. 0. Auch der dem Enharmonion eigenthüinliche Viertelton
(dXa^tonr) htlati) gehört in die Kategorie der itcpircd StaoT^ftoTa. Zu Aristoxenus
Zeit mochten ihn, wie die Stelle bei Plutarch lehrt, die meisten Musiker nicht
mehr praktisch verwenden, was sie theoretisch mit dem Satze begründeten,
dass man ihn nicht Std oyppmfo; bestimmen könne (vgl. zweite Harm. Abschn. XI).
Dann müssten sie sich auch der 7t£pircd und dtXo^a Stac-r^aTa enthalten,
wendet Aristoxenus ein. Marquard sagt von dem Unterschiede der rceptrrd
und iprio 6iaorf(f*aTa: „Dass solche mttssigen Spielereien schon vor (?) Aristo-
„xenus existirt haben, dürfte erst zu beweisen sein, er wird also bei der Be-
merkung (die übrigen Arten der Intervalle ausser den angeführten fünf dies-
,,mal zur Seite lassen zu wollen) noch andere Intervall -Unterschiede im Sinne
„gehabt haben, die wir nicht kennen. Die geraden und ungeraden verdanken
„wir wohl erst der Feinheit des Aristides Quintil. p. 14, 10 Meib."!!!
Eintheilung der Systeme.
§ 40. Die bei den Intervallen vorkommenden Unterschiede
finden sich mit Ausnahme eines einzigen (des dritten) auch bei den
Systemen wieder. Augenscheinlich unterscheidet sich das eine Sy-
stem von dem anderen
erstens: durch den Umfang;
zweitens: dadurch, dass die den Umfang bestimmenden Grenz-
töne symphonische oder diaphonische Intervalle bilden.
Dagegen wird der dritte von den bei den Systemen genannten
Unterschieden, nämlich der, dass das Intervall entweder ein ein-
faches oder zusammengesetztes sei, bei den Systemen nicht vor-
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IV. Definition von Ton, Intervall, System, vorläufige Eintheilung etc. 237
kommen, wenigstens nicht in der Weise, wie von den Intervallen
die einen unzusammengesetzt, die anderen zusammengesetzt waren.
Nothwendig findet aber der vierte Unterschied, und dies war
der nach dem Tongeschlechte, auch bei den Systemen statt Es
sind nämlich
drittens: die Systeme entweder diatonisch oder chroma-
tisch oder enharmonisch.
Ebenso auch der fünfte Unterschied der Intervalle, denn es
sind die Systeme
viertens: dadurch verschieden, dass die einen durch ein ir-
rationales, die anderen durch ein rationales Intervall begrenzt
werden.
§ 41. Zu den vier genannten kommen noch drei weitere Ein-
theilungen hinzu, nämlich
fünftens: diejenige, wonach das System entweder durch Syn-
aphe oder durch Diazeuxis oder zugleich durch Synaphe und
Diazeuxis gebildet ist Jedes System nämlich von einem gewissen
Umfange an*) ist entweder ein synemmenon oder ein diezeugmenon
oder ein aus beiden gemischtes (Sytema mikton), denn auch dies
letztere zeigt sich in einigen Systemen.
•) Nämlich wenn der Umfang des Systemes die Quarte oder Quinte über-
schreitet 2- B. in dem Heptachorde, Oktachorde, Hendekachorde, Dodekachorde
und Pentckaidekachorde.
Heptachordische Systema synemmenon.
e f g a b c d
V /v '
meson. synemmenon.
Oktachordiscbes Systema diezeugmenon:
£ § a g
£ a s £ S £ £
f g a h c d e
» ' » /
meson. diezeugmenon.
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238
Aristoxcnus erste Harmonik § 41—43.
Hendekachordischea Systema syneminenon:
I
ig ig
—i H m m
A Hede fga
i I & £ I S. •£ 5 S S g 2
» *- oe «
S E- SU ?5
hypaton. meson. syuemmenon.
Dodekachordisches Syatema diezeugmenon:
. c « o 5
SS 'S £ "3S I £
du § ±» «3 .2 s .2 £ 3 ;c a «
A Hcdefgahcde
hypaton. meson. diezeugmenon.
Pentekaidekachordisches Systema mikton:
A Hcd efgabedhede
hypaton. meson. syneminenon. diezeugmenon.
Ein anderes System, auf welchem eine Mischung des Tctracbordes syuem-
menon mit dem Tetrachorde diezeugmenon stattfindet, ist das oktokaideka-
c hordische, in welchem dem pentekaidekachordischen noch das Tetrachord
hyperbolaion hinzugefügt ist, welches letztere mit dem Tetrachorde diezeugme-
non in einer Synaphe verbunden ist
Oktokaidekachordischcs Syntema mikton.
I I 1
abedhedefga
synemm. diezeugm. hyperbolaion.
**) Zu lesen xal -jap oelxvutai toüto, mit Einschiebung des den Hand-
schritten fehlenden -yap
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V. Das musikalische Melos im Allgemeinen. 239
Fünftens diejenige Eintheilung, nach welcher die Systeme in
continuirliche und hyperbata zerfallen, denn jedes System ist
entweder ein continuirliches oder ein hyperbaton.
Hyperbaton mit Ueberspringung von Tönen der Scala.
Sechstens in einfache, zweifache und vielfache Sy-
steme, denn jedes System, welches wir nehmen, ist entweder ein
einfaches oder ein zweifaches oder ein vielfaches.
Worin aber ein jedes besteht, wird im folgenden*) gezeigt
werden.
*) Dies war ausgeführt im nicht erhaltenen Abschnitt XIII. Was wir
von demselben restituiren können, geben wir in der zweiten Harmonik.
V.
Das musikalische Melos im Allgemeinen.
Vgl. Prooim. § 8.
§ 42. Nach diesen Definitionen und vorläufigen Eintheilungen
haben wir den Versuch zu machen, die Natur des musikalischen*)
Melos im Umrisse zu erörtern.
Dass in demselben die discontinuirliche Bewegung der Stimme
vorhanden sein muss, ist früher gesagt (Abschn. I. § 25—28) , so dass
sich hierdurch das musikalische Melos vom Melos des Sprechens
unterscheidet; denn wir haben dort ausgeführt, dass auch beim
Sprechen ein durch die Wortaccente gebildetes Melos vorkommt :
das Hinaufsteigen und Hinabsteigen ist eine natürliche Eigenschaft
auch der Sprache.
*) Zu den Worten der Handschrift tö xsMXvj Xo^dfievov fj.£Xo; ist (jlousixov
hinzuzufügen. Sowohl im Verlaufe dieses Abschnittes als auch in der Parallel-
Steile des Prooimion« § 8 steht fiouotx6v in den Handschriften. Die beiden Arten
de« }iiXoc sind gleich im folgenden genannt (vgl. § 43 toj £rI rij; )i;ee»; 717-
wp£voi> uiXou; otolott t& fxovoixöv p£Xo;. Um das letztere handelt es sich Ab-
schnitt V speciell, nicht um das Melos im Allgemeinen , wie es bei der hand-
schriftlich überlieferten Lesart des § 42 der Fall sein würde.
§ 43. Doch ist es nicht genug, dass das Melos hermosmenon
aus Intervallen und Tönen bestehe, sondern es muss noch eine be-
stimmte und keineswegs willkürliche Art der Zusammensetzung zu
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240
Aristoxenus erste Harmonik § 43—44.
einander hinzukommen, denn aus Intervallen und Tönen zu bestehen
ist etwas, welches auch in dem unharmonischen (avdp^oaxov) Melos
vorkommt. Demnach ist als der bedeutendste Theil, der für den
gesetzmassigen Bestand des (musikalischen Y*) Melos gewissermaassen
den Schwerpunkt bildet, derjenige anzusehen, welcher die Eigenar-
tigkeit in der Aufeinanderfolge der Intervalle behandelt**)
*) Auch hier wie oben ist hinter uiXo« toü |i.ouotxoü einzufügen.
**) Der Schluss des uns von der ersten Harmonik verbliebenen Bruch-
stückes (Abschnitt XI) beginnt mit der Behandlung dieses Theiles. Ausführlich
ist derselbe in der zweiten Harmonik uns überkommen. Aristoxenus redet bei
jener Aufeinanderfolge der Intervalle nicht etwa von dem Fortschreiten der
Stimme in der Melopoeie, sondern nur von dem Fortschritte in der abstrakten
Tonscala.
Die von Aristoxenus für das xaft' 8Xou |i£Xoc aufgestellten Kategorien sind :
1. xö ini rfj? X^eto; YlTNV6<yOV p^fXoc, Xo-fA&t; piXoc, cu-puCfAevov tx Td»v
irpba<u&td>v töv toT; iv^jxaotv (airvcv'fjc xfjc {pwvfjs xlvijaic).
2. tö |iouotxiv [iiXo; ix ^laoTTjfidTwv xol ^8(^709* auviSTdpevov (8iaGT7]{AaTtx'fi
rffi <pa>Y?j; x(vf)ou).
a) divapfioorov piXo;, ixjxcXd; f*iXo;.
b) ^pnocfiivov piXoc, iinitXU |a£Xoc
§ 44. So ergiebt sich, dass das musikalische Melos 1) von dem
beim Sprechen zur Erscheinung kommenden Melos dadurch ver-
schieden ist, dass die Bewegung der Stimme eine discontinuirliche
ist, 2) von dem unharmonischen und falschen Melos durch Ver-
schiedenheit in der Aufeinanderfolge der unzusammengesetzten In-
tervalle. Worin die Eigentümlichkeit dieser Aufeinanderfolge be-
steht, wird im weiteren Verlaufe (Abschnitt XI) gezeigt werden.
Nur so viel sei im Allgemeinen schon hier gesagt* dass es bei den
vielen Verschiedenheiten, welche das Hermosmenon in Beziehung
auf die Zusammensetzung der Intervalle darbietet, nichts desto we-
niger etwas geben muss, welches sich überall im Hermosmenon als
ein und dasselbe Fundamentalgesetz herausstellen wird und eine so
grosse Bedeutung hat, dass*) bei seinem Nichtvorhandensein auch
kein Hermosmenon vorhanden ist. Im Verlaufe dieses Werkes
(§ 61. 62) wird dies klar werden.
Auf diese Weise sei nun das musikalische Melos einem jeden,
der beiden übrigen Arten des Melos gegenüber, begrifflich bestimmt;
freilich muss man festhalten**), dass die gegebene Begriffsbestim-
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Die drei Arten des musikalischen Mclos (die drei Tongeschlechter). 241
mung (nur im Umrisse) und nur in soweit ausgeführt ist, als dies
ohne Erörterung der Einzelheiten angeht.
*) Zu schreiben: ouvafiiv oHv (t') aut^v dvatpojjji£vT(v dvctpetv xö ^pfioc-
fxivov. In der zweiten Harmonik, wo die einzelnen Problemata über die em-
melische Reihenfolge der Intervalle aufgestellt werden, wird dies für den als
Probl. 2 aufgestellten Satz so ausgedrückt: Hetiov ojv toüto rptutov ei; dpy-f,c
■:a;tv oy [x-f) yrdpyovTo; dvtioEirai tö rtp[xojfjievov. Für Aristoxcnus hat die von
ihm zuerst aufgefundene Theorie von der Reihenfolge der Intervalle in der
Scala eine solche Wichtigkeit, dass er schon hier darauf aufmerksam machen
zu müssen für nothwendig hält Der ächte Kathedervortrag des vom Werthe
seiner Entdeckung überzeugten Forsehers!
**) „Freilich muss man festhalten . . ." Darüber sagt Marq. S. 369: „Es
scheint sicher, dass nicht Aristoxenus, sondern der Excerptor diese Worte hin-
zugefügt hat, welche die Abrundung des guten Schlusses [„wird dies klar
werden"] wieder aufheben, und nach allem Vorhergehenden eine leere Wieder-
holung der Worte Prooim. § 9 sind, denen sie sehr leicht nachgebildet werden
konnten." . . . „Denn selbst für einen Leser [geschweige denn für einen Collegien-
Be«ucher] würden sie zu wenig Interesse haben." Von dem ganzen § 44
sagt Marquard ebendaselbst: „Wir können ea allerdings nur in hohem
Grade bedauern, dass wir keine ausführliche Behandlung dieses Kapitels r.i[A
ptXoue von Aristoxenus mehr besitzen." Die Darstellung, die Marquard hier
wünscht, hätte er in aller Ausführlichkeit bei Aristoxenus finden können. Denn
in der zweiten Harmonik hat er ihr 28 Problemata gewidmet. — Wahrschein-
lich ist — wie im Prooimion § 9 — in der vorliegenden Stelle zu lesen : „dtf cu-
pwuö; <iü; tv Tj-oj)" ebenso „(ivoiy e-rai) \iifiiT.oi tön xat»' Ixiznt Teöcai-
ot(|a£ytov."
TL
Die drei Arten des musikalischen Melos (die drei Tongeschlechter).
Vgl. Prooimion § 9.
§ 45. An das Gesagte aber wird sich die Klassificirung des
genannten musikalischen Melos nach den augenscheinlich bestehen-
den Arten desselben anschliessen. Dies sind drei Arten. Jedes im
Hermosmenon vorkommende Melos ist nämlich entweder ein dia-
tonisches oder ein chromatisches oder ein enharmonisches.
Als das erste und älteste ist das diatonische Melos hinzu-
stellen, denn dieses ist es, auf welches die menschliche Natur zuerst
verfällt. (Es heisst diese Art des Melos „diatonisch", entweder weil
Arlttoieoii, Melik u. Rhythmik. IG
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242 Aristoxenus erste Harmonik § 45—47.
sie am meisten durch Ganz-Töne schreitet, oder weil sie einen wür-
digen, kräftigen und wohlklingenden Charakter hat. Theo Smyrn.).
Aristoxenus giebt zwei Ableitungen des Ausdruckes Wtovov piXoc. Ent-
weder von „&id t&a'jc", d. i. durch Gauztöne hindurch, oder vom Adjektiv
Das zweite ist das chromatische Me los. (Es wird dasselbe
chromatisch, d. i. farbig genannt, weil es sich von dem vorigen da-
durch unterscheidet, dass es einen mehr klagenden und leidenschaft-
lichen (gleichsam durch seine Klangfarbe auffallenden) Charakter
hat. Theo Smyrn.).
Das dritte und jüngste*) ist das enharmonische Melos, denn
an dieses gewöhnt sich die sinnliche Wahrnehmung erst zuletzt und
zwar mit Mühe und vieler Anstrengung. („Hannc-mV* (xorc iloyrp)
wird es genannt, weil es das vorzüglichste ist, so dass es diese all-
gemeine Bezeichnung nach dem ganzen Hermosmenon führt. Es
ist dasjenige, welches am schwierigsten für die Melodie verwendbar
ist und zur Künstlichkeit hinneigt und vieler Mühe bedarf, weshalb
es auch in der Praxis nicht leicht vorkommt. Theo Smyrn.).
In der handschriftlichen Ueberlieferung wird vor den drei Tongeschlech-
tern das chromatische im Unterschiede von den beiden anderen ohne Hinzu -
fügung irgend eines Zusatzes bloss mit Namen genanut. Ursprünglich hat auch
bei dem Chroma ein Zusatz schwerlich gefehlt. Bereits Fr. Bellermann zum
Anonymus hat den handschriftlichen Bericht des Aristoxenus dtirch dasjenige
ergänzt, was Theo Smyrn. p. 55. 56 Hiller über die Tongeschlechter mit
namentlicher Erwähnung des Aristoxenus anführt. Marquard S. 267 wider-
spricht dem : Es sei wegen Plut de mus. 38 unmöglich. Wir verweisen auf das
Aristoxenische Fragm. bei Plutarch (in den vermischten Tischgesprächen) und
unsere Erläuterung dwjselben; wir werden dort die Angaben des Aristoxenus
über die Enharmonik im Zusammmenhange erläutern.
*) Der Strassburger Cod. veoixaTov, statt des im verständlichen dvdjTatov
der übrigen.
YU.
Die symphonischen Intervalle.
§ 46. Nachdem wir diese drei Arten aufgestellt, müssen wir
es versuchen, von dem zweiten Intervall-Unterschiede (§ 39,2) den
einen der sich dort ergebenden Gegensätze näher zu betrachten.
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VII. Die symphonischen Intervalle. 243
Diese beiden Gegensätze waren die Diaphonie und die Symphonie.
Die letztere ist es, welche den Gegenstand unserer jetzigen Unter-
suchung bilden wird.
Augenscheinlich unterscheiden sich die symphonischen Intervalle
von einander in mehrfacher Beziehung; einer dieser Unterschiede
ist der nach der Grösse. Von ihm ist, was der Augenschein lehrt,
anzugeben.
(A.) Das kleinste symphonische Intervall scheint durch die Na-
tur des Melos selber bestimmt zu sein. Denn es giebt viele Inter-
valle, welche kleiner als die Quarte sind, aber diese alle sind diapho-
nische, (so dass mithin die Quarte das kleinste symphonische Inter-
vall ist.)
Kleinere, Intervalle ab die Quarte Quarte.
* »• *» •
* * i * 1 I 2 2*
Die vorstehenden Zahlen der Intervallgrössen beziehen sich auf die Ein-
heit des Ganztones: -- Ganztou (genannt enharmonische Diesis), y Ganzton,
3
- Ganzton, (d. i. die enharmonische Diesis noch um die Hälfte der Diesis er-
ö
höht). S. Abschn. IX.
§ 47. Das kleinste Megethos nun ist durch die Natur des
Melos selber bestimmt. (B.) Das grösste aber scheint nicht in
dieser Weise bestimmt zu sein*), (a.) Mit Rücksicht auf die Na-
tur des Melos lässt es sich ebenso wie das diaphonische Inter-
vall bis in das Unbegrenzte ausdehnen. Wenn man nämlich zur
Oktave irgend ein symphonisches Intervall hinzusetzt, sei es grösser
oder kleiner oder gleich gross wie diese, so bildet die Zusammen-
setzung stets ein symphonisches Intervall.
So scheint es nun (nach der Natur des Melos**) keine äusserste
Grenze für die Grösse der symphonischen Intervalle zu geben, (b.) Je-
doch mit Rücksicht auf unsere Praxis — ich nenne „unsere" die
durch die menschliche Stimme und durch die Instrumente aus-
geführte — giebt es augenscheinlich ein grösstes unter den sympho-
nischen Intervallen. Und zwar ist dies das aus der Doppeloctave
und der Quinte zusammengesetzte Intervall.
16*
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244
Aristoxenus erste Harmonik § 47-49.
Z. B.
Denn bis zu drei Oktaven können wir nicht hinaufsteigen. Hier-
bei muss man jedoch den Umfang nach der Stimmlage***) und den
Grenztönen (einer einzelnen menschlichen Stimmet!) oder) eines ein-
zelnen Instrumentes bestimmen. Denn leicht dürfte der höchste
Ton der Parthenos-Auloi mit dem tiefsten Tone der Hyperteleioi-
Auloi ein noch grösseres Intervall als das von drei Oktaven bilden
und auchttt) der höchste Ton des Syrinx-Bläsers wird, wenn man die
Syrinx verkürzt, mit dem tiefsten Tone des Auleten ein grösseres
als das genannte Intervall ergeben. Ebenso auch die Knaben-
Stimme mit der Mannes-Stimme vereint.
Hieraus kennt man nun auch die grossen symphonischen Inter-
valle, denn aus den verschiedenen Altersstufen und den verschiede-
nen Maassen der Instrumente haben wir ersehen, dass auch das
Intervall von drei und von vier Oktaven und noch grösser eiu sym-
phonisches Intervall ist.
*) t6 {xev ojv tXdy iutov . . . . ti> oe urftoTov die Staatsbürger Handschrift.
Die übrigen fj^e&o; statt ptysTOv. Schon Meibom tilgt unter Hinzuftigung
von pifioTov das (xd-yedo; seiner Handschriften.
**) Achnlich die Anschauung des Aristoxenus bei Plutarch de mus. 20:
Aei ^dp OTjXoviTi .xoxd r?jv Tfj; dvftpuirivTj; ^pSto»; £vre'j$tv xal y.p^atv tö ypöfxa
irpEo^jTepov Xi^etv. xatd ^dp o'jt^v tö>v yevfir» s'jaiv ojx £onv Etepov tT^pou rpes-
fJUTtpOV.
***) Für t(5v«i> ist Tore« zu lesen vgl. § 32.
++) Leg. iptCttv fjLia; dvÖpto-tvr,; -ituvf(; f, ivö; rtvo; öpydvoj.
t|+) Leg. %ai xttizznotidorfi oe „und auch'" statt y.al aar. ys. Vgl. Mar-
quard S. 256—258.
§ 48. Es ist nun aus dem Gesagten klar, dass bezüglich des
kleinsten Umfanges die Natur des Melos selber die Quarte als das
kleinste symphonische Intervall erscheinen lässt, bezüglich des gröss-
ten Umfanges aber unsere Fähigkeit das grösste symphonische In-
tervall bestimmt. Dass aber die symphonischen Intervalle, (welche
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VIII. Der Gauzton und seine Theile.
245
von Einer Stimme hervorgebracht werden können, der Zahl nach
nicht mehr als acht sind), ist leicht einzusehen,
(l. die Quarte, 4. die Octave und Quarte, 7. die Doppeloctave und Quarte,
2. die Quinte, 5. die Octave und Quinte, 8. die Doppeloctave und Quinte,
3. die Octave, 6. die Doppeloctave,
denn wir haben gefunden, dass ein grösseres symphonisches Inter-
vall als die Doppeloctave und Quinte von einer einzelnen mensch-
lichen Stimme oder einem einzelnen Instrumente nicht hervorge-
bracht werden kann.)
*) Der Schluss des Textes ist lückenhaft: 8ti h'ix t«üv ^cy^ct oupißalvei
fiveoÖai |>aotov auvtoeiv ist lückenhaft. Zu restituiren ist: 3ti S'öxtiu (ftövo)v fj.e-
Y^lh} (täv) ovjjupiüvtov 5iaarr(udTa>v (töt< \iiä «pouvirj |xeX(ui7)Ttbv) oyjxßotiv« ^vc^ai
biliös ouvtoeiv <t6 oid Teaodp<uv, to iid 7t£vt6, tö Std zaauiv, t6 Sid Tecadpcuv xai
zaa&v, t& oid t:£vt6 xai roowv, tö ol; 5td Traatüv, t& Sid tioadfKov xal 51; iid ro-
oü)v, tö Std tt£vtc xai oi; 5id naowv). Marquard giebt eine Restitution die den
Sinn hat: „dass nun aus den der Grösse nach verschiedenen symphonischen
Intervallen das Ganze eine Symphonie wird, ist leicht einzusehen." Da wäre
der schon oben von Aristoxenus ausgesprochene Satz § 47 nochmals wieder-
holt. Aber oben ist der Satz genau ausgesprochen, in dieser Wiederholung
würde er mangelhaft ausgesprochen sein, denn auch 2 und 3 Std zao&v, also
fxcYiöei fAf) ota<p£povra bilden Symphonieen.
VIII.
Der Ganzton und seine Theile.
§ 49. Nachdem dies klar geworden, müssen wir das Ganzton-
intervall (xovtatov 5ioTnrju,a) zu bestimmen versuchen.
Der Ganzton (xovo;) ist der Grössenunterschied der beiden ersten
symphonischen Intervalle, (der Quarte und Quinte).
Getheilt möge er werden auf dreilache Weise. Es möge näm-
lich harmonisch verwandt werden:
1. die Hälfte des Ganztoues ef,
2. der dritte Theil des Ganztones e e,
3. der vierte Theil des Ganztones e e.
Alle Intervalle, welche kleiner sind als dies letzte*) von denen
nehmen wir an, dass sie amelödeta seien (nicht im Melos verwandt
werden können).
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246 Aristoxenus erste Harmonik § 49—52.
Von jenen drei Theilen des Ganztones heisse
das kleinste kleinste enharmonische Diesis,
das mittlere kleinste chromatische Diesis,
das grösste Hemitonion (Halbton)
*) To6tou zu lesen (statt toutojv) wie in der Parallelstelle der zweiten Har-
monik. Das handschriftliche toutwv wäre sachlich unrichtig, denn dies würde
bedeuten: was kleiner als No. 1, No. 2, No. 3 ist, sei ein Atnelodeton, wäh-
rend nur solche Intervalle gemeint, welche kleiner als No. 3 sind.
IX.
Die Unterschiede der Tongeschlechter.
Vgl. Prooimion § 12.
§ 50. Nachdem dies definirt worden, wollen wir den Versuch
machen, kennen zu lernen, woher und auf welche Weise die Unter-
schiede der Tongeschlechter entstehen.
Man denke sich von den symphonischen Intervallen das kleinste,
welches Quarte genannt wird und gewöhnlich*) vier Töne enthält
(woher es auch von den Alten seinen Namen empfangen) (und eine
solche Ordnung seiner vier Töne hat, dass die beiden Grenztöne
unveränderlich (jieveiv), die beiden mittleren veränderlich sind
(xiveta&at), entweder beide zugleich oder einer von beiden). Das
werde nun so angenommen.**)
Es giebt aber mehrere Saitencomplexe, welche die angegebene
Beschaffenheit in den Tönen der Quarte festhalten und die durch
besondere Namen geschieden sind.***) Unter ihnen ist denjenigen,
welche sich mit Musik befassen, einer der geläufigste, nämlich der-
jenige, weleher die Mese, die Lichanos, die Parhypate und Hypate
enthält.
a g f e
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IX. Die Unterschiede der Tongeschlechter.
247
Und dieser Saitencomplex ist es, bei welchem man zu erörtern
hat, auf welche Weise die Unterschiede der Tetrachorde entstehen.
•) Mit Ausnahme des alten Olympischen Enharmonions vgl. Plutarch de
mos. 11 aus Aristoxenus' vermischten Tischgesprächen.
•
**) Hierauf folgt m den Handschriften ein schliesslich in den Text ein-
gedrungenes Marginal-Scholiou, nach dessen Aufnahme in den Text die Schluss-
worte des letzten Aristoxenischen Satzes corrumpirt sind. Wir haben sie aus
dem Scholion wieder hergestellt Das Scholion lautet: „Welche Ordnung
der Saitencomplexe, deren es ja mehrere giebt, ist hier gemeint? Diejenige, in
welcher der Anzahl nach die veränderlichen und die unveränderlichen Töne
bei der Verschiedenheit der Geschlechter gleich sind. Das ist der Fall in einem
Tetrachorde wie von der Mese zur Hypate. Denn auf diesem Tetrachorde
sind die beiden Töne bei der Verschiedenheit der Tongeschlechter unveränder-
lich, die beiden eingeschlossenen veränderlich. Im Vorwort näher auseinander
gesetzt
***) Durch den Zusatz der Namen .,meson", „hypaton", „diezeugmenon",
„hyperbolaion", „synemmenon" vgl. S. 237. 238.
Die Bewegungsräume der Lichanos und Parhypate.
§ 51. Dass nun die Erhöhungen und Vertiefungen der beiden
beweglichen Töne der Grund für den Unterschied der Tongeschlech-
ter sind, ist klar. Zu erörtern aber haben wir die Grösse (den
Umfang) des Raumes,*) innerhalb dessen ein jeder der beiden Töne
(Lichanos und Parhypate) sich bewegt.
*) Raum oder Umfang der Bewegung in derselben Bedeutung wie Bewe-
gungsraum der Stimme S. 219 ff.
§ 52. Der ganze Bewegungsraum der Lichanos beträgt einen
Ganzton, denn sie kann sich von der Mese nicht weniger als einen
Ganzton und nicht mehr als einen Ditonos (ein Intervall von zwei
Ganztönen) entfernen.
a Mese a
g . . . höchste (diatonische) Lichanos g
f . . . tiefste (harmonische) Lichanos f
e Hypate e
Von diesem Satze wird das „nicht weniger" von denen, welche
bereits mit dem diatonischen Geschlechte vertraut sind, zugestan-
den ; diejenigen, welche es nicht sind, dürften zustimmen, wenn man
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248
AristoxenuB erste Harmonik § 52. 53. 54.
sie darauf hinfuhrt. Mit dem „nicht mehr" sind die einen einver-
standen, die anderen nicht, — weshalb nicht, soll gleich gesagt
werden. Dass es nämlich eine Compositionsweise (Melopoiie) giebt,
welcher eine mit der Mese einen Ditonos bildende Lichanos uner-
lässlich ist [vergl. die Anmerkung*) auf S. 249], ist den meisten
von denen, welche sich heut zu Tage mit Musik beschäftigen,
nicht bekannt, doch dürfte es ihnen bekannt werden, wenn
man sie darauf hinführte; denjenigen aber ist es hinlänglich
klar, welche mit den alten Compositionsweisen der ersten und zwei-
ten Musikperiode vertraut sind. Denn die bloss an die heutige
Compositionsweise gewohnten schliessen natürlich die mit der Mese
einen Ditonos bildende Lichanos aus und (es sind dies die meisten
unserer modernen Musiker) wenden statt deren stets höhere Lichanoi
an. Der Grund davon ist, dass sie eine Vorliebe für das Weich-
liche [Süs8liche] haben; verweilen sie doch die längste Zeit im
Chroma und wenn sie einmal in die Harmonik hineingerathen , so
nähern sie dieselbe dem Chroma an, wohin sie nun einmal durch
ihren Charakter gezogen werden. So viel genüge hierüber.
§ 53. Der Bewegungsraum der Lichanos sei mithin das Ganz-
ton-Intervall. Derjenige der Parhypate aber betrage eine kleinste
enharmonische Diesis (vgl. § 48). Denn sie nähert sich der Hypate
nicht um mehr als eine Diesis (e e), und entfernt sich nicht weiter
von ihr als einen Halbton (e f).
a Mese
Raum der / g . . . höchste (diaton.) Lichanos ....
Lichanos [ j tiefste (harm ) Lichanos |
Raum der ( . ' ' ' \ Wehste (diaton.) Parhypate)
Parhypate \ e . . . tiefste (härm.) Parhypate ....
e Hypate
Die Grenze des der Parlrypate eigenen Bewegungsraumes geht
nämlich nicht über die Grenze des der Lichanos eigenen Bewegungs-
raumes hinaus und ebensowenig umgekehrt, vielmehr stösst die
Grenze beider zusammen (im Tone f): wenn nämlich die höchste
Tonstufe der Parhypate mit der tiefsten Tonstufe der Lichanos zu-
sammenfällt, so ist damit die Grenze der beiderseitigen Bewegungs-
räume gegeben.
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IX. Die Unterschiede der Tongeschlechter.
249
*) Die Coinpositionsweise , welche hier Aristoxenus beschreibt, „der ein
Ditonos-Intervall (eine unzusammengesetzte grosse Terze f g) unerlässlich sei",
ist das gewöhnliche enharmonische Tongeschlcebt. Die meisten der damaligen
Musiker, so erfahren wir hier, wenden dies Tongeschlecht nicht mehr an, viel-
mehr gebrauchen sie statt des f einen höheren Ton: statt des enharmouischen
Tongeschlechtes lieben sie das süsslichc Chroma. Wer mit den alten Com-
poeitionsweisen der ersten und der zweiten Musikperiode (vor-Pisistrateische Zeit
und Zeit der Perser-Kriege) vertraut ist, dem ist auch das enharmonische Ton-
geschlecht geläufig. Eben dasselbe theilt eine aus Aristoxenus vermischten
Tischgesprächen gezogene Stelle bei Plutarch de mus. 37. 38 mit, eine Stelle,
welche wichtig genug ist, um hier herbeigezogen zu werden: „Meine Vorgän-
ger haben weder das chromatische, noch das diatonische, sondern bloss das
'.enharmonische Geschlecht und auch von diesem kein grösseres Tonsystem als
„bloss die Oktave berücksichtigt: ... die jetzt lebenden aber haben das
..schönste der Tongeschlechter, dem die Alten seiner Ehrwtirdigkeit wegen den
♦.meisten Eifer widmeten, ganz und gar hintangesesetzt. so dass bei der
„grossen Mehrzahl nicht einmal das Vermögen, die enharmouischen Intervalle
'»wahrzunehmen, vorhanden ist : sie sind in ihrer trügen Leichtfertigkeit so weit
„herabgekommen, dass sie die Ansicht aufstellen, die enharmonische Diesis
„mache überhaupt nicht den Eindruck eines den Sinnen wahrnehmbaren Inter-
„valles, und dass sie dieselbe aus den Melodien aussch Hessen: diejenigen, so
„sagen sie, hätten thöricht gehandelt, welche darüber eine Theorie aufgestellt
„und dies Tongeschlccht in der Praxis verwandt hätten. Als sichersten Beweis
„für die Wahrheit ihrer Aussage glauben sie vor Allem ihre eigene Unfähig-
keit vorzubringen, ein solches Intervall wahrzunehmen. Ab ob Alles, was
„ihrem Gehöre entginge, durchaus nicht vorhanden und nicht praktisch ver-
wendbar sei! Sodann machen sie auch die Thatsache geltend, dass jene In-
„tervallgrösse nicht durch eine Symphonie bestimmt werden kann, wie dies
„doch bei dem Halbtone, dem Ganztone und den übrigen Intervallen der Fall
sei." (Vgl zweite Harm. § 62). „Sie denken aber nicht daran, dass dann
„auch die dritte, fünfte und siebente Intervallgrösse (von 3, 5, 7 enharraoui-
„schen Diesen) ausgeschlossen, und dass dann überhaupt jedes ungerade Inter-
vall als unbrauchbar verworfen werden müsste, da ja keines von ihnen sich
„durch Symphonien bestimmen lässt. Demgemäss wäre keine andere Tetra-
„chord-Eintheilung brauchbar als eine solche, in welcher nur gerade Intervalle
„vorkommen, also nur das Syntonon diatonon und das Chroma toniaion."
Die Tongeschlechter im Einzelnen und die Chroai.
§ 54. So viel sei nun über die Bewegungsräume der Lichanos
und der Parhypate festgestellt. Nunmehr aber sind die Tonge-
schlechter im Einzelnen und ihre Unterarten (die Chroai) zu er-
örtern.
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250
Aristoxenus erste Harmonik § 54— 55b.
Auf welche Weise untersucht werden muss, ob die Quarte mit
einem der kleineren Intervalle gemessen wird, oder ob sie allen com-
mensurabel oder incommensurabel ist, wird bei der Bestimmung
der Töne durch symphonische Intervalle gesagt (zweite Harm. XI).
Da jenes aber der Augenschein ergiebt, (dass sie aus zwei Ganztö-
nen und einem Halbtone besteht), so möge zunächst dieser Umfang
für die Quarte fest gehalten werden.
Pyknon heisse die Zusammensetzung zweier Intervalle, die zu-
sammen ein kleineres Intervall bilden als dasjenige ist, welches
nach dessen Wegnahme von der Quarte übrig bleibt
(Es muss also das Pyknon, da die Quarte 2j Ganztöne umfasst,
kleiner sein als 5 enharmonische Diesen, d. i. als 1} Ganzton.)
§ 55a. Man nehme nun aufwärts vom tiefsten der unbeweg-
lichen Töne (zunächst) das kleinste Pyknon. Dies wird das aus
2 enharmonischen Diesen bestehende sein.
Sodann als zweites Pyknon das aus 2 kleinsten chromati-
schen Diesen bestehende.
Sc ho Hon: Es werden die beiden Lichanoi, welche man hiermit genom-
men hat, die tiefsten Lichanoi zweier Geschlechter sein, die eine des Enbar-
monions, die andere des Chroma. Ueberhaupt werden die tiefsten Lichanoi
die enharmonischen sein, die weniger tiefen die chromatischen, die höchsten
die diatonischen.
Dann als drittes Pyknon das anderthalbfache des Halbtones,
d. i. das aus 3 enharmonischen Diesen bestehende.
Als viertes Pyknon das aus einem Ganztone bestehende.
Als fünftes das aus einem Halbtone und dem anderthalbfachen
desselben, (d. i. aus 5 enharmonischen Diesen) bestehende System*)
Als sechstes System das aus dem Halbtone und Ganztone
bestehende.
*) Dies ist kein Pyknon mehr, sondern ein System, welches im Gegen-
satze zum Pyknon „araion" genannt wird vgl. Aristid. p. 14, 20 M.
§ 55b. Die das erste und das zweite Pyknon begrenzenden
Lichanoi werden enharmonische Lichanos und tiefste chroma-
tische Lichanos genannt, von den Tongeschlechtern aber, welche
durch sie gebildet werden, heisst das eine Enharmonion, das
andere Chroma malakon.
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IX. Die Unterschiede der Tongeschlechter.
251
Die das dritte Pyknon begrenzende Lichanos ist die mitt-
lere chromatische; das durch sie gebildete Chroma heisst
Chroma hemiolion.
Die das vierte Pyknon begrenzende Lichanos ist die höchste
chromatische; das durch sie gebildete Chroma heisst Chroma
toniaion.
Die das fünfte System*) begrenzende Lichanos ist die tiefste
diatonische; (das durch sie gebildete diatonische Geschlecht heisst
Diatonon malakon.)
*) Scholion: „Welches [nach der betreffenden Angabe in §54a] grösser
schon als ein Pyknon war, denn die zwei tiefereu Intervalle waren dem einen
höheren Intervalle gleich."
Die das sechste System begrenzende Lichanos ist die
höchste diatonische; das durch sie gebildete Diatonon heisst
Diatonon toniaion.
Dem Aristoxenus zu folgen erleichtern wir uns dadurch sehr, dass wir
den von ihm angegebenen Tönen und Intervallen einen kurzen adaequaten Aus-
druck geben, wobei uns freilich ein wenig Elementar- Arithmetik nicht erlassen
werden kann, wenn auch Aristoxenus bei seinen Tonbcstimmungen keine arith-
metische, sondern stets nur eine geometrische Auffassung (Intervalle als Räume
gefasst 8. 219. 220) zu Grunde legt. Der Ganzton ist nach ihm das Doppelte
des Halbtons, einen Satz, den er bis zur äussersten Consequenz festhält (vgl.
zweite Harmonik § 62 ff.). In unserer modernen Musik ist das nun keineswegs
immer der Fall: es ist nicht der Fall in unserer Musik der Streich- und
Blasinstrumente, wohl aber in unserer Ciavier- und Orgelmusik (in der Musik
mit sog. gleichschwebend temperirter Stimmung der Töne). Wir thun in dem
Folgenden nichts anderes, als die geometrische Anschauung des Aristoxenus
in die arithmetisch-akustische zu übertragen, d. i. das Geometrische arithme-
tisch auszudrücken.
Die arithmetisch - akustische Anschauung des Pythagoras und seiner äl-
testen Nachfolger ist ihm, als einem früheren Schüler der Pythagoreer ebenso
wenig wie dem Plato und Aristoteles unbekannt. Für die musische Kunst aber
hält er sie für nicht nothwendig, wie denn auch die Akustik mit dem speeifisch-
künstlerischen Elemente der Musik streng genommen nichts zu thun hat: die
Akustik bildet die materielle Grundlage, auf welcher die musische Kunst sich
erhebt, aber den künstlerischen Schöpfungen selber steht die Akustik fern.
Höchstens zieht Aristoxenus, so weit wir überblicken können, die Pythagoreischen
Zahlenverhältnisse zu Parallelen zwischen Rhythmik und Harmonik herbei.
Oben S. 68. 69.
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252
Aristoxenus erste Harmonik § 55.
So weiss er denn auch, dass das Oktaven-Intervall dem Verhältnisse 1 : 2
entspricht, d. h., dass zwei gleich dicke und gleich gespannte Saiten die sich in
ihrer Länge wie 1 : 2 verhalten, in der Oktave stimmen, oder dass bei ungleicher
Spannung die Schwingungszahlen zweier Saiten, die in der Oktave stimmen, in
dem Verhältniss 1 : 2 stehen, wobei denn die Zahl 1 dem tieferen Tone, die Zahl
2 dem höheren Tone entspricht. Nach Pythagoras verhalten sich nun ferner
die in der Oktave liegenden Ganztöne zu einander wie 8:9, d. h.
c:d = d:c-f:g. g : a = a : h = 8 : 9,
für den Halbton der diatonischen Scala fand er durch Proportionsrechnung die
Verhältnisszahl 243 : 256, d. h.
e : f = h : c = 243 : 256.
Dieselben Verhältnisse für die Ganztöne und Halbtöne der diatonischen
Oktave sind auch dem Plato bekannt, der sie seinen Constructionen im Timaeus
zu Grunde legt.
Das Verhältniss des Ganztones (S : 9) wird Pythagoras eben so wie das
der Quinte (2 : 3) und der Quarte durch Experimente mit Saiten von ungleicher
Länge gefunden haben: unmöglich das des Halbtones (243:256). Es ist uns
zwar nichts hierüber überliefert, nichts destoweuiger lässt sich mit Bestimmt-
heit behaupten: Jenes Verhältniss ist ein durch Proportion ausgerechnetes.
Pythagoras wird darin Recht haben, dass ihm ein Ganzton -Intervall genau so
klang wie das andere, auch darin, dass ihm alle Halbton-Intervalle dem Klange
nach gleich waren. Gleich grosse Ganztöne und gleich grosse Halb-
töne: das ist die Akustik des Pythagoras. Ich mache die Konjektur, dass
die Stimmung des Pythagoras mit dem Ganzton- Verhältnisse S : 9 keine andere
war als die gleichschwebend temperirte, weil er ein Halbton -Verhältniss
243:256, auch wenn es bestanden hätte, doch nicht die Mittel hatte, durch
Experimente zu finden.
Der Ganzton und Halbtou des Aristoxenus.
Auf diesem Standpunkte der Akustik ist nun auch die Theorie des Melos
bei Aristoxenus aufgebaut, auch er vertritt die Akustik der gleich schwebenden
Temperatur. Auf seiner diatonischen Scala ist ein Ganzton dem anderen, ein
Halbton dem anderen gleich. So weit stimmt er mit Pythagoras überein. Aber
er fügt im Unterschiede von Pythagoras hinzu: der Ganzton ist genau
das Doppelte des Halbtons. Nach Aristoxenus bestehen also für die
diatonische Scala die Gleichungen:
c:d = d:e = f:g=»g:a = a:h,
ferner
c : eis = eis : d . . . = f : ges = ges : g
und
c : eis = c : d
2
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IX. Die Unterschiede der Tongeschlechter.
253
Wegen dieser seiner gleichschwebenden Temperatur hat sich Aristoxenus
im Alterthumc aufs heftigste und erbittertste angreifen lassen müssen: Aristo-
xenus verstehe nichts von Akustik u. s. w. In der neueren Zeit hat der Ari-
stoxenischen Stimmung kein geringerer zu ihrem Rechte verholfen als der grosse
Joh. Seb. Bach, der dem im Sinne des Aristoxenus gestimmten Claviere, „dem
wohltemperirten Claviere", eine Reihe von Kompositionen gewidmet hat, wie
man sie in solcher Vollendung bis dahin noch nicht kannte und wie sie auch
späterhin nicht übertroffen werden konnten. Genug: mag die durch Aristoxenus
vertretene Stimmung akustisch begründet sein oder nicht, Thatsache ist, dass
Aristoxenus' Stimmung auf demselben Standpunkte steht, auf welchem sich seit
Bachs Zeiten die Musik des Clavierspieles und des Orgelspieles erhebt, die Musik
unserer modernen Tasteninstrumente. Dem klassischen Gricchenthume war
dieser Zweig der Musik fremd, aber Aristoxenus hat sich, hier die Zukunft
praeoccupirend, nun einmal auf die Stufe unserer gleich schwebenden Temperatur
gestellt. Er kennt keine andere als diese: ihr zu Liebe behauptet er die
Identität aller solcher Töne, welche auf unserem Claviere und unserer Orgel
durch das Anschlagen derselben Taste hervorgebracht werden, wovon die
zweite Harmonik § 02 ff. den augenfälligsten Beweis giebt.
Die gleich schwebende Temperatur, welche in Aristoxenus ihren frühesten
Vertreter hat, hat von den akustischen Zahlen Verhältnissen des alten Pytha-
goras nur das der Oktave beibehalten, der zu Liebe ausnahmslos alle anderen In-
tervalle temperirt, d. h. den natürlichen Forderungen der Akustik gegenüber geän-
dert werden mussten. Da die absolute Reinheit der Oktaven die Grundbedingung
ist, welche das gleichzeitige Zusammenwirken der verschiedeneu Instrumente
ermöglicht, so könnten alle übrigen Intervalle ihre natürliche Reinheit nicht
beibehalten: nicht die Quinte, nicht die Quarte, nicht die Terze, nicht der Ganz-
ton, nicht der Halbton, wie dies die Theorie der Akustik nachweist. Aber für die
Oktave gilt bei gleich schwebender Temperatur in allen Fällen die Gleichung
c : c = 1 : 2.
Daraus ergeben sich die ferneren Gleichungen
c : d = d : 1
c = ds
d = ) c7
Die absolute Gültigkeit dieser Ton-Gleichungen müssen wir für das gc-
sammte Melos des Aristoxenus in Anspruch nehmen. Unter ihrer Anwendung
bestimmen wir zunächst die innerhalb eines Oktavcn-Intervalles vorkommenden
zwölf Halbtöne, indem wir den tiefsten Ton, welchen die Scalen und die Sy-
steme und die Systeme des Aristoxenus zu Grunde legen, nämlich die Hypate
meson, als Einheit ( = 1) ansetzen.
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254
Aristoxenus erste Harmonik § 55.
(?.)" (•.*.)" fiO" (;,!' (;,)' W W
W (;.)' W (?,)" (?,)" W"
Die enharmouischen Diesen (Vierteltöne) des Aristoxcnus.
Soweit ist die Tonalität des Aristoxenischen Melos genau dieselbe, wie
die unserer wohltcmperirten Ciavier- und Orgelmusik. Weiterhin aber entfernt
sie sich ganz und gar von der modernen Musik. Nach Aristoxenus' vielfach
wiederkehrendem Berichte kann nämlich kein Zweifel sein, dass die griechische
Musik ausser diatonischen Ganz- und Halbton-Intervallen auch noch eine Art
des Melos in Gebrauch hatte, in welcher innerhalb des Ganzton-lntervalles ein
zwischen den beiden Grenztönen desselben genau in der Mitte liegender Klang
die charakteristische Eigentümlichkeit bildete. Uns Modernen steht eine solche
Musik so fremd, dass wir uns mit dem besten Willen nicht in dieselbe hinein-
denken können. Aber im klassischen Griechenthume bildete sie die dritte Art
des musikalischen Melos, genannt Harmonie oder enharmonisehes Melos. Nicht
der Verfallzeit des Hellenismus gehört dasselbe an, sondern gerade der eigent-
lichen Blüthezeit der klassischen Kunst. Die erste und die zweite der von
Aristoxenus angenommenen Musik-Perioden war mit dem uns so fremden Tone
wohlbekannt (d. i. die Solonische und die Vor-Solonische Zeit und die Zeit der
Perserkriege). Zu Aristoxenus Zeit war das enharmonische Melos schon im
Verschwinden begriffen: viele der damaligen Musiker erklärten, dass man den
ihm eigenen Ton, die enharmonische Diesis, nicht praktisch verwenden, ja nicht
einmal empfinden könne. Aristoxenus, wie er überall der Anhänger des Alten
ist, hat auch die enharmonische Diesis unter seine besondere Protektion ge-
nommen, er macht sie geradezu zur Grundlage seiner indischen Theorie und
weist ihr dieselbe Stelle im Melos an, wie dem Chronos protos in der Rhyth-
mik. Die enharmische Diesis wird von ihm zur melischen Maasseinheit aller
Intervalle erhoben. Sie sei genau die Hälfte des Halbton-IntcrvaUes d. h.
e : e
o*:f
Mit einem darüber gesetzten Astcriskos haben wir das um {-Ton erhöhte
e bezeichnet, welches zwischen dem nicht erhöhten e und dem Tone f gerade
in der Mitte liegt. Der enharmonische Klang wird, wie Aristoxenus mehrfach
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IX. Die Unterschiede der Tongeschlechter.
255
erklärt, nicht etwa so angewandt, daes man solche Intervalle mehrmals con-
thrairlich hintereinander anwendet. Das sei unmöglich. Man vermöge nicht
mehr als nur zwei derselben continuirlich auf einander folgen zu lassen. Das
schliesst natürlich theoretische Scalen wie
nicht aus, welche nach Aristoxenus' Berichte von seinen Vorgängern mehrfach
aufgestellt waren. Es ist für die theoretische Erkenntniss nothwendig,
eine solche Scala continuirlicber Vierteltöne unter Angabe des einem jeden
zukommenden akustischen Zahlenausdruckes aufzustellen. Der Umfang eines
Tetrachordes wird genügen. Wir verfahren dabei genau in der Weise, wie
wir oben die kontinuirliche Folge von Halbtönen bestimmt haben.
i.
1 = (v'J
("',)' fi'J (yJ ('tf W
Um auch denjenigen, welche die Beschäftigung mit Elementar-Mathematik
hinter sich liegen haben, das Verfolgen unserer Auseinandersetzung leicht zu
ermöglichen, haben wir aus der vorigen Scala der continuirlichen Halbtöne
die entsprechenden Klänge mit ihrem dort gefundenen Zahlenausdrucke wieder-
holt. Wer da weiss, dass
fr. v -
IS
ist, der weiss auch, dass zwischen
das arithmetische Mittel die Zahl
(t • !'
ist, dass mithin diese letztere Zahl der genaue Ausdruck für den Ton ? ist,
welcher nach Aristoxenus zwischen f und fis die mittlere Klanggrösse ist.
Also wenn Aristoxenus „ein, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht,
neun, zehn enharmonische Diesen" als melische Raumgrössen zählt (so viel,
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256
Aristoxenus erste Harmonik § 55.
nämlich zehn enhannonische Diesen, beträgt' nach ihm der Gesammtumfang der
Quinte c a) , so lasst sieh dies als eine Reihe nach den fortlaufenden Exponen-
ten 0 bis 10 der Wurzel y aus der geometrischen Anschauungsweise des Ari-
stoxenus in die arithmetisch-akustische Anschauung übersetzen. Die so und so
vielte enhannonische Diesis ist der so und so vielte Exponent der Wurzel
V,~
Die irrationalen Intervallgrössen des Chromas.
Derartige unserer modernen Musik fremde Klänge wie die durch enhar-
monischen Diesen gebildeten gab es nun in der Musik der Griechen nach Ari-
stoxenus noch andere. Sie sind es, die in den von ihm sogenannten Chroai
der verschiedenen Tongeschlechter oder Tetrachordtheilungen ihre Stelle haben
und deren charakteristisches Element ausmachen. Aristoxenus führt wie
alle Intervallgrössen so auch die diesen Chroai angehörigen auf die Ein-
heit der enharmonischen Diesis (des Vierteltones) zurück, er kann aber ihren
Grössenwerth (um diesen handelt es sichj nicht anders als durch Bruchtheile
der enharmonischen Diesis ausdrücken.
Es bedarf keiner weiteren Deduktion um fasslich zu machen, dass, wenn
wir die enharmonischen Diesen durch Exponenten der Wurzel — j aus-
drücken, und zwar durch Exponenten in ganzen Zahlen, dass wir dann die den
Chroai eigenen irrationalen Intervalle durch gebrochene Exponenten der Wurzel
|^/- | auszudrücken haben. Um die irrationalen Xotenwerthe in unserer Noten-
schrift auszudrücken, fugen wir über unseren Noten als diakritische Zeiten
dem Arteriskus noch den Punkt und das Komma hinzu.
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IX. Die Unterschiede der Tongeschlechter.
257
( hroma hcmiolion.
*.
*
I
s
10
lj Dies.
H Dies.
7 Dies.
Auch hier kann man wie vorher an der Exponentenzahl den jedesmaligen
Betrag der enharmonischen Diesen ablesen. Uebrigens scheinen sich diese
irrationalen chromatischen Intervalle eines viel längeren Bestehens als das
rationale Intervall der Enharmonik erfreut zu haben. Zur Zeit des Aristo-
xenus wenigstens, wo die Anwendung des letzteren von den meisten bekämpft
wurde, war die Anwendung der irrationalen chromatischen Intervallo eine Über-
aua beliebte. (Plut. mus. 37—39).
H. Bellermann Mensuralnoten des 15. und 16. Jahrh. S. 5: „Die
Hinzusetzung eines Punktes auf die rechte Seite einer Note verlängert dieselbe
wie bei uns um die Hiilfte ihres Werthes. Dieser Punkt heisst Punctum
additionis". Analog haben wir das Punctum additionis von der rhythmischen
Verlängerung (um die Hälfte des Werthes) auf die melische Erhöhung der
Note übertragen. Und in fernerer Analogie ein Comma additionis (Er-
höhung der Note um ein Drittel) eingeführt
Für die griech. Scalen bezeichnet unsere unmodificirte Note den ge-
raden rationalen Ton; die Modifikation durch den einfachen Acteriscus *
bezeichnet den ungeraden rationalen Ton; die Modifikation durch Punk-
tum oder Comma additionis bezeichnet den irrationalen Ton. Den Nach-
weis der Rationalität und Irrationalität giebt zweite Harm. Abschn. XI, 1.
§ 55 c. Die tiefste chromatische Lichanos nun ist um den
sechsten Theil des Tones höher als die enharinonische , da die
tiefste chromatische Dicsis um den zwölften Theil des Tones
grösser als die enharmonische Diesis ist*). Dergleichen Intervall-
grössen sind amelodeta; denn amelodeta nennen wir, was nicht für
sich, (sondern nur mit einer anderen Intervallgrösse zu einem
einheitlichen Intervalle verbunden) im Systeme eine Stelle haben
kann.
*) Hierzu ein Scholion, welches die Rechnung, dass das Hektemorion
die betreffende Differenz sei, ausführt. In demselben kommt auch der Ausdruck
Tritemorion und Tetartemorion (Drittel-Ton, Viertel-Ton) vor.
Ariitoienus, Melik u. Rhythmik. 17
Die 0> Lichanoi.
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258 Aristoxenus erste Harmonik § 55. 56.
Die tiefste diatonische Lichanos ist höher als die tiefste chro-
matische Lichanos um einen Halbton und den zwölften Theil*)
des Ganztones.
•) Auch hierzu ein die Rechnung ausführendes Scholion.
Die höchste diatonische Lichanos ist höher als die tiefste dia-
tonische Lichanos um eine (enharmonische) Diesis.
§ 55 d. Hieraus erhellen nun die Bewegungsräume einer jeden
Lichanos.
Jede Lichanos nämlich, welche tiefer ist als die (tiefste) chro-
matische, ist enharmonisch.
Jede Lichanos, welche tiefer als die tiefste diatonische, ist bis
incl. zur tiefsten chromatischen eine chromatische.
Jede Lichanos, welche tiefer ist als die höchste diatonische,
. ist bis incl. zur tiefsten diatonischen eine diatonische.
Man muss nämlich wissen, dass die Zahl der Lichanoi eine un-
begrenzte ist. Denn tiberall, wo man in dem der Lichanos ange-
wiesenen Bewegungsraume die Stimme stehen*) lässt, da wird eine
Lichanos sein ; nichts in dem Lichanos-Raume (totco; XtxavoeiS^c) ist
leerund nichts der Art, dass daselbst keine Lichanos genommen werden
könnte. Somit ist die Differenz der Ansichten keine geringe. Die
L'ebrigen unterscheiden sich von einander bloss in Betreff des Inter-
valles, wie z. B. ob die Lichanos eine ditonos oder eine höhere ist,
als ob es nur eine einzige enharmonische Lichanos gäbe. (Zweite
Harm. § 52 d). Wir dagegen unsererseits sagen nicht bloss, dass
es in jedem Tongeschlechte mehr als Eine Lichanos giebt, sondern
fugen auch noch hinzu, dass ihre Zahl unbegrenzt ist
*) Vgl. oben § 26. 27.
Die 4 Parhypatai.
§ 56. Dies sei nun über die Lichanoi festgestellt. Für die
Parhypatai aber giebt es zwei Bewegungsräume weniger. Der
eine ist dem Diatonon toniaion und malakon und dem Chroma to-
niaion gemeinsam, (— denn beide Tongeschlechter haben ein und
dieselbe Parhypate), der zweite*) ist dem Chroma hemiolion, der
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IX. Die Unterschiede der Tongeschlechter. 259
dritte dem Chroma malakon, der vierte dem Enharmonion eigen-
tümlich.
Jede Parhypate, welche tiefer ist als die tiefste chromatische,
ist eine enharmonische.
Jede andere Parhypate bis zu der angegebenen (enharmonischen)
ist eine chromatische oder diatonische.
*) S. den kritischen Apparat.
Uebersichtstafel der 4 Parhypatai und 6 Lichanoi.
Enharmonlon:
Hyp. Parh. Lieh. Mese.
_<> 'V-
8
Chroma malakon:
Hyp. Parh. Lieh.
2 2
(?.r w &.r &r
(vi W" (?.)*' 60"
> 'V. 'v '
1J Ii 7*
Chroma hemlolion:
Hyp. Parh. Lieh.
(vi fe!" fejr fe
\10
Chroma tonialon:
Hyp. Parh. Lieh.
fer &.r w (?.)"
17'
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260 Aristoxenus erste Harmonik § 57.
Diatonon malakon:
Mese.
Diatonon tonialon:
Hyp. Parh. Lieb. Mese.
2
Die beiden unteren Tetracbord-Intervalle.
§ 57. Von den (drei) Intervallen des Tetrachordes ist das
(tiefste) von der Hypate bis zur Parhypate entweder ebenso gross
wie das (mittlere) von der Parhypate bis zur Lichanos, oder es ist
kleiner, (aber niemals ist es grösser).
Dass die beiden unteren Intervalle gleich sind, ersieht man an
der enharmonischen Tetrachordtheilung:
!v J frj (vj 60"
und an den chromatischen
*>_ >>_ - ^
*_ m
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IX. Die Unterschiede der Tongeschlechter. 261
fr,)' fr,)' W fr.)
10
Dass das tiefste Intervall kleiner ist als das mittlere, ist aus
den diatonischen Tetrachordeintheilungen ersichtlich:
— — • —
— p
z=fe=
fu \° ^4 V /*« \5 f'a* ^
M Iv'J \vj Iv,
[vj fe)' W fe)
10
Es kann das aber auch aus den chromatischen Tetrachordein-
theilungen erkannt werden, wenn man nämlich die Parhypate des
Chroma malakon (oder hemiolion) und die Lichanos des Chroma
toniaion nimmt:
t< 1 i4
(tf te)11 (yJ (v.)
10
Denn auch solche Tetrachordtheilungen zeigen sich als emmelisch.
Das Umgekehrte, (dass nämlich das tiefste Intervall grösser als
das mittlere ist) wird dagegen ekmelisch sein, wenn z. B. Jemand
als Parhypate die hemitonische, als Lichanos die des Chroma mala-
kon nimmt:
h »
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262 Aristoxenus erste Harmonik § 58—60.
oder als Parhypate die des Chroma hemiolion, als Lichanos die des
Chroma malakon:
^ »* » ^
Denn derartige Theilungen zeigen sich als harmonisch unbrauchbar.
In § 57 und ebenso § 58 der ersten Harmonik sind grosse Lücken der
Ueberlieferung, die sich, wie hier geschehen, dem Sinne nach aus der zweiten
Harmonik genau restituiren lassen.
Die beiden oberen Tetrachord-Intervalle.
§ 58. Das (mittlere) Intervall yon der Parhypate zur Lichanos
ist entweder ebenso gross wie das (höhere) von der Lichanos zur
Mese, (nämlich im Diatonon syntonon):
(vj 60* (vS (v,r
oder es ist von ihm auf beiderlei Weise verschieden, (entweder kleiner
als das höchste, (vgl. oben S. 259) oder grösser). [Scholion: die
Ursache davon ist, dass die Parhypatai beiden Geschlechtern ge-
meinsam sind], denn es entsteht ein emmelisches Tetrachord auch
aus einer chromatischen Parhypate (welche tiefer als die hemito-
nische ist) und aus der höchsten diatonischen Lichanos:
Der Bewegungsraum der Parhypate sowohl seiner Eintheilung
wie seiner Einordnung nach ergiebt sich aus dem Vorstehenden.
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X.
Ueber die Intervallen-Folge auf der Soala im Allgemeinen.
Vgl. Prooimion § 18.
§ 59. Die unmittelbare Aufeinanderfolge der Intervalle genau
zu definiren ist im Anfange gar nicht leicht, doch muss man ver-
suchen, sie im Umrisse anzugeben.
Das Wesen derselben in der Musik scheint etwas Aehnliches
zu sein, wie in der Sprache die Aneinanderreihung der Laute (zu
Sylben und Wörtern). Denn auch beim Sprechen setzt die Stimme
nach natürlicher Nothwendigkeit für jede Sylbe irgend einen der
Buchstaben als ersten, als zweiten, als dritten, als vierten und ebenso
an die übrigen Stellen, jedoch nicht jeden Buchstaben hinter jeden,
sondern es besteht ein bestimmtes natürliches Anwachsen der Zu-
sammensetzung.
Auf ähnliche Weise scheint die Stimme auch bei der Hervor-
bringung des Melos die Intervalle und Töne bezüglich der Reihen-
folge zu setzen, indem sie eine in der Natur liegende Zusammen-
setzung einhält, ohne nach jedem Intervalle ein gleich grosses oder
ungleiches zu setzen*). Dies muss sich auf die uns nicht mehr vor-
liegenden Methoden der Harmoniker beziehen.
§ 60. Doch haben wir der Aufeinanderfolge nicht wie die
Harmoniker nachzuforschen, die es in ihren Notentabellen durch
Katapyknosis versuchen, wo sie zeigen, dass diejenigen Töne der
Reihe nach auf einander folgen, welche ein kleinstes Intervall d. i.
eine enharmonische Diesis aus einander liegen. Denn es ist eine
Eigenthümlichkeit der (emmelischen) Stimme nicht allein, dass
sie nicht im Stande, 28 Diesen hinter einander hervorzubringen,
sondern sie kann, so viel sie es auch probiren mag, der ersten
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264
Aristoxenus erste Harmonik § 60. 61.
und zweiten Diesis nicht einmal die dritte hinzufügen*). Viel-
mehr besteht das kleinste Intervall, welches sie nach der Höhe zu
folgen lassen kann in der Differenz der Quarte und des vorher ge-
nommenen Pyknon (denn alle kleineren Intervalle liegen hier ausser
dem Bereiche der Möglichkeit); jene Differenz aber ist entweder das
8 fache der enharmonischen Diesis oder es ist noch um etwas sehr
Geringes, nämlich um ein Amelodeton (öder aber um eine ganze
Diesis) kleiner**). Abwärts aber von den zwei Diesen kann die
Stimme kein kleineres Intervall als den Ganzton nach den Gesetzen
des Melos folgen lassen.
*) „Tfc öiivaoöat . . . i%ffi jAcXcu&eiaftai t^c 'ycovfj; doriv" . . . ferner:
„rdvca notoüaa oi)r ofat£ lvn rpooTiö^at" und „im. 6;v IXdyirrov neXoooet tö
XotTtöv xoy 8td -rcaadctuv, xd 5'iXd— u> ndv-o £?a5'jNOTEi", das Alles scheint trotz
des im § 59 gebrauchten „yjoixip xiva ojvÖeotv oiacp'jXdTWjoa" nicht von der
physikalischen Möglichkeit der Singstimme gesagt zu seiu, sondern von der
künstlerischen Möglichkeit einer jeden emmelischen (Vokal- oder Instrumental-)
Stimme: Es ist unmöglich nach den natürlichen Gesetzen des Melos oder Her-
mosmenon." Vgl. die dort gebrauchten Ausdrücke [xeXoj&staÖat, fieXcu&et und
weiterhin § 61: zpö; rfj; peXtuola; «pioiv und jatj ovvaxöv i^'j-zipm jxeXooSf^at
cpftÖTff ov. Es ist eine Notwendigkeit nicht nach physischen, vielmehr metaphy-
sischen Gesetzen, eine Notwendigkeit nach der Logik der Tonscala mit ihren
nicht weniger zwingenden Kunstgesetzen, deren Konstruktion Aristoxenus im
Abschnitt XII zu geben versucht. Aehnlich in Problem 5 S. 268.
••) „Nämlich um ein Amelodeton kleiner als das 8 fache der enharmoni-
schen Diesis". Es kann nur das Intervall von 7J Diesen gemeint sein, vgl. die
Tafel auf S.259. Marq. 280: „in welchem Falle allerdings das übrig bleibende
Intervall etwas kleiner als das 8 fache einer enharmonischen Diesis ist, und
zwar um ein in der Melodie nicht selbststnndig vorkommendes Theilchen , um
den Sechstel-Ton. Sollte diese Erklärung richtig sein, so wäre freilich der
Ausdruck nicht gerade sehr zu loben." Eigentlich ist die Hinweisung auf das
Intervall von 7 J Diesen hier nicht am Orte, denn dieses gehört der Chromatik.
nicht der Enharmonik an. Aber wir kennen die Lehren der alten Harmoniker
nicht, gegen welche Aristoxenus sich wendet, wir wissen nicht, wie sie sich
bezüglich der von Aristoxenus statuirten „Uebergänge der Harmonik in die
Chromatik" verhalten haben mögen. Neben dem Intervall von 7J Diesen wird
aber A. auch des von 7 Diesen gedacht haben „oder aber um eine ganze Diesis",
wie wir dem Texte hinzugefügt haben.
§ 61. Also nicht darnach hat man seinen Gesichtspunkt zu
nehmen, ob die Zusammensetzung aus gleichen oder ob sie aus un-
gleichen Intervallen bestehe, sondern auf die Natur des Melos zu
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X. Ueber die Intervallenfolge auf der Scala im Allgemeinen. 265
achten und eifrig zu erforschen suchen, welches Intervall und nach
welchem es die Stimme im Melos verwendet Denn wenn es nicht
möglich ist, nach der Parhypate und der Lichanos einen näheren
Ton als den der Mese anzugeben, so möchte dieser letztere wohl
derjenige sein, welcher in der Reihenfolge der Lichanos am nächsten
steht, einerlei ob derselbe ein Intervall abgrenzt, welches doppelt
so gross ist als das Intervall zwischen Parhypate und Lichanos oder
noch grösser.
Auf welche Weise nun die Aufeinanderfolge aufzufassen ist, ist
aus dem Vorhergehenden klar. Wie sie aber vor sich geht und
welches Intervall zu einem anderen hinzugesetzt wird oder nicht
gesetzt wird, das wird gezeigt werden in den Stoicheia.
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ZWEITER HAUPTTHEIL.
HARMONISCHE STOICHEIA.
XL
Die einfachen und «usammengesetzten Intervalle.
Vgl. Prooimion § 14.
Dieser Abschnitt der ersten Harmonik fehlt in den Handschriften. In der
zweiten Harmonik wenigstens theilweise erhalten. Eben daselbst werden wir
eine Restitution aus dem Verbliebenen versuchen.
p
XIL
Die emmeliflche Zusammensetzung der einfachen Intervalle.
Vgl. Prooimion § 15.
Von Abschn. XII, welcher für die zweite Harmonik nahezu vollständig
überliefert ist, besitzen wir für die erste Harmonik nur wenige zusammenhangs-
lose Excerpte. Dieser Theil der Stoicheia (Abschn. XH) war es, auf welchen
Aristoxenus in § 61 der ersten Harmonik verwiesen hatte. Erhalten sind bloss
einige der 28 Problemata: die zu jedem Problem gehörenden Beweise sind
sämmtlich ausgelassen — wohl ein bewusstes Verkürzen dessen, welcher
den Stammcodex der auf uns gekommenen Handschriften angefertigt hat Aus
dem vollständig erhaltenen Paralletabschnittc der zweiten Harmonik lässt sich
Alles, was in der ersten Harmonik bezüglich der 28 Problemata fehlt, ergänzen.
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XII. Emmelische Zusammensetzung der einfachen Intervalle. ' 267
1. Problem:
•
„Angenommen »ei: wenn ein Pyknon oder ein (ihm analoges) Apyknon
„gesetzt wird, so kann als unteres Nachbar -Intervall kein kleineres als der
„Ganzton genommen werden; als oberes kein kleineres als dasjenige Intervall,
„welches übrig bleibt, wenn man den Betrag jenes Pyknon oder Apyknon von
„der Quarte hinwegnimmt".
Vgl. § 07. 58.
2. Problem:
„Angenommen sei, dass von den unmittelbar folgenden Tönen der Scala
„in jedem Tongeschlechte entweder jeder vierte Ton mit dem vierten in der
„Quarte oder aber jeder fünfte Ton mit dem fünften in der Quinte symphonire,
„oder aber endlich, dass beides zugleich stattfinde, dass dagegen derjenige Ton,
„bei welchem Nichts von diesen beiden stattfindet, ekmelisch sei, er selber
„und mit ihm zugleich der betreffende Ton, welcher zu ihm nicht in der ver-
„langten Symphonie steht*'.
Vgl. unten zweite Harmonik § 70.
3. Problem:
„Angenommen sei, dass von den vier innerhalb der Quinte vorkommenden
„Intervallen, nämlich zwei gleichen Intervallen, welche für gewöhnlich das Pyk-
„non bilden, und zwei ungleichen Intervallen, welche zusammen der Differenz
„der Quarte und desjenigen Intervalle« gleich sind, um welches die Quinte die
„Quarte überragt — dass von diesen vier innerhalb der Quinte vorkommenden
^Intervallen die gleichen den ungleichen gegenüber liegen, sowohl nach der
„Höhe wie nach der Tiefe zu".
Marq. S. 281: „Da A. von zwei gleichen Intervallen spricht, welche mei-
stens das Pyknon bilden, so hat er an das enharmonische Geschlecht oder an
das Chroma gedacht, da sonst der Ausdruck Pyknon keine Anwendung findet.
In dem enharmonischen Geschlechte also, sagt der Satz, soll die Aufeinander-
folge diese sein
e e f a h
v <> >\ '
* i 2 1
oder mit umgekehrter Lage der Intervalle
f g b ti c
12**
ä
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2GS
Aristoxenus erste Harmonik.
oder um eine Chroa zu wählen, im Chroma toniaion
e f fis a h
■s '\ >v /\ l
oder mit umgekehrter Lage der Intervalle
f g b h c
1 14 i i
Das eNarrtw; gegenüber" heisst so viel wie in entgegengesetzter Rich-
tung, wenn man den Grcnzpunkt oder Grenzklang des Pyknon und der beiden
anderen Intervalle zum Ausgang nimmt".
4. Problem:
„Angenommen sei , dass auch diejenigen Töne, welche mit den folgenden
„dieselbe Symphonie bilden, auf einander folgen".
Marq. S. 282: „Dieser Satz ist sehr kurz ausgedrückt; der Sinn kann nur
folgender sein: Wenn ein Klang mit einem anderen die Symphonie z. B. der
Quinte bildet, und ein dem ersten folgender mit einem anderen ebenfalls die
Quinte, so soll dieser letzte auf jenen zweiten unmittelbar folgen, d. h. es soll
kein anderer Klang zwischen beiden möglich sein. Die Hypate nieson e bil-
det mit der Parame.se h eine Quinte; auf die Hypate meson folgt im diato-
nischen Geschlechte die Parhypate meson f; diese bildet mit der Trite diezeug-
menon c ebenfalls eine Quinte, also (das will der Satz sagen) ist dieser Klang c
derjenige, welcher auf die Paramese h in diesem Gcsehlechte unmittelbar folgt.
Meibom scheint mir in der Erklärung dieses Satzes insofern geirrt zu baben,:
als er die zweite Reihe von Klängen sich immer unmittelbar an die erste an-
schliessen läset, was in dem Satze nicht liegt und der Sache nach auch nicht
nothwendig ist. Auch dieser Satz erscheint uns sehr einfach. Dass Aristoxenus
es für nöthig hielt, ihn besonders als Grundsatz aufzustellen, hatte seine Ver-
anlassung in dem Verfahren der Harmoniker, welche die Aufeinanderfolge der
Klänge in lauter kleinsten Intervallen ordneten. Uebrigens darf man diesen
Satz nicht umkehren, sonst ergiebt sich ganz Falsches."
-
5. Problem:
„Angenommen sei, dass in jedem Tongeschlechte dasjenige Intervall ein
„einfaches sei, welches die melodische Stimme nicht weiter in Intervalle zer-
legen kann".
Vgl. zweite Harmonik § 74.
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XII. Emmelisclie Zusammensetzung der einfachen Intervalle. 269
6. Problem:
„Angenommen sei, dass auch von den symphonischen Intervallen ein jedes
„nicht in lauter unzusammengesetzte Megethe zerlegt wird".
Marq. 283: Auch dieser Satz ist wohl aus der Polemik gegen die Har-
moniker hervorgegangen.
7. Definition:
„Agoge sei die durch benachbarte Töne durchschreitende Bewegung der
..Stimme: und zwar rundläufige Agoge (repi<pep-fj; d-for/r,) diejenige, welche
..nach beiden Seiten hin (von unten nach oben und wieder zurück von oben
„nach unten) durch tinzusammengesetzte Intervalle hindurch sich bewegt; —
..geradläufige Agoge (tOdeia iyw(it), welche von unten nach oben; rück-
läufige Agoge ( dvaxäji. rrouoet), welche umgekehrt von oben nach unten
„sich bewegt4'.
Marq. S. 139 : „Hier hört jede Möglichkeit einer Emendation auf, da auf
keine Weise wegen der Unklarheit sowohl des Inhaltes als des beabsichtigten
Ausdruckes etwas Befriedigendes herzustellen ist." Eben so auch S. 283.
Gleichwohl macht Marq. den Versuch einer Ergänzung aus Pseudo-Euklid
22,7, wo die Worte „Kai dfojy?) uiv dariv Ixt oid täv e£f,; ^6^ms . . .
Meines Erachtens ist das vollständig richtig. Was Aristoxenus weiter an dieser
Stelle geschrieben, haben wir dem Sinne nach in der deutschen Uebersetzung
wiedergegeben. Nach Marq. soll dieser Abschn., welcher die Agoge behandelt,
zur „Melopoeie, also in den praktischen Theil der Musik" gehören. In dem Paral-
lel-Abschn. der zweiten Harmonik finden wir freilich die Agoge nicht aufge-
führt. Aber mit dem Thema unseres Abschnittes XH „Emmelische Zusammen-
setzung der einfachen Intervalle" steht die Agoge in genauestem Zusammen-
hange, denn die Agoge ist ja eben das Angeben derjenigen Töne, welche ein
aus einfachen Intervallen zusammengesetztes System bilden. Dem thut keinen
Eintrag, das« die Agoge bei Pseudo-Euklid (vermuthlich auch in der dritten
Harmonik des Aristoxenus) im Abschnitte von der Melopoeie vorkommt.
Die Worte: "E;a>lhv t&v dpyüiv . . . iwv habe ich schon in der griechischen
Harmonik 1863 S. 42 für ein in den Text hineingerathenes Marginale erklären
müssen, welches besage, dass diese Partie „ausserhalb der Archai" stehe.
Dazu bemerkt Marq. S. 139: Diese Vermuthung sei nicht sehr wahrscheinlich,
„da das wirkliche Werk des Aristoxenus oder das erste Buch desselben schwer-
lich hier abschloss, der Titel des zweiten also kaum mit diesen Worten ver-
mischt werden konnte."
Diese Entgegnung ist mir nicht recht verständlich. Zwar ist meine Auf-
fassung der Aristoxenischen Schrift vielfach eine andere als im Jahre 1863
bei der Abfassung der Harmonik. Aber wie damals halte ich auch jetzt die in
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270
Aristoxenus erste Harmonik.
Rede stehenden Worte für ein in den Text gedrungenes Marginale. Es be-
zieht sich auf die beiden Haupttheile, aus denen sowohl die erste wie die
zweite Harmonik des Aristoxenus besteht, auf die „tä iv ipxü" UQd die
„oroiycta". Jenes Marginale: „ausserhalb der Eingangs- Abschnitte" würde
vollständig parallel stehen dem Marginale, welches sich am Anfange der zwei-
ten Harmonik findet und in unseren Handschriften sich als Margi-
nale erhalten hat, während das Marginale zu Ende der ersten Harmonik vom
Rande in den Text eingedrungen ist. Dem Einwände Marquards ist zu erwi-
dern, dass die Worte: „"EEtuftcv -rürv dpydiv . . . wv" zum Abschnitte XII
gehören, und dass zufolge der eigenen Auflassung des Aristoxenus (S. 185 ff.)
die Abschnitte „xd ls dpy$" mit § 61 enden. Was „ausserhalb der Eingangs-
abschnitte" steht, gehörtbereits den „Stoicheia" au.
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«
ARISTOXENUS THEORIE DES MELOS.
ZWEITE HARMONIK.
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Vorbemerkung.
Nach Maassgabe der aus diesem Werke vollständig oder theilweise er-
haltenen Abschnitte VI, VH, VIII, IX, X, welche sämmtlich Doppelgänger
der entsprechenden Abschnitte der ersten Harmonik sind, müssen wir anneh-
men, dass diese zweite in einer späteren Zeit gehaltene („in einem späteren
Semester wiederholte") Vorlesung über den harmonischen Theil der Wis-
senschaft vom Melos auch dasProoimion und die Abschnitte I— V mit der
ersten Harmonik dem sachlichen Inhalte nach im wesentlichen gemein hatte
und nur in dem Ausdrucke differirte. Als Aristoxenus die Vorlesung zum
zweiten Male hielt, hat er dieselbe Disposition des Gegenstandes wie das erste
Mal genau beibehalten, aber den Ausdruck der Darstellung vollständig neu
gestaltet, wie das ein seine Disciplin durchaus beherrschender Docent auch
wohl heut zu Tage noch zu thun pflegt. So vernichtete (wie er zu erzählen
pflegte) auch Moriz Haupt seine alten Vorlcsungshefte , wenn er dieselbe
Vorlesung von neuem hielt.
Dass Aristoxenus aus der ersten Harmonik auch die General -Abtheilung:
„Eingangs- Abschnitte" und „Stoichcia" für die zweite Harmonik beibehalten
hat, erhellt aus dem Marginale zu § 45 und aus seinen eigenen Worten im An-
fange des § 66.
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ERSTER HAUPTTHEIL.
EINGANGS-ABSCHNITTE.
* *
*
VI.
Die drei Arten des musikalischen Melos.
§ 45. Es giebt drei Arten von Melodumena: das Diatonon,
das Chroma und das Enharmonikon. Die Unterschiede derselben
werden später besprochen werden (Abschn. IX). Dieses aber möge
hier als »Satz aufgestellt werden : Jedes Melos ist
entweder 1. ein diatonisches,
oder 2. ein chromatisches,
oder 3. ein enharmonisches,
oder 4. ein aus diesen Arten gemischtes,
oder endlich 5. ein ihnen gemeinsames.
Der Satz fangt ohne Anachluss an etwas Vorhergehendes an. Die Ueber-
gangspartikel u. b. w. scheinen, als das Vorausgehende verloren war, von einem
nachbessernden Librarius getilgt zu sein.
VII.
Die symphonischen Intervalle.
§ 46. Die zweite*) Eintheilung der Intervalle ist die, dass die
einen symphonische, die anderen diaphonische sind. Von den mehr-
fachen Unterschieden, welche wiederum unter den symphonischen
stattfinden, werde hier einer, welcher der bekannteste ist, zuerst
bebandelt, nämlich der Unterschied der Grösse.
Artttoiennt, Melik u. Rhythmik. lg
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274 Aristoxenus zweite Harmonik § 46—50.
Es sind nun acht verschiedene Grössen der symphonischen
Intervalle anzunehmen.
Das kleinste ist die Quarte. Dass sie die kleinste ist, hat in
der Natur des Melos seinen Grund; wir fuhren nämlich viele Inter-
valle aus, welche kleiner sind afs die Quarte, aber sie alle sind
diaphonische.
Das zweite ist die Quinte; welche Intervallgrösse auch zwi-
schen Quarte und Quinte in der Mitte liegt, es trifft sich, dass eine
jede von ihnen diaphonisch ist.
Das dritte ist die aus den beiden genannten zusammengesetzte
Oktave; was zwischen diesen in der Mitte liegt, nennen wir dia-
phonisch.
*) „Die zweite Eintheilung". Dies ist ein ganz entschiedener Beweis,
dass eine Partie in der zweiten Harmonik vorausging, in welcher ein Ab-
schn. IV. § 39 vorkam. Scholion, in den Text gedrungen: „Die bekanntesten
unter den Intervall-Unterschieden scheinen die zwei folgenden zu sein, der eine
der Unterschied nach der Grösse, der andere der Unterschied der symphoni-
schen und diaphonischen Intervalle. Der zuletzt genannte Unterschied ist aber
in dem ersten inbegriffen, denn jedes symphonische Intervall unterscheidet sich
von jedem diaphonischen durch die Grösse".
§ 47. Das sind die symphonischen Intervalle, welche wir von
unseren Vorgängern überkommen haben. Die übrigen müssen wir
selbst bestimmen.
Zunächst ist folgender Satz aufzustellen: Wird ein symphoni-
sches Intervall, welcher Art es sei, zur Oktave hinzugefügt, so ist
das aus dieser Combination entstehende Intervall wiederum ein
symphonisches. Von den beiden ersten symphonischen Intervallen,
der Qarte und Quinte, gilt dieser Satz nicht. Fügt man einem jeden
derselben das gleiche Intervall hinzu (zur Quarte die Quarte, zur
Quinte die Quinte), so bildet die Zusammensetzung keine Symphonie,
ebensowenig wenn man jedes von ihnen zweimal setzt und dann
zur Oktave hinzugefügt, vielmehr wird das aus den genannten Sym-
phonieen entstandene Intervall stets ein diaphonisches sein.
§ 48
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VIII. Der Gauzton und seine Theile. 275
vm.
Der Ganzton und seine Theile.
§ 49. Ganzton ist dasjenige Intervall, um welches die Quinte
grösser ist als die Quarte. Die Quarte aber umfasst zwei Ganztöne
und einen halben.
Von den Theilen des Ganztones wird melodisch verwandt:
1. die Hälfte des Ganztones, genannt Halbton;
2. der dritte Theil des Ganztones, genannt kleinste chroma-
tische Diesis;
3. der vierte Theil des Ganztones, genannt kleinste enharmo-
nische Diesis.
Ein kleineres Intervall als dieses letztere wird melodisch mcht
verwandt.
Wir dürfen hier zuerst nun gerade dies nicht unbemerkt lassen,
dass viele bereits den Irrthum begangen haben, anzunehmen, als
ob wir den Satz aufstellten, das Ganzton-Intervall werde in der
Weise gesungen, dass es vermittels der Stimme in drei oder vier
gleiche Theile getheilt werde. Sie haben sich dies deshalb zu Schul-
den kommen lassen, weil sie nicht einsehen, dass es etwas anderes
ist, den dritten oder vierten Theil des Ganztones anzugeben und
das Ganzton-Intervall so zu singen, dass man es in drei (oder vier)
Theile eintheilt. (Das erstere ist möglich, das letztere nicht).
Sodann ist unsere Ansicht kürzlich dahin auszusprechen, dass
es kein kleinstes Intervall giebt*) (wohl aber ein kleinstes, in dem
man melodisch fortschreitet).
*) Wie der Satz dasteht, streitet er mit „toütoj £X<xttov oifcev neXaiotitai
otd«rt]{jia". Daher meine Ergänzung der Ueberlieferung.
IX.
Der Unterschied der Tongeschleohter.
§ 50. Die Unterschiede der Tongeschlechter werden wahrge-
nommen auf einem Tetrachorde wie demjenigen von der Mese bis
zur Hypate, auf welchem die beiden Grenztöne (Mese und Hypate)
unveränderlich sind, während die beiden mittleren (Lichanos und
18"
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276
Aristoxenus zweite Harmonik § 51— 53 d.
Parhypate) veränderlich sind, entweder zugleich beide oder nur einer
von beiden.
Die Bewegungsräume der Lichanos und Parhypate.
§ 51. Da sich der bewegliche Ton in einem Räume bewegen
muss, so dürfte wohl für beide bewegliche Töne ein Bewegungs-
raum anzunehmen sein.
§ 52. Die höchste Lichanos ist augenscheinlich diejenige, welche
einen Ganzton von der Mese entfernt ist: diese bildet nämlich das
diatonische Geschlecht.
Die tiefste Lichanos ist diejenige, welche ein Intervall von zwei
Ganztönen (einen Ditonos) von der Mese entfernt ist: dies ist näm-
lich die enharmonische Lichanos.
§ 53 a. Dass der Abstand der Parhypate von der Mese nicht
kleiner sein kann als eine enharmonische Diesis, ist klar, denn von
allen Melodumena ist die enharmonische Diesis das kleinste Inter-
vall (§ 49).
Dass aber genanntes Intervall doppelt 80 gross werden kann (als
die enharmonische Diesis), müssen wir nachweisen. Sobald nämlich
die Lichanos in ihrer Vertiefung und die Parhypate in ihrer Er-
höhung auf dieselbe Tonstufe gekommen sind, dann hat der Bewe-
gungsraum einer jeden augenscheinlich seine Grenze erhalten. So-
mit ergiebt sich, dass der Bewegungsraum der Parhypate nicht
grösser als die kleinste Diesis ist.
§ 53 b. (Hier warf nun einer der Zuhörer die Frage auf,) wie
es komme, dass wenn irgend eines der unmittelbar unter der Mese
liegenden Intervalle, wie gross es auch sei, gesetzt werde, dass dann
stets der tiefere Ton desselben Lichanos heisse? Denn warum sollen
— so meinte er — die Mese und die Paramese, die Mese und Hy-
pate, kurz zwei sogenannte unbewegliche Töne stets ein und das-
selbe Intervall begrenzen, zwischen der Mese und Lichanos dagegen
bald ein kleineres, bald ein grösseres Intervall angenommen werden ?
Besser sei es, den Namen der Töne zu ändern, und wenn einmal
der den Ditonos abgrenzende Ton oder irgend ein anderer den Na-
men Lichanos erhalten habe, die übrigen sogenannten Lichanoi nicht
mehr Lichanoi zu nennen. Denn Töne, welche verschiedene Inter-
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IX. Der Unterschied der Tongeschlechter. 277
valle begrenzten, müssten auch dem Namen nach verschiedene Töne
sein. Und ebenso müssten umgekehrt die verschiedenen Intervall-
grössen mit verschiedenen, die gleichen Intervallgrössen mit gleichen
Namen bezeichnet werden, was jetzt ebenfalls nicht immer geschehe,
denn der Ton,, welcher das über der Hypate liegende Halbton-In-
tervall begrenzt, werde bald Parhypate, bald (in der Enharmonik)
Lichanos genannt.
§ 53c. Dem entgen wurde folgendes gesagt:
Erstlich: Die Forderung, dass verschieden benannte Paare von
Tönen auch verschiedene Intervallgrössen einschliessen , heisst eine
gewaltige Neuerung unternehmen
Denn wir sehen, dass die Nete und Mese von der Paranete und
Lichanos, die Paranete und Lichanos von der Tiefe und Par-
bypate, und diese wieder von der Paramese und Hypate der Gel-
tung nach verschieden sind, und eben dieser verschiedenen Geltung
wegen hat jeder dieser Töne seinen eigenen Namen, aber ihnen
allen liegt als Intervall die Quinte zu Grunde, so dass es nicht
immer möglich ist, dass sich mit der Verschiedenheit der Töne auch
eine Verschiedenheit der Intervallgrössen verbindet.
§ 53 d. Dass aber auch das Umgekehrte hiervon nicht statt-
finden kann, lässt sich aus folgendem ersehen.
Zuerst nämlich, wenn wir für jede Vergrösserung und Verklei-
nerung der dem Pyknon angehörenden Intervalle eine eigene Be-
nennung suchen wollen, so würden wir, wie leicht zu ersehen ist,
eine unbegrenzte Zahl von Namen nöthig haben, denn der Bewe-
gungsraum der Lichanos zerfällt in eine unbegrenzte Zahl von Ab-
schnitten.
Ferner wenn wir versuchen, das Moment des Gleichen und Un-
gleichen festzuhalten, werden wir die Auffassung des Aehnlichen
und Unähnlichen verlieren, dergestallt, dass wir sogar das Wort
Pyknon nur von einem einzigen Intervalle gebrauchen dürfen —
ic h nenne aber Pyknon, wenn die Stimme die Intervalle des Tetra-
chordes in der Weise folgen lässt, dass die zwei tieferen einen klei-
neren Raum als das dritte einnehmen (vgl. § 54) — offenbar auch
nicht das Wort Harmonie und Chroma, denn auch diese sind
durch einen Bewegungsraum abgegrenzt.
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278
AristoxenuB zweite Harmonik § 58 e— 55.
Dergleichen aber würde dem Eindrucke, den die sinnliche
Wahrnehmung macht, nicht entsprechen. Diesem Eindrucke näm-
lich uns hingebend, sprechen wir von Chroma und Enharnionion mit
Rücksicht auf die Aehnlichkeit von Erscheinungen, die zu irgend
einer einzigen Gattung gehören, aber nicht mit Rücksicht auf den
Umfang irgend eines einzigen Intervalles. Denn in der Intervall-
combination, welche wir Pyknon nennen, zeigt sich, einerlei von
welcher Ausdehnung sie sei, diejenige Affektion der Stimme, welche
wir durch Pyknon bezeichnen: der Eindruck des Chroma oder einer
enharmonischen Diesis, wenn das von uns als enharmonisch oder
chromatisch bezeichnete Ethos zum Vorschein kommt Unserer
sinnlichen "Wahrnehmung gemäss kann nämlich jedes Tongeschlecht
die ihm eigenen Töne erhöhen oder vertiefen (ohne den ihm eigen-
tümlichen Charakter einzubüssen); es bedient sich nicht Einer
Theilung der Tetrachordes, sondern vieler, sodass es klar ist, dass
das Tongeschlecht trotz der Aenderung seiner Intervalle dasselbe
Tongeschlecht bleibt Denn dadurch, dass die Umfange sich ändern,
wird es kein anderes, sondern besteht als Tongeschlecht fort; wenn
es selber aber fortbesteht, so ist es natürlich, dass auch seine Töne
dieselbe Geltung behalten.
Daher dürfte man in Wahrheit denjenigen beistimmen, welche
in der Auffassung der Chroai aus einander gehen. Nicht alle näm-
lich stimmen das Chroma und das Enharmonion nach derselben
Tetrachord-Theilung, sodass man zweifeln kann, weshalb man den
Namen Lichanos bei dem harmonischen Geschlecht gerade von der
ditonischen Lichanos lieber gebrauchen wird als von der nur ein
klein wenig höher gestimmten? Denn nach beiderlei Stimmungs-
arten erscheint es der Empfindung als Enharmonion, beziehungsweise
als Chroma; die Grössen der Intervalle sind in beiden Fällen nicht
dieselben, die Gattung der Tetrachorde aber dieselbe. Deshalb
muss man nothwendig auch die Grenztöne der Intervalle auf die-
selbe Weise benennen.
Allgemein gesagt: so lange die Namen der beiden uinschliessen-
den Töne dieselben bleiben und der höhere Mese, der tiefere Hypate
heisst, so lange werden auch die Namen der eingeschlossenen Töne
dieselben bleiben und der höhere von ihnen Lichanos, der tiefere
Parhypate genannt werden, denn immer fasst die Empfindung die
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IX. Der Unterschied der Tongeschlechter.
279
zwischen Mese und Hypate befindlichen Töne als Lichanos und
Parhypate auf.
§ 53e. * Das Verlangen aber, die gleichen Intervalle mit den-
selben Kamen zu bezeichnen und die ungleichen mit anderen, heisst
gegen die augenscheinlichen Thatsachen ankämpfen. Denn das
Intervall zwischen Hypate und Parhypate ist dem zwischen Par-
hypate und Lichanos bald gleich, bald ungleich:
Vgl. die Tafel auf S. 259. 260.
Dass man aber, wenn die zwei aufeinanderfolgenden Intervalle
gleich sind, nicht jeden mit Tönen desselben Namens umschliessen
kann, falls nicht der mittlere zwei Namen haben soll, ist klar.
Aber auch dann, wenn sie ungleich sind, zeigt sich die Verkehrtheit
(des Verlangens); denn es ist nicht zulässig, dass während der eine
der Namen bleibt, der andere verändert wird, denn die Namen
sind mit Beziehung auf einander gegeben: wie nämlich der vierte
von der Mese (die Mese eingerechnet) den Namen Hypate mit Be-
ziehung auf die Mese hat, so hat auch der auf die Mese folgende
mit Beziehung auf diese den Namen Lichanos.
Die Tongeechlechter im Einzelnen und die Chroai.
§ 54. So viel mm sei auf die gemachten Einwendungen er-
widert
Pyknon heisse (die Combination der zwei tiefsten Intervalle
der Tetrachordes) so lange, als auf einem Tetrachorde, dessen Grenz-
töne eine Quarten-Symphonie bilden, die zwei tiefsten Intervalle
mit einander combinirt einen Raum einnehmen, welcher kleiner ist
als das eine dritte Intervall.
Die vornehmsten Tetrachordeiuthcilungen.
§ 55. Folgende Theilungen eines Tetrachordes, welche nach
bekannten Intervall-Umfängen getheilt sind, sind die vornehmsten
und bekanntesten.
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280 Aristoxenus zweite Harmonik § 55. 56.
a. Eine enharmonische
Eine der Theilungen ist eine enharmonische ; es ist diejenige,
bei welcher das Pyknon einen Halbtou, das übrig bleibende Intervall
einen Ditonos beträgt
e f a.
b. Drei chromatische.
Drei Theilungen sind chromatisch, die eine dem Chroma mala-
kon, die andere dem Chroma hemiolion, die dritte dem Chroma
toniaion angehörig.
Theilung eines Chroma malakon ist diejenige, in welcher das
Pyknon aus zwei kleinsten chromatischen Diesen besteht, das übrig
bleibende Intervall aber nach zwei Maasseinheiten gemessen wird,
nämlich drei Halbtönen und Einer kleinsten chromatischen Diesis.
e f a
Das Pyknon desselben ist das kleinste unter dem chromatischen
Pykna, die Lichanos die tiefste des chromatischen Tongeschlechtes.
Theilung eines Chroma hemiolion ist diejenige, in welcher
das Pyknon das anderthalbfache des enharmonischen und jede der
Diesen das anderthalbfache von einer jeden enharmonischen Diesis ist,
(das übrig bleibende Intervall des Tetrachordes aber 7 Diesen beträgt.)
*
e f a
Dass aber das hemiolische Pyknon grösser ist als das Pyknon des
(Chroma) malakon, ist leicht einzusehen, denn jenes bleibt um
eine enharmonische Diesis, dieses um eine (kleinste) chromatische
Diesis hinter dem Ganztone zurück.
Theilung des Chroma toniaion ist diejenige, in welcher das
Pyknon aus zwei Halbtönen besteht, das übrig bleibende Intervall
des Tetrachordes ein Trihemitonion ausmacht.
e fis a
♦
Bis zu dieser Theilung bewegen sich beide Töne, für die weiteren
bleibt die Parhypate unveränderlich, denn sie hat ihren Bewegungsraum
bereits zu Ende durchlaufen, die Lichanos aber bewegt sich noch um
eine enharmonische Diesis weiter, so dass das Intervall dem zwischen
Lichanos und Mese gleich wird (jedes enthält 5 kleinste enharmo-
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IX. Der Unterschied der Tongeschlechter.
281
nische Diesen) und mithin bei dieser Theilung kein Pyknon mehr
stattfinden kann.
c. Zwei diatonische.
Zugleich mit dem Aufhören des bei den Tetrachordeintheilungen
bestehenden Pyknon tritt auch der Beginn des diatonischen Ge-
schlechtes ein. Es giebt zwei Theilungen desselben, nämlich das
Diatonon malakon und das syntonon.
Theilung eines Diatonon malakon ist diejenige, in welcher
das Intervall zwischen Hypate und Parhypate einen Halbton, das
der Parhypate und Lichanos 3 enharmonische Diesen, das zwischen
Lichanos und Mese 5 Diesen umfasst
•
e f fis a
Theilung eines Diatonon syntonon ist diejenige, in welcher
das Intervall zwischen Hypate und Parhypate einen Halbton, jedes
der beiden übrigen einen Ganzton bildet:
e f g a
Sechs Lichanoi und vier Parhypatai.
§ 56. Lichanoi giebt es also sechs, eine enharmonische,
drei chromatische mit zwei diatonische, so viele Tetrachordtheiluugen
es giebt.
Die Parhypatai sind der Zahl nach zwei weniger als Lichanoi,
denn die Parhypate hemitoniaia wenden wir sowohl für die beiden
diatonischen Theilungen wie für die des Chroma toniaion an. Von
den vier Parhypatai ist nun
die enharmonische Parhypate der Enharmonik eigentümlich,
(die zwei tieferen chromatischen Parhypatai sind die eine dem
Cliroma malakon, die andere dem Chroma hemiobon eigenthümlich),
die vierte und höchste Parhypate ist dem Diatonon und Chroma
(toniaion) gemeinsam.
Die beiden unteren Tetrachord-Intervalle.
§ 57. Von den Intervallen des Tetrachordes ist- das zwischen
Hypate und Parhypate entweder gleich gross wie das zwischen
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282
Aristoxenus zweite Harmonik § 57. 58.
Parhypate und Lichanos, oder es ist kleiner, aber niemals ist es
grösser.
Dass es gleich ist, ersieht man aus der enharmonischen
Theiiung:
=t=4 ^=<=
-* • » —
und aus den chromatischen
«7 •» »
—3.--
~-i — ; — •
Dass es kleiner ist, ist aus den diatonischen ersichtlich,
kann aber auch aus den chromatischen erkannt werden, wenn man
nämlich die Parhypate des Chroma malakon (oder hemiolion) und
die Lichanos des Chroma toniaion nimmt:
SN
denn auch derartige Theilungeu des Pyknon zeigen sich als emmelisch.
Das umgekehrte (dass nämlich die tiefere Intervallgrösse grösser
«
ist als die mittlere) wird dagegen ekmelich sein, wenn Jemand als
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IX. Der Unterschied der TongeBchlechter. 283
Parhypate die hemitonische, als Lichanos die des Chroma malakon
nehmen wollte:
oder als Parhypate die des Chroma hemiolion, als Lichanos die des
Chroma malakon:
*. »
Denn derartige Theilungen zeigen sich als harmonisch unbrauchbar.
Die beiden oberen Tetrachord-Intervalle.
§ 58. Das Intervall zwischen Parhypate und Lichanos ist dem
zwischen Lichanos und Mese entweder gleich oder in beiderlei
Beziehung ungleich (sowohl kleiner wie grösser).
Gleich ist es demselben in Diatonon syntonon
Grösser ist es in allen übrigen (bisher aufgeführten) Theilungen.
Kleiner ist es, wenn man als Lichanos die höchste diatonische,
als Parhypate eine von denjenigen anwendet, welche tiefer als die
hemitoniaia ist:
mit enharmoniacher Parhypate :
mit der Parhypate des Chroma malakon:
mit der Parhypate des Chroma hemiolion:
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284
Ariatoxenus zweite Harmonik § 59—61.
X.
Ueber die emmelisohe Intervallenfolge auf der Scala
im Allgemeinen.
§ 59. Hierauf ist von der Aufeinanderfolge der Intervalle zu
handeln, indem wir zunächst die Art und Weise andeuten, in wel-
cher die Aufeinanderfolge zu definiren ist.
§ 60. Kurz gesagt haben wir der Intervallenfolge nach der
natürlichen Beschaffenheit des Melos nachzuforschen, aber nicht so
wie die Harmoniker im Hinblicke auf die Katapyknosis jene
Aufeinanderfolge darstellen, denn diese sind ja um die Agoge (S. 267)
des Melos unbekümmert, wie aus der Menge der von ihnen gesetzten
Diesen klar ist. Denn durch so viele Diesen hindurch wird Nie-
mand singen können, vielmehr wird die Stimme nicht einmal drei
an einander reihen können.
Offenbar ist es also, dass man die Aufeinanderfolge weder in
den kleinsten, noch in ungleichen, noch immer in gleichen Inter-
vallen suchen darf, sondern der Natur des Melos folgen muss.
§ 61. Die genaue Definition der Aufeinanderfolge ist nicht
leicht zu geben, bevor die Zusammensetzungen der Intervalle er-
örtert worden sind. Dass es aber irgend eine Aufeinanderfolge
giebt, lässt sich auch dem ganz Unkundigen klar machen, wenn man
ihn etwa folgendermaassen darauf hinfuhrt. Man überzeugt sich
nämlich leicht, dass es kein Intervall giebt, welches wir beim Singen
in eine unbegrenzte Zahl zertheilen, vielmehr muss es eine grösste An-
zahl von Theilen geben, in welche jedes Intervall beim Melodumenon
zerfällt wird. AVenn dieses nun, wie wir behaupten, wahrscheinlich
oder nothwendig ist, daim ist klar, dass die Töne, welche Theile
der eben gedachten Zahl enthalten, auf einander folgen. Zu diesen
Tönen scheinen nun auch diejenigen zu gehören, welche wir seit Alters
zur Anwendung bringen, die Nete und Paranete und die übrigen
aufeinander folgenden Töne.
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ZWEITEft HAUPTTHEIL.
HARMONISCHE STOICHEIA.
XL
Unzus ammengesetzte und zusammengesetzte Intervalle.
(Diastematische Stoicheia erste Hälfte).
Vgl. Prooimion § 14.
Dieser Abschnitt, der laut der Inhaltsangabc des Prooimions zuerst
über die unzusammengesetzten Intervalle, sodann über die zusammengesetzten
handeln soll, bildete den ersten der auf die „Eingangs-Partiecn" folgenden Ab-
schnitte, welche Aristoxenus zusammen als Stoicheia bezeichnet, und zwar ge-
hört dieser Abschn. XI nebst Abschn. XII speciell zu den von Aristoxenus in der
Rhythmik als diastematische Stoicheia citirten Abschnitten. Von der
ersten Hälfte dieses XI. Abschnittes („unzusammengesetzte Intervalle") ist uns in
der handschriftlichen Uebcrlieferung durchaus nichts überkommen, — erst von
der zweiten Hälfte („zusammengesetzte Intervalle") findet sich (freilich innerhalb
des Abschnittes XII hinein verstellt) eine Partie in den Handschriften.
Schon in den den Stoicheia vorausgehenden, nur „in den Umrissen" (vjt.ui-
«3T£p.ov § 38) darstellenden Eingangs-Partien war eine Uebersicht der Intervalle
gegeben. Abschn. IV § 39: „1. Megethos der Intervalle. 2. Symphonische
uud Diaphonische Intervalle. 3. Unzusammengesetzte Intervalle. 4. Tonge-
schleehter der Intervalle. 5. Eatiouale und Irrationale Intervalle." Bezüglich der
„übrigen Classen der Intervalle, als nicht nothwendig für die gegenwärtige
Erörterung", wurde auf den XI. Absch. der Stoicheia verwiesen. Vgl. oben
S. 183. Wir wissen also, was dort zu finden wäre, wenn derselbe vollständig
vorläge. Wir wollen das Sachliche dieser Darstellung aus den sonstigen An-
gaben des Aristoxenus zu reconsrruiren suchen:
1. Unzusammengesetzte gerade, ungerade und irrationale Intervalle.
2. Unterschied der zusammengesetzten von den unzusammengesetzten
Intervallen.
3. Die Bestimmung der diaphonischen durch die symphonischen Intervalle.
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286
Aristoxenus zweite Harmonik § 61.
1.
Gerade, ungerade und irrationale Intervalle.
Ein Hauptfundort für die Aristoxenisehe Intervallen-Theorie ist eine Stelle
seiner gemischten Tischgespräche (über die enharmonische Tonart) bei Plutarch
de mus. 38. 39. Hier lernen wir drei Arten von Intervallen kennen: gerade,
ungerade, irrationale Intervalle. Diebeiden ersten bilden zusammen die rationalen.
I. Gerade Intervalle (ipna ototcrrV*™) sind solehe, welche aus 2
oder 4 oder 6, kurz aus einer geraden Anzahl von enharmonischen Diesen
bestehen.
II. Ungerade Intervalle (Trepirrd Stacr-f^aTa) sind „die dritte, fünfte,
siebente Intervallgrösse , aus je drei oder fünf oder sieben enharmonischen
Diesen." Das nur eine einzige enharmonische Diesis enthaltende Intervall wird
hier von Aristoxenus nicht ausdrücklich als ungerades Intervall aufgeführt.
Mit der enharmonischen Diesis als einem Bestandteile der enharmonischeu
Scala hatte er nämlich seine Darstellung begonnen : von den meisten Musikern
der damaligen Zeit wurde die enharmonische Scala eben dieser Einen Diesis wegen
versehmäht. Doch dass diese Eine Diesis der Aristoxenischen Theorie zufolge
entschieden unter die ungeraden Intervalle zu zahlen ist, ergiebt sich aus jenen
von ihm gebrauchten Nomenclaturcn „drittes", „fünftes", „siebentes" Intervall,
denn diese Zählungen haben nur dann einen Sinn, wenn die enharmonische
Diesis als „erstes" Intervall vorausgesetzt wird.
Gerade
Intervalle.
Ein fa ehe
Rationale Intervalle.
Ungerade
Intervalle.
erstes Megcthos il Diesis)
e nharmonischeDiesis.
llemitoniou
zweites Megeth. {'2 Dies.)
drittes Megeth. (3 Dies.)
Spoudeiasmos, Eklysis
Tonus
viertes Megeth. (1 Dies.)
fünftes Megeth. (5 Dies.)
Eklx.le.
Tiihcimtuuinn
sechstes Megeth. (6 Dies.i
siebentes Megeth. (7 Dies.)
sieben Diesen
Ditonns
achtes Megeth. iM Dies.)
In dieser Scala der acht Megethe sind alle einfache gerade und alle
einfache ungerade Intervalle enthalten. Wir werden alsbald sehen, dass dies
zugleich die acht einfachen rationalen Intervalle sind d. L diejenigen
einfachen Intervalle, deren Grösse sich als ein Multiplum der enharmonischeu
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1. Gerade, ungerade und irrationale Intervalle.
267
Diesis durch eine ganze, ungebrochene Zahl (nicht durch eine Bruchzahl) aus-
drücken lässt: die geraden im Diatononund Chroma toniaion und (als grösstes
Intervall) im Enharmonion, die ungeraden im Enharmonion (als kleinstes
Intervall), im Diatonon malakon (als mittleres und als grösstes Intervall) und
im Chroma hemiolion (als grösstes Intervall).
Die Intervall-Namen für drei und fünf Diesen sind von Aristides p. 28
und Bachius p. 11 überliefert; von Aristoxenus selbst bei Plut. mus. 11.
III. Irrationale Intervalle (iXo^a liasxi^axa). Diejenigen Musiker
aus Aristoxenus Zeit, welche der Anwendung der enhannonischen Diesis
widerstrebten, gründeten diese ihre Opposition darauf, dass man jenes Intervall
nicht durch Symphonien bestimmen könne. Aristoxenus widerlegt den Ein-
wand damit, dass sie ja sonst mit Vorliebe solche Scalen anwendeten, welche
ungerade und irrationale Intervalle enthalten. Abo die irrationalen Intervalle
haben dies mit den ungeraden gemein, dass sie sich nicht im Sinne des § 62 ff.
durch symphonische Intervalle bestimmen lassen. Vergl. unten. Hier sei zu*
nächst dies gesagt, dass beide Arten der Intervalle (ungerade und irrationale)
dem griechischen Mclos eigenthümlich waren: das moderne Melos hat nur
solche Intervalle im Gebrauch welche, nach der Auffassung des Aristoxenus
gerade sind.
Ungerade Intervalle sind die beiden oberen Intervalle im Diatonon malakon
und ebenso das obere Intervall (7 Diesen enthaltend) im Chroma hemiolion
Aber die beiden unteren Intervalle des Chroma hemiolion, deren jedes von
Aristoxenus auf den Umfang von l1/* enhannonischen Diesen angeben wird?
Diese Intervalle können nicht ungerade sein, so wenig wie sie gerade sind.
Nach der in der Stelle bei Plutnrch überlieferten Mittheilung des Aristo-
xenus gehören sie zu den irrationalen Intervallen, und ebenso in den von Aristo-
xenus als emmelisch angegebenen Tctrachord-Eintheilungen alle diejenigen
Intervalle, deren Megethos sich nicht anders als durch eine Bruchzahl auf die
Einheit der enharmonischen Diesis zurückführen lässt. Eine Scala der irratio-
nalen Intervallgrössen, analog derjenigen der rationalen (S. 286), lässt sich bei
Aristoxenus nicht mehr nachweisen. Dieselbe würde mit der kleinsten chroma-
tischen Diesis (= 1'/, enharmonischc Diesis) als dem kleinsten irrationalen
Intervalle beginnen und mit dem irrationalen Intervalle von 7 1:9 enharmonischen
Diesen als dem grossesten abschliessen.
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288
Aristoxenns zweite Harmonik § 61.
im Chroma
hemiolion.
Einfache
irrationale Intervalle.
im Chroma
in ;i 1 11 k 0 ix.
erstes Megethos (14 Diesis)
ab kleinstes Intervall
als kleinstes Intervall
zweites Megethos (lj Diesis)
drittes Megethos (7^ Diesen)
als grösstes Intervall
Dies alles hat sich zunächst aus der Stelle des Plutarch ergeben. Fügen
wir demselben noch hinzu, dass Aristoxenus alle in Rede stehenden Intervall-
grössen, die geraden, die ungeraden und die irrationalen als „emmelische
Intervalle" oder „Melodumena" bezeichnet Damit sagt er, dass alle jene
Intervalle im Melos der Griechen verwendet werden konnten und praktisch
verwendet wurden: nicht blos die „geraden", von denen auch das moderne
Melos Anwendung macht, sondern auch die „ungeraden" und die „irrationalen",
welche beiderseits unserem modernen Melos durchaus fremd sind.
Nun redet aber Aristoxenus ausser von den „Melodumena" auch noch
IV. von Intervaügrössen, welche er Amelodeta nennt. Diese Intervall-
grössen kommen praktisch im Melos der Griechen nicht vor, sind nichts als
ideelle Intervallwerthe, welche den Theoretikern dazu dienen, die irrationalen
Intervalle auf die rationalen (geraden oder ungeraden) zurückzuführen. Ein
solches Amelodeton ist das Dodekatemorion, welches wir in der ersten Harm.
§ 55 c kennen gelernt haben. Dies ist der zwölfte Theil des Ganzton-
Intervalles. Der kleinste Theil des Ganztou-Intervalles, welcher als Melodu-
nienon in der praktischen Musik der Griechen vorkam, ist nach § 49 der vierte
Theil des Ganztons, genannt die enharmonische Diesis. Jenes Dodekatemorion
oder Zwölftel des Ganztones ist nach Aristoxenus ein in der Praxis der Musik
nicht vorkommendes Intervall ; aber der Theoretiker hat es nöthig anzunehmen,
wenn er die kleinste chromatische Diesis (das Drittel des Ganztones) auf die
allen geraden und ungeraden Intervallgrössen zu Grunde liegende Einheit der
enharmonischen Dienis zurückführen will. Eben die Brüche, welche sich in
den Zahlenbestimmungen der irrationalen Intervalle hinter den hier vorkommen-
den ganzen Zahlen finden, eben diese Brüche bezeichnen die lediglich theore-
tischen Amelodeta.
In dem Abschn. XI hatte Aristoxenus nach seinem Selbstcitate Rhythm.
§ 21 ausser von den rationalen und irrationalen Melodumena auch von den
Amelodeta gesprochen. Jene Stelle der Rhythmik müssen wir der Vollständig-
keit wegen als ein Fragment der Harmonik hier einschalten.
„Wie ich in den diastematischen Stoichcia dasjenige als etwas der
Natur des Melos nach Bestimmbares gefasst habe, was
erstens ein Melodumena ist,
zweitens seinen Megethos nach dadurch erkennbar, (dass es ein Multi-
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1. Gerade, ungerade und irrationale Intervalle.
289
plum des kleinsten Intervalles der Melodumena ist,) wie die sym-
phonischen Intervalle und der Ganzton oder alles damit Messbare,
dagegen dasjenige als etwas blos den Zahlenverhältnissen nach Be-
stimmbares, bei welehem es der Fall ist, dass es <um) ein Amelodeton
(kleiner oder grösser als ein der Natur des Melos nach bestimmbares
Intervall) ist, so soll ganz analog da» Rationale uud das Irrationale auch
in der Rhythmik genommen werden.
Das eine wird nämlich als etwas der Natur des Rhythmus nach Be-
stimmbares gefasst, das andere als etwas nur den Zahlenverhiiltnissen nach
Bestimmbares.
Die in der Rhythmik als rational gefasste Zeitgrösse muss also
ersteus zu denjenigen gehören, welche in der Rhythmopoeie vorkom-
men, zweitens ein bestimmbarer Theil des Taktes sein, in welchem
sie einen Takttheil bildet ;
dagegen dasjenige, was als etwas blos den Zahlenverhältnissen
nach Bestimmbares gefasst wird, muss man sich analog denken, wie in
den diastematischen Stoicheia das Dodekatemorion (Zwölftel) des Ganztons,
und wenn noch etwas auderes von der Art bei dem Wechsel der Inter-
valle vorkommt.
Der Sinn muss sein: „wie das, was ich in den diastematischen Stoicheia
über das Dodckatemoriom des Ganztoncs gesagt habe4*, nicht „wie da« Dode-
katemorion" ; denn ein Amelodeton kann Aristoxeuus nicht unmittelbar mit dem
rhythmisch Irrationalen verglichen haben; denn das Amelodeton kommt ja in der
Melopoeie nicht vor, wohl aber das rhythmisch Irrationale in der Rhythmopoeie.
Möglich dass auch hier eine kleine handschriftliche Lücke vgl. oben S. 27.
Dasjenige, was ausser dem Dodekatcmoriou als Amelodeton vorkommt,
ist das Hcktcmoriou, das Sechstel des Ganztones.
Noch ein anderes Fragment der Aristoxenischen Harmonik sclieinen wir
zu besitzen, welches dein Abschn. XI angehört, wenn es nicht etwa der dritten
Harmonik entstammt. Pseudo-Kuklid p. l> Meib: „Rationale Intervalle sind
solche, deren Grösse sich angeben läast, z. B. Ganzton, Halbton, Ditonos, Tri-
tonos. Irrationale Intervalle sind solche, welche um ein Amelode-
ton grösser oder kleiner als die rationalen sind." Die handschr. Ueber-
lieferung lautet hier: TtapaXXciTTOvra Taut« xd pe^dt) inl xö jaciCov f] im to IXarcov
d'Kiftu Tivt peY^ftci. Unzweifelhaft ist 01X0711) eine aus dfAeXcoo-fj-rtp cormmpirte
falsche Lesart. Auch Marq. S. 241 bemerkt den Mangel „dass zur Bestimmung des
Begriffes der zu bestimmende Begriff selber angewandt wird . . Ich möchte glau-
ben, dass die Maasseinheit der zwölfte, vielleicht der vierundzwanzigste Theil des
Ganztones gewesen ist'' Welche „Maasseinheit*' Marquard hier im Sinne hat,
verstehe ich nicht Meint er, wie es scheint, die „Maasseinheit", nach welcher
Aristoxeuus die Iutervallgrössen bestimmt, so ist »eine Meinung unrichtig.
Arlitui«nut, Mollk u. Rhythmik. ]<l
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290
Aristoxenus zweite Harmonik § 61.
Denn die Aristoxenische Maasscinheit zur Bestimmung der Intervall-
grössen ist die enharmonische Diesis, der Viertelton. Was eine geradeZahl
solcher Diesen enthält, heisst bei A. gerades Intervall; was eine ungerade
Anzahl enthält, heisst ungerades Intervall. Die Summe oder Differenz
aus einem rationalen (geraden oder ungeraden) Intervalle und einem Arne-
lodeton (Zwölftel- oder Sechstel des Oanztones,} heisst nach Aristoxenus ein
irrationales Intervall.
2.
Unterschied der zusammengesetzten von den uuzusam mengesetz-
ten Intervallen.
Der Angabe des Prooim. § 14 zufolge soll der Abschnitt (|*£poc), den wir
als den elften zählen müssen, zuerst von den unzusammengesetzten Intervallen,
dann von den zusammengesetzten reden. Nun, die acht Megcthe der geraden
und ungeraden Intervalle von 1 bis 8 Diesen, welche wir aus dem Fragmente
bei Plutarch hierher gezogen haben, nicht minder die entsprechenden irratio-
nalen Megcthe von l'/s— ?7s Diesen, die wir nach den §§ 49—58 der Har-
monik jenen sieben Megethe hinzufügen mussten: alle diese Intervalle sind nnzu-
sammengesetzte und zwar sind damit die sä in mt liehen unzusammengesetzten
Intervalle aufgezählt. Eine Definition des einfachen Intervalle« giebt das 5.
Problem des folgenden Abschnittes XII, doch finden wir dort nicht dasjenige,
was Aristoxenus Rhythmik § 14 aus seiner Harmonik citirt (bei Gelegenheit
der unzusammengesetzten und zusammengesetzten Zeiten der Rhythmopoeic) :
„Ein Analogon für das Gesagte kann die Pragmatie des Hermosmenon
„liefern. Denn auch dort ist dasselbe Megethos im enharmonischem Tou-
„gcschlechte ein zusammengesetztes , im Chroma ein unzusammengesetztes;
„und wiederum im Diatonon ein unzusammengesetztes, im Chroma ein zu-
„sammengesetztes; bisweilen ist dasselbe Megethos sowohl ein unzusammen-
„gesetztes wie ein zusammengesetztes, jedoch nicht an derselben Stelle
„des Systemes."
Im vierten Probleme des Abseh. XII ist zwar eine genaue und scharfe
Definition des unzusaimneugesetzten Intervalles gegeben, aber nichts weiteres,
namentlich findet man dort nicht die Beispiele unzusammengesetzter und zu-
sammengesetzter Intervalle, auf welche Aristoxenus in jener Stelle der Rythmik
recurrirt. Sie können nur im Abschn. XI gestanden haben. Wir haben eine
Interpretation der in der Rhythmik aus der Harmonik Absch. XI citirteu
Stelle zu geben:
Ein und dieselbe Intcrvallgrösse auf ein und demselben Platze des Sy-
stemes kann je nach den verschiedenen Tongeschlechtern ein unzusammenge-
setztes und zugleich ein zusammengesetztes sein: der Halbton e f ist in der
Chromatik ein unzusammengesetztes, in der Euharmo^nik ein zusammengesetztes
Intervall :
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2. Unterschied d. zusammengesetzten v. d. uuzusammengesetzteu Interv. 291
En Hann.
*
Chrom a.
— der Ganzton e fis bt im Diatonon ein einfaches, im Chrom a ein zusammen-
gesetztes Intervall:
Cln-oma.
Bisweilen aber erscheint in ein und demselben Tongeschlechte an ver-
schiedenen Stellen des Systcmes ein und dasselbe Intervall: an der einen als
unzusammengesetztes, an der anderen als zusammengesetztes Intervall, z. B.
das gerade Intervall von 1 */ , Ganzton ist im Chroma zwischen dem IVoslaraba-
noinenos und der Parhypate hypaton (Ac) ein zusammengesetztes, oberhalb
der Lichanos hypaton (eise) ein unzusammengesetztes:
hypaton.
I
13
l i i H
So scheint Aristoxenus in Abschn. XI au praktischen Beispielen klar ge-
macht zu haben, was ein zusammengesetztes und unzusammengesetztes Inter-
vall ist, die genaue Definition des unzusammengesetzten Intervalles sich für
den folgenden Abschnitt vorbehaltend, um ihre Richtigkeit im Zusammenhange
der 28 Probleme strikt zu beweisen. Das Wesentliche derselben, dass es für
den Begriff des unzusammengesetzten und zusammengesetzten Intervalles
nicht sowohl auf das Megethon, als vielmehr auf die das Intervall um-
schließenden Klänge ankomme, dies wird schon der Abschnitt IX deutlich
gemacht haben, eben iu jener Stelle, auf welche der Verfasser in seiner Rhyth-
mik verweist.
16*
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292
Aristoxenus zweite Harmonik § 61. 62.
3.
Die Bestimmung der diaphonisehen durch symphonische Intervalle.
Vgl. oben S. 179 ff.
Man würde gegen die Einverleibung dieses handschriftlichen Bruchstückes
in den XI. Abschnitt der zweiten Harmonik einwenden können, das** dasselbe
ebenso gut auch in der ersten Harmonik seinen ursprünglichen Platz gehabt
haben könne. Im Allgemeinen müssten wir die Berechtigung eines solchen
Einwurfs gegen die von uns vorgenommene Einordnung des Fragmentes zu-
geben. Denn wenn es in dem Fragmente heisst: „Ob in der Eingangspartie
mit Recht angenommen ist, dass die Quarte 2 Ganztöne und einen Halbton
beträgt, wird folgendermaassen am genauesten untersucht werden", so folgt
daraus, dass das Fragment derjenigen Harmonik angehören rauss, in deren
Eingangspartie jene vorläufige Grössenangabe der Quarte sich findet Diese
findet sich nun sowohl in der ersten Harmonik (§ 54) wie in der zweiten (§ 40).
Die Ucbereinstimmuug des sprachlichen Ausdrucks in der Stelle des Frag-
mentes § 66: „Tiorcpov 6'6pttü>; dv äp^fi 'J~6xeiT<xi tö Std TEoadpcuv S6o TfJvrov xai
TjfAtoeo; xatd tovoe tov Tp<Jitov e^exdoeuv <£v Tic dxpifUrraTa mit der ersten Har-
monik § 54 „To jxev oyv oia xeosdpwv 8v Tp«$7rov e^etaTriov ehe |Aexpeixai ....
und „tu; cpaivojJL^vo'j 8' ixetvou 5uo tovwv xal tjjxtoeoc özoxeUöw tovto av eivot
tö pi^etto;" würde uns bewegen, das Fragment der ersten Harmonik zuzuweisen,
wenn nicht die überlieferte Stelle des Fragmentes zwischen den Problemen der
zweiten Harmonik eben auf das zweite Buch hinwiese. Die Uebereinstimmung
des sprachlichen Ausdrucks verdient registrirt zu werden, aber sie ist keine
derartige, dass sie uns nöthigen könnte, das Fragment aus dem Buche B, in
welchem es sich vorfindet, in das Buch A zu transponiren. Uebrigens wird
in der ersten Harmonik der Abschn. XI von demselben Abschn. XI der zweiten
Harmonik sachlich nicht verschieden gewesen sein, wie auch Bei den übrigen
einander entsprechenden Abschnitten die Verschiedenheit nur gering ist.
Es ist interessant genug, dass Aristoxenus, der prophetische Gewährsmann
für die gleichschwebendc Temperatur unserer Clavier-Musik, auch bereite im
Voraus das Wesentlichste des Verfahrens kennt, durch welches die reine
Stimmung unseres Clavieres vom Stimmer hergestellt wird. Derselbe stimmt
nämlich nach Quinten -Intervallen. Genau dies Letztere ist es, was Aristoxe-
nus „das Nehmen der Intervalle durch die Quinten-Symphonie" nennt Frei-
lich liegt es dem Aristoxenus ebenso nahe, die Intervalle durch die Quarten-
Symphonie zu nehmen : den Griechen war in dieser Beziehung die Quarte der
Quinte völlig coordinirt.
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3. Die Bestimmung der diaphonisehen durch symphonische Intervalle. 293
Problemata über die Lepsis dia Symphonias.
Nur bei solchen zusammengesetzten Intervallen kann die in den folgen-
den drei Problemen beschriebene Lepsin dia Symphonias stattfinden, welche in
die Klasse der geraden gehören ( ihrem Megethos nach auf die Einheit des
Halbtones zurückzuführen sind), nicht bei den ungeraden und den irrationalen
Intervallen. Das wissen wir aus dem Fragmeute der Aristoxenischen Tisch-
reden bei Plut de mus.
Da in unserem Abschnitte XI von geraden, ungeraden und irrationalen
Intervallen die Rede ist, so sollte man denken, Aristoxcuus würde jene für
den Unterschied der drei Intervall-Klassen so wichtige Thatsachen hier nicht
verschwiegen haben. Vielleicht ging dem § 62 die betreffende Angabe voraus.
Da unser Absehn. XI nicht mehr den „Eingangsabschnitten," sondern
bereits den „Stoicheia" angehört, so darf es nicht befremden, dass hier Aristo-
xenus nicht minder wie im Abschn. XII die Darstellungsform der Problemata
wählt Denn Problemata haben wir vor uns nicht minder wie § 70 ff., obwohl
Aristoxenus den Ausdruck Problemata an unserer Stelle nicht gebraucht hat.
In der dritten Harinonik § 31 erklärt er die Darstellung nach Problemata für
etwas, welches „xtq r.tfi xd oxor/eia TrpcrffAaxeLa" zukommt. Vgl. unteu.
§ 62. Da von den Intervallgrössen die symphonischen, ausser
wenn die Grössen begrenzt sind,*) überhaupt nicht oder doch nur
in sehr untergeordneter Weise in Betracht kommen, da sich dies
aber bei den diaphonisehen anders verhält und aus diesem Gmnde
die Aisthesis viel mehr auf die symphonischen als auf die diapho-
nisehen Grössen sich verlässt, so wird es am sichersten sein, das dia-
phonische Intervall durch die Symphonie zu bestimmen.
■
*) \\)X \y jie^&et πxai haben die Handschriften, ,,'aXX' ti u-e-^dei &.
emendirt Marquard; ausserdem ist f«?^ statt prüftet zu lesen; denn bei
ixsfeftebv xd uiv (xe^iSEt fl>pt;xai würde der Dativ ne^ei überflüssig sein , der
hergestellte Nominativ u-e^ih] aber nicht, denn mit ihm würde nach der ziem-
lich langen Einschiebung das Subject x&v Gtacxr.tjiaxixäiv (/.tfEftöiv xd pis wieder
aufgenommen sein. Dem Wortklange nach war ja zwischen u,ry6fh) und
(icviftet kebi Unterschied. Ausserdem haben wird icavxcXdc dxaptai<Jv xtv<x
vor x«irov gesetzt, wohin es der Deutlichkeit wegen gehört. Das Wort xötw«
gebraucht Aristoxenus 1. von der Tonstufe, auf welcher die Stimmt- beim Auf-
und Abwärtsgehen anhält, um einen «Hä-fto; zur Erscheinung kommen zu
lassen: dies kann hier nicht gemeint sein, da hier der Begriff der Tonstufe
schon durch p£-feih>c ausgedrückt ist. 2. Von der Stimmlage, der Stimmregion: erste
Harmonik § 21. 22. In dieser Bedeutung kann das Wort an unserer Stelle
noch viel weniger genommen sein. So bleibt 3. nur die allgemeine Bedeutung
des Wort«'»: Punkt der Besprechung, Thema, Stoff. Es ist das Gesammt-Ma-
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29-4
Aristoxenus zweite Harmonik § 62—66.
tcrial der Harmonik gemeint: „da die symphonischen Intervallgrössen, ausser
wenn die Grössen begrenzt sind, nur in ganz untergeordneter Weise eine Stelle
in der Theorie haben können*', Marq. S. 171 „die StoKTrjjiaTixd (aet^ haben
überhaupt nicht Platz, (sie können überhaupt in der Musik nicht vorkommen, )
ausser wenn sie dem Umfange nach begrenzt sind, 8. 81, „da die consonirenden
nur dann statt zu finden scheinen." Ruelle p. 86 übersetzt (die Bedeutung No. 1
annehmend) : „En ce qui concerne les grandeurs des intervalles, comme d'une
part Celles des consouances ne paraissent pas avoir de lieu pour se mouvoir" mit
der Note „le mot T<5ro; signifie en cet endroit, l'espace oü peut se mouvoir
un son succeptible de deplacement". Der Zusatz t) TtemeX&c dxaptaWv Tiva
oüx tyeiv hnxtX töttov widerstrebt der Bedeutung „de lieu pour se mouvoir" auf
das entschiedenste.
§ 63. Wenn man nun zu einem gegebenen Tone nach der
Tiefe zu vermittels des symphonischen Intervalles der Quinte mid
Quarte das diaphonische Intervall z. B. die grosse Unter-Terz nehmen
soll oder ein anderes der durch Quinte und Quarte zu bestimmenden
Intervalle, so nimmt man 1. von dem Tone die Ober-Quarte (Irl
t6 o£u to oia Teooaptov), 2. dann die Unter-Quinte, 3. dann wieder-
um die Ober-Quarte, 4. dann die Unter-Quinte:
und auf diese Weise wird man von dem gegebenen Tone die grosse
Unterterz genommen haben.
§ 64. Soll man aber umgekehrt die grosse Ober-Terz nehmen,
so nimmt man die jedesmalige Quarte und Quinte in der Umkehrung,
nämlich 1. die Unter-Quarte, 2. die Ober-Quinte, 3. die Unter-Quarte,
4. die Ober-Quinte.
1. Problem:
1. a h c
2. g a Ii c
3. g a h c
4. f g a h c
2. Problem:
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3. Die Bestimmung der diaphonischcn durch symphonische Intervalle. 295
3. Problem:
§ 65. Es ist aber auch der Fall, dass wenn von einem sym-
phonischen Intervalle das diaphonische durch Symphonie hinweg-
genommen wird, dass dann auch der Rest ein durch Symphonie
genommenes Intervall ist. Nimmt man nämlich die grosse Terz
von der Quarte durch Symphonie hinweg, so ist doch klar, dass die
Klänge, welche diejenige Differenz umfassen, um welche die Quarte
grösser als die grosse Terz ist, durch Symphonie bestimmt sein
werden. Denn die Grenztöne der Quarte sind symphonisch; von
dem höheren dieser beiden Grenztöne aber wird ein symphonisches
Intervall nämlich die Ober-Quarte genommen, von dieser ein anderes,
die Unter-Quinte ; dann wiederum die Ober-Quarte und von dieser die
Unter-Quinte. Dann trifft diese letztere Symphonie mit dem höheren
der beiden Grenztöne zusammen: und so ist es klar, dass wenn von
einem symphonischen Intervalle durch Symphonie ein diaphonisches
fortgenommen ist, auch der Rest ein durch Symphonie bestimmtes
Intervall sein wird.
Marquard 8. 341 : „Diese Auseinandersetzung bedarf nur eines Bei-
spiels: wenn von einer Symphonie z. B. der Quarte a— d, nach der Tiefe die
„grosse Terz d-b durch Symphonie weggenommen ist, so soll auch der Rest,
„b— a, durch Symphonie genommen sein. Die Klänge a und d nämlich als
„Grenzklange der Quarte sind natürlich symphonisch. Von d aus wird die
,Oberquarte genommen g, von diesem die Unterquinte c, von diesem wieder
„die Oberquarte f und von diesem nochmals die Unterquinte b: so ist b der
„gesuchte Ton, d. h. b— a das durch Symphonie gefundene Intervall, um wel-
ches die Quarte grösser als die grosse Terz ißt."
Ob die Quarte 2'/, Ganztöne enthält?
§ 66. Ob aber der in den Eingangsabschnitten (§ 49) vorläufig
aufgestellte Grundsatz richtig ist,*) dass das Quarten -Intervall zwei
Ganztöne und einen Halbton enthält, wird man am sichersten auf
folgende Weise prüfen könuen.
*) Wir haben mit den Worten to oid recoapov eine Umstellung vornehmen
müssen: „'jrohuiTat £v dpyjj tö fctd Teooipcav 060 tovov xai" statt der überliefer-
ten „'jiröxctT« tö 8i<x xeoadpojv iv ^P/TQ t6vo»v xal fy"
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296
Aristoxenus zweite Harmonik § 67 — 69.
§ 67. Man nehme die Quarte und neben jedem ihrer beiden
Grenztöne trenne man eine grosse Terz durch Symphonie ab. Offen-
bar sind dann auch die Differenzen gleich, da ja Gleiches von
Gleichem abgezogen ist. Hierauf nehme man zu dem tieferen
Grundtone der höheren grossen Terz eine Oberquarte und zu dem
höheren Grenztone der tieferen grossen Terz nehme man eine
Unter-Quarte. Es leuchtet ein, dass das neben jedem der beiden
Grenztöne entstehende System aus zwei aufeinander folgenden Diffe-
renzen und nicht aus einer bestehen wird, zwei Differenzen, welche
nothwendig gleich sind wegen des oben Gesagten.
§ 68. Nachdem dies geschehen, bringe man die äussersten der
abgegrenzten Töne vor die sinnliche Wahrnehmung: wenn sie sich
als diaphonischc ergeben, so besteht das Quarten-Intervall offenbar
nicht aus 2lft Ganztönen, bilden sie aber die Quintensymphonie, so
leuchtet ein, dass die Quarte aus 21/2 Ganztönen besteht. Der
tiefste nämlich der gefundenen Töne wurde mit dein höheren Ganz-
tone der tieferen grossen Terz in der Quarte gestimmt, der höchste
der gefundenen Klänge aber bildete mit dem tiefsten eine Quinten-
Symphonie, sodass, da die Differenz vom Umfange eines Ganztones
ist und in gleiche Theile getheilt ist, deren jeder ein Halbton und
die Differenz ist, um welche die Quarte grösser als die grosse Terz
ist, offenbar die Quarte aus fünf Halbtönen besteht.
§ 69. Dass aber die beiden Grenztöne des gefundenen Systems
kein anderes symphonisches Intervall als die Quinte bilden werden,
ist leicht einzusehen. Zuerst ist nämlich zu beachten, dass sie nicht
die Quarten-Symphonie bilden werden, da ja neben der anfangs an-
genommenen Quaile auf jeder Seite die Differenz liegt. Sodann ist
zu zeigen, dass sie unmöglich eine Octaven-Symphonie bilden können ;
der aus den Differenzen entstandene Umfang nämlich ist kleiner
als die grosse Terz, denn die Quarte tiberragt die grosse Terz um
weniger als einen Ganzton. Nun aber wird von Allen zugegeben,
die Quarte sei zwar grösser als zwei, aber kleiner als drei Ganz-
töne, sodass der ganze Zusatz zur Quarte kleiner ist als die Quinte.
Augenscheinlich also wird das aus ihnen Zusammengesetzte nicht
den Umfang einer Octave haben. Bilden aber die Grenztöne eine
Symphonie, welche grösser als die Quarte, kleiner als die Octave
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3. Die Bestimmung der diaphonisehen durch symphonische Intervalle. 297
ist, so werden sie nothwendig in der Quinte symphoniren. Denn
die Quinte ist das einzige symphonische Intervall zwischen der Quarte
und der Octave.
Marquard S. 341. „Um darzuthun, dass die Quarte a— d 2'/s Ton im
„Umfang hat, wird von jedem der Grenzklänge aus von derselben eine grosse
„Terz abgenommen, also a— eis und d- b; da Gleiches von Gleichem wegge-
kommen ist, so müssen die ReBte auch gleich sein, d. h. d— cis = a — b. Von
„b aus wird nun eine Quarte nach oben genommen b— dis und von eis eine
„Quarte nach unten eis — gis. Wenn nun gis— dis dem Gehör als eine Quinte
„erscheint, so ist klar, dass die Quarte 2' „ Ton im Umfang hat. Der Klang
„gis nämlich wurde in der Quarte mit eis gestimmt, der höchste Klang aber
„dis stimmt (so wurde vorausgesetzt) mit gis in der Quinte, sodass die Differenz
„eis— dis ein Ganzton und in zwei gleiche Theile getheilt ist, von welcher
, jeder ein Halbton und die Differenz ist, um welche die Quarte die grosse
„Terz (den Zweiton) übertrifft. Also enthält die Quarte fünf Halbtöne = 2'/,
„Ton. Es wird nun noch bewiesen, dass jene beiden äussersten Klänge in
„einer anderen Consonnanz als der Quinte nicht symphoniren können. Die Sym-
„phonie der Quarte können sie nicht bilden, da zu beiden Seiten der ursprüng-
lichen Quarte noch die beiden Differenzintcrvalle gis— a und d— dis liegen;
„die der Octave auch nicht, weil die Quarte um weniger als einen Ganzton grösser
„ist als die grosse Terz. Da nun aber allgemein zugestanden wird, dass die Quarte
„grösser als zwei, aber kleiner als drei Ganztöne ist, so kann das Intervall,
„welches zur Quarte hinzukommt, nicht eine Quinte sein, die Summe daraus
„also auch nicht die Octave. Zwischen der Quarte und Octave liegt aber nur
„die Symphonie der Quinte, folglich müssen jene Klänge diese bilden, wenn
„sie überhaupt irgend eine bilden sollen."
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I
XII.
Die emmelischen Zusammensetzungen der Intervalle.
(Diastematische Stoicheia zweite Hälfte).
Vgl. Prooim. § 15. 16.
§ 15. „Wenn wir uns aber mit den zusammengesetzten Intervallen
„befassen, so müssen wir, da diese zugleich Systeme sind, auch über die
„Zusammensetzung der unzusammengesetzten Intervalle zu handeln im
„Staude sein."
§ 16. „Die meisten Harmoniker nun haben nicht einmal eingesehen,
„dass es noth wendig ist, dieser Zusammensetzung nachzuforschen, wie
„aus den früheren Vorlesungen klar geworden ist Von den Eratokleem
„ist nur dies bemerkt worden, dass sich das Melos von der Quarte aus
„aufwärts und abwärts, nach der Höhe und nach der Tiefe hin, zu einem
„zwiefachen Melos thcilt, ohne zu bestimmen, ob dies von jeder Quarte
„aus und weshalb es der Fall iat. Bei den übrigen Intervallen hat er
„nicht daran gedacht zu untersuchen, auf welche Weise das eine zun»
„andern gesetzt werde, auch nicht, ob eine feste Norm besteht, nach
„welcher ein jedes Intervall zum andern hinzugefügt wird , und ob aus
„ihnen auf die eine Weise Systeme gebildet werden können, auf die
„andere nicht, oder aber ob dies unbestimmbar ist. Denn über nichts
„von diesem allen ist eine Erörterung weder mit noch ohne Nachweis ge-
„gegeben worden. Und obwohl in der Zusammensetzung des Melos eine
„bewunderungswürdige Ordnung besteht, so fehlt es nichtsdestoweniger
' „nicht an solchen, welche durch die bisherigen Darsteller unserer Dis-
ziplin veranlasst, der Musik eine sehr grosse Unordnung beimessen.
„Und doch zeigt nichts anderes in der wahrnehmbaren Sinnenwelt eine
„so grosse und so wunderbare Ordnung. Unsere Darstellung wird das
„zeigen."
Mit diesen unseren Abschnitt XU ankündigenden Worten des Prooimions
haben wir das, was Aristoxenus § 43 gesagt hat, in Zusammenhang zu bringen :
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XII. Die emmelischen Zusammensetzungen der Intervalle.
299
„Es ist nicht genug, dass das Melos hermosmenon aus Intervallen
„und Tönen bestehe, vielmehr muss noch eine bestimmte und keines-
„wegs willkürliche Art der Zusammensetzung der Intervalle und Töne
„zu einander hinzukommen; denn aus Intervallen und Tönen zu be-
stehen ist etwas, welches mich in dem unharmonischen Melos vor-
kommt. Demnach ist als der bedeutendste Abschnitt, der für den ge-
„setzmässigen liestand des musikalischen Melos gewisserinaassen den
„Schwerpunkt bildet, derjenige anzusehen, welcher die Eigenartigkeit
„in der Aufeinanderfolge der Intervalle behandelt."
Die Reihe der Töne, welche die Natur, zunächst die menschliche Stimme
hervorbringt, ist eine unendliche. Der angeborene Kunstsinn des Menschen
verbindet sie zu wohlgefälligen Mclodieen. Wie steht es nun mit dem von
der Kunst benutzten Tonmateriale? Kann ein jeder Ton der unendlichen
Reihe nach Willkür zur Melodie herbeigezogen werden? Oder ist es aus dieser
unendlichen Reihe eine beschränkte Anzahl von Tönen, aus denen der Künstler
im einzelnen Falle eine Melodie bildet? Dass die Tonreihe bezüglich des
höchsten und tiefsten Tones eine begrenzte ist, hat Aristoxenus schon im Ab-
schnitt III erörtert. Aber ist innerhalb dieser Grenzen die Wahl der für
eine Melodie passenden Töne eine willkürliche? Lassen sich alle verwenden
oder hängt die Wahl von gewissen Beschränkungen d. i. Gesetzen ab? Die
Vorgänger des Aristoxenus in der Theorie des Melos nehmen Willkür an. So
berichtet Aristoxenus, und wir haben keinen Grund daran zu zweifeln. Das
war „die grosse Unordnung, die man der Musik beimass," während Aristoxenus
sagt: „Nichts anderes in der wahrnehmbaren Welt zeigt eine so grosse und
wunderbare Ordnung wie die Musik."
Kein geringere» als Plate ist der energische und begeisterte Vertreter
derselben Ansieht. Sein Timacus stellt die Construction der musikalischen
Scala geradezu als die That des göttlichen Denkens dar, an welche sich die
gesanimte Ordnung des Kosmos knüpft. Das göttliche Denken ist nach ihm
ein mathematisches: aus der geometrischen, arithmetischen und harmonischen
Proportion entwickelt der Demiurgos die Oktave, die Quinte und die Quarte
nach den Verhältnissen 1:2, 2:3, 3:4. Der Satz, welcher dem Plato dabei
vorschwebt, ist folgender (vergl. unsere griech. Harmonik 1867 S. 63—68):
Die Gesetzmässigkeit in den Tonscalen beruht in der Ver-
bindung mehrerer gleichförmiger Quarten- Systeme, welche
abwechselnd entweder unmittelbar oder durch Vermittelung
eines eingeschalteten Ganzton-Intcrvalles an einander ge-
fügt sind.
Quarte Quarte Quarte Quarte Quarte
, — — — v r ~ ,
hedef g a hedef g a hede
Ganzton Gauzton
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300
Aristoxenus zweite Harmonik § 69.
Diesen Satz spricht zwar Plato nicht mit direkten Worten, vielmehr ab
eine Art von Mysterion au«, aber es ist kein Zweifel, dass er in dessen mathe-
matischen Angaben enthalten ist. Auch die moderne Welt erkennt den Satz an.
Für das Ganzton-Intervall bleibt Plato die logische oder metaphysische
Entwickelung schuldig. Der Demiurgos leitet das Ganzton-Intervall 8 : 9 nicht
wie die symphonischen aus Proportionen ab; sondern ohne Vermittlung, gleich-
sam mechanisch, fügt er es den Quarte» hinzu. Der Ganzton sieht hier wie
hineingeschneit, wie ein Deus ex machina aus.
Ari8toxenus *) ist scharfsinnig genug, den Satz so zu gestalten, dass er
des Ganztones gar nicht bedarf, sondern bloss mit der Quarte und Quinte
fertig wird:
Die cmmelische Scala ist eine Tonreihe, in welcher jeder
vierte Ton mit dem vierten in der Quarte, jeder fünfte Ton
mit dem fünften in der Quinte symphonirt.
Dieser Satz ist nach Aristoxenus ein unbeweisbares Axiom. Aber mit
Zugrundelegung dieses Axiomes (auch noch ein ihm analoges von der Verbin-
dung der Tetraehorde wird als zweites Axiom hinzugenommen) gelingt es ihm
in der That, die Logik in den Tonscalcn nachzuweisen, nicht blos in den dia-
tonischen Scalen, sondern auch in den der modernen Musik fremden, den en-
hannonischen und chromatischen Scalen.
Alle Anerkennung dem überraschenden Scharfsinn des Aristoxenus, der von
den beiden auf die Quarte und Quinte basirten Axiomen in einer Reihe von
*) In den erhaltenen Trümmern seiner melischen Schriften führt Aristo-
xenus den Plato nur ein einziges Mal an, zu Anfang des Prooimions seiner
dritten Harmonik, wo von der Platonischen Vorlesung „rapi T<*ya9oy" berichtet
wird. Ausserdem scheint Aristoxenus des Plato in der ersten Harmonik Ab-
schnitt III in der offenbaren handschriftlichen Lücke § 35 gedacht zu haben,
wo er über die von Plato im Timaeus angenommenen Scalen von drei und
mehr Oktaven gesprochen zu haben scheint vgl. S. 233. Eine Stelle, au welcher
Aristoxenus von der ebenfalls im Timaeus entwickelten Scalcn-Constmction aus
Oktave, Quinte, Quarte und Ganzton gesprochen haben könnte, will sich in
unserem Abschnitte XII nicht finden lassen. Nicht ganz mit Unrecht scheint
daher Adrast in Proklus Commentare zu Piatos Timaeus p. 192 dem Aristoxenus
vorzuwerfen, dass er Piatos diatonische Scala unberücksichtigt gelassen habe.
Freilich ist es verkehrt, wenn Adrast hierbei Gelegenheit nimmt, den Aristo-
xenus zu tadeln, dass er sich rühme, zuerst eine andere Scala als die von den
früheren Theoretikern des Melos allein und einzig berücksichtigte enharmonische
Scala herbeigezogen zu haben. Denn es wäre kaum angegangen, hätte Ari-
stoxenus sich hierbei auf Piatos Timaeus berufen wollen. Aber für die in
Rede stehende Construction der Scala hätte Aristoxenus allerdings Plato die
gebührende Anerkennung zollen müssen. Auch bei Aristoxenus Lehrer Ari-
stoteles vermissen wir bei der Besprechung der Platonischen Idecnlehre (in der
Metaphysik) ein unbefangenes Eingehen auf das, was Plato gesagt. Aristoteles
MisBbehagen an Plato scheint sich auch auf den Schüler fortgepflanzt zu haben.
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Xfl. Die cmmelischcn Zusammensetzungen der Intervalle. 301
Problemata, deren eines aufs strengste aus dem anderen erwiesen wird, den
vollständigen Nachweis giebt, dass die Scala so und nicht anders construirt
sein müsse. Aber wir Modernen, die wir nothwendig die Voraussetzungen
unserer Musik als Massstab annehmen müssen, können von diesen scharfen
Deduktionen unmöglich befriedigt sein: wir können uns darüber freuen, aber
nicht dabei warm werden, weil für uns wenigstens die Quarte nicht die Be-
deutung hat, dass wir einem auf sie basirten Axiome eine so hohe Geltung wie
Aristoxenus und die alte Musik zu verstatten vermögen. Wissen wir doch
(geradezugesprochen) nicht einmal, was es auf sich hat, wenn die Alten in
der Quarte ein symphonisches Intervall empfinden. Das, was wir Consonnanz
nennen, ist die Quarte ja unmöglich. Um ein Axiom als berechtigt hinzustellen,
dazu müsste in aller erster Instanz auch unser musikalisches Gefühl seine Ein-
willigung geben. Und diese wird für die Quarte fehlen. Diese ganze Me-
thode der formalen Logik, welche Aristoxenus im Geiste des Aristoteles mit
glänzender Meisterschaft handhabt, ist für uns nicht beweisend, weil wir die
als Prämissen gesetzten Axiome als solche nicht gelten lassen mögen, da mui
einmal unsere wesentlich auf die Harmonie gegründete Musik eine andere als
die griechische ist.
Fügen wir noch hinzu, dass Aristoxenus die von ihm bewiesenen Sätze
als „Problemata" bezeichnet (z. B. 4 Prob. § 75, 6 Prob. § 78, 22 Prob § 97), dass
dagegen der Ausdruck Axiomata ihm noch unbekannt ist Vielmehr nennt er
was bei Euklid d^tcufiaTa heisst, „TtpoßX^|j.aTa txpyosiofj. " Man vergleiche
hierüber das Prooimion der dritten Harmonik, in welchem Aristoxenus (§ 31. 32.)
seine Methode der Darstellung, die er in den oroi^tia befolgt, genau darlegt.
Den „Eiugangsabschnittcn" ist die Darstellung nach npo^i^i-za fremd, da sie
die betreffenden Punkte bloss im Umrisse geben, ohne strikte mathematische
Beweisführung; aber den „Stoicheia" soll gerade diese mathematische Manier
eigen sein, wie er dritte Harmonik § 31 erklärt Da in der zweiten Harmonik
der Abschn. XI bereits zu dem zweiten, mit dem Namen Stoicheia zu bezeich-
nenden Haupttheile gehört, so durften wir auch für ihn voraussetzen, dass
er in Problemata geschrieben sei S. 293. Die Euklidische Form der Sätze § 62. 63.
64. 65 lässt daran keinen Zweifel.
Wie das VerhÄltniss der harmonischen Elemente des Aristoxenus zu den
geometrischen Elementen des Euklid aufzufassen ist — die Darstellung der
Problemata zeigt eine so durchgreifende Aehnlichkeit, dass Aristoxenus den
Euklid gründlich studirt zu haben scheinen könnte, wenn wir nicht wüssten,
dass Euklid der jüngere von beiden ist - -, dies ist bereits S. 165 angedeutet.
Dem sei noch hinzugefügt, was die neueste Untersuchung über Euklid, H. Hankel
zur Geschichte der Mathematik in Alterthum und Mittelalter 1874 über die
Elemente des Mathematikers angiebt.
„Der Begriff der S-rot^ela ist, so zu sagen, historisch entstanden, indem
man darunter die Untersuchungen zusammenfasste, welche bereits von älteren
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Aristoxenus zweit« Harmonik § 69.
Geometcrn vor Plato begonnen, und dann von den Piatonikern*) weiter ge-
führt und vollendet waren.
„Durch Euklid ist dann der Begriff der „Elemente" für alle Zeit festge-
stellt worden . . . Man kennt diese einfache strenge Forin der Darstellung,
welche von wenigen der Anschauung entnommenen Definitionen und Grund-
sätzen durch strenge Schlüsse von Stufe zu Stufe fortschreitet. In Bezug auf
die Reinheit dieses logischen Verfahrens ist Euklid immer und mit Recht als
ein klassisches, fast unerreichbares Muster anerkannt worden und hat früher
vielfach zur Exemplifikation der sogenannten formalen Logik dienen müssen.
Wenn mau auch geglaubt hat, dass Euklid diese Form selbst auch allererst
geschaffen habe, so widerspricht dies, wie wir gesehen haben, der Geschichte,
denn wir finden bei Aristoteles -die Logik bereits auf einer Stufe, welche kaum
denkbar wäre, wenn ihm nicht schon an der Mathematik ein Beispiel für die
Möglichkeit einer streng demonstrativen Wissenschaft vorgelegen hätte. Deun
ausser der Mathematik ist es niemals einer Wissenschaft gelungen, jenen
Charakter in Wahrheit anzunehmen . . . Euklid stand also bezüglich der Form
schon auf den Schultern seiner Vorgänger." H. Hankel zur Geschichte der
Mathematik 1874 S. 384 ff. „Es zeigt sich die höchst überraschende Thatsache,
dass das älteste Fragment der griechischen Geometrie (des Pythagorikers Hip-
pokrates aus Chios), welches 150 Jahre älter als die Elemente Euklides ist,
bereits den durch letztere typisch fixirten Charakter trägt . . . , die genaue
Erkenntnis» der Bedingungen eines Theorems, die Strenge der Schlussfolgeruiig^
die Sicherheit des Resultates, und in allen diesen Beziehungen giebt Hippo-
krates den späteren klassischen Geometern nichts nach." Ebendaselbst S. 112.
Die Darstellung des Aristoxenus in schien ganz nach der Art des Euklid
gefassten Problemen würde, da er früher als Euklid geschrieben hat, schon
für sich allein mit Notwendigkeit darauf hindeuten, dass man schon vor Eu-
klid in der diesem eigenen Weise zu denken und darzustellen gelernt hatte.
In diesem ganzen Abschnitte über die emmelischen Zusammensetzungen
der Intervalle findet Marq. S. 387— 38*J des Conunentars »echs Bedenken resp.
Widersprüche mit der Lehre des Aristoxenus, welche die Authenticität dieser
Partie im höchsten Grade fraglich erscheinen lassen.
*) „Piaton selber, Leodamas von Thasos, Theaetctus von Athen, später
Neoklides und dessen Schüler Leon, der wenig älter ist als* Eudoxus von
Knidos, Archytas Schüler — , dann die eigentlichen Schüler Piatos wie Amy-
klas von Heraklea, das Brüderpaar Mcnaechmus und Dinostratus , Theudius
von Magnesia, Kyzikenus von Athen und etwas später Hermotimus aus Kolo-
phon, Philippus von Mende." Hankel a. a. 0. S. 130.
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XII. Die emmelischeu Zusammensetzungen der Intervalle. 303
1. Das erste Bedenken betrifft die den Zusammenhang unterbrechende
Auseinandersetzung über die Lepsis dia Symphonias (oben S. 292). Nimmt
man mit uns die Verlegung eines Blattes der Handschrift an, so ist Alles
in allerbester Ordnung.
2. Das zweite Bedenken findet Marquard darin, dass statt des abhandeln-
den Praesens plötzlich ein erzählendes Tempus erscheint, vgl oben S. 177. Marq.
folgert daraus, dass die „Partie", in welcher diese Stellen sich finden, jeden-
falls nicht aus den Elementen stamme. Unsere Ansicht ist, dass wo Aristo-
xenus dort das erzählende Tempus gebraucht, es überall an seiner richtigen
Stelle ist.
3. Ferner böten einen Grund zum Verdachte die in der Ueberlieferung dem
Probl. 4 und 5 eingeräumten Orte. Aristoxenus aber sei nicht Urheber der
confusen Anordnung, vielmehr der Excerptor, welcher vielleicht aus verschie-
denen Aristoxenischcn Quellen die einzelnen Abschnitte nahm und sie zu-
sammenstellte, wie sie ihm gerade in die Hände kamen. „Ich habe daher im
Texte dieselben in die gehörige Ordnung zurückversetzt" Dass die Anordnung
in Marq. Texte und nicht die der handschriftlichen Ueberlieferung die bessere
iBt, halte ich für ausgemacht Aber warum kann die Verderbniss nicht eben
so gut ein Verschen des Librarius, als eine verkehrte Zusammenstellung Ari-
stoxenischer Abschnitte durch Marquards räthselhaften Excerptor sein?
4. Sodann müsse, meint Marquard, noch eine zweite Stelle des Textes
(Problem 8 der vorliegenden Ausgabe) uns bedenklich machen. Auch hier
glaubt Marquard den Text corrigiren, auch hier nicht den Abschreiber, sondern
den Excerptor für den fehlerhaften Text verantwortlich machen zu müssen.
Uusere Besprechung des betreffenden Problems hat zu erörtern, wer hier die
Fehler im Texte gemacht hat. Mit Vergnügen werden wir es constatiren,
wenn es nicht Herr Marquard selber ist, von dem sie herrühren.
5. Ebenso soll nach Marquard auf Rechnung des Excerptors zu setzen
sein, was sich in keiner Weise mit der Auffassung des Aristoxenus in Ueber-
cinstimmung setzen lasse, dass nämlich das 19. Problem erklärte: „im dia-
tonischen (le schlechte giebt es nach oben zu zwei verschiedene Nachbar-
intervallc."
Durch Aenderungen des Textes könne man aber hier nicht helfen. So
sagt Marquard. Wir müssen sagen, dass man durch Aenderung des Textes
diesem nur schaden könne; den Text muss man hier so lassen, wie er ist.
Denn Aristoxenus beschrankt sich mit diesem einen Probleme keineswegs auf
das diatonische Geschlecht Vielmehr steht von diesem ganz und gar
nichts im Texte, es ist erst ein eigenmächtiger Zusatz Marquards, den er (ich
weis nicht weshalb) gemacht hat
6. Noch mehr aber soll den sonstigen Angaben des Aristoxenus eine
Stelle widersprechen (27. Probl.), nach welcher eine Tetrachord-Eintheilung
e e g a
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304
Aristoxenus zweite Harmonik § 69.
angenommen werden müßse, von der sonst weder bei Aristoxenus noch bei
irgend einem seiner Compilatoren irgend eine Spur zu finden sei Dies soll
von allen Beweisen gegen die Aechthcit des Abschn. XII der schlagendste sein,
auf Grund dessen zunächst constatirt werden müsse, dass diese Sache nicht
in den „Elementen" gestanden haben, sondern von dem Excerptor nur anders
woher genommen sein könne. Der Unverstand des Excerptors könne auch
ganz fremde und dem Aristoxenus widersprechende Quellen benutzt haben u. s. w.
Es mag wohl möglich sein, dass Marquard im Augenblicke, wo er dies
niederschrieb, keine Parallelstelle für die angegebene Tetrachord-Eintheilung,
„ja nicht einmal eine Spur davon" hat finden können. In diesem Augenblicke,
wo es ihm darauf ankam, das Vorliegende als unaristoxenisch zu misscreditireu,
lag ihm nichts an einer Aristoxenischen Parallelstelle. Aber dass er eine
solche Parallclstelle aus Aristoxenus (oder vielmehr zwei derselben) zur Zeit
der Abfassung seiner Aristoxenus- Ausgabe gekannt hat, das steht über allen
Zweifel fest. Denn p. 38,7 und p. 76,3 seines Aristoxenischen Textes hat er
selber zwei Parallelen drucken lassen; er hat sie ins Deutsche übersetzt, hat
sie ausserdem mit einem kritischen Commentare begleitet und hat sie S. 335
des exegetesehen Commentares ganz richtig erklärt, wenn er dort sagt: „das
gemischte Tetrachord kann demgemäss nur so gestimmt sein
*
e e g a,"
womit Marquard zu den Aristoxenischen Worten p. 76,3; „y.at jap ai Toiaütoi
oiaip£aei; tö>v z'jxväv e^cXa; tpalvovxat" und p. 38,7: „Yifvtxat y%p l^eXe; re-
tpdyop&ov ix uapuirdr/j; ?e /pco|AaTtxf); ([JapuTipa; Ttvö« ty,; tj|Aitoviala;) ;rapv>-
itdtTj; xal oiaxövoj Xi/avoj rrj; ouvtovojtcItt;;," die er dem Sinne nach gauz
richtig herstellt, eine ebenfalls ganz richtige Erklärung gegeben hat, genau
durch Angabe desselben Tetrachordes e e g a, von dem er im Abschnitte von
der emmelischen Folge der Intervalle in der Scilla sagt „es sei sonst bei Ari-
stoxenus auch nicht eine Spur davon zu finden"!!!
In dem gesammten Abschn. XII, auf den Aristoxenus so viel Gewicht
legt, darf man nicht neue Aufschlüsse über das Sachliche des Melos
suchen (höchstens etwa Bestätigungen des schon früher von Aristoxenus
Vorgetragenen, wie z. B. eben der Tetrachord-Eintheilung e e g a); die ganze
Bedeutung dieses Abschnittes besteht iu der logischen Begründung der Inter-
vall-Reiheufolge auf <ler Scala.
Doch müssen trotz des abstrakten Inhaltes die Nachfolger des Aristoxenus
an dieser seiner Auseinandersetzung grosses Interesse genommen haben. Nur
so erklärt es sieh, dass die 28 Problemata einen Ueberarbeiler gefunden haben,
dessen Arbeit zum Theil in unserer Aristoxenus-Handschrift eine Stelle erhal-
ten und die genuinen Worte des Meisters verdrängt hat. Es ist auf dem Wege
der Handglossen geschehen, die sieh endlich in den Text eingedrängt haben.
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XII. Die emnielischen Zusammensetzungen der Intervalle.
305
Diese den genuinen Aristoxenus-Text mehrfach entstellende Umarbeitung
zeigt sich vom 9. Problem an. Dort werden wir die Veranlassung und die
Intention der Umarbeitung angeben. Aber es ist die Logik der 28 Problemata
eine so eng und fest in sich geschlossene, eine so Euklidisch-mathematische, dass
es nicht schwer wird zu sagen, was bei Aristoxenus gestanden haben muss,
ehe die Zusätze aus der Umarbeitung hinzugefügt waren.
Ueber die Methode seiner Erörterung gibt Aristoxenus im Problem 22,
nachdem er interpellirt worden, eine Erklärung ab.
Zwei Axiome.
1. Problem (als erstes Axiom).
§ 70. Es wird nun der erste und noth wendigste von den
Punkten, welche sich auf die emmelischen Zusammensetzungen der
Intervalle beziehen, zu bestimmen sein.
Wenn man in einem der drei Tongeschlechter*) durch die auf-
einander folgenden Scalatöne auf und abwärts geht, einerlei von
welchem Tone man anlangt, so bildet jedesmal entweder der vierte der
auf einanderfolgenden Scalatöne mit dem ersten die Quartensymphonie,
oder der fünfte mit dem ersten die Quintensymphonie, (oder zu-
gleich mit dem vierten die Quarte, mit dem fünften die Quinte).**)
Ein Ton, bei welchem keines von beiden der Fall ist, der gelte als
ekmelisch in Beziehung zu jedem vierten oder fünften Ton, mit
dem er nicht in der Quarte oder Quinte stimmt
Man muss aber wissen, dass das Gesagte für die emmelische
Zusammensetzung des Systemes aus Intervallen nicht ausreicht.
Denn wenn auch die betreffenden Klänge die angegebenen Quarten-
oder Quinten-Intervalle bilden, so kann das System trotzdem ekme-
lisch construirt sein; doch wenn jenes Erfordernis* nicht stattfindet,
so hat alles übrige keine Bedeutung mehr.
Deshalb ist das angegebene als erstes Princip aufzustellen, bei
dessen Nichtvorhandensein auch kein Hermosmenon vorhanden sei.
*) Fv ravri hi fhei der libb. muss heissen 'Ev navxi oi\ fivei.
**) Aus der ersten Harmonik zu ergänzen rj dy-yMpaiz.
2. Problem (als zweites Axiom).
§ 71. Dem erörterten ersten Sat/e analog ist derjenige von
der Stellung der Tetrachurde zu einander.
Ariitoieuut, Melik u. Rhythmik. 20
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306
Aristoxenus zweite Harmonik § 71.
1) entweder müssen sie mit einander symphoniren dergestalt,
dass ein jedes Tetrachord mit jedem der übrigen Tetrachorde irgend
ein symphonisches Intervall (entweder die Quinte oder Quarte)
bildet*);
2) oder es müssen die (mit einander nicht symphonirenden)
Tetrachorde jedes mit ein und demselben (dritten) Tetrachorde sym-
phoniren, welches zwischen den beiden in der Mitte liegt — sie
schliessen sich nämlich nicht aneinander, vielmehr an derselben
Stelle an das dritte, mit welchem sie symphoniren**).
Aber auch dies ist noch nicht ausreichend, wenn die Tetra-
• chorde ein und desselben Systemes emmelisch sein sollen; denn
dazu bedarf es noch einiger anderer weiterhin zu besprechender
Erfordernisse***). Doch wenn es nicht der Fall ist, ist alles übrige
unnütz.
*) Die mit 1) bezeichnete Eigenschaft ist diejenige des diazcuktischen
Systems, z. B.
A Hcdcfgahcdefga
Wir setzen die vier Systeme, welche unten mit dem Tone H (der Hypate
hypaton) anfangen, über einander, indem wir dem höchsten die oberste Reihe,
dem tiefsten die unterste anweisen.
1. Tetrach. hyperbol ^ f e f g a "j . . . ^
2. Tetrach. diezeugm. ^ ^ b c d e VIII j
3. Tetrach. meson [ e f g a J \ VI11 + IV-
IV '
4. Tetrach. hypaton ^ H c d c . . . . j
Das 1. Tetrachord stimmt mit dem 2. in der IV. (Quarte), und zwar so, dass
der erste Ton des 1. mit dem ersten Ton des 2., der zweite Ton des 1. mit
dem zweiten Ton des 2. eine Quarte bildet. In analoger Weise stimmt das
2. mit dem 3. in der V (Quinte), das 3. mit dem 4. in der IV (Quarte), das 1 .
mit dem 3. in der VIII (Octave), das 2. mit dem 4., ebenfalls in der VIII, das
1. mit dem 4. in der VIII + IV (Combination der Octave und Quarte).
**) Um die Stelle zpö; tö aÜTO cvacptoveiv jjl^j inl t<]> aut^» tdirtp ouveyjrj £vto <u
ajfjt'f tuvet iViTepov em&v hat sich Marq. im kritisch. Comment. S. 168 sehr ver-
dient gemacht, indem er zeigt, dass [a-J] gerade das Gregentheil von dem be-
sagt, was hier erforderlich sei. Aber ich möchte nicht seinem Vorschlage ge-
mäss das bedenkliche Wort streichen, vielmehr eine handschriftliche Lesart
V-^i eyöfxeva, dX).'^ i-i t<j> aoTip t6r«p G-jvEyf] tfvra voraussetzen.
***) Die mit 2) bezeichnete Eigenschaft ist diejenige des Synemmenon-
Systems, z. B.
AHcdef gab cd.
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XII. Die emmelischen Zusammensetzungen der Intervalle. 307
Setzen wir auch hier die drei Tetrachorde, wie vorher, unter einander:
1. Tetraclu synemmcnon jy r a ^ c d • . . '
2. Tetrach. meson l e f g a ■ VII.
3. Tetrach. hypaton H c d e . . .
Das 1. und 3. stehen in keiner Symphonie, sondern in einer Diaphonie,
denn sie bilden eine kleine VII (Septime): H a, c b, d c, e d. Aber sowohl
das 1. wie das 3. syniphonirt mit dem dazwischen gesetzten 2. Tetrachorde in
der IV (Quarte).
Denken wir nun folgende Toureihe:
H c d e fis g a h eis d e fis,
so wird dieselbe den Anforderungen des 2. Problem entsprechen: wir schreiben
auch diese wie die beiden vorausgehenden Scalen so, dass wir die Tetra-
chorde über einander stellen:
1. eis d e fis 1
2. ) fis g a h | IX.
3. ^ H c d e J
Den Anforderungen des Satzes 2} stimmt das oberste und unterste Tetrachord,
die untereinander in der IX diaphoniren, mit dem mittleren Tetrachorde in der V
symphouiren. Dennoch aber ist die vorstehende Scala von H bis fis ekmelisch
(die drei Tetrachorde sind nicht emmclisch verbunden).
Wir fragen, worin liegt das, dass die Tetrachorde dennoch nicht emmelisch
verbunden sind? Darf man hier antworten: weil etwas, was ebenfalls in dem
Satze 2) angedeutet, bei unserer Tonreihe nicht vorhanden sei? Die drei
Tetrachorde unserer zweiten Tonreihe (A bis d) sind in der Synaphe, die drei
Tetrachorde in der dritten Tonreihe (H bis fis) sind diazeuktisch aneinander
gereiht, und eben hierin mus es liegen, dass ihre Aneinanderfiigung ekmelisch ist.
In dem Satze 2) finden wir die Worte: £v Tip cit«) *z6r.<p ouveyf, äyt«
t]j syjx'.pamr ixdtepov aitAv. Sie haben den Anschein, als ob sie blos dies be-
deuten sollten, dass sich das obere und untere Tetrachord an das mittlere, mit
welchem sie symphoniren, in der o-jvatpjj anschliessen sollten. Doch würde man
alsdann toj ai-roü y%6noj xotvaovl*;, oder auch wohl titi toü outoü t<5toj
xotvovia; erwarten, wie es weiterhin heisst: t<5w>u t£ ?tvo; xotvajvet toL tö»v e£f;
Auch folgende ' Tonreihe :
AHcdefgab edeslg
*■ * <
ist wie die vorige ekmelisch, aber auch sie entspricht den Anforderungen des
Problem 2,2) aufs genaueste:
L IV f d 68 f ^ • ' • 1
2. 1 L a b c d | VII
3. r e i g a
c d e
4. IV ( H
20«
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308
Aristoxenus zweite Harmonik § 71.
Denn die unter sich in der VII diaphonirenden Tetrachorde 1 und 3 sympho-
niren jedes mit dem dazwischen stehenden 2. Tetrachorde in der IV, und ebenso
die unter sich in der VII diaphonirenden Tetrachorde 2 und 4 symphoniren
jedes mit dem 3. Tetrachorde in der IV. Ausserdem findet auch die töttou
xoivtuvtv statt; auch kommen hierbei ferner die Anforderungen des 1. Probleme»
zu ihrem Rechte. Aber die ganze Tonreihe ist wie gesagt ekmelisch. Hier
also wird eintreten, was Aristoxenus zum Schlüsse des Problem 2 sagt: Es
seien diese Erfordernisse nicht ausreichend, es bedürfe dazu noch einiger anderer
Erfordernisse, von denen im weiteren Fortgänge die Rede sein werde.
Es muss zufolge dieses Selbstcitates in dem von den Systemen handelnden
Abschnitte XII, und zwar in der von Aristoxenus an einer anderen Stelle
citirten Partie von der ojvöcoi; der Systeme der Satz enthalten gewesen sein,
dass, wenn vier Tetrachorde aneinander gereiht werden, zwischen dem 2. und 3.
(von der Tiefe an gerechnet) oder zwischen dem 3. und 4. eine Diazeuxis
bestehen müsse, also
AHc d ef gahe d efga,
V 'V l\ <V '
oder
A Hcdefgabedefga.
Diesem (später dargelegten) Erfordernisse trägt die obige Scala von A bis g
(aus vier Tetrachorden mit Diazeuxis nach dem zweiten oder dritten bestehend)
keine Rechnung und ist deshalb ekmelisch.
Marq. S. 340 sagt mit Bezug auf jenen Schluss des 2. Problems: „Was
Aristoxenus übrigens mit den anderen Dingen meint, deren es noch für die
Zugehörigkeit der Tetraehorde zu einem System bedürfe, ist bei dem tiefen
Schweigen, welches andere Schriftsteller über diesen Punkt beobachten, uicht
mehr zu errarhen." Wir machen den Anspruch, diese übrigen Erfordernisse,
an welche Aristoxenus denkt, aus dem Zusammenhange der Aristoxenischen
Darstellung mit Hülfe von etwas Combiuation aufgefunden zu haben. Es ist
das nun einmal die Eigentümlichkeit des Aristoxenischen Denkens, welches
vorwiegend ein logisch-mathematisches ist, dass wir unter strengster Festhaltung
der von ihm angewandten Methode auf Grund seiner Prämissen nothwendig
zu richtigen Consequenzen gelangen müssen, aus denen wir Vieles von dem
in den Handschriften Verlorenen mit Sicherheit restituireu können. Nur die
mathematische Methode macht dies möglich, in der Harmonik nicht minder als
in der Rhythmik, von der wir ja weit mehr echter Aristoxenischer Doctrin
besitzen, als uns in den verstümmelten Handschriften Überkommen ist. Bei
keinem anderen antiken Schriftsteller würde dies iler Fall sein können.
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XII. Die emmeliseheu Zusammensetzungen der Intervalle. 309
ZWEITES BUCH.
Die meisten Handschriften (wie es scheint) geben nicht die Ueberschrift
zweites Buch, sondern drittes Buch, vgl. S. 170.
Dass gerade an dieser Stelle in dem Werke des Aristoxenus ein neues
Buch beginnt, dass innerhalb des Abschnittes XII die beiden ersten Proble-
mata noch dem ersten, die folgenden 26 Problemata aber dem zweiten
Buche zugewiesen sind, dürfte wohl, wir gestehen es, ein Bedenken erregen.
Aber der handschriftlichen Ueberlieferung zufolge beginnt nun einmal an dieser
Stelle ein neues Buch, und wir werden in dieser Beziehung den Aristoxenus
wohl nicht nachbessern dürfen. Auch die Harmonik des Ptolemaeus bietet die
nämlichen Inconvenienzen. Denn auch hier würde das letzte Capitel des
ersten Buches nach unserem Ermessen mit dorn ersten Capitel des zweiten
Buches im untrennbaren Zusammenhange zu stehen scheinen. Eben dasselbe
bemerken wir ferner auch bei der Grrenzscheide des zweiten und dritten
Buches der Ptolemaeischen Harmonik, denn die Uebertragung der Harmonik
auf die Astronomie, welcher der Schlusstheil der Ptolemaeischen Harmonik
gewidmet ist, beginnt bereits im dritten Capitel des dritten Buches , während
das erste und zweite Capitel desselben dem Inhalte nach sich eng an das im
zweiteu Buche Behandelte anschliessen. So wollen wir auch dem Aristoxenus
die auffallende Abtheilung nach Büchem hingehen lassen. In der ersten
Harmonik des Aristoxenus gehört der sehr deeimirte Abschnitt XII dem ersten
Buche, in der zweiten Harmonik würde also nur der Anfang dieses Abschn. XII
dem ersten Buche zugewiesen sein, die ungleich umfangreichere Fortsetzung
des Abschn. XII dagegen dem zweiten Buche. Beiden harmonischen Werken
des Aristoxenus wäre also bezüglich ihrer Einteilung in Bücher gemeinsam,
dass die Abschnitte I bis XI dem ersten Buche angehören, dass auch
Abschn. XII in der ersten Harmonik gänzlich (wenigstens sämmtliche
Fragmente, welche davon erhalten sind) noch dem ersten Buche augehört,
in dem 2. harmonischen Werke des Aristoxenus dagegen nur der erste An-
fang des Abschn. XII dem ersten Buche zugewiesen ist, nämlich die beiden
Axiome, auf deren Grundlage die Probleme über die Intervall-Reihenfolge
bewiesen werden.
Die Disposition der Probleme ist nun folgende (von Aristoxenus reiflich
geplante, wie dessen Vorbemerkung zu Probl. 14 zeigt):
I. Zwei Probleme über Synaphe und Diazeuxis.
3. Probl. Die Tetrachorde sind entweder verbundene oder getrennte.
4. Probl. Bios die Theile des Quarten-Tetrachordes sind veränderlich,
das Diazeuxis-Intervall ist unveränderlich.
II. Erstes Problemen-Paar über die einfachen Intervallgrössen.
5. Probl. Das unzusammengesetzte Intervall ist von zwei aufeinander
folgenden Klängen der Scala umschlossen.
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310 Aristoxenus zweite Harmonik. § 72.
6. In jedem Tongeschlechte giebt es höchstens so viel unzusammengesetzte
Intervallgrössen wie in dem Quinten-Pentachorde.
III. Sieben Probleme über die Aufeinanderfolge gleicher Inter-
vallgrössen.
7. Probl. Auf ein Pyknon kann nicht wieder ein Pyknon folgen.
8. Probl. Der tiefere Grenzklang des Ditouos-Inteivalles ist identisch
mit dem höchsten des Pyknon, der höhere mit dem tiefsten Grenz-
klange des Pyknon.
9. Prubl. Der höhere Grenzklang eines Ganzton-Intervalles ist der tiefste
eines Pyknon.
10. Probl. Auf einen Ditonos kann nicht wiederum ein Ditonos folgen.
11. Probl. Im Enharmonion und Chroma benachbart nicht zwei Ganztöne
12. Probl. Im Diatonon können drei Ganztöne aufeinander folgen.
1 3. Probl. Im Diatonon können nicht zwei Halbtöne nebeneinander stehen.
IV. Fünf Probleme über die Aufeinanderfolge ungleicher Inter-
vallgrössen.
14. Probl. Neben einem Ditonos oben und unten ein Pyknon.
15. Probl. Neben einem Ditonos ein Ganzton blos unterhalb.
16. Probl. Neben einem Pyknon ein Ganzton blos unterhalb.
17. Probl. Im Diatonon der Halbton nicht zugleich oberhalb und unter-
halb des Ganztones.
18. Probl. Neben einem Halbtone ober- und unterhalb 2 oder 3 Ganztöne.
V. Vier Probleme über die Anzahl der unteren und oberen Nach-
barintervalle
19. Probl. des Halbtones,
20. Probl. des Ditonos,
21. Probl. des Pyknon,
22. Probl. des enharmonischen Ganztones.
VI. Vier Probleme über die Theile des Pyknon.
23. Probl. In der Synaphe gehört jeder enharmonische und chromatische
Klang dein Pyknon an.
24. Probl. Drei verschiedene Chorai für die Klänge de« Pyknon.
25. Probl. Beim Barypyknos zwei Nachbar kl An ge, beim Mesopyknos und
Oxypyknos nur ein Nachbarklang.
26. Probl. Zwei ungleichnamige Kliinge des Pyknon haben nicht dieselbe
Tonstufe.
VII. Zweites Problemen- Paar über die unzusammengesetzten In-
ter vallgrö8sen. '
27. Probl. Das Diatonon hat entweder zwei oder drei oder vier unzu-
sammengesetzte Intervallgrössen.
28. Probl. Das Chroma und das Enharmonion hat entweder drei oder
vier verschiedene unzusaminengcsetzte Intervallgrössen.
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XII. Die emmelischen Zusammensetzungen der Intervalle. 311
Zwei Probleme über Synaphe und Diazeuxis.
(„7:f>ößX7)!Aau genannt in §. 76).
3. Problem.
§ 72. Die auf einander folgenden Tetrachorde sind entweder
verbunden oder getrennt (synemmena oder diazeuktisch). Verbindung
(Synaphe) heisse es, wenn zwei in der Scala auf einander folgende
Tetrachorde, welche dem Schema nach analog sind, in der Mitte
einen Klang gemeinsam haben. Trennung (Diazeuxis), wenn zwischen
zwei in der Scala aufeinander folgenden Tetrachorden, die dem Schema
nach analog sind, ein Ganzton in der Mitte steht.
efgabcd efga hcde
Synaphe Diazeuxis.
Beweis:
Dass bei benachbarten Tetrachorden eines von beiden Statt
finden muss, ergiebt sich aus dem zu Grunde gelegten (lsten Problem
5 70).
Denn stimmt der erste mit dem vierten Klange in der Quarte,
so bildet er eine Synaphe.
Synaphe
e f g i\ b c d
' •!
Stimmt aber der erste mit dem vierten nicht in der Quarte, sondern
statt dessen mit dem fünften in der Quinte, so bildet er eine
Diazeuxis.
Diazeuxis
' v ' \
e f g a he d e
! I
! —
Der Klang f bildet mit h (dorn vierten von ihm) nicht eine Quarte, sondern
einen Tritonus, dagegen mit dem fünften c eine Quinte. So findet vor der
höheren Grenze des Tritonus-Intervalles f h ein diazeuktischer Ganztoii a h statt.
Eines von den beiden letzteren wird bei den (benachbarten)
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312
Aristoxenus zweite Harmonik § 73.
Klängen der Fall sein, es wird daher auch bei den benachbarten
Tetrachorden Eines von den beiden zuerst angegebenen stattfinden.
Zusatz:
§ 73. Jetzt war einer von den Zuhörern bezüglich der Auf-
einanderfolge in Zweifel, zunächst im Allgemeinen, worin (bei den
Systemen) die Aufeinanderfolge bestehe, dann ob sie bloss auf Eine
oder auf mehrere Weisen vor sich gehen könne, drittens ob etwa beides,
die (a)Synemmena und die ;b) Diezeugmena, eine Aufeinanderfolge seien.
Hierauf wurden nun etwa folgende Auseinandersetzungen ge-
geben.
Im allgemeinen seien diejenigen „aufeinander folgende" Systeme,
deren Grenzklänge (b) einander folgen oder (a^ dieselben sind.
Von der Aufeinanderfolge gebe es aber zwei Arten, (a) die eine,
(wo mit der tieferen Grenze des höheren Systemes die) höhere (Grenze
des tieferen Systemes zusammenfällt), (b) die andere, bei welcher der
tiefere Grenzklang des höheren Systemes auf den höheren Grenzklang des
tieferen Systemes folgt. Bei (a) der ersten Art haben die Systeme der
aufeinander folgenden Tetrachorde eine Stelle gemeinsam und sind
noth wendig einander ähnlich, bei (b) der zweiten Art sind sie von ein-
ander gesondert und die Schemata (eiör,) der Tetrachorde können
ähnlich sein. Dies ist der Fall, wenn ein Ton in der Mitte liegt,
anders nicht.
Mithin folgen zwei derartige ähnliche Tetrachorde auf einander,
zwischen denen entweder (b) ein Ganzton-Intervall in der Mitte liegt
oder (a) deren Grenzklänge identisch sind, so dass die aufeinander-
folgenden Tetrachorde, wenn sie ähnlich sind, nothwendiger Weise
entweder (a) synemmena oder (b) diazeugmena sein müssen.
§ 73b. Wir behaupten aber, dass zwischen zwei aufeinander-
folgenden Tetrachorden entweder kein Tetrachord in der Mitte sein
darf, oder kein unähnliches.
Sind die Tetrachorde dem Schema nach ähnlich, so wird kein
unähnliches in die Mitte derselben gesetzt.
Sind sie unähnlich, folgen sie aber aufeinander, so kann in die
Mitte derselben ein Tetrachord gesetzt werden.
Aus dem Gesagten ergiebt sich, dass Tetrachorde von gleichem
Schema in den zwei genannten Weisen aufeinander folgen können.
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XII. Die cmmelischen Zusammensetzungen der Intervalle. 313
Ueber den Zusatz zu diesem Probleme sagt Marq. S. 342: „Die Zweifel,
„welche hier gegen die Definition erhoben werden, erscheinen uns freilich
„etwas schülerhaft." Wir geben gern zu, dass der Zuhörer, welcher den
Aristoxenus hier interpellirt , bei weitem nicht den Scharfsinn verräth, wie
derjenige Zuhörer, auf dessen Bedenken Aristoxenus in § 53 b. der zweiten
Harmonik eingeht. Marq. meint ferner „Vielleicht hat nur die Neuheit der
„Behandlung solcher Puncte das Verständnis» erschwert. Dies zu erleichtem
„dient allerdings die Ausdrucks weise in der folgenden Beantwortung des
„Aristoxenus nicht. Denn wenn gesagt wird, solche Tetrachorde seien zu-
sammenhangend, deren Grenzklänge entweder auf einander folgen oder in
„einander übergehen, so ist der Ausdruck t;f(; nicht gut gewählt, da es ja
„jedem Leser oder Hörer hiernach so seheinen muss, als ob jener Ausdruck
„d. h. eine Aufeinanderfolge nur von der Trennung gelte, nicht aber von der
„Verbindung. Das Unzuträgliche liegt mithin darin, dass dasselbe Wort erst
„zur Bezeichnung des Allgemeinen und als ternünus technicus, nachher da-
„gegen für die eines Besonderen und in gewöhnlicher Bedeutung verwandt
„wird. Erhöht wird die Undeutlichkeit für Xiehteingeweihte noch dadurch,
„dass unmittelbar darauf das Wort wieder in jener ersten, allgemeinen Weise
„gebraucht wird, wo die Art der Anknüpfung erst recht zu einem Missver-
„ständniss führen könnte, welches dann erst durch die folgende Auseinander-
„legung beseitigt werden würde. Die Entschuldigung für solche kleine Mangel
„liegt doch wohl in der Schwierigkeit, gleich beim ersten Anlauf den Stoff
„völlig zu bewältigen und den Sprachgebrauch bestimmt zu fixiren.'*
Ueber das, was Marq. für Mängel der Aristoxenischen Darstellung hält,
wird man richtig urtheilen, wenn man die drei Fragen, welche der Zuhörer an
Aristoxenus richtet, sieh gehörig klar macht:
1. Worin besteht im Allgemeinen „to £?-?,;''? Er meint hier .,-ro e;f(; izi
:äv avsTTifAd-ajv" d. i. die continuirliche Aufeinanderfolge nicht der Inter-
valle, sondern der Systeme, wie aus dem Anfange der von Aristoxenus in der
Antwort gebrauchten Worte hervorgeht: „x*9äXou tau-ra givat vwi^i-a auve/f/*.
Wir werden daher wohl in unserem Rechte sein, wenn wir annehmen, dass
dieser Antwort analog auch die Frage gelautet habe, also nicht blos „xadoXov
ti no-:' iort tä sondern dass der fragende Zuhörer hinter „to t?^;" etwa
noch die Worte ,,-rö ItI töjv ojrrr^dzoiv" hinzugefügt habe, welche in der
handschriftlichen Ueberlieferung dieser Stelle ausgefallen sind. Aristoxenus
gibt auf diese Frage die Auskunft: xa8<5).ou tiüt ctvat O'jsTT.fiara ouve/f,, u>v
ol 3poi f,?oi £;f)« ebiv r, £-o).XaTT0U3i". Wie dies Gogavinus und ihm folgend
auch Meibom übersetzt hat: „In Genere illa esse systemata continua, quorum
termini aut deineeps sint aut alternent" Meib.. sind freilich die Worte des
Aristoxenus nicht richtig zu verstehen. Marq. und Ruelle geben das Richtige:
„Im Allgemeinen seien die Systeme zusammenhängend, deren Grenzklänge
entweder aufeinander folgen oder in einander übergehen'', ,,En general, tels
Systeme* sont Continus lorsque leurs limites sont ou successives ou bien ran-
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314
Aristoxenus zweite Harmonik § 74.
tuelles". Wer die weiteren Worte des Aristoxenus verfolgt, dem wird not-
wendig klar werden, dass die zweite der in der Beantwortung der ersten
Frage aufgestellten Alternativen nur den von Marq. und Ruelle angegebenen
Sinn haben kann.
2. Die zweite Frage des Zuhörers war: „Findet bei den Systemen das
e;7j; auf eine einzige Weise oder mehrere Weisen statt?" Hierauf antwortet
Aristoxenus: „xoO 5' ££f,; (etvoi i* wzxr^na) ouo -pdrot etolv". Hier ist frei-
lich wie Marq. sagt das Wort i*ffi in einem anderen Sinne aufzufassen, als
wie in dem unmittelbar Vorhergehenden : ol 3poi fcot i;f(; elsiv. Denn dort war
von dem ecfj; der Grenzen des uiazcuktischen Tones die Rede, lüer von dem
sowohl die Diazeuxis wie die Synaphe umfassenden e;^; der Tetrachord-Systeme,
wie oben erklärend von mir augegeben ist ,.ToO 6' cgijt (cnat xd ou<jx-fjf*axa) &0o
xpöroi efolV, obwohl ich nicht behaupten will, dass die eingeklammerten Worte
dem handschriftlichen Texte hinzuzufügen seien, denn auch ohne solchen Zu-
satz kann Aristoxenus nicht wold missverstanden werden. Nur Eines möchte
man bei Aristoxenus anders wünschen können.
Er ist zuletzt gefragt worden in der Reihenfolge: a. Synem-
mena, b. Diazeugmenä*. In der allgemeinen Beantwortung hält er die
umgekehrte Reihenfolge ein: b. Diezeugmena, a. Syneminena. In der spcciellen
Erörterung zuerst zweimal die alte Reihenfolge ab. Mit den
Worten: „Mithin folgen" wieder die umgekehrte Reihenfolge ba;
beim Totalschluss Rückkehr zur ursprünglichen Ordnung; wie
dies Alles in der Uebersetzung angedeutet ist. Doch ein wirkliches
Missverständniss kann durch diesen Wechsel in der Reihenfolge nicht ent-
stehen. Einen Grund dazu wird Aristoxenus wohl gehabt haben. Denn mit
Rücksicht auf den ihn interpellirenden Zuhörer und im Anschlüsse an die
Frage hat er, wie es scheint, zuerst die diazeuktische Aufeinanderfolge der
Systeme berücksichtigt, bei welcher das e;f(; mehr als bei der Synaphe dem
i^; der Intervalle entspricht. Dann aber, beim näheren Eingehen auf die
Bedenken, redet er Dezüglich der beideii xp<$™ in der beim Anfange des
Problemes 3 von ihm eingehaltenen Reihenfolge: Synaphe und Diazeuxis. Erst
beim Abschluss seiner Entgegnung nimmt er wieder die Reihenfolge auf (Dia-
zeuxis und Synaphe), in welcher er anfänglich, der Fassungskraft des inter-
pellirenden Zuhörers entgegenkommend, seine Beantwortung gehalten hat
Wollen wir der Concinität der Aristoxenischen Darstellung einen wirk-
lichen Vorwurf machen, so kann dies nur der sein, dass der dritten Frage des
Interpellirenden :
3. „ob etwa beides, sowohl Synaphe wie Diazeuxis, eine continuirliche
Aufeinanderfolge sei" nicht weiter gedacht wird. Denn sachlich auf diese
dritte Frage einzugehen, war nicht nöthig, da sie durch die Beantwortung der
zweiten Frage vollkommen erledigt war.
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XII. Die emmelischen Zusammensetzungen der Intervalle.
315
4. Problem.
§ 74. Bei dem Unterschiede der Tongeschlechter sind bloss die
Theile des Quarten-Intervalles veränderlich, dass der Diazeuxis an-
gehörende Intervall ist unveränderlich.
Beweis: Jedes Hermosmenon, welches aus mehr als einem Te-
trachorde besteht, hatten wir in die Synaphe und die Diazeuxis ge-
theilt (Probt 3). Die Synaphe besteht blos aus den unzusammen-
gesetzten Theilen (der Quarte), sodass also in diesem nothwentlig
nur die vier Theile des Quarten-Tetrachordes veränderlich sein
werden. Die Diazeuxis hat aber ausser diesen noch ein eigenes
Intervall, den Ganzton. Wenn nun gezeigt wird, dass der der Dia-
zeuxis eigene Ganzton bei der Unterscheidung der Geschlechter
nicht veränderlich ist, so bleibt offenbar nur übrig, dass die Aende-
rung sich nur auf die vier Theile der Quarte bezieht.
Es ist der tiefere der das Ganzton-Intervall umschliessenden
Klänge identisch mit demjenigen von den beiden Klängen, welche
das tiefere der in der Diazeuxis stehenden Tetrachorde um-
fassen; der höhere Grenzklang des Tetrachordes aber war (nach § 50)
unveränderlich bei dem Unterschiede der Tetrachorde. Der tiefere
von den das diazeuktische Ganzton-Intervall umschliessenden Klängen
ist identisch mit dem tieferen von den beiden Klängen, welche das
höhere der in der Diazeuxis stehenden Tetrachorde umschliessen.
Nicht weniger war auch dieser bei dem Unterschiede der Tetra-
chorde ein unveränderlicher (nach § 50).
Ist es also klar geworden, dass die den diazeuktischen Ganz-
ton begrenzenden (Klänge) bei dem Unterschiede der Tongeschlechter
unveränderlich sind, so bleibt offenbar nur dies übrig, dass blos die
Theile der Quarte bei den genannten Unterschieden veränderlich sind.
Auch hier erklärt sieh Marq. S. 345 mit der Darstellung des Textes für
unbefriedigt: der Ausdruck passe nach Aristoxenischer Anschauung nicht
recht . . . „man müsste denn xerrdjiajv „vier" als einen Fehler ansehen und
-rpt&v „drei** schreiben; doch befriedigen solche Verbesserungen nicht recht,
weil sie eben gar zu sehr auf der Oberfläche liegen". Marquards Unzufrieden-
heit wird durch einen in dem von Aristoxenus geführten Beweise stehenden
Ausdruck erregt. Dass die von Marq. vorgeschlagene Aenderung von „vier"
in „drei" gar zu sehr auf der Oberflftchc liegen würde, darin geben wir ihm
Recht. Aber ebenso nahe würde es gelegen haben, den anstössigen Ausdruck
des Beweises mit dem analogen Ausdrucke des zu beweisenden Lehrsatzes zu
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316
Aristoxenus zweite Harmonik § 75— T8.
vergleichen: da würde sich gezeigt haben, dass in dem Beweise etwas anderes
als im Lehrsätze gesagt ist. Marq. brauchte aus den Worten des Lehrsatzes
in die des Beweises nur ix (xd>v toü otd) Teaaipmv ptpröv fxova, eine Verbin-
dung, die zu allem Ueberflussc auch noch in dem unmittelbar darauf fol-
genden Satze des Beweises wiederholt wird, einzuschalten, so hätte er sich
durchaus zufrieden stellen können. Alle Anerkennung Ruclles französischer
Uebersetzung, dass sie die Notwendigkeit dieser Einschaltung erkannt hat.
Erstes Problemen-Paar über unzusammengesetzte Intervallgrössen.
5. P r o b 1 e m.
(„rip'JßX^jjia" genannt § 76).
§ 75. Ein unzusammengesetztes Intervall ist dasjenige, welches
von zwei aufeinander folgenden Scalatönen umschlossen wird.
Beweis: Sind die Töne, welche umschliessen, aufeinander fol-
gende Scalatöne, so giebt es keinen, der zwischen ihnen fehlt. Fehlt
keiner, dann giebt es keinen, welcher zwischen sie fallen müsste.
Kann keiner dazwischen fallen, dann wird er auch keine Theilung
machen, was aber keine Theilung hat, wird auch keine Zusammen-
setzung enthalten, denn Alles was zusammengesetzt ist, ist aus
Theilen zusammengesetzt, und in diese kann es auch getheilt werden.
Zusatz:
§ 76. Auch in Beziehung auf dieses Problem irrt man sich
bezüglich der Thatsache, dass ein unzusammengesetztes Intervall von
derselben Grösse sein kann wie das zusammengesetzte eines anderen
Tongeschlechtes. Man wundert sich nämlich, wie es möglich sei, dass
dasDitonos-Intervall, welches doch ein unzusammengesetztes Intervall
(des enharmonischen Geschlechtes) sei, in zwei Ganztöne zu theilen.
und wiederum wie der Ganzton ein unzusammengesetzter sei, da
man ihn doch in zwei Hemitonia zertheile. Dasselbe bemerkt man
auch Betreffs des Halbtones.
Dieser Irrthum kommt daher, weil man nicht einsieht, dass
manche der Intervallgrössen einem zusammengesetzten und einem
unzusammengesezten Intervalle gemeinsam sind. Gerade dies ist ja
der Grund, dass das unzusammengesetzte Intervall nicht durch die
Grösse, sondern durch die umschliessenden Töne definirt worden
ist. Ist nämlich das Ditonos-Intervall von der Mese und Lichanos um-
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XII. Die emmelischen Zusammensetzungen der Intervalle. 317
schlössen (in der Enharmonik) , so ist es unzusanimengesetzt ; ist
es von der Alese und Parhypate umschlossen (im Diatonon) so ist
es zusammengesetzt, und eben deshalb sagen wir, dass der Begriff
des TTnzusammengesetzten nicht in der Grösse, sondern in den um-
schliessenden Tönen liege.
6. Problem,
(„npiß/r^a" genannt).
§ 77. In jedem Tongeschlechte giebt es (für jede einzelne
Chroa desselben) höchstens nur so viele unzusammengesetzte Inter-
vallgrössen als die Zahl der Intervallgrösi-en in der Quinte beträgt
— also höchstens vier.
Beweis: Jedes Tongeschlec ht wird entweder in der Synaphe oder
in der Diazeuxis ausgeführt, wie oben (Probl. 3 § 72) gesagt ist. Es
ist gezeigt (Probl. 4 § 74), dass die Synaphe bloss aus den vier
T heilen der Quarte besteht, die Diazeuxis aber noch das ihr vor
der Synaphe eigenthümliche Intervall hinzufügt, nämlich den (dia-
zeuktischen) Ganzton; wenn aber dieser Ganzton zu den vier Theilen
der Quarte hinzukommt, dann ist die Quinte ausgefüllt.
Da nun in keinem Tongeschlechte, sofem es in Einer Chroa
genommen wird, die Zahl der (verschiedenen) ulizusammengesetzten
Intervalle grösser ist als die Anzahl der Intervalle in der Quinte,
so ist klar, dass in einem jeden höchstens so viel unzusammenge-
setzte Intervalle wie in der Quinte sind.
Zusatz:
§ 78. Es ist gewöhnlich, dass einige auch bei diesem Probleme
in Bedenken gerathen, nämlich dieses: weshalb liier „höchstens'4 hinzu-
gefügt und aus welchem Grande nicht einfach gezeigt ist, dass jedes
Tongeschlecht aus so viel einfachen Intervallen, wie in der Quinte
enhalten sind, bestehe.
Dem wird erwidert, dass jedes Tongesehlecht wohl eine ge-
ringere Zahl unzusammengesetzter Iutervallgrössen enthalten kann,
niemals aber eine grössere. Deshalb ist eben zuerst dies nach-
gewiesen, dass jedes Tongeschlecht unmöglich aus mehr einfachen
Intervallen als die Quinte hat bestehen kann. Dass es aber
auch vorkommt, dass dasselbe eine geringere Zahl enthält, wird (im
Probl. 27. 28) gezeigt werden.
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Aristoxenus zweite Harmonik § 79. 80.
Da8s die Anzahl der unzusammengesetzten Intervallgrösscn in der
Quinte höchstens vier betragt, wird ausdrücklich im Problem 27 angegeben
,,£oti 0£ t-xOto riaoapa ton dpiöjAoV'.
Marq. S. 346: „Unsere Kenntniss der alten Musik reicht nicht so weit
„um nachweisen zu können, welche Art von Scalen Aristoxenus meint, wenn
„er hier von Geschlechtern spricht, welche weniger unzusamraengesetzte Inter-
valle als die Quinte haben". An die alte Enharmonik des Olympus mit
ihren nur zwei resp. drei zusammengesetzten Intervallen zu denken, würde die
folgende Angabe nicht erschöpfen, da Aristoxenus nicht sage „irgend ein",
sondern ,Jedes" Geschlecht würde weniger enthalten können. „Auch diese
„Theilungeu sind wohl der Melopoeie eigene und mit dieser zusammen näher
„erörtert worden, worauf die Hinweisung am Schlüsse zu beziehen sein würde
,,"0ti Ii xal d; £XatT(4v<uv :iot£ c>vTe8if]3eTai l/aotov ceittüv iv toi; fnetia fcetxvj-
„xai". Dies müsste also nach Marq. im Abschnitte von der Melopoeie gesucht
werden! Doch warum in so unerreichbarer Ferne suchen, was in Wahrheit
so nahe liegt, nämlich noch in unserem Abschn. XII, Probl. 27: „"Ott Ii to
6i«£tovov oy-jxeiTat f,roi ix ovotv ?j Tpirov ^ xesodlptov douvft^Ttuv, ocixtIov . . ."
Probl. 28: „wOti hk xö /p<u|xa xai i\ appovla t(toi ix tpitüv ^ ix Teasapwv o-Spiet-
t«i, hzixxlos . . ." In seiner beispiellosen Hypcrkritik erkennt aber Marq. diese
beiden Problemata nicht als aristoxenisch an, vgl. oben S. 303. Ruelle zeichnet
sich auch hier durch grössere Bedachtsamkeit vor Marq. vortheilhaft aus, da
er zu p. 112. 113 auf Planche V die Quintensysteme des Diatonon, Chroma,
Enharmonion in Notenbeispielen nach Aristoxenus zu erläutern sucht.
Nun hat aber Marq. noch einen ganz besonderen Grund, sich um das
„fcixTiov" der Probl. 27 und 28 hier nicht zu kümmern; denn das auf dies osixt£ov
hinweisende „iv toi; foeiTa oetxvjTai" am Schlüsse unseres Problems ist nach
Marq. ein offenbarer Beweis, dass auch das vorliegende Problem wenigstens
in seiner Ausführung nicht von Aristoxenus herrühren kann. Marq. S. 38s :
„Was das auffallende Präsens bei irttnoL betrifft, so lässt sich auch dies füglieh
nur erklären, wenn mau annimmt, dass alles Folgende dem Schreiber [d. i.
dem von Marq. fingirten Byzantinischen Exeerptor] bereits vorlag, so dass er
sagen konnte: „Im Folgenden wird dies und das gezeigt". Nun freilieh, das
Folgende lag dem Schreiber bereits vor, aber dieser Schreiber war Aristoxenus
selber, der den Einwand, welchen ein Zuhörer während der Vorlesung gemacht
hatte, später in die bereits ausgearbeitete Vorlesung nachtrug. So darf mm
Aristoxenus (trotz des „ieixtfov") beim Nachtrage „h toi; £-«ra oetxvjTat"
schreiben, denn in diesem Augenblicke ist das, was durch oeixtIov noch in
die Zukunft verwiesen wurde, ein bereits gegenwärtiges.
Aufeinanderfolge gleicher Intervalle.
7. Problem.
§ 79. Auf ein Pyknon kann nicht wieder ein Pyknon folgen,
weder das ganze Pyknon noch ein Theil desselben.
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XII. Die eramelischen Zusammensetzungen der Intervalle. 319
Beweis: Geschieht dies, so wird weder der vierte Scalaton mit
dem ersten in der Quarte, noch der fünfte mit dem ersten in der
Quinte stimmen. Die so liegenden Klänge aber sind ekmelisch.
8. Problem.
§ 80. Von den Klängen, welche (bei der Synaphe) das Ditonos-
Intervall einschliessen, ist der tiefere ein Oxypyknos, der höhere
ein Barypyknos.
e e f Ditonos a a b
Denn bei der Synaphe muss, da die Pykna in der Quarte sympho-
niren (7. Problem), in der Mitte derselben der Ditonos liegen ;
ebenso muss , da die Ditonos-lntervalle in der Quarte symphoniren,
in der Mitte derselben das Pyknon liegen.
Da dies der Fall ist, ist es klar, dass der tiefere Grenzklang
des Ditonos-Intervalles der höchste Klang des nach der Tiefe zu
liegenden Pyknon, ist und dass der höhere Grenzklang des Ditonos
der tiefste des nach der Höhe zu liegenden Pyknon ist.
Marq. S. 178: „Aristoxeuus hat oben den Satz aufgestellt, dass ein tu»*vöv
„neben ein anderes weder ganz noch theilweise gesetzt werden darf, weil
„sonst weder die Werten Klänge in der Quarte, noch die fünften in der Quinte
„symphoniren würden". Er fügt zur Erläuterung noch eine weitere Ausein-
andersetzung hinzu, in welcher er zeigt, dass der höhere Grcnzklang des einen
Intervalls immer zugleich der tiefere des andern ist. „Wie er oben bereits
„die Theilung nach der Quarte und Quinte gemacht hatte, so nimmt er auch
„hierbei zunächst die Tjvoupf) in Betracht, bei welcher es sich dann zeigt, dass
„das ttjxvöv und die grosse Terz immer abwechseln. Hieraus wird nun der
„Schluss gezogen, aber merkwürdiger Weise nicht der, welchen Jedermann er-
wartet, dass nämlich zwei tcjxvgL nicht neben einander gesetzt werden können,
„was eben zu beweisen war, sondern als Schluss erscheint eine Wiederholung
, jener vorangegangenen Darlegung, dass der höhere Grenzklaug des .einen
„Intervalls immer der tiefere des andern sei. Wie wir aus dem Folgenden
„ersehen, gehört diese Wiederholung vielmehr schon zur Beweisführung des
„zweiten Falls, wo die Tetraehorde in der otd£cu;i; liegen; die einfache An-
knüpfung mit ol oe töv tövov xti, bo wie der ganze folgende Inhalt zeigen
„dies aufs Deutlichste. Es sind also sicher hinter Aote of.Xov 2xi eine Reihe
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320
Aristoxenus zweite Harmonik § 81.
„Worte ausgefallen, welche erstlich den Schluss und dann den Uebergang zum
„2. Fall enthielten. Ich habe sie nach der gewöhnlichen Ausdruksweise des
„Aristoxenus dem Sinn gemäss restituirt, so dass auch der Grund des Ausfalls
„(<5ti— 'hl) zugleich in die Augen fällt''. Diese seine Ergänzung in den Text
einfügend, sehreibt nun Marq. folgendermassen: 'Ava-jxaiov fdp £v t-j ayva<fTj tä»v
zyxNfiiv oid Ttocdptuv ayjjL'f ojvo-j^twv dvd (i^oov avxiüv xetoÖai tö oitovov woauTwc
oe xai [h rfj cuva'ffj tüiv &i?6\a>v oid teaadpouv oufA<f<u*>yvTt»v dvccpiaiov £v u.£otp
xciaÖai TO ttjxvoV to-jtojv 6Vjtö><; dva^xaic» dvaXXd; TO* tc rvxvov xal to
oitovo-* xciaOat <u<ne JfjXov 5ti (£v ttj awcupT] ttjxvov rpö :ruxvoy o-i jxeXwoeiiat
AXX' o*jo' £v oiaU-j;«' oeSetxtat ?dp Stt) 6 fiiv ßapy-rcpo; ?äv repie/ovrtov to
SItovov ö;y?aToc errat to-J £ri tö jtapy xeu*£voy itjxvoü, ö oe ifcytcpoc toD iicl to
4£y xeipivoy z'jxwj ^apytaTo;.
Wer dies liest wird, wenn er anders ein aufmerksamer Leser des Ari-
stoxenus-Textes ist, die Frage bei sich selber aufwerfen, wo das von Aristo-
xenus gesagt sei, was durch oioeixtat y«? eingeleitet sein soll. Denn diesem
zufolge musste Aristoxenus im Vorausgehenden bewiesen haben:
dass der tiefere Grenzklang des Ditonos-Intervalls der höchste Klang
des nach der Tiefe zu liegenden Pyknon, der höhere Grenzklang des
Ditouos-Intervalles der tiefste Klang des nach der Höhe zu hegenden
Pyknon Ut.
An welcher Stelle des Vorausgehenden hat Aristoxenus diesen Beweis
geliefert? Man wird im Vorausgehenden vergebens suchen. Uud wie kann
das anders sein? Denn das ist ja gerade das Problem, welches jetzt erst
bewiesen werden soll. Mit dem von Marq. eingeschobenen: oioetvecai y*P
ist es also nichts. Eben so wenig auch mit dem diesem unmittelbar voraus-
gestellten AXX' ovo lv tt- 5t'i£e6;Et. Denn das in Rede stehende Problem han-
delt blos von der Synaphe, welche von Aristoxenus im Texte zweimal ge-
nannt ist, nicht von der Diazeuxis. Auch späterhin im Problem 14, wo
Aristoxenus behufs der Beweisführung auf das bereits im Problem 8 bewiesene
recurrirt, citirt er dieses mit den Worten:
Ai'*etxT«t Y«p "fj wiz^ ivaXXdi; TilU;jieva tcora td SiaaTt^aT*.
So wird der Text des Aristoxenus in Marquards Ausgabe entschieden corruni-
pirt: es rächt sich an ihm, dass er „diese gauze, mit fast verzweifelter Voll-
ständigkeit und Genauigkeit ausgeführte Darstellung*' wie er sie S. 346 in
sichtlichem Unmuthe praedicirt, so unvollständig und ungenau wie möglhh
studirt hat.
9. P r o b l c in.
§ 81. Der höhere Grenzklang des üanztoiiintervaUes ist ein
Barypyknos.
Beweis: ....
Die 28 Probleme des Aristoxemus stehen durch ihre gänzlich mathematische
Methode in einem streng geschlossenen logischen Netze: die vorausgehenden
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XII. Die emmclißchen Zusammensetzungen gleicher Intervalle. 321
Probleme dienen stets zum Beweise der nachfolgenden, dass der nur einiger-
massen aufmerksame Leser mit Sicherheit erkennen wird, wo etwa jenes Netz
sei es durch Lücken der Handschrift, sei es durch Zusätze, die vom Rande
in den Text gedrungen sein sollten, zerrissen ist. Beim 9. Probleme nun
findet eine solche leicht erkennbare Schädigung der genuinen Aristoxenischen
Darstellung «tatt. Sagen wir es mit einem Worte: wir haben dies Problem
in den Handschriften nicht so, wie Aristoxcnus selber es dargestellt, sondern
wie ein Späterer, welcher sich für diese Partie interessirte, umgeformt hat. Ver-
muthlich hat derselbe das, was ihm eine berichtigende Erklärung der Aristo-
xenischen Sätze zu sein dünkte, an den Rand des Aristoxenus-Tcxtes ge-
schrieben, der ja in den Handschriften der älteren Zeit, wie wir aus dem
Codex des Zosimus wissen, zu dergleichen Marginalien hinlänglich Raum Hess.
In dem Codex aber, aus welchem Zosiinus seine Abschrift nahm, war jenes
Marginale bereits vom Rande in den Text des Aristoxenus hineingerathen,
wo es nun die eigene Darstellung des Aristoxenus wenigstens zum grossen
Theile verdrängt hat.
Durch das Marginale des Ueberarbeiters ist das Problem 9 zu folgendem
umgestaltet:
Die beiden das Ganzton-Intervall umgebenden Kläuge sind
barypy knoi.
Der Umarbeiter denkt sich hierbei folgendes enharmonische System:
* * * * * —
A HHc eef a ab d h he eef a
v » v / a> k ' • v , v t
hypaton inesou ^3 synemmenon g diezeugm. byperbol.
Der Klang a ist die Mese; auf dieselbe folgt das Tetrachord synem-
menon: also liegt ein Pyknon aab vor, in welchem a selber den barypyknos
bildet.
Der Beweis des Ueberarbeiters lautet:
Ks wird nämlich das Ganzton-Intervall in der Diazeuxis zwischen der-
artige Tetrachorde gesetzt, dass deren Ganztöne die tiefsten eines
I'yknon sind. Von diesen aber wird auch das Ganzton-Intervall um-
schlossen. Denn der tiefere von den den Ganzton umschliessendcn ist
der höhere Klang von den beiden das tiefere Tetrachord umschliessen-
den; der höhere der den Ganzton umschliessenden ist der tiefere von
den beiden das höhere Tetrachord umschliessenden. Daher ist es klar,
dass der höhere Grenzklang des Ganztones der tiefste eines Pyknon ist.
Da Marq. des guten Glaubens ist, dass auch das Problem 9 ebenso wie
Problem 8 eine der zum Problem 7 hinzugefügten Erläuterungen sei, so schiebt
er auch hier wie in Problem 8 einen Satz, in welchem von der Diazeuxis die
Arletoxenoi. Meltk u. Bhjthmlk. 21
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322
Aristoxenus zweit« Harmonik § 81. 82.
Rede ist, ein S. 179, mit der Bemerkung, dass sich die gleiche Lücke wie oben
auch hier finde. Ks ist unnöthig weiter darauf einzugehen.
Dem Satze des Umarbeite«: „Beide den Ganzton umschliessende Klänge
sind barypyknoi" widerspricht das Problem 16 des Aristoxenus, in welchem
er lehrt: „der Ganzton wird zum Pyknon nur nach der Tiefe zu hinzugefügt . . .
Einen Ganzton nach oben zu dem Pyknon hinzuzufügen wird nothwendig ef-
melisch sein". Also ist es gegen die Doctrin des Aristoxenus, dass beide den
Ganzton umschliessende Klänge Cd. i. sowohl der höhere wie der tiefere
Grenzklang) Barypyknoi seien; nach Aristoxenus selber kann man blos von
dem oberen Grenzklange des Ganztones sagen, dass er ein barypyknos ist.
Aristoxenus hat sicher das Problem 9 folgcudcrmasscn gefasst:
Der höhere Grenzklang des Ganztom ist ein barypyknos
mm • •_ _
A HHe cef a hhc eef a
Zu allem Ueberflussc wird, was Aristoxenus hier gesagt, von ihm selber
in der Beweisführung des Problem 15 citirt:
6 fjiev fdp tö &(tov(n Itz\ tö jiapü öptCtuv ofrkato; t)v -uxvoy, 6 oe töv tovov
ItX t6 ö$u ßap6Toxo«-
Mit dem ersten dieser beiden Sätze giebt Aristoxenus ein Sclbstcitat des
Problems 8, welches lautet:
Ttov U tö oitovov zeptey<5vro>v 6 f*ev ßopjTepo; oS'jTaxo; i<m ttuxvoD, o o 6&v-
tepo; ßopuTa-ro;.
Der zweite Satz citirt die verba ipsissima des Problemes 9, nur dass statt
des Vergangenheits-Tempus natürlich das Präsens gebraucht war:
6 oe töv tövov 6ptC<»^ tö ö£y son iroxvoO ßotpuTOTo;.
Auf welche Weise Aristoxenus den Beweis dieses Problemes geführt hat,
braucht uns nicht weiter zu kümmern. Doch wollen wir die Differenz des
Aristoxenischen Problems mit dem an dessen Stelle gedrungenen des Um-
arbeiten ins Auge fassen. Es giebt zwei diazeuktische Ganzton-Intervalle
in der Scala, ein tieferes AH zwischen dem Proslambanomeuos und der Hy-
pate hypaton, ein höheres ah zwischen der Mesc und der Paramese. Was
Aristoxenus selber im Problem 9 von dem Ganzton-Intervalle sagte, dass dessen
höherer Grenzton ein barypyknos sei, gilt sowohl von dem Ganzton-Intervalle
des Proslambanomeuos, wie nicht minder von dem höheren Ganzton-Intervalle
der Mese. Was aber der Umarbeiter des Aristoxenischen Problems 9 sagt,
hat keine Geltung für den tieferen Ganzton des Proslambanomenos, sondern
höchstens nur für den höheren Ganzton ah der Mese, obwohl auch den auf
die Mese folgenden Ton nur derjenige einen barypyknos nennen kann, welcher
die Scala der Enharmonik und Chromatik (denn um diese nur kann es «nch
handeln) nach dem Verzeichnisse der späteren Schriftsteller über Musik vor
Augen hat, wie z. B. des Pseudo-Euklid (p. 4) :
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XII. Die emmelischen Zusammensetzungen gleicher Intervalle. 323
Kv hi dp[iovta olht'
H 2. üzdrfj urdxujv.
H 3. itapuirotTT) (maTrov.
c 4. Xtyavo; u-dtaiv dvapfiövto;.
e 5. uirarrj jiioaiv.
e 6. rapviirdiTTj [iiarov.
f 7. Xt-/av6; fiiowv ivapjjtovto;.
a 8. Mdoi).
a 9. tpiTT] oyv7jjji|i.ivajv.
b 10. 7tapavf|TT| 3uv7j|ifji£vaiv £vapjx<5vto^
d U. vVjrr) ouvr^ixivaiv.
h 12. Ttapapierrj.
h 13. Tpltr, oteCeyf|jL£vciv.
c 14. Trapav^TTj SteCcuYfA^vtov £vap|AÖvio;.
e 15. WjTTj äuCcufpivaiv.
c 16. Tptrrj yzcpßoXa(a>v.
f 17. nopaWj-ai üuepßo'/.aiajv ivappitaio;.
a 18. vifj-nr) u^Ep^oXoicov.
Also der Umarbeiter der Aristoxenischem Probleme« hält sieh gedanken-
los an der Form der Seala, wie sie derjenige Axistoxeneer aufgestellt, welcher
au* der Harmonik des Meistere den Auszug gemaiht, nach welchem Pseudo-
Euklid und seine Geuossen ihre kleinen Lehrbücher der Harmonik angefertigt
haben.
10. Problem.
§ 82. Zwei Ditonoi folgen nicht aufeinander.
Beweis: Man versuche sie hinter einander zu setzen. (Dem
tieferen Ditonos muss nach unten zu ein Pyknon folgen, denn es
ist gezeigt (Probl. 8), dass der tiefere Grenzklang eines Ditonos
zugleich der höchste eines Pyknon ist. Man setze nun den höheren
Grenzklang des oberen Ditonos als ersten Ton eines Systems.
unterer Ditonos oberer Ditonos
eef a eis
Von den fünf Klängen, e, e, f, a, eis, wird aber der höchste
(eis) weder mit dem vierten in der Quarte, noch mit dem fünften
in der Quinte symphoniren; es ist aber gezeigt (Probl. 1), dass ein
21»
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H24
Aristoxenus zweit« Harmonik § 82. 83.
Klang, bei welchem keines von beiden der Fall ist, als ekmelisch
gelten muss in Beziehung auf jeden vierten oder fünften Klang, mit
dem er nicht in der Quarte oder Quinte stimmt, mithin kann ober-
halb des Ditonos f a nicht wiederum ein Ditonos a eis folgen.)
Statt dessen überliefern die Handschriften die Umarbeitung, die wir
weiterhin mittlicilen. Im guten Glauben, dass dieselbe nicht minder wie das
vorausgehende Problem Aristoxenisch sei, sagt Marquard von ihr:
Marq. S. 348 „Aristoxenus muss wohl einen besonderen uns unbekannten
„O rund gehabt haben, die Begründung dieses Satzes so zu machen. Man
„würde als die einfachste doch dieselbe erwarten, welche beim vorigen Satz
„angewendet wurde, dass nämlich, wenn man zwei grosse Terzen nach ein-
ander setzt, weder die vierten Klänge die Symphonie der Quarte, noch die
„fünften die der Quinte bilden werden. In der That ist die hier gegebene
„etwas wunderlich; denn wenn auch der tiefere Grenzklang der grossen Terz
„der höchste eines gedrängten Systems und der höhere der tiefste einer
„solchen war, so folgt doch hieraus noch nicht, dass, wenn ich zwei grosse
„Terzen nach einander setze, auf jene Klänge wirklich die gedrängten Systeme
„folgen müssen, und wenn, wie gefolgert wird, zwei gedrängte Systeme auf
„einander folgen, so liegen doch gewiss nicht die beiden grossen Terzen neben
„einander. Wie es scheint will Aristoxenus es geradezu als eine immanente
„Eigenschaft jener Grenzklänge hinstellen, dass auf sie stets nur das be-
stimmte Intervall folgen kann, um jede Abweichung in der theoretischen An-
ordnung der Scalen unmöglich zu machen**.
Ich habe diesmal Marquards Erläuterung mit grösserer Befriedigung als
bei den übrigen Problemen registriren können. Ja es ist wahr: als ein Ge-
danke des Aristoxenus wäre der handschriftlich überlieferte Beweis sehr ver-
wunderlich. Aber mehr noch: wie er uns vorliegt, ist er kein Beweis. Auch
hier rührt die Fassung von demselben Umarbeitcr her, durch den auch das
vorausgehende Problem entstellt ist.
Der Uebcrarbciter beweist nämlich folgendermassen :
Beweis: Man versuche sie (die beiden Ditonos-Intervalle)
hinter einander zu setzen.
Dem höheren Ditonos wird alsdann nach der Tiefe zu
ein Pyknon folgen, denn der untere Grenzklaug eines Di-
tonos war ein oxypyknos.
Dem tieferen Ditonos aber wird nach der Höhe zu ein
Pyknon folgen, denn der obere Grenzklang des Ditonos war
ein barypyknos.
Geschieht dies, dann werden zwei Pykna neben einander
gesetzt sein. Da dies ekmelisch ist, wird es auch ekmelisch
sein, wenn zwei Ditonoi neben einander gesetzt werden.
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XII. Die emmelischen Zusammensetzungen gleicher Intervalle. 325
Der Ueberarbeiter denkt sich dies so:
tiefer Ditouos
o © »
& o*
höherer Ditonos
I
Es ist ganz richtig (durch Problem 8 bewiesen), dass sich sowohl an den
unteren Ditonos wie an den höheren je ein Pyknon anschliessen muss. Das
logische Versehen des Ueberarbeiters besteht darin, dass die Aufeinanderfolge
der beiden Pykna zwar für den Augenschein vorhanden Ist (man ver-
gleiche die vorstehende Tabelle), aber durchaus nicht in der Weise Euklids
beniesen ist. Vielmehr widerspricht die Aufeinanderfolge der Pykna dem im
Lehrsatze Angenommenen. Es können nicht zwei Ditonos-Intervallcda auf einan-
der folgen, wo zwei Pykna auf einander folgen sollen. Das eine schhesst das
andere aus : es wird sowohl durch die Folge der beiden Ditonoi die Folge der
beiden Pykna ausgeschlossen, wie umgekehrt durch die Folge der beiden
Pykna die Folge der beiden Ditonoi.
Aristoxenus selber hat, wie Marq. richtig bemerkt, das Problem 1 zum
Bewe ise des Problemes 10 herbeiziehen müssen. So auch unsere Restitution,
für deren Richtigkeit auch die folgenden Probl. lt. 12. 13 sprechen, die ganz
in analoger Methode bewiesen sind.
11. Problem.
§ 83. Im Enharmonion und im Chroma werden zwei aufein-
anderfolgende Ganztöne nicht gesetzt.
Beweis: a. Man setze ihn zuerst aufwärts von dem im Enhar-
monion und im Chroma vorkommenden (diazeuktischen) Ganztöne
Enharm.
Chroma
malakon
Chroma
hemiolion
Lieh. Diaz.
— ^- ^.zrzrr^
— 4 Ganztöne
grösser als
die Quinte
# > • p
W ■»- f — g^L_'J4
Jfe
grösser als
die Quinte
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326
Aristoxenus zweite Harmonik § 83. 84.
Chroma
toniaion
m
! Quinte
Wenn nun der den hinzuzusetzenden Ganzton nach oben begrenzende
Klang (eis) emmelisch sein soll, so muss er entweder mit dem vierten
in der Quarte oder mit dem fünften in der Quinte symphoniren:
geschieht aber keines von jenen beiden, so muss er ckmelisch sein.
Dass jenes aber nicht geschehen wird, ist klar.
Denn die en harmonische Lichanos (f), die ja doch von dem
hinzugefugten aus den vierten Klang bildet, wird vier Ganztöne
von ihm abstellen;
die chromatische Lichanos im Chroina malakon wie im
Chroma hemiolion wird mit ihm ein noch grosseres Intervall als
das von vier Ganztönen ausmachen;
imChromatoniaion wird sie mit dem hinzugekommenen Klange
in der Quinte symphonieren, — was Alles nicht geschehen sollte,
denn entweder hätte der vierte Klang vom hinzugenommenen Klange
(eis) aus mit diesem in der Quarte oder der fünfte in der Quinte
stehen müssen.
b. Wird der zweite liinzuzufügende Ganzton abwärts vom diazeuk-
tischen Qanztone (ah) gesetzt:
Enharm.
Kleiner als die I
— Quarte
- Quarte -
Chroma
malakon
Kleiner als die I
— Quarte '
Kleiner als die
_ Quinte - —
#
Chroma
hemiolion
Kleiner als die
- Quarte
Kleiner als die
Quinte
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XII. Die emmelischen Zusammensetzungen gleicher Intervalle. 327
(alsdann wird der ihn nach unten begrenzende Klang g
in dem Enharmonion mit dem nach oben zu folgenden vierten
Klange ein Intervall bilden, welches um eine enharmonische Diesis
kleiner als die Quarte ist, mit dem fünften aber eine Quarte;
im Ohroma malakon und hemiolion wird er mit dem vierten
ein Intervall bilden, welches wiederum kleiner als die Quarte ist,
mit dem fünften ein solches, welches kleiner als die Quinte ist;
im Chroma toniaion wird er von dem vierten zwar eine Quarte
abstehen, aber er wird alsdann) das Geschlecht zu einem Diatonon
toniaion (g a h c) (anstatt eines Cliroma toniaion) machen.
Somit ist es klar, dass in der Scala des Enharmonion und des
Chroma zwei Ganzton-Intervalle nicht unmittelbar hinter einander
gesetzt werden.
Die augenfällige Lücke im zweiten Theile des Problems (b), die den bis-
berigen Bearbeitern unbemerkt geblieben, ist durch Gleichheit der an- und
auslautenden Worten der beiden auf einander folgenden Satze veranlasst :
'Erl oe to ßapy zb 5e6tepov Ttmcüov ( . . . . ttmsuov) Stdtovov roirjoct t& y^***
Marq. S. 95: „Setzt man den zweiten Ganzton aber in der Tiefe zu, so wird
er das Geschlecht zu einem diatonischen machen." Welches Geschlecht? Das
enharmonische nicht, das Chroma malakon nicht, das Chroma hemiolion
nicht. Bloss das Chroma toniaion, in welchem der erste Klang mit dem
vierten in der Quarte symphonirt, wird eben für den Umfang dieser Quarte
aus einem Chroma toniaion zu einem Diatonon toniaion.
12. Problem.
§ 84. In dem diatonischen Geschlechte können drei Ganztöne
nach einander gesetzt werden, mehr aber nicht.
Beweis: Wenn das letztere geschehen wird, so wird der den
vierten Ganzton begrenzende Klang eis weder mit dem vierten (g)
in der Quarte, noch mit dem fünften (f) in der Quinte stimmen,
(sondern mit dem vierten (g) ein Tritonos-Intervall, mit dem fünf-
ten (f) ein Intervall von vier Ganztönen bilden.)
Chroma
toniaion
Quarte
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328
Aristoxenus zweite Harmonik § 84-89.
5 4 3 2 1
, v v v
e f e a h eis
L_ Tritonos
L — 4 Ganztone - -
13. Problem.
§ 85. In demselben (diatonischen) Geschlechtc können zwei
Halbtöne nicht nach einander gesetzt werden.
Beweis: a. Man setze das fragliche zweite Halbton -Intervall
abwärts von dem bereits vorhandenen (dis e vor e f):
dis e f g a
Ditonos — I
i~ Tritonos — —
Dann wird der den vorangesetzten Halbton begrenzende Klang (dis)
weder mit dem vierten Klange (g) in der Quarte, noch mit dem fünf-
ten (a) in der Quinte symphoniren.
Und insofern wird die versuchte Stellung des Hemitonions
ekmelisch sein.
b. Wenn einem der bereits vorhandenen Hemitonien (e f) ein
zweites (f fis) nach oben hinzugefügt wird
c d e f fis
dann wird ein Chroma (d e f fis) entstehen.
Somit ist klar, dass in einem Diatonon zwei Hemitonien nicht
aufeinander folgen können.
Aufeinanderfolge ungleicher Intervalle.
§ 86. Im Vorausgehenden (Probl. 9. 10. 11. 12. 13) ist gezeigt
worden, welche von den gleichen unzusammengesetzten Intervallen
nach einander gesetzt werden können und wie viele der Zahl nach, und
welche nicht zulassen, dass wir sie bei gleicher Grösse mit ein-
ander verbinden. Nunmehr ist dasselbe in Betreff der ungleichen
Intervalle zu erörtern.
Im Vorausgehenden wurde die Zusammensetzbarkeit von je zwei gleichen
Intervallen erörtert nach folgenden Kategorien und in folgenden Problemen:
Pyknon Ditonos Touos Hemit.
Probl. 9 Probl. 10 Probl. 11. 12 Probl. 13.
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XII. Die emmelischen Zusammensetzungen ungleicher Intervalle. 329
Jetzt ist die Zusammensetzbarkeit jedes dieser Intervalle mit einem jeden von
ihnen in der nämlichen Reihenfolge zu erörtern:
Probl. 14 Probl. 15 Probl. 17. 18
< N I X / \
Pyknon Ditonos Tonos Hemit.
S /
Probl. 16
Es fehlt hier die Combination des Ditonos mit dem Hemitonion und des
Pyknon mit dem Hemitonion. Man könnte denken, auch diesen Verbindungen
habe Aristoxenus betreffende Problemata gewidmet, welche in dem überlieferten
Texte ausgefallen seien. Und doch werden wir nicht berechtigt sein, hier eine
Lücke anzunehmen. Denn beide Combinationen , die des Ditonos und Hemi-
tonion und die des Pyknon und Hemitonion, welche in den Bereich des Enhar-
monion und Chromatikon gehören, sind mit dem Probleme 10 resp. 16 erledigt.
14. Problem.
§ 87. Zu einem Ditonos-Intervalle wird sowohl unterhalb wie
oberhalb ein Pyknon gesetzt.
Beweis: Es ist gezeigt (Probl. 8), dass in der Synaphe die bei-
den in Rede stehenden Intervalle mit einander abwechseln. Offen-
bar wird also sowohl Pyknon an Ditonos, wie Ditonos an Pyknon
nach unten und oben hinzugesetzt werden.
15. Problem.
§ 88. Zum Ditonos wird ein Ganzton bloss nach oben gesetzt.
Beweis: Man setze ihn unterhalb des Ditonos. Dann wird der
höchste und tiefste Klang eines Pyknon auf dieselbe Tonstufe fallen,
denn der tiefere Grenzklang eines Ditonos-Intervalles war der höchste
eines Pyknon (Probl. 8), der höhere Grenzklang eines Ganzton-Inter-
valles war der tiefste eines Pyknon (ProbL 9). Da diese nun auf
dieselbe Tonstufe fallen, so ist es nothwendig, dass zwei Pykna ge-
setzt werden. Da dies aber ekmelisch ist (Probl. 7), so muss auch
der Ganzton unterhalb eines Ditonos-Intervalles gesetzt ekme-
lisch sein.
16. Problem.
§ 89. Zu einem Pyknon wird ein Ganzton bloss nach unten
gesetzt.
Beweis: Man setze ihn auf die entgegengesetzte Seite (oberhalb
des Pyknon). Dann wird wieder dieselbe Unmöglichkeit (wie in
Probl. 15) eintreten, denn der höchste und tiefste Ton eines Pyknon
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330
Aristoxenus zweite Harmonik § 89— 94.
wird auf dieselbe Tonstufe fallen, sodass zwei Pykna nebeneinander
stehen. Da dies ekmelisch ist (Probl. 7), so muss auch die Hinzu-
fügung eines Ganzton-Intervalles aufwärts vom Pyknon ekmelisch sein.
17. Problem.
§ 90. Im Diatonon kann nicht zugleich zu beiden Seiten des
Ganzton-Intervalles ein Hemitonion stehen.
Beweis: Geschieht dies, dann wird weder der erste mit dem
vierten in der Quarte, noch der erste mit dem fünften in der Quinte
symphoniren (Probl. 1).
18. Problem.
§ 91. Auf jeder der beiden Seiten von zwei oder von drei
Ganztönen ist ein Halbton emmelisch zulässig. Denn es werden
alsdann entweder die vierten Klänge unter einander in der Quarte
oder die fünften in der Quinte symphoniren.
Der angeführte Grund ist nach Probl. 1 kein vollständiger Beweis,
Aristoxenus muss daher noch etwas weiteres hinzugefügt haben, was in der
Ueberlieferung ausgefallen ist.
Welches Intervall einem jedon Intervalle benachbart?
Unter Festhaltung der Anschauung von der topischen Bewegung der Stimme
zeigt Aristoxenus, wie viel Wege es von einem Intervalle nach oben und nach
unten gibt. Er meint damit die Wege zum nächsten Intervalle der Scala.
Deshalb übersetzen wir in dem folgenden dem Sinne gemäss: „man (d i. Stimme)
schreitet zu einem Nachbar-Intervall."
19. Problem.
§ 92. Vom Halbton-Intervalle schreitet man nach oben zu zwei ver-
schiedenen Nachbar-Intervallen [Ganzton im Diatonon, Halbton im
Chroraa toniaion], nach unten zu ebenfalls zu zwei [Ganzton im Dia-
tonon und im Chronia toniaion, Halbton im Cliroma toniaion].
Der Beweis, „welchen Aristoxenus ursprünglich gewiss hinzugefügt hat,"
Marq. 349, fehlt in den Handschriften. Marq. fügt hinzu: „Dieser Satz Lst
überhaupt nicht in Ordnung. Es kann nämlich nur der Halbton im diatonischen
Geschlechte gemeint sein. Dort kann man vom Halbtone aus immer nur nach
dem Intervalle zwischen Parhypate und Lichanos fortschreiten. Denn dass bei
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XII. Die emmelischen Zusammensetzungen der Intervalle. 331
diesen Lehrsätzen auf die verschiedenen Chroai keine Rücksicht genommen,
beweist fast jeder derselben." Marq. denkt nicht an Probl. 22, § 97: xatt'
exdöTTjv £poav tö»v Siotövcuv und andere Stellen § 90. 99.
20. Problem.
(„rpo^X-rjua" genannt, § 99.)
§ 93. Vom Ditonos aus schreitet man nach oben zu zwei ver-
schiedenen Nachbar-Intervallen [Ganzton bei der Diazeuxis und
Pyknon bei der Synaphe], nach unten zu bloss zu einem fPyknon
sowohl bei der Diazeuxis wie bei der Synaphe].
Beweis: Es ist gezeigt worden, dass zum Ditonos nach oben
gesetzt wird sowohl ein Pyknon (Probl. 14) wie auch ein Ganzton
(Probl. 15); andere Nachbar-Intervalle des genannten Intervalles
wird es aber nach oben zu nicht geben (vgl. Probl. 15); nach unten
zu aber bloss ein Pyknon (probl. 14), denn von den unzusammenge-
setzten Intervallen bleibt allein der Ditonos übrig.
Zwei Ditona aber werden nebeneinander nicht gesetzt (Probl. 10).
Demnach ist es klar, dass vom Ditonos aus nach oben zu bloss
zwei verschiedene Nachbar-Intervalle gesetzt werden, nach unten zu
aber bloss eines.
Denn es ist gezeigt, dass zum Ditonos nach unten weder der
Ditonos gesetzt wird (Probl. 10) noch der Ganzton (Probl. 15), so
dass also bloss das Pyknon übrig bleibt.
So ist nun klar, dass es vom Ditonos aus nach oben zwei ver-
schiedene Nachbar-Intervalle giebt, einmal den Ganzton, sodann das
Pyknon, nach unten zu aber nur eines, nämlich das Pyknon.
21. Problem.
(„KpoßXijpa" genannt, § 99.)
§ 94. Vom Pyknon aus giebt es umgekehrt nach unten zu zwe
Nachbar-Intervalle (Ganzton bei der Diazeuxis, Ditonos bei der Sy-
naphe), nach oben zu eines (Ditonos sowohl bei der Diazeuxis wie
auch bei der Synaphe).
Beweis: Es ist gezeigt, dass vom Pyknon aus nach der Tiefe
zu sowohl ein Ditonos gesetzt wird (Probl. 14) wie auch ein Ganz-
ton (Probl. 16). Zu einem dritten Nachbar-Intervall kann man nicht
schreiten. Denn es bleibt von den unzusammengesetzten Intervallen
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332
Aristoxcnus zweit«* Harmonik § 94 — 100.
bloss das Pyknon übrig*), zwei Pykna aber können neben einander
nicht gesetzt werden (Probl. 7), so dass es klar ist, dass wir vom
Pyknon aus nach unten bloss zu zwei verschiedenen Nachbar-Inter-
vallen schreiten können.
Nach der Höhe zu giebt es nur ein Nachbar-Intervall, den
Ditonos. Denn weder kann zum Pyknon ein zweites Pyknon hinzu-
gesetzt werden (Probl. 7), noch oberhalb des Pyknon ein Ganzton
(Probl. 16), sodass blos der Ditonos übrig bleibt
So ist nun bewiesen, dass wir vom Pyknon abwärts zu zwei
Nachbar-Intervallen schreiten können, dem Ganzton und dem Ditonos;
aufwärts zu einem, dem Ditonos.
*) Das Pyknon ein unzusammengesetztes Intervall zu nennen, 3a es ja
eine Coinbination von zwei Intervallen ist, kann sich Aristoxcnus nur der Kürze
zu Liebe erlauben. Aehnlich auch § »9.
22. Problem,
(als ein einziges „7tpöfJXr,[Aa" bezeichnet § 99.)
„5xt O'ioiv paXXou litt toutou toj irpoßX^fnaTo; . . . rj im tcuv -poTSpcuv".
a.
§ 95. Vom Ganzton giebt es (im Enharmonion)*) nach unten
zu und ebenso auch nach oben zu bloss ein Nachbar-Intervall, nach
unten zu den Ditonos, nach oben zu das Pyknon.
Beweis: Es ist gezeigt, dass unten neben den Ganzton weder
ein Ganzton (Probl. 11), noch ein Pyknon gesetzt wird (Probl. 16),
sodass nur der Ditonos übrig bleibt. Es ist ferner gezeigt, dass
oben (neben den Ganzton) weder ein Ganzton (Probl. 11) noch ein
Ditonos (Probl. 15) gesetzt wird, sodass nur das Pyknon übrig bleibt.
So ist nun klar, dass es vom Ganztono nach jeder Seite hin nur
ein Nachbar-Intervall giebt, nach unten den Ditonos, nach oben das
Pyknon.
*) Fehlt in den Handschriften.
b.
§ 96. Aehnlich wird es sich bei den Chrom ata verhalten, nur
dass statt des Ditonos das jeder Chroa eigentümliche Intervall
zwischen Mese und Lichanos gesetzt wird, sowie der betreffende
Umfang des Pyknon.
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XII. Die emmelischcn Zusammensetzungen der Intervalle. 333
C.
§ 97. Aehiüich auch bei dem Diatona. Denn von dem den Ge-
schlechtern gemeinsamen Tone aus wird es nach jeder Seite hin ein
Nachbar-Intervall geben, nach der Tiefe zu das jedesmalige Inter-
vall zwischen Mese und Lichanos, nach jeder diatonischen Chroa
verschieden, nach der Höhe das Intervall zwischen Paramesos und
Trite.
Zusatz:
§ 98. Nun gab aber auch dies Problem (§ 95. 96. 97) bei
einigen zu einem lrrthume Veranlassung. Sie wundern sich näm-
lich, weshalb nicht das Umgekehrte von dem Gesagten statt-
findet. Denn es scheint ihnen, als ob vom Ganztonc aus nach beiden
Seiten hin die Zahl der Nachbar-Intervalle eine unbegrenzte sei, da
es ja unendlich viele Grössen des durch Mese und Lichanos ge-
bildeten Intervallcs (§ 55 d S. 258) und ebenso auch des Pyknon
gebe (§ 99).
§ 99. Hiergegen wurde nun zuerst gesagt, dass man hieran
ebenso wenig bei dem vorliegenden (Probl. 22) wie bei den voraus-
gehenden (20. 21) Anstoss zu nehmen habe. Denn offenbar wird auch
vom Pyknon aus das eine der Nachbar-Intervalle eine unbegrenzte
Zahl von Grössen annehmen können (Probl. 21), nicht minder vom
Ditonos aus (Probl. 20). Denn ein Intervall zwischen Mese und
Lichanos liat eine unbegrenzte Zahl verschiedener Grössen und ein
Intervall wie das Pyknon hat mit dem genannten dieselbe Eigen-
schaft. Aber nichts destoweniger giebt es vom Pyknon aus nach
unten zu zwei Nachbar-Intervalle (Probl. 21), vom Ditonos aus nach
oben (Probl. 20) und ebenso auch vom Ganzton aus auf jeder Seite
nur ein einziges Nachbar-Intervall (wie im vorliegenden Probl. 22
behauptet ist). Denn innerhalb einer jeden Chroa eines jeden Tonge-
schlechts muss man die eigenartigen Nachbar-Intervalle verstehen.
§ 100. Man muss nämlich einen jeden der in der Musik vor-
kommenden Begriffe nur in soweit er ein begrenzter ist festhalten
und in die betreffende Disciplin einreihen; wenn er aber unbe-
grenzt ist, ihn zur Seite lassen. In Beziehung auf die Intervallgrösse
und die Tonstufen zeigen sich die Begriffe im Melos als unbegrenzt,
in Beziehung auf die dynamische Geltung, auf die Eide und die
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Aristoxenus zweite Harmonik § 100 — 103.
Thesis als begrenzt und bestimmt*). So sind gleich beim Pyknon
die Nachbar -Intervalle nach der Tiefe zu bezüglich der Dynamcis
und der Eide bestimmt nicht mehr als zwei der Zahl nach, denn
wenn der Ganzton das tiefe Nachbar -Intervall bildet, so macht
er das Schema des Systemcs zur Diazeuxis; wenn das tiefe Nachbar-
Intervall ein anderes Megethos hat, sei es welches es wolle, so wird
damit das Schema des Systemes zur Synaphe.
Daraus ist klar, dass man vom Ganzton aus nach jeder seiner
beiden Seiten hin nur zu Einem Nachbar-Intervall schreitet, und
dass die beiderseitigen Nachbar-Intervalle Ein Eidos des Systemes,
nämlich die Diazeuxis bewirken.
Aus dem Gesagten und der Sache selber leuchtet ein, dass man
ins Unendliche verfallen würde, wenn man die möglichen Nachbar-
Intervalle für jedes Tongeschlecht nicht immer blos nach Einer,
sondern nach allen Chroai der Geschlechter behandeln wollte.
*) Dieselben Gedanken über das Begrenzte und das Unbegrenzte in
der Wissenschaft spricht Aristoxenus für die Rhythmik in den vermischten
Tischgesprächen (nepl xoü ypovou zpcfc-rov) aus.
23. Problem.
§ 101. Im Chronia und Enharmonion gehört jeder Ton dem
Pyknon an.
Beweis: In den beiden genannten Tongcschlechtem bildet ein
jeder Klang die Grenze von einem Theile des Pyknon oder die Grenze
eines Ganztouintervalles oder irgend eines Intervalles zwischen Mesc
und Lichanos.
Bezüglich der die Theile eines Pyknon begrenzenden bedarf es
keines Beweises, denn augenscheinlich gehören sie dem Pyknon an.
Die Grenzklänge des Ganztoiies sind oben (Umarbeitung des § 9)
beide als die tiefsten eines Pyknon nachgewiesen. Von den Grenz-
klängen des übrig bleibenden Systemes wurde der tiefere als der
höchste eines Pyknon, der höchste als der tiefste eines Pyknon
nachgewiesen.
Da es nun blos so viele unzusammengesetzte Intervalle giebt,
jedes aber von solchen Klängen begrenzt wird, dass jeder dem Py-
knon angehört, so ist klar, dass jeder Klang im Cliroina und Enhar-
monion dem Pyknon angehört.
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XII. Die emmelischen Zusammensetzungen der Intervalle. 335
Der Beweis liegt uns in der Form vor, welche er durch das Eindringen
der von dein Ueberarbeitcr herstammenden Marginalien in den Text erhalten
hat Auch hier sind wie im Problem die Töne A und a unberücksichtigt ge-
blieben.
24. Problem.
§ 102. Dass es ftir die Klänge des Pyknon drei Stellen giebt, ist
leicht zu sehen, da zu einem Pyknon weder ein zweites Pyknon
noch auch der Theil eines Pyknon hinzugefugt wird (Probl. 7). Denn
offenbar wird es aus diesem Grunde nicht mehr als drei Stellen
1
für die genannten Klänge geben.
-
25. Problem.
Dieses Problem ist wiederum durch die Ueberarbeitung entstellt
a.
§ 103. Bios vom tiefsten Tone des Pyknon aus kann man
nacli der Tiefe oder nach der Höhe zu je zwei Nachbarklänge be-
rühren, bei dem mittleren und ebenso dem höchsten nur einen.
Beweis: Es war in dem vorausgehenden gezeigt, dass es vom
Pyknon aus nach der Tiefe zu zwei Nachbar-Intervalle giebt, das
eine der Ganzton (bei der Diazeuxis), das andere der Ditonos (bei
der Synaphe) [Probl. 21]. Wenn wir aber sagen: es giebt vom
Pyknon aus (nach unten zu) zwei Nachbar-Intervalle, so heisst dies
dasselbe wie: vom tiefsten der im Pyknon vorkommenden Klänge
aus giebt es nach oben zwei Nachbarklänge, denn eben der tiefste
Klang des Pyknon ist es, welcher dies abgrenzt.
Es ist nun gezeigt, dass es vom Ditonos aus nach oben zwei
Nachbarintervalle giebt, das eine der Ganzton, das andere das
Pyknon (bei der Synaphe) [Probl. 20]. Wenn wir aber sagen, vom
Ditonos aus giebt es nach oben zwei Nachbar-Intervalle, so heisst
dies dasselbe wie: vom höheren Grenzklange des Ditonos aus giebt
es zwei Nachbar-Intervalle, denn dieser ist es, welcher das Ditonos-
Intervall nach oben abschliesst. Offenbar aber ist der obere Grenz-
klang des Ditonos identisch mit dem tiefsten Tone des Pyknon, denn
auch dies war bewiesen [Umarbeitung des Probl. 8]. Somit ist es
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336
Aristoxenus zweite Harmonik § 104—106.
klar, dass es vom genannten Tone sowohl nach unten wie nach
oben zwei Nachbartöne giebt.
Aristoxenus selber musste sagen:
Von dem tiefsten Klange des Pyknon aus giebt es nach unten
zu zwei Nachbarklänge, nämlich bei der Synaphe den um einen Di-
tonos tieferen, bei der Diazeuxis den um einen Tonos tieferen; nach
oben zu nur einen, den zweiten Klang des Pyknon.
b.
§ 104. Dass es ferner vom höchsten Klange des Pyknon aus
sowohl nach oben wie nach unten nur ein Nachbar-Intervall giebt,
ist zu beweisen.
Beweis: Es war nachgewiesen, dass es vom Pyknon nach obeu
nur Ein Nachbar-Intervall giebt, nämlich den Ditonos (Probl. 21).
Wenn wir aber sagen, es giebt vom Pyknon nach oben nur Ein
Nachbar-Intervall, so heisst dies aus demselben Grunde nichts an-
deres als: von dem dasselbe begrenzenden Klange also: vom oxy-
pyknos aus nach oben um den Ditonos entfernter Klang.
Es ist nachgewiesen, dass es auch vom Ditonos nach unten
nur Ein Nachbar-Intervall giebt (nämlich Pyknon Probl. 20). Wenn
wir aber sagen, es giebt vom Ditonos-Intervall aus nach unten nur
Ein Nachbar-Intervall, so ist das aas demselben Grunde nichts an-
deres als: von dem dasselbe begrenzenden Tone. Offenbar ist aber
auch der tiefere Grenzklang des Ditonos identisch mit dem höchsten
Grenzklange des Pyknon, da dieser der höchste des Pyknon ist
Somit ist klar, dass es vom genannten Klange sowohl nach
v oben wie nach unten nur Ein Nachbar-Intervall giebt
Aristoxenus selber musste sagen:
Vom höchsten Tone des Pyknon giebt es nach oben zu nur
Ein Nachbarintervall nämlich den Ditonos; nach unten ebenfalls
nur Eines, nämlich das mittlere Intervall des Pyknon.
c.
§ 105. Dass es endlich vom mittleren Klange des Pyknon aus
sowohl nach oben wie nach unten nur Ein Nachbar-Intervall giebt,
ist zu beweisen.
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XII. Die emmelischeu Zusammensetzungen der Intervalle. 337
Beweis: Zu dem genannten Klange muss nothwendig eines der
unzusammengesetzten Intervalle gesetzt werden. Da aber auf jeder
Seite desselben eine Diesis ihre Stelle hat, so kann zu ihr auf keine
Seite weder der Ditonos noch der Ganzton gesetzt werden.
Denn setzt man den Ditonos, so wird mit dem mesopyknos
entweder der tiefste oder der höchste Klang eines Pyknon zusammen -
lallen
i
Diton. Pykn. Pykn. Diton.
so dass, wie man auch den Ditonos setzt, drei Diesen aufeinander
folgen.
Wenn man aber zu derselben Stelle des Pyknon den Ganzton
setzt, dann wird wieder dasselbe eintreten; denn mit dem mesopy-
knos wird der tiefste Ton eines Pyknon zusammenfallen:
i
Pykn. Ton. diazeukt.
so dass drei Diesen aufeinander folgen.
Da dieses ekmelisch ist, so giebt es vom genannten Tone aus
auf jeder Seite nur Ein Intervall.
Demnach ist klar, dass es vom tiefsten Klange des Pyknon aus
auf jeder Seite zwei Nachbar-Intervalle giebt, vom höchsten und
tiefsten aber auf jeder Seite nur Eines.
26. Problem.
§ 106. Dass es nicht emmelisch ist, wenn zwei in ihrer Theil-
nahme am Pyknon unähnliche Klänge auf dieselbe Stufe gesetzt
werden, ist nachzuweisen.
Beweis: Man setze zunächst den höchsten und den tiefsten
auf dieselbe Stufe.
Pyknon
Pykuon
Ariitoienn», MeHk u. Rhythmik. 22
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338
Aristoxenus zweite Harmonik § 106. 107.
Geschieht dies, so folgen zwei Pykna aufeinander. Da dies ekme-
lisch ist, so ist es auch ekmelisch, wenn die genannten Klange im
Pyknon auf dieselbe Stufe fallen.
Klar ist es aber auch, dass es nicht emmelisch ist, wenn Klänge,
welche nach dem übrig bleibenden Unterschiede verschieden sind,
dieselbe Tonstufe gemein haben:
IM III
.IM- III
Denn mag mit dem mittleren Tone des Pyknon der tiefste oder
der höchste Ton eines Pyknon die Tonstufe gemeinsam haben, es
werden drei Diesen aufeinander folgen.
Zweites Problemen-Paar über die unzusammengesetzten Intervalle.
Schon zu Anfange des Abschnittes, unmittelbar nach der Erörterung der
Synaphe und Diazcuxis, hat Aristoxenus über die unzusammengesetzten Inter-
valle ein erstes Problemen-Paar aufgestellt: was der Begriff des unzusammen-
gesetzten Intervalles sei, und dass in jedem Tongeschlechte höchstens nur so
viele unzusammengesetzte Intervallgrössen vorkommen, als deren Anzahl in dem
Quiuten-Pentachord beträgt. Hieran würde sich dem sachlichen Zusammen-
hange nach eine Erörterung, wie gross für jedes einzelne Tongeschlecht die
Anzahl der unzusammengesetzten Intervallgrössen sei, anschliessen. Diese
Erörterung bleibt dem letzten Problemen-Paar des ganzen Abschnittes vorbe-
halten, weil vorher die Ergebnisse der Probleme 20 und 21 zur Bestimmung
der Intervallgrössen- Anzahl erforderlich sind.
Es ist als ob das letzte Problemen-Paar den wissenschaftlichen Gipfel-
punkt des ganzen, von Aristoxenus mit so ausserordentlicher Vorliebe behandelten
Abschnittes, bilden sollte. In der That ist das letzte Problemen-Paar für die
Theorie des griechischen Melos von ungemeiner Wichtigkeit.
Freilich war schon im IX. Abschn. (sowohl der vorliegenden zweiten wie
auch der ersten Harmonik) von diesen Thatsachen die Rede, aber unser Ab-
schnitt XI entlialt die nur zu erwünschte Bestätigung der dort angegebenen
Thatsachen. Dieselben entziehen sich so sehr der gewöhnlichen Vorstellung,
welche man sich bisher in Folge der Arbeiten Boeckh's und Bellermann's und
ihrer Vorgänger von der griech. Harmonik machte, dass Paul Marquard (wie
schon S. 303, 6 bemerkt) trotzdem er die von den in Bede stehenden Thatsachen
des Abschnittes IX der ersten und zweiten Harmonik übersetzt und unter
richtiger Emendation des griechischen Textes im kritischen und exegetischen
Commentare durchaus richtig interpretirt hat, nichts destoweniger bei der Stelle
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XII. Die emmelischen Zusammensetzungen der Intervalle. 339
des Abschnittes XII, welche genau dieselben Thatsachen wiederholt, die Meinung
ausspricht, dass sich von ihnen weder sonst bei Aristoxenus noch bei einem
anderen Musikschriftsteller auch nur die leiseste Spur finde.
Was wir nämlich in diesem Problemen-Paar durch Aristoxenus erfahren ist
dies, dass die durch die griechischen Tongeschlechter und ihre Chroai bedingten
Tetrachord-Theilungen keineswegs auf die von Boeckli und ßellermann hervor-
gezogenen Formen (wie dieselben oben S. 259. 260 angegeben sind) beschränkt
waren. Denn die früher von ihm (erste Harmonik § 57. 58, S. 261 und
zweite Harmonik) gegebenen Darstellung bestätigend, stellt Aristoxenus im
Abschnitt XII die Probleme 27 und 28 auf, deren Inhalt von jedem, für
welchen das Melos der Griechen Interesse hat, wohl zu beachten ist.
Das in den folgenden von Aristoxenus als „Diatonon mit zwei ver-
schiedenen Intervallgrössen" bezeichnete Pentachord ist das gewöhnliche
„Diatonon syntonon"; das „Diatonon mit vier verschiedenen Inter-
vallgrössen" ist das Diatonon malakon, das „Enharmonion und'Chroma
mit drei verschiedenen Intervallgrössen" ist das gewöhnliche Enhar-
monion und das gewöhnliche Chroma in seinen drei Chroai.
Dasjenige, was hier (§ 27.28) von Aristoxenus als „Diatonon mit drei
verschiedenen Intervallgrössen" und als „Chroma mit vier ver-
schiedenen Intervallgrössen" bezeichnet wird, ist das einzige von Ar-
chytas aufgeführte Diatonon und Chroma, wie im Abschnitt XIV dargethan
wird.
27. Problem.
§ 107. Dass das Diatonon entweder zwei oder drei oder vier
(verschiedene) unzusammengesetzte Intervalle zu seinen Bestand-
theilen hat, ist nachzuweisen.
Beweis: Dass jedes der Systeme höchstens aus so viel unzu-
sammengesetzten Intervallen besteht wie in der Quinte enthalten
sind, ist früher (Probl. 6) nachgewiesen. Es sind diese letzten der
Anzahl nach höchstens vier.
a) Diatonon mit zwei verschiedenen Intervallgrössen.
(Diatonon syntonon.)
Wenn nämlich von den vier Intervallen drei einander gleich sind,
das vierte aber eine von diesen verschiedene Grösse hat — dies
wird im Diatonon syntonon der Fall sein — so sind es bloss zwei ver-
schiedene Grössen, welche die Bestandteile des Diatonon ausmachen.
22*
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340
Aristoxenus zweite Harmonik § 107. 108.
= s, j S
Hemit. Tonos Tonos Tonos
b) Diatonon mit drei verschiedenen Intervallgrössen.
(Diatonon gemischt mit chromatischer Parhypate. Diatonon des Archytas.*)
Wenn aber die Parhypate verändert wird und somit zwei In-
tervalle der Quinte einander gleich sind, zwei aber diesen ungleich
sind, so werden es drei verschiedene Intervallgrössen sein, welche
die Bestandtheile des Diatonon sind: ein Intervall (das tiefst^
kleiner als der Halbtou, ein anderes (das mittlere und höchste)
vom Umfange des Ganztones, ein anderes (das zweittiefste) wieder
grösser als der Ganzton.
mit Parhypate des Chroma malakon:
mit Parhvpate des Chroma hemiolion:
Kleiner Grösser Tonoa Tonos
als Hemit. al« Tonos
Erste Harm. § 58 S. 262: „Es entsteht ein emmelisches Tetrachord auch
aus einer chromatischen Parhypate, (welche tiefer als die hömitonische ist) und
aus der höchsten diatonischen Lichanos." Der umklammerte Zusatz zur hand-
schriftlichen Ueberlieferung ist eine der Sache nach gewiss richtige Eraendation
Marquardt
Zweite Harra. § 58 S. 283: „Das Intervall zwischen Parhypate und
Lichanos ist kleiuer als das zwischen Lichanos und Mcse, wenn man als Lichanos
die höchste diatonische, als Parhypate eine von denen, welche tiefer als die
hömitonische ist, anwendet."
*) Es ist dies Aristoxeuische „Diatonon mit drei verschiedenen Intervall-
grössen" identisch mit dem einzigen „Diatonon" des Archytas, welcher das be-
treffende Tetrachord durch die Intervallverhältnisse
27 : 28 7 : »S 8:9
ausdrückt, dieselben Zahlen, durch die Ptolomäus die Intervalle seines „Dia-
tonon toniaion" bezeichnet. Das Nähere vgl. Abschnitt XIV.
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XII. Die emmclischeu Zusammensetzungen der Intervalle. 341
c) Diatonon mit vier verschiedenen Intervallgrössen.
(Diatonon malakon.)
Wenn aber alle Intervallgrössen der Quinte ungleich werden,
so werden es vier verschiedene Intervallgrössen sein, welche die
Bestandteile des Diatonon sind:
Hemlt Kleiner GrSwer Touo«
als Tonoi als Tonos
So ist es klar, dass das Diatonon entweder zwei oder drei oder
vier verschiedene Intervalle hat.
2S. Problem.
§ 108. Dass das Chroma und das Enharmonion entweder drei
oder vier verschiedene unzusammengesetzte Intervalle, zu ihren Be-
standteilen haben, ist nachzuweisen.
a) Unharmonion und Chroma mit drei verschiedenen Intervallgrössen.
Beweis: Wenn von den vier Intervallen, die in der Quinte der
Zahl nach enthalten sind, die Theile des Pyknon einander gleich
sind, so werden die verschiedenen Bestandteile eines jeden der
genannten Tongeschlechter der Zahl nach drei sein.
* I I §
«fiel
Enharmonion
Chroma
niiiliikon
X 0* J E flu
— : — J J
Chroma [ — ; p ^"
hemiolion
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342
Aristoxenus zweite Harmonik § 108. 109.
Chroma
toniaion
3^
1-
Hälfte <L
Pylenon
Hälfte d.
Pyknon
Gröseer Tonw
Bis Tod.
das eine die Hälfte des Pyknon (seines Tongeschlechtes und seines
Chroma), wie gross es auch sei, das andere vom Umfange des
Ganztones, das dritte das zwischen Lichanos und Mese befindliche.
b) Enharmonion und Chroma mit vier verschiedenen Intervall grossen.
(Chroma des Archytas*).
"Wenn aber die Theile des Pyknon einander ungleich sind, so
werden es vier Intervallgrössen sein, welche die Bestandteile der
genannten Tongeschlechter bilden:
das kleinste der vier Intervalle ein solches wie das zwischen
Hypate und Parhypate, das zweite wie das zwischen Parhypate
und Lichanos, das dritte der "Grösse nach vom Umfange des
Ganztones, das vierte wie das zwischen Lichanos und Mese.
In der zweiten Harmonik § 57 S. 281, 282 sagt Aristoxenus von den bei-
den unteren Intervallen des Tetrachordes: „das Intervall zwischen Hypate und
Parhypate ist entweder gleich gross wie das zwischen Parhypate und Lichanos,
oder es ist kleiner; . . . dass es kleiner ist, kann aus den chromatischen Thei-
lungen erkannt werden, wenn man nämlich die Parhypate des Chroma mala-
kon und die Lichanos des Chroma toniaion nimmt, denn auch derartige Thei-
lungen des Pyknon zeigen sich als emmelisch.
In der ersten Harmonik muss dieselbe Notiz enthalten gewesen sein, aber
die Handschriften sind liier defekt.
-5
= §
•3 °*
s -
g a
Enharmonion
Chro. niiüak.
Chro. hemiol.
Kleiner Grösser Grösser Tonos
alsHemit. alsHerail alaToo.
*) Das Chroma, welches Aristoxenus hier im Auge hat, ist identisch mit
dem einzigen „Chroma" des Archytas (vgl. Abschn. XIV).
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XII. Die cminelischen Zusammensetzungen der Intervalle. 343
Der § 57 erwähnt ausdrücklich nur das Chroma malakon, aber dann sagt
er weiter: „denn auch derartige Theilungen des Pykn. zeigen sich als emmelisch.4'
Was ist unter „derartigen Theilungen" zu verstehen? Nicht nur ausser dem
Chroma malakon auch noch das Chroma hemiolion, sondern — dies lehrt uns
der § 98 — auch das Enharmonion; denn dort heisat es: „dass das Chroma
und das Enharmonion entweder drei oder vier verschiedene Intervallgrössen
zu ihren Bestandtheilen haben, ist nachzuweisen." Der § 89 setzt mithin
ein Enharmonion und zwei Chromata als Klanggeschlechter mit vier verschie-
denen Intervallgrössen voraus.
§ 109. Da hatte einer ein Bedenken, weshalb nicht das Enhar-
monion und das Chroma gleich dem Diatonon auch zwei ver-
schiedene Intervallgrössen zu seinen Bestandtheilen habe. Der
Grund davon, dass dies nicht der Fall ist, liegt im Allgemeinen
darin, dass drei gleiche unzusammengesetzte Intervalle im Enhar-
monion und Chroma nicht gesetzt werden, wohl aber im Diatonon.
Aus diesem Grunde können bloss bisweilen im Diatonon zwei un-
zusammengesetzte Intervallgrössen die Bestandtheile bilden.
Der den Aristoxenus interpellirende Zuhörer ist ein Freund pedantischer
Gleiehmässigkeit. Das Diatonon hat entweder zwei oder drei oder vier, das
Enharmion und Chroma entweder drei oder vier, aber nicht zwei Intervall-
grössen zu Bestandtheilen. „Weshalb nicht zwei"? fragt der Zuhörer. Und
der Docent selber ist Pedant genug, dasjenige was er so gut es gehen wollte
in der Vorlesung darauf geantwortet hatte, nach der Vorlesung in das Col-
legienheft einzutragen.
■
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XIII.
Die Systeme.
(Systematische Stoicheia).
Vgl. Prooim. § 17. 18.
§ L7. „Wenn gezeigt worden, auf welche Weise die einfachen Inter-
valle mit einander zusammengesetzt werden [das ist im XII. Abschn.
„geschehen], dann sind die aus ihnen bestehenden Systeme zu behandeln,
„die übrigen nicht minder wie das vollständige System (t£/.ciov), und
„zwar in der Weise, dass wir zeigen, wie viel und welche [Quarten-,
„Quinten-, Octaven- und Doppeloctaven-Systeme] es sind, und dass wir
„die aus dem verschiedenen Megethos sich ergebenden Unterschiede
„und wiederum bei jedem Megethos die Verschiedenheiten {erstens) des
„Schemas, (zweitens) der Synthesis und (drittens) der Thesis angeben,
„dergestalt, dass bei den Melodumena Nichts, sei es Umfang, sei es
„Schema oder Synthesis oder Thesis, unbewiesen bleibt."
§ 18. „Mit diesem Theile der Disciplin haben sich die übrigen
„nicht befasst, ausgenommen Eratokles, welcher ohne Nachweis eine
„theilweise Aufzählung (der Systeme) unternommen hat. Dass er aber
„nichts (von Belang) gesagt, sondern Alles unrichtig angegeben und
„mit seinem Wahrnehmungsvermögen sich geirrt hat, ist schon früher,
„als wir diesen Gegenstand (r^a^a-ztia) ai* sich behandelten, dargethan
„worden. Denn man hat sich, wie wir in den früheren Vorlesungen
„(£v toi; £u.7:poo8ev) sahen, nirgends mit den übrigen Systemen befasst;
„bloss von Einem Systeme und nur für Ein Tongeschlecht hat es Era-
tokles unternommen, sieben Schemata der Octave aufzuzählen, die er
„durch Umstellung der Intervalle nachwies, ohne indess zu erkennen,
„dass, wenn vorher nicht die Schemata der Quinte und der Quarte dar-
gelegt worden und dann ferner, welche Art der Zusammensetzung es
„sei, nach welcher sie emmelisch zusammengesetzt werden, dass ( — sage
„ich — ) in einem solchen Falle sieh herausstellt, dass es mehr als sieben
„(durch das Schema verschiedene) Systeme giebt. Doch haben wir,
„dass dem so ist, schon in den früheren Vorlesungen ausgeführt, und
„so wollen wir dies jetzt zur Seite liegen lassen und sofort die weiteren
„Abschnitte unserer Disciplin angeben."
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XIII. Die Systeme (Systematisehe Stoieheia).
343
Diese Sätze des Prooimions sind nahezu Alles, was die handschriftliche
Ueberlieferung bezüglich der den Abschnitt XIII bildenden Lehrt« von den
Systemen enthält. Denn von der Ausführung dieses Abschnittes besitzen wir
nur die beiden ersten Paragraphen. Mit Becht ergänzt Ruelle dieselben aus
dem Anonym, de mus. Noch ergiebiger für die Ergänzung ist Pseudo-
Euklid, welcher mit dem Anonymus aus der nämlichen Quelle geschöpft hat,
der Arbeit eines dem Namen nach unbekannten Aristoxeneers, welcher die
Darstellung des Meisters umgearbeitet hat.
Also 1. Schema, 2. Synthesis, 3. Thesis, das müssen die drei Kapitel ge-
wesen sein, nach denen der Abschn. XIII gegliedert war. Wenn Aristoxenus
in der Rhythmik die Intervalleulehre seiner Harmonik als „diastematische
Stoieheia" citirt (vgl. S. 2851, so inuss er die Systcmen-Lehre* als „systema-
tische Stoieheia" gefasst haben.
*
Erinnern wir uns, dass Aristoxenus auch schon in den den Stoieheia vor-
ausgehenden Eingangsabschnitten IV § 38. 40 und Abschnitt VII § 46 — 48
über die Systeme geredet hat In Abschn. IV giebt Aristoxenus den Begriff
und die Eintheilung der Systeme, in Abschn. VII behandelt er „im Umrisse"
die symphonischen Systeme: Quarte. Quinte, Octave und deren Zusammen-
setzungen zu einander. Der Abschn. IV nennt ausser den vier Unterschieden der
Systeme: 1. nach dem Umfange, 2. nach Symphonien und Diaphonien, 3. nach
den Tongeschlechtern, 4. nach Rationalität und Irrationalität, auch noch 5. den
Unterschied nach Synaphe und Diazeuxis, 6. nach continuirlichen Systemen
und Systemata hyperbata, 7. nach eiufaeheu, zweifachen und vielfachen Systemen
und 8chliesst dort (§ 41) mit den Worten: „Worin aber ein jedes von ihnen
besteht, wird im Folgenden gezeigt werden."
Nun aber will Aristoxenus (von dem die Symphonien behandelnden Ab-
schnitte VII abgesehen) an keinem andern Orte als bloss noch im Absehn. XIII
von den Systemen handeln. Dies geht aus dem Prooimion unwiderleglich her-
vor. Auch diese Unterschiede der Systeme müssen also in dem Abschn. XIII
behandelt gewesen sein, namentlieh 4. bis 7., von denen früher noch kein ein-
ziger erörtert war.
Gehen wir nunmehr zu der Darstellung der Systeme über, welche sich
in der Pseudo- Euklidischen Einleitung in die Harmonik p. 12—18 findet. Diese
Darstellung ist, wie schon gesagt, aus dem Werke geschöpft, in welchem ein
uns dem Namen nach unbekannter Anhänger des Aristoxenus von dessen Dar-
stellung der Harmonik einen Auszug lieferte. Diesen Auszug selber besitzen
wir nicht mehr, aber durch die Musiker der römischen Kaiserzeit, welche den-
selben in ihren Compendien excerpirten, können wir una eine Vorstellung von
jenem nicht erhaltenen Auszuge des Aristoxeneers machen. Die Pseudo-
Euklidischc „Einleitung in die Harmonik" ist für den Abschnitt von den Sy-
stemen die reichhaltigste unter ihnen.
In der Systemenlehre des Pseudo-Euklides sind drei Bestandteile von
ungleichem Räume zu unterscheiden. Der erste Theil stammt aus dem Ab-
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Aristoxenus zweite Harmonik § 110. 111.
schnitt IV der Aristoxenischen Harmonik, der zweite Theil ans dem Ab-
schnitt VII, der dritte Theil, welcher der umfangreichste ist, aus dem Ab-
schnitt XIII. Obwohl hier nur dieser dritte Theil unsere Aufmerksamkeit in
Anspruch nimmt, so ist es doch auch auf den ersten und zweiten der beiden
Bestandteile einzugehen unerlässlich , denn sie documcntiren aufs entschie-
denste, dass die Darstellung des Pseudo-Euklidcs , gleichviel ob mittelbar oder
unmittelbar, auf Aristoxenus zurückgeht. Vermuthlich geht die durch Pseudo-
Euklides excerpirte Arbeit des anonymen Arwtoxeners nicht auf die erste
oder zweite Harmonik des Meisters, sondern auf die dritte zurück, in welcher
Aristoxenus selber die 18 Abschnitte der ersten und zweiten Harmonik zu
sieben Abschnitten umgearbeitet hatte. Vgl. das Prooimion zur dritten Har-
monik.
ERSTER BESTANDTHE1L DER EUKLIDISCHEN
SYSTEMENLEHRE.
Sieben Unterschiede der Systeme giebt es. Vier haben sie mit den Inter-
vallen gemeinsam-. l. nach dem Megethos, 2. nach dem Genos, 3. den des sym-
phonischen und diaphonischen, 4. den des rationalen und irrationalen Systemes.
ZWEITER BESTAND TM EIL DER EUKLIDISCHEN
S YSTEMEN LEHRE.
1. Nach dem Megethos sind die grösseren Systeme von den kleineren ver-
schieden, teie Octave, Trüonos, Quinte, Quarte u. dgl.
2. Nach dem Genos, z. B. die diatonischen von den enharmonischen oder
chromatischen, oder die chromatischen oder enharmonischen von den Übrigen.
3. Symphonische und diaphonische Systeme: die von symphonischen Klängen
umschlossenen unterscheiden sich von den durch diaphonische Klänge begrenzten.
Indem Systema amat abolon giebt es 6 Symphonieen : I.die Quarte, die
kleinste Symphonie, aus zwei Ganztönen und einem halben, z. B. von der Hy-
pate hypaton zur Hypate meson; 2. die Quinte aus Ganztönen, z. B. vom
Proslambanomenos zur Hypate meson; 3. die Octave aus 6 Ganztönen, z. B.
vom Proslambanomenos zur Nete synemmenon oder zur Paranete diezeugmenon
diatonos; 4. die Undecime (Octave mit Quarte) aus 8Y* Ganztönen; 5. die
Duodecime (Octave mit Quinte) aus 91;, Ganstönen, z. B. vom Proslambano-
menos bis zur Nete diezeugmenon: 6. die Doppeloctave aus 12 Ganztönen vom
Proslambanomenos bis zur Nete hyperbolaion.
Das sogen. Systema synemmenon gehl bis zur vierten Symphonie, näm-
lich 1. Quarte, 2. Quinte, 3. Octave, 4. Undecime.
Vergrössern lässt sich der Umfang der Stimme bis zur siebenten und
achten Symphonie, nämlich 7. Doppeloctave mit der Quarte, 8. Doppeloctave mit
der Quinte.
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XIII. Die Systeme: 1. Schemata oder Eide.
347
Diaphonische Intervalle sind alle diejenigen, welche kleiner als die Quarte
find, und alle diejenigen, welche zwischen zwei symphonischen Intervallen in der
Mitte liegen,
DRITTER BESTANDTHEIL DER EUKLIDISCHEN
S YSTEMENLEHRE.
Derselbe behandelt zunächst die verschiedenen Schemata des Quarten-,
Quinten- und Octaven-Systemes. Der Anfang dieser Partie stimmt mit dem
kurzen Reste, welcher in den Aristoxenischen Handschriften von Abschn. XIII
sich erhalten hat, so sehr iiberein, dass man sie gegenseitig aus einander emen-
diren kann.
Es folge hier nunmehr das kurze in den Handschriften noch erhaltene
Aristoxenus-Fragment des Abschn. XIII über die
1.
Schemata oder Eide der Systeme.
§ .1 10. Hierauf ist zu erörtern, was der Unterschied nach dem
Schema ist — es ist einerlei ob wir Schema oder Eidos sagen, denn
beide Namen beziehen wir auf dasselbe.
Er findet statt, wenn bei dem nämlichen aus den nämlichen
unzusammengesetzten Intervallen bestehenden Megethos — ich sage
aus den nämlichen sowohl mit Bezug auf ihr Megethos wie ihre
Anzahl — die Reihenfolge derselben sich ändert.
Drei Eide de» Quarten- Systeme».
§ 111. Nachdem dies festgestellt, ist zu zeigen, dass es drei
Eide der Quarte (in jedem der drei Tongeschlechter) giebt. I. Im
Enharmonion: erstes Eidos, wo das Pyknon unterhalb des Ditonos
liegt; zweites Eidos, wo eine Diesis zu beiden Seiten des Ditonos;
drittes Eidos, wo das Pyknon oberhalb des Ditonos.
»
1. h h c e
2. h c e e
3. e e e f
(So im Enharmonion und analog IL auch im Chroma. IQ. Im Diatonon
aber sind die Quarten-Eide folgende: Erst es Eidos, wo der Halb-
ton das untere Intervall bildet; zweites Eidos, wo der Halbton
das obere Intervall, drittes Eidos, wo der Halbton das mittlere
Intervall.)
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34S
Aristoxcnus zweite Harmonik § 111.
1. h c d e
2. c d e f
3. d e f g
Dass es nicht möglich ist, die Theile der Quarte anders als
in der gegebenen Reihenfolge zu setzen, ist leicht einzusehen.
Mit diesen Worten, auf welche zunächst noch ein das „£>o!oiov cuvioeiv"
ausführender Beweis im Sinne der Problemata des vorigen Abschnittes gefolgt
sein muss, endet das handschriftliche Bruchstück der zweiten Aristoxenischen
Harmonik.
Welchen Gang Aristozenus im Verfolge der Darstellung eingehalten hat,
dürfte aus den im Prooimion bei Gelegenheit der Inhaltsangabe des Ab-
schnittes XIV, § 19 gebrauchten Worten hervorgehen: „Sind die Systeme so-
wohl nach einem jeden der Tongeschlechter wie nach jedem ihrer
Unterschiede aufgezählt worden, so wird (im Abschn. XIV) die Mischung der
Tongeschlechtcr zu untersuchen sein."
Dieser Mittheilung des Prooimions zufolge muss auch vor dem Schluss-
satze eine das Chroma und das Diatonon für die Schemata der Quarte dar-
stellende Partie ausgefallen sein, denn in der Handschrift ist von den drei
Toiigeschlechtern bloss das Enharmonion ausgeführt Wir haben, was hier für
die Quarte des chromatischen und diatonischen Geschlechtes gestanden haben
muss, nach der Darstellung des Pseudo-Euklides ergänzt. Dieselbe lautet im
dritten Bestandtheile der Systemenlehre:
Dasselbe Megefhos hat verschiedene Schemata, aus unzusammengesetzten
Intervallen von gleicher Grösse und Anzahl bestehend, im Falle nämlich beim
Vorhandensein eines ungleichen Intervalles die Reihenfolge sich ändert. Denn
die aus lauter gleichen oder ähnlichen Intervallen bestehenden haben keinen
Wechsel der Reihenfolge.
Drei Schemata des Qtiarten-Systemes.
Das erste Schema ist das von Barypykna umschlossene, z. B. von der
Hypate hypafon bis zur Hy/>ate meson.
Das zweite Schema ist das von Mesopykna umschlossene z. B. von der
Parhypate hypaton bis zur Parhypate meson.
Das dritte Schema ist das von Oxypykna umschlossene, z. B. von der
Lichanos hypaton bis zur Lichanos meson.
In der Harmonie und dem Chroma xcerden die Schemata der Symphonieen
mit Rücksieht auf die Stellung des Pyknon genommen.
Im Diatonon aber giebt es kein Pyknon, da dies Gcnos aus Halbton und
Ganztönen besieht. In der Quarten- Symphonie sind nämlich ein Halbton und
zwei Ganztöne. [Analog auch in der Quinte]. Mit Rücksicht auf die Stellung
des Halbtons verden die Schemata bestimmt.
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XIII. Die Systeme: 1. Schemata oder Eide.
349
Von dem diatonischen Quarten-System ist das erste Eidos das-
jenige, in welchem der Halbton unterhalb der Ganztöne liegt,
das zweite Eidos hat den Halbton in der Mitte der Ganztöne,
im dritten Eidos liegt der Ganzton oberhalb der Halbtöne.
Auf dieselbe Weise auch in den übrigen Tongeschlechtern. Ferner giebt es:
Vier Schemata des Quinten-System es.
Im Enharmonion (und analog im Chroma):
erstes Quinten -Schema von Barypykna umschlossen; der (diazeuktische)
Gantton liegt oben, z. B. von der Hypate meson bis zur Paramese;
zweites Quinten-Schema ron Mesopylcna umschlossen: der Ganzton an
vorletzter Stelle, z. B. von der Parhypate meson bis zur Trite diezeugmenon;
drittes Quinten- Schema von Orypykna umschlossen', der Ganzton an
zweiter Stelle, z. B. ron der Lichanos meson bis zur Paranete diezeugmenon-,
viertes Quinten-Schema von BarypyJbta umschlossen: der vierte Ganzton
liegt oben, z. B. von der Mese zur Nete diezeugmenon oder vom Proslambano-
menos zur Hypate meson.
«
1. e e f ah
2. e f a h h
3. f a h h c
4. a h h c e
Im Diatunon:
erstes Quinten- Schema: der Halbion unten,
zweites Quinten-Schema: der Halbton oben,
drittes Quinten- Schema: der Halbton an dritter Stelle,
viertes Quinten- Schema: der Halbton an zweiter Stelle.
1. e f g ah
2. f g a h c
3. g a h c d
4. a h c d e
Endlich giebt es-.
Sieben Eide des Octaven-Systemes.
Erstes Octaven- Eidos, von Barypykna umschlossen. Der erste Ganzton
oben, von der Hypate hypaton bis zur Paramese. Hiess bei den Alten Mixo-
lydisch.
Zweites Octaven- Eidos, von Mesopykna umschlossen, der zweite Ganzton
oben, von der Parhypate hypaton zur Trite diezeugmenon. Wurde Lydisch
genannt.
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350
Aristoxenus zweite Harmonik.
Drittes Octaven-Eidos , von Oxypykna umschlossen, der dritte Ganzton
oben, von der Lichanos hypaton bis zur Paranete diezeugmenon. Wurde Phry-
gisch genannt.
Viertes Octaven-Eidos von Barypykna umschlossen, der vierte Ganzton
oben, von der Eypate meson bis zur Nete diezeugmenon. Wurde Dorisch
genannt.
Fünftes Octaven-Eidos von MesopyJcna umschlossen, der fünfte Ganzton
oben, von der Parhypate meson bis zur Trite hyperbolaion. Wurde Hypoly-
disch genannt.
Das sechste Octaven-Eidos von Orypykna umschlossen, der erste Ganzton
oben, von der Lichanos meson bis zur Nete hyperbolaion. Wurde Hypophry-
gisch genannt.
Da* siebente Octaven-Eidos von Barypyhna umschlossen, der erste Ganz-
ton unten, von der Mese zur Nete hyperbolaion oder vom Proslambanomenos
zur. Mese. Wurde Koinon, Lohristi, Hypodorisch genannt.
Im Diatonon <— eine jede Octave hat 2 Halbtöne und 5 Ganztöne — ) ■
Erstes Octaven-Eidos: das erste (unterste) und das vierte Intervall ein
Zweites Octaven-Eidos: das dritte und das siebente Intervall ein Halbton.
Drittes Octaven-Eidos: Halbton als zweites und als sechste* Intervall.
Viertes Octaven-Eidos: Halbton an erster und fünfter Stelle.
Fünftes Octaven-Eidos: Halbton an vierter und siebenter Stelle.
Sechstes Octaven-Eidos: Halbton an dritter und sechster Stelle.
Siebentes Octaven- Eidos: Halbton an zweiter und fünfter Stelle.
Die Grenzklänge genau mit denselben Namen wie beim Enharmonion und
Chroma benannt.
Halbfon.
hypaton
meson
diezeug.
hyperbol.
1. Mixolytl.
2. Lydisch
3. Phrygiach
g a h c d
g a h c
4. Dorisch
e f
g a h c d e
5. Hypolydiseh
6. Hypophrygisch
7. Hypodorisch
g a h c d e f
gahcdefg
ahcdefga
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XIII. Die Systeme: 1. Schemata oder Eide. 351
Die Octaven-Eide für die Enliarmonik und (analog für die Chromatik):
1. Mixolyd. HHc eef a h
2. Lydisch ftc eef a hh
3. Phrygisch c eef a hhc
4. Dorisch eef a h!i c e
* * *
5. HyjK>lyd. ef a hhc ee
6. Hypophryg. f a hhc eef
7- Hypodorisch a hhc eef a
Die ganze vorliegende Darstellung über die Systeme verräth sich unwider-
leglich als eine entweder aus dem Aristoxenischen Abschn. XIII der ersten oder
der zweiten Harmonik, oder was, wie bemerkt, noch wahrscheinlicher sein mochte,
aus dem Abschn. III der dritten Harmonik geschöpfte. Auch der Anonymus hat
vielfach dasselbe wie Pseudo-Euklid, was auf Gemeinsamkeit der beiderseitigen
Quelle hinweist. Es ist selbstverständlich, dass bei allen diesen Späteren das-
jenige, was AristoxenuB selber gesagt, vielfach abgekürzt ist. Denn nichts
findet sich in unseren Quellen von der durch Problemata beweisenden logisch-
mathematischen Methode des Aristoxenus, die wir doch auch für den die Sy-
steme behandelnden Abschnitt der Aristoxenischen Stoicheia nothwendig voraus-
setzen müssen. — Was Aristoxenus im Prooimion im § 19 bei Gelegenheit der
auf die Systemen-Lehre folgenden Mischung der Tongeschlechter sagt „sind
die Systeme . . . nach jedem der Tongeschlechter aufgezählt worden", diese
Darstellung8wei8e des Aristoxenus lässt sieh auch aus dem Auszuge des Pseudo-
Euklid deutlich erkennen.
Doch von etwas anderem, auf welches das Aristoxenische Prooimion im
§ 18 hindeutet, lässt sich aus dem vorliegenden Auszuge nichts mehr erkennen.
Das Prooimion sagt nämlich: „Bloss von Einem Systeme und bloss für Ein
Tongeschlecht hat es Eratokles unternommen , sieben Schemata der Octave
aufzuzählen, die er durch Umstellung der Intervalle nachwies, ohne indess zu
erkennen, dass, wenn vorher nicht die Schemata der Quinte und der Quarte
dargelegt worden und dann ferner, welche Art der Zusammensetzung es sei,
nach welcher sie emmelisch zusammengesetzt werden, dass ( — sage ich — ) in
einem solchen Falle sich herausstellt, dass es mehr als sieben durch das Schema
verschiedene Systeme giebt.
Gaudentius, in der Darstellung der Systeme der treueste Doppelgänger
des Pseudo-Euklid, hat p. 19 seiner harmonischen Einleitung aus dem gemein-
samen Originale einen Theil der Stelle mitgetheilt, welche die Zusammensetzung
der Octave aus Quarten und Quinten betraf. Man habe, heisst es dort, zwölf
Eide oder Schemata der Octave angenommen, weil es drei Schemata der Quarte
und vier Schemata der Quinte gebe, und aus beiden die Octave zusammenge-
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352 Aristoxenus zweite Harmonik.
•
setzt werde. Aber nicht zwölf, sondern nur sieben Octavengattungen seien
emmelisch. Dies also war das Verfahren des Eratoklcs gewesen, dessen Er-
gebnisse Aristoxenus mit seinem im Problem 1 des Abschn. XIII enthaltenen
Satze mit Leichtigkeit als ekmelisch nachweisen konnte. Weiteres über die
Octavenzueammensetzung aus Quarte und Quinte in Bellermanns Anonym, p. 75.
Aus der oben angeführten Stelle des Gaudentius ergiebt sich, in welcher
Weise Aristoxenus die sieben Octaven-Eide als Zusammensetzungen aus Quarten-
und Quinten-Eide aufgefasst hat:
1. Quarte
1. Quinte
1. Mixol.
/ s/ —
h c d e
f g a h
2. Quarte
2. Quinte.
2. hyd.
r — >/
e d e f
g a h c
3. Quinte
2. Quarte
3. Quarte
3. Quinte
3. Phryg.
d e f g
a h c d
4. Quinte
3. Quarte
1. Quinte
1. Quarte
4. Dor.
e f ff a
h c d e
II \S »1 V*
'
1. Quarte
4. -Quinte
2. Quinte
2. Quarte
5. Hypolyd.
f g a h
c d e f
3. Quinte
3. Quarte
6. Hypophryg.
g a h c
d e f g
/
2. Quarte
3. Quinte
4. Quinte
1. Quarte
7. Hypodor.
a h c d
v / \
c f g a
3. Quarte
4. Quinte.
Bei den Octaven-Fonnen 2. 3. 4. 6. 7 kann mau in der Tiefe sowohl mit
einer Quarte wie mit einer Quinte beginnen (nur bei Nr. 7 hat dies Gaudentius
ausdrücklich bemerkt; seine Quelle Aristoxenus wird es auch bei den übrigen
nicht unerwähnt gelassen haben). Bei der Octavenform 1. kann mau nur die
Zusammensetzung aus einer unteren Quarte und oberen Quinte annehmen, bei
der Octavenform 5. nur die Zusammensetzung aus einer unteren Quinte und
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XIII. Die Systeme: 1. Schemata oder Eide.
353
oberen Quarte. Denn wollte man die Octavenform No. 1 aus einer unteren
Quinte und oberen Quarte entstehen lassen, so würde sich hier keine obere
Quinte ergeben, denn f h ist ein Tritonos. Ebenso in No. 5: das Intervall f h ist
ein Tritonos, kein Quarten-Intervall.
Aber die Mixolydische und die Hypolydische Octave kann man je nur auf
Eine Weise aus den unzusammengesetzten Systemen (vgl. S. 355) zusammen-
setzen: jene (die Mixolydische) aus dem 1. Quarten- und dem 1. Quinten-Eidos,
diese (die Hypolydische) aus dem 2. Quinten- und dem 2. Quarten-Eidos. Die
fünf übrigen Octaven dagegen je auf zwei Weisen: einmal eine Quarte unten,
eine Quinte obeu, sondann umgekehrt eine Quinte unten, eine Quarte oben.
Von der doppelten Zusammensetzung der fünf übrigen (ausser der Mixo-
lydischen und Hypolydischen) Octaven abgesehen, würde sich also die Zusam-
mensetzung aus Quarten und Quinten folgendermaassen herausstellen:
erste Octave aus dem ersten Quarten- und dem ersten Quinten-Eidos,
zweite Octave aus dem zweiten Quarten- und dem zweiten Quinten-Eidos,
dritte Octave aus dem dritten Quarten- und dem dritten Quinten-Eidos,
vierte Octave aus dem ersten Quinten- und dem ersten Quarten-Eidos,
fünfte Octave aus dem zweiten Quinten- und dem zweiten Quarten-Eidos,
sechste Octave aus dem dritten Quinten- und dem dritten Quarten-Eidos,
siebente Octave aus dem vierten Quinten- und dem ersten Quarten-Eidos.
Nur dann ergiebt die Zusammensetzung des Quarten- und des Quinten-
EidoB ein emmelisches Octaven-Eidos, wenn das betreffende Quarten-Eidos mit
dem der Reihenfolge der Eide nach gleichnamigen Quinten-Eidos (das erste
mit dem ersten, das zweite mit dem zweiten, das dritte mit dem dritten) zu-
sammengesetzt wird, entweder das Quarten-Eidos in der Tiefe, oder das
Quinten-Eidos in der Tiefe, oder auch (bei der Hypodorischen Octave): wenn
das vierte Quinten-Eidos in der Tiefe mit dem darauf folgenden ersten Quarten-
Eidos sich vereint. Ist dies nicht der Fall, dann ist die Zusammensetzung der
Quarten und Quinten zur Octave ekmelisch.
Durch solche Auseinandersetzung muss Aristoxenus die Mängel, welche
er in dem Prooimion § 18 der Eratokleischen Darstellung der sieben Octavcn-
Schemata vorwirft, dem Gaudentius zufolge berichtigt haben: „Bloss von dem
Einem Systeme der Octave . . . hat es Eratokles unternommen, sieben Schemata
durch Umstellung der Intervalle nachzuweisen, ohne zu erkennen, dass, wenn
vorher nicht die Schemata der Quinte und der Quarten dargelegt worden und
dann ferner, welche Art der Zusammensetzung es sei, nach welcher diese em-
melisch zusammengesetzt werden, dass in einem solchen Falle sich herausstellt,
es müsse mehr als sieben durch das Schema verschiedene Octa^en-Systeme geben."
Die Unterschiede der altgriechischen Octaven-Eide sind im Allgemeinen
dasselbe, was wir in der modernen Musik den Unterschied der Moll- und Dur-
Tonart nennen. Dur und Moll: auf diese Dyas beschranken sich die Octaven-
Gattungen der heutigen Musik gegenüber der Heptas altgriechischer Octaven-
Eide. Was sich aus den Alten über den Gebrauch und das Ethos der Octaven-
Arittoxena«, Melik u. Rhythmik. 23
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354
Aristoxenus zweite Harmouik.
Eide ermitteln lässt, ist von mir in der griechischen Rhythmik und Harmonik
vom Jahre 1867 § 27 sorgfaltig zusammengestellt. Wie wir heut zu Tage
durch Dur anders als durch Moll afficirt werden, so und noch viel mehr wurde
die Seele der Alten durch die verschiedenen Octavengattungen in gegensetz-
licher Weise bewegt (daher Aristid. p. 18: „[cjorrjuata] a xii dp yd; oi naXai&t
t&v fjftäiv ixaXoyv"), und Dichter und Prosaiker sind beredt genug, die be-
sondere Einwirkung des einen oder des anderen Octaven-Eidos auf das Ge-
müth des Zuhörers darzustellen. Sie reden von dorischer, phrygischer Har-
monie und meinen damit, was Aristoxenus Octaven-Eidos nennt, denn Har-
monia ist der ältere Name für Octave. Weniger genau wird von den Schrift-
stellern statt dessen auch dorischer, phrygischer Tonos gesagt, was im Allge-
meinen leicht zu Verwechselungen verleiten könnte, denn Tonos ist bei Aristo-
xenus der Terminus technicu» für Transpositions-Scala, und auffallender Weise
führen die letzteren bei den Alten dieselben oder wenigstens ähnliche Benen-
nungen wie die Octaven, vgl. Abschu. XV*n.
Endlich kommt an Stelle von Octaven-Eidos auch noch der Name „Tro-
pos" vor, d. i. dorische Weise, phrygische Welse u. s. w.
Ausser den Namen der sieben verschiedenen Octaven-Eide erwähnen die
griechischen Schriftsteller, von den Prosaikern vornehmlich Plato und Aristo-
teles, noch andere Benennungen griechischer Hannoineen. Zusammen mit den
obigen kennen wir folgende Namen. Zum Theil lässt sich auch für diese
übrigen Scalen der Anfangsklang mit Sicherheit ermitteln.
Scala in e : Dorisch.
Scala in d : Phrygiseh.
Scala in c : Lydisch.
Scala in h : Mixolydisch.
Syntouo-Jasti.
Scala in a : Aeolisch, identisch mit Hypodorisch.
Syntono-Lydisch.
Lokristi.
Scala in g : Chalara oder aneimene Jasti, oder schlechthin Jasti, iden-
tisch mit Hypophrygisch.
Scala in f : Chalara oder (ep)aneimeuc Lydisti, identisch mit Hypolydiseh.
Scala in V : BoiotistL
Der Anfangston der letzteren Scala ist aus der Ueberlicferung nicht zu
ermitteln. Was wir über diese und die übrigen vermuthen, siehe weiter unten.
2.
Synthesis der Systeme.
Aristoxenus selber sagt im Abschn. IV von den Unterschieden der Systeme
§ 40: „Der dritte der bei den Intervallen genannten Unterschiede, nämlich
der, dass das Intervall entweder ein unzusammengesetztes oder ein zusammen -
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XIII. Die Systeme: 2. Synthesis.
355
gesetztes ist, wird bei den Systemen nicht vorkommen, wenigstens nicht in
der Weise, wie unter den Intervallen die einen unzusammengesetzte, die andern
zusammengesetzte sind." Von den Intervallen waren unzusammengesetzt
diejenigen, welche durch zwei in der Scala continuirlich auf einander folgende
Klänge gebildet sind. Das Gegentheil von diesen sind die zusammengesetzten
Intervalle. Dieser Definition wird also, wie Aristoxenus zu bemerken für nöthig
hält, der Unterschied unzusammengesetzter und zusammengesetzter Systeme
nicht analog sein. Der Anonym. § 74, welcher gleich dem Pseudo-Euklid auf
die Darstellung des Aristoxenus als erste Quelle zurückgeht, redet von „un-
zusammengesetzten und zusammengesetzten Symphonieen. " Unzusammenge-
setzte seien die Quarten- und Quinten-Symphonie; zusammengesetzt sei die
Octavc, die Unflecime, die Duodecime und die Doppeloctav. Gaudentius, dessen
kleine Schrift eben daher stammt, sagt p. 4 von der Einteilung der Systeme:
die einen seien primäre und unzusammengesetzte {zpfb-t xai douv^exa), die an-
deren seien weder das eine noch das andere (ovre rp&ta oüts (ia^Dexa), also
secundäre und zusammengesetzte Systeme.
Hiermit gehen wir auf Pseudo-Euklid p. 12—18 zurück: „Durch den Unter-
schied des Synemmenou und Diczcugmenon werden diejenigen Systeme, welche
aus Synemmenon-Tetrachorden ihre Synthesis haben, von denjenigen, welche
aus Diezeugmenon- Tetrachorden zusammengesetzt sind, verschieden sein."
Diese beiden Tetrachorde werden also diejenigen Systeme sein, weiche die
vorhergehende Stelle des Gaudentius „primäre und einfache Symphonieen"
nennt: sie bilden die Elemente bei der Synthesis der Systeme. Wir wissen
hiermit, das« von den sieben Unterschieden der Systeme, welche Aristoxeuus
§ 40. 41 aufzählt, der fünfte und der siebente Unterschied sich auf die ver-
schiedene Synthesis der Systeme beziehen.
a* Synaphe- und DiazeuxUSysteme,
In dem vierten der Eingangs -Abschnitte sagte Aristoxenus § 41: „Die
fünfte Eintheilung der Systeme ist diejenige, wonach das System entweder
durch Synaphe oder durch Diazeuxis, oder zugleich durch Synaphe und Dia-
zeuxis gebildet ist. Jedes System nämlich von einem gewissen Umfange an
ist entweder ein Synemmenon oder ein Diezeugmenon oder ein aus beiden ge-
mischtes (Systema miktou), denn auch dies letztere zeigt sich in einigen Sy-
stemen . . . Worin aber ein jedes besteht, wird im folgenden gezeigt werden."
Unter „dem folgenden" versteht Aristoxenus die (systematischen) Stoieheia
Abschnitt XIII.
Aus ihnen hat Euklid (vgl. S. 850) folgendes excerpirt (auch bei 0. Paul,
Boetius S. 341): „Synaphe ist der gemeinsame Klang zweier continuirlicher
Tetrachorde, welche das nämliche Schema haben; Diazeuxis ist der in der
Mitte stehende Ganzton zwischen zwei continuirlich fortlaufenden nach ein und
demselben Schema eingerichteten Terracliorden."
23*
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356
Aristoxeuus zweite Harmonik.
Dann spricht unser Excerpt weiter:
I. Von den sogenannten unvollkommenen Systemen (i?e).-jj ovor^-
uita), welche aus den beiden einfachen Elementen, dem Synemmenon und dem
Diezeugmenon zusammengesetzt sind. Das erste der unvollkommenen Systeme
ist das
H e p t a c h o r d.
Es heisst dort:
„Im Ganzen giebt es eine dreifache Synaphe, eine mittlere, höchste und
tiefste. Die tiefste Synaphe ist die aus dem Tetrachorde hypaton und meson,
welche durch die Hypate meson e als gemeinsamen Klang verbunden sind.
H c d e f g a
Die mittlere Synaphe ist die aus dem Tetrachorde meson und synemmenon
zusammengesetzte: als gemeinsamer Klang verbindet sie die Mese a.
e f g ab c d
^ '
Die höchste Synaphe ist die aus dem Tetraeborde diezeugmenon und hyper-
bolaion zusammengesetzte: als gemeinsamer Klang verbindet sie die Neto
diezeugmenon.
b c d e f g a
v ■ ■■ '
0 k t a c h o r d.
Diazeuxis giebt eB nur eine, aus dem Tetrachorde meson und diezeugmenon:
gemeinsam ist ihnen als trennender Ganzton der zwischen Mese und Paramese
liegende a h.
ef g a hc d e
* ' » '
II. Vollkommene Systeme (-riXeia aj<rrr(ua7a) giebt es zwei, ein klei-
neres und ein grösseres.
Hendckachord.
Das kleinere Systema teleion ist kata Synaphen vom Proslainbano-
menos bis zur Ncte synemmenon. In ihm kommen drei Tetrachorde synem-
mena: hypaton, meson, synemmenon vor, nebst einem Ganzton vom Proslam-
banomenos bis zur Hypate hypaton. Es wird durch die aus der Octave mit
der Quarte bestehende Symphonie begrenzt. Ptol. II. 6 (Paul, Boetius S. 285).
AHc d ef g ab c d
Pentekaidckacbord.
In dem grösseren Syrteina teleion kommen vier Tetrachorde vor, zwei
diezeugmena kata Synaphen verbunden, einmal hypaton und meson, sodann die-
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XIII. Die Systeme: 2. Synthesis.
357
zeugmcnou und hyperbolaion, dazu noch zwei Ganztöne, der eine zwischen dem
Proslambanomenos und der Hypatc hypaton, der andere zwischen der Mese
und Paramese; es wird durch die Symphonie der Doppeloctave begrenzt.
AHcdefga hcdefga
V ^ ' V >
Grössere» Systema emmetabolon.
Fünf Tetrachordc kommen in dem (grösseren) Systema emmetabolon (so
ist zu lesen) vor, welches aus den beiden Systemata teleia zusammengesetzt ist.
Zwei Tetrachordc sind einem jeden der teleia gemeinsam, das Tetrachord hy-
paton und meson ; dem Systema kata Synaphen ist das Tetrachord synemmenou
eigentümlich; dem Systema kata Diezcuxin das Tetrachord diezeugmenon
und hyperbolaion".
Es sei hier noch auf Abschn. XII S. 303 verwiesen, wo Aristoxenus eine
in der Folge zu erörternde Kigenthümlichkcit der Systeme antieipirt, welche nur
bei der Synthesis der Systeme behau Jelt sein kann.
h. Einfache, zweifache, vielfache Systeme.
Dies ist der siebente Unterschied nach Aristoxenus § 41 : ,,Denu jedes
System, welches wir nehmen, ist entweder ein einfaches oder ein zweifaches
oder ein vielfaches."
Marq. S. 244 commentirt: „Ueber diesen Unterschied sind wir besser
unterrichtet. Aristides p. 16,2 erklärt: Td |xev djcXd 5 xa8' üva tp^rov fxxetrai,
xd hi oj/ ditXä a xaxd rXefSvaiv xpirtuv irXoxf,v fUexai, d. i. und die einen sind
e i n f a ch , welche in einer einzigen Tonart ausgesetzt sind, die andern nicht e i n -
fach, welche in einer Verknüpfung mehrerer Tonarten bestehen. In der In-
troduetio des Pseudo-Euklidea lesen wir p. 18,20: Tjj Ik toO dfxexa^Xoy otolosi
xaft' f^v oia;p£pet xd dnXä auaT^fiot-a x<uv d<tXdw . drcXä jxiv ovv toxi xd ^po;
|xta^ ftiar^ r(pfJL03fiiva, StzXä oe xi rpi; Sio, xpinXd Ii xd rpi; xpst;, TroXXazXd-
aia hi xd zpö« rXtfova;, d. i. nach dem Unterschiede des Unmodulirten und
Modulirten werden sie sich wie die einfachen Systeme von den nicht einfachen
unterscheiden; einfach sind die, welche nach einer Mese gestimmt sind,
doppelt, welche nach zwei, dreifach, welche nach drei, vielfach, welche
nach mehreren. Daraus ergiebt sich also zunächst, dass ein a-jrrr^i dnXo*Jv
dasselbe bt wie ein ojoxT,fia dpicxd^oXov, ein modulirtes; und so wie die Intro-
duetio definirt auch Aristides p. 17, 12 die dpexdßoXa und die ijAfxexdjiloXa oder
lAtxa^aXX^pieva.'* Vgl. Dritte Harmonik 21.
Wir wissen aus dem sonst Ueberlieferten nur von solchen Systemen, auf
deren jedem nur ein einziger Klang die Benennung „Mese" führt.
- Im Anschlüsse an unser Material können wir also die Pseudo-Euklidische
Uebcrlicferung
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358
Ari8toxenus zweite Harmonik.
einfaches System mit einer Mese,
zweifaches System mit zwei Mesai,
dreifaches System mit drei Mesai,
vielfaches System mit einer vielfachen Zahl von Mesai,
kaum anders verstehen, als dass hier Klänge gemeint sind, welche die Function
der Mese haben oder haben können, auch wenn Bie eine andere Klangbe-
nennung führen. Auf dem hendekachordischen System
AHcdefgabcd
v
führt der Klang a die Benuung Mese, kein anderer. Er ist der obere Schluss-
ton der hypodorischen Octave in der Transpositionsscala ohne Vorzeichnung.
Derselbe Ton a ist aber auf dem hendekachordischen Systeme zugleich der
fünfte Ton einer zweiten hypodorischen Octaven-Scala, welche die Vorzeich-
nung mit einem b hat (d-Moll). Also hat der Ton a unserer Scala die Func-
tion der Mese für die hypodorischc Octave in a; auf demselben Hendekachorde,
hat aber auch für die Octave defgabed der Klang d die nämliche Function
welche für die Octave AHcdefga der Klang a hatte, nämlich die der
Mese. Somit haben wir in dem Hendekachorde eine zweifache Mese. Das Hende»
kachord gehört also in die Klasse derjenigen Systeme, welche Aristox. § 41 und
Pseudo- Euklid p. 18 „zweifache Systeme" nennen. Es ist ein „Systema emme-
tabolon", man kann auf demselben (modern ausgedrückt) von a-Moll nach
d-Moll moduliren. Diese Verwendbarkeit zur Modulation ist es, was Ptolem.
harm. 2, 6 als den eigentlichen Zweck des Hendekachordes bezeichnet. Es steht
im Dienste der Praxis ; sieht man von dem Moduliren (der „Metabole") ab, so
hat das hendekachordische System keinen Zweck. Deshalb erklärt er die Theorie
des Aristoxcnus für unnütz und will die Systeme auf das Dodekaehord und
das Pentekaidekachord (Doppeloctav) als Systemata ametabola beschränken.
Wenn Marq. zu § 41 des Aristox. Harm, behauptet: „über diesen Unterschied
sind wir besser unterrichtet", so müssen wir unsererseits gestehen, dass wir
zwar einfache Systeme (Systemata ametabola) und von den Systemata emuie-
tabola oder metabollomena die zweifachen Systeme kennen, aber von welcher
Beschaffenheit die dreilachen und die vielfachen Systeme (mit dreifacher
und vielfacher Mese) waren, darüber vermögen wir uns aus ungern Quellen nicht
die kleinste Notiz zu entnehmen. Wir wissen es nicht. Wir können uns nur
dies fasslich machen, dass die Griechen aus einer TransjKJsitiousscala in eine
zweite Transpositionsscala modulirten, aber wie sie mehr als zwei Transposi-
tionsscalen in demselben Melos verbunden haben, das ist nicht überliefert. Dem
entsprechende Systeme sind uns imbekannt. Die Definition der Mese, welche,
nie es scheint, Aristoxcnus an dieser Stelle gegeben hat, vermag ich aus den
bei Pseudo-Euklid am Ende der Systemenlehre über die Mese vorkommenden
Sätzen nicht mehr herauszufinden.
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XIII. Die Systeme: 3. Thesis.
359
3.
Thesis der Systeme.
Was unter der Thesis zu verstehen ist, welche Aristoxenus, wie er im
Prooimion § ' 1 7 erklärt, in dem Abschnitte von den Systemen ausser dem
Schema und der Synthesis derselben als dritten Punkt behandeln will, das
geht aus § 100 hervor. Dort heisst es: „Die Intervallgrössen (bei ihrem
schwankenden Umfange in den Chroai) und (demzufolge auch) die Tonhöhen
der Klänge ergeben sich als unbestimmte Begriffe der melischen Theorie; da-
gegen begrenzte und feste Begriffe sind die kata Dynameis, die kaf Eide
und die kata Theseis". Die hier vorkommende Zusammenstellung „kata
Dynameis'« und „kata Theseis" lässt, zumal hier von Intervallgrössen und ?<üv
sM-pfcav -caoet; die Rede ist, keinen Zweifel, dass Aristoxcnus dasselbe meint
wie die Onomasia kata Dynamin und kata Thesin bei Ptolemäus. Dass dieser
von Ptolemäus so ausführlich dargelegte Gegenstand auch schon in der Har-
monik des Aristoxenus behandelt war, blieb mir in der ersten und in der zweiten
Ausgabe meiner griechischen Harmonik noch unbekannt. Ich wusstc nur dies,
dass die Aristoxenische Grundlage in der Nomenclatur der Scalen-Klänge mit
demjenigen, was bei Ptolemäus dynamische Onomasic heisst, identisch ist.
Dass auch die thetische. Onomasie des Ptolemäus dem Aristoxcnus bekannt
sei, dies wusste ich damals noch nicht. In der zweiten Ausgabe der Harmonik
S. 351 glaubte ich sageu zu müssen: „Die ganze Art und Weise, wie Ptole-
mäus von der thetischen Onomasie redet, zeigt, dass sie immöglich etwas erst
von ihm selber Erfundenes ist. Vielmehr setzt Ptolemttus dieselbe als die den
Lesern seines Buches bekannte Onomasie voraus, und die folgenden Erörte-
rungen werden keinen Zweifel darüber lassen, dass die thetische Nomenclatur
schon eine geraume Zeit vor Ptolemäus in der Praxis der Musiker aufgekom-
men war und sich hier allmftldig so befestigt hatte, dass PtolemäuB Bie als die
vxdgäre ansehen durfte". Ich war so weit entfernt, sie auch bei Aristoxenus
vorauszusetzen, dass ich vielmehr die dynamische Onomasie für die bei ihm
ausschliesslich vorkommende erklärte.
In welchem Abschnitte Aristoxenus die „vtaxä o-ivapi-«" näher behandelt habe,
sagt er nicht. Vcrmuthlich im Abschnitt XV bei der „Erörterung der Scala-
Klänge." Denn so viel wissen wir, dass die dritte Harmonik des Aristoxcnus
die SjvajAsi; der ^b^oi „%o\ ojtö toOto tl trox £otlv t) o'jwpuc;" in dem Ab-
schnitte nejil Täiv ?f8&-rf<»vf dem dritten jenes Werkes, erörterte, vgl. daselbst
§ 14. Betreffs der „xa-cd tt£atV müssen wir seinen Worten in § 17 wohl
Glauben schenken, dass er darüber im Abschnitte von den Systemen un-
mittelbar nach den Verschiedenheiten des Schemas und der Synthesis handeln
will.
Wie kann nun Aristoxenus ohne von den ettto^ot zu handeln im Abschnitte
rspi a'jotTjfi.dxoov von der xaid ft&oiv ovojiaoia sprechen? Es handelt sich
darum, nach den Worten des Prooimions eine in den Handschriften nicht mehr
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3GÜ
Aristoxenus zweite Harmonik.
überlieferte Partie der Aristoxenischen Harmonik, deren sachlicher Inhalt aus
Ptolemäus bekannt ist, zu restituiren. Ich habe wenigstens anzugeben, wie
Aristoxenus im Abschnitte von den Systemen von der Thesis gesprochen haben
kann. Und da denke ich: etwa mit einer ähnlichen Wendung wie in der
Rhythmik § 19, wo nach der vorläufigen Aufzählung der „Chronoi podikoi" auf
die Anzahl der „Chronoi Rhythinopoias idioi" eingegangen wird. Aristoxenus
wird im Abschnitte von den Systemen unter Anknüpfung an die Grenz-
Klänge der sieben Eide dia pason gesagt haben:
„ Wenn ich in dem Vorausgehenden bei den sieben Eide dia pason sagte,
dass das erste oder Mixolydische Eidos von der Hypate hypaton und der Para-
mesos begrenzt wird, das zweite oder Lydische von der Parhypate hypaton und
der Trite die zeug menon «. s. ic, so darf man sieh nicht zu der irrigen Mei-
nung verleiten lassen, als ob dies die einzigen Namen der angrenzenden Klänge
seien. Vielmehr sind das die Benennungen, welche wir mit Rüchsicht auf die
Bynamis der Klänge gebrauchen. Mit Rücksicht auf die Thesis derselben da-
gegen nennen wir von den beiden Grenzklängen einer jeden der sieben Octaven
den höheren: Neie diezeugmenon, — den tieferen: Hypate meson\ — und die acht
Klänge der Octaven heissen vom höchsten bis zum tiefsten (unter Weglassung
des die verschiedenen Tetrachorde angebenden Zusatzes diezeugmenon und meson) .-
d Paranete
c Trite
h Paramesos
a Mese
g Lichanos
f Parhypate
e Hypate
Thetische Oktac
hord
1
w
- V
tft
(mos.)
I
S
(diez.)
i (diez.)
§
i
au
•
3
5»
35
g
•c
- -
£
3
-c
5-
■
t
•
—
Erstes (Mixolyd.) Oktaveu-Eidos h
c
d
e
f
g
a
h
Zweites (Lydisches) Oktaven-Eidos c
d
e
f
g
a
h
c
Drittes (Phrygisches) Oktaven-Eidos d
f
g
a
h
c
d
Viertes (Dorisches) Oktaven-Eidos e
f
g
a
h
d
e
Fünftes (Hypolyd.) Oktaven-Eidos f
g
a
h
c
d
e
f
Sechstes (Hypophryg.) Oktaven-Eidos g
a
h
c
d
e
f
Siebentes (Hypodor.) Oktaven-Eidos a
Ii
<•
.1
e
f
g
n
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XIII. Die Systeme: 3. Thesis.
361
Dieselben Klangbenennungen finden sich auch auf dem 2 Octaven umfassen- .
den Systema teleion ametabolon, und zwar hier in einer Bedeutung, welche die-
selbe ist wie bei dem vierten oder Borischen Octaven-Eidos, dagegen abweichend
von der Onomasie der 6 übrigen Octaven-Eide. Diese Klangbenennungen des
Systema ametabolon sind die der xctrö dvrauiv övofiaaia, — sind die dyna-
mischen Klang -Namen. Es sind also die 15 Klänge des Systema ametabolon
benannt worden nach der Geltung (övvauig) welche sie, als Klänge des vierten
oder Dorischen Eidos gefasst, haben tcürden. Denn das dorische Eidos muss
der Theorie als das vornehmste gelten.
Thetische Pentekaidekachorde.
Die 8 dynamischen Klänge des vierten oder Dorischen Eidos dia pason von
der Hypate (meson) bis zur Nete (diezeugmenon) sind im grosseren Systema
teleion ametabolon nach unten zu um eine Quinte, nach oben zu um eine Quarte
erweitert worden, indem man für den höchsten Klang die Benennung Nete hy
perbolaion, für den tiefsten die Benennung Proslambanomenos einführte.
£ Dorische Octav. £
AHcdefgahcdefga
> ^ . •
! 2
I
J Hypodorische Doppeloctav. ^
2 I
&« £
Proslambanomenos ; Mese und Nete des Systema ametabolon sind also die
Grenzklänge zweier kata Synaphen verbundener Hypodorischen Octaven-Eide;
Hypate meson und Nete die- zeugmenon sind die beiden Grenzklänge des vierten
oder Dorischen Octaven- Eidos.
Eine nach der Analogie des Systema teleion ametabolon ausqeführte Er-
weiterung zur Doppeloctave hat man auch bei der thetischen Onomasie der
sieben Octaven-Eide vorgenommen , indem man für ein jedes Eidos der Octave
unterhalb der Hypate eine Quinte und oberhalb der Nete eine Quarte hinzu-
fügte; den tiefsten Klang der so gebildeten Doppeloctav nannte man den theti-
schen Proslambanomenos, den höchsten Klang nannte man thetische Nete hyper-
bolaion.
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362
Aristoxeuua zweite Harmonik.
j=
9)
6
J3
J2
J3
J3
S Oh »J
2 2
Mix. E
Lyd. F
Phr.
P
ja
Thetische Oktachorde.
a
d,
B
*5
G /A/ H
/ /
G /A/ H c
/ /
G /A/ H e d
s
ja
3
=3
g /a/
/ /
/a/ h
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3
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a.
2
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3
c d /c/
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c d /e/ f
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d /e/ f g
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rnr. « / - « - /e/ f * /*/ h C
Dor. /A/ H c d /e/ f g /a/ h c /e/ f g^/ä/
HLy! H c d /e/ f g /a/ h c d /e/ f 6^/»/ ^
g /a/ h c d /e/ f
HPh.
HDo.
d /e/ f
/ /
/ /
g /a/ h
/ /
d /e/ f
g /a/ h
/ /
/e/ f
/ /
g /a/ h
Die sieben horizontalen Zeilen der thetischen Pentekaidekachorde und die
vertical durchschneidenden 15 Zeilen, welche die thetische Onoinasie der 15
Klänge angeben, werden von punctirten Linien schräg durchschnitten, welche die
dynamische Onomasie der Pentekaidekachor dklänge ergeben: die am meisten nach
links zu angebrachten punktirten Linien, welche die Töne A einschliessen, zeigen
die dynamischen Proslambanomenoi an ; die dann zunächt nach rechts folgenden,
welche die Töne e einschliessen, geben die dynamischen Sypatai meson an, und
so sind auch die dynamischen Mesai, die dynamischen Netai diezeugmenon und
die dynamischen Netai hyperbolaion durch punctirte Linien ausgezeichnet.
Man ersieht aus dieser Tabelle, dass im Pentekaidekachorde des vierten
oder Dorischen Octaven-Eidos {wir haben dasselbe durch punctirte horizontale
Parallelen ausgezeichnet) die thetische Onomasie der Klänge genau dieselbe
ist wie die dynamische Onomasie, dass aber in den Pentekaidechorden der sechs
übrigen Octaven-JEide die thetische Onomasie der Klänge stets von der dyna-
mischen Onomasie differirt.
Tiefere Klänge als die dynamischen Proslambanomenoi und höhere Klängt
als die dynamischen Netai hyperbolaion kommen in der praktischen Musik der
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XIII. Die Systeme: 3. Thesis.
Griechen nicht vor. Baraus folgt, das» alle Klänge, welche links von den die
dynamischen Proslambancmenoi anzeigenden punctirten Linien stehen und ebenso
diejenigen, welche rechts von den die Netai hyperbolaion anzeigenden Linien stehen,
keine reale, sondern nur eine ideale Existenz haben. Nichtsdestoweniger werden
auch diese idealen Klänge von der griechischen Theorie als thetische Klänge
verausgesetzt und ein jeder von ihnen mit demselben thetischen Namen
benannt, wie der um eine Boppeloctav höhere oder tiefere Klang.
Ich habe im Vorausgehenden auf einer einzigen Tabelle vereinigt, was
Ptolemäus gewissenhaft auf sieben Tabellen ausführt Es scheint in dieser be-
strittenen Sache wohl unerlässlich zu sein, hier auch diesen sieben authentischen
Tabellen des Ptolemäus den Platz nicht zu versagen. Und zwar gebe ich sie
nach Oskar Paul's „Boetius 1872," wo auf S. 328 ff. eine durch Hinzufügung
der entsprechenden modernen Noten erläuternde Interpretation der thetischen
Doppeloctaven ausgeführt ist, der ich mich vollständig anschliessc. Schon in
seiner „absoluten Musik der Griechen 1866" hat derselbe Forscher diesen Gegen-
stand behandelt: von allen Forschern derjenige, welcher der thetischen Ono-
masie des Ptolemäus am meisten Flciss und Sorgfalt gewidmet hat.
Bezüglich der von Ptolemäus beigefügten Intervallzahlen (der Abschn. XIV
wird darüber ausführlicher sprechen) werden hier folgende Bemerkungen ge-
nügen.
Für die rein-diatonische Scala z. B. der Dorischen Octavengattung
würde Ptolemäus folgende Verhältnisszahlcn der benachbarten Klänge ange-
geben haben:
efgahede
« 8 i° I tt S V .
d. i. das bei ihm sogenannte ouvrovov Si4tovov, — oder auch folgende:
efgahede
m i i i its i t
(l i. das bei ihm sogenannte Srcoviaiov fcid-rovov (mit zwei grossen Ganztönen
6 : 9). Mit dem letzteren würde genau dasselbe gemeint sein, wie das rovialov
$idw»ov des Aristoxenus:
efgahede
m° m4 ma m10 mu m16 m*° m84
2 4 4 4 2 4 4
Zur Zeit des Ptolemäus kommt von den bei ihm angesetzten Scalen des
reinen Diaton on immer nur ein einzelnes Tctrachord in Mischung mit einem
heterogenen vor.
Ptolemäus legt für seine thetischen Octavengattungen nicht das reine
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3U4
Aristoxenus zweite Harmonik.
Diatonon, sondern eine Scala aus denjenigen Tetrachorden zu Grunde, welche
er lAOtXaxov otdxovov nennt :
e x y a h z w e
tt V f I U V !
Dieselbe entspricht nicht ganz dem gleichnamigen paXaxov Skxtovov des Ari-
stoxenus:
eopahqxe
m° m' in5 in 10 mu in19 mt9 m*4
* 'S 'S 'S 'S '» 'V '
2 8 5 4 2 3 5
Sowohl bei Ptolcmäus wie bei Aristoxenus sind nur die stehenden Klänge
e h a e rein und unserer Musik analog gestimmt. Was wir liier mit x y z w ete.
bezeichnet haben, sind Klänge, welche merklich tiefer stimmen als die an ihrer
Stelle zu erwartenden. In den folgenden 7 Scalen des Ptolemäus hat Oskar
Paul unter den „Klängen" die Bezeichnungen „steh." und „bew.", d. i. „ste-
hend" und „beweglich" angewandt Die „beweglichen" griechischen Klänge
sind stets tiefer als die betreffenden modernen Noten, welche in der Columne
der „Klänge" hinzugesetzt sind. Mit der Uebersetzung „Stellungen" hat O. Paul
die Ptolemäischc Uebcrechrift „tUact;", mit „Bedeutungen" die Ueberschrift
„fovrf(&ttc" wiedergegeben.
1. Dorischer Ton.
Stellungen
Bedeutungen
Klänge
Nete hyperpolaeon
Paranete hyperbolaeon
Trite hyperbolaeon
Nete diezeugmenon
Paranete diezeugmenon
Trite diezeugmenon
Paramese
Mesc
Lichanos meson
Parhypate meson
Hypate meson
Lichanos hypaton
Parhypate hypaton
Hypate hypaton
ProslambanomenoB
IV.
1\?0
IV,
IV.
l',o
iVjL.
IVt
1%.
1 iJO
1
1
IV,
IV.
Nete hyperbolaeon steh. 71
Paranete hyperbolaeon bew. ~p
Trite hyperbolaeon bew. /
Nete diezeugmenon sieh. ~e
Paranete diezeugmenon bew. "rf
Trite diezeugmenon bew. c"
Paramese steh. h
Mese steh. u
Lichanos meson bew. g
Parhypate meson bew. f
Hypate meson steh. e
Lichanos hypaton bew. d
Parhypate hypaton bew. <•
Hypate hypaton steh. H
Proslainbanomenos steh. A
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XIII. Die Systeme: 3. Thesis.
2. Hypolydischer Ton.
305
Stellungen
Nete hyperbolaeon
Paranete hyperbolaeon
Trite hyperbolaeon
Nete diezeugmenon
Paranete diezeugmenon
Trite diezeugmenon
Mese
Lichanos meson
Parhypate meson
Hypate meson
Lichanos hypaton
Parhypate hypaton
Hypate hypaton
Proslambanomenos
1 1
1 o
«0
1lT
1':
1",
1".
20
Bedeutungen
1\9
jo
._ Hypate hypaton
_ Nete hyperb. oder Prosl.
_ Paranete hyperbolaeon
_ Trite hyperbolaeon
_ Nete diezeugmenon
_ Paranete diezeugmenon
_ Trite diezeugmenon
_ Paramese
Mese
_ Lichanos meson
_ Parhypate meson
. Hypate meson
_ Lichanos hypate
_ Parhypate hypaton
Hypate hypaton
Klä
nge
— —
steh,
- —
h
steh. •
a
bew.
1
bew.
7
steh.
e
bew.
1
bew.
c
steh.
h
steh.
a
bew.
9
bew.
f
steh.
e
bew.
d
bew.
c
steh.
II
3. Hypophrygisctaer Tod.
Stellungen
Bedeutungen
Klänge
Nete hyperbolaeon
Paranete hyperbolaeon
Trite hyperbolaeon
Nete diezeugmenon
Paranete diezeugmenon
Trite diezeugmenon
Paramese
Mese
Lichanos meson
Parhypate meson
Hypate meson
Lichanos hypaton
Parhypate hypaton
Hypate hypaton
Proslambanomenos
Parhypate hypaton
l1 «o Hypate hypaton
1\
I'/t
IV.
1'.
I1
l 11
\v
_ i0_
llf.
1 1 i0
Nete hyperb. oder Prosl.
Paranete hyperbolaeon
Trite hyperbolaeon
Nete diezeugmenon
Paranete diezeugmenon
Trite diezeugmenon
Paramese
Mese
Lichanos meson
Parhypate meson
Hypate meson
Lichanos hypaton
Parhypate hypaton
bew.
steh.
steh.
bew.
bew.
steh.
bew
bew.
steh.
steh.
bew.
bew.
steh.
bew.
bew.
c
h
a
l
f
~e
1
c
h
a
9
f
e
d
c
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366
Aristoxcnus zweite Harmonik.
4. Hypodorischer Ton.
Stellungen
Nete hyperbolaeou
Paranete hyperbolaeon
Trite hyperbolaeon
Nete diezeugmenon
Paranete diezeugmenon
Trite diezeugmenon
Paramese
Mese
Lichanos meaon
Parhypate meson
Hypatc meson
Lichanos hypaton
Parhypate Irypaton
Hypate hyjmtou
Proslambanomenos
1»
Lichanos hypaton
?. — Parhypate hypaton
Hypate hypaton
— 8- Nete liyperb. oder Prosl.
1 1'7 Paranete hyperbolaeon
Trite hyperbolaeon
— Nete diezeugmenon
Paranete diezeugmenon
1'
1«
Trite diezeugmenon
±\f_ Paramese
Mese
1 1 7 Lichanos meson
ir
. Parhypate meson
_ Hypatc meson
Lichanos hypaton
1'
"l1
Klänge
bew.
bcw.
stell,
steh.
bew.
bew.
steh.
bew.
bew.
steh,
steh.
bew.
bew.
steh.
bew.
c
h
ä
9
7
e
i
h
u
9
f
e
5. Phrygischer Ton.
Stellungen
Bedeutungen
Klänge
Nete hyperbolaeon
Paranete hyperbolaeon
Trite hyperbolaeon
Nete diezeugmenon
Paranete diezeugmenon
Trite diezeugmenon
Paramese
Mese
Lichanos meson
Parhypate meson
Hypate meson
Lichanos hypaton
Parhypate hypaton
Hypate hypaton
Proslambanomenos
1 1 '
l1«
1
'20
1 l'
1 ,'7
l1
V
1 ' 7
1 1
1
io
1*7
Paranete hyperbolaeon
bcw.
1
Trite hyperbolaeon
bew.
7
Nete diezeugmenon
steh.
e
Paranete diezeugmenon
bew.
i
Trite diezeugmenon
bew.
c
Paramese
steh.
ft
Mese
steh.
a
Lichanos meson
bew.
9
Parhypate meson
bew.
f
Hypate meson
steh.
€
Lichanos hypaton
bew.
Parhypate hypaton
bew.
>'
Hypate hypaton
steh.
u
Nete hyperb. oder Prosl.
steh.
A
Paranete hyperbolaeon
bew.
G
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XIII. Die Systeme: 3. Thesis. 367
6. Lydischer Ton.
Stellungen
Bedeutuugeu
Kläuge
Note hvoerbolaeon
Trite hyperbolaeon
bew.
Paranete hvDcrbolaeon
VM
Nete diezeugmenon
steh.
e
1
Trite hvoerbolaeon
V,
Paranete diezeugmenon
b'ew.
\ete diczeiurmenon
1 9
Trite diezeugmenon
bew.
c
PÄTJinptp dieznurini'iion
V20
Parainese
steh.
h
Trite diezeugmenon __]
Mese
steh.
a
Parainese .
1 >
V;
Lichanos meson
bew.
9
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V»
Parhypate meson
bew.
f
Lichanos Meson !
im
Hypate meson
steh.
€
Parhypate meson
"
r ff
Lichanos hypaton
bew.
d
Hypate meson !
1 (
>V
Parhypate hypaton
bew.
C
Lichanos hypaton
r.'O
Hypate hypaton
steh.
Ii
Parhypate hypaton
:s
Nete hyperb. oder Prosl.
steh.
A
Hypate hypaton
Paranete hyperbolaeon
bew.
G
Proslambanoincuos
1
19
Trite hyperbolaeon
bew.
F
7. Mixolydiseher Ton.
Stellungen
Bedeutungen
Klänge
Nete hyperbolaeon
Paranete hyperbolaeon
Trite hyperbolaeon
Nete diezeugmenon
Paranete diezeugmenon
Trite diezeugmenon
Paramese
Mese
LichanoB meson
Parhypate meson
Hypate meson
Lichauos hypaton
Parhypate hypaton
Hypate hypaton
Proslambauomeuos
l'/7
1"
1
IV;
IV-
1 V*
IV;
1V_
1
IV,
IV;
IV.
IV«,
_ Nete diezeugmenon steh. e
Paranete diezeugmenon bew. ~d
Trite diezeugmenon bew. 7"
_ Parainese steh. h
Mese steh. a
_ Lichanos meson bew. g
_ Parhypate meson bew. /
. Hypate meson steh. e
Lichanos hypaton bew. d
_ Parhypate hypaton bew. c
_ Hypate hypaton steh. II
_ Nete hyperb. oder Prosl. steh. A
Paranete hyperbolaeon bew. G
Trite hyperbolaeon bew. F
Nete diezeugmenon steh. E
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368
Aristoxenus zweite Harmonik.
Doch muss ich mich im Voraua wohl darauf gefasst machen, dass meine
die thetische Onomasie betreffende Restitution der Aristoxenischen Harmonik
für eine Phantasie erklärt werden wird, namentlich von solchen, welche be-
reits meine Interpretation der die thetische Onomasie behandelnden Stellen des
Ptolemäus als eine Phantasie" bezeichnet haben. Doch diesen Gegnern
meiner Ptolemäus- Interpretationen werde ich mir weiterhin auf ihre Einwen-
dungen zu antworten erlauben. Vorerst eine allgemeine Bemerkung über
meine Restitutions- Versuche der in den Handschriften nicht mehr vorliegenden
Partien der Aristoxenischen Ueberlieferung. Ein Anderer hat Restitutionen
grösserer Partien des Aristoxenischen Textes noch nicht versucht. Ich selber
würde nicht anstehen, bei anderen Prosa-Schriftstellern Ergänzungen von dem
Umfange, wie ich sie mehrfach für Aristoxenus vorgenommen, für Phantasie
und Spielerei zu erklären. Aber in den musikalischen Schriften des Aristoxe-
nus ist die Sachlage eine durchaus andere als in anderen Werken der Prosa-
Litteratur. Bei Aristoxenus ist sie folgende. Zum grossen Theil ist das von
Aristoxenus behandelte der Sache nach bei anderen Schriftstellern wieder zu
finden, theils bei solchen, welche aus Aristoxenus direct oder indirect geschöpft,
theils auch bei seinen Gegnern, unter deren Zahl auch Ptolemäus gehört, ob-
wohl dessen Polemik sieh immer nur auf Einzelheiten der Aristoxenischen
Doctrin bezieht und die Darstellung desselben genau der Disposition des Ari-
stoxenus folgt, welche dieser seiner dritten Harmonik zu Grunde legt, während
die streng an Aristoxenus anschliessenden Musikschriftsteller sämmtlich die
Disposition des Meisters wenigstens an Einer Stelle geändert haben.
Was wir nun aus anderen Musik-Schriftstellern dem Aristoxenus dem
Inhalte nach als ursprüngliches Eigenthum vindiciren müssen, bei solchen
Partien kann es sich für uns nicht darum handeln, die ipsissima verba
des Aristoxenus wieder zu gewinnen (denn blos die Sache hat bei der
Wissenschaft der griechischen Musik für uns Bedeutung). Es handelt sich nur
darum, jene auf Aristoxenus zurückzuführenden Partien in die so lückenhaft
überlieferten Werke desselben einzureihen. Und hier sind wir so glücklich,
für die Harmonik des Aristoxenus die von ihm selber verfassten Inhaltsver-
zeichnisse der Prooimien zur Harmonik zu besitzen. Mein Vorgänger Marquard
war der Ansicht, dass das Inhaltsverzeichniss des Prooimions zu der auf dieses
folgenden Ausführung der einzelnen Abschnitte durchaus nicht stimme. Dem
entgegen habe ich den hoffentlich sichern Nachweis von der Concordanz des
Inhaltsverzeichnisses mit der Ausführung geliefert. Gern gestehe ich, dass
mir dieses in meiner ersten Ausgabe der griechischen Harmonik vom Jahre
1963 noch vielfach nicht gelungen war. Die gegenwärtige Arbeit, der Ab-
schluss meiner 30jährigen Aristoxenus -Studien, wird, denke ich, alle früher
von mir nicht scharf genug oder unrichtig gefassteu Punkte geklärt und
berichtigt und über die Anlage und den Plan der drei Aristoxenischen
Werke über Harmonik nirgends mehr eine Unsicherheit gelassen haben. Als
Resultat nehme ich in Anspruch , dass die Darstellungen des Aristoxenus zu
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XIII. Die Systeme: 3. Thesis.
369
den musterhaftesten der gesammten wissenschaftlichen Prosa -Litteratnr des
Griechenthums gehören. Hier ist alles lichtvolle Ordnung; ein jeder, welcher
will, kann den Zusammenhang der einzelnen Partien durchschauen. Aristoxenus
ist in seiner Musik-Disciplin der Logiker x»t' £;o-/t,v. Ueberall zeigt er, dass
er sich in den Gebt des Aristoteles vollständig eingelebt hat: das logische
Denken des Aristoteles ist ihm im allerbesten Sinne zur anderen Natur ge
worden. Dazu kommt, dass Aristoxenus in Folge seiner Grundauschauung
vom Melos sich in der Darstellung und Durchführung seiner Sätze auf den
Standpunct des Mathematikers stellen musste. Wir haben, was die Methode
betrifft, in Aristoxenus" Schriften sowohl über Melik.wie über Rhythmik Dar-
stellungen vor uns, welche formell eben so gut von dem Mathematiker Euklides
geschrieben sein könnten, nur dass sich diese logische Methode der Deduction
früher bei Aristoxenus als bei Euklid findet. So haben wir namentlich im
Abschnitte XII eine Reihe angeblich Aristoxenischer Sätze (die handschriftliche
Ueberlieferung schreibt sie guten Glaubens den» Aristoxenus zu) als Umarbei-
tungen von der Hand eiues Späteren nachweisen müssen; die logisch mathe-
matische Methode der Aristoxenischeu Darstellung Hess keinen Zweifel, was
Aristoxenus selber au jenen Stellen gesagt haben muss. Ebenso müssen auch
unsere Ergänzungen der lückenhaften Handschrift der Aristoxenischen Rhythmik
den Anspruch erheben, dass sie der Sache nach genau die hier zu Grunde
gegangene Darstellung restaurirt haben. Auc h hier war die Wiederherstellung
nur durch die mathematische Methode ermöglicht, in welcher Aristoxenus die
rhythmische Disciplin darstellt: dort in der Melik Raumgrösscu (Tonhöhe und
Tontiefe), daher die geometrische Methode — hier in der Rhythmik Zeit-
grössen, zurückgeführt auf die Maasseinheit des Chronos protos, daher die
arithmetische Methode. Und als Mathematiker schreibt Aristoxenus ohne
Bilder und ohne Phrasen, er bewegt sich in dem allernüchtemsten, daher auch
in dem allerdurchsichtigsten Prosa-Style.
Ich hoffe, man wird anerkennen, dass bei einem solchen Schriftsteller eine
rein sachliche Ergänzung der handschriftlichen Lücken (denn vom Wiederge-
winnen der individuellen Worte des Aristoxenus kann keine Rede sein und
würde auch keinen Zweck haben), dass sage ich, sachliche Restaurationen
in einer die Musik darstellenden Aristoxenischen Schrift im Allgemeinen nicht
zu den Unmöglichkeiten gehören, wenn anders der die Restauration unterneh-
mende hinlänglich sich in Geist und Darstellung des Aristoxenus eingelebt hat.
Und so hoffe ich, dass auch meine Restitutionen der Aristoxenischen Harmonik
nicht als geistreiches Spiel der Phantasie aufgefasst werden, dass ihnen viel-
mehr dieselbe Aufnahme wie den Ergänzungen der Aristoxenischen Rhythmik
zu Theil werden möge, die jetzt auch den offiziösen Gegnern als genuine Lehr-
sätze des Aristoxenus gelten (vgl. S. 04).
Nach diesem Excurse über die Möglichkeit, die Lücken der handschrift-
lichen Aristoxenus- Ueberlieferung zu ergänzen, wende ich mich zur Interpre-
Arlttoxenoi, Mellk u. Rhythmik. 24
Digitized by Google
370
Aristoxenus zweite Harmonik.
tation der über die thetisehe Onomasic handelnden Stellen des Ptolemäus
zurück. In der ersten Ausgabe der griechischen Harmonik 1863 habe ich
diese Stellen genau in dem vorher angegebenen Sinne interpretirt, d. h. ich
musste mich damals , wie es auch wiederum jetzt geschehen ist, durchaus
an die Auffassung anschliessen, welche Johannes Wallis, der erste und
bis jetzt einzige Herausgeber und Interpret der Ptolemäischen Harmonik
(Quart- Ausgabe 1682, Folio- Ausgabe 1699) gegeben hat. Später hat der ver-
diente Forscher Friedrich Bellcrmann eine kurze Erklärung der Ptolemäischen
Thesis gegeben. Auf Wallis nimmt Bellermann durchaus keine Rücksicht.
Ich konnte gerade für diesen Punkt der Auffassung Bellermanns nicht zu-
stimmen und will nicht verhehlen, dass Bellermann gerade in der Thesis-Er-
klärung weit hinter seinen übrigen Forschungen auf dem Gebiete der griechischen
Harmonik (antike Notation und Transpositionscalen) zurücksteht.
Eine speziell gegen meine Auffassung gerichtete Abhandlung „Unter-
suchungen auf dem Gebiete der Musik der Griechen : Ueber die ivojAsota xito.
Histv des Ptolemäus von A. Ziegler 1866" sagt: „Da Wallis (der ohne Zweifel
den Ptolemäus richtig verstanden S. 21) sich viel mein: mit Bellermann in
Uebereinstimmuug befindet als mit Westphal, und man sich bei einem gerade
im Fache der griechischen Musik so bewanderten und verdienten Forscher
wie Bellermaun nicht leichthin an dem Vorwurfe der Unachtsamkeit und des
Missverstehens betheiligen bedarf, so ist die Entscheidung wichtig, ob und von
wem die Sache richtig verstanden worden ist." Das Resultat jener Abhand-
lung ist, dass meine Auffassung der Ptolemäischen Stellen eine neue sei.
„welche, wenn sie allgemein Annahme zu finden geeignet wäre, alle Ergeb-
nisse früherer Forschungen in Frage stellen müsste". „Ob die so
bewirkte Umwälzung aller systematischen Begriffe der Erkenntniss des Wesens
der griechischen Musik förderlich ist — wir können es nicht glauben, da sie nicht
auf den überlieferten Thatsachen beruht". Der Verfasser der Abhandlung ist
fest überzeugt, die absolute Absurdität meiner Auffassung und aller daraus
gezogenen Consequeuzen nachgewiesen zu haben. „Westphal ist in seinen
lebhaften Combinationen zu den wunderbarsten Resultaten gelangt. Ich möchte
durch die vorliegende Untersuchung davor warnen, auf diesem Wege weiter
zu gehen. Die Art, wie Westphal die ivofiaoia xaxd 8£aiv versteht und zu
weiteren Folgerungen benutzt, weicht von allen früheren Auffassungen ab
und bringt eine gänzliche Umwälzung in das System der griechi-
schen Musik hinein . . . . Westphal meint, es habe nur an der Unacht-
samkeit und dem Missverstehen der neueren Forscher gelegen, dass diese Re-
sultate nicht schon längst gewonnen seien".
Was das letztere betrifft, so hat die gegen mich gerichtete Abhandlung
richtig berichtet, wenn sie anders mich unter den neuern Forschem, die ich
im Sinne hatte, den Einen Bellermann verstehen lässt. Alles andere, was sie
über meine Interpretation und auch von den Interpretationen meiner Vor-
gänger sagt, ist falsch. Nciu, ich kann hier nicht helfen: hat meine Inter-
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XIII. Die Systeme: 3. Thesis.
371
pretatiou der thetischen Onomasie wirklich solche umwälzende Neuerungen
gegenüber den als jetzt gang und gäbe zu bezeichnenden Ansichten (Beller-
manns Ansichten) im Gefolge, so muss man sich wohl oder übel diese Conse-
quenzen gefallen lassen, denn meine Interpretation des Ptolemäus ist vollkom-
men richtig. Unbequem kommende Wahrheiten lassen sich wohl für eine Zeit,
aber nicht für immer zurückweisen, wenn anders das Interesse an der be-
treffenden Disciplin nicht untergent.
Dass aber alles, was mein Gegner über die thetische Onomasie des Pto-
lemäus sagt, verkehrt ist, lässt sich unschwer nachweisen.
„Westphal — sagt er — weicht in der Thesis- Onomasie von allen früheren
Auffassungen ab". Dem crwiedere ich, dass ich nicht eine eigene Auf-
fassung aufgestellt, sondern bis ins Einzelnste ganz und gar der schon im
Jahre 1683 von Johannis Wallis gegebenen Interpretation mich -angeschlossen
habe, an die älteste, welche die moderne Wissenschaft für die betreffenden
Stellen des Ptolemäus aufgestellt hat.
„Wallis — sagt ferner mein Gregner — hat den Ptolemäus ohne Zweifel
richtig verstanden". Dem erwidere ich, dass, wäre dies meines Gegners wirk-
liche und ernste Meinung, dass er alsdann meine Ansicht über diesen Punct
nicht als absurd hingestellt haben würde, denn die von Wallis gegebene Auf-
fassung ist genau auch die von mir ausgesprochene.
Da Johannes Wallis nicht Jedermann zur Hand ist , so kann ich nicht um-
hin, hier auseinanderzusetzen, was derselbe über die thetischen Pentekaideka-
chorde in den Anmerkungen seiner Ptolemäus- Ausgabe zur Erläuterung bei-
bringt. Es ist schwer einzusehen, wie sich diese Erläuterungen so gänzlich
dem Auge meines Gegners habeu entziehen konnten. Sowohl in der Ausgabe
vom Jahre 1683 wie in der grösseren Folio- Ausgabe vom Jahre 1699 gehen
doch die Noten-Scalcu, mit welchen Wallis die thetischen Pentekaidekachorde
des Ptolemäus wiedergibt (i" beiden Ausgaben gleichlautend) nicht im Min-
desten darauf aus, sich dem Auge des Lesers zu entziehen, wenigstens nicht
eines solchen Lesers, welcher Noten, in dem von Wallis angewand-
ten Schlüssel geschrieben, lesen kann. Ich kann mir keinen anderen
Grund für die vollständige Ignorirung des Wallis'schen Noten-Scaleu von Seiten
meines Gegners denken, als dass er sie nicht hat lesen können und sich auch
nicht hat die gar nicht so grosse Mühe geben mögen, sich die Bedeutung des
von Wallis angewandten Schlüssels aus der Stellung des Vorzeichens klar zu
machen. Dies halte ich für den einzigen Grund, dass mein Gegner im Uu-
muthe über die neuernden Consequcnzen, die ich aus der thetischen Onomasie
ziehe, sich zu solchen falschen Aussprüchen über "Wallis, Bellermann und mich
hat verleiten lassen. Denn mein Gegner, obwohl ein Feind aller Neuerungen,
mochte, als er das Programm schrieb, zur Ausführung einer Arbeit, welche
seine „Ansichten über die fsv-r, ^cXozotta« näher entwickeln sollte" (vgl. S. 27),
im Uebrigcn wohlgerüstet sein: nur mit dem Notenlesen scheint es damals ge-
hapert zu haben.
24*
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372
Aristoxenus zweite Harmonik.
Ich will in dem Folgenden die Notenscalen des alten englischen Gelehr-
ten aus dem von ihm vorgezeichneten Schlüssel hervorziehen:
I.
Ptolem. harm. ed. Wallis 1682 p. 141 Thetisches Peutekaidekachord des
„Dorius ton us", dargestellt an der Scala ohne Vorzeichen
, Dorische Octav.
ahcdef gahcdefga,
aufs genauste so, wie ich mich an Wallis anschliessend sie dargestellt habe.
Die thetischen Pentekaidekachorde der übrigen Octaven-Eide drückt
Wallis so durch moderne Noten-Scalen aus, dass er für ihren Proslambano-
menos überall gemeinsam dieselbe Tonstufe wie bei dem Doriseben Octaven-
Eidos ansetzt, nämlieh den Klang a. In Folge dessen drückt er die den ver-
schiedenen Octaven- Gattungen entsprechende Verschiedenheit der Intervall-
Folge betreffe der Ganztöne und der Halbtöne durch Verschiedenheit der Vor-
zeichen, die er den mit a beginnenden Scalen vorsetzt, aus. Ich war hier darin
von Wallis abgewichen, dass ich die Pentekaidekachorde der verschiedenen
Octaven-Eide zur Bequemlichkeit des Lesers alle in ein und derselben Trans-
positions-Scala, nämlich der Scala ohne Vorzeichen, notirt habe, und in Folge
dessen für die verschiedenen Scalen den Proslambanomeuos auf verschiedene
Tonstufen ansetzen musste.
Wallis hat diese Rücksicht auf den Leser nicht nehmen mögen und für
die sieben Pentekaidekachorde ein und dieselbe Tonlage angenommen, den
Proslambanomeuos als A oder wo dies nicht anging als As ansetzend. So
vermeidet er es, in der tiefsten und obersten Tonregion Klänge zu notireu,
welche auf den der musikalischen Praxis der Griechen dienenden Systemata
der dynamischen Onomasie nicht enthalten waren und von Ptolemäus als
Klänge lediglich idealer Existenz in seine Tabellen aufgenommen sind (vgl.
S.363, 1— 7). Jeder Erfahrene ersieht sofort, dass zwischen Wallis' Tabellen
und den meinigen trotz der Verschiedenheit der Vorzeichuung keine Differenz
besteht. Die modernen Musiker, soweit sie nicht etwa in den sog. Kirchen-
tonarten componiren, kenneu nur zwei Octavengattungen, eine Dur-Octav und
eine Moll-Octav. Ob nun die Dur-Octav als c-dur oder als a-dur, die Moll-
Octav als a-inoll oder c-moll notirt wird, sie bleibt immer die bezüglich der
Intervall-Folge identische Dur- resp. Moll-Octav.
II.
Ptolem. harm. ed. 1682 p. 143: Thetisches Peutekaidekachord dea
„Hypolydius tonus". dargestellt auf der Scala mit dem Vorzeicheu ?
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XIII. Die Systeme: 3. Thesis. 373
Hypolydische Octav ,
a bcdesfgabcdesfga
hcdefgahcde f g a h,
Die Tonreihe in a mit dem Vorzeichen ?? ist genau dieselbe wie die
Tonreihe in h ohne Vorzeicheu.
in.
Ptolem. härm. ed. Wallis 1682 p. 145: Thetisches Pentekaidekachord
im „ Hypophrygius tonus", dargestellt auf der Scala mit dem Vor-
Hypophrygische Octavc.
h eis d e fis gis a h eis d e fis giß ;i
c d e f g a h ede f gahe
v_' '
Die Tonreihe in a mit g$ ist dieselbe wie die Tonreihe in e ohne Vor-
zeichen, d. h. a-dur ist bezüglich der Intervalle mit c-dur identisch.
IV.
Ptolem. härm. ed. Wallis 1682 p. 147: Thetisches Pentekaidekachord
im „Hypodorius tonus", dargestellt auf der Scala mit der Vorzeichnung £ :
ah edefisgahedefisga
i * i *
transponirt auf die Scala ohne Vorzeichen:
defgahedefgahed
V.
Ptolem. harm. ed. Wallis 1682 p. 149: Thetisches Pentekaidekachord
im „Phrygius tonus", dargestellt auf der Scala mit ^*
a h eis d e fis g a h cU d e fis g a
4 i i I
transponirt auf die Scala ohne Vorzeichnuug :
gahedefgahedefg
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374 Aristoxenus zweite Harmonik.
■
VL
Ptolem. härm. ed. Walüs 1682 p. 151: Thetisches Pentekaidekachonl
im „Lydius tonus", dargestellt auf der Scala mit der Vorzeichnung P?
?
as b c d es f g as b e d es f g as,
- 4 - ' *■ V I
k i Vi
auf die Scala ohne Vorzeichen transpoinrt:
fgah ede fgahcdef
VII.
Ptolem. harm. ed. Wallis 1682 p. 153: Thetisches Pentekaidekachonl
im „Mixolydius tonus", dargestellt auf der Scala mit der Vorzeichnung >
a bedefgabedefga
i i * \
transponirt auf die Scala ohne Vorzeichnung:
efgahedefgahede
Jedermann wird hieraus ersehen, dass Johannes Wallis im Jahre 1682
(und 1699) unter den sieben thetischen Pentekaidekachorden und dem Verhält-
niss der dynamischen zu den thetischen Klängen genau dasselbe verstanden
hat, wie ich im Jahre 1863 (uud 1867 und jetzt im Jahre 1882). Also bin ich
vollständig im Rechte, wenn ich jetzt (aus meiner griechischen Harmonik des
Jahres 1863 wiederholend) versichere, dass meine Auflassung der thetischen
Onomasie schon vor gerade 200 Jahren bei Wallis dieselbe war, dass aber
diese Auflassung des Johannes Wallis bei den modernen Forschern in Ver-
gessenheit gerathen und gänzlich verschollen war, z. B. bei Friedrich Beller-
mann, der sie ebenso wenig kennt wie mein Gegner vom Jahre 1866. Denn
wenn ihm Wallis' Interpretation nicht unbekannt gewesen wäre, so würde er
sich bei der Aufstellung seiner eigenen Erklärung der Ptolemaeischen Stelle
nothwendig darauf bezogen haben. Wie es gekommen, dass auch dem „so be-
wanderten und verdienten Forscher" Friedrich Bellermann die erklärenden
Notenscalen, welche Wallis zum Ptolemaeus giebt, entgangen sind, darüber
werde ich weiter unten meinen Gedanken ausprechen.
Mein Gegner (S. 4) behauptet, „dass Wallis sich viel mehr mit Beller-
maun, als mit Westpbal in Uebereinstimmung befindet" Dem ist zu entgeg-
nen: Wallis nimmt Gleichklang des thetischen mit dem gleichnamigen dyna-
mischen Phthongos nur für den Dorius tonus an, für die übrigen sechs toui
Klang Verschiedenheit zwischen dem thetischen und dem gleichnamigen dyn a-
inischen Phthongos. Bellermann dagegen statuirt schlechthin, einerlei bei wel-
chem tonus, vollständige Klanggleichheit zwischen dem thetischen und dem
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XIII. Die Systeme: 3. Thesis.
375
gleichnamigen dynamischen Tone derselben Scala. Der Bellennann'sche Unter-
schied zwischen thetisch und dynamisch ist kein materieller, sondern lediglich
ein ideeller. Wenn (so lehrt Bellermann) der griechische Musiker „thetische
Mese der mixolydischeu Scala" sagt, so ist der Klang, den er dabei
im Sinne hat, der Ton b. Sagt er dynamische Mese der mixolydischeu
Scala, so meint er denselben Ton b, aber den Ton b nicht schlechthin nach
seinem Klange, nicht schlechthin, um Bellermanns eigenes Wort zu gebrauchen,
nach seiner „tensio", sondern den Ton b nach seiner harmonischen Bedeutung
als mittleren Octav-Ton der mixolydischeu d. i. (nach Bellermanns Darstel-
lung im Anonymus) der b-Moll-Scala.
Wie mag derjenige, der da wirklich weiss, was Bellermann über Thesis
und Dynamis (in einer die Sache kurz abfertigenden Stelle seines Anonymus
p. 10) lehrt, und welcher zugleich die von Wallis gegebene Auseinander-
setzung dieser Ptolemaeischen Doctrin gründlich studirt hat, die Behauptung
aufstellen, dass Wallis sich viel mehr mit Bellermann als mit Westphal in
Uebereinstimmung befindet! Bellermann thut zwar, als ob seine Darstellung
der Thesis und Dynamis die schon früher existirende, als ob sie die vulgäre
'und allgemeine recipirte, also auch die des Johannes Wallis sei, und dass er
i Bellermann) eben aus diesem Grunde die Sache so kurz in einer Anmerkung
abthun könne: „tiioic et 86va{xi; quid apud musieos scriptores significent, si
quis forte lectorum non statim meminerit, breviter exponam." Zu der Mei-
nung, dass Bellermann8 und Wallis' Auflassungen mehr übereinstimmen, als
Wallis mit mir übereinstimme, (der ich doch keine eigene Ansicht aufstelle,
sondern nur die 200 Jahre lang verschollene Ansicht des Johannes Wallis au8
ihrer Vergessenheit wieder hei-vorgeholt habe), zu dieser Meinung ist, denke
ich, mein Gegner wohl nur durch die eben angeführten Worte Bellermanns
„des im Fache der griechischen Musik so bewanderten und verdienten For-
schers, bei dem man sich nicht leichthin an dem Vorwurfe der Unachtsamkeit
und des Missverstehens betheiligen darf" (Ziegler S. 4) verleitet worden.
Die geradezu Epoche machenden Forschungen Friedrich Bellermanns be-
züglich der griechischen Notation und der griechischen Trauspositions-Scalen,
die ja auch ich im vollsten Umfange anzuerkennen und zu würdigen weiss
und die, denke ich, iu gebührender Weise zum ersten Male, wie sie es ver-
dienten, gerade von mir in meiner griechischen Harmonik 1863 hervorgezogen
sind, diese grossen Verdienste Bellermanns schienen bei meinem Gegner nicht
den Gedanken zuzulassen, dass Bellermann nicht auch bei der Thesis und Dy-
namis dieselbe Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit in der Benutzung der Quellen
(hier Einer Quelle: der Ptolemaeischen Harmonik) und des von den bisherigen
Herausgebern zusammengestellten Apparates (hier: des einzigen Comincntares
von Johannes Wallis) bewiesen haben sollte. Auch ich wünschte sehr, dass
dies Bellermann gethan hätte, aber gethan hat er es nicht.
Und so ist denn die thatsächlich so bedeutungsvolle Lehre von den
thetischen Systemen, welche dem Claudius Ptolemaeus so umfangreichen Stoff
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276
Aristoxenus zweite Harmonik.
für seine akustische Ton-Bestimmung gewährt hat, aber nicht von Ptolemäus,
sondern von Aristoxenus zuerst aufgestellt oder wenigstens eingehend erörtert
ist, unter den Händen Friedrich Bellermanns zu einer nichtssagenden blossen
Schcinnomenclatur abgeblasst, die des realen Lebens bar ist. Denn was will
es besagen, dass, wenn ich den „Ton b" nenne und dabei blos den Klang
desselben im Sinne habe, den Ausdruck „thetisch" hinzusetze ( — thetisches b
— ), dass dagegeu, wenn ich nicht blos den Klang des Tones b meine, sondern
auch die Stelle, welche er als Prime oder als Secunde oder als Terze u. s. w. auf
irgend welcher Tonleiter einnimmt, im Auge habe, dass ich in diesem Falle dem
Namen „Ton b" noch den Zusatz „dynamisch" hinzufüge ( — dynatn. b). Denn
etwas anderes soll nach der Erklärung des trefflichen Entdeckers der Fundamente
der griechischen Notation und der griechischen Transpositions-Sealen Friedrich
Bellermanns der Unterschied zwischen thetischer und dynamischer Onomasie
doch nicht besageu. Bellermann setzte nicht voraus , dass die Thcsis und Dy-
namis ein ebenso wichtiges und ergiebiges Forschungsgebiet für die griechisch«*
Musikwissenschaft wie die griechische Notenschrift und die griechischen Trans-
positions-Scalen sein würden: das ist wohl die Ursache, dass er der Thesit
und Dynamis des Ptolemäus so wenig Bedeutung geschenkt und die vortreff-
lichen Erläuterungen des Gegenstandes, welche ihm in der Ptolemäus- Ausgab«-
des Johannes Wallis vorlagen, leider unbenutzt gelassen hat.
E* ist ganz richtig, was mein Gegner S. 1 bemerkt: „Da die Ungunst
der Zeiten uns keine schriftlichen Monumente griechischer musikalischer Kunst-
werke übrig gelassen hat ... , so bleibt uns ihr eigentliches Wesen in ein
geheimnissvolles Dunkel gehüllt, welches aufzuhellen wir uns um so mehr an-
gereizt fühlen, als die Theorie Gebiete enthält, die nach unseren Begriffeu
nicht geeignet sind, der griechischen Musik die hohe Bedeutung einzuräumen,
welche das klassische Alterthum einstimmig und durch das Organ seiner ge-
wichtigsten Autoritäten ihr zuschreibt. Hierbei ist selbstverständlich vorzüg-
lich an das Phänomen der griechischen Tougeschlechter und ihrer Färbungen
zu denken."
Friedrich Bellermanns Forschungen haben ein gutes Stück über Boehkh's
Standpunkt, der das Verhältniss der Octaven-Gattungen zu den gleichnamigen
Transposition8-Scalen aufdeckte, hinausgeführt; Bellermann hat das Wesen der
griechischen Notation und Transpositions - Scalen erschlossen. Was die Ton-
geschlechter und die Chroai anbetrifft, so ist deren Wesen für Bellermann völlig
dunkel geblieben, so dass er nicht anders kann, als die über die Chroai vor-
handenen Angaben des Aristoxenus für nicht viel mehr als eine des realen
Bodens entbehrende unfruchtbare Speculation zu halten und die griechische
Enharmonik aus der Manierirtheit späterer Künstler herzuleiten. Friedrich
Bellermann war bei seiner Scharfsichtigkeit und Genauigkeit ganz der Mann
dazu, die Frage nach den Chroai und allem, was in den Tongeschlechtern der
Griechen von der modernen Musik abweicht, weiter zu fordern. Ich ersehe
dies aus seinen Versuchen, die von Aristoxenus durch Zahlen ausgedrückten
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XIII. Die Systeme: 3. Thesis.
377
Klangwerthe, denen, wie er ebenfalls erkannte, die gleichschwebende Tempe-
ratur zu Grunde lag, mit den Zahlenangaben der Akustiker unter Anwendung
der Logarithmen auf die gleiche Maasseinheit zurückzuführen. Aber auf
diesem Gebiete zu neuen Resultaten zu gelangen, das konnte nur auf dem
Wege durch die thetische und dynamische Onomasie des Ptolemäus geschehen,
auf welchem Bellermann, wenn er die leitende Hand des Commentators Johannes
Wallis nicht verschmäht hätte, mit derselben Sicherheit wie auf den min-
destens eben so dornichten Pfaden der Transpositions-Scalen und der Notations-
Gebeimnisse zum richtigen Ziele gelangt sein würde. Hierbei wäre der un-
verges8Üche Forscher aufs Beste dnreh seine oft genug bewährte Besonnen-
heit in der Text-Kritik unterstützt worden. Sicherlich wäre er vor unnöthigen
und willkürlichen Aenderungcn der handschriftlichen Ueberlieferung des Pto-
lemäus zurückgesclireckt, wie sich solche mein Gegner S. 17 und 18 erlaubt hat.
Denn von dem 5. Kapitel des zweiten Buches, welches er bespricht,
sagt er: „Dass und wie die Töne der Tonarten auch thetisch benannt werden
können, darüber sagt Ptolemäus in diesem Kapitel nichts."
Dies ist insofern eine richtige Bemerkung, als Ptolemäus dort keine
vollständige Darstellung von der Art und Weise giebt, wie die 15 Klänge
des Pentekaidckachordes nach thetischer Onomasie benannt werden. Er unter-
liisst der Kürze halber die vollständige Darstellung, weil diese anschaulicher
noch durch sieben von ihm beigefügte Tabellen gegeben wird. „Diese geben
,.aUerdings — sagt mein Gegner — oberflächlich und flüchtig betrachtet den
„Anschein, als sei eine speeifisch thetische Benennung zur Anwendung gebracht,
„als seien z. B. auf der mixolydischen Tafel die jifarj und rapa^or, des v-jarrp*
„dfiexcißoXov, die sich um einen Ganzton unterscheiden, der Ord-nj und x*pjr.&Trt
„uicwN x. I. {jLi|oXuobu gleichgestellt, welche sich nur um einen Halbton unter-
scheiden.
„Es ist mir wegen der äusseret klaren und concinnen Ausdrucksweisc des
„Ptolemäus sehr wahrscheinlich, dass sein Original-Manuscript, vielleicht auch
„die auf uns gekommenen Codices noch , diese Tabellen in einer Weise dar-
gestellt haben, die gar keinen Zweifel über die Ptolemäische Auffassung zu-
„lie8s, und dass nur der ziemlich grobe und ungeschickte Druck der Tabellen
„in den WalbYschcn Ausgaben sowohl vom Jahre 1682, ab auch von 1699
„durch an sich ganz unbedeutende Ungenauigkeiten jene missverstäudliche Auf-
fassung verschuldet habe. Denkt man sich z. B. nur die einzige kleine Aen-
„derung ausgeführt, dass die Verhältnisszahlen der Intervalle tatC' £~t&' ir.iv.'
„u. s. w. nicht gerade in der Mitte, sondern etwas rechts zu den Swdfxti; gerückt,
„so wäre es sogleich hinreichend klar, dass sowohl die Verhältnisszahlen links,
„als auch die Tetrachoden-Bezeichnungen rechts nur zu den Tonnamen der
„Tonarten, zu den fc'jvdfici; gehören. Klarer noch wäre dies, wenn ein verti-
„caler Strich in der Mitte diese Zahlen von den öioei; trennte; endlich ganz
„anschaulich, wenn die horizontalen Striche nach beiden Seiten hin zugleich
„durch ihre Abstände von einander die Halb- und Ganztöne veranschaulichten."
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378
Aristoxenus zweite Harmonik.
In der Ausgabe des Ptolemäus giebt Wallis auf p. 152 der ersten Ausgabe
deu Text:
\. Mi£oXu6ig; tovo;.
Heoet;
TrapavTjttj
TptTT, oie£.
«
Xiyavö; pis.
rtap'jTtaTT) ph.
j^drri ia£5. — —
Xtyavö; jzd-
ir.il'.
ir.ix.
ir.it]'.
iniH'.
Awdpci;
vt,ttj ou£.
^apav^-rr) oie^.
TpiTTj SteC-
^apapiloT)
teTpdyopäov
pior,
Xiyowi; ja£3.
- Ttap jrdT^ [i£o.
£3?a>;
T£Tpd/OpOOV
Xi/av. y-xr.
zpoaXafxßavo-
£~tTf) .
izv*.'.
;:otp*j7rxr. yzaT.
•jTidtTj jndT.
rpoaXojxjj'.
VfJTYj oteC-
rcxpa/opoov
TETpd/OpOOV
E3TOJ;
£37 u>;
est«;
Wie der Herausgeber des Ptolemäus die auf dieser Tabelle enthaltene
thetische Scala vom rpoaXafjißavöuievo; bis zur vTjTtj y-EpäoXaltDv versteht, das
giebt derselbe p. 153 seiner Interpretation durch folgende Notentabelle an:
Niemand kann diese mixolydische Tabelle und die anderen seclis aualogen
Tabellen auf 8. 141 ff. anders als der Herausgeber verstehen und auch ich
habe mir diese Interpretation aneignen müssen (vgl. oben S. 372). Auch mein
Gegner würde sie in seiner Abhandlung so wie Wallis verstanden haben, wenn
er sie ernstlich hätte verstehen wollen. Aber er wollte nicht. Er erklärte die
Ptolemäische Tabelle des Wallis'schen Textes für ungenau und setzte folgende
angeblich berichtigte Tabelle an deren Stelle (S. IS seiner Abhandlung):
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XIII. Die Systeme: 3. The*is.
379
Tpi-aj j^ef.3o).al<ov
vtjTTj oteCe'jYfjtivujv
TTapyrtärr, ;x£3(uv
•j-TäTT, uiaiuv
rposXafji^avofjLSvo;
^. MtgoAuoio; tovo;.
£ni x'.
inl »'.
£-i x'.
_ — I-
I
i-i »•.
izi x'.
rrspctueaTj
Xtyavo; [A23tov
Xt/avö; üzcItov
■»narr, j^i-rtuv
TfiTpd/OpOOV
t4vo;
teTpd/opfcv*
. TCTpa/OpOOV
£3T(6;
int t/.
tovo;
67tl X .
rrapsv^Tx jrep^/.auov
TptTT^ jnsp^o/.^turv
VT,Tirj ■JTtEp^''//.Ctl(OV
eotoj;
Tetpd/opSov
Ich weiss nicht, welche Vorstellung mein Gegner von Texteskritik haben
mag. Er schreibt, „dass nur der ziemlich grobe und ungeschickte Druck der
Tabellen in den Wallis'schen Ausgaben durch au sich ganz unbedeutende Un-
genauigkeiten jene missverständliche Auffassung verschuldet habe/4 Grober
und ungeschickter Druck! Ein jeder, der sich auf alte Drucke versteht,
weiss, das« mein Gegner durch die angebliche „Grobheit und Ungeschickt-
heit*4 (!) des Oxforder Druckes seine Umänderung des Textes nicht motiviren
durfte. Er musste sich auf die Notiz des Herausgebers verlassen, dass
er im Text die Lesart der 11 von ihm zu Rathe gezogenen Handschriften
darstellt zumal Wallis die Abweichungen der Handschriften unter einander
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:38t)
Aristoxenus zweite Harmonik.
mittheilt, dass z.B. neben Tetpayopoov die Lesart otdj Teasiorov vorkommt, dass
er in der Tabelle des Awpto; t<Svo; dem retpd/opoov, für welches er sich als
die ihm besser scheinende Lesart entscheidet (ich hätte mich für oid Ttoodorov
entschieden) noch die Zusätze uratov, fxiaajv, oteCcuY,a£v(uv hinzugefügt habe,
was ziemlich verkehrt und überflüssig ist. So können wir uns denn wohl ge-
statten, die oben rechts in der Colurane von Wallis gesetzte Lesart „tetpd-
yopoov" gegen die zweite dem Herausgeber nicht zusagende Lesart „5ii tss-
oapcov" umzutauschen. Aber um dergleichen Kleinigkeiten handelt es sich
nicht bei meinem Gegner. Frischweg macht er an Stelle des im Ox-
forder Drucke überlieferten Textes einen neuen, den er dem
Leser als ächten Ptolemäischen Text octroyiren möchte, damit
nicht mehr aus Ptolemäus gefolgert werden kann, was laut der 11 Hand-
schriften des Johannes Wallis unbestreitbar aus ihm hervorgeht.
In seinem Eifer nichts aufkommen zu lassen, was die zu unserer Zeit
gäng und gäben Ansichten über griechisches Melos umstossen könne, jene An-
sichten, welche mit Boeckh beginnen und in Bellermanns Arbeiten ihren Ab-
schluss finden, — in diesem Eifer hat mein Gegner unterlassen daran zu
denken, dass Ptolemäus auch im 15. Kapitel des 2. Buches noch 14 andere
Tabellen giebt, die Ziegler vor seiner so gänzlichen Umgestaltung der raixoly-
dischen Tabelle nothwendig hätte zu Rathe ziehen müssen. Hätte er dies nicht
unterlassen, so würde er sofort gesehen haben, dass bei diesen 14 Tabellen der
gleichen Manipulationen, wie sie ihm bei der mixolydischen Tabellen beliebten,
unmöglich sich ausführen lassen. Denn sie sind so eingerichtet, dass es ab-
solut nicht möglich ist, die von Ptolemäus angegebenen Zahlen zu verstellen.
Unmittelbar vor eine jede Zahl hat hier Ptolemäus einen der 8 ersten Buch-
staben des Alphabetes gesetzt, von denen ein jeder einen der 8 Klänge eines
mixolydischen Oktachordes von der Nete bis zur Mese bezeichnen soll: * ist
die mixolydische Nete, jüf die mixolydische Paranete u. s. f. bis zum Buchstaben t(
als dem Zeichen für die mixolydische Mese. Aus den diesen Buchstaben bei-
gefügten Zahlen lässt sich ersehen, welche Intervallgrössen von den durch die
Buchstaben bezeichneten Klängen nach der Meinung des Ptolemäus einge-
schlossen sein sollen. Vgl. 0. Paul, Boetius S. 358— 371. Aus einer Vergleichung
dieser 14 Tabellen, welche Ptolemäus für die thetischen Oktachorde aufgestellt
hat, mit den 7 von ihm für die thetischen Pentekaidekachordc aufgestellten
Tabellen erkennt ein jeder, welcher über die Puerilia hinaus ist.
dass ein Acndcrungs versuch an den letzteren in der von meinem
Gegner vorgenommenen Umgestaltung ein Text-Frevel allerun-
sinnigster Art ist.
Hier wie auch an anderen Stellen giebt Ptolemäus durch seine vorsorg-
liche Wiederholung des nämlichen Gegenstandes, denselben vor Missverstäud-
nissen zu schützen, die sicheren Kriterien über Aechtheit oder Versehrtheit
der handschriftlichen Ueberlieferung seines Textes. Ptolemäus selber stellt
auf diese Weise späteren Erklären» das Zeugniss aus, ob er von ihnen richtig
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XIII. Die Systeme: 3. Thesis.
381
oder unrichtig verstanden sei: dem alten Oxforder Professor der Mathematik
Dr. Johannes Wallis ein ausserordentlich günstiges — ein sehr ungünstiges
dem späteren deutschen Erklärer, Gymnasialdirektor A. Ziegler.
Durch das, was ich noch ausserdem aus Zieglers Abhandlung, als ich sie
i. J. 1866 zum Zwecke der Herausgabe der zweiten Auflage meiner griechischen
Harmonik durchnahm, angemerkt habe, darf ich den der Aristoxenischen ge-
widmeten Raum nicht weiter beeinträchtigen: schon das Angeführte stellt klar
genug, was es mit der Ziegler'schen Abhandlung für eine Bewandniss hat.
Doch dem Geiste des neunzehnten Jahrhunderts scheint die sorgsame,
auf sachliches Verständniss ausgehende Methode, in welcher der alte eng-
lische Mathematiker und zugleich wacker geschulte Philologe des siebenzehnten
Jahrhunderts den Ptolemäus behandelte, nicht mehr zu behagen: Friedrich
Bellerinan, Ziegler, Fortlage (der nach mündlicher Mittheilung sich an Ziegler
anschlieast), und von den jüngeren: Heinrich Bellermann (in der Polemik gegen
0. Paul's absolute Musik), Dr. Hugo Riemann (Musik-Lexikon), Joh. Papa-
stamatopulos aus Aetolien (Studien zur alten griechischen Musik. Jenenser
Promotionssehrift 1878).
Um so wärmere Anerkennung dem Freunde Oskar Paul, der zu einer
Zeit, wo wir persönlich uns noch völlig fremd waren und unabhängig von
meinem Vorgange, in seiner „absoluten Musik der Griechen", die Ptolemäische
Onomasie kata Thesin nach der Wallis'schen Interpretation gleich mir ihrer
langen Vergessenheit zu entreissen suchte. Ich sage, unabhängig von meinem
Vorgange, weil die grosse Zahl der Uebrigen entschieden dafür spricht, dass,
wenn Paul nicht selbständig durch den Ptolemäischcu Text auf dieselbe Inter-
pretation wie Wallis gekommen wäre, er schwerlich durch meine noch mangel-
haft darstellende griechische Harmonik des Jahres 1863 zu Wallis hinüber ge-
lenkt wäre. Oskar Paul und ich, wir beide sind bis jetzt die einzigen, welche
sich öffentlich für Wallis Interpretation ausgesprochen haben; wir beide
sind Märtyrer für dieselbe gute Sache, für dieselbe Wahrheit geworden. Denn
wie mich um ihrer Willen Herr Ziegler angegriffen und verketzert hat, so hat
auch Oskar Paul viel Leids um ihretwillen durch Heinrich Bellermann, den
Sohn Friedrichs, erdulden müssen. 1
Derselbe macht der „absoluten Musik der Griechen" den Vorwurf, dass
*ie die früher geltende einfache und natürliche Erklärung Friedrich Beller-
manns in der Kürze wiederzugeben oder mit Gründen zu beseitigen verschmäht
habe, — dass die betreffenden Stellen des Ptolemäus sehr wohl in einem ent-
gegengesetzten Sinne erklärt werden können, wie dies neuerdings von A. Ziegler
in einer gründlich (!) wissenschaftlichen Weise geschehen sei, — dass ein
grosser Theil der in der absoluten Harmonik ausgesprochenen Lehren hinfällig
sei, falls die Westpharsehc Theorie nicht haltbar sein sollte (und sie sei es
sicherlich nicht).
Mit Entschiedenheit protestire ich gegen den Ausdruck „Wcstphal'schc
Theorie." Denn va ist die 200 Jahre lang verschollene Interpretation des
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382
Aristoxenus zweite Harmonik.
Jobannes Wallis (auch Friedrich Bellermann, der Vater, hat sich nicht im
mindesten um sie gekümmert), welche wir beide, ich einerseits, und andererseits
Oskar Paul der Vergessenheit zu entziehen suchten. Bisher, scheint es, mit
keinem Erfolge.
Doch weiss ich, dass sich die Wahrheit wohl auf eine Zeit lang, aber
nicht auf immer wird unterdrücken lassen, falls nicht das Interesse für die be-
treffende Wissensehaft gänzlich erlöschen sollte.
I
4.
Continuirliohe und hyperbatisohe, rationale und irrationale
Systeme.
Es ist S. 345 nachgewiesen, dass Aristoxenus in diesem Abschnitte ausser
den drei Hauptkapiteln: 1. Schemata oder Eide der Systeme, 2. Synthesis und
3. Thesis der Systeme auch noch die in Abschn. IV angekündigte vierte und
sechste Eintheilung der Systeme definirt und weiter erläutert haben muss.
denn dort in Abschn. IV hatte er die betreffende Eintheilung nur dem Namen
nach aufgeführt:
„Die Systeme sind viertens dadurch verschieden, dass
„die einen durch ein irrationales, die anderen durch ein ratio -
„nalcs Intervall begrenzt werden
„Sechstens durch diejenige Eintheilung, nach welcher
„die Systeme in continuirliche und hyperbata zerfallen, denn
„jedes System ist entweder ein continuirliches oder ein
„hyperbaton
Zu den letzten Worten des Abschnittes IV sagt der Commeutar Mar-
quards S. 243: „Ueber den Unterschied des Hyperbaton und Continuir-
liche n sind wir fast von allen Schriftstellern im Stiche gelassen. Erwähnt
wird er überhaupt nur noch von Aristides Quintiiianus und dem Verfasser der
Introductio, aber weder der eine noch der andere giebt einen genügenden Auf-
sclüuss. Aristides p. 15, 2S sagt: td |/.ev ?'j?d>v (seil, t&v ovsTTjudTw*) tj-
vc/_fj <üc x« Iii T&v ^8*iYTtuv» T* o'unepßaTd tu; rd Sid xd>v y.it doefcf,; {ac).u>*
oojjxcva, d. i. und die einen von Urnen (seil, den Systemen) sind zusammen-
hängend wie die, welche in auf einander folgenden Klängen fortschreiten —
und in der Introductio p. 16, 33 hebst es: oe täv e£f4; xat u-ep-Jaroü oia-
copa otoloei ouo"rri(uaTa rd oid täv e;f,; <f%6ffwv (xeXw&o-jfjieva t&v V Ore^aiüv
d. i. nach dem Unterschied des Aufeinanderfolgenden und Versetzten aber
werden sich die in aufeinanderfolgenden Klängen fortschreitenden von den in
versetzten (Klängen fortschreitenden) unterscheiden. In beiden Erklärungen
haben wir immer wieder dieselben Worte, die gerade für uns der Erklärung
bedürfen. Eiuigen Anhalt bietet uns natürlich der Gegensatz; dass ein stetiges
System kein anderes sein könne, als z. B. dies e f g a, ist klar; wenn es nun
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XIII. Die Systeme: 4. Contiuuirlichc und hyperbatische etc. 3S3
aber heisst, ein versetztes sei ein nicht stetiges, so bleiben der Möglichkeiten
sehr viele, ja ihre Zahl wächst stets mit dem Umfange des Systems; also eiu
versetztes wäre demnach e g f a oder e a f g oder bei grösserem Umfange
e a f h u. 8. w. Bei dem gänzlichen Mangel bestimmterer Angaben werden
wir uns mit dieser allgemeinen Vorstellung begnügen müssen."
So Marquard. Mehr weiss auch ich nicht zu sagen.
Für den Unterschied der rationalen und irrationalen Systeme
kommt es zufolge der von Aristoxonus w\ IV. Abschn. gegebenen Definition
auf die Beschaffenheit des das System begrenzenden Intervalles an. Irrationale
Intervalle kommen bloss in den Systemen des Chroma malakon und des Chroma
hemiolion vor, die übrigen Tongeschlechter und Chroai enthalten nur (gerade
oder ungerade) rationale Intervalle. Für das Chroma hemiolion würden sich
also aus der Aristoxenischen Klassifikation der Quarten-, Quinten- und Octaven-
Eide folgende Beispiele irrationaler Systeme ergeben:
Zweites Quarten-Eidos e f a a
*• * *•
Zweites Quinten-Eidos e f a Ii h
Fünftes Octaveu-Eidos e ? a hhc e v.
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I
Die gemischten und ungemischten Tongeschlechter.
(Mi;t; täv y*"«uv).
Prooünion § 19.
Den Inhalt dieses Abschnittes giebt Aristoxenus Prooimion § 19 (ohne
alle Andeutung über die Disposition) folgendem! aas.sen an:
„Sind die Systeme sowohl nach jedem der Tongeschlechter wie nach
„jedem ihrer Unterschiede aufgezahlt worden, so wird, da die Tonge-
„schlechter unter sich gemischt werden, zu untersuchen sein, auf welche
„Weise dies letztere geschieht- Denn eben worin diese Mischung besteht,
„haben (die Früheren) nicht eingesehen-"
Bezüglich der Textes -Kritik ist hier nachzutragen, dass Marquard ge-
schrieben hat: jjuyvj|a£v<dv zdXiv täv ^evü>v xau-cö . . . roiettai T.pa^iiaxvjxi^. Er
bemerkt im kritischen Commentare S. 116 „Meibom suchte dieser Stelle durch Aen-
derung des zotcTtai in noieToftat aufzuhelfen; allein der Ausdruck wird dadurch
nur grammatisch zurecht gerückt, während er dem Sinne nach so unerträg-
lich bleibt wie vorher. Was ungefähr gesagt sein soll, begreift man wohl,
aber die Sache selbst, von welcher hier gesprochen wird, ist zu wenig aufge-
klärt (siehe exeget. Comm.), als dass sich der Text mit Sicherheit herstellen
Hesse. Ich glaube, dass vor rote trat Mehreres ausgefallen ist, dessen Ergän-
zung ich bisher noch nicht gefunden habe". Nach meiner Ansicht genügt schon
eine Ergänzung von anderthalb Worten. Durch das Verschwinden von 9 Buch-
staben ist aus
-(ba tponov) i-j-o tojto rotetxai ein xcnxö xcöxo n.
geworden, die verstümmelte Lesart der auf uns gekommenen Handschriften.
Im exegetischen Commentare S. 210 sagt Marq. von der herangezogenen
Stelle des Prooimions: „Auch dieser Theil ist in den erhaltenen Excerpten
nicht mehr behandelt, und es ist nicht leicht, sich eine Vorstellung davon zu
macheu, was Aristoxenus eigentlich gemeint habe . . . Offenbar kommt es
darauf an, was unter dem Mischen der Geschlechter zu verstehen ist."
Marq. denkt zuerst an Aristides p. 29, wo die Mixis als ein Theil der Melo-
poeie genannt ist, — dann an Aristides p. 9, Pseudo-Euklid p. 5, Pseudo-Niko-
machus p. 39, wo eine Aufzahlung sämmtlicher überhaupt im Umfange von
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• XIV. Die gemischten und ungemischten Tongeschleehter. 385
2 Oktaven möglicher Klänge nach ihrer Reihenfolge" gegeben wird, „<pft*r7«
xa-ri fJit;tv t&v fzum^.4'
Was Aristoxenus unter dem Mischen der Geschlechter „eigentlich ge-
meint habe", darüber giebt eine Parallelstelle, nämlich § 45 der zweiten Harmonik
Auskunft: „Jedes Melos ist entweder 1. ein diatonisches, oder 2. ein chro-
matisches, oder 3. ein euharinonisches, oder 4. ein aus diesen Arten gemischtes,
oder endlich 5. ein ihnen gemeinsames." Marq. selber im exegetischen Com-
mentare zu dieser Stelle S. 334 sagt bezüglich des gemischten Melos: „Eine
Erklärung davon ist in den (Aristoxeuischeni Exzerpten nicht enthalten, wohl
aber in der Introductiou." Pscudo-Euklid p. 10 giebt nämlich die Definition:
Ein bezüglich der Tongeschleehter gemischtes ist ein solches, in welchem
sich zwei oder drei charakteristische Eigenthümlichkeiten verschiedener Tonge-
schleehter zeigen, nämlich:
1. des Diatonon und des Chroma,
2. des Diatonon und der Harmonie,
3. des Chroma und der Harmonie,
4. oder auch des Diatonon, des Chroma und der Harmonie.
Die drei ersten Arten sind Beispiele für die Mischungen, in welchen
zwei charakteristische Eigenheiten verschiedener Tongeschlechter vorkommen,
die letzte für Mischungen mit drei. Marq. S. 335 meint: „ Selbst ohne be-
istimmte Angaben (des Pseudo- Euklid) würde man vermutheu, dass die drei
„Geschlechter . . . nicht nur jedes für sich, sondern auch mit den andern ver-
bunden gebraucht worden seien.'' Darauf construirt er Scalen, welche den
vier von Pseudo-Euklid angegebenen Mischungen entsprechen:
1. ..Das aus Diatonon und Chroma gemischte Geschlecht inusste
.jedenfalls die für jedes charakteristischen Klänge fis und g enthalten, also
e fis g a.
2. „Während uns die vorstehende Stimmung sehr natürlich erscheint, ist
„uns die aus der Mischung des Diatonon und der Enharmonik ganz fremd
„ . . . Das gemischte Tetrachord diese'r Art kann nur so gestimmt gewesen sein
e e g a.
3. „Die Mischung des Chroma mit der Enharmonik ist uns ebenfalls
fremd
*
e e fis a.
4. „Die charakteristischen Klänge aller drei Ge schlechter in einen
„einzigen Tetrachord zu vereinigen ist nicht möglich . . . Entweder ist also auch (?)
„diese Aufstellung nur aus dem Streben nach Vollständigkeit hervorgegangen,
„oder was sich sehr gut denken lässt, die charakteristischen Klänge sind aut
„den Umfang von zwei oder mehreren Tetrachorden vertheilt gewesen
Ariitoienu», Melik u. Rhythmik. 25
Digitized by Gbogle
386
Aristoxenus zweite Harmonik.
-
e fis g a h h eis e
V V <
Chrom, u. Diaton. Enharm. u. Chrom.
„oder ähnlich."
Im Allgemeinen bin ich mit der von Marq. gegebenen Construction der
vier Scalen, welche der von Euklid überlieferten vierfachen Mischungsart ent-
sprechen sollen, durchaus einverstanden. Aber nur im Allgemeinen, im Ein-
zelnen nicht. „Mehr erfahren wir von Aristoxenus und den Schriftstellern,
„welche aus ihm geschöpft haben, über diese Mischungen der Geschlechter
„nicht. Eingehender wurden sie nach Aristoxenus von Ptolemäus behandelt.
„Da wir aber keine Berechtigung haben, die Angaben und Resultate des Pto-
lemäus, wie Westphal bei verschiedenen Gelegenheiten es thut, auch auf die
„Zeit des Aristoxenus zu übertragen, so müssen wir die Darstellung dieser auf
„einen anderen Ort versparen. (Aum. Westphal hat sich in diesem wie in
„manchem anderen Punkte zu sehr von dem Wunsche positive Resultate zu
„gewinnen leiten lassen und zu viel corabinirt)."
Marq. erklärt S. 389 die XII. Prob. 27. 28. für unaristoxenisch , weil dort
eine Stimmung angenommen werde, wie etwa diese
*
e e g a,
,,wovon wir sonst weder bei Aristoxenus selbst noch bei irgend einem seiner
Compilatoren irgend eine Spur Anden . . . Hier eine Uebereinstimmung her-
zustellen, scheint durchaus unmöglich; mit Aenderungen kann auch nicht ge-
holfen werden, der Widerspruch bleibt."
Wer ist hier mit sich in Widerspruch? Aristoxenus? 0 nein! Mar-
quard selber. Marquard hat auf S. 389 gänzlich vergessen, was er etwa 50 Seiten
früher, nämlich S. 336, als Ansicht des „Aristoxenus und der Schriftsteller,
welche aus ihm geschöpft haben, über die Mischungen der Geschlechter*' ge-
lehrt hat: „Das aus Chroma und Diatonon gemischte Tetrachord kann nur so
gestimmt gewesen sein
e e p a."
Diesen verwunderlichen Widerspruch, der seines Gleichen nicht hat, lässt
sich Marq. zu Schulden kommen, einfach deswegen, weil ihm entschwunden
war, was er 50 Seiten früher richtig gesagt hatte. Die Aristoxenische Har-
monik aber ist von Marq. mit Unrecht des Widerspruches beschuldigt. Denn
was Aristox. XII. Prob. 27. 28 lehrt, das hat er schon vorher § 57. 58 (nicht nur
in der zweiten, sondern auch in der ersten Harmonik) ausgesprochen. Marq.
als Herausgeber des Aristoxenischen Textes hat jene beiden Stellen nicht nur
drucken lassen, sondern auch den Text durch Conjectural-Kritik entschieden
verbessert und richtig ins Deutsche übersetzt; aber als sachlicher Commentator
stellt er auf's Entscliiedenste in Abrede, dass sich bei Aristoxenus auch nur
die geringste Spur von dem finde, was er doch selber herausge-
geben, emendirt und übersetzt hat.
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XIV. Die gemischten und ungemischten Tongeschlechter.
387
Diese Vergeßlichkeit hat sich mehrfach an Marquard gerficht.
Denn hätte Marq. jenen von ihm herausgegebenen und übersetzten Ab-
schnitt nicht aus der Erinnerung verloren, so würde er S. 335 sich gehütet
haben, von der ersten der vier von Pseudo- Euklid genannten Mischungsarten
zu sagen (wie analog auch von der vierten): „Das aus dem Diatonon und
Chroma gemischten Tetrachord müsste jedenfalls wie
e fis g a
klingen." Denn S. 74 hatte ja Marq. eine Stelle des Aristox. drucken lassen, die er
ebenda richtig folgendennassen übersetzt: „Von den Intervallen im Tetrachord ist
„das zwischen Hypate und Parhypatc dem zwischen Parbypate und Lichanos
„entweder gleich oder es ist kleiner, grösser aber niemals." In der Scala
e fis g a, welche nach Marq. Euklid's erste Mischungsart erläutern soll, ist das
tiefste Intervall grösser als das zweite, was Aristoxenus nicht blos im All-
gemeinen durch jenen Ausspruch, sondern auch noch durch ein bestimmtes als
„ekmelisch" von ihm hingestelltes Beispiel (Marq. S. 76) entschieden in Abrede stellt.
Was die von Marq. über Ptolemäus gegebene Warnung betrifft, man
müsse sich hüten, die Scalen des Ptolemäus wie Westphal auf Aristoxenus
zu übertragen, so werde ich mich wohl nicht irren, wenn ich annehme, dass
die Lehre des Ptolemäus dem Gedächtnisse Marquards nicht minder gänzlich
entschwunden war, wie das, was er aus Aristoxenus über denselben Gegen-
stand (S. 74 seiner Ausgabe) hat abdrucken lassen. Denn sonst müsste Mar-
quard wissen, dass genau die Hälfte der Scalen, welche Marq. zur Erläuterung
der vier von Euklides aufgeführten Mischungsarten aufstellt,
nämlich die zweite
„e e g a"
und (doch ohne die oben angemerkte Unrichtigkeit!) die vierte
„e fis g a h h eis e oder ähnlich",
dass diese auch bei Ptolemäus unter den Scalen sich finden, von denen Marq.
die Warnung ausspricht, man müsse sich hüten, sie auf die Zeit des Aristoxe-
nus zu übertragen. Und dass ferner auch die erste der vier Euklides'schen
Mischungsarten unter den Scalen des Ptolemäus steht, aber nicht so, wie sie
Marq. unrichtig angegeben
e fis g a,
sondern so, wie Aristoxenus die Scala verlangt, (vgl. S. 261 der vorliegenden
Ausgabe) »,
e e fis a.
Bloss die dritte der von Euklid (nach Aristoxenus) aufgestellten Mischuugs-
arten, nämlich das enharnionisch-chromatische Tetrachord finden wir bei Pto-
lemäus nicht, denn das Enharmonion, welches schon zu Aristoxenus Zeit von
den meisten Musikern nicht mehr empfunden wurde, war zu Ptolemäus Zeit
ausser Gebrauch. Wie es Ptolemäus mit der zweiten Scala hält, welche
nach Aristoxenus eine diatonisch-enharmonische ist, darüber vgl. unten.
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388
Aristoxenus zweite Harmonik.
Dann würde Marq. Rocht haben, wenn er gesagt hätte: man darf nicht
jede der Aristoxenischen Scalen bei Ptolemäus wiederfinden wollen. Aber die-
jenigen Aristoxonus-Sealen, welche nun einmal auch von Ptolemäus aufgeführt
werden, diese bezüglich der Unterschiede in den beiderseitigen Stimmungs-
angaben der Klange zu vergleichen, dem darf sich der Forscher über antikes
Melos, darf sich namentlich der Exeget des Aristoxenus nicht entziehen, denn
nicht nur die völlig gleichen Analogieen sind herbeizuziehen, sondern auch die
Differenzen zwischen analogen Erscheinungen sind im höchsten Grade lehrreich.
Ptolemäus gilt nach gewöhnlicher Auffassung als Gegner der Aristoxe-
nischen Doctrin der Harmonik. Dies ist er auch, doch nur insofern, als Pto-
lemäus bei den Bestimmungen der Klänge durch Zahlen die durch die Aku-
stik gefundenen Schwingungs- Verhältnisse der verschiedenen Klänge, Aristo-
xenus dagegen die gleichschwebeude Temperatur der Klänge zu Grunde legt.
Und eben hierin zeigen sich die Differenzen; in den Thatsachen, welche sie
wissenschaftlich zu erörtern suchen, stimmen sie überein. Wir dürfen sagen:
in Beziehung auf diese Thatsachen hat sich Ptolemäus der Doctrin des Aristo-
xenus angeschlossen, so sehr er auch bezüglich der Zahlenbestimmungen gegen
denselben polemisirt. Nur in einigen Punkten war die AristoxenLsche Doctrin
durch die Veränderung der musikalischen Praxis zur Zeit des Ptolemäus anti-
quirt, wie z. B. in der nicht mehr stattfindenden Anwendung des Enharmonions.
Ferner zeigt sich auch darin bezüglich der von beiden (von Aristoxenus
und Ptolemäus) behandelten Thatsachen, eine Differenz, dass einige Scalen,
welche Aristoxenus zufolge dem Excerpte des Pseudo-Euklides als Mischungen
(jM;et; töjv -y£vü>v) ansieht, von Ptolemäus als ungemischte aufgefasst werden.
Der Unterschied der verschiedenen Klassifikation unter den gemischten und
ungemischten Scalen ist der, dass nach Ptolemäus eine Mischung nur da statt-
findet, wo (mit Marquard zu reden) „die charakterischen Klänge auf den Um-
fang von mehreren Tetrachorden vertheilt sind", d. h. wo die Octave aus zwei
Tetrachordeu verschiedener Geschlechter zusammengesetzt ist. Nur die vierte
Kategorie der Mischungen, welche Pseudo- Euklid namhaft macht, gilt auch
bei Ptolm. als Mischung; die übrigen nicht. Bei ihm sind gemischte Scalen:
Mischung des Chrotna syntonon und des Diatonon toniaion
21 : 22 11 : 12 6 : 7; 27 : 2« ~ öTyT
Mischung des Diatonon malakon und des Diatonon toniaion:
20:21 9:10 7:8; 27 : 28 tTs &Tv»7
Mischung des Diatonon toniaion und des Diatonon ditoniaion
27 : 28 TT« 8 : 9; 243:256 8 : 9 8 : 9;
Mischung des Diatonon toniaion und des Diatonon syntonon
27 : 28 TTs sT97 15 : 16 8:9 9 : 10;
dagegen eine ungemischte Scala ist die des Diatonon toniaion
27 : 28 TTh 8 : 9; 27 : 2S 778 8 : 9.
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XIV. Diu gumischten und ungemischten Tongeschlechter. 389
Woher bei Ptolemäus dem Aristoxenus gugenüber die Aunderung in der
Xomenclatur „gemischt", können wir nicht sagen. Aber dem Aristoxenischen
Begritie nach sind alle bei Ptolemäus vorkommenden Tetrachorde gemischte
Tetrachorde : in jedem Tetrachorde kommen Klänge vor, welche verschiedenen
Tongeschlechtern charakteristisch sind. Also in der Musik des Ptolemäischen
Zeitalters waltet durchaus der Gebrauch von Tetrachorden mit gemischten
Tongeschluchtern vor. Was Marquard S. 355 von dur Musik-Periode des
Aristoxenus sagt: „Selbst ohne bestimmte Angaben würde man vermuthen,
dass die drei Geschlechter und besonders das diatonische und chromatische,
nicht nur judus für sich, sondern auch mit einander verbunden gebraucht
worden seien", das nimmt Ptolemäus für seine Zeit aufs bestimmteste in An-
spruch. Diatonische Scalen, deren Pentachorde sammtlich aus „ix Ijw do-jv-
Netwv oiaorrijidTrov" bestehen, und chromatische (und unharmonische), deren
Pentachorde sämmtlich aus „ix tpt&v douvbköjv oiaaTTju.dTtuv4« bestehen, wie
Aristoxeuus XII Prob]. 27. 28 sich ausdrückt, z. B.
Diaton. e f g a h
Chrom, e f fis a h
kommen in der Epoche des Ptolemäus in der musikalischen Praxis nicht mehr
anders als in Verbindung mit gemischten Tetrachorden vor. Sie mögen auch
zu Aristoxenus Zeit seltener als die diatonischen Scalen „ix Tpiwv t( terrdpor/',
und als die chromatischen und unharmonischen „ix Terrdptuv" geweseu sein,
von denen es bei ihm zweite Harm. § 57 heisst: „xii yd? il -oisj-rai oiaipiaet;
-tV/ T.'jxwy* £fA(jiE)£t; oa(vovTai". Mit anderen Worten: Die Aristoxenische Zeit
wandte Scalen aus gemischten und Scalen aus ungemischten Tetrachorden an,
die Ptolemäische Zeit nur Scalen aus gemischten Tttrachorden. Das Mischen
nimmt immer überhand.
Ganz besonderen Dank sind wir dem grossen Mathematiker, Astronomen,
Akustiker und Geographen aus der Zeit Marc-Aurels dafür schuldig, dass er
verschieden von dem Verfahren seiner modernen Collegen auf die histo-
rische Darstellung seiner Wissenschaft so sehr bedacht ist und uns in scaner
Harmonik zugleich den harmonisch-akustischen Standpunkt des Pythagoras,
des Archytas, des Eratosthencs , (unter Ptolemäus Euergetes und Epiphanes,
bis 196 oder 194 v. Chr.), des Klaudios Didymos (unter Kaiser Nero) darstellt
So erfahren wir durch Ptolemäus, dass schon sein alter Vorgänger in der
Mathematik, Geographie und Astronomie aus der Zeit der Ptolemäer, dass Eratos-
thenes, der gar nicht so viel jünger als Aristoxenus ist, bereits einen Stand-
punkt der praktischen Musik voraussetzt, welcher von dem Aristoxenischen nicht
gar verschieden ist, denn auch Eratosthenes berichtet von Tetrachord-Stim-
raungen, welche wir bereits unter die gemischten zahlen müssen. Auch
schon Archytas legt, merkwürdig genug, für das Diatonon die gemischte Stim-
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390
Aristoxenus zweite Harmonik.
mung des Aristoxenus zu Grunde. So muss ich denn die Warnung Marquardt
„die Angaben und Resultate des Ptolemäus, wie Westphal bei verschiedenen
Gelegenheiten es thut, auch auf die Zeit des Aristoxenus zu übertragen" auf
das Entschiedenste zurückweisen. Nein, es ist Pflicht für den Forscher alter
Musik, es ist Pflicht für den Herausgeber und Erklärer des Aristoxenus, die
Aristoxenischen Angaben über die Tctrachord-Stimmungen mit denen bei Pto-
lemäus vorkommenden gewissenhaft zu vergleichen, zumal da Ptolemäus nicht
blos die Musik seiner Zeit (der Zeit Mark-Aurels) im Auge hat, sondern auch
aus älteren Berichterstattern über Musik excerpirt, welche der Aristoxenischen
Zeit näher als der seinigen stehen. Und bei diesen Berichten über Tetrachord-
Stimmung sind dem Forscher die Verschiedenheiten im Einzelnen nicht minder
wichtig, wie etwaige Uebcreinstimmung bezüglich allgemeiner Thatsachen.
Friedrich Bellermann hat auch dies Verdienst, dass er in seiner Herausgabe
des „Anonymus de music. 1841" auf die Vergleiche der Aristoxenischen Klang-
Bestimmungen mit denen des Archytas, des Eratosthenes, Didymus und Ptole-
mäus energisch eingegangen ist (p. 66 ff., besonders p. 69). Vgl. auch die
hierauf bezüglichen Auseinandersetzungen in Bellermanns „Tonleitern und
Musik-Noten der Griechen."
Als Marquard davor warnte, bezüglich der gemischten Scalen des Ari-
stoxenus zur Vergleichung den Ptolemäus herbeizuziehen, da hatte er wohl auch
dies vergessen, dass Bellermann im Anonymus und in den griechischen Ton-
leitern die Tetrachord-Bestimmungen des Aristoxenus mit denen des Ptolemäus
und der von diesen herbeigezogenen älteren Gewehrsmännern längst zu Aristo-
xenus herbeigezogen hatte.
Friedrich Bellermann kennt, wie schon früher bemerkt, die Methode
mit Hilfe der Logarithmen die Zahlenangaben des Aristoxenus und der
Akustiker auf gleiche Benennung zu bringen. Die Wurzel -Exponenten,
welche sich aus der Aristoxenischen Anzahl der enharmonischen Diesen er-
geben und ebenso auch die Verhältnisszahleu der Akustiker sind in Decimal-
zahlen umzuformen. Nur auf diese Weise läsnt sieh ersehen, wie die Aristoxe-
nischen Tetrachord-Stimmungen denen der Akustiker entsprechen und wie sie
differiren. Denn aus den gleichnamigen Tetrachord-Benennungen der beider-
seitigen Quellen lässt sich auf die thatsächliche Gleichheit der entsprechenden
Tetrachorde noch keineswegs ein Sehluss machen.
Wir haben schon oben bemerkt, dass Ptolemäus von Aristoxenus & igar
darin abweicht, dass er den Begriff der „gemischten" und der „ungemischten"
Scala anders fasst. Die beiderseitige Abweichung in der Nomenclatur der
einzelnen Scalen kennt auch Wallis p. 153: „Genus quod hic exhibetur,
e*t Aristoxeni Diatonum intensum (ouvtovgv), quod idem est cum Ptole-
maei Diatono diatonico ". Ueberhaupt ist der treffliche englische Gelehrte
auch in die Mischungen des Ptolemäus vollständig eingeweiht; wir können
auch hier sachlich wenig Neues beibringen. Dass er auch hier die von Ptole-
mäus angewandte Nomenclatur der Klänge richtig als thetische Onomasie inter-
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XIV. Die gemischten und ungemischten Tongesehlechter.
391
pretirt hat, genau wie ich und Oskar Paul es gethan, ist schon oben S. 380
von mir gesagt. Wie Sehade, dass nieht auch schon Friedrich Bellennann die
richtige thetische Onomasie im Sinne des alten Wallis gekannt hat Ich hatte
dann sicherlich für diesen Abschnitt wohl vieles vorgefunden, und mich man-
cher mühseligen Arbeit nicht zu unterziehen brauchen.
Wir geben nunmehr eine Zusammenstellung der gemischten und unge-
mischten Tetrachorde des Aristoxenus mit den jedesmal entsprechenden Scalen
des Ptolemäus und der früheren Akustiker, ohne ein Versuch wagen zu können
die von Aristoxenus eingehaltene Disposition des Abschnittes XIV wiederzu-
geben. Wie viel von dem, was Ptol. über den Gebrauch seiner Scalen angiebt,
auch schon bei Ar. vorkam, das wissen wir ohne Logarithmen-Rechnung nicht.
Auf S. 259. 260 sind die sechs ungemischten Tetrachord-Systeme, welche
Aristoxenus statuirt, zusammengestellt. Fünf von ihnen haben je zwei ver-
schiedene Intervallgrössen, eines (das Diatonon malakon) hat deren drei. Nimmt
man zu dem Tetrachorde noch den diazeuktischen Ganzton hinzu, dann werden
die Quarten-Systeme zu Quinten-Systemen, deren jedes im enharmonischen und
chromatischen Geschlechtc drei verschiedene Intervallgrössen, im Diatonon ma-
lakon deren vier, im Diatonon toniaion nur zwei enthält.
In jedem Tongeschlechte giebt es höchstens so viel unzusammengesetzte
Intervallgrössen wie in dem Quinten-Systeme. Dafür hat Aristoxenus XII.
Probl. 6 den Nachweis gegeben.
Ausser den sechs Quarten- resp. Quinten-Systemen, von denen ein jedes
nicht nur einem und demselben Tongeschlechte, sondern innerhalb dieses Ton
geschlechtes auch einer und derselben Chroa angehört, beruft sich Aristoxenus
auch noch auf sechs andere Quarten- resp. Quinten-Systeme, in deren jedem
die charakteristischen Unterschiede zweier verschiedener Tongeschlechter oder
zwei verschiedener Chroai desselben Tongeschlechtes vereint sind. Diese letzte-
ren sind Systeme gemischter Geschlechter oder gemischter Chroai.
In dem kurzen Exeerpte, welches Pseudö-Euklid aus dem die Mischung
erörternden Abschnitte der Aristoxenischen Harmonik gemacht hat, sind zwei
Hauptkategorien der Mischung unterschieden:
I. Es findet in der nämlichen Scala eine Mischung zwei verschiedener
Geschlechter statt: 1. Diatonou und Chroma, 2. Diatonon und Enharmonion,
3. Chroma und.Euharmonium.
II. Es findet in der Scala eine Mischung von allen drei Geschlechtern statt,
des Diatonon, des Chroma, des Enharmonion. Unterarten dieser zweiten Ka-
tegorie hat Pseudo- Euklid nicht angemerkt. Es fehlt nun offenbar in dem Ex-
cerpte des Pseudo-Euklid eine dritte Kategorie der Mischungen, nämlich
III. Es findet in der nämlichen Scala eine Mischung verschiedener Chroai
des nämlichen Geschlechtes statt.
Von den sechs gemischten Quarten- resp. Quinten-Systemen, auf welche
sich Aristoxenus beruft, gehören Xr. 1. 2. 4. 5 der Kategorie I, No. 3 und 6
der Kategorie III an. Es sind folgende:
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392
Aristoxenus zweite Harmonik.
1. Chroma hemiolion und Clironia toniaion.
-i —
1 1 2, 1 J, J s/ Ii ...
2. Chroma malakou und Chroma toniaion:
IrJ liJ U U J lij
„Denn auch solche Tetracliordcüithciliuigen zeigen sich emmelisch4i Ari-
*toxenus S. 261, § 57.
3. Enharmonion und Chroma toniaion:
Xr.
lij liJ lij IvJ Ii/
4. Chroma hemiolion und Diatonon toniaion:
vi'J lij Ii,) (rj (ij
5. Chroma malakou und Diatoni >n toniaion:
W Ii,1 lij IvJ UJ
6. Euhannonion und Diatonon toniaion:
f*7
i ' h ■ h J
ilj Ii,.'
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XIV. Die gemischten und ungemischten Tongeschlechter. 393
Die Mischungen Xo. 1. 2. 4. 5 erwähnt Aristoxenus selber in § 57. 58 der
(ersten und) zweiten Harmonik, die Mischungen Xo. 3 und 6 nennt das Pseudo-
Euklidißche Exerpt. Ausserdem bezieht sich Aristoxenus auch im Abschn. XII
Probl. 27 und 28 auf die Mischungen aus den verschiedenen Chroai des Chro-
mas; ebendaselbst ist auch der Mischung Xo. 6 gedacht.
In jeder dieser sechs Scalen ist die zweite Stufe (die Parhypatc) ein der
modernen Musik fremder Klang. Von den auch uns geläufigen Klängen ent-
halten die drei ersten Scalen bloss die Tonstufen e fis a h, die drei letzten
Scalen die Tonstufen e g a h
Die sechs ungemischten und die sechs gemischten Scalen des Aristoxenus
bilden das gesammte Material, welches uns aus den Aristoxenischen Werken
über die fju;et; der Tongeschlechter erhalten ist. Zur Vergleichung muss her-
beigezogen werden, was bei Ptolemäus über das enharmonische, chromatische
und diatonische Tetraehord 1. des Archytas, 2. des Eratostlu-nes, 3. des Di-
dymus überliefert ist, und was Ptolemäus über die von ihm selber constituir-
ten Tetrachorde der verschiedenen Tongesehlechter nach ihren Chroai berichtet.
ARCHYTAS:
3
: 4
IG : 15
Enharmoniou:
v
a
g
i
u
- —
- !* : 8
-->
Chromatikon:
e
» e
m
fis
H
n
•
32 : 27
1
Diatoiion:
<■
1? e
f
I
a
ERATOSTHENES:
Enharmoniou:
e
n
f
tt
a
10 : !♦
Chromatikon:
e
tt
fis
s
a
Diatonon :
e
32 : 27
m f
f
u
■
DIDYMUS:
.- —
ib : 10
Enharmoniou:
e
H •
u
f
i
a
Chromatikon:
(
e
10 : 9
H f
äi
fis
S
a
Diatouon:
e
32 : 27
tt (
V
g
s
a
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394
4
Aristoxenus zweite Harmonik.
PTOLEMAEUS:
16 : 15 -
Enharmonion : e f$ e if * f
^_ — ~ 10 : 9 4
Chro. malakon: e |j e |J fis J
8 : 7 *
syntonon: e e f} fis J
7 : 6 •
Diat malakon: e $ e \f> fis f a
32 : 27 — —
+
toniaion: e |f e f g f a
' 32 : 27 ~ >
ditoniaion: e |}} f | g | a
' 32 : 27
syntonon: e }|j f § g \p a
5 : 6 *
homaton: e {f f }J g ^0 a
Wie es sich mit den von Archytas, Eratosthenee, Didymus aufgestellten
Tetrachordeintheilungen bezüglich ihrer praktischen Verwendung verhielt, dar-
über ist bei Ptolemäus nichts überliefert. Bezüglich der von ihm selber auf-
gestellten erläutert Ptolcmäus die Verwendung mit einer in dem Eingehen auf
Specialitäten für das Alterthum fast beispiellosen Gewissenhaftigkeit. Für
jede der sieben Octavengattungen stellt er zwei Tabellen (xaviSve;) auf, die
eine dizb vrjrr;;, die andere dizb [xIct^. Au dem rechten Bande eines jeden
Kanon stehen die acht Klange der Octave, angedeutet durch die acht ersten
Buchstaben im Alphabet: a bedeutet je nach der Ueberschrift dr.b vr/nr,; oder
drzb utar^ entweder die Ncte oder die Mcse — natürlich nach der XIII, 3
auseinandergesetzten thetischen Onomasie. Die 14 xavive« sind:
Kav. a. Mi;oXu$iau dr.b vf,rrj; Kav. yj'. Mt|o).'j?>iO'j drö jxeTr;;
Kav. A'jOioj irJj vf(TT(; Kav. Aub'wj dzb fi£<n;;
Kav. y'. ^ojyIou dr.b v^-Yj; Kav. i. «Dpufiou dr.b }*£air);
Kav. h'. Aajplou dnb vTjTT^; Kav. ta'. Aiupiov» dnb fjiorj;
Kav. e'. 'YsoXy&fo'j 4-6 vf^r/jc Kav. i.^ . TttoX joIou dr.b hegt,;
Kav. ;'. 'X-'jypjflrsj dr.b vfjTTj; Kav. if'.'Tr.Qypvf'wj dr.b plar^
Kav. 'T^oimpioy drc6 vtjrr;; Kav. 'VrcoSoipfou dzö jjtecr,;.
In jedem Kanon grenzt Ptolemäus fünf oeXioia oder Columnen ab, für
die S. 388 angegebeneu fünf Mischungen. Columnen für das Enharmion, für das
Ghroma malakon und das ungemischte regelmässige Diatonon sind durchgängig
ausgelassen, wonach wir anzunehmen haben, dass diese zu Ptolemäus Zeit in der
Musik ungebräuchlich oder doch weniger gebräuchlich waren.
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XIV. Die gemischten und ungemischten Tongeschlechter. 395
Ii. IT. f |; f. 8
» ?• !• I; 1?. ». I
8. ii 1* i; Hi> 8, 1
lf> ?> 1> §5 {$» I» V*
Für die acht Klänge der Octaven sind in jedem Sclidion betreffende
Zahlen angesetzt: für den höchsten die Zahl 60, für den tiefsten die Zahl 120;
für die übrigen Klänge ist von ihm die jedesmalige Zahl nach den in der
Generalübersicht S. 391 angegebeneu Quotienten ausgerechnet, wobei etwa
sich ergebenden Bruclizahlen nach dem von den Babyloniern entlehnten Sexa-
gesimal-Systoine bestimmt werden (heutzutage wird dasselbe in den Zeitbestim-
mungen der Stunde 60 Minuten, 60 Secunden u. s. w. angewandt. S. Hanke
zur Geschichte der Mathematik 1874). Wenn nun Ptolemäus die Anzahl der
Sechszigstel angiebt, so begnügt er sich dabei mit der ungefähren Zahl, ähn-
lich wie es von uns bei deu Deeimalbrüchcn geschieht.
-
So ist tue Beschaffenheit der Tabellen, auf welche Ptolemäus bei seinen
jezt kürzlich zu besprechenden Erörterungen fortwährend recurrirt. Diese Er-
örterungen macht Ptolemäus zweimal, nämlich 1,16 und 2,16. In der ersten Stelle
geht er von den verschiedeneu Kategorien der diatonischen (chromatischen)
Stiinmungsarteu aus (vgl. oben S. 38$), uud erörtert dann, in welcher der bei
den Lyroden und Kitharoden üblichen Melopoeiearten unter Anführung der
diesen eigenen Termini techniei eine jede Stimmungsart vorkommt. In der
zweiten Stelle nimmt Ptolemäus die verschiedenen bei den Lyroden und den
Kitharoden üblichen Musikgattungen zum Ausgangspunkte und führt dann aus,
in welcher Stimmungsart eine jede lyrodische und kitharodische Melpoeiegattung
ausgeführt wird.
Der sachliche Inhalt beider Stellen 1,16 und 2,16 ist selbstverständlich
derselbe: das Xämliche ist in anderer Form noch zum zweiten Mal gesagt.
Doch sind wir dem Ptolemäus für die Wiederholung zum Danke verpflichtet,
denn gerade hier ist die handschriftliche Ueberlicferung keine ganz genaue und
die falschen Lesarten des Textes können, wenn auch so noch einige Dunkel-
heiten bleiben, durch den zweimaligen Bericht rectificirt werden. Dies ist ge-
schehen in meiner griechischen Harmonik 1867, S. 439. 440. Der kritische
Standpunkt des Herrn Johannes Papastamatopulos aus Aetolien, (vgl. oben
S. 3811, welcher dies nicht gelten lassen will, ist mir unfassbar.
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390
Aristoxenus zweite Harmonik.
Unter den Lyroilen, von welchen Ptolemäus redet, sind die irgend eine
Melodie auf einem Saiteninstrumente accompagirenden Iustnunentalisteu zu
verstellen, unter den Kitharoden die sieh selber mit der Kithara begleitenden
Virtuosen des Sologesanges.
In der Musik der Lyroden und der Kitharoden im Ptolemäischen Zeit-
alter bildet das sogenannte Diatonon toniaion die allerhäufigstc Seala. Die
Bezeichnung toniaion hat einen anderen Sinn als bei Aristoxenus (vgl. S. 390):
sie bedeutet „einen Gauzton 9 s enthaltend'* im Gegensatz zum Ditoniaion
(„mit zwei Ganztönen
Die Lybodex haben nach Ptulemäus zwei Arten der Melopoeie; die eine
begreift die sogenannten Sterea d.i. die harten Comp« »sitionsarten, die andere
die sogenannten Malaka d.i. die weichen. Für die Sterea wird da« Diatonon
toniaion irgend einer Octavengattung, für die Malaka die Mischung des Dia-
tonon toniaion mit dem Chroma malakon (so ist die Lesart der Handscliriften
nach griech. Harm. 1867, S. 439. zu emeudireni gewählt.
Die Melopoeie- Arten der Kitharoden sind nach Ptolemäus folgende:
1. die sog. Tritai in dem Diatonon toniaion der Hypodorischen Octaven-
gattung,
2. die sog. Hypertropa im Phrygischen Diatonon toniaion,
3. die sog. Parhypatai in der Mischung de* malakon Diatouon der
Dorischen Octavengattung,
4. die sog. Tropoi in der Mischung des Chroma syntonon der Ilypo-
dorischen Octavengattung,
5. die sog. jlastiaioliaia in der Mischung des Diatonon toniaion der
Hypophrygischen Octavengattung.
Aus dein Vergleiche der Aristoxenischen Scalen mit den von den übrigen
Gewährsmännern aufgestellten wird, denke ich, sich die Berechtigung der Ansicht
des alten Meibom gegenüber der Bellermannsehen ergeben, wenn jeuer zur ersten
Aristoxenischen Harmonik XII, Probl. 3*) gelegentlich der Worte „w; izt
w>>.i" die Bemerkimg macht: „An hoe non arguit, fre4uentissimum fuisse Ari-
stoxeui tempore usum tum cnannonii «juum chromaticonmi colorum? Certe
solius theoriae et doctrinae gratia hoc illum non dicere loca pln-
rima ostendere possint.*' Es ist beinahe so. als ob hier Bellermann, welcher
die Chroai für eitel theoretische Speculation des Aristoxenus, die aller prak-
tischen Grundlage entbehre, erklärt, der früher lebende und Meibom der
spätere, in diesen Dingen gewissenhaftere Forscher gewesen sei. Wir müssen
*) Für die Interpretation dieses Problems habe ich es oben S. 267 bei
der Marquard'schen Erläuterung bewenden lassen; doch sehe ich jetzt wohl
ein, dass dieselbe ungenügend ist. Vielmehr muss ich jenes Problem des
XII. Abschn. der ersten Harmonik auf einen analogen Satz bezieben, wie
Probl. 27. 28 im XII. Abschn. der zweiten Harmonik. Doch würde e« hier
nicht am Orte sein, das oben Versäumte nachzutragen.
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XIV. Die gemischten und ungemischten Tongeschlechter. 397
hier ganz und gar auf die Seite Meiboms treten, wenn uns auch für viele
Punkte nicht minder ab diesem ersten Begründer des wissenschaftlichen Stu-
diums antiker Musik die Erklärung fehlt. Der Vergleich des Aristoxenus mit
Ptolemäus u. s. w. wird zeigen, dass die praktische Anwendung der Chroai
immer mehr zunimmt.
Um nun aber die Aristoxenischen Angaben mit denen des Arehytas,
Ptolemäus u. s. w. vergleichen zu können, müssen wir die von diesen letzteren
angegebenen Zahlen mit den Aristoxenischen auf gleiche Benennung bringen.
Da^s dies mit Hülfe der Logarithmen-Rechnung auszuführen ist, weiss auch
Friedrich Bellermann (vgl. obenl. Die Formel ist z. B. für die Zahl Jf
24 24
K 46 V» , log. 1.02222
log. 45 = log. 1,02222 - >—
Die jetzt folgende übersichtliche Vergleichung der Aristoxenisehen Scalen
mit denen der Akustiker, in welcher R = *fr , haben wir nach folgenden Ka-
tegorien anzuordnen: 4
I. Scalen, in welchen alle Kliinge unserer modernen Diatonik enthal-
ten sind.
II. Scalen, in welchen der diatonische Klang f fehlt.
III. Scalen, in welchen der diatonische Klang g ausgelassen ist.
IV. Die chromatischen Scalen der Alten, d. i. solche, in denen der diato-
nische Klang g oder gis ausgelassen ist.
Iu den Scalen der zweiten, dritten und vierten Kategorie ist jedesmal da,
wo die Auslassung eines Klanges der diatonischen Tonleiter stattfindet, ein
..leiter fremder*' Klang, welcher der modernen Musik unbekannt ist, einge-
schaltet.
Wie schon früher bemerkt, weisen die griechischen Scalen so vieles
Fremdartige auf, für welches es in der moderneu Musik durchaus keine Analogie
giebt, enthalten so viele Klänge, die unser Ohr als musikalische Klänge nie-
mals gehört hat und von deren Wirkung wir uns keine Vorstellung machen
können, dass wir unsere Werthschätzung des griechischen Melos sehr herab-
zustimmen geneigt sein möchten. Es ist dies genau so wie es A. Ziegler im Ein-
gänge des gegen mich gerichteten Aufsatzes sagt. Ich sage, dass man in dieser
Frage weiter sein würde, wenn man auf Grundlage der Wallis'schen Auffas-
sung von der thetischen Onomasie ausgehend energisch weiter gearbeitet hätte.
Ein günstiges Geschick hat es gewollt, dass wir über den historischen
Ausgangspunkt jener uns so fremden Klänge der griechischen Musik durch
die Zeugnisse des Aristoxenus unterrichtet sein sollten. Er besteht darin, dass
sich die archaische Musikj)eriode der Hellenen bestimmter Scalen-Klänge für
die Melodie enthielt, während dieselben der gleichzeitigen Instru-
mentalbegleitung nicht fehlten. Es hat dies Aehnlichkeit mit der That-
sache, dass sich z. B. die nationale Musik Schottlands (die gaelischen Volks-
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398
Aristoxeuus zweite Harmonik.
lieder i der Quarte oder der Septime enthält, oder dass den Moll-Gesäugen des
russischen Landvolkes (hier freilich auch in den begleitenden Stimmen) der
Leitton fehlt.
Zunächst sind zwei Thatsachen der archaischen Musik-Periode (Terpander
und Olympos) hierher zu ziehen. Sie bestehen darin, dass in der Musik der
Kithara (Terpanders) der das Hemitonion des Tetrachordes nach oben begren-
zende Klang ausgelassen wurde; in der Aulos-Musik (Olympos) der auf das
Hemitonion folgende Klang. Die Transpositions-Scala ohne Vorzeichnung vor-
ausgesetzt, wurde also im Gesänge der Kitharoden der Ton f oder c ohne Ver-
wendung gelassen:
e [f] g a h [c] d e
in den Melodien der Auleten und Auloden der Ton g oder d:
e f [g] a h c [d] e.
Aller Wahrscheinlichkeit nach sind es die gemischten Tiscligespräche des
Aristoxeuus (vgl. unten), aus welchen Flntarch in seinem Dialoge über die
Musik 18—21 jene so unvergleichlich werthvollen Nachrichten entnommen hat.
I.
Vollständiges (ungemischtes) Diatotion,
Aristoxcnus
„Diatonon touiaion"
Pythag. Eratosth. „Diaton."
Ptol. „Diaton. ditoniaion"
Ptol. „Diatonon syntonon";
ähnlich Didym. „Diatonon'.-
h Ru
a R»°
g R°
f R7
e Ro
P 14 03P10
R» P00»00
R 1 804S50
RO
= 3
= 8
T> I« 01910
f
R ^«60800
J
= 1
Obwohl die Musikreste der Kaiserzeit (zufolge der bis jetzt geltenden Ent-
zifferung) als Melopoeien der ungemischten diatonischen Scala gelten, so ist
doch bei Ptolemäus von solchen Melopoeien keine Rede, er giebt nur Beispiele
des gemischten Diatonon. Tetrachorde des reinen d. h. auch bei uns gebräuch-
lichen Diatonon sind bei Ptolemäus stets mit einem heterogenen Tetrachorde
zu einer Mischung vereint. Und zwar ist es eine doppelte Form des diatonischen
Tetrachordes, welche nach Ptolemäus zu derartiger Mischung gebraucht wird.
1. ein Diatonon, in welchem es zwei verschiedene Ganztöne, den grossen und
und den Ideinen Ganzton giebt, ein Unterschied, der sich zuerst bei Didymus
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XIV. Die gemischten und ungemischten Tongeschlechter. 399
findet, freilich so, dass der kleine vor dem grossen steht. 2. ein Diatonon, in
welchem der eine Ganzton genau dieselbe Grösse wie der andere hat. Die Auf-
stellung dieses Diatonons wird dem alten Pythagoras zugeschrieben; bei Ptolem.
heisst dasselbe „üiatonon ditoniaion", d. i. das aus zwei (grossen) Ganztönen
8 : 9 gebildete Diatonon. Das andere, in welchem grosser und kleiner Ganz-
tou (6 : 9 und 9 : 10) abwechseln, wird von Ptolemäus „Diatonon syntonon"
genannt, d. i. höheres Diatonon : die grosse Terze g ist höher als der gleichna-
mige Klang des Pythagoreischen.
Das Diatonon syntonon stimmt genau mit der natürlichen diatonischen
bcala unserer Streichinstrumente überein ; es steht zu vermuthen, dass das nur
gleich grosse Ganztonintervalle enthaltende Diatonon des Ptolemäus mit dem
des Aristoxenus identisch Ist: es ist das Diatonon der gleich schwebenden
Temperatur (oben S. 252).
Das Diatonon des Pythagoras kommt, wie Ptolemäus angiebt, in den
die Benennung „Jastiaioliaia" führenden Melopoeien der Kitharoden vor, in
welchen es mit dem heterogenen Tetrachorde des sogenannten Diatonon to-
niaion gemischt ist und zwar für die Hypophrygische oder Jastische Octaven-
gattung.
gahedeeg
V . , ) V 1 /\ . v / • . ✓ . '
8 : 9 8 : 9 243 : 256 8 : 9 8 : 9 27 : 28 7:8
Auch für die Mischung des Diatonon syntonon mit dem nämlichen Dia-
tonon toniaion stellt Ptolemäus für jede seiner Octavengattungen ein Selidion
auf, aber der überlieferte Text läset nicht mehr erkennen, in welcher Art von
Melopoeie diese Mischung im Gebrauche ist Resigniren wir darauf!
II.
Auslassung des diatonischen Klanges g»
a. Enharmonion b. Diatonon malakon
iles Aristox. des Archytas 1 des Ptolemäus
•
des Aristox.
des Ptolemäus
i
h Ru h R»V3'10
a R'° a Ry«°»oo
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a RVM900
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e* R1,09""4
c R°
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400
Aristoxenus zweite Harmonik.
a. Enhartnonion,
Obwohl Aristoxenus das Enharmonion an die erste Stelle der drei Klang-
geschleehter zu setzen pflegt, so hat er doch kein Hehl, dass es zu seiner Zeit
schon fast völlig erloschen ist. Er sagt darüber iu der ersten Harmonik § 52:
„Dass es nämlich eine Compositionsweise l Melopoeie) giebt, welcher eine mit der
„Mese einen Ditonos bildende Lichauos unerlasslich ist, ist den meisten von denen,
„welche sich heut zu Tage mit Musik beschäftigen, nicht bekannt, doch dürfte es
,.ihncn bekannt werden, wenn man sie darauf hinführte; denjenigen ist es aber
„hinlänglich klar, welche mit den alten Compositionsweisen der ersten und
„zweiten Musikperiode vertraut sind. Denn die bloss an die heutige Compo-
sitionsweise gewohnten schlicssen natürlich die mit der Mese einen Ditonos
„bildende Lichanos aus (es sind dies die ineisten unserer modernen Musiker)
„und wenden statt deren stets höhere Lichanoi an. Der Grund davon ist, dass
„sie eine Vorliebe für das Weichliehe [Stissliche] haben; verweilen sie doch die
„längste Zeit im Chroma, und wenn sie einmal in die Harmonik hineingerät hen,
„so nahern sie dieselbe dem Chroma an, wohin sie nun einmal durch ihren
„Charakter gezogen werden."
Genauer handelt darüber die cla-ssische Stelle in den gemischten Tisch-
gesprächen Plut. de mus. 11 uud 37, das enharmonische Klanggeschlecht sei
dadurch aufgekommen, dass der alte Aulet Olympus den diatonischen Klang g
*
ausgelassen habe, der eigenartige leiterfremde Ton des Enharmonions scheine
aber dem Olympus noch unbekannt gewesen zu sein. Man vergleiche zunäclist
die angegebenen Partieen der gemischten Tischgespräche.
In der gesammten Musiksehriftstellcrei des Alterthums finden wir nicht
eine einzige so zusammenhängende musikgeschichtliche Darstellung wie in den
Aristoxenischen Berichten über das erste Aufkommen, die spätere historische Ge-
staltung und das Erlöschen unseres Klanggeschlechtes. Der Ursprung hat in der
Besorgtheit um das Ethos der Musik, welches die Hauptvertreter der archai-
schen Periode ausgezeichnet habe, seinen Grund. Es ist der „schöne Typus*'
der Musik, der edle Styl, welcher es hervorgerufen hat. Im weiteren Ver-
laufe der Entwickelung kommt zwar noch der Viertelton hinzu, von welchem uns
einzusehen unmöglich ist, wie er mit der ursprünglichen Vereinfachung der
Scala in einem Zusammenhange steht, ja, den wir vom Standpunkt« der
Beschaflenheit unserer modernen Musik aus absolut nicht begreifen können.
Aber Aristoxenus muss doch wohl auch dies im Laufe der historischen Ent-
wickelung hinzugekommene Moment nicht für Ueberschreitung des schönen
und edlen Musikstyles halten, sonst hätte er das Erlöschen in der praktischen
Musik seiner Zeit nicht so sehr beklagt, wie er es erste Harmonik § 52 und
in dem Fragmente bei Plutarch gethan hat.
Ueber die alte Scala des Olympus Folgendes:
Das Tetrachord hat zwar, wie sein Name besagt, gewöhnlich vier Klänge
(Aristox. erste Harm. § 50). Aber es kommt auch vor, dass es nur drei Klänge
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XIV. Die gemischten und ungemischten Tongeschlechter.
401
enthält. Dies letztere ist die Grundlage derjenigen Melos-Art, welche Aristox.
zweite Harm. § 45 neben den drei ungemischten und der gemischten als fünfte
aniUhrt.
1. Aidtovov e f
2. .XpcufAaTtxov e f
3. 'Evapjxovtov e e f
4. Mtxtov z. B. e e
5. Kotvov e f
fis
a
a
a
a
a
Bellermann im Anonymus p. 63 bemüht sich an einem Beispiele zu zeigen,
wie sich aus der alten Harmonik d. i. dem Koinon des Olympus das spätere
Enharmoiiion herausgebildet hat, z. B. aus einer die Olympische Verein-
fachung der Moll-Scala darstellenden (die Klänge g und d unbenutzt lassenden)
Periode
-«=-=)
sei zuerst folgende geworden
dann mit Einschaltung der leiterfremden Klänge n und e
3*
IE!-.
^3
_L1
Bellermann fügt hinzu: „Atque haec sane erat depravatio veteris sim-
plicis musices, cuius simile aliquid non raro hodie audire a cantoribus et
cantricibus cogimur, quum vicinos melodiae sonos interiacentibus voce perme-
andis coniungunt. Itaque quae diatonica tetrachorda hos habebant sonos: para-
mesen, triten. paraneten, neten, omissa ab Olympo paranete, his tantum ute-
bantur: paramese, tritc, nete. Deinde vero interiectus intra paramesen et triten
sonus ipse trites nomen accepit, unde quae trite et diatonici et Olympiaui ge-
ueris fuerat, paranete vocabatur, ut recentioris enarmonii chordae iisdem qui-
bus diatonii signarentur: paramese, trite, paranete, mese.
Dem entgegne ich:
Eine depravatio veteris simplices musices, welche der Manier unserer
Sänger und Sängerinnen zu vergleichen sei, wenn sie von einem Tone zum
anderen durchschleifen, durfte Bellennann diese besondere Gestaltung des
Ariitoienua, Melik u. Rhythmik. 26
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402 Aristoxenus zweite Harmonik.
•
Enharmonions auf Grundlage des alten Olympischeu nicht nennen, wenn er
anders den Bericht des Aristoxenus beachten wollte. Denn schon zur Zeit des
Aristoxenus ist dies Enharmonion, wenn auch noch nicht vollständig erloschen,
doch schon sehr im Erlöschen begriffen. Man kann also nicht sagen, dass es
eine Neuerung späterer Zeit sei Und Aristoxenus bedauert das Verschwinden
dieser Melos-Gattung: er möchte gern, wenn er könnte, sie zurückhalten. Er
wird also nicht das Gefühl gehabt haben, dass es mit dem „Typus des Schönen1'
in Widerspruch stehe. Gestehen wir, dass uns Wesen und Wirkung dieser
Enharmonik etwas durchaus Unbekanntes ist.
Wer es zuerst gewesen, der in dem Enharmonion den Halbton e f durch
das eingeschaltete e getheilt hat, ist uns nicht überliefert. Aristox. bei Plut.
de mus. 11: „Das enharmonische Pyknön neben der Mese, dessen man sich
jetzt bedient, scheint nicht von Olympus herzurühren. Es läset sich das leichter
einsehen, wenn man einen Auleten nach archaischer Weise vortragen hört,
denn ein solcher verlangt, dass das auf die Mese folgende Halbtonintervall a b
ein unzusammengesetztes sei (kein zusammengesetztes a a b). Solcher Art
seien nun die Anfänge der enharmonischen Compositionen. Später aber sei
das Halbtonintervall zertheilt, sowohl in den lydischen wie in den phrygischen
Compositionen.'4
v [d] cef [g] a h Ii c
[d] cef g a h h c [d]
Vielleicht aber ist in der Stelle Plutarch de mus. 10 der Erfinder des
Enharmonion überliefert, (sie ist wie das Vorausgehende aus der tö>v iv \xoj-
oixij ojvo^imyt, des Heraklides entlehnt), wenn nämlich die Stelle so zu lesen
ist, wie ich es in der Ausgabe der Plutarchischen Schrift vorgeschlagen habe.
Sie lautet: „Kai I1oX6}avt;<5to; o auXwöixoj; irArpes. h Ii T«p opdlui vofx«)
x-g <dvap|AONl<p) (AcXoitotla xiypTjxat, xaftanep ol dpuovixol «p«iv ovx £yotxev o äxst-
jiu»; eiTretv, 06 ^ap clpiqxaaiv ol op/atol Tt zepl Toy-co-j". „Polymnastus hat aulo-
dische Nomoi componirt In dem Orthios hat er die (enharmonische) Melopoeu*
angewandt, wie die Harmoniker sagen. Genau aber können wir es nicht be-
haupten, denn die alten Historiker erwähnen nichts davon". Dass die Stelle
aus Heraklides Ponticus entlehnt ist, kann nicht zweifelhaft sein. Heraklides
selber citirt für seine Angaben über die archaische Musik die Schrift des
alten Glaukus aus Rhegium „repl twv dpyattuv -oitjtäv te xat fiojstxfiiv*', aus der
er seine Angaben über Terpander, Klonas, Archilochus und was vorher über
Polymnastus gesagt ist, entnommen hat. Dieselbe Schrift des Glaukus Rhe-
ginus muss es sein, welche Heraklides bei der über Polymnast gemachten An-
gabe im Auge hat: vj y«? elp^xctsiv ol dpyoiol xt 7Tepl tctjto,j<\ Die von Hera-
klides gewöhnlich herbeigezogene Quelle sagt Nichts darüber (sie ist freilich
von sehr vorzüglicher Autorität!); nur die Harmoniker sprechen davon, dass
Polymnastus einen Nomos orthios in ... . Melopoeie componirt habe. Was
die „äpfwmxol" geschrieben haben (Lasos von Hermione, Epigonos aus Am-
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XIV. Die gemischten und ungemischten Tongeschlechter. 403
hrakia, Eratokles, Pythagoras von Zakynthos, Agenor aus Milet), ist uns nicht
ganz unbekannt, denn Aristoxenus, der jüngere Zeitgenosse des Heraklides,
recurrirt auf sie ja häufig genug. „Sie haben nur das Enharmonische Klang- .
geschlecht behandelt, das chromatische und diatonische haben sie unberück-
sichtigt gelassen". Wenn sie, wie wir hier aus Heraklides lernen, von Polym-
nastus berichten, dass er den Nomos orthios in einer Melopoeic componirt
habe, deren nähere Bezeichnung in der handschriftlichen Ueberlieferung aus-
gelassen ist, so kann dies nur die enharmonische Melopoeie gewesen sein, denn
die Enharmonik war die einzige Musik, von welcher die dpjiovixol geredet haben.
Meine Ausfüllung der Lücke durch (ivapjxovltp) (uXoroiI? wird wohl das Rich-
tige nicht verfehlt haben.
In demselben Abschnitte des Plutarchischen Dialoges über Musik heisst
es ferner von Polymnastus: „Zur Zeit des Polymnastus und des Sakadas gab
es drei Tonarten, die Dorische, Phrygische und Lydische". Diese Notiz tritt
von selber mit der vorher angeführten Stelle der gemischten Tischreden des
Aristoxenus in Zusammenhang: Solcher Art sei nun die Grundlage der en-
harmonischen Melopoeie (nämlich das Genos koinon in den Opferspende- Melo-
dieen des alten Olympus). Später aber sei das Halbton-Intervall (durch zwei
Viertel-Töne) zertheilt, sowohl in den Lydischen wie in den Phrygischen Melo-
poeien. Dass Polymnastus der erste gewesen, welcher den Halbton in zwei
Vierteltöne getrennt bat, dürfen wir aus der Mittheilung der alten Harmouiker
um so eher zu schliessen berechtigt sein, weil die Lydische und Phrygische
Octavengattungen, für welche Aristoxenus die Zertheilung des Halbtones zuerst
vorgenommen sein lässt, nach dem obigen unverdächtigen Zeugnisse Plutarch
de mus. 1 1 bereits zur Zeit des Polymnastus in der Melopoeie zur Anwendung
kamen.
Auch darauf können wir uns für Polymnastus als den Erfinder des en-
harmonischen Klanggeschlechtes berufen, dass man auf Polymnastus auch die
Einführung der Intervalle von drei und fünf enharmonischen Diesen zurück-
führte, jener eigenartigen Intervalle, welche das Wesen des Diatonon malakon
ausmachen. Dass aber dies Diatonon malakon auf dieselbe Grundlage wie das
Enharmonion ausgeht, darüber sogleich das Nähere.
b. Diatonon malakon»
Die Aristox. Stelle bei Plut. über das Enharmonion erwähnt den Spondeios-
mo», die Intervallgrösse von drei enharmonischen Diesen, welche das eigen-
artige Intervall des sogenannten Diatonon malakon bildet. Vermuthlich ist es
dieses, welches sich als im Aristoxenischen Zeitalter das Enharmonion bereits
ausser Gebrauch gekommen war bei den Musikern an dessen Stelle eingedrängt
liatte. Jene Widersacher des Enharmouions machten, wie Aristoxenus sagt,
gegen dasselbe die theoretische Thatsache geltend, dass die enharmonische
Diesis kein Intervall ist, welches sich durch eine Symphonie bestimmen lässt
(vgl. S. 292— 97). ,.Sie wissen aber nicht, dass aus dem nämlichen Grunde auch
26*
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404
Aristoxenus zweite Harmonik.
die dritte, fünfte und siebente Intervallgrösse (von 3, 5, 7 enharmonischen
Diesen) ausgeschlossen, und dass überhaupt jedes ungerade Intervall als un-
brauchbar verworfen werden müsste, da keines von ihnen durch Symphonie
bestimmt werden kann . . . Am meisten verwenden jene Widersacher des En-
harmonions gerade solche Tetrachordstimmungen, in welchen die meisten Inter-
valle entweder ungerade oder irrationale sind."
Augenscheinlich gehört das Diatonon malakon zu den Klangge-
schlechtern, welche Aristoxenus hier im Auge hatte. Dasselbe beruht auf dem-
selben Princip wie das Enharm. Auch im Diat. mal. wird von den diatonischen
Klängen der Ton g ausgelassen. Auch hier wird gleichsam zum Ersatz des-
selben ein leiterfremder Klang eingeschaltet, doch nicht ein iu der Mitte des
Halbtonintervall es e f angenommener Schallton e; vielmehr bleibt der Halbton
wie noch zu Olympus Zeiten ungetheilt, dagegen wird zwischen f und a der
Klang fis eingeschaltet, welcher mit f ein Intervall von drei enharmonischen
Diesen, mit a ein Intervall von fünf enharmonischen Diesen bildet. Es sind
die beiden ungeraden Intervalle, welche von Aristoxenus in der betreffenden
Stelle ausdrücklich unter denjenigen genannt werden, welche den Gegnern des
Enharmonions so sehr benagten. Aristides p. 28 und ßacchius p. 1 1 belehren
uns, dass das Intervall von drei Diesen beim Abwärtsschreiten „Eklysis", beim
Aufwärtsschreiten „Spondeiasmos", das Intervall von fünf enharmonischen
Diesen „Ekbole" genannt worden sei. Bacchius schreibt diese Intervalle der
„Harmonia" zu. Dies ist, wenn es nicht auf einem Missverständnisse der
Quelle beruht, räthselhaft genug: war es doch das Diatonon malakon, aber
nicht das Enharmonion, dem der Spondeiasmos und die Ekbole angehörten.
Aber so viel ist klar, dass beide Klangarten auf demselben zuerst von Olym-
pus aufgebrachten Principe des Tivo; xotV>v (dem Auslassen des auf den Halb-
ton folgenden Ganztones) beruhten. Und so darf man beide Klanggeschlechter
in ein und dieselbe Kategorie setzen. Dies etwa dürfte jener auffallenden Notiz
des Bacchius, dass die Intervalle von 3 und 5 Diesen der „Harmonie*" ange-
hörten, als richtige Thatsache zu Grunde liegen.
Während, nicht gesichert ist, wer im Enharmonion zuerst den Viertelton
eingeschaltet hat, haben wir über den Erfinder des Diat. malakon eine ganz
sichere Notiz. Denn bei Plut. de mus. 29 in demselben Abschnitte, welcher von
den Neuerungen des Terpander, Archilochus, Polymnastus, Olympos, Laso», Me ■
lanippides, Philoxenos, Timotheus sehr dankenswerthe Notizen bringt, lesen
wir: „rio/.'jjxvaaTü) ofc t4v ft' v>t:oX,j£iov vjv 'hoii.s^fuvov tovov dvattdlast xai Ixau-
atv vtal ix$u\ifi mtä uei^tu T.trMr^Ahn tpaolv oitov." „Auf den Polym-
nastus führen sie den Tonos zurück, welcher jetzt Hypolydisch genannt wird,
ferner die Eklysis und Ekbole (die Intervalle von 3 und 5 Diesen), und sagen,
dass er ... . viel grösser gemacht habe." Polymnastus war, wie wir aus der-
selben Plutarchischen Schrift c. 9—10 erfahren, ein Aulet und Aulode aus Ko-
lophon, wie der Name besagt zum Dörfer naturalisirt , zugleich mit Thaletas,
Xenodamos, Xenokritos, Sakadas einer der Begründer der zweiten musischen
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XIV. Die gemischten und ungemischten Tongeschlechter. 405
Katastasis zu Sparta, ein Componist aulodischer Nomoi, nach den Harmoni-
ken) auch eines Nomos Orthios, dessen Compositionen zu Athen im Aristopha-
nischen Zeitalter noch eben so wenig vergessen waren wie die des alten
Olympus.
In jener Stelle bei Plut. de mus. 29 ist hinter IxfalAp uothwendig eine
Lücke in der handschriftlichen Ucberlieferung vorhanden. Denn wie kann von
jenen dem Diatonon malakon eigentümlichen Intervallen, welche nur 3 und 5
kleinste Diesen enthalten, gesagt werden, Polymnastos habe sie viel grösser
gemacht? Auch nur um eine einzige kleinste Diesis vergrössert, wäre ja
die Eklysis zum Ganztone, die Ekbole zum Trihemitonion geworden! Was aus-
gefallen ist, mag etwa die „Anzahl der Tonoi" gewesen sein. Denn dass es
Polymnastus mit der Aufstellung der Tonoi zu thun hatte, zeigt der Anfang
der Stelle, wonach Polymnastus den zuerst so genannten Tonos Hypodorios,
welcher später Hypolydios genannt worden sei, eingeführt haben soll.
Wir dürfen aus Aristoxenus' ap. Plut. mus. 37 die Folgerung ziehen, dass zu
seiner Zeit das Diat. mal. (3 und 5 Diesen!) von den Musikern mit Vorliebe prak-
tisch angewandt wurde. Auch zu Ptolemäus Zeit gehörte es zu den am häu-
figsten vorkommenden Klanggeschlechtern. Es ist schon früher darauf hin-
gewiesen worden, dass das Ptolemäische von dem Aristoxenischen Diatonon
malakon in dem zweiten und dritten Klange des Tetrachordes differirt. Bei
Ptolemäus stehen jene Klänge etwas tiefer als bei Aristoxenus: nach des
enteren Angabe bildet der Ton a mit ns das Intervall des übermässigen Ganz-
tones 8:7, das übermässige ns mit e das Intervall 6 : 7. Beide Intervalle
sind theoretisch auch in der natürlichen Scala der Modernen vertreten. Doch
in unserem Melos ohne Anwendung. Sang man bei den Alten die Ekbole a fis,
so war das nach der Ptoleinäischen Angabe genau dieselbe Intcrvallgrösse,
wie wenn wir von dem Klange h zu dem Kirnbergerschen Klange i (s. u. IV)
hinaufschreiten wollten — jedenfalls ein gerade nicht wohlthuendes Aufwärts-
steigen, welches sich für unsere Musik nicht qualifiziren will. Aber ganz unzwei-
deutig ist die mehrmals vorkommende Aussage des Ptolemäus, dass die soge-
nannten Malaka der Lyroden durchgängig in der Mischung jenes Klangge-
schlechtes mit dem Diatonon toniaion ausgeführt wurden, nicht minder bei den
Kitharodeu die mit dem Namen Parhypatai bezeichneten Melopoeieu:
e f fis a h h d e
21:22 11:12 8:7 »:9 27:28 7:H 8:9
und ferner auch die sogenannten Tropoi der Kitharodeu:
ahhde ffisa
* " 'v /v .
8:9 27:28 7:8 8:9 21:22 11:12 6:7
An dem Kirnbergischen Klange i hatte demnach die Ptolemäische Zeit
ein grosses Wohlgefallen. Aber auch schon in der Epoche des Aristoxenus
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-
406 • Aristoxenus zweite Harmonik.
war man einem jenem Kirnbergerschen i mindestens sehr ähnlichen Klange
zugethan.
III.
Chromatische Scalen, d, i, Scalen mit Atislassttng des diaton.
Klanges zwischen fis und a.
Arißtoxenus : Chrotna toniaion gemischt mit
Enharm. malakon hemiolion
ungemischt
Archytas „Chromatikon*'
Ptol. „Chroma malakon''
h R14
h Ru
h R14
h R14
h RI4»»>
a R10
a Rl0
a R10
a R10
a RV40M
fis R*
fisR4
fis R4
fis R4
fis R<,omo
S R1
V R1,»38
% R1,5
f R*
e R°
e R°
e R°
e Ro
e Ro
-
Denken wir uns eine in folgender Weise durch Auslassung von Klängen
vereinfachte diatonische Scala
c d [e] f g a [h] c
in welcher nicht wie im Enharmonion der höhere Grenzklang des Halbtoues,
sondern der tiefere Grenzklang desselben ausgelassen ist, so ergiebt sich das
Grundprincip des Chromas. Freilich ist wohl zu berücksichtigen, dass wir in
der bisher zu Grunde gelegten Tonart ohne Vorzeichnung die Klänge e und h
als stehende Klänge des Tetrachordes fassen müssen, welche einer Auslassung
eben so wenig wie einer Veränderung unterworfen werden können. Deshalb
ist die Scala, welche die antike Theorie zur Darstellung des Chromas wählt,
in Wahrheit eine Scala mit 8^8
a h [eis] d e fis [gis] a
Diese Scala haben wir als die Grundlage des Chromas festzuhalten.
Aristoxenus kennt im Ganzen 6 Arten chromatischer Tetrachorde resp.
Pentachorde. Drei derselben sind ungemischt, S. 259, drei derselben sind ge-
mischt S. 892, entweder eine Mischung des Chroma toniaion mit dem Enharm.
oder eine Mischung des Chroma toniaion einerseits mit dem Chroma malakon
andererseits mit dem hemiolion.
Das ungemischte Chroma toniaion und die drei gemischten Chromate
haben das Gemeinsame, dass auf diesen Tetrachorden resp. Pentachorden stets
der Ton fis vorhanden ist.
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XIV. Die gemischten und ungemischten Tongeschlechter. 407
•
Im höchsten Grade beachtenswerth ist, dass das einzige von Archytas
aufgeführte Chroma nicht das Chroma toniaion, überhaupt keines der unge-
mischten Chromata des Aristoxenus, sondern das aus zwei chromatischen Chroai
gemischte „
e e fis a
ist, dasselbe, was bei Ptolemäus „Chroma malakon" heiast. Die Parhypate im
Chroma des Archytas kommt, der Tonstufe nach, der Parhypate des Aristoxe-
nischen Chroma malakon am nächsten:
nach Aristoxenus = R«,™3383
nach Archytas = R» »MIS.
Nicht unberücksichtigt darf bleiben , dass der nämliche Klang der chro-
matischen Parhypate von Archytas auch für die enharmonische Parhypate an-
gegeben wird. Das ist zwar nicht die Annahme des Aristoxenus, aber Aristo-
xenus spricht von solchen Musikern, die bezüglich der Grenze schwanken,
welche zwischen dem Enharmonion und dem Chroma besteht: „wann das En-
harmonion in das Chroma übergeht (dritte Harmonik § 7).
Der Musiker, auf welchen die Notirung der frühesten Transpositions-Scalen
zurückgeht (Polymnast? ), hat die Notenzeichen so gewählt, dass das Pyknon des
Enharmonion auf dieselbe Weise wie das Pyknon des Chromas notirt wird,
mit dem einzigen Unterschiede, dass der chromatische Oxypyknos einen diakri-
tischen Strich erhält, welcher dem enharmonischen Oxypyknos fehlt. Die
chromatische Parhypate also hat mit der enharmonischen Parhypate das Noten-
zeichen durchaus gemeinsam.
Tetrachord des Archytas.
Enharm. e e f a
Chroma e e fis a
Antike Notirung des
Enharm. TL! C
Chroma TL "IC
Diese Notirung des chromatischen Tetrachordes ist die allgemeine grie-
chische, welche nach der Ueberlieferung ohne Unterschied für alle chromati-
schen Chroai angewandt wird. Der Noten-Erfinder hat also bei seiner Nö-
rting des Chromas nicht das Chroma toniaion
e f fis a
vor Augen, sondern dasselbe Chroma, welches Archytas als das einzige Chro-
matikon bei seinen akustischen Zahlen-Bestimmungen berücksichtigt: nach
Aristoxenus' Auffassung eine Mischung des Chroma malakon und des Chroma
toniaion „*.i\ ^dp at totay-at Staipdaet; t&v ttv^wv ippeXct; ^alvovrat" (zweite
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408 Aristoxenus zweite Harmonik.
Harm. § 57). Diese Mischung also, wie sie das einzige Chromatikon ist, von
welchem Archytas Rechenschaft giebt, ist zugleich diejenige, welche der Noten-
erfinder einzig und allein von den chromatischen Chroai berücksichtigt hat
— der beste Beweis, dass dieselbe auch schon vor Aristoxenus überaus häufig
gewesen sein muss.
IV. •
Auslassung des diatonischen Klanges /.
(Gemischtes Diatonon).
Aritox. Diatonon, gemischt mit
Archytas „.Diatonon"
Eiiharm.
Chrom, malakon
Chrom, hemiol.
Ptol. „Diatonon toniaion."
h R"
h R"
h RM
h R14,03*1
a R»°
a R">
a R10
a R»,»»o9«
g R4
g Rd
g R6
g RV«"
e R'
*e' R1,3"
*•
e R1,6
e R>
e R°
e R°
e R°
e Rp
Terpanders Diatonon*
Aehnlich wie mit der von Olympus herrührenden Vereinfachung des
Diatonons verhält es sich mit jener, welche von dem Kitharoden Terpander
noch in der archaischen Musikperiode der Griechen vorgenommen worden ist.
Worin das vereinfachte Diatonon des alten Terpanders bestand, darüber sagt Plut.
de mus. 28: „Diejenigen, welche darüber Bericht erstatten [damit ist z. B.
der alte Glaukos aus Rhegium in seiner Schrift repi dpyouov ttot^tiuv tc
xi\ \ivj9\xw* geineint] haben dem Terpander als Erfindung die Dorische Nete
zugeschrieben, deren sich Terpanders Vorgänger für die Melodie nicht be-
dienten.
Hyp. Meae Nete
e fgahede
Griech. Rhythm. und Harm. 1S67, S. 295 sagte ich: „Aber bei dieser Neuerung
bewies er sich zugleich als eine sehr conservative Natur; er mochte den alten
Umfang von sieben Tönen nicht überschreiten und entfernte daher einen der
bereits existireuden Töne, nämlich dieTrite, den Ton „cu. Aristot Probl. 19, 32:
?tt irrä T(aav al yopoai tg dpyatov . erc i£e).ujv rr;v Tpirr(y Tepitavopo; tt^v vfjTTjV
npo3£&T(xfi. So gab es also zwei Arten des Heptachordes : ein Vorterpandrische
ohne die Octave c, und eine Terpandrische m it der Octave, aber ohne die Trite c.
Beide Arten hat Aristot. Probl. 19,7 im Auge: Ali xi oi dpyatoi ema/öpfa-j;
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«
XIV. Die gemischten und ungemischten Tongeschlechtcr. 409
roiouvrc; dpjxovia; tt,v u-arv <tiX oü tt4v vt,tt^ x*Td).nr<w; rfoepov toüto ^eüoo;,
dfx'fÖTcpa ?dp xrcehnov, t^v oe Tpbr4v cgjjpou? . . . Aristoteles sieht die Sache
so an, als ob jene dp/atot bereits das spätere Oktachord vor sich gehabt hätten,
und fragt, wie es komme, dass, wenn sie Melodieen von sieben Töneu machten,
sie die Hypate,' aber nicht die Nete dagelassen hätten, denn das bedeutet
xati/.inov. | Im umgekehrten Sinne „weglassen"' ist xatiXirov in der Parallelstelle
19,47 gebraucht). Dies ist die vorterpandrische Form. Dann fragt er, ob sie
nicht vielmehr beide Töne, die Hypate und Nete, dagelassen und die Trite
entfernt hätten; — dies ist die terpandrische Form. Die letztere hat Philolaos
ap. Nicomach. Mus. p. 17 vor Augen unter folgender Bezeichnung der einzel-
nen Töne:
** * B c ? o S
£ g $ 1 s- gl
e f g a h de
Das ganze Octavensystem , von ihm dpfxovia genannt, besteht — so sagt
er — aus einer Quarte und Quinte, von denen die erstere bei ihm den Namen
o/.Xaßd, die letztere den Namen ot' <i£eiä> führt, — alte Terminologieen , die
wir wohl auf Terpander oder seine Schule ziunickführen dürfen. „Von der
„ündta bis zur jiisa (von e zu a) ist eine Quarte, von der \iiia bis zur vedra
„(von a zum höheren e) eine Quinte, von der !jtAzi zur tplta (von e zu h) eine
„Quinte, von der Tptta zur ved-a (von h zum höheren e) eine Quarte, von der
„piea zur Tpl-ra (von a zu h) ein Ganzton."
Die Vereinfachung des Melos im Olympischen Enharmonium und im Ter-
panderschen Diatonon beruhte auf ein und demselben Principe: jeder der beiden
alten Künstler Hess einen der nach unserer Anschauung wesentlichen Klänge der
diatonischen Scala unbenutzt. Der Aulet Olympus liess den auf das Hemitonion
folgenden diatonischen Klang, der Kitharode Terpauder zwar nicht den auf das
Hemitonion folgenden Klang, wohl aber den höheren Grenzklang des
Hemitonions selber unbenutzt. Das Tetrachord des Olympus enthielt auf diese
Weise neben der Mese ein unzusainmengesetztes Ditonos-Inten*all, die Scala
des Terpander neben der Hypate ein unzusammeugesetztes Trihemitonion, —
„unzusammengesetzt'' im technischen Sinne des Aristoxenus S. 290 u. 316.
Denken wir uns die Scala ohne Vorzeichnung, so lässt das Enharmonion
des Olympus den Klang g unbenutzt, das Diatonon Terpander« den Ton f.
Enhannonion des Olympus
Ditonos
e f~lg] a,
Diatonon des Terpander
Trihemitonion
e~ IfT ~~g a
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410
Aristoxenus zweite Harmonik.
Die Olympische Klang- Vereinfachung erhält sich als unverrückbare Grund-
lage der Enharmonik bis in die Zeit des Aristoxenus, wo dies Klang-Geschlecht
bereits zu erlöschen begonnen hat. Die Vereinfachung Terpanders besteht
noch in der Zeit des Ptolemäus als wesentliche Tetrachord-Grundlage in der
Musik der Kitharoden.
Diatonon des Archytas,
gemischtes Diatonon des Aristoxenus.
Die in der archäischen Periode von Olympus einerseits und von Terpan-
der andererseits gegebene Grundlage wird weiterhin modificirt durch Einschal-
tung eines Klanges, welcher der Scala an sich durchaus fremd ist — wir können
sagen, durch Einschaltung eines leiterfremden Klanges: das Trihemitonion
wird statt eines unzusammengesetzten ein zusammengesetztes Intervall, indem
zwischen e g der leiterfremde Klang e eingeschaltet wird.
e e [f] g a h
Der Tarentiner Archytas, Piatos Lelirer und älterer Heimathsgenosse des
Aristoxenus, ist es, auf weichen Ptolemäus die früheste akustische Zahlenbe-
stitnmung des durch den leiterfremden Klang im Enharmonion und Diatonon
gebildeten kleinen Intervalle» zurückfuhrt. Für das Ohr des Archytas, auf
dessen richtiges Empnuden und Beurtheilen wir uns schon verlassen müssen,
klang die Grösse des kleinen Intervalles im Diatonon genau so wie im En-
harmonion. Beides bezeichnet er durch die Verhältnisszahl 27 : 28. Die beider»
seitigen kleinen Intervalle im Enharmonion und Diatonon haben in der Kunst-
sprache der Musiker dieselbe Bezeichnung „Diesis". Dass man die Diesis des
Enharmonions als „kleinste Diesis" (als Tetartemorion des Ganztones) specia-
lisirte, die Diesis des betreifenden Diatonon dagegen als „kleinste chromatische
Diesis" (Tritemorion des Ganztones), das rührt erst von Aristoxenus her, nach
dessen Angaben sich das kleine Intervall des Enharmonions durch das Ver-
hältniss
(iÜ° : (v.)1 * 1 : 1'02932,
das kleine Intervall des betreffenden Diatonons dagegegen durch
(v'J° : (v f- 1 : ~
genau ausdrücken lässt. Als Archytas für die beiden Intervalle seine aku-
stischen Untersuchungen anstellte, da ergab sich ihm für beide ein und das-
selbe Verhältniss:
27 : 28 = 1 : 1,03703.
Wer dürfte wohl mit diesen beiden alten Gewährsmännern betreffs der
.gar kleinen Differenz bei ihrer Bestimmung der kleinsten Intervalle rechten
wollen? Ptolemäus that es, obwohl auch er das kleine Intervall der Enharmo-
nik nicht mehr in der Praxis zu hören bekam.
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XIV. Die gemischten und ungemischten Tongeschlechter. 41 1
Für unser an moderne Musik gewöhntes Ohr würde ohnehin der Unter-
schied ein unendlich kleiner sein: nur etwa mit Hülfe unserer genauesten
akustischen Instrumente vermöchten wir derartige Tonempfindungen wahr-
zunehmen. Die Griechen des klassischen Alterthums hatten einen ausge-
bildeten Gehörsinn, da sie ja jene kleinen Intervalle in ihrer Musik praktisch
verwandten. Erst zur Zeit des Aristoxenus erklärten sich manche Musiker,
wie dieser berichtet, für unfähig, den vierten Theil des Ganztones als solchen
empfinden zu können und verwarfen deshalb die enharm. Musik, während sie
t
Musikgattungen mit anderen kleinen Intervallen, welche Aristoxenus
ungerade und irrationale nennt, noch mit Vorliebe anwandten. Wir haben
bezüglich der in Rede stehenden Differenz des Aristoxenus und Archytas uns
an die Erklärung des ersteren zu erinnern, dass das Megethos derartiger In-
tervalle ein variabeles sei. Daraus müssen wir schliessen, dass die durch leiter-
fremde Klänge gebildeten kleinen Intervalle der Tetrachorde in der Praxis mit
kleinen Modifikationen von den vortragenden Künstlern ausgeführt werden
konnten, vorausgesetzt, dass sich das Intervall -Megethos innerhalb einer be-
stimmten Grenze hielt.
Mit Hinweglassung der höheren Deeimalstcllen können wir also sagen,
dass wenn die Parhypate e = 1 angesetzt wird, dass dann die Parhypate e des
betreffenden Diatonon nach Aristoxenus = 1 ,039, nach Archytas ein sehr wenig
tiefer =» 1,037, d. i. dieselbe Klanghöhe, welche nach Archytas der Parhypate
des enharmonischen Tetrachordes zukommt.
Ueber die Klanghöhe des nach der Hypate e eingeschalteten leiterfremden
Klanges e besteht also zwischen Archytas und Aristoxenus eine Differenz um
nur zwei Tausendstel des Ganztones!
«
Die Lichanos des in Rede stehenden Diatonon ist der diatonische Klang g
von Aristoxenus nach gleichschwebender Temperatur, von Archytas nach der
natürlichen Stimmung angesetzt. — Nach Archytas bildet die Parhypate e
mit der Lichanos g ein Verhältniss wie 7 : 8. Dies akustische Verhältniss 7 : 8
ist auch der modernen Akustik wohlbekannt. Denn in der natürlichen Scala
der Töne erscheint zwischen der kleinen Terz e g (5 : 6) und dem grossen
Ganzton c d (8 : 9) ein Klang, welcher sieh den Schwingungszahlen nach zu g
wie 7 : 6 und zu ~c wie 7 : 8 verhält; es ist ein Ton, den man als ein um ein
merkliche« zu tief klingendes b oder zu hoch klingendes a bezeichnen kann,
und für den Kirnberger die Benennung i einzuführen versucht hat. Dies In-
tervall i c ist es, welches dasselbe Megethos wie das antike e g hat , der über-
mässige Ganzton. Doch obwohl die moderne Theorie ein solches Intervall
kennt (die Versuche Kirnberger's, dasselbe auch praktisch in der Orgelmusik
zu verwenden, sind erfolglos geblieben), so liegt uns doch die bei den Griechen
vorkommende Anwendung dieses Tones im Diatonon des Archytas eben so
fem, wie die des enharmonischen Vierteltones.
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412
Aristoxenus zweite Harmonik.
Trotzdem ist dies Diatonon mit dem grossen Ganztone in der Mitte des
Tetrachordes, welches uns seinem Wesen und seiner Wirkimg nach durchaus
tinfassbar ist, das einzige Diatonon, welches von Archytas aufgeführt wird.
Ein anderes nennt er nicht.
Aristoxenus nennt noch andere. Denn auch das gemischte Diatonon (des
Archytas) wird mehrere Male von ihm als emmelisch bezeugt. Ihm zu Liebe
statuirt er (§ 107) drei Kategorien des Diatonon: mit zwei, drei, vier verschie-
denen Intervallgrossen, von denen die erste das ungemischte Diatonon (syn-
tonon oder toniaion) ist, das zweite das aus dem Terpandrischen entwickelte
gemischte Diatonon des Archytas, das dritte das auf der Vereinfachung des
Olympus beruhende Diatonon malakon ist. Vgl. S. 838 ff.
In der Musikjieriode des Ptolemäus hat das Diatonon des Archytas we-
nigstens in der Kithardik nnd Lyrodik alle anderen Klanggeschlechter ver-
drängt. Es war das einzige, welches hier auch ohne Combination mit anderen
Tetrachordstimmungen vorkam. So wandten es die Kitharoden in den ,,Tritai"
für die hypodorische Octavengattung, in den „Hypertropa" für die phrygisehe
Octavengattungan; die LyToden in den „Sterea" einer jeden Octavengattung an.
Combinirt mit dem Chroma malakon kam es bei den Kitharoden in den „Malaka4*
vor, bei den Lyroden ebenfalls combinirt in den „Tropoi" und „Jastiaioliaia."
Das ungemischte Diatonon („mit zwei verschiedenen Intervallgrössen"
Aristox.) liessen die Kitharoden und Lyroden nur in Combinationen mit an-
deren Tetrachordeintheilungen hören. Da« fällt uns freilich schwer genug zu
glauben, aber wir müssen es wohl. Denn wir würden keinen Grund haben,
die mehrfach wiederholten Angaben des Ptolemäus zu bezweifeln. Unser Ge-
fühl wird durch die Parhypate e belästigt, die wir vom Standpunkte unserer
Musik nicht verstehen. Aber auch Aristoxenus hat das Pentachord e e g a h
durch sein „Diatonon mit drei verschiedenen Intervallgrössen" sanetionirt,
nicht minder wie das Euharmonion e e f a h, dessen Verschwinden bei seinen
Zeitgenossen er sichtlich beklagt. Auch dem musikalischen Gefühle des Aristox.
nach muss sich das gemischte Diat. innerhalb des schönen Styles gehalteu haben.
Archytas, welcher dies Diatonon als das einzige aufführt, mag wohl wie
Ptolemäus die Musik der Kitharoden zu Grunde gelegt haben. Bezüglich der
Kitharoden haben wir wohl zu beachten, dass die alte Kitharodik Terpanders
für das in Rede stehende Diatonon den Ausgangspunkt gegeben hat.
Auch hier ist die griechische Notirung von gleichem Interesse wie für das
Chroma des Archytas. Schon Friedrich Bellerman, der Semantologe, hat er-
kannt, dass die diatonischen Noten zur genauen Bezeichnung der Klänge e f
g a ebenso wenig passend sind, wie die chromatischen Noten für die Klänge
e f fis a. Bellermann glaubt geradezu von Fehlern reden zu müssen, welche
die Alten bei der Notirung dieser Scalen sich hätten zu Schulden kommen
lassen. Aber wenn man die Klänge zu Gruude legt, welche Archytas bei seiner
akustischen Bestimmung des Chromas und Diatonons im Sinne hatte, dann
ist die griechische Notirung dieser beiden Tongeschlechter wenigstens für die
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XIV. Die gemischten und ungemischten Tongeschlechter. 413
älteren Scalen — für die b-Scalen — absolut fehlerlos. Für das Chroma haben
wir dies schon oben angedeutet. Ebenso leicht ist es für das Diatonon zu
zeigen. Legt man nämlich das (gemischte) Diatonon des Arehytas zu Grunde,
dessen Parhypatc genau dieselbe ist wie die des Enharmonion (und Chroma
malakon), dann kann die Notirung keine andere als folgende sein:
. 1
Enharm. e
Diaton.
s
2
x 5
£ .sä
S J
e f
*
e
3 •
9 O
Mi ^"
>> 58
= (2 j
E uj 3
E uj
i I
s
c
F C
Die streng genommen nur für das gemischte Diatonon (des Arehytas)
geltenden diatonischen Noten werden beibehalten, wenn man die Hypate, Par-
hypate, Lichanos, Mese des ungemischten Diatonon toniaion oder Diatonon
malakon notiren will, z. B.
3
&
3
5
3
s
efga EuFC
Aristox. bemüht sich in der zweiten Harm. § 53 b. c dem interpellirenden
Zuhörer zu zeigen, dass man die Klangnamen Hypate, Parhypate, Lichanos u. s. w.
für alle Chroai und Klanggeschlechter beibehalten müsse, ohne hier eine Aen-
derung der Nomenclatur vorzunehmen vgl. S. 173. Aehnlich war die Anschauung
des Xotenerfinders, welcher für die eine Chroa eines Klanggeschlechtes dieselben
Noten wie für die andere ausreichend erachtete. Hatten sich ja für die ver-
schiedenen Musikgattungen (z. B. Kitharodik, Aulodik, Orchestik) immer be-
stimmte Chroai geltend gemacht, die sich betreffenden Falles für den ausfüh-
renden Musiker von selber verstanden.
Dans aber vom Archytischen Diatonon die Noten für alle übrigen Dia-
tonons entlehnt worden sind — , muss man hieraus nicht schliessen, dass jenes
gemischte Diatonon. des Arehytas schon bald nach Terpanders Zeit, d. i. in der
Periode der zweiten Spartanischen Musik-Katastasis zu kanonischem Ansehen
gelangt war? Zur Zeit Terpanders, welcher zu dem gemischten Diatonon die
Grundlage gab, war das Notenalphabet noch nicht erfunden (trotz Plutarch de
mus. 7 vgl. griech. Hann. 1867 8.323); das dorische Alphabet für die Instru-
mentalnoten herbeigezogen zu haben, darauf dürfen erst die Vertreter der
zweiten spartanischen Katastasis, namentlich Polymnastus Anspruch erheben.
XV.
Die Scala-Töne.
Vgl. Prooim. § 20.
§ 20. „Darauf erfolgt die Erörterung der Scala-Töne, da die System«
„für deren Unterscheidung nicht ausreichen."
Ungeachtet der wörtlichen Uebereinstimmung dieser Inhaltsangabe mit
dem Beginn der entsprechenden des Prooimions dritter Harmonik fehlt uns jeder
Anhaltspunkt, um zu ermitteln, wie und nach welcher Disposition Aristoxenus
den Absehn. XV. behandelt. Die mittelbar auf Aristoxenus zurückgehenden
Musiker geben kaum mehr als eine Aufzählung der Scala-Töne nach den drei
Tongeschlechtern, zum Theil auch mit Tabellen der griechischen Noten. Obwohl
Aristoxenus eher eine Philosophie des Melos, als ein Encheiridion giebt, .so ist
doch ungeachtet seiner die Semantik desavouirenden Bemerkung (dritte Harmo-
nik § 24) schwer in Abrede zu stellen, dass Aristoxenus nicht auch seiner Har-
monik eine Uebersicht der Noten beigegeben habe. Denn Vitruvius Pollio de
arch. 5, 4 will solche Tabellen bei Aristoxenus gesehen und von dort her für
»ein Werk entlehnt haben. Er sagt: „Itaque ut potero quam apertissime ex
Aristoxeni scripturis interpretabor et eius diagramma subscribam finitiones-
que sonituum designabo, utique qui diligentius attenderit faciliue percipere
possit.
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XVI.
Die verschiedenen Stimm-Klassen. (Bass, Bariton, Tenor . . . )■
Vgl. Prooim. § 21.
§ 21. „Jedes System wird alif einer bestimmten Stimmlage ausgeführt.
„Wenn nun auch das System an und für sich hierdurch nicht verändert wird,
„so wird doch dem auf ihm genommenen Melos durch die Eigentümlichkeit der
„Stimmlage ein nicht unbedeutender, sondern ein sehr grosser Wechsel zu Theil.
„Deshalb wird derjenige, welcher die Harmonik darzustellen unternimmt, so
„weit es angemessen ist (d. h. soweit es die natürliche Beschaffenheit der Sy-
„steme selber erheischt) über die Stimmlage im Allgemeinen und im Beson-
deren zu reden haben."
•
Der Anonymus, welchen Ruelle im Abschnitt von den Systemen als
gleichwertig mit dem Pseudo-Euklid zur Esgänzung des Aristoxenus herbei
gezogen (ich meinerseits ergänzte dort aus Pseudo-Euklid), ist der einzige unter
allen indirekt [aus der Schrift des den Meister neu bearbeitenden Aristoxe-
neers der römischen Kaiserzeit} excerpirenden Musikern, welcher das im XVI. Ab-
schnitte Enthaltene der Hauptsache nach überliefert; obwohl sich auch bei
Pseudo-Euklid und Aristides einige darauf bezügliche Notizen finden.
Der Anonymus lehrt nämlich:
§ 68. Es giebt vier Topoi der (Vokal- und Instrumental-)Stimine
1. hypatoeides, 2. mesoeides, 3. netoeides, 4. hj-perboloeides.
In den ersten Topos (hypatoeides) setzt man fünf Tetrachorde :
zwei Hypolydische, zwei Hypophrygische, ein Hypodorisches;
in den zweitenTopos (mesoeides) drei Tetrachorde:
zwei Dorische, ein Phrygisches;
in den dritten Topos (netoeides) zwei Mixolydische, ein Hyper-
mixolydisches.
Hyperboloeides ist jeder Topos vom Hypermixolydischen Tonos an,
§64. Der Topos hypatoeides beginnt von der Hypodorischen Hypate
meson und reicht bis zur Dorischen Hypate meson.
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416
Aristoxenus zweite Harmonik.
Der Topos mesoeides beginnt von der Phrygischen Hypate meson
und reicht bis zur Lydisehen Mese.
Der Topos netoeides beginnt mit der Lydisehen Mese und reicht
bis zur Lydisehen Xete svnemmenon.
Was darauf folgt ist der Hyperboloeides.
■
Mit wahrhafter Meisterschaft der Conjectural-Kritik hat Friedrich Beller-
mann diese durch die handschriftliche Ueberlieferung mehrfach geschadigte
Partie in der vorliegenden Weise restitnirt. Wir denken, mit zweifelloser
Richtigkeit. Zur Erklärung sagt BeHermann: „Intrieatus locus, cuius difficul-
tates indicare licet, non expedire." Und weiterhin: „Itaque hunc totum locum,
mihi quidem omnino desperatum, lectoris acumini relinquo expediendum."
Fr. Bellermann selber ist der Entdecker der Thatsache (welche seiner-
seits auch Fortlage entdeckt und in demselben Jahre mit Bellermann veröffent-
licht hat», dass die Notenzeichen, mit welchen die Griechen ihre Transpositions-
Scalen notiren, genau auf demselben Principe beruhen, wie unsere modernen
Noten, sofern diese durch b um einen Halbton erniedrigt oder durch & um
einen Halbton erhöht werden. Der griechischen Notenschreibung zufolge
werden wir durchaus in unserem Rechte sein fbloss Oskar Paul bestreitet es),
wenn wir den Proslambanomenos der Hypodorischen Transpositions - Scala
unserem grossen F gleichsetzen. Dazu kommt die andere wichtige Entdeckung
Fr. Bellermanns, dass die griechische Stimmung um eine kleine Terz tiefer
steht als die unserige, dass also der Hypodorische Proslambanomenos, welcher
mit Rücksicht auf die Xotirung einem grossen F entspricht, dem Klange
nach identisch mit unserem grossen D ist. Stellen wir nun zwei Tonleitern
unter einander: die obere diejenige, deren Klänge der griechischen Notirnng
nach sich ergeben; die untere Tonleiter, deren Klänge ein jeder eine kleine
Terz tiefer als der darüber stehenden der oberen Tonreihe ist:
hypat. mesoeid. netoeid.
Schreibung: Bcdesfgasbcde
Klang • G A H c d e f g a h c
In dem Folgenden werden wir uns bloss an dem griechischen Notirungs-
werthe der Klänge halten und die Differenz der antiken und modernen Stim-
mung nicht weiter urgiren.
I. Der Topos hypatoeides, begrenzt von den Noten B und d, d. i.
den Klängen G und H: an ihm partieipiren, wie der Anonymus richtig angiebt,
2 Hypolydische, 2 Hypophrygische, 1 Hypodorisches Tetrachord. Dieser To-
pos hypatoeides ist nach Pseudo-Euklides Darstellung ein wesentliches Er-
forderniss für den Tropos tragikos. d. h. für die Weise des tragischen Chor-
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XVI. Die verschiedenen Ktimm-Klassen.
417
liedes — denn die tragischen Monodieen (Solo-Partieen oder Arien) gehören dem
Topos mesoeides an.
Jene tiefen Töne erfordern nothwendig einen bassirenden Chor : es ist zwar
nicht gut denkbar, dass die tragischen Chorlieder bloss auf jene wenigen
Töne beschninkt gewesen sein sollten; aber soviel scheint wohl festzustehen:
der Topos hypatocides der alten Griechen ist die Bassstimme, sowohl im Ge-
lange wie bei den Instrumenten. Im Abschnitte von der Melopocie sagt
Pseudo-Euklides p. 21: „In dem Tropos tragikos oder hypatocides zeigt sich
Hoheit, Glanz und Adel, männliche Erhebung der Seele, heldenmüthige Thatkraft
und ähnliche'Affecte dieses Charakters." Diesen Eindruck machten also die Chor-
gesiinge der Griechen auf den Zuhörer — die Tiefe der Klänge scheint für die
Erregung dieser Stimmung ein nicht unbedeutendes Moment gewesen zu sein.
So konnte denn auch Aristoxenus im Prooimion §21 sagen: „Wenn auch das
System an und für sich dadurch nicht geändert wird, so wird doch durch die
Eigenthiimlichkeit der Stimmlage dem Melos ein nicht geringer, sondern sehr
grosser Wechsel (Nüancirung) zu Theil."
II. Der Topos mesoeides begreift den Tonumfang es f g as b, kann
ausgeführt werden sowohl von Bassstimmen wie von Tenorstimmen, um von den
Baritonisten abzusehen (und zwar von beiden mit fast gleicher Bequemlichkeit).
Denn die sämmtlichen fünf Töne von e bis h gehören der Mittelstimme des
Basses und die drei hohen der Mittelstimme des Tenors an. Fügen wir ausser
dem Tone c unten noch den Ton d und oben dessen Octave d hinzu, so erhalten
wir die nämliche Octave, welche nach Ptolemäus die allgemein (d. h. für alle
Stimmen) sangbare ist; nur dass von den hier fehlenden Tönen das untere d
nicht für alle Tenoristen, das obere d nicht für alle Alfisten gleich bequem ist.
Der t4t:o; [xesoeior,; enthält also diejenigen Töne der von Ptolemäus 2, 11
bezeichneten Octave, welche ohne Ausnahme für alle und jede Stimme,
Bass, Bariton, Tenor, Alt, Sopran mit gleich grosser Leichtigkeit und Bequem-
lichkeit zu singen sind. (Griech. Rhythm. u. Harm. 1867 S. 368. 380).
Dieser Stirn m-Klasse gehört die dithyrambische Melopoeie an : das sind die
Compositionen ruhigen Charakters, durch welchen „Seelenfrieden, ein freier und
friedlicher Zustand des Gemüthes bewirkt wird. Dem werden angemessen
sein ^üe Hymnen, Päane, Enkomien, Trostlieder und ähnliches" Pseudo-Euklid
p. 21. Die hier angeführten Gattungen der chorischen Lyrik werden also
als Nebengattungen des Dithyrambus gefasst, wobei wir nicht sowohl an die
Dithyramben der späteren Zeit, als vielmehr an die ruhiger gehaltenen Dithy-
ramben des Pindar und der klassischen Periode zu denken haben. Die Me-
lodieen also, in welcher diese Chorliedcr gesungen werden, bewegen sich vor-
zugsweise in den Tönen von e bis a. Insofern also der Chorodidaskalos ge-
nöthigt war, sich bei der Ausführung des Chores zugleich der Bass- und Tenor-
stimmen, oder bei Knabenchören der Alt- und Sopran-Stimmen sich zu bedienen,
fanden diese verschiedenen zusammensingenden Stimmen in der Tonlage von
ArlitoxenuB, Mellk u. Rhythmik. 27
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418 Aristoxenus zweite Harmonik.
e bis h einen überall für sie passenden x6tz<k. Und berücksichtigt man, dass
die meisten Töne dieses Umfanges immer der Mittelstimnie angehören (sowohl
bei Bassisten als Tenoristen vgl. oben), so kann man sagen, dass die Bezeich-
nung dieser Stimmlage als t<St:o; tjau-/aortx6; auch vom Standpunkte unserer
Musik ganz richtig ist, denn die Mittelstimnie ist für alle Stimmklassen die
ruhige (vgl. Marx, Compositionslehre S. 342). Selbstverständlich wird es indess
häufig genug vorgekommen sein, dass der hesyehastischc Chorgesang jene Grenze
nach unten und oben hin wenigstens um einige Töne überschritten hat. am
häufigsten wird wohl der noch für alle Stimmen sangbare Ton c hinzugekom-
men sein. •
III. Der Topos netoeides umfasst die Töne b c d es, welche, wie der
Anonymus richtig bemerkt, 2 Tetrachorden der Mixolydischen und 1 Tetrachorde
der Hypermixolydischon Transpositionsscala angehören. Diese Klänge sind
demjenigen Tropos Melopoiias wesentlich, welchen man wie Pseudo-Euklid p. 21
und Aristides p. 28 berichten, nach seinem vornehmsten Eidos den Tropos nomi-
kos, d. h. die Compositionsmanier des Nomos, und nach seinem bewegten Cha-
. rakter den Tropos systaltikos nannte. Auch der Bassist kann jene vier Töne
hervorbringen, aber nur in seiner hohen Stimmregion. Wir müssen not-
wendig annehmen, dass ein Nomos, d. i. ein Sologesang religiösen Charakters
an den grossen Nationalfesten vorgetragen, unmöglich bloss auf die vier an-
gegebenen beschränkt sein konnten. Die darüber hinausgehenden Melodieen
werden von Bassisten nicht mehr gesungen. Dagegen passen alle diese Töne ganz
eigentlich für den Tenor, welcher sogar jene sämmtlichen vier Töne des Topos
netoeides noch in seiner Mittelstimme hat. Daraus gewinnen wir das Resultat,
dass die Melodieen des auf den Topos netoeides basirten Tropos nomikos oder
systaltikos Tenoristen erforderten. Ausser dem Nomos gehören nach Pseudo-
Euklid p. 21 hierher auch die dpamxd, Op-fjvoi, olxxoi xal tä irapanX-riata. Solche
Klassen der Vokalmusik wurden bei den Griechen also vorwiegend durch
Tenorstimmen ausgeführt. Der auf Aristoxenus zurückgehende Berichterstatter
sagt von dem systaltischen Topos der Melopoeie: das Gcmüth werde dadurch
in eine weichliche und weibische Stimmung gebracht; er werde für erotische
Affecte, für Klagen und Jammer und ähnliches geeignet sein. Es ist dies wohl
diejenige Erregtheit, welche wir Sentimentalität nennen. Auch die Sologesänge
der Tragödie sind zu dem systaltischen Ethos hinzu zu rechnen. Dies alles
also wurde bei den Griechen von Tenoristen ausgeführt Was Aristoxenus
von den im Topos netoeides ausgeführten Melopoeien sagt, stimmt mit der Er-
klärung, welche Marx a. a. O. S. 384 von dem Charakter des Tenors giebt, „der
Tenor ist jünglinghaft, bald für schmelzende Innigkeit, bald für glühende Leiden-
schaft erregt; der Bass männlich reifer, von kernig nachhaltiger Kraft, würdig
und ruhig, aber gewaltsamer Ausbrüche der Leidenschaft fähig; — der Tenor
wie der Discant heller, beweglicher, der Bass wie der Alt dunkler, ruhiger."
Ungefähr denselben Eindruck machten die verschiedenen Stimmklassen
(der Vokal- und Instrumentalmusik) auch auf die Griechen wie wir nicht an-
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XVT. Die versclüedenen Stimm-Klaasen. 419
dere nach den Trümmern der Aristoxenisehen Charakteristik, welche sich bei
Pseudo-Euklid und Aristides finden, anzunehmen haben. Deshalb
1. Bass-Stimmen für den tragischen Chor;
2. eine Stimmklasse, an der sich Bassisten und Tenoristen betheiligen
können (eine mittlere Stimmklasse, mesoeides Topos) für die lyrischen Chöre
des Pindar u. s. w.;
3. Tenorstimmen für die Sologesänge der Bühne und der Agonal-Coucerte.
So verstehen wir, weshalb Aristoxenus im Prooimion 'sagen konnte:
,,Wenn auch das System an und für sich dadurch nicht verändert wird, so
wird doch durch die Eigentümlichkeit der Stimmlage dem Melos eine gar nicht
unbedeutende, vielmehr eine recht grosse Mannigfaltigkeit zu Theil."
27*
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XVII.
Die Transpoeitiona-Scalen.
Prooim. § 22.
§ 22. „Haben wir aber über die Systeme und die Eigentümlichkeit der
„Stimmlagen gehandelt, dann ist auch über die Transpositionsscalen zu sprechen,
„nicht in der Weise, dass wir gleich den Harmonikern die Katapyknosis zu
„Grunde legen.
„Ueber diesen Abschnitt haben einige von den Harmonikern, doch ohne
„ihn besonders zu behandeln und nur um das Diagramm auf dem Wege der
„Katapyknosis herzustellen, in der Kürze und nach Zufall einiges bemerkt, über
„das Allgemeine hat jedoch kein einziger gesprochen;, dies ist uns aus dem
„Vorausgehenden (über die Meinungen der Harmoniker) klar geworden."
So scheint der Text des Aristoxenus wörtlicher als oben auf S. 218 wieder-
gegeben werden können.
In der Vorlesung, welche in dem Vorlesungs-Cyklus über „das Melos"
der Harmonik unmittelbar vorausging, den „oofcai äpj.iovtxcüV, wie Aristoxenus
selber sie nennt (vgl. S. 200), hatte dieser auch das Historische bezüglich der
Doctrin von den Transpositionsscalen behandelt, wie die angezogene Steile des
Prooimions zur ersten Harmonik besagt. Wir sind so glücklich, gerade über
diese von den Früheren über die Transpositionsscalen gehegte Meinungen die
Hauptsache zu kennen, denn in dem Prooimion zu seiner dritten Harmonik
hat Aristoxenus diese Meinungen ausführlicher recapitulirt. Auch wir werden
in der dritten Harmonik des Aristoxenus ausführlicher darauf ein-
zugehen haben.
Die Disposition, welche Aristoxenus dem Abschn. XVII gegeben hat, ist
uns völlig unbekannt. Doch von dem allgemeinen sachlichen Inhalte ist uns
nicht weniges durch die späteren auf Aristoxenus' Doctrin zurückgehenden
Musikschriftsteller zugekommen. Durch keinen mehr als wieder durch Pseudo-
Euklid und Aristides, deren jeder hierbei des Aristoxenus namentlich Erwäh-
nung thut.
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XVII. Die Transpositions-Scaleu.
421
Pseudo-Eüklip excerpirt:
Das Wort Tonos hat in der Musik vierfache Bedeutung: Klangstufe, Inf er'
vall, Trans positionsscala des Systeme*, Klanghöhe.
a) Von der Klangstufe gebrauchen den Ausdruck „Tonos" diejenigen,
welche die Phormynx siebentönig nennen, tcie Terpander und Jon.
Terpander:
Jetzt viertönige Lieder verschmähend, beginnen wir neue.
Hymnen ertönen zu lassen auf sieben der Phorminx-Saiten.
b) Als Inf ervall bedeutet Tonos den Ganzton , z. B. wenn wir sagen:
von der Afese bis zur Parumese ist ein Tonos.
c) Als Tran* positionsscala wenn wir sagen: Dorischer, Phrygischer, Ly-
discher Tonos.
d) Ah Tonhöhe wenn wir Hochion, Mittelton, Tiefton sagen.
Transpositionsscalen icerden von Arisioxenus der Zahl nach 13 statuirt
1. Der Hypermixolydischc Tonos, auch Hyperphrygisch genannt.
2. 3. Zwei Mixolydische, ein hoher und ein tiefer.
Der Hoch- Mixolydische , wird auch Hyper-Jastisch genannt.
Der Tief- Mixolydische auch Hyper- Dorisch genannt.
4. 5. Zwei Lydische, dn Hoch-Lydischer
und ein Tief '• Lydischer , welcher auch Aeolisch genannt wird.
6. 7. Zwei Phrygische, ein Hoch- Phrygischer, welcher auch Jost Lieh heisst.
Ein Tief- Phrygischer.
8. Ein Dorischer.
9. 10. Zwei Hypo- Lydische :
Ein Hoch-Hypolydischer.
Ein Tief- Hypo- Lydischer, welcher auch Hypo-Aeolisch genannt wird.
11. 12. Zwei Hypo- Phrygische, von denen der Tief Hypo- Phrygische auch
Hypo-Jastisch genannt wird.
13. Hypo- Dorisch.
Von diesen ist der höchste der Hyper-Mixolydische.
Die folgenden stehen von dem höchsten bis zum tiefsten je um einen Halb-
ton von einander ab.
Die Parallel- Tonoi je um ein Trihemitonion.
Analog wird es sich auch mit dem Abstände der Übrigen Tonoi verhalten.
Der Hypo- Mixolydische ist eine ganze Octav höher als der Hypo- Dorische.
Hierzu fügeii wir den Berieht des Aristides, welcher mit Paeudo-Euklides
aus der nämlichen Quelle schöpfte:
Der Begriff von Tonos ist in der Musik ein dreifacher: a) dasselbe wie
Klangstufe (Tasis), bj eine Infercallgrösse, c) ein bestimmter Tvopos des Systems.
Hiervon ist jetzt zu reden.
■
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422
Aristoxenus zweite Harmonik.
Nach Aristoxenus giebt es dreizehn lonoi, deren Proslambanomenoi in
einer Octave enthalten sind, nach den Neueren fünfzehn.
Nach Aristoxenus Benennung sind es folgende-.
1. Min Hypo- Dorischer.
2. 3. Zwei Hypo-Phrygische, der eine Tief-Hypophrygisch, auch Hypo-
Jastisch genannt, der andere Hoch-Hypophrygisch.
4. 5. Zwei Hypo- Lydische, der eine Tief-Hypolydisch, auch Hypo- Aeolisch
genannt, der andere Hoch-Hypolydisch.
6. Ein Dorischer.
7. 8. Zwei Phrygische, der eine Tief-Phrygisch, auch Jaslisch genannt, der
andere Hoch-Phrygisch.
9. 10. Zwei Lydische, der eine Tief-Lydisch, jetzt Aeolisch, der andere
Hoch- Lydisch.
11. 12. Zwei Mixolydische , der eine Tief-Mixolydisch, jetzt Hyper-Dorisch,
der andere Hoch-Mixolydisch, jetzt Hyper-Jasfisch.
13. Hyper-MixolydUch, auch Hyper-Phrygisch;
Diesen werden von den Neueren noch hinzugefügt ■.
14. Hyper- Aeolisch.
15. Hyper- Lydisch.
Ein jeder von diesen Tonoi ist um einen Halbion höher als der voraus-
gehende; tcill man aber von dem höchsten Tonos an beginnen, so ist der folgende
um einen Halbton tiefer als vorausgehende.
Die Berichte des Pseudo-Euklid und Aristides unterscheiden sich äusscr-
lich darin, das« das Verzeichnis des Euklid mit dem höchsten, das des Ari-
stides mit dem tiefsten Tonos beginnt. Auch der Anonymus p. 28 beginnt
wie Euklides seine Verzeichnisse der Tonoi mit dem höchsten TonoB. Ebenso
auch Bacchius. Alypius ortinet seine Verzeichnisse nach den parallelen Trans-
positions-Scalen, wie sie Pseudo-Euklid nennt. Dieselbe Anordnung lag auch
dem verstümmelten Verzeichnisse des Gaudentius zu Grunde, nicht minder auch
dem des Anonymus.
Ich habe keinen Grund gefunden, von meiner nunmehr dreissigjfthrigen
Ueberzeugung abzugehen, dass Bellermann dass Richtige dargethan, wenn er
sagt, dass mit Bezug auf die Notenzeichen der Hypo-Dorische Proslambano-
menos genau unserem F entspricht, während die Stimmung der grieehischen
Sealen um eine grosse Terz tiefer als die unserige sei. Bezüglich der Notirung
ist also der Tonos Hypodorios identisch mit unserer zwei Octaven des Basses
umfassenden F-Moll-Scala.
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XVII. Die Transpositions-Scalen. 423
1 * 1 1 * 11
Hypodor. F G As B c des es f g as b c des es f
114 11 * 1
Tief-Hy]>ophry. (Hypoiast ) Fis Ais H A eis d e fis gia a Ii eis d e Iis
11*11* 1
Hoeh-Hypophryg. GAB c d es fgabedesf g
111*11 i
Tief-Hypolyd. (Hypoaeol.) Gis Ais H eis dis e fis gis ais h eis dis e fis gis
l 1 1 * 1 1 *
Hoch-Hypolyd. A H c de fgahede f g a
4 llli 11
Dor. B c des es f ges as b c des es f ges as b
Ii 111 J 1
Tief-Phryg. (Jast.) H eis d e fis gis a h eis d e fis g a h
1 * 111} 1
Hoeh-Phryg. . c d es f g as b c d es f g as b c
11*111 1
Tief-Lyd. (Aeol.) eis dis e fis gis a h eis dis e fis gis a h eis
11*111*
Hneh-Lyd. d e f g a b c d e f g a b c d
1 * 1 1 * 1 1
Mixolyd. es f ges as b ces des es f ges as b ces des es
1 * 1 1 i l 1
Hoeh-Mixolyd. (Hyp.-Jast.) e fis gäbe d e fis g a h c d e
1 i l 1 * 11
Hyper-Mixolyd. (Hyp.-Phr.) f g as b c des es f g as b e des es f
11*11 \ 1
Hyper-Aeol. fis gis a h eis d e fis gis a h eis d c fis
11*11 \ 1
Hypcr-Lyd. g a b c d es f g a b e d es f g
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424
Aristoxeuus zweite Harmonik.
Parallele Transpositionsscalen nennen die Alten die nächst benachbarten
Scalen des Quarteu-Cirkels, welche mit einander in der xoivcuvla xatd Tetprfyopoa
stehen. In dieser Tetracliord- Verwandteehaft stehen z. B. die Hyperdorisehe,
die Dorische und die Hypodorische Scala. Die Verwandtschaft ist so zu fassen,
dass die Hyperdorische Hypate hypaton, (d.i. Unter-Quarte) zugleich die Do-
rische Mese, (d. i. Tonica), ist — die Dorische Hypate hypaton zugleich die Hy-
podorische Mese. — Die höhere Octave der Hypodorischen Scala heisst Hyper-
phrygisch, und es stehen nun wiederum Hyperphrygisch, Phrygisch und Hypo-
phrygisch in derselben Tetrachordgemeinschaft. Genau so verhält es sieh mit
der Hyperlydischcn, Lydischen und Hypolydischen Scala u. ». f. Dies ist das
Princip, nach welchem, wie oben gesagt, die Scalen- Verzeichnisse bei Alypius
Gaudentius und dem Anonymus I angeordnet sind.
Aristoxeuus selber aber hat die Tonoi nicht nach ihrer Verwandtschaft,
sondern genau wie Bach in seinem wohltemj)crirten Claviere nach ihrem A b -
stände um einen Halb ton geordnet. Wie wir aus dem Prooiuiion der
dritten Harmonik erfahren, waren schon vor ihm (bei den alten Harmonikern)
auf die Transpositionsscalen die Namen der Octaven-Gattungen oder Harmo-
nieen übertragen worden. Irgeud ein bestimmter Abschnitt eines jeden Tonos
ist nämlich identisch mit der dem Tonos gleichnamigen Octaven-Eidos. Boeckh
war der erste, welcher erkannte, dass der in Rede stehende Abschnitt eines
jeden Tonos mit solchen griechischen Vocal- Noten bezeichnet wird, welche die
umnodificirten Buchstaben des ionischen oder neu-attischen Alphabetes sind.
Unser Verzeichniss auf S. 423 zeichnet die in Rede stehenden Abschnitte eines
jeden Tonos durch eine darunter stehende gerade Linie aus.
Das Princip, die Transpositionsscalen nach den Octavengattungen zu be-
nennen, ist älter als Aristoxeuus. Doch bestand in der früheren oder frühesten
Nomenclatur der Tonoi nicht völlige Identität mit der späteren von Aristoxenus
vertretenen.
Plutarch de mus. 29 excerpirt aus einer anonymen Quelle, wahrscheinlich
einer Aristoxenischen Schrift: „floXvjAvaoToj Ii t&v Ö'öttoXüoiov vüv ovo(jia!|ö(jL£viv
xövov dlvaTtÖiaat." „Auf Polymnastos [einen alten Auloden aus der Reihe der
Begründer der zweiten musischen Katastasis Spartas] führt man den Tonos
zurück, welcher jetzt der Hypolydios genannt wird." Aus der dritten Ari-
stoxeniBchen Harmonik § 19 (vgl. unten) ergiebt sich, dass dieser Tonos des
Polymnastos die Transpositionsscala in A ist, welche weil sie über der in B
beginnenden Dorischen Transpositionsscala lag, früher „Tonos Hypodorios"
i genannt wTurde, später aber die Benennung „Hypolydisch" erlüelt. Das durch
„Hypo" gebildete Com|K>situm diente also früher zur Bezeichnung der „unmit-
telbar" (d. i. in diesem Falle einen Ganzton tiefer liegende Scala). späterhin
aber bedeutete es die um ein Quarten-Intervall tiefer liegende Scala. Aristox.
scheint es nicht zu sein, durch welchen die letztere Bedeutung von „Hyj>o" •
zuerst eingeführt wurde, denn in d6m weiterhin zu erörternden Scalen- Ver-
zeichnisse der eine Hexas von Transpositionsscalen statuirenden alten Harmo-
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XVII. Die Transpositions-Scalen.
425
niker findet sich der Name Tonos Hypophrygios für die in G beginnende
Transpositionsscala bereits in der späteren Bedeutung: „eine Quarte tiefer"
als der Tonos Phrygios. Vgl. Dritte Harmonik.
Aristoxenus aber scheint es gewesen zu sein, der die in der Zeit nach
Polymnastos die dem „Hypo" beigelegte Bedeutung consequent durchgeführt hat:
Dorisch . . . Hy po-Dorisch , Phrygisch . . . Hypo-Phrygisch , Lydisch . . .
Hypo-Ly disch. Damit war deY Anfang gemacht für die Kategorie der paral-
lelen Tonarten im Sinne der Alten (vgl. S. 424). Die Bezeichnung „Hyper"
aber wandte Aristoxenus noch nicht von der um eine Quarte höheren Scala,
sondern noch ähnlich wie Polymnastos bei seinem Tonos Hypolydios von der
unmittelbar höheren Scala an, wie aus dem Aristoxenischen Tonos „Hyper-Mixo-
lydios" hervorgeht S. 423.
Eine bedeutungsvollere und folgereichere Neuerung des Aristox. ist die,
dass er für den Umfang einer ganzen Oetav auf jeden der Grenztöne der in ihr
enthaltenen zwölf Halbtonintervalle eine Transpositionsscala und somit statt der
unmittelbar vor ihm angenommenen 7 Touoi deren 13 statuirte. Die sieben
überlieferten Scalen entsprachen genau unseren b-Touarten und der Scala ohne
Vorzeichnung. Die Kreuz -Tonarten aufgebracht zu haben, auf diesen Fort-
schritt hat Aristoxenus den Anspruch zu erheben. Auch für die Notirung der-
selben muss Aristoxenus verantwortlich gemacht werden. Bei den früheren
Tonoi war die Notirung darin mangelhaft, dass man in ihnen streng genommen
nur das enharmonische Klanggeschlecht und das auf Terpanders Vereinfachung
basirte gemischte Diatonen richtig bezeichnete, während alle übrigen Klang-
geschlechter und Mischungen in der Notation nicht vou einander gesondert
werden konnten. Vgl. S. 407. 413. Die Kreuz-Tonarten dagegen sind recht
eigentlich für die Notation ungemischter diatonischer Musik geeignet.
Aristoxenus bewies weit grössere Umsicht als der mehrere Jahrhunderte
später lebende Ptolemfius, der eine Rückkehr zu den sieben vor-Aristoxehischeu
Tonoi versucht. Aristoxenui* , wie so oft hat er auch hier prophetisch in die
Musik der Zukunft hineingegriffen. Unser grosser Joh. Seb. Bach ist es, wel-
cher zum ersten Male für ewige Zeit die sämmtlichen Scalen des Aristoxenus
aus der Theorie in die Praxis eingeführt hat.
Für die Benennung der von ihm hinzugefügten JJ - Tonarten blieb Aristo-
xenus bei dem einmal bestehenden Principe der Terminologie. In den b- Ton-
arten war die jedesmalige von f bis f reichende Octav die den Namen des
Tonos bestimmende Octavengattung. Den Namen der Tonarten bestimmte
Aristoxenus nach der um einen Halbton tiefereu Octav von e bis e. Und hier-
nach unterschied er für das Hypophrygischc , Hypolydische , und Lydische je
einen „Tonos barytoros" (alsfl-Tonart) und einen „Tonos oxyteros" (als b-Ton-
art). Einen Halbton oberhalb der Mixolydischen Scala (es Moll) liess er als
e Moll Tonart den Tonos „Mixolydios oxyteros44 folgen. Als obersten und
letzten Tonos der Octave F bis f statuirte er als höheres f Moll den Tonos
Hyj)ermixolydios.
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420
Aristoxenus zweite Harmonik.
Schon zu Lebzeiten des Aristoxenus wurde gegen das von ihm aufge-
stellte System der g- Tonarten aufs heftigste angekämpft, wie auch sonst der
geniale Neuerer bei aller seiner Umsicht, Klarheit und Gewissenhaftigkeit so
vielfach von seinen Zeitgnossen falsch verstanden wurde. In unserem Falle
ist uns zufällig überliefert, mit welchen Vorwürfen und Schmähungen ihn ein
College aus der Schule des Aristoteles, der um die Geschichtsschreibung der
Musik wohl verdiente Heraklides Ponticus, wegen der fl- Tonarten überschüt-
tete. Es mochte wohl auch ein wenig kleinlichsr Missgunst dem Heraklides
die Feder führen.
„Zu verachten sind" — so schreibt er ap. Athen. 14,625 d. — „dieje-
nigen, welche die Unterschiede der Octavengattungen einzusehen nicht im
„Stande sind, sondern lediglich der Höhe und Tiefe der Klänge folgend über
„der Mixolydischen Harmonie eine höhere und wiederum über dieser eine an-
„dere statuiren." [Ueber dem Tonos Mixolydios (in es) hatte Aristoxenus den
Tonos Mixolydios oxyteros (in e) und über diesen den Hypermixolydios (in f ) an-
genommen], „Ich sehe nämlich, dass nicht einmal das (höhere) Hypo-Phrygische
„(libb. Hyperphrygische ) ein eigenes Ethos hat, obwohl es Leute giebt, welche
„behaupten, eine andere neue Hypo-Phrygische Harmonie erfunden zu haben.
„Was nämlich eine Harmonie sein soll, muss eine eigene Art von Ethos oder Pa-
„thos haben, wie z. B. die Lokristi, welche bei einigen Zeitgenossen des Sinio-
„nides und Pindar in Aufnahme, späterhin aber in Missachtung kam.14
Heraklides* deutet mit dem „Erfinder neuer Transpositionsscalen" auf den
Aristoxenus so unverblümt, dass es der Nennung des Namens nicht bedurfte.
Seine Meinung ist, dass nur solche Transpositionsscalen zulässig sind, welche
(von F bis f) ein besonderes Eidos der Octave aufweisen. Die Lokristi, die-
selbe Octavengattung wie die Hypodorische, wird wenigstens harmonisch als
eine von diesem verschiedene Octavengattung behandelt. Was aber Aristoxe-
nus tieferes Hypolydisch nennt, die Scala in Fis, repräsentirt keine eigentüm-
liche Octavengattung, daher kann es auch keine derartige Transpositionsscala
geben. Daher die widersinnige Anschuldigung, Aristoxenus (kein anderer ist
gemeint) wisse nicht, was Octavengattung sei.
Der energische Denker war seinen Zeitgenossen zu weit vorangeschritten,
als dass sie fähig gewesen wären, ihn zu verstehen. Gab es doch noch im
letzten Deceunium Gelehrte, welche gegen die geniale Aufstellung des Chrouos
protos in ähnlicher Weise wie Aristoxenus' damalige Widersacher poleinisirten,
deneu er in einem Abschnitte der vermischten Tischgespräche mit einem Verse
aus Ibycus antwortet.
Dass Aristoxenus es gewesen, welcher die Tonoi durch die Kreuztonarten
vervollständigt (direkte Ueberlieferungen aus diesem Abschnitte seiner Har-
monik fehlen uns ja), steht mit dem ganzen Wesen seiner Arbeiten in so ge-
nauem Zusammenhange, dass wir zufolge den Exeerpten des Pseudo-Euklid und
Aristides nicht daran zweifeln können. Auf wen anders auch Hessen sich diese
Tonoi zurückführen? In der griechischen Harmonik v. J. 1867 dachte ich
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XVTI. Die Transpositions-Scalen
427
auch an den Athener Stratonikus, doch die aus Phanias stammende Notiz bei
Athenaeus 8, 352 c xai tq iidpafipa «yveuT^oato ißt zu kärglich, um darauf zu
bauen.
Von den # - Tonarten scheint zuerst die e Moll-Scaia, von Aristoxenus
„höheres Mixolydisch" genannt, als Tonart der Kitharoden und Auleten in Ge-
brauch gekommen zu sein. Vir lesen bei Plut. de mus. 37 : 'Ap-jeiou; jxsv f dp
xol xMctctv enöeival tozl ^aot ttq eU -rfjv fiouaix^v Ttapavofxla Cr^AiÄoat xe tö rpä»-
tov toi; irXelosi täv szto yprjoaoöat rap' a-itof; t«5vo»v (Ubb. yopö&v) xai itapa[Mfco-
XjoidCetv inyeipfjoavro." Die Argivei waren demnach unwillig, als in einem
musischen Agon ein Kitharode oder Aulet auftrat und die alte Heptas der
Tran^positionsscalen überschreitend sich in einer über den Tonos Mixolydios
liegenden Scala bewegte. Das Wort 7rapa{u;oX-jotdC6iv kann nichts anderes als
ein Hinausgehen über den Tonos Mixolydios bezeichnen.
Ware in der obigen Stelle des Heraklides das Wort Hyperphrygios die
richtige Lesart (wir haben dafür das auch gleich darauffolgende Wort Hypophryg.
gesetzt), dann hätten wir wohl anzunehmen, dass bereits bei Aristoxenus der
Ausdruck Tonos Hyperphrygios neben Hyper-Mixolydios gebraucht worden sei,
und unsere obige Angabe über die Anwendung des Ausdruckes „Hypcr" in
den Aristoxenischen Tonoi würde zu modificiren sein. Aber gegen die Richtig-
keit der Lesart Hyperphrygios spricht es sehr, dass alsdann Aristoxenus auf
den Namen der Transpositiousscala den Namen einer Octavcngattung über-
tragen hätte, welche mit dem betreffenden Tonos in ganz und gar keiner Be-
ziehung steht. Dies lässt sich von Aristoxenus, der ja von dem Vorwurfe des
Heraklides die Octavengattungen nicht zu kennen frei wie kein anderer ist,
nicht voraussetzen.
Noch viel weniger dürfen wir es dem Aristoxenus zutrauen, dass er es sei,
welcher das „Tief-Lydische" auch als „Aeolisch", das „Tief-Phrygische" auch
als „Jas tisch'1 bezeichnet habe, da die betreffenden Ausschnitte der Hypoly-
dischen dieser Transpositionsscalen mit der J astischen und Aeolischen Harmonie
(Octaven-Eidosi durcliaus nichts gemein haben. In der That drückt sich Aristides
so aus: „Tief-Lydisch, welches jetzt Aeolisch genannt wird". Es ist dieser die
Benennung Aeolisch hinzufügende Zusatz eine Bemerkung zu dem im Anfange
Gebrauchten: „Nach Aristoxenus' Benennung sind die Tonoi . . Das eine
ist dem anderen gegenüber gestellt. Ebenso sagt Aristides vom Ticf-Mixoly-
dischen, „welches jetzt Hyperdorisch heisst", vom Hoch-Mixolydischen, „wel-
ches jetzt Jastisch heisst."
Es ist auf Grund der angezogenen »Sätze des Aristides wohl kaum eiu
Zweifel daran verstattet, dass die ungehörigen Benennungen Jastisch und Aeo-
lisch wohl erst durch den Musiker aufgekommen sind, welcher die Zahl der
dreizehn Aristoxenischen Tonoi durch die höhere Octave des Tief-Hypophry-
gischen, genannt Hypo- Jastisch (in fis) und die höhere Octave des Hoch-Hypo-
phrygischen, genannt Hyper-Lydisch (in g) erweiterte. Und eben jener Theo-
retiker scheint kein anderer als derjenige gewesen zu sein, auf welchen wir
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428
Aristoxenus zweite Harmonik.
uns schon melirmals bezieben mussteu: ein dem Namen nach uns unbekannter
Aristoxeneer, welcher das System seines Meisters, wie es scheint, nach der
dritten Harmonik umarbeitete und die Quelle wurde, aus welcher l'seudo-
Euklid und Gaudentius, die beiden Anonymi Bellermanns, Alypius und zum
Theil auch Aristides ihre harmonischen Compendien verfasst haben.
Von besonderer Wichtigkeit ist, was offen W aus derselben Quelle d«r
erste Anonymus über die verschiedene Verwendung der Transpositionsscaleu
in den verschiedenen Zweigen der Musik excerpirt hat: 1. Orchestische Mu6ik,
d. i. Chorgesang, 2. Kitharodik, 3. Auletik, 4. Hydrauletik. Die folgende Ta-
belle stellt diese Vertheiluug der Transpositionsscalen unter die vier musika-
lischen Kunstzweige übersichtlich nach der griech. Harm. 1863 zusammen.
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XVII. Die Transpositions-Scalen.
429
Uebersicht der griechischen Transpoaitionsscalen oder Tonoi.
A.
Die zwölf Transpoaitionsscalen der gleichsohwebenden
Temperatur.
nach dem QuinUncirke) geordnet
life-^E e* Mixolydiach, Hyperdorisch
a
o
2
2
B Dorisch
^^JE F Hypodorisch
c Phrygbch .
^y^m Q Hypophrygisth
^-yzzzzi d Lydisch . .
A Hypolydisch
o
O
-i
a
Ii
:3i
:ipf— = e Hoch-Mixolyd., Hyperiastisch . .
3
g
M
5
OB
O
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U. g
e
6
o
fl
o
s*
s
s
o
in. i s
es
<-»-
er
p
i
o
a.
^jjp= H Tief-Phrygisch, lastisch . . .
pjSjj£== Fit Tief-Hypophrygisch, Hypoiast.
eis Tief- Lydisch, Aeolisch . . . .
Tj^ GwTief-Hypolydiscb, Hypoäolisch
Dazu drei Transpoaitionssoalen in
höherer Oetave.
/ Hypermixolydisch, Hyperphryg.
ungebräuch-
lich
I^Me= > Hypcräolisch Auletik
^=£$^-= g Hyperlydisch Hydrauletik
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430 Aristoxenus zweite Harmonik.
Bedürfte Friedrich Bellermanns Interpretation der griechischen Transpo-
sitionsscalen überhaupt noch einer Stütze für ihre Glaubhaftigkeit, so fände
sie dieselbe in überraschender Weise in den vorstehenden Angaben des Ano-
nymus. Deun die sieben Scalen, welche unseren b-Tonarteu, einschliesslich
der Scala ohne Vorzeichnung entsprechen, (es sind diejenigen, welche Ptolemäus
als die allein zu Recht bestehenden anerkennt und die auch von Bacchius als
die sieben" Tonoi besonders hervorgehoben werden) dienen dem musikalischen
Kunstzweige der Orc he st ik, d. h. dem Chorgesange. Die Kitharodik bringt
die in Tetrachord-Gemeinschaft (vgl. oben) stehenden Transpositionsscaleu von
einem b bis zu drei Kreuzen zur Anwendung. Die Auletik die in Tetrachord-
Gemeinschaft stehenden Scalen von Einem b bis zu zwei Kreuzen. Die Ton-
arten von drei b bis zu Einem Kreuze gehören der Hydr auletik an. Dazu
kommen von den beiden naeh-Aristoxenischen Scalen noch die Hyper-Aeolische
(höhere Scala mit drei Kreuzen) für die Auletik und die Hyper-Lydische
(höhere Scala mit zwei b) für die Hydrauletik. Die Orchestik, also auch die Chor-
gesänge Pindars, der Tragödie und Komödie, enthalten sich der Kreuztonarten,
um in unserem d. i. Bellermann'schcn Sinne zu reden. Au« der dritten Har-
monik des Aristoxenus ergiebt sich, dass diese sieben Tonarten die ältesten
waren — das orchestische Melos bleibt also bis über die Aristoxeuische Zeit
hinaus in seinen Transpositionsscaleu couservativ. Die zu jener Siebenzahl
neu hinzugekommenen Kreuztonarten gehören der Solomusik der Auletik, noch
mehr aber der Kitharodik an. Hierin liegt an sich eine schöne Vernünftigkeit
innerer Wahrheit, welche durchaus zu Gunsten der Bellermann 'sehen Inter-
pretation der Tonoi sprechen muss, denn jede andere Interpretation, welche
den Hypodorischen Proslambanomenos nicht gleich F setzt, geht dieser Logik
verlustig. Die Einzige Inconvenienz, welche dem Bellermann'schen F des hy-
podorischen Proslambanomenos entgegenstand, dass nämlich, wie Bellermann
selbst gesteht, nur die griechischen Kreuztonarten richtig notirt sein würden,
die b-Tonarten aber sämmtlich unrichtig: diese Inconvenienz fallt nach der von
mir S. 407. 412 geltend gemachten Thatsnche hinweg. Der griechische
Notenerfinder hat sämmtliche Transpositionsscaleu richtig no-
tirt — ohne auch nur einen einzigen Fehler.
Die gebräuchlichsten der griechischen Tonoi waren der Lydische und
Hypolydische (mit Einem b und ohne Vorzeichen), denn nur diese zwei kommen
zugleich in allen vier Kunstzweigen des alten Melos vor. In der That sind die
sämmtlichen Melodiereste des Griechenthums, welche uns erhalten sind, in
diesen TranspoBitionssealen notirt.
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xvm.
Die Hetabole.
Vgl. Prooimion § 23.
Von diesem letzten seiner achtzehn Abschnitte, welche Aristoxenus in
den beiden ersten seiner Harmoniken behandelte und in welchem er die inner-
halb eines Melos eintretenden Aenderungen erörterte, ist nicht einmal das In-
haltsverzeichniss des Prooimion so vollständig, dass es verständlich erhalten
wäre. Wir geben es daher auf, da es für die Aristoxenische Darstellung des
XVIIL Abschn. an jedem Fingerzeige von seiner Seite fehlt, hier etwa das-
jenige, was von Pscudo-Euklid und den übrigen, die auf Aristoxenus zurück-
gehen, über Metabole überliefert wird, zusammenzustellen. Denn meine Bear-
beitung des Aristoxenus soll keineswegs, wie dies Reilermann bei seinem Ano-
nymus beabsichtigt hat, ein Speicher für alle analogeu Stelleu der übrigen
Musikschriftsteller sein, sondern nur dasjenige, was zur Interpretation der Ari-
stoxenischen Fragmeute gehört, sollte von mir herbeigezogen werden.
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Nachschrift zur zweiten Harmonik:
Abschn. XIII. XIV.
Erst jetzt, wo der Satz der zweiten Harmonik abgeschlossen, werde ich
durch die Freundlichkeit der Verlagsbuchhandlung in den Stand gesetzt, mir die
Kenntniss der ,,Histoire et Theorie de la musique de l'antiquite par Fr. Aug.
Gevaert, Gand 1875. 1881" zu verschaffen, ein Werk, welches mir während
der Abfassung meiner Arbeit in Moskau unzugänglich blieb. Die unbedingte
Zustimmung, welche das grosse, an eigenen gelehrten Forschungen so über-
aus reichhaltige Werk dos Vorstehers des Brüssler Couservatoriums (vgl.
Hiller, Persönliches und Musikalisches) meiner schon 1863. 1867 dargelegten
Interpretation der thetischen Onomasie und meiner darauf basirten Auffassung
der gemischten Tongeschlechter und der harmonischen Bedeutung der Octaven-
gattungen zollt, darf mich — so denke ich — hinreichend entschädigen gegen-
über all' den Unbilden, welche mir genau die nämlichen Resultate meiner For-
schungen bei deutschen Gelehrten und deutschen Musikforschern eingetragen
haben. Der berühmte Direktor des Musikconservatoriums in Brüssel ist mit
dem deutschen Gymnasialdirektor in Polnisch- Lissa freilich der Ansicht, dass
„die Art wie Westphal die thetische Onomasie versteht und zu weiteren Fol-
gerungen benutzt, eine gänzliche Umwälzung in die bisherigen Anschauungen
über griechische Musik" hinein bringe. Aber er ist so weit entfernt, dies mit
Ziegler als einen mich treffenden Tadel auszusprechen, dass er vielmehr erklärt,
erst mit den aus der thetischen Onomasie gezogenen Folgerungen beginne das
Studium der griechischen Musik, bis dahin von nicht mehr als höchstens blos an-
tiquarischem Interesse, zum ersten Male auf Punkte von wirklich musikalischer
Bedeutung einzugehen und komme erst jetzt dahin, ein integrirender Theil der
Musikgeschichte zu werden, während sie früher für Musikforscher nicht das
mindeste wissenschaftliche Interesse hatte haben können: „La musique des
anciens, quo j'avais consideree jusque-la comme un sujet absolument denue.
d'interet, m'apparut tout a coup sous un jour nouveau: j'y vis un objet d'etude
attachant et digne de toute l'attcntion du musicien." Die unumwundenste An-
erkennung dem gelehrten Musiker und Musikhistoriker unseres Flamländischen
Bmderstamraes, der ein würdiger Nachfolger der alten Contrapunktiker seines
Heimatslandes nicht bloss vor heutigen deutschen Musikforschern (S. 381), son-
dern auch vor deutschen Philologen eine grössere Scharfsichtigkeit gewissen-
hafter methodischer Forschung voraus hat.
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AßlSTOXENÜS THEORIE DES MELOS.
SIEBENTHEILIGE HARMONIK.
Art
. Melik u. Rhythmik.
28
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Die beiden 18-theiligen Werke über das Melps (erste und zweite Harm.)
hat Aristoxenus in der vorliegenden Harmonik zu einem 7-theiligen umgearbeitet,
indem er die „Eingangs- Abschnitte" ausliess und dafür als letzten Abschnitt
„die Mclopoeie" hinzufügte, den er früher als eine von der Harmonik getrennte
Schrift (Vorlesung) behandelt hatte.
Das erste harmonische Werk des Aristoxenus, in gleicher Weise auch
das zweite, der stete Doppelgänger des ersten, enthielt zwei Haupt-Theile, von
denen 4er erste die Elemente der Harmonik im Umrisse behandelte: „td h
dpXV (topische Bewegung der Stimme Höhe und Tiefe u. s. w.) während der
zweite Haupttheil die in Euklidischer Manier streng beweisenden „oxoiyeia"
enthielt Der erste Haupttheil begann mit einem die einzelneu Abschnitte der
ganzen Darstellung angebenden Prooimion.
Von dem siebentheiligen harmonischen Werke des Aristoxenus ist in den
Handschriften nichts als das Prooimion erhalten. Die handschriftliche Ueber-
lieferung giebt demselben die Ueberschrift:
'ApiOTO^ivou otpfiovtx&v oroiyetouv d.
Schon Didymus aus dem Anfange der römischen Kaiserzeit citirt bei
Porphyr, ad. Ptolem. 210 eine Stelle des Prooimions „iv Ttp irpooi|xlu> toü irptu-
to*j töjv dpp.oxtxä>v ercotyetav."
Gegen die Aechtheit des Titels liegt nicht das mindeste Bedenken vor.
Das Werk enthält in der That (freilich in gänzlich veränderter Anordnung)
nur eine solche Darstellung, welche dem in der ersten und der zweiten Harmonik
enthaltenen zweiten Haupttheile d. i. den nicht im Umrisse darstellenden, sondern
streng beweisenden und ausführlichen Stoicheia entspricht Zu einer dem ersten
Haupttheile jener beiden Werke entsprechenden Partie ist im vorliegenden
Werke ga»kein Platz: in diesem Werke kann unmöglich irgendwo von der
topischen Bewegung der Stimme gehandelt sein. Auch Porphyrius aus dei
Zeit des Diokletian , welcher ad Ptolem. p. 297 unser erstes Buch der dritten
Harmonik als „rp&xov tö>n dp[AOvmd>v oror/ettov" citirt, kannte dasselbe nur so,
dass darin mit dem Abschnitte von den Tongcschlechtern begonnen wurde,
nicht mit der Lehre vom Klange: er berichtet p. 258, dass Aristoxenus eben
deshalb von einigen seiner Nachfolger getadelt werde, weil er sofort mit den
Tongeschlechtern den Anfang mache.
28*
»
-
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436 Aristoxenus siebentheilige Harmonik.
Ja, wie mochte Aristoxenus dazu gekommen sein, dass er in -seiner dritten
Darstellung der Lehre vom Melos die so ausserordentlich lehrreichen und
werthvollen Auseinandersetzungen von der topischen Bewegung der Stimme
aus der ersten und der zweiten Darstellung der melischen Wissenschaft zu
wiederholen verschmäht? Weshalb hat er in der dritten Darstellung die Ab-
schnitte xd £v dp/jg so vollständig ausgelassen?
Im Prooimion § 25 sagt Aristoxenus:
"Oft iort jx£po? Tf]c ay(A7:dloTf)4 £',>v£oea>s xö EtaioöaveoBoi xöv p.e-
■yeööv out&v, i\iyßri (*£v ira>s xal is dp/T).
Auch in der „dpyj?]" will Aristoxenus gesagt haben, dass die genaue Auf-
fassung der Iutervallgrössen kein Theil der gesammten Musik- Wissenschaft ist.
Welche Stelle hat Aristoxenus im Auge, an der er dergleichen gesagt habe?
Das Wort dpyij kann hier nicht verstanden werden wie in dem § 2 desselben
Prooünions: „3£).xiov 8e xi\ r^iv spalvexai, xaÖdrcep e(rc©{i.ev £v dpyr), xo r.poubi-
vai." Denn mit diesen Worten recurrirt Aristoxenus auf die ersten Anfangs-
worte des Prooimions § 1. Dem Prooimion aber kann unmöglich in demselben
Werke ein Eingangsthcil vorausgegangen sein, da das Prooimion selber den
ersten Eingang bildet.
Wir werden mit Notwendigkeit darauf hingeführt, dass jenes Citat § 25
ähnlich verstanden werden will wie jene Stellen im Prooimion der ersten Har-
monik, in welchen sich Aristoxenus mit Hinweisungen wie. „ii tot; f^TrpooÖEV* auf
die „M&ai x&v äp|AOvtxä>v" beruft, jene Auseinandersetzung der Ansichten der
Harmoniker, welche neben der ersten Harmonik eine als selbstständige Schrift
geltende Einleitung bildete, wie wir dieses S. 200 nachgewiesen haben.
So gab es auch neben der siebentheil. Harmonik, welche den Titel „ipjAovtxd
OTOixeta" trügt, noch eine besondere ihr als Einleitung dienende Darstellung
der „ Eingangs- Abschnitte der mejischen Wissenschaft", die im Ganzen den-
selben Inhalt wie die Eingangs- Abschnitte (xd iv dp/tj) der ersten und zweiten
Harmonik hatte, aber ausserdem auch noch manches dort nicht Vorkommende
enthalten mochte, wie z. B. das in dem betreffenden § 25 der siebentheiligen
Harmonik von Aristoxenus kürzlich Rccapitulirte.
Von den 18 Abschnitten der ersten Harmonik gehören die ersten zehn
sammt dem Prooimion dem ersten Haupttheil au (xoi; iv dpyjj), die darauf fol-
genden acht Abschnitte den Stoicheia. Die letzteren arbeitet Aristoxenus in der
siebentheiligen Harmonik in der Weise um, dass er Abschn. XI (die einfachen und
zusammengesetzten Intervalle) und XII (die emmelische Zusammensetzung der
Intervalle) zum II. Abschnitte rcepi oiaox7)|Adxa)wereint, der in der ersten Harmonik
enthaltenen Auseinandersetzung über die Stimmlagen (XVI) keinen besonderen
Abschnitt widmet, sondern etwa im Anschlüsse an Abschn. I repl ^ö^ms be-
handelt So werden zunächst die acht letzten Abschnitte der ersten Harmonik
in der siebentheiligen auf sechs Abschnitte reducirt und diesen als siebenter
ein Abschnitt zepl ^eUrotia; angehängt, dem früher ein eigenes Werk (Vor-
lesung) gewidmet war.
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Aristoxenuw siebentheilige Harmonik.
437
Stoicheia
erster u. zweiter Harmonik
XIV. |a($£U täv yev&v
Stoicheia.
Siebentheilige Harmonik.
I. repl yev">v
XI. Einfache und zusammengesetzte Intervalle.
XII. Emmelische Zusammensetzung der einfachen.
II. Tiepi SiaoxTjfjiaTajv
XV. Die Klänge der Scala.
XVI. Die verschiedenen Stimmlagen.
ni. rspl <pt)6Y7tov
Xin. Die Systeme.
IV. 7<1 ouor/)fxata
XVn. Die Tonoi.
V. -6 zepl to'j; tovoj;
XVIU. Die Metabole.
VI. repl |A6TißoXfj;
VII. rtpl (i.eXo7Wila«.
In den gemischten Tischreden (Plut. de mus. c. 33) nennt Aristoxenus
sechs Theile der Harmonik, genau die hier vorstehenden I— VI der dritten
Harmonik. Die Melopoeie wird dort nicht genannt. Müssen wir demzufolge
annehmen, dass es ausser der ersten, zweiten und dieser siebentheiligen Har-
monik noch eine dieser Harmonik gleichförmige sechstheilige Behandlung des-
selben Gegenstandes gegeben habe, in welche die Melopoeie noch nicht
aufgenommen war ?
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ERSTES BUCH.
Prooimion.
§ 1. Es scheint zweckmässig, wenn wir uns im Voraus mit
den wesentlichsten Eigentümlichkeiten unserer Disciplin bekannt
machen. Denn auf diese Weise lernen wir gleichsam vorher den
Weg kennen, den wir zu durchschreiten haben; werden wissen,
auf welcher Stelle desselben wir uns befinden, und somit leichter
vorwärts kommen*); wir entgehen aber auch der Gefahr, uns von
unserem Gegenstande eine verkehrte Vorstellung zu machen. Dies
letztere war, wie Aristoteles stets zu erzählen liebte, bei der Mehr-
zahl von Plato's Zuhörern der Fall, wenn dieser seine Vorlesung
über das Gute hielt. Ein jeder kam nämlich in der Voraussetzung,
hier das zu finden, was er unter die Güter des menschlichen Daseins
rechnete: Reichthum, Gesundheit, Körperkraft oder irgend sonst ein
vorzügliches Glücksgut; wenn aber nun die Auseinandersetzungen
über Mathematik, Arithmetik, Geometrie, Astronomie zum Vorschein
kamen mit dem schliesslichen Resultate, dass es nur Ein Gutes gebe**)
da kam ihnen das freilich sehr unerwartet: sie missachteten dann
den Gegenstand oder sprachen sich gar tadelnd über ihn aus. Und
was war der Grund? Sie hatten denselben nicht im Voraus kenneu
gelernt, sondern waren wie die Eristiker (Wortstreiter von Profession)
blos auf den Namen hin voll Erwartung herbeigekommen***); hätte
man ihnen im Voraus den Gegenstand klar bezeichnet, so hätten ihn
diejenigen, welche an der Vorlesung Theil zu nehmen beabsichtigten,
kennen gelernt und wären, falls er ihnen behagte, bei dem gefassten
Vorsatze geblieben. Aus diesem Grunde liebte es nun auch Aristoteles
selber, denjenigen, welche bei ihm hören wollten, Inhalt und Wesen
der betreffenden Disciplin im Voraus auseinanderzusetzen.
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Prooimion. 439
*) Ein sonderbares Zusammentreffen, dass ebenso, wie Aristoxenus seine
dritte Harmonik, unter den modernen Musiktheoretikern der berühmte Matthe-
son seinen „Vollkommenen Capellmeistcr (Hamburg 1739)" einleitet. Denn hier
heisst es in einer freilich selbstverständlich weitschweifigeren Ausdrucksweise
als in dem knappen Style des Aristotelikers § 1. „Wer reisen will, thut sehr wohl
daran, dass er sich mittelst einer guten Land- oder See-Karte denjenigen Weg,
welchen er zu nehmen gedenkt, in etwas vorher bekannt macht: und die Orte,
worauf er zustossen muss, nach ihrer Lage und Beschaffenheit, so wie sie einander
folgen, überhaupt in Erwägung zieht, ehe er den Fuss aus der Stelle setzet,,
§ 2. Eben also handelt ein Lehrbegieriger klüglich, der willens, ist, in dieser
oder jener Wissenschaft mit gutem Glücke fortzuschreiten , wenn er sich die
zu seinem Endzwecke nöthigen Stücke, in einem allgemeinen Entwurf, zum
Voraus dergestalt bemerke, dass er einen so richtigen als kurzen Begriff von
der ganzen Sache auf einmal erlangen, und seinen Lauf desto gewisser voll-
enden möge."
•*) Richtig die Uebersetzung von Ch.-Em. Euelle p. 47: „Mais quand on
voyait que ses discours roulaient sur les sciences teile que rarithmetique, la
geometrie, rastronomie, et enfin sur ce theme que „le bien c'est l'unite," a
mon avis, l'etade de questions de cette sorte trompait singulierement l'attente
de son auditoire." Paul Marquard giebt die Uebersetzung: „Als nun aber die
Erörterungen über Mathematik und Zahlen, Geometrie und Astrologie und
dass die Grenze ein Gut ist zum Vorschein kam . . ." Schon der aller-
früheste Uebersetzer v.J. 1562 kennt den Sinn: „Verum ubi sermones prodiere
de diseiplinis, ac numeris, et Geometria atque Astrologia, denique quod
bonum illud non nisi unum sit," immane quam absurda iis uideri oratio
caepit." Meibom: „denique Unum tantum esse bonum."
***) Ruelle : „Bs's'approchaicnt, et, bouche b&inte, ä la maniere des plai-
deurs, ils atteudaient le titre meme de la Conference.
§ 2. Und auch mir scheint es, wie ich zu Anfang (§ 1) bemerkte,
zweckmässig, dass eine allgemeine Kenntniss dessen, was ich Har-
monik nenne, vorausgehe, weil sonst oft eine zweifache Irrung statt-
finden kann. T)ie einen denken, die Disciplin sei etwas gar Grosses
und reiche aus für die gesammte musikalische Bildung, und was
noch mehr ist, es glauben einige sogar, dass sie durch den Besuch
der Vorlesung nicht nur Musiker, sondern auch in ihrem Charakter
veredelt würden, und zwar glauben sie dies deshalb, weil sie miss-
verstanden, was wir in unseren Vorlesungen (über Melopoie)*), wenn**)
wir in den einzelnen Arten der Melopoeie zu componiren unternahmen,
zu erörtern pflegten, dass nämlich die eine Compositionsweise nach-
theilig, die andere vortheilhaft auf den Charakter einwirke, — ein
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440 Aristoxenus siebentheilige Harmonik '§ 2—7.
Missverständniss, bei welchem sie den vorteilhaften Einfluss, den
die Musik insgesammt***) gewähren kann, ganz und gar nicht erfasst
haben.
•) Vgl. oben S. 189.
**) 3t<xv iretptdfxeöa zu lesen statt des handschriftlichen 3ti it.
***) Zti (xai) xad' 8<jov [xouatx^ Marq. uach den Handschriften. Dies ist
corrapt für xctd' 5Xov {aouoix^. Die ursprüngliche Lesart ist aus einer in den
Text gekommenen Randglosse xal tö 6Xov ttj; (Aouotxfj; herzustellen.
§ 3. Andere aber halten unsere Disciplin mit Nichten für etwas
Grosses, sondern vielmehr für etwas höchst Unbedeutendes und be-
suchen die Vorlesung nur. deswegen, weil sie nicht ganz und gar
des Gegenstandes unkundig bleiben wollen.
Aber keines von beiden ist das richtige, denn die Harmonik
darf auf ihrem gegenwärtigen Staudpunkte weder gering geachtet,
noch aber auch in der Weise überschätzt werden, als ob sie wie
einige glauben für Alles, was sich auf Musikkenntniss bezieht, aus-
reichend sei. Denn ausser Harmonik gehört, wie ich stets sage*),
noch vieles andere in die Sphäre des Musikers: sie ist ebenso wie
die Rhythmik, die Metrik, die Organik nur ein blosser Theil von
dem, was zum Bereiche des Musikers gehört,**)
Wir haben nunmehr von der Harmonik selber und von ihren
Theilen zu reden.
*) So z. B. in den vermischten Tischreden Plutarch de mus. 33. Marq.
übersetzt: „Viele andere Dinge nämlich giebt es noch für den Musiker als
was immer gesagt wird." In der handschriftlichen Ueberlieferung fehlt das
Wort tovto „HoXXd Y<ip S^) xal Itepa brcdp^ei (touto) xaftaTrep del "kiytzai".
**) jx£po; t) dpfiovtx-j) rfj; toü (aouuixoü ISeco; wie erste Harmonik § 1 a&TT)
Die Disciplin der. Harmonik im Allgemeinen.
•
§ 4. Im Allgemeinen ist zu merken, dass sich nach unserer
Auffassung die Theorie der Harmonik auf die Art und Weise bezieht,
wie in einem jedem (musikalischen) Melos die (Vocal- oder Instru-
mental-*) Stimme der natürlichen Beschaffenheit nach auf- und ab-
steigend die (verschiedenen) Intervalle setzt. Wir unsererseits Ham-
ich behaupten, dass die Stimme eine in der Natur begründete
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Prooimion. 441
Bewegung ausführt und dass die Intervalle von ihr nicht nach Be-
lieben und Zufall gesetzt werden.
*) Zu lesen „Y^voiievou £v cpojvijj tc (<£vBp<o-tv7)) xotl äpfdvoic.
§ 5. Und hierfür versuchen wir Beweise zu geben in Ueber-
einstimmung mit der Wirklichkeit, aber nicht in der Manier unserer
Vorgänger, von denen die Einen, auf fremdes Gebiet abschweifend,
die sinnliche Wahrnehmung, weil sie flicht genau sei, unberücksich-
tigt lassen und dagegen abstracte Reflexionsgründe und die Be-
hauptung aussprechen, die Tonhöhe und Tontiefe bestehe in gewissen
Zahlen- und Geschwindigkeitsverhältnissen, die aller unpassendsten
und der Wirklichkeit widersprechendsten Sätze aufstellend, während
die anderen von unseren Vorgängern [Lasos?] ihre Sätze ohne Be-
gründung und Nachweis in Form von Orakelsprüchen aussprechen.
Wir dagegen machen den Versuch Axiome aufzustellen, welche
allen der Musik Kundigen augenfällige Wahrheit sind, und dann für
das aus diesen Axiomen Folgende den Beweis zu geben.
So bezieht sich nach unserer Auffassung die Theorie der Har-
monik im Allgemeinen auf jedes musikalische durch Vocal- oder
Instrumentalstimme hervorgebrachte Melos.
§ 6. Zurückzuführen aber ist unsere DiscipÜn auf zweierlei,
auf die durch das Gehör vermittelte sinnliche Wahruelunung und auf
die Denkthätigkeit. Mit dem Gehöre prüfen wir die Grösse der
Intervalle, mit unserem Denken untersuchen wir die jedesmalige
Bedeutung derselben.
§ 7. Man muss sich nun gewöhnen, jedes genau zu unter-
suchen. In der Geometrie pflegt man zu sagen: „dies sei
eine gerade Linie"; aber mit solchen Worten kann man bei den
Intervallen nicht fertig werden. Die Kratt der sinnlichen Wahr-
nehmung ist es keineswegs, deren der Geometer bedarf; sein Auge
bedarf nicht der Uebung, das Gerade oder das Krumme und der-
gleichen schlecht oder gut zu beurtheilen, vielmehr ist dies die
Sache des Zimmermanns, des Drechslers und anderer Beschäftigungen ;
für den Musiker dagegen hat die Schärfe der sinnlichen Beobach-
tung fast die Stellung einer obersten Fundamentalbedingung, denn
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442 Aristoxenus siebentheilige Harmonik § 7—10.
es ist nicht möglich, bei ungenügender sinnlicher Wahrnehmung über
das, was man nicht wahrnimmt, richtig zu sprechen. Es wird dies
beim Fortgange unserer Untersuchung klar werden.
Ueber Aristoxenus Verhältnis« zur Geometrie vgl. oben S. 801. 302.
§ 8. Es ist nun weiter zu berücksichtigen, dass es die Wissen-
schaft der Musik mit Unveränderlichem und Veränderlichem zu thun
hat, etwas was sich auf die* gesammte Musikwissenschaft und auf
jeden ihrer Theile bezieht. So nehmen wir gleich beim Unterschied
der Tongeschlechter wahr, dass das umschliessende (Intervall) unver-
änderlich ist, während die mittleren sich ändern. Wir nennen
ferner, ohne dass die Intervallgrösse sich ändert, das eine Intervall
„Hypate und Mese", das andere „Paramesos und Nete", denn bei
unveränderter Intervallgrösse können sich die Bedeutungen der
Töne verändern. Und ferner giebt es bei derselben Intervallgrösse,
z. B. der Quarte, der Quinte und anderen jedesmal mehrere Sche-
mata. Und ebenso findet bei ein und demselben Intervalle, je nach-
dem es an dieser oder jener Stelle vorkommt, entweder eine Meta-
bole statt oder nicht (S. 113 ff.).
§ 9. Auch in der Theorie der Rhythmen sehen wir vieles dieser
Art. Constant ist das Verhältniss, durch welches der Takt bestimmt
wird, aber die Taktgrösse ist variabel unter dem Einflüsse der Agoge.
Constant die Taktgrösse, aber die Taktart wird ungleich. Dieselbe
Taktgrösse gilt als Monopodie und Dipodie; — auch die Taktunter-
schiede der Diairesen und der Schemata entstehen auf Grund einer
constanten Grösse.
Ueberhaupt aber führt die fthythmopoeie mannigfache Bewe-
gungen aller Art aus, während die Takte, wodurch wir den Rhythmus
markiren, einfache sind und stets dieselben bleiben.
Bei dieser Eigentümlichkeit der Musikwissenschaft ist es nöthig,
auch in Beziehung auf das Hermosmenon die Reflexion wie die
sinnliche Wahrnehmung an ein richtiges Scheiden des Unveränder-
lichen und Veränderlichen zu gewöhnen.
§ 10.*) Dass aber das Verstehen eines jeden Melodumenon mit
dem Gehör und mit der Reflexion jedem Unterschiede nach den Vor-
gängen Folge leistet**)
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Prooimiou.
443
denn in einem Werden tritt das Melos wie die übrigen Stücke
der Musik zu Tage;
denn aus diesen zwei Kräften resultirt das Verständniss der
Musik, aus der sinnlichen Wahrnehmung und dem Gedächtnisse:
wahrzunehmen haben wir das Geschehende, im Gedächtnisse zu be-
halten was geschehen ist Auf andere Weise kann man das, was
in der Musik vorgeht, nicht auffassen.***)
*) Was im § 10 enthalten ist, steht in den Handschriften hinter dem
ersten Satze des § 23. Der § 10 enthält drei abgerissene lückenhafte Sätze,
von denen Marq. S. 145 sagt: „Die hier vorhandenen Lücken sind nicht von
der Art, dass sie nur der Nachlässigkeit eines Abschreibers zuzuschreiben
wären."
**) toü YT*0!*^01» «apaxoXouftei Vgl. § 12 „el fjiXXo|*6v äxoXou&eiv toi; ft-j-
vo|iivau lv toi; fhtat oia'f opat;". Ueber die irapa-AoXoüö^oi; in der Musik spricht
Aristoxenus bei Plutarch de mus. 35.
••*) Marquard S. 327 giebt die Erläuterung: „Dieser Satz ist dem von Ari-
stoteles [?] und seiner Schule aufgestellten Systeme der Künste entlehnt, welches
von Westphal zuerst aus der Verborgenheit hervorgezogen und in seiner Har-
monik § 1 ff. näher entwickelt ist. Darnach bildet die Musik mit der Orchcstik
und Poesie die Klasse der praktischen Künste, d. h. derjenigen, welche zu ihrer
Vergegenwärtigung noch einer besondern darstellenden Thätigkeit des TrpaxTi-
xdv bedürfen, während die andere Klasse, Architektur, Plastik und Malerei
durch den Act des Schaffens auch sogleich den Sinnen wahrnehmbar werden,
sogleich fertig sind und daher apotelestische genannt werden. 9 Hinter diesem
scheinbar äusserlichen Unterschied liegt der tiefere der Ruhe und Bewegung,
in welchen die Idee des Schönen zur Darstellung kommt. Das innerste Wesen
der apotelestischen Künste ist die Ruhe: in einem einzigen Moment erfasst der
Künstler die Idee, daher ist das Werk fertig, sobald er sie in den Stoff hinein-
gebildet hat, und wie es in einem einzigen Momeute coneipirt ist, so sind wir
auch im Stande, es in einem Moment zu erfassen, mit einem Blicke, wir
schauen es an.
Das Lebenselement der praktischen Künste dagegen ist die Bewegung;
die Idee tritt nicht im räumlichen Nebeneinander, sondern in zeitlicher Aus-
dehnung, im Nacheinander, in die Wirklichkeit, und so allein kann der Künst-
ler sie auch nur erfassen und dem an sich schon flüssigen Stoff einbilden. Wrir
können dergleichen Kunstwerke daher auch nicht mit einem Blick, in einem
Moment erfassen, wir schauen sie nicht an, wir lesen sie, d. h. wir nehmen
ein Stück derselben nach dem andern mit den Sinnen auf, und Aristoxenus hat
daher sehr Recht, wenn er sagt, die Harmonik wie alle Musik trete in einem
Werden zu Tage. Es ist sehr zu beklagen, dass diese Stelle gerade so höchst
mangelhaft erxccrpirt ist, wir würden sonst vielleicht noch weitere Aufschlüsse
über jenes System erhalten. Jedenfalls hat Westphal sehr Recht, ihm grosses
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444 Aristoxenu8 sicbeutheiligc Harmonik § 11.
Lob zu spenden; ein eingehendere* Nachdenken führt von diesen Gesichts-
punkten aus zu sehr klaren und unzweifelhaften Resultaten. (Vergl. auch den
Aufsatz „Apologisinen" in der deutschen Musikzeitung. Wien 1862 No. 50—52).'*
Aus der vorliegenden Stelle der dritten Harmonik ergiebt sich, dass der-
jenige Aristoteliker, welcher den Unterschied der x£yvat dTtoxeXeaxtxal aufgestellt
hat, nicht Lucius oder Lucilius von Tarrha ist, den ich griech. Harm. 1864, § 1
darunter vermuthete, sondern kein anderer als Aristoxenus. In welchem seiner
Werke hat Aristoxenus darüber gesprochen? In einem seiner Sammelwerke?
Den oüfAfjitxTa ay|jiTtoxixd?
Die sieben Theile der Harmonik.
§ 11. Die Wissenschaft nun, welche wir Harmonik nennen,
ist kurz zu sagen eine derartige, wie wir sie eben angedeutet. Sie
zerfällt in sieben Abschnitte.
Wie sich die sieben Theile der als dritte Harmonik vorliegenden Stoicheia
zu den letzten acht Theilen der in der ersten und der zweiten Harmonik vor
liegenden Abschnitte verhalten, ist S. 437 angegeben.
Die Abschnitte der dritten Aristoxenischen Harmonik sollen folgende sein :
a fevfy ß' Ttepi oiaorTjfidtwv. •( Ttepl h' Ttepl ovoxTjfAdxcov. e' ?ö Ttepl
x*5vou;. Ttepl (j.eTaßoXfj;. £. Ttepl peXoTtottac
Dieselben Abschnitte mit Ausnahme des siebenten zählt Aristoxenus in
den gemischten Tischreden Plut. de mus. p. 33. 'H fiiv dp(xo>tx-?j * ^evöv xe toü
■fjpliocfUvou, ß' xal Siaarr.jjidTtuv, f' xal cuox7)|AdxcDV, 5' xal <fUn<ov, t xal
veuv, xal fAtraßoXtuv <rj3TT)|j.axtxdr« iaxi fvajaTixTj.
Diese Abschnitte legt auch Ptolemäus zu Grunde. VgL oben S. 368.
Die mittelbar auf Aristoxenus zurückgehenden Musikschriftsteller der
Kaiserzeit haben sammtlich die acht Abschnitte der dritten Harmonik, doch
mit der höchst auffallenden Abweichung, dass sie sämmtlich den dritten Ab-
schnitt des Aristoxenus zum ersten machen. Schon dies allein dürfte als Be-
weis gelten, dass sie nicht unmittelbar die Aristoxenische Schrift, sondern die
nach derselben gemachte Umarbeitung eines Aristoxeneers vor Augen hatten.
Pseudo- Euklid: a' Ttepl ^Ö<$yy<»v. ß' Ttepl 5iaoTt)p.dxa>v. f Ttepl frvä».
5' Ttepl ovarrjjxdTtov. t Ttepl t<Sv«jv. Ttepl fiexaßoXfj;. C' Ttepl («XoTtötlac.
Aristidcs: a' Ttepl cpftö^Y^v. ß' Ttepl 5ioTnjfjidtajv. f' repl ov»anj{xdxujv.
h' Ttepl Ytvdiv. e' 7tepl xövaiv. c' Ttepl fiexaßoX-f);. C Ttepl peXoTtotlac.
Alypius nennt folgende Abschnitte: a' Ttepl (p&ö^aiv. ß' Ttepl StaaTTjjxdtuiv.
l' Ttepl o'j»xirj|i.dTaiv. h' Ttepl Yevdiv. e' Ttepl xövow. «' Ttepl jiexaßoX-fj;. C *spl
fieXoTtoita;.
Gaudentius p. 1: 'Apfiovixol X^ot etöi jxev ouxot • a' Ttepl fBänout. ß' xal
fcta<mf)jj.aTa. f' xal ouar^fiata. (§' xal "jeV/}). t x<5vo'jc xe. t xal jAexaßoXac.
C xal (xeXoTtoita; xaxd itdvxa xd y^t) dpjAOvla;.
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Prooimion.
445
Anonymus § 20. KccpdXata r?]« dp|j.ONtxf(c iirzi • o' Ttepl yMfyas. [i' zept
oiaar»)fidTtüv. y' repl ouoT/(p.aTa)v. 5' irepl yev&v. e' repl tövujv. c' irepl ixeTO-
ßoXäiv. C' ~epi (JteXorotta;.
Anonymus § 31. Td xuptc&Tata eirrd tfvra • a' 7tepl <pJMyyaiv. fi' i»pi oiaatTj-
(xdTrov. y' repl ouarrjixdTwv. I' itepi yev&v. e' Trcpl xovaiv. c' *epl {AeraßoXäv.
C :cepl aO?f,; rfjc fieXoirotfa;.
Man sieht, dass die Anordnung der späteren Musikschriftsteller unter
einander nur darin abweichen, dass bei Pseuthv Euklid zuerst die Gene darauf
folgend die Systemata behandelt wurden, eine Varietät, welche dem Pseudo-
Euklid durchaus individuell ist; natürlicher ist die Anordnung bei seinen Ge-
nossen.
Es wäre wohl nöthig und vielleicht nicht ohne Nutzen, das Verhältniss
dieser Musikschriftsteller zu ihrem Originale und einer etwa noch daneben be-
nutzten Quelle ins Einzelne zu verfolgen. Doch müssen wir davon an dieser
Stelle abstehen. Aristides bearbeitet «eine Quelle am freiesten. Er thut dies
als Platouiker: vgl. p. 5, wo er sich auf den philosophischen Standpunkt des
Timäus stellt. Das von allen diesen Musikern gemeinsam benutzte Werk des
Aristoxeneers legt als Hauptwerk des Aristoxenus dessen dritte Harmonik zu
Grunde. Doch da nicht wenige seiner Excerptoren vor dem ersten Abschnitte
über die Phthougoi noch die in der ersten Harmonik vorkommende Unterschei-
dung der continuirlichen und diaatematischen Bewegung der Stimme berühren
(Euklid p. 2, Aristides p. 7, Nikomodus p. 3, Gaudentius p.2, Bacchius p. 2),
so ist anzunehmen, dass auch diese Partie in der von ihnen gemeinsam be-
nutzten Quelle gestanden hat. Porphyrius ad. Ptolem. p. 258 berichtet, dass
Aristoxenus von einigen getadelt werde, weil er in seiner dritten Harmonik
sofort mit den Tongeschlechtern den Anfang mache. Die Vcrmuthung liegt
nahe, dass der die dritte Harmonik umarbeitende Aristoxeneer eben derjenige
war, welcher es nicht billigte, dass in den Stoicheia der dritten Harmonik die
wichtigen Auseinandersetzungen über die Bewegungsarten der Stimme u. s. w.
nicht mit aufgenommen waren, und der deshalb diese Punkte im Anfang seines
Auszuges aus dem Anfange der ersten Harmonik hinzufügte. Bei diesem Ab-
schnitte über die beiden Bewegungsarten der Stimme wendet sich einer der
in Rede stehenden Musikschriftsteller von der Arbeit des umarbeitenden Ari-
stoxeneers zu dem Uroriginale d. i. der ersten Harmonik des Aristoxenus. Auch
Aristides hat in diesem Abschnitte die Besonderheit, dass er p. 7 ausser den
beiden in der ersten Harmonik vorkommenden Bewegungsarten der Stimme,
noch eine dritte nennt — : ausser der oiwe-^t und der otaaTtjfAaTtx"?) noch die
piei}, „7j td; Täiv Ttoajud-ccDv dvayvd»sei; zoioufjiedo". Dieselbe auch bei Porphy-
rius als „dvayvüjorix-f)".
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44G Aristoxenus siebentheilige Harmonik § 12—17.
L
Die Tougeschlechtcr.
§ 12. Einer und zwar der erste von ihnen ist die Unterschei-
dung der Tongeschlechter und der Nachweis, was da unveränderlich
und was veränderlich ist, um diese Unterschiede entstehen zu lassen.
Noch niemals ist dies von irgend Jemand unterschieden wor-
den. Denn die Harmoniker handeln nicht von den zwei übrigen
Tongeschlechtern, sondern blos von der Enharmonik. Diejenigen,
welche sich mit den Instrumenten beschäftigten, beachteten zwar
jedes der drei Tongeschlechter, aber schon dies, wann aus der En-
harmonik das Chroma zu werden beginnt und dergl. hat keiner von
ihnen bemerkt, denn da sie nicht auf jegliche Art der Melopoeie be-
dacht und auch nicht gewohnt waren, derartige Unterschiede genau zu
erörtern, so beachteten sie die Tongeschlechter nicht in Betreff der
einzelnen Chroai und hatten auch nicht eingesehen, dass bei den
Unterschieden der Tongeschlechter gewisse Topoi für die veränder-
lichen vorhanden waren.
Dies ist es etwa, weshalb früher die Tongeschlechter nicht be-
stimmt waren; dass sie aoer bestimmt werden müssen, wenn wir
den durch sie gegebenen Unterschieden nachgehen wollen, ist selbst-
verständlich.
II.
Die Intervalle.
§ 13. Das eben Angegebene bildet also den ersten Abschnitt.
Der zweite besteht in der Lehre von den Intervallen, wobei wir,
soweit es möglich ist, keinen der dort vorkommenden Unterschiede
auslassen dürfen.
Nahezu die meisten dieser Unterschiede sind, um es kurz zu
sagen, bisher noch nicht berücksichtigt worden; aber es ist nicht
zu verkennen, dass so oft uns eine der noch fehlenden und nicht
beachteten Intervall Verschiedenheiten entgegen tritt, wir alsdann
auch die in den Melodumena vorkommenden Verschiedenheiten
nicht verstehen werden.
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Prooimion. 447
in.
Die Scala-Klänge.
§ 14. Doch reichen die Intervalle nicht für die Erkenntniss
der Klänge aus. Denn, um es kurz zu sagen, es sind zwei in dem-
selben Intervalle von einander abstehende Klänge an der einen Stelle
der Scala von einer anderen Geltung als an der anderen Stelle,
und so wird der dritte Theil der ganzen Disciplin in der Lehre von
den Klängen der Scala bestehen, welche es sind und welches der sie
kennzeichnende Unterschied ist, und ob es, wie die meisten annehmen,
blos verschiedene höhere und tiefere Tonstufen sind, oder ob sie
noch eine besondere Bedeutung haben, und insbesondere, worin
diese besondere Bedeutung (Dynamis) besteht Denn nichts von dem
allen haben diejenigen, welche darüber handeln, klar erkannt.
Die Systeme.
§ 15. Ein vierter Abschnitt wird die Darstellung der Systeme
sein, nach ihrer Zahl, ihrer Beschaffenheit und ihrer Zusammen-
setzung aus Intervallen und Scala-Tönen.
Zweierlei haben die Vorgänger bei den Systemen nicht berück-
sichtigt. Einmal haben sie nicht untersucht, ob die Systeme auf
jede Weise aus Intervallen zusammengesetzt werden und ob keine
Zusammensetzung widernatürlich ist; sodann sind die bei den
Systemen sich ergebenden Unterschiede in ihrer Gesammtheit noch
von keinem aufgezählt worden.
§ 16. Denn was das erstere betrifft, es ist von unsern Vor-
gängern noch kein Wort über das Emmelische und Ekmelische ge-
sagt.*) Rücksichtlich des Emmeliseheu und Ekmelischen aber ist die
Anordnung der Intervalle eine ähnliche wie sie beim Sprechen in Be-
zug auf die Anordnung der Buchstaben besteht; denn nicht durch
jede Art von Zusammensetzung der nämlichen Buchstaben entsteht
eine Sylbe — durch die eine entsteht sie, durch die andere nicht.
§ 1 7. Und die Unterschiede der Systeme betreffend, so haben
es die einen überhaupt nicht unternommen, sie aufzuzählen, son-
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448 Aristoxeuus siebentheilige Harmonik § 17—20.
dem von denselben blos über die sieben (Okta)chorde, die von ihnen
*
sogenanten Harmonien, eine Untersuchung augestellt. Diejenigen
aber, welche es unternommen, haben sie in keiner Weise vollständig
aufgezählt, wie der Zakynthier Pythagoras und der Mitylenäer Agenor.
*) Der letzte Satz des § 16 steht in den Handschriften hinter § 17.
V.
Die Transpositions-Sealen.
§ 18. Ein fünfter Abschnitt ist die Darstellung der Transpo-
sitions-Sealen, auf welchen die Systeme beim Spielen oder Singen
genommen werden.
Bezüglich ihrer hat keiner gesagt, auf welche Weise sie zu neh-
men und nach welchem Gesichtspunkte der Anzahl nach zu bestimmen
sind; vielmehr gleichen die Angaben der Harmoniker über die
Transpositions-Sealen genau*) den verschiedenen Arten die Monats-
tage zu zählen, z. B. wenn die Korinther den 10. haben, so haben
die Athener den 5. und wieder andere den 8.
§ 19. Aehnlich nämlich heisst es bei den einen unter den Har-
monikern:
die hypodorisehe in [A] ist die tiefste Transpositions-Seala,
die dorische in [B] steht einen Halbton höher als jene;
die phrygisehe in [c] einen Ganzton höher als die dorische,
die lydische in [d] um dasselbe Intervall höher als die phrygisehe,
die mixolydische in [es] um einen Halbton höher als diese.**)
Die anderen aber fügen mit Rücksicht auf die Bohrlöcher der
Auloi den genannten noch
die hypophrygische in [G]
nach der Tiefe hinzu.
§ 20. Andere lassen die drei tiefsten, nämlich:
die hypophrygische in [G],***)
die hypodorische in [A|,
die dorische in [B]
je um drei Diesen auseinanderliegen, und dann ferner:
die phrygisehe in [c] von der dorischen um einen fianzton,
die lydische in [d] von der phrygischen um drei Diesen,
die mixolydische in [es] von der lydischeu um drei Diesen,
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Prooimion.
449
jedoch nach welchem Gesichtspunkte sie den Abstand der Trans-
positions-Scalen in dieser Weise feststellen, das sagen sie nicht.
Dass aber eine solche Katapyknosis etwas Ekmelisches und in jeder
Hinsicht Unbrauchbares ist, wird sich im Fortgange unserer Disciplin
klar herausstellen.
*) Ein Vergleich der Zählung der Tage mit Thatsachen der Musik auch
bei Guido Micrologus cap. 5, auf welche K. Schleicher über das Verhältnis«
der griech. z. modernen Musik (Cöthen, Gymn. Programm 1878, S. 12) aufmerk-
sam macht : „Nam sicut finitis Septem diebus voces easdem repetimus ut Semper
primum et octavum diem eundem dicatnus , ita octava« semper voces easdem
esse figuramus et dicimus, quia naturali eas concordia sentimus".
**) Der vorliegende Paragraph ist einer der wichtigsten der siebentheiligen
Harmonik. Er enthält Beiträge zur älteren Geschichte der Transpositionsscalen.
Die allerfrüheste Epoche derselben hat Ptolemäus 2, 6 im Auge: „Man kannte
blos die Dorische, Phrygisehe und Lydische Scala, welehc je um einen Ganz-
ton von einander abstehen." Das waren im Ganzen folgende 6 Scalen (eine
jede im Systema diezeugmenon und im Systema synemmenon):
d moll
d e f gäbet! e f g a
g moll
d j? e f ] g a b c d es f g
c moll
cdesfgasbc d es f g
fmoll
c jd es] f g as b c des es f
B moll
B c dos es f ges as b c des es f
es moll
B Ö c des] es f ges as b as des es
Hier sind bereits (— freilich nur mit Zuhülfenahme der Synaphe — ) alle
durch Tetrachord- Gemeinschaft (S. 424) verwandten Tonarten von 1 b bis 6 b
enthalten. Die Tonart ohne Vorzeichen (in der Notirung der Alten ist sie um
nichts einfacher als die Scala mit einem b) war in jener alten Trias der
Tonoi noch nicht vorhanden. Dagegen bildet diese die erste und tiefste Scala
in der von Aristoxenus an erster Stelle mitgctheiltcn Peutas der Tonoi. frei-
lich noch nicht mit ihrem späteren Namen Hypolydiseh, sondern als „Tonos
Hypodorios," d. h. derjenige Tonos, welcher um einen Halbton, nicht wie in
dem späteren Systeme um eine Quarte unterhalb des Doriscken liegt. An
Arlutoxenu», Mellk u. Rhythmik. 29
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450
Aristoxenus siebeutheilige Harmouik § 18—20.
zweiter Stelle berührt Aristoxenus eine weitere Entwickerang, eine Hexas der
Tonoi, in welcher oberhalb der damals sogenannten Hypodorischen noch eine
tiefere Scala, die Hypophrygische, hinzugekommen sei. In eine dritte Kategorie
stellt Aristoxenus diejenigen, welche rücksichtlich der Reihenfolge und der Be-
nennung dieselbe Hexas der Tonoi annahmen, aber die drei tiefsten Tonoi und
nicht minder auch die drei höchsten je den einen von dem anderen um drei
Diesen abstehen Hessen. So erhalten wir mit der zu Anfang genannten Notiz
des Ptolemäus vier Kategorieen von Transpositionsscalen. Fügen wir zu den-
selben noch die sieben Transpositionsscalen , welche Aristoxenus bei seinen
Zeitgenossen vorfand, und welche späterhin Ptolemäus für allein berechtigt
erklärt (vgl. S. 425), so ergeben sich im Ganzen fünf Kategorien von Tonoi.
Trias
Pentas
Hexas
in zwei Formen.
Heptas
1 F Hypodor.
1 G Hypophryg.
2 G Hypophryg.
1 A Hypodor.
2 A Hypodor.
3 A Hypolyd.
1 B Dor. diez. 5 b
syn. 6 b
2 B Dor.
3 B Doriseh
4 B Dorisch
2 c Phryg. diez. 3 b
syn. 4 b
3 c Phryg.
4 c Phryg.
5 c Phrygisch
3 d Lyd. diez. 1 b
syn. 2 b
4 d Lyd.
5 d Lydisch
6 d Lydisch.
5 es Mixolyd.
6 es Mixolyd.
7 es Mixolyd.
Die von mir gegebene Interpretation der Aristoxenischen Stelle beruht
auf der Textes -Constituirung, welche ich bereits im Jahre 1863 in der griech.
Harmonik veröffentlicht habe. Meibom's Text verlangt folgende Uebersetzung:
.,Denn ebenso nehmen einige der Harmoniker von den Tonoi
den Hypodorisehen als den tiefsten an,
um einen Halbton höher als diese (sie!) den Mixolydischen,
um einen Halbton tiefer als diese den Dorischen,
um einen Ganzton tiefer als den Dorischen den Phrygischen,
in gleicher Weise um einen anderen Ganzton tiefer als den Phry-
gischen den Lydischen.
Ich hatte das zweimalige toütwv des Meibom'schen Textes zu tojtoj emen-
dirt und das Wort jit^Xuoio* in eine andere Zeile gestellt. Die erste meiner
Aenderungen steht jetzt auch im Texte Marquards, mit der für mich erfreu-
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Prooimion.
451
liehen Bemerkung, dass die Lesart toOtov auch durch die dritte Hand des Mure,
und den Riccard. bestätigt werde : [Marquard sagt, diese beiden Handschriften
hätten das Wort hineincorrigirt; es ergiebt sich aus S. XL1X des Vorwortes,
weshalb ich dieser Auffassung durchaus nicht beipflichten kann.] Etwas wei-
teres als das verkehrte tovitcuv der anderen Handschriften, sagt Marquard, dürfe
in der Stelle nicht geäudert werden.
Aendert man nicht, dann sind es folgende Scalen, welche Aristoxenus
in der ersten Kategorie (Pentas) der Harmoniker nennen würde:
Diese Deutung giebt auch Marquard der handschriftlich überlieferten
Stelle des Aristoxenus, in welcher den alten Harmonikera eine Pentas der
Tonoi vindicirt wird. Marquardt Worte sind: „es war bei ihnen „Mixolydisch"
A moll und „Hypodorisch" Gismoll, eine Aufstellung, die um so verkehrter
war, als dadurch Scalen hineinkamen, die praktych überhaupt nie im Gebrauch
gewesen sind, so weit wir schliessen können."
Marquard sieht also recht wohl die „Verkehrtheit" dessen ein, was Ari-
stoxenus als Tran8po8itionsscalen-Lehre der Harmoniker angiebt. Aber er
schützt die handschriftlich überlieferte Stelle eben deshalb, weil sie den Ari-
stoxenus „Verkehrtes'4 berichten lässt. „Aristoxenus will uns gerade ein Bei-
spiel von der heillosen Confusion in der Anordnung der Tonarten geben" S. 144.
Wäre es keine heillose Confusion, dann würde eiue „Polemik von Seiten des
Aristoxenus gegen frühere Entwickclungsstufen, die an sich durchaus berech-
tigt gewesen wären, sehr abgeschmackt sein . . . Ganz etwas anderes ist es,
die theoretischen Arbeiten der früheren Harmoniker zu geissein; dazu hatte
er gutes Recht." Marquard S. 314 glaubt, wenn Aristoxenus so geschrieben hätte,
wie ich die Handschrift emendire, dann würde der Vergleich zwischen den
Zählungen der Tonoi bei den Harmonikern und der abweichenden Zählung der
Monatstage in den verschiedenen griechischen Staaten abgeschmackt sein.
Sehen wir!
Marq. S. 144: „Aristoxenus will uns gerade ein Beispiel von der heillosen
Confusion in der Anordnung der Tonarten geben; er musstc also schon solche
Aufstellungen wählen, welche so von einander abweichen, wie die Zählung der
Monatstage, d. h. solche, in welcher die Einen z. B. den zweiten Ton nenneu,
welchen die andern als den fünften zählen."
Aristoxenus sagt: „Es herrscht bei den Harmonikern eine solche Ver-
schiedenheit in der Aufzählung und Benennung der Transpositionsscalen, dass
Hypodorisch
Mixolydisch
Gis Moll i
Dorisch
Phrygisch
Lydisch .
2t>*
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452
Aristoxenus siebentheilige Harmonik § 18—20.
„sie an das Schwanken erinnert, welches unter den griechischen Staaten in
„der Zählung der Monatstage besteht. Was bei den Korinthern der zehnte
„Monatstag ist, ist bei den Athenern der fünfte und wieder bei anderen der
„achte. Ebenso machen es die Ilarmoniker mit den Tonoi."
Dieser Vergleich des Aristoxenus ist gerade bei meiner Constituirung des
Textes vollständig richtig. Denn der Tonos Dorios (in der alten Trias der
Tonoi von unten der erste) ist in der Peutas der zweite, in der Hexas der
dritte — in der Heptas ist er zum vierten geworden. Aehnlich der Tonos
Phrygios (in der alten Trias der zweite) ist in der Pentas der dritte, in der
Hexas der vierte — in der Heptas ist er zum fünften geworden. Das ist un-
gefähr dasselbe wie der Monatstag, welcher bei den Korinthern der zehnte ist,
bei den Athenern als der fünfte, und wieder bei den andern als der achte ge-
rechnet wird. Auch in der Bedeutung eines und desselben Namens der Tonoi
herrscht Verschiedenheit , insofern die Vertreter der Pentas die Scala in A
Hypodorisch nennen, wälirend die Vertreter der Heptas für dieselbe Scala den
Terminus Hypolydisch gebrauchen.
Marquard verlangt S. 144, dass bei den Harmonikern in der Annahme
der Transpositions-Scalcn eine „heillose Confusion" bestanden haben müsse,
denn sonst wäre die Polemik des Aristoxenus „sehr abgeschmackt", und eben
aus diesem Grunde verschmäht er meine Conjectur, von welcher er sagt: „die
Resultate, welche Westphal gewinnt, sind in diesem Falle wie noch in
anderen von sehr bestechender Art, allein um so nachdrücklicher
muss darauf hingewiesen werden, dass die Unterlagen, auf denen
sie mit ausserordentlichen Scharfsinn und umfassender Gelehr-
samkeit ausgeführt sind, nicht sicher sind".
Die Unterlage meiner Conjectur, welche nach Marquard „nicht eicher"
ist, war folgende. Die Verschiedenheit in der Zählung der Monatstage bei den
einzelnen griechischen Stämmen hat sicherlich ihre historische Berechtigung —
nicht minder auch die Discrepanz unter den Vorgängern des Aristoxenus be-
züglich der Systeme der Tonoi. Aristoxenus macht in seiner Harmonik den
Versuch, ein neues rationelles System der Tonoi an Stelle der alten zu setzen
— ein System der Tonarten, ähnlich demjenigen, welches Joh. Scb. Bach durch
sein wohlt. Clav, in die moderne Musik für ewige Zeiten eingeführt hat. Auch
Aristoxenus ist mit seinem Svsteme der Scalen für die Musik des Alterthums
durchgedrungen, obwohl dasselbe an Claudius Ptolemäus einen Widersacher
hatte, ebenso wie Aristoxenus auch schon bei Lebzeiten von seinem alten Mit-
schüler aus dem Aristotelischen Lyceum dieser Neuerung wegen aufs heftigste
angegriffen worden war. Denn wenn wir bei Athenäus 14,625 D als Worte
des Heraklides Ponticus lesen: „7.abw -rr*s; '^aatv zllrp d;Ejj>Tjy.jvai xnvty äp-
(jLOviotv -jro'ipy-yiov", so ist das sicherlich ein Angriff des Heraklides auf Aristo-
xenus, welcher das „Tief-Hypophrygisehe als neue Tonart4' aufgebracht hatte.
Auch nach dem Berichte des Euklides und Aristides ist Aristoxenus derjenige,
welcher zuerst von eiuem „tovo; 'jm-jpvYiG; .tJap-jTepo;", also einer „xatv^j ipnovla
■
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Prooimion.
453
uro-fpüfto;*' d. i. der Transpositions-Scala gis Moll gesprochen hat. Wenn
Heraklides dies in sarkastischer Weise seinein alten Mitschüler vorwirft, so meint
er: dieses Hoch-Hypophrygisch des Aristoxenus sei als Harmonie, d. i. als
Octavengattuiig von dem Tief-Hypophrygischen lg Moll) nicht verschieden und
daher werthlos; aus demselben Grunde wie auch späterhin Ptolemaus die
Transpositions-Scala gis Moll neben g Moll für eine nicht berechtigte erklärte.
Das ist es, was nach Marq. die ,. nicht sichere Unterlage4' .meiner Con-
jectur sein soll/ Aristoxenus soll im Prooimion seiner siebentheiligen Harmonik
— so will es Marquard — die Notiz gegeben haben, da»« schon lange vor ihm
diejenigen unter den Harmonikern, welche sich nur zu fünf Transpositions-
Scalcn bekannten, als unterste Grundlage der Tonoi bereits eine Scala in
gis Moll angenommen haben, — eine aus dem Kreise jener Kreuz-Tonarten,
welchen eben Aristoxenus erst durch seine Harmonik Eingang verschaffen will,
— eine rationelle Neuerung, um derentwillen er von Heraklides mit den unge-
rechtesten härtesten Vorwürfen überschüttet wurde. Gerade um die Not-
wendigkeit seiner rationellen Neuerung zu motiviren, giebt A. im Prooimion
eine Notiz von den bisher und früher angenommeneu Transpositions-Scalen.
Und da soll das früheste System der Harmoniker gerade mit einer Kreuzton-
Scala als der ersten und tiefsten begonnen haben! Wer dies für unmöglich
hält, der wird nichts dagegen haben, dass ich die ganze Schwierigkeit durch
eine möglichst eiufache Umstellung einer einzigen Zeile des handschriftlichen
Textes beseitige.
***) Ausser der verkehrten Stellung von töv [j.t£oXuöiov ist in der hand-
schriftlichen Ueberlieferung noch ein zweiter alter Fehler.
"Excpot oe rcpo; tot; etpr^evot; tov yjtocppJYiov auXöv zpo;TiSHaotv izl to (Üapv».
Das Wort aüXov halte ich für verdorben. Denn Aristoxenus wird nicht so un-
genau geschrieben haben, dass die Hannouiker den genannten Scalen den
Hypophrygischen Aulos hinzugefügt hätten. Er hätte doch Hypopbrygi-
schen Tonos sagen müssen. Es liegt die Annahme nahe, dass hier ein Ver-
sehen ähnlich wie erste Harmonik § 50 vorliege. Zu dem fehlerhaften aüXöv
wurde am Rande die richtige Lesart: rpö; rJ,v töiv auXeüv TpuTCTjOiv hinzugefügt,
so dass die richtige Ueberlieferung folgende war:
"Krepot Ii rpi; xot; cfptj^^oi; töv u-o^pu^ rrpö; xf,v t&v aüXwv Tpu-
rrtjoiv ßX£T:ovT6; zpooTiBeiai.
Dann hiess es weiter :
Ol Se au tpei; }t£v tou; ^apuTobou; tptol oiioeatv a-' dXXfjXaiv yujpt!//jatv,
t<4v te uzotppuYtov xni tov ü-ooeuptov xo\ töv 0(6ptov, tov oe 9 pi-fiov dzb toü Seupiou
TOvtp, tov hi XuStov drJj toü ©puflou zaXiv tptt; otiaei; deiOTaotv ■ ai3auT<u; oe xal
tov pii^oXuotov toü Xuotor ti 0 ect'i zpö; S ßXenovri; out« roieJo&ai t?)v oiaaTiaiv
t&v tovoiv zpoTEOüfiTjvrai, oüoev 6ipt,X70tv • '3Tt oe iartv t) xaTazüxvqai; dxpieX^;.
Nachdem die Randbemerkung in den Text gedrungen, wodurch nun die
Lesart ol U au Ttpoc t*,v :äv aüX&v TpuzTjaiv . . . entstanden ist, ist ein
Widerspruch vorhanden. Denn gleich darauf ist gesagt „tI 0 isTi zpo; 8 £X£zovte;
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454 Aristoxeuus siebentheilige Harmonik §21 — 25.
i
ojtto zoieic&ai -po-re&üfxtjvrai , oOSsvelp-fjxaaiv, Es kann also in demselben
Satze nicht vorher Tipö; t9|v tpyTnrjjiv jttiitovre; gestanden haben. Vielmehr muss
xt 5' l<n\ zpo; 5 $\ir.wez mit Bezug auf die Intervalle von drei Diesen gesagt
sein: Weshalb sie die Scalen drei Diesen abstehen liessen, haben sie nicht
gesagt. Dass dergleichen Intervalle von dichtgedrängten Diesen, (die xaTa-
7v6xvoo3i;) ekmelisch ist, wird im Weiteren klar werden".
Die Metabole.
§ 21. Da die Melodumcna theils einfacher Art sind, theils
eine Metabole enthalten, so ist auch noch über die Metabole zu
reden, und zwar zuerst, was Metabole ist und wie sie entsteht, —
wenn z, B., sage ich, in der regelmässigen Ordnung der Melodie eine
Aenderung eintritt — , sodann, wie viele Arten der Metabole es im
Ganzen giebt und bei welchen Intervallen sie eintreten.
Hierüber ist noch von keinem ein Wort gesagt, weder mit
noch ohne "Beweis.
VII.
Die Melopoeie.
§ 22. Ein letzter Theil wird der von der Melopoeie sein . .
Denn da mittels der nämlichen, an sich indifferenten Scala-Klänge
viele Melodien aller Arten zum Vorschein kommen, so wird es
offenbar die Praxis sein, durch welche dies geschieht.
Die Parasemantik und die Theorie der Auloi als gemeinschaft-
liches Ziel der Harmonik.
§ 23. Die Wissenschaft der Hermosmenon wird nun, wenn sie
die aufgeführten Abschnitte durchlaufen hat, eben darin ihr Ziel
haben. Was aber Einige als Ziel hinstellen: Die einen die Para-
semantik d. i. die Fertigkeit, das Componirte zu notiren, die sie
für den Zweck des Verständnisses aller Melodumena ausgeben, die
anderen die Theorie des Auloi und die Fähigkeit, Entstehungsweise
und Veranlassung alles dessen, was auf den Aiüoi zum Vorschein
kommt, angeben zu können; — das sind lediglich Behauptungen
von solchen, die völlig in die Irre gegangen sind.
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Prooimion.
455
a) Die Parasemaiitik.
§ 24. Die Parasemaiitik ist nicht das Endziel, sondern nicht
einmal ein Theil der harmonischen Disciplin, es müsste sonst auch
das Endziel der Metrik darin bestehen, in den verschiedenen Metren
sehreiben zu können. Wenn es aber ebenso wie bei den Metren ist,
wo es nicht nothwendig ist, dass z. B. derjenige, welcher in Jamben
schreiben kann, auch die Theorie der Jamben versteht, — wenn
es sich, sage ich, ebenso bei den Melodumena verhält (und es ist
ja wie wir sehen nicht nöthig, dass der, welcher ein phrygisches
Melos schreibt, auch die Theorie der phrygischen Tonart kennt!),
dann wird sicherlich die Parasemaiitik nicht das Ziel der in Rede
stehenden Wissenschaft sein.
§ 25. Dass aber das Gesagte wahr und dass derjenige, wel-
cher Melodien niedersclireibt, bloss die Intervallgrösse zu beachten
brauche, wird wohl bei folgender Darlegung klar werden.
Der die Intervalle notirende setzt nämlich keineswegs bei jedem
Intervall-Unterschiede ein anderes Notenzeichen. So verhält es sich
bei den verschiedenen durch die Tongeschlechter bedingten Ein-
theilungen der Quarte,
im diatonischen Geschlechte wird der Halbton a b durch C ^ notdrt,
im enharuioni8cheu Geschlechte der Viertelton aa durch dasselbe Zei-
chen u. s. w.;
ferner bei den verschiedenen durch die wechselnde Reihenfolge der
unzusammengesetzten Intervalle hervorgebrachten Schemata,
z. B. die Note C, d. i. a, kann ebensowohl den ersten Ton der Hypodo-
rischen wie den sechsten Ton der Lydischen "Octavengattung bezeichnen,
kann ebensowohl die Prime von A-Moll wie die Sexte oder Unter-Terz
von c-Dur sein.
Dasselbe ist auch von verschiedenen Dynameis (Geltungen)
zu sagen, welche durch die natürliche Beschaffenheit der Tetra-
chorde bewirkt werden, denn das Tetrachord der Nete und Para-
mese*) wird oft durch dieselben Noten**) wie das der Mese und
Hypate (einer anderen Transpositions-Scala) ausgedrückt.
die Noten für f c sind Nete und Paramese der Dorischen (B-Moll) und zu-
gleich Mese und Hypate des Hypermixolydisehen (f-Moll);
die Noten für c g sind Nete und Paramese des Hypodorischen (F-Moll) und
zugleich Mese und Hypate des Phrygischen (c-Moll);
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45G
Aristoxenus siebentheilige Harmonik § 25—28.
die Noten für d a sind Nete und Paramese des Hypophrygisehen (G-Moll)
und zugleich Mese und Hypate des Lydischen l B-Moll);
die Noten für e h sind Nete und Paramese des Hypolydischen (A-Moll) und
zugleich Mese und Hypate des Hypoiastischen (e-Moll);
die Noten für eis gis sind Nete und Paramese des Hypoiastischen (Fis-Moll)
und zugleich Mese und Hypate des Aeolischen (cis-Moll);
die Noten für dis eis sind Nete und Paramese des Hypoaeolischen (Gis-Moll)
und zugleich Mese und Hypate des Mixolydischen (Es-Moll).
*) Zu lesen: „rb 7<if> vf,^; xat (zapajjicrj; xoi xo) uioTj; xai brArrf,
Marq.: „xö -jap vt(xt); xai fiitnj; (xat xö T*pi\i.i<xrfi) %a\ \trAvtfi". Marquard än-
dert die Stelle so, dass sie von Quinten reden würde. Er nennt es selber
8. 336 eine grosse Schwierigkeit, dass nur „jene Intervalle Quinten sind,
„welche man mit der Nennung der Tetrachorde eigentlich (?) nicht binreichend
„bezeichnet, da sie eiuen Ton mehr als diese enthalten". Eben deshalb muss
die Stelle nicht in der Marquard'schen Weise, sondern so hergestellt werden,
dass sich Quarten ergeben, wie wir dies gethan. Wollte man gar nichts än-
dern, und xö fao vTj-rr,; xol pior,; xal ürdxT); xw auxui -fpifZTu ar^etm , sondern
von «pOoYYoi verstehen, so würde dies sachlich für die Nete (diez.) der Hypo-
doriseben, die Mese der Pbrygischen, die Hypate (nies.) der Hypermixolydischeii
passen, die samintlich mit der Note E d. i. c bezeichnet werdeu.
**) Ist aber xi ^i77!» u- s- w-> w*e es d°ch nicht anders sein kann,
von einem Tetrachorde, nicht vom <p&<$Yfo; zu verstehen, so muss es heisseu
xoi; auroi; fpdytxai 07)(Ae(oi; statt x<ji auxöi fpitf erat der Handschriften.
Auch die zwischen Nete und Paramese liegenden Intervallgrössen
haben in allen diesen Fällen dieselben Noten wie die bezüglichen
zwischen Mese und Hypate liegenden.
»So bleibt die verschiedene Geltung der Töne durch besondere
Noten unbezeichnet, die mithin lediglich zur Angabe der Intervall-
grössen, aber zu nichts .anderem gesetzt werden.
Dass aber das Auffassen bloss der Intervallgrössen nicht ein-
mal ein Theil unserer gesammten Wissenschaft ist, habe ich schon
in der den Stoicheia vorausgehenden Darstellung der Eingangsab-
schnitte (vgl. S. 436) bemerkt. Es wird dies leicht einzusehen sein, wenn
ich noch hinzufüge, dass weder die Geltungen der Tetrachorde,
noch der Scalen-Töne, noch die Unterschiede der Tongeschlechter,
noch die Unterschiede — um es kurz zu sagen — des Unzusam-
mengesetzten und Zusammengesetzten, noch auch das Ametabolische
und Metabolische, noch die Arten der Melopoeie, noch irgend etwas
anderes (der Art) bloss durch die Intervallgrössen fasslich ge-
macht wird.
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Prooimion.
457
§ 26. Haben nun die sogenannten Harmoniker diese ihre An-
sicht aus Unwissenheit festgehalten, dann lässt sich ihr Charakter
nicht tadeln, aber sicherlich muss dann ihre Unwissenheit eine
gewaltig grosse sein. Wussten sie aber, dass das Notiren nicht
der Zweck der in Rede stehenden Disciplin ist, und haben sie diese
ihre Ansicht aus Gefälligkeit gegen die Laien und um irgend etwas
Materielles als Ziel anzugeben, aufgestellt, dann werde ich sie
einer grossen Verwerflichkeit des Charakters beschuldigen müssen.
Denn einmal glauben sie alsdann, dass der Laie zum Richter in
der Wissenschaft zu bestellen sei, so abgeschmackt es auch ist,
dass ein und derselbe etwas erst lernen und gleichzeitig auch be-
urtheilen soll. Sodaun aber haben sie, wenn sie nach ihrer Ansicht
eine äusserliche Fertigkeit als Ziel des Wissens setzen, gerade
das Umgekehrte von dem, was sie thun sollten, gethan, da ja
vielmehr eine jede äusserliche Fertigkeit das Wissen zu ihrem
letzten Ziele hat. Und wenn dies Wissen ein tieferes, gleichsam
der innersten Seele angehöriges ist. welches weder leicht erfasst
werden kann, noch auch dem grossen Haufen zugänglich ist, so
wird dadurch die Richtigkeit meiner Behauptung nicht beinträchtigt.
b) Die Theorie der Aidoi.
§ 27. Nicht minder verwunderlich als die eben besprochene
ist die bezüglich der Blasinstrumente aufgestellte Ansicht. Sie lässt
nämlich unbeachtet, dass dasjemge, wodurch alles zum Auloi-Spiele
gehörige — Hände, Stimme, Mund, Athem u. s. w. — bestimmt und
beurtheilt wird, etwas ganz anderes ist als die blossen todten In-
strumente. Macht man nicht das erstere, sondern das Beurtheilte
zur Hauptsache und zum Endzwecke, so wird man jedenfalls die
Wahrheit verfehlen.
§ 28. So ist die Zurückfuhrung des Hermosmenon auf die
Instrumente ein grosser und ganz und gar wunderlicher Irrthum.
Denn nichts von dem, was bei den Instrumenten zum Vorschein
kommt, ist der Grund für die Eigenthümlichkeiten des Hermos-
menon und die in ihm sich zeigende Ordnung und Gesetzmässigkeit.
Wenn nämlich z. B. die Quarte, die Quinte und Octave ein sympho-
nisches Intervall bildet, und wenn die übrigen Intervalle ihre be-
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458
Artetoxenus siebentheilige Harmonik §28—31.
stimmte Grösse haben, so liegt der Grund hierfür nicht darin, dass
die Auloi Löcher und Höhlungen haben u. s. w., noch darin, dass
der Aulete ein bestimmtes Verfahren theils mit den Händen, theils
mit anderen das Hinauf- und Hinabsteigen ermöglichenden Mitteln
zur Anwendung bringt. Denn trotz alledem ist es dem Auleten
nichtsdestoweniger unmöglich, die gesetzmässige Ordnung des Her-
mosmenon genau zu erreichen; nur einzelnes ist es, was sie mit
Aufwendnng aller jener Mittel, indem sie wegnehmen (?) und seit-
wärts biegen (?) und mit dem Athem in die Höhe treiben und nach-
lassen, richtig treffen können, sodass es (meistens) eigentlich das-
selbe besagen will, wenn das Publikum beim Aulosspiel „gut" oder
„schlecht" ruft.
Bestimmte Töne, meint Aristoxenus, wird der Aulete auf seinem In-
strumente niemals ganz rein — d. h. dem Hermosmenon genau entspre-
chend — angeben können, wenigstens für den Kenner nicht, wenn auch
da« grosse Publikum keiueu Anstoss daran nimmt. Auf den Saiteninstru-
menten kann man sie völlig genau angeben, ebenfalls mit der Singstimme.
Auch bei uns lassen sich bestimmte Töne nur auf den Streichinstrumenten,
nicht auf den Blasinstrumenten genau angeben.
§ 29. Dies dürfte nun aber, wenn die Zurückfuhrung des Her-
mosmenon auf ein Instrument richtig wäre, nicht der Fall sein.
Vielmehr müsste das Melos alsdann [beim Zurückführen auf die
eigentümliche Natur der Auloi] unerschütterlich fest und fehlerlos
richtig sein. Aber weder der Aulos noch irgend ein anderes Instru-
ment wird jemals das Wesen des Hermosmenon überall richtig fest-
halten, denn die wunderbare Ordnung desselben lässt sich überhaupt
auf einem Instrumente nur insoweit zur Anschauung bringen, als
das Gehör, von dessen Ermessen dies wie auch alles übrige in der
Musik abhängig ist, die Instrumente regulirt. Der aber ist thöricht,
der da meint, weil er täglich dieselben Bohrlöcher und dieselben
angespannten Saiten sieht, so sei hier auch das unveränderliche
und seine bestimmte Ordnung bewahrende Hermosmenon zu finden.
Denn wie auf den Saiten, so ist auch bei den Bohrlöchern der Auloi
das Hermosmenon nur dann zu finden, wenn man es durch die
Thätigkeit der Hände und durch Abstimmen hineingebracht hat.
Dass aber kein Instrument sich von selber stimmt, sondern dass
das Gehör dies vollbringt, bedarf keiner Worte, da es (an sich) klar ist
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Prooimion. 459
•
Wunderlich also ist es, dass man nicht einmal mit Rücksicht
auf die vorliegende Auseinandersetzung von der hier in Rede stehen-
den Ansicht abgeht, — sieht doch ein Jeder, dass die Auloi ver-
änderlich sind und niemals dieselbe Beschaffenheit behalten, son-
dern dass vielmehr Alles, was darauf vorgetragen wird, den Ur-
sachen gemäss, auf Grund deren es zur Ausführung kommt, sich
ändert.
§ 30. So ist es nun klar, dass es keinen Grund giebt, das
Melos. auf die Auloi zurückzuführen; denn (wie wir gesehen) wird
weder dies Instrument die natürliche Ordnung des Hermosmenon
einhalten, noch würde, wenn Jemand durchaus der Ansicht sein
wollte, es müsste das Hermosmenon auf ein Instrument zurückge-
führt werden, der Aulos das passende Instrument sein, da dieser
sowohl seiner Anfertigung wie seiner Technik und eigenartigen
Natur nach den meisten Schwankungen unterliegt.
Schlussbcmerkung über Methode und Ausgangspunkt der
Un tersuehung.
5 31. Dies etwa ist es, womit wir uns über die sogenannte
harmonische Disciplin im Voraus bekannt zu machen hätten. In-
dem wir nun in Begriff sind, den die Stoicheia*) darstellenden Theil
der Disciplin in Angriff zu nehmen, müssen wir vorher Folgendes
erwägen. Es lässt sich nicht vortragen, wenn nicht dreierlei**), was
ich jetzt angeben werde, vorhanden ist:
1. Die Thatsachen selbst müssen genau festgestellt werden;
2. hierbei muss das Frühere (Porphyr ad Ptol. p. 210. 211)
von dem Späteren richtig geschieden sein;
3. es muss der Sache gemäss erkannt werden, was sich (erst) als
Schlussfolge ergiebt und was in die Kategorie des allgemein
Angenommenen gehört.
*) Marquard S. 152: „Die Ausschliessung der Worte -epl -za oror/eia ist
das gelindeste Mittel die Stelle lesbar zu machen. Wie die Worte überliefert
sind, kann sie Aristoxenus unmöglich geschrieben haben. Denn jeder, welcher
sie unbefangen liest, wird zunächst meinen, die äpfxovtx^ xaXoupswj noa^a-rtla
sei etwas Anderes als die o-rai/cta." Der unbefangene Leser soll an dieser
Meinung festhalten, denn eine jede andere würde irrig sein. Ruelles Ueber-
setzung p. 67 ist ganz richtig: „Voilä donc les questions prelimiuaires qu'il fau-
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460 Aristoxenus siebentheilige Harmonik § 31—33.
dra examiner successiveinent dans le traite d'harmonique. Maintenant, si Ton
a projete* de s'appliquer a traiter des Clements, on doit se penetrer auparavant
de plusieurs choses."
Die erste und ebenso auch die zweite Darstellung der Harmonik des Ari-
stoxenus zerfallt in zwei Haupt-Theile, die er selber bezeichnet:
den ersten: „rd h dpyf/4,
den zweiten: „sroiyeta",
vgl. S. 184 ff.. Die dritte Darstellung der Harmonik, von der in den Hand-
schriften Nichts als das Prooimion auf uns gekommen ist, soll laut des Titels
nur den zweiten Theil (die „oToiyEia'.4) enthalten; die den „arotyeia" vorangehende
Partie „td eV dp/fj" hatte Aristoxenus in einer eigenen Schrift, welche eine
Art Einleitung zur dritten Harmonik bildete, und aufweiche er §25 mit dem
Citate „dv dp/7-" verweist, dargestellt.
Auf diese Weise will auch der Anfang des § 31 verstanden sein. Es ist
ein Unterschied zwischen der Ttepl rf,; ipjAovixfj; xaXojuivrj; -paY(Aateia und der
«epl td OTor/eia r.pi-fpz-da. Das erstere die Gesammtheit, das zweite ein Theil
der Gesammtheit:
'H irept Tfj; dpfj.ovty.fj; »aXoujxfvT;; ~paY|AiT£ia :
a) xd lv dpyjrj
b) ttj itepi xd ototyela -paYfiateta.
Auch von demTheile a) würde Aristoxenus die Bezeichnung TßayiMvzti*
gebrauchen können, ft tcdv £v dpyg Trps-fjxaTEia. wie er auch die einleitende
Schrift ,,&<5;at appovixcto" als iz^oL^axtia bezeiclmet.
»
•*) Marquard S. 332: „Die UnerläKslichkeit der ersten Bedingung, welche
Aristoxenus hier für die Erkenntniss der Musik aufstellt, die genaue Auffas-
sung der Erscheinungen, hat er vorher schon genügend betont (p. 48, 2 = sieben-
theilige Harm. § 6 unserer Ausgabe).
Was mit der zweiten, dass man innerhalb der Erscheinungen die frü-
heren und späteren richtig trennen soll, gemeint sei, lässt sich bei der Kürze
des Ausdruckes und bei der gänzlichen Verschiedenheit unserer Methode schwer
sagen. Vielleicht sind unter den früheren diejenigen verstanden, welche un-
mittelbar sich der Wahrnehmung aufdrängen, unter den späteren dagegen die,
welche erst durch Combination und weiteres Eindringen in den Stoff wahrge-
nommen werden.
Mit der dritten Forderung will Aristoxenus wohl sagen, man müsse
methodisch beobachten, was in der Musik das stets sich Gleichbleibende sei
und was in jedem einzelnen Falle sich anders gestalte. Jenes würdo z. B.
sein, dass jede Compositum entweder diatonisch oder chromatisch oder enhar-
monisch ist, dies dagegen wie in jedem einzelnen Falle ein jedes der Ge-
schlechter gebraucht, wie sie mit einander vermischt werden u. s. w. Und
darin hat A. allerdings sehr Recht, dass eine Erkenntniss nicht möglich sein
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Prooimion.
401
wird, wenn man das in einem Falle nur Zufällige für etwas Wesentliches und
Allgemeines hält."
Ruelle p. 67 übersetzt: „La premiere, c'est de recueillir avec soin les
faits d'experience; la deuxieme, c'est de determiner convenableinent , parmi
ces faits, ceux qui sont au premier rang et eeux qui sont au second [Rappro-
cher de ee passage remarquable le chap. 1 de la Poetique d'Aristot. Cp. Pla-
tou, Phae<lr., p. 264, B.]; la troaic-me, c'est d'envisager de la meme maniere
le fait qui se produit et eelui qui est reconnu."
§ 32. Da man bei jeder aus einer Reihe von Sätzen (rpoßXrj-
u-ara) bestehenden Wissenschaft von Axiomen (apyjit) auszugehen
hat, aus welcher die übrigen (tot ixera ta; ap/a;) bewiesen werden
müssen, so wird es nothwendig sein, dies nach folgenden zwei Ge-
sichtspunkten zu thun:
1. es muss ein jedes Axiom (2xarrov to>v ap)rosiou>v -po,3Xf)(ia-
?wv) eine augenscheinliche Wahrheit sein. Das, was einen
Beweis verlangt, kann nicht die Stelle eines Axioms haben.
2. es muss von Seiten der sinnlichen Wahrnehmung als etwas
aufgefasst werden, welches zu den ersten von den beiden
Theilen der harmonischen Wissenschaft gehört.
§ 33. Beim Anfange müssen wir überhaupt uns hüten, dass
wir nicht dadurch auf ein fremdes Gebiet gerathen, dass wir von
irgend einer Stimme oder von der Bewegung der Luft beginnen,
aber auch nicht durch zu enge Begrenzung des Umfanges vieles
von dem was nothwendig ist fortlassen.
Man]. 333: „Von der Bewegung der Luft gingen die Pythagoreer aus,
um zu einer Definition von Schall und Klang zu gelangen. Auch die späteren
Mathematiker sind bei dieser Methode geblieben, welche für ihren Standpunkt
durchaus richtig war, wie z. B. Euklid in der Sectio canonis und Andere. Es
ist oben an verschiedenen Stellen darauf hingewiesen worden, wie Aristoxenus
als Musiker, der es mit dorn Klang nur als Material für die Kunst zu thun
hat, eine Untersuchung über das Wesen des Klanges nothwendig ausschliessen
musste."
Dann nagt Marq. weiter: „Die Fortsetzung dieser Zurückweisung, welche
in unseren Exzerpten fehlt, uns aber bei Porphyrius p. 193 erhalten ist,, ent-
hielt ein Beispiel für ein solches nach Aristoxenus' Meinung verkehrtes Zurück-
gehen auf deu Uraufang."
Die Stelle des Porphyrius über Xenokrates, in welcher Marq. ein Aristo-
xenisehes Fragment, welches eich unmittelbar an das Ende unseres Prooimions
anschliesse, zu finden vermeint, ist folgende:
■
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462
Aristoxenus siebentheilige Harmonik § 33.
Aus demselben Grunde machen es auch einige dem Xenokrates zum
Vorwurfe, dass er in seiner Darstellung der Dialektik mit der Stimme
beginnt, denn sie glauben, dass weder die Definition der Stimme als einer
Luftbewegung noch die darauf folgende Eintheilung der Stimme in eine
aus Lauten (SylbenJ und eine aus Intervallen und Tönen bestehende mit
der Dialektik etwas zu thun habe, da dies Alles ja der Dialektik fern
stehe und da mühin derjenige, welcher auf diese Weise die Dialektik be-
ginnt, nichts anders thue, als dass er einige mit der Lehre von der Dia-
lektik durchaus nicht zusammenhängende Theorien herbeigezogen habe.
Von Herzen würde ich diesen Fund des Herrn Marq. beglückwünschen,
wenn dies wirklich ein Fragment des Aristoxenus wäre. Hat doch gerade über
der siebentheiligen Harmonik des Aristoxenus in der Textesüberlieferung ein
gar zu böser Unstern gewaltet; jedes auch noch so kleine Fragment müsste
willkommen sein. Aber dass die Stelle des Porphyrius aus Aristoxenus herge-
nommen sei, ist durchaus unsicher, ja unwahrscheinlich. Denn Süsser lieh
spricht nichts dafür, dass Porphyrius noch über das uns handschriftlich er
haltenc Prooimion hinaus aus Aristoxenus excerpirt habe. Im Anfange
zwar wird Aristoxenus von Porphyrius genannt: Apiox'S-jevoc fisv ovv zapfjf-
Ysi>.e %<iH)xj'j otTv h Tili ap/eoftai zaparr^pEtv 8t:(d; ;j^te el; ttjv urepoptav
-tzrtujjiev arA tivo« <p<ov?j; ddpo; Aber das, was dann über Xenokrates
folgt, kann ebenso gut irgendwo anders hergenommen sein, als aus Aristo-
xenus. Ein Süsseres Zeugniss für den Aristoxenischen Ursprung ist nicht im
mindesten vorhanden. Noch schlechter aber würde es mit einem inneren
Grunde stehen dies dem Aristoxenus zu vindiciren, denn der dem Xenokrates
gemachte Vorwurf , dass dieser für -die Dialektik Ungehöriges herbeigezogen
habe, betrifft nicht bloss das von Xenokrates aus einem Pythagorcer Herbei-
gezogeue (Stimme als Luftbeweguug) , sondern auch die von Xenokrates aus
Aristoxenus herbeigezogene Eintheilung der Stimme in Singstimme und Sprech -
stimme. Psychologisch würde es nicht wohl motivirt sein, wenn Aristoxenus
selber, der diesen Unterschied von Sprechen und Singen unter Allen zuerst
erkannt und damit eine höchst wichtige Thatsache zuerst richtig beleuchtet
hat, an Xenokrates getadelt hätte, dass dieser im Anfange seiner Dialektik sich
auf jene Aristox. Unterscheidung des Sprechens und Singens bezogen habe.
Weshalb im Prooimion der siebentheiligen Harmonik sagen: „Deshalb machen
es auch einige der Dialektik des Xenokrates zum Vorwurfe . . .", wo durchaus
keine in der Sache liegende Veranlassung vorhsinden ist, den Xenokrates zu
erwiihnen — , wo vielmehr der Faden der Darstellung in einer empfindlichen
Weise dadurch unterbrochen sein würde?
Wäre die über Xenokrates handelnde Stelle von Aristoxenus geschrieb«u,
so hätte dieser gegen die früher von ihm selber aufgestellten Lehren von der
ojvey^; und lw3rrip'xzvtA\ ?uwj; xwjoi; einen Tadel ausgesprochen. Dies fühlt
auch Marquard S. 333: „Ueber den Widerspruch, in welchem diese Abweisung
gewissermassen mit dem eigenen Verfahren (p. 10, 32 ff. = Erste Harm. §25)
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Prooimion.
403
zu stehen scheiut, siebe Excurs XVIII." Dort lehrt Marquard S. 389, es finde
sich in unseren den Namen des Aristoxenus tragenden Excerpten mancher
Widerspruch gegen die Doctrin des Aristoxenus, z. B. das gemischte Diatonon,
welcher von dem Anhänger eines anderen als des Aristoxenischen Systemes
herrühre (!!). Von einem solchen, also nicht von Aristoxenus selber, soll denn
auch die Stelle über Xenokrates geschrieben sein.
Wir können dieser Stelle über Xenokrates als eines Aristoxenischen Frag-
mentes der dritten Harmonik um so leichter entbehren, als wir im Stande sind,
dem handschriftlich überlieferten Prooimion noch ein Fragment aus dem diesem
Prooimion folgenden ersten Abschnitte aus Boetius hinzuzufügen. Gern ge-
stehe ioh, dass mir dies Fragment ohne den persönlichen Verkehr mit Freund
Oskar Paul, dem vortretflicheu Interpreten des Boetius, entgangen wäre.
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Die drei Klanggeschlechter.
Aus Boetii de institutione musica 5, 16.
§ 34. Die Quarte zerlegt Aristoxenus folgendermassen in Klang-
geschlechter.
Den Ganzton theilt er in zwei Theile und nennt diese Hälfte ein
Hemitonion.
Er theilt ihn in drei Theile: den Drittheil nennt er Diesis des
Chroma malakon.
Er theilt ihn in vier Theile: (den vierten Theil nennt er enhar-
monische Diesis).
Den vierten Theil des Ganztones um seine Hälfte d. i. um den
achten Theil des Ganztones vergrössert, nennt er Diesis des Chroma
hemiolion.
§ 35. Nach Aristoxenus zerfallen die Klanggeschlechter in
zwei Haupt-Kategorien: die eine das Genos malakoteron (genus
mollius), die andere das Genos syntonoteron (genus incitatius). Das
erstere ist das Enharmonion, das andere das Diatonon. Zwischen
diesen beiden in der Mitte steht das Chromatikon, in welchem die
Eigenschaften des malakoteron und des syntonoteron vereint sind.
Fasst man die einzelnen Klanggeschlechter zusammen, so er-
hält man der Zahl nach sechs: 1. ein enharmonisches; 2. 3. 4. drei
chromatische, nämlich ein Chromatikon malakon, ein Chromatikon
hemiolion und ein Chromatikon toniaion; 5. 6. zwei diatonische»
nämlich: ein Diatonon malakon und ein Diatonon syntonon. Die
gesammte Tetrachordtheilung ist nach Aristoxenus folgende.
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I. Die drei Klanggeechlechter. 465
§ 36. Da, wie vorher bemerkt, der vierte Theil des Ganz-
tones die Benennung enharmonische Diesig erhalten hat, und da
Aristoxenus nicht die Klänge selber mit einander vergleicht, son-
dern den Unterschied der Klänge und Intervalle durch Maasse be-
stimmt, so setzt er den Ganzton auf 12 Maasseinheiten an. Davon
erhält der vierte Theil des Ganztones, die enharmonische Diesis,
drei Masseinheiten, also drei Zwölftel (Dodekatemoria) des Ganz-
tones. Da aber die Quartensymphonie aus der Verbindung zweier
(Tanztöne und eines Halbtones besteht, kommen auf die ganze
Quarte 12+12+6 Dodekatemoria. Doch weil es häufig der Fall ist
dass wenn man bis zu Octaven geht, nicht ganze Zahlen, sondern
Bruchzalden sich ergeben, so wollen wir das ganze Quarten-Intervall
auf 60 Einheiten ansetzen: und zwar den Ganzton auf 24, den
Halbton auf 12, den Viertelton, d. i. die sogenannte Diesis enhar-
monios auf 6, den Achtelton (das Ogdoemorion) auf 3 dieser aller-
kleinsten Masseinheiten. Nehmen wir aber die Diesis des Chroma
hemiolion, d. h. den achten Theil (von 24) verbunden mit dem
vierten Theile (von 24), so wird sich dieselbe auf 9 Maasseinheiten
bestimmen lassen.
§ 37. Nachdem nun dieses festgesetzt ( — fährt Aristoxenus
fort — ) muss gezeigt werden, dass die drei Klanggeschlechter:
Kuharmonion , Chromatikon, Diatonon augenscheinlich die Eigen-
heiten haben, dass die in ihnen vorkommenden Intervalle theils
Pykna zu nennen sind, theils nicht Ein Intervall des Enharmonions
und Chromatikons kann ein Pyknon sein, ein Intervall des Diatonons
aber kann nicht Pyknon sein.
Apykna sind vorhanden, wenn die zwei Intervalle einen Ge-
sammtumfang haben, welcher gleich oder grösser als der des übrig
bleibenden dritten Intervalles der Quarte ist.
Pykna sind vorhanden, wenn zwei tiefere Intervalle das höher
gelegene dritte in der Grösse des Umfanges nicht tibertreffen.
§ 38. So wird nun nach Aristoxenus das enharmonische
Tetrachord getheilt in
e e f g
6 i\ 4S
Arittoxeuut, Melik u. Rhythmik. ?{\
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Aristoxenus siebcutheilige Harmonik.
so dass zwischen der Hypate („gravem nervum") und der Parhypate
(„prope gravem") der vierte Theii des Ganztones, Diesis enharmonios
genannt, eingeschlossen liegt. Die übrigen Maasseinheiten, welche von
den 60 nach Abzug der beiden enharmonischen Diesen übrig bleiben,
betragen 48: sie umfassen das zwischen der Lichanos und der Nete
gelegene Intervall („inter tertium a gravi nervo atque acutissimum
quartum"); die den Umfang der beiden tieferen Intervalle bezeich-
nenden Zahlen sind in ihrer Summe (6 + 6 — 12) kleiner als die das
dritte Intervall bezeichnende Zahl 48.
§ 39. Das Tetrachord des Chroma malakon ist
e e f a;
8 8 44
denn der Ganzton enthält wie gesagt 24 Maasseinheiten, der dritte
♦
Theil des Ganztones heisst Diesis des Chroma malakon.
§ 40. Die Qarte des Chroma hemiolion ist
e »• f a;
9 9 42
denn die Diesis des Chroma hemiolion ist der achte Theil des Ganz-
tones vereint mit dem vierten, d.i. von 24 Einheiten sind es 6-1-3
Einheiten.
§ 41. Die Theilung des Chroma ton iaion nach Aristoxenus
ist folgende
e f fvi a ,
12 12 36
so dass er für die beiden ersten Intervalle je einen Halbton an-
nimmt, für das dritte Intervall dasjenige, was nach Abzug der bei-
den Halbtöne von der Quarte übrig bleibt.
§ 42. In allen diesen Tetrachorden sind die beiden Intervalle,
die der Hypate zunächst liegen, zusammengenommen kleiner als das
dritte nach der Höhe zu liegende Intervall. Sie sind nämlich wie
gesagt in die Kategorie der Pykna zu setzen. Die Pykna gehören
dem Genos enharmonion und chromatikon an.
§ 43. Die diatonische Theilung ist eine zweifache. Und zwar
die des Diatonon malakon ist
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I. Die drei Klaiiggeschlechter.
467
e f ffs a .
12 18 30
so dass 12 den Halbton bezeichnet, 18 den Halbton und dazu den
Viertelton, 30 aber das übrig bleibende Intervall der Quarte. Von
jenen Intervallen ist 18 + 12 = 30 und wird diese Zahl nicht von
der übrig bleibenden Grösse übertroffen.
§ 44. Die Theilung des Diatonon syntonon ist der Art,
dass es einen Halbton und zwei Ganztöne umfasst
e f g a.
12 24 24
Die beiden unteren Intervalle 24 -f 12 = 36 werden an Gesaramt-
grösse nicht von dem übrig bleibenden Theile der Quarte, welcher
nach der Höhe zu liegt, übertroffen, sind vielmehr grösser als dieser.
§ 45. Die vorher beschriebene Tetrachord-Eintheilung des Ari-
stoxenus ist in der folgenden Tabelle enthalten:
Ijüliiirrn.
Chroma
malakon
Chroma
hemiolion
Chroma
toniaion
Diatonon
malakon
Diatonon
syntonon
a >
a ,
* i
a 1
al
a.
48
44
42
36
30
24
1,
'»<
fis ;
n"s<
g<
6
c (
8
*•
v. i
9
12
18
■
*
f .
f <
f <
6
8
.2
12
12
e i
e j
e >
0-
e >
Im Auszuge findet »ich dies bei Boetius erhaltene Fragment des Ari-
stoxenus auch bei Ptolemäus I, 12, Porphyrius p. 311, Aristides p. 19flf., aus
denen die betreffenden Stellen in der Ausgabe des griechischen Textes mit-
getheilt sind.
Einen Fortschritt können wir nun freilich in der Aufstellung der Sexa-
gesimal-Rechnung und dem Aufgeben der Rechnung nach enharmonischen
Diesen als kleinsten Masseinheiten nicht erblicken, da sie auch die etwaigen
Bruchtheile der enharmonischen Diesis, auf deren Vermeidung Aristoxenus so
sehr bedacht ist. aufs allerbequemste als Exponenten der Zahl y zur fasslichen
30 •
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4üS
Aristoxenus siebentheilige Harmonik.
«-
i
i
Anschauung bringen können, wie dies in unseren Erläuterungen der ersten und
zweiten Harmonik geschehen ist. Das Alterthum aber war mit der Logarithmen-
Rechnung noch unbekannt, und so wählte Aristoxenus in der siebentheiligen
Harmonik die Sexagesimal-Rechnung als einen schlechten Nothbehelf.
Die so äusserst bequemen Tennini „Barypyknos, Mesopyknos, Oxypyknos
Apyknos" hat sich unsere Interpretation der ersten und der zweiten Harmonik
des Aristoxenus zwar anzuwenden gestattet. Aber im Texte dieser beiden Werke
kommen die genannten Termini nirgends vor (bloss Apyknos in der sicherlich
überarbeiteten Stelle erste Harm. XII. Probl. 1): im Abschnitt XI, wo sie so
ausserordentlich willkommen sein würden, hat sich Aristoxenus noch stets durch
weitläufigere Umschreibungen helfen müssen. Dem Aristides und Genossen sind
die kürzeren Tennini durchweg geläufig. Mithin müssen wir dieselben für
eine von Aristoxenus erst in der siebentheiligen [oder sechstheiligen?] Harmonik
aufgebrachte Terminologie erklären. Der Terminus „syntonon" statt „toniaion"
wird ebenfalls eine Neuerung der siebentheiligen oder sechstheiligen Harmonik
sein.
Der erste der beiden von Bellermann herausgegebenen Anonymi gehört
nicht zu den aus der siebentheiligen Harmonik schöpfenden Aristoxeueern,
da ihm entschieden die erste achtzehntheilige Harmonik Hauptquelle ist,*)
*) Dass auch dem uns nicht mehr vorliegenden Musiker KJeonides nicht
die siebentheilige, sondern die achtzehntheilige Harmonik vorlag, ersehe ich aus
der diesem Musiker gewidmeten vortrefflichen Arbeit Karl von Jan's, die mir
erst jetzt zu Gesichte kommt.
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Aristoxeuus
SYMPOSION
ODEK
VERMISCHTE TISCHREDEN.
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Wir haben zwei Titel dieser dialogischen Schrift.
Plntarch „non posse suaviter vivi" p. 1095a berichtet:
T,In seinem Symposiom unterhält sich Theophrost über die Sympho-
nieen, Aristoxenus über die Veränderungen, Aristoteles über Homer."
Hier heisst der Titel Symposion, in welchem sich Aristoxenus über die
Veränderungen (irepl fxeTafJoXwv) unterhalten habe. Darunter sind nicht die
Metabolai im technischen Sinne der Musik, denen Aristoxenus den Abschn. XVIII
seiner ersten und zweiten Harmonik und den Abschn. VI seiner siebentheiligen
Harmonik widmet, sondern die Veränderungen zu verstehen, welche die Musik
von ihrem Beginne in der archaischen Zeit ihre verschiedenen Entwickelungs-
epochen hindurch bis in die Musikperiode des Aristoxenus erfahren hat. Von
diesen Veränderungen der Musik ist in den meisten Fragmenten der dialo-
gischen Schrift die Rede.
Der zweite Titel wird von Athen. 14, 632a überliefert „Vermischte Tisch-
reden", „oüjjtfjLtxTa oufjtroTtxd."
. Ausser diesen beiden Stellen des Plutarch und Athenäus besitzen wir
keine Quellen-Xaehrichten über dies Aristoxenische Werk. Doch schon Osann
im „Anecdotum Romanum" macht gelegentlich des von ihm aufgefundenen
Aristoxenisehen Fragmentes über die Helikonische Ilias darauf aufmerksam,
«lass die in Plutarch's Musikdialoge vorkommenden Aristoxenisehen Stellen
aus dessen Symmikta sympotika herrühren möchten. Genauer hat sich darüber
Osann nicht aussprechen mögen.
In meiner Ausgabe der betreffenden Schrift Plutarchs, Breslau 18t>5, habe
ich den Versuch unternommen, die darin aufgenommenen Berichte älterer
Musikschriftsteller den verschiedenen Quellen zuzuweisen.
Die Art und Weise, wie ich für einen grosscu Theil die vermischten
Reden des Aristoxenus augfindig gemacht habe, will ich aus meiner Ausgabe
des Dialoges nicht wiederholen. Widersprüche sind meinen damaligen Unter-
suchungen nicht entgegengestellt. Auch die zusammenhängende Stelle cap. 32 a. ff.,
welche ich, ohne mich auf ein Äusseres Citat stützen zu können, den vermisch-
ten Tischreden zuliess, bezeichnet Marquard Aristoxenus S. 232 als ein ohne
Zweifel dem Aristoxenus angehöriges Fragment. So fehlt mir vorläufig eine
Veranlassung, meine die gemischten Tischreden betreffenden Behauptungen
zu limitiren. Vielmehr muss icli auch c. 12 der Plutarchischen Schrift jenem
Werke zuweisen, nicht minder wie die unmittelbar vorausgehende und nach-
folgende Partie.
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472 Aristoxenus Vermischte Tischreden.
■
Doch fehlt mir heute die Zuversicht, die ich im Jahre 1865 auf S. 6 der
Erläuterungen zu Plutarchs Schrift aussprach, bezüglich einer von mir vorge-
nommenen Umstellung des Textes: „Liest der Leser die einzelnen Blätter
(27. und 28) in der Reihenfolge der vorliegenden Angabe, so wird ihm hier
Alles im vollen Zusammenhange erscheinen." Vielmelir bekenne ich, dass
meine Ucbersctzung der Worte des c. 36 'ü a&TÖ; hi >.öyo; xai izi täv zaö&v
tu>v uzö tt,; -otT(7txT(; 3T4[Aatvofjiev(uv ev toi; zoujpaoiv mir sehr zweifelhaft er-
scheint. Ich will aber jetzt keine andere Uebersetzung versuchen, da sich mir
seitdem (es sind 18 Jahre) trotz wiederholten Nachdenkens nichts besseres er-
geben hat.
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I. Gegensatz der alten und neuen Musik.
Athcnaeus 14, p. 632 h.
Aristoxcuus sagt in den vermischten Tischreden:
Wir thun dasselbe, wie die Einwohner von Paestum am Tyr-
rhenischen Meerbusen. Einstmals Hellenen sind sie in Barbarei ver-
sunken und zu TyiThenern oder Römern geworden und Laben ihre
alte hellenische Sprache und Cultur aufgegeben. Bloss eines der
alten hellenischen Feste feiern sie noch; da kommen ihnen die
nationalen Namen und Bräuche wieder in den Sinn und unter
Jammern und Thränen verlassen sie einander. Ebenso wollen auch
wir jetzt, wo die Theater in Barbarei versanken und diese Musik des
vulgären grossen Publikums zu einer tiefen Stufe des Verderbnisses
herabgekommen ist, hier in unserem nur Wenige umfassenden
Kreise der alten Musik, wie sie einst war, gedenken.
Plut. non ik>88C suaviter vivi, p. 1095 a.
In seinem Symposion unterhalt sich Theophrast über die Symphoniecn,
Aristoxenus über die Veränderungen, Aristoteles über Homer.
Themist. or. 33.
Der Musiker Aristoxenus versuchte die bereits in der Verweichlichung
befindliche Musik zu kräftigen, er selber war Freund einer Harmonisirung von
männlichem Charakter und mahnte seine Schüler unter Beiseitlassung des
weichlichen Styles auf Melodien von männlichem Wesen eifrig bedacht zu sein.
Einer der Genossen fragte ihn nun:
Was werde ich davon haben, wenn ich die neue und gefällige
Musik tibersehe und mit Eifer die alte treibe?
Du wirst weniger in den Theatern singen, denn die Kunst kann
nicht zugleich der Menge wohlgeiällig und alt sein.
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474
Aristoxeuus Vermischte Tischreden.
i
i
Aristoxenus min dieser Auffassang huldigend, kümmerte sich nicht um
die Missachtung des Volkes und des Pöbels. So oft es unmöglich war zugleich
bei den Gesetzen der Kunst zu bleiben und eine dem Publikum gefallige Cotn-
position zu machen, entschied er sieh für die Kunst, statt für das Wohlge-
fallen bei den Menschen.
Plut. de inus. 31.
Dass es rücksichtlich der Unterweisung und des Lernens eine
richtige und eine verkehrte Behandlung giebt, hat Aristoxenus ge-
zeigt Unter seinen Zeitgenossen war Telesias aus Theben, der in
seiner Jugend in der edelsten Musik unterrichtet war und unter
anderen Werken berühmter Meister namentlich die des Pindar,
Dionysius aus Theben, Lampros und Pratinas und der übrigen
Lyriker, welche sich zugleich vortrefflich auf die Begleitung der
Melodie verstanden, kennen gelernt hatte, ein ausgezeichneter Aulete
und auch in den übrigen Zweigen der gesammten Kunst gut be-
wandert. Dieser wurde im reiferen Alter von der bunten Bühnen-
Musik so sehr gefesselt dass er jene vortrefflichen Meister, nach
denen er erzogen war, missaehtete und sich dem Style des Philoxenus
und Timotheus zuwandte, und zwar gerade dem allermanirirtesten,
worin die meisten Neuerungen waren. Als er nun daran ging zu
componiren und es in beiderlei Weisen, der Pliiloxenischen und
Pindarischen versuchte, konnte er im Style des Philoxenus durchaus
nichts zu Stande bringen, — so sehr wirkte die gute Jugend-
bildung in ihm nach.
Plut. de mus. 12 b.
Krexos und Timotheus und Philoxenus und ihre Zeitgenossen
streben in unwürdiger Weise nach Neuem, indem sie sich dem Style
hingeben, der dem grossen Publikum gefällt und jetzt der Agonen-
Preis-Styl genannt wird. Beschränkung der Töne, Einfachheit und
Würde der Musik gehört durchaus der alten Zeit an.
Plut. de mus. 26.
Aus dem Bisherigen ist einleuchtend, dass den alten Hellenen
mit Recht die erziehende Kraft der Musik vor allem am meisten
am Herzen lag. Sie waren der Ansicht, das Gemüth der Jugend
durch Musik zur Beobachtung des Schicklichen bilden und stimmen
zu müssen, weil sie die Musik für ein Mittel hielten, das unter allen
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II. Bewusstc Einfachheit der alten Meister.
475
Umständen zu jeder ernsthaften Unternehmung und vorzugsweise in
Kriegsgefahren förderlich sei. Für diesen Fall gebrauchten sie ent-
weder die Auloi wie die Lakedaemonier, bei welchem das sogenannte
Kastor-Lied auf dem Aulos geblasen wurde, so oft die Schlacht-
ordnungen die Feinde angriffen. Oder es geschah der Anmarsch
gegen den Feind unter den Klängen der Lyra, wie von den Kretern
zu lesen ist, dass sie lange Zeit hindurch eine Art von Musik beim
Anrücken zum Kampfe gebraucht haben. Sonst bediente man sich,
wie in unseren Tagen noch, der Salpingen. Die Argeier wandten
beim Ringkampfe ihres Sthenienfestes den Aulos an, einem Kampf-
spiele, das ursprünglich dem Danaos zum Andenken gestiftet, später
dem Zeus Stenios zu Ehren geweiht sein soll.
Uebrigens ist auch heute noch Brauch, dass zum Fünfkampf
der Aulos geblasen wird; zwar wird nichts gewähltes, nichts alt-
klassisches vorgetragen, nichts was in früherer Zeit im Gebrauche
war, wie die sogenannten Endronie, welche Hierax zu diesem AVett-
kampfe componirt hatte, — aber wenn auch unbedeutende schwache
Musikstücke, so wird doch immerhin Auleten-Musik gemacht.
II. Bewusste Einfachheit der alten Meister.
Plut. de inus. 18—21.
Nicht Unkenntniss war der Grund, dass Olympus und Terpander
und ihre Nachfolger für beschränkten Umfang und geringes Ton-
gebiet eine Vorliebe hatten und Yieltönigkeit und Mannigfaltigkeit
verschmähten. Dies geht aus den Compositionen des Olympus und
Terpander und der demselben Style Folgenden hervor. Denn bei
ihrer Tonbeschränkung und Einfachheit zeichnen sie sich so sehr
vor den formen- und tonreichen Compositionen aus, dass die Manier
des Olympus für Niemand erreichbar ist, und dass er die in Yiel-
tönigkeit und Vielförmigkeit sich bewegenden Coraponisten weit hinter
sich zurück lässt.
Dass sich die Alten beim Tropos spondeiazon [für die Melodie]
der Trite (c) nicht aus Unkenntniss derselben enthielten, das geht
aus der Verwendung dieses Klanges für die Begleitung hervor, denn
sie würden ihn nicht als symphonischen Accordton (Quinte) zur
Farhypate (f) gebrauchen, wenn sie ihn nicht anzuwenden wüssten.
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470
Aristoxenua Vermischte Tischreden.
Offenbar hat die Schönheit des Eindrucks, welcher im Tropos spon-
daikos durch Nichtanwendung der Trite (c) entsteht, ilir Gefühl
darauf geführt, die Melodie [mit Uebergehung der Trite c] auf die
Paranete d hinüberschreiten zu lassen.
Ebenso verhält es sich mit der Nete e. Denn auch diese ge-
brauchten sie in der Begleitung als diaphonischen Aocordton (Se-
cunde) zur Paranete d und als symphonischen Accordton (Quinte)
zur Mese a, für die Melodie aber erschien er ihnen im Tropos
spondaikos unpassend.
Und nicht bloss die beiden genannten Töne (c und d) haben
sie in dieser Weise verwandt, sondern auch die Nete des Synem-
menon-Systemes, denn in der Begleitung gebrauchten sie die Nete
synemmenon (a) als diaphonischen Accordton zur Paranete (g, als
Secunde) und zur Parhypate (c, als Sexte), und als symphonischen
Accordton zur Mese (e, als Quarte) und zur Lichanos (d, als Quinte);
doch wenn ihn einer als Melodieton angewandt hätte, über den
würde man sich wegen des durch diesen Ton bewirkten Ethos ge-
schämt haben.
Auch die Phrygischen Compositionen beweisen, dass jeirer Ton
(Nete synemmenon a) dem Olympus und seinen Nachfolgern nicht
unbekannt war, denn sie wandten ihn nicht bloss in der Begleitung
an, sondern in den Metroa und einigen auderen Phrygischen Com-
positionen auch für die Melodie.
Auch in Beziehung auf die Töne des Hypaton-Tetrachordes ist
es klar, dass man sich dieses Tetrachordes nicht aus Unkenntniss
desselben enthielt, denn bei den übrigen Tonarten verwandte man
dieselben, sicherlich also kannte man sie, aber aus sorgsamer Scheu
für das Ethos enthielt man sich derselben bei der Dorischen Ton-
art,- vor deren charakteristischer Schönheit man Ehrfurcht trug.
Etwas ähnliches findet sich auch bei den Tragödien-Componisten.
Das chromatische Tongeschlecht und die dazu gehörige Rhythmik
wird nämlich bis jetzt von der Tragödie noch nicht angewandt
wärend es doch in der Kitharistik, obwohl diese um viele Menschen-
alter älter ist, von Anfang an gebraucht wurde. Dass aber das
Chroma älter ist als die Enharmonik, steht fest; freilich muss man
den Ausdruck „älter" im Hinblicke auf die Beanlagung der mensch-
lichen Stimme und auf die Anwendung gebrauchen, denn was das
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II. Bewusete Einfachheit der alten Meister.
477
Wesen der Tongeschlechter an sich betrifft, so ist keines älter als
das andere. "Wer also sagen will, Aeschylus und Phrynichus hätten
sich deshalb des Chroma enthalten? weil sie dasselbe noch nicht
gekannt hätten, wird der nicht thörieht seinV
Ein solcher wird auch sagen können, dass auch Pankrates
das chromatische Tongeschlecht nicht gekannt habe, denn auch
dieser hat sich für gewöhnlich des Chromas enthalten, hat es aber
in einzelnen Compositionen angewandt; sicherlich hat er sich dort
desselben nicht aus Unkenntniss, sondern aus Vorbedacht enthalten,
denn wie er selbst sagte, war er ein Anhänger des Pindarischen
und Simonideischen und überhaupt des von den jetzt Lebenden als
alt bezeichneten Compositionsstyles.
Dasselbe gilt auch von dem Mantineer Tyrtaeus, dem Korin-
thier Andreas, dem Phlyasier Thrasyllus und vielen anderen, die
sich alle, wie wir wissen, mit Vorbedacht des Chromas, der Meta-
bole, des weiten Tonumfanges und manches anderen, was an Ryth-
men, Tonarten und Metren üblich ist, sowohl als Componisten wie
als ausführende Musiker enthalten haben. So war der Megarenser
Telephanes den Syringen dergestalt abhold, dass er seineu Instru-
mentenmachern niemals gestattete, dieselben auf die Auloi als Mund-
stück aufzusetzen, ja hauptsächlich um der Syringen willen hat er
sich sogar vom Pythischen Agon ferngehalten.
Ueberhaupt : will man demjenigen, welcher irgend eine Kunstform
nicht anwendet, auf Grund dieser Nichtanwendung hin den Vorwurf
der Unkenntniss machen, dann wird man sofort auch vielen der jetzt
Lebenden einen solchen Vorwurf machen müssen: z. B. den Dorio-
nianern, die den Styl des Antigenides verschmähen, wird man Unbe-
kanntschaft mit diesem Style vorwerfen, weil sie ihn mcht anwenden,
und umgekehrt den Antigenidianern aus dem gleichen Grunde Un-
bekann tschaft mit dem Style des Dorion, und ebenso den Kitharoden
Unbekann tschaft mit dem Style des Timotheus, denn sie sind so
ziemlich zu der Sohlenleder-Manier und den Compositionen des
Polyeidos herabgesunken.
Andererseits wird man, wenn man nicht (bloss die grössere
Einfachheit, sondern) auch die grössere Mannigfaltigkeit der Kunst-
mittel einer richtigen und einsichtigen Prüfung unterzieht, bei einer
Vergleichung von ehemals und jetzt zu dem Ergebnisse kommen,
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478
Aristoxenus Vermischte Tischreden.
dass auch damals die Anwendung einer Mannigfaltigkeit in den Kunst-
formen üblich war. In Bezug auf die Rhythmopoeie nämlich wand-
ten die Alten eine grössere Formfülle an. Die Neueren haben eine
Vorliebe für viele Töne, die Aelteren für mannigfaltige Rhythmen.
Also wenigstens rhythmische Mannigfaltigkeit stand bei ihnen
in grossem Ansehen und auch in Beziehung auf den Verein des
Gesanges mit der Instrumentalmusik fand damals ein grösserer
Formenreichthum statt.
Es ist demnach klar, dass sich die Alten nicht aus Unkennt-
niss, sondern mit Vorbedacht der durch weit auseinander liegende
Tonstufen in ihrem natürlichen Laufe abgebrochenen Melodien ent-
halten haben. Und was ist daran auffallend? Auch vieles andere
im Leben ist einem, wenn man es nicht verwendet, deshalb noch
keineswegs unbekannt; man hat sich demselben vielmehr bloss ent-
fremdet, nachdem es als unpassend für manche Dinge nicht in
Anwendung kommt.
Von Olympus nahmen die Musiker an, wie Aristoxenus sagt,
dass er der Erfinder des enharmonischen Tongeschlechtes sei, denn
vor ihm habe es nur diatonische oder chromatische Compositionen
gegeben. Sie denken sich, dass diese Erfindung folgendermassen
vor sich gegangen sei. Als Olympus sich im diatonischen Ton-
geschlechte bewegte und die Melodie öfters nach der diatonischen
Parhypate f hinführte, bald von der Paramese h aus, bald vpn der
Mese a und dabei die diatonische Lichanos g unberührt Hess, da
wurde er auf die Schönheit des Ethos aufmerksam, und indem er
die nach dieser Analogie aufgestellte Scala bewundernd sich zu
eigen machte, componirte er in derselben Melodieen dorischer
Tonart.
Er habe dabei weder die der Diatonik, noch die der Chromatik,
noch auch die der (späteren) Euharmomk eigenen Töne berührt.
Das seien die Anfänge der enharmomschen Compositionen. Sie stellen
III. Die Eiiharinonik.
Plut. de mus. 11.
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III. Die Enhannouik. 470
als den Anfang der enharmonischen Compositionen die Opfer-Spende-
Melodie (das Spondeion) hin, in welcher keine der Tetrachordein-
theilungen die den drei Tongeschlechtern eigenen Töne darbietet.
Das enharmonische Pyknon, dessen man sich jetzt bedient scheint
nicht von dem genannten Componisten herzurühren.
Es lässt sich das leichter einsehen, wenn man einen Auleten
nach archaischer Weise vortragen hört, denn ein solcher verlangt,
dass das auf die Mese folgende Halbton-Intervall ein unzusammen-
*
gesetztes sei (kein zusammengesetztes aab). Später aber sei das
Halbton-Intervall (durch die in der Mitte angenommene kleinste
Diesis) zertheilt, sowohl in den Lydischen, wie in den Phrygischen
Compositionen.
Olympus aber stellt sich als Förderer der Kunst dar, indem
er eine bei den Früheren noch nicht vorhandene und noch unbe-
kannte Kunstfonn eingeführt hat und Begründer des schönen Styls
hellenischer Musik geworden ist
Plut. de mus. 37.
Obwohl es drei Tougeschlechter gibt, die von einander durch
die Grösse der Intervalle und durch die Stufen der Töne, und ebenso
auch durch die Eintheilung der Tetrachorde verschieden sind, so
haben dennoch die Alten in ihren Schriften bloss ein einziges Ton-
geschlecht behandelt. Meine Vorgänger haben nämlich weder das
chromatische noch das diatonische, sondern bloss das enharmonische,
und auch von diesem kein grösseres Tonsystem als bloss die Octave
berücksichtigt Denn dass es nur eine einzige Art der Harmonik
gibt, darin waren fast alle einverstanden, während man sich über
die verschiedenen Arten der beiden anderen Tongeschlechter nicht
einigen konnte.
Die jetzt Lebenden aber haben das schönste der Tongeschlechter,
dem die Alten seiner Ehrwürdigkeit wegen den meisten Eifer wid-
meten, ganz und gar hintangesetzt, sodass bei der grossen Mehrzahl
nicht einmal das Vermögen, die enharmonischen Intervalle wahr-
zunehmen, vorhanden ist: sie sind in ihrer leichtfertigen Trägheit
soweit herabgekommen, dass sie die Ansicht aufstellen, die enhar-
monische Diesis mache überhaupt nicht den Eindruck eines den
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480
Aristoxenus Vermischte Tischreden.
Sinnen wahrnehmbaren Iutervalles, und dass sie dieselben aus den
Melodien ausschliessen. Diejenigen, so sagen sie, hätten thöricht
gehandelt, welche darüber eine Theorie aufgestellt und dies Ton-
geschlecht in der Praxis verwandt hätten. Als sichersten Beweis
für die Wahrheit ihrer Behauptung glauben sie vor allem ihre eigene
Unfähigkeit, ein solches Intervall wahrzunehmen, vorbringen zu müssen.
Als ob alles, was ihrem Gehör entginge, nicht vorhanden und prak-
tisch nicht verwendbar sei! Sodann machen sie auch die Thatsache
geltend, dass jene Intervallgrösse nicht wie der Halbton, der Ganz-
ton u. s. w. durch Symphonien bestimmt werden könne. Sie sehen
nicht, dass dann auch die Intervalle von 3, 5, 7 Diesen verworfen
und überhaupt alle ungeraden Intervalle als unbrauchbar bei Seite
gelassen werden müssten, weil man keines derselben durch Sympho-
nien bestimmen kann, d. i. alle diejenigen, welche ein ungerades
Multiplum der kleinsten Diesis sind. Daraus würde folgen, dass
alle Tetrachord-Eintheilungen, ausser derjenigen, in welcher nur ge-
rade Intervalle vorkommen, unnütz seien, d.i. alle ausserdem syntonon
Diatonon und dem Chroma toniaion. Man müsste denn rücksicht-
lich des Spondeiasmos syntonoteros annehmen, dass derselbe dem
syntonon Diatonon angehöre. Offenbar aber würde der etwas Un-
wahres und etwas Ekmelisches annehmen, der dieses behaupten
würde. Etwas Unwahres, weil jener um eine Diesis kleiner als der
zum Ausgangspunkte angenommene Ganzton; etwas Ekmelisches,
weil wenn man^das dem syntonoteros Spondeiasmos eigene Intervall in
das Toniaion setzen wollte, zwei Diastemata toniaia, das eine ein-
lach, das andere zusammengesetzt, aufeinander folgen würden*
Mit dergleichen Aussprüchen und Behauptungen widersprechen
jene Musiker nicht nur der augenscheinlichen Thatsache, sondern
stehen sogar mit sich selber in Widerspruch, denn es zeigt sich,
dass sie gerade solche Tetrachordstimmungen verwenden, in welchen
die Intervalle entweder ungerade oder irrationale sind. Denn stets
sind bei ihnen die Lichanoi und Paraneten zu tief gestimmt, und
auch von den unbeweglichen Tönen stimmen sie einige tiefer, indem
sie mit ihnen zugleich die Triten und Paraneten zu einem irratio-
nalen Intervalle herabstimmen. Und mit einer solchen Scala glauben
sie den meisten Beifall zu finden, bei welcher (wie dies jeder mit
richtigem Gehör begabte einsieht) die meisten Intervalle irrational
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IV. L>laugung de» musikalischen Kunsturtlieils. 481
■
und nicht bloss die beweglichen, sondern auch die unbeweglichen
Töne zu tief gestimmt sind.
Vgl. oben S. 249 und S. 400 ff.
IV. Erlangung des musikalischen Kunsturthells.
Plut. de mus. 32 a ff.
Um nun ein musikalisches Urtheil zu gewinnen, muss man
zuerst die Zusammengehörigkeit der einzelnen Theile der
Musik richtig ins Auge fassen. Da es nämlich drei Theile giebt,
in welche die gesammte Musik nach der gewöhnlichen Eintheilung
zerfällt, so muss derjenige, welcher der Musik sich Widmet, mit der
auf diese drei Theile sich beziehenden Compositionskunst und mit der
diese Compositionen wiedergebenden Interpretationskunst vertraut
sein. Die Harmonik vermag nicht derjenige zu beurtheilen, welcher
sich bloss die Kenntniss der Harmonik erworben hat, sondern nur
derjenige, welcher zugleich die sämmtlichen Theile der Musik und die
Musik als Ganzes, sowie auch die Verbindung und Zusammensetzung
der Theile im Auge hat Wer bloss Harmoniker ist, der ist in enge
Schranken eingeschlossen. Ueberhaupt muss bei der Beurtheilung
der einzelnen Theile der Musik unser Gehör und unser Urtheil [mit
den Tönen, Takten und Textesworten] zugleich mit fortschreiten,
und weder vorauseilen wie die raschen und leicht erregbaren, noch
zurückbleiben wie die langsamen und schwer beweglichen Naturen.
Auch giebt es Naturen, in welchen beide Fehler zugleich vorkom-
men, indem sie nämlich in Folge einer angeborenen Unregelmässig-
keit bald zurückbleiben und bald vorauseilen. Das sind die Fehler,
von denen sich unser Auffassungsvermögen, wenn es gleichen Schritt
halten soll, fernhalten muss. Denn dreierlei ist es, was immer
gleichzeitig von unseren Ohren aufgenommen werden muss: der
Ton, das rhythmische Zeitmaass und die Sylben des vorgetragenen
Textes — gleichsam die kleinsten Grössen der drei Bestaudtheile
der Musik. Aus dem Fortschreiten der Klänge ergiebt sich uns
das melische Element, aus dem Fortschreiten der Taktabschnitte
der Rhythmus, aus dem Fortschreiten der Sylben der poetische Text.
Mit dem Fortschreiten dieser drei Elemente muss auch unsere Auf-
fassung gleichen Schritt halten.
ArlHtoKU.u*. Melik u. Rhythmik. 31
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482
Aristnxenus Vermischte Tischreden.
Was nun ferner zu bedenken ist, ist dies, dass zur Erlangung
des richtigen musikalischen Kunsturtheiles die Kenntniss der
musikalischen Theorie und Technik nicht ausreicht. Denn
die einzelnen Theile der gesammten Musik, als da sind: Kenntniss
der Instrumente und des Gesanges, Geübtheit des Gehörs in Bezug
auf Töne und Takt, Theorie der Harmonik und Rhythmik, Ver-
ständniss der Melodie-Begleitung und des poetischen Textes und was
man sonst noch an einzelnen Theilen der Musik aufzählen kann —
das Alles macht Niemanden zugleich zu einem vollkommenen Mu-
siker und Kritiker. Weshalb man hierdurch noch kein Kritiker
wird, wollen wir einzusehen versuchen.
Wir ersehen dies erstens daraus, dass dasjenige, was unserem
musikalischen Urtheile vorgeführt wird, theils Selbstzweck, theils
Mittel zum Zweck ist. Selbstzweck ist einerseits jede Composition
als solche betrachtet, also jedes durch Gesang oder Aulos- oder
Kitharaspiel vorgetragene Musikstück, andererseits die eine solche
Composition uns vorführende Kunst des Virtuosen (Interpretation),
also das Aulosspiel, der Gesang u. s. vv. Mittel zum Zweck ist
Alles Einzelne, was auf den genannten Zweck Bezug hat und zur
Erreichung desselben noth wendig ist: dahin gehören die einzelnen
Bestandtheile des musikalischen Vortrags.
Wir ersehen es zweitens aus der Compositionskunst, denn mit
dieser verhält es sich ebenso (auch hier ist das was Selbstzweck und
was bloss Mittel zum Zweck ist zu unterscheiden).
[Was nämlich den ersten dieser beiden Punkte anbetrifft], so
wird man beim Anhören eines Auleten beurtheilen, ob die Auloi
zusammenstimmen oder nicht, ob die Mehrstimmigkeit verständlich
oder unverständlich ist. Alles derartige ist aber nur ein einzelner
Hestandtheil des auletischen Vortrags — es ist nicht Selbstzweck,
sondern nur ein Mittel den Zweck zu erreichen. Denn neben diesen
und allen anderen Einzelheiten des auletischen Vortrages wird man
die ethische Wirkung desselben auf unser Gemüth zu beurtheilen.
haben, ob diese dem Geiste der vorliegenden Composition, welche
der Virtuose zur Darstellung hat bringen wollen, angemessen ist
oder nicht.
Dasselbe gilt auch, um nun auf den zweiten Punkt einzugehen, von
den Fehlem (?), welche von der Compositionskunst beim Nieder-
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IV. Erlangung des musikalischen Kunsturthoils.
4S3
schreiben in den Musikstücken begangen werden. Klar wird das
werden, wenn man eine jede der theoretischen Musik-Disciplinen
ihrem Inhalte nach näher sich ansieht. Die Harmonik nämlich be-
handelt die Tongeschlechter, Intervalle, Systeme, die Töne, die Ton-
arten und die Üebergänge aus einem Systeme in das andere, aber
weiter erstreckt sie sich nicht, so dass man nicht einmal suchen
darf, aus der Disciplin der Harmonik zu erkennen, ob der Com-
ponist in einer dem Charakter der Tonarten entsprechenden Weise
den Anfang in hypodorischer, oder den Schluss in mixolydischcr und
dorischer, oder die Mitte in hypophrygischer und phrygischer Ton-
art gesetzt hat, denn auf derartige Fragen geht die Disciplin der
Harmonik nicht ein, da sie die Bedeutung des (einer jeden Tonart)
eigentümlichen Charakters unberücksichtigt lässt. Aber noch vieles
Andere lässt sie vermissen. Denn weder die Theorie des chroma-
tischen, noch des enharmunischen Tongeschlechtes giebt die Bedeu-
tung von deren eigentümlichem Charakter an, dessen Erreichung
doch der eigentliche Selbstzweck der Composition ist und in Folge
dessen die Composition in bestimmter Weise auf uns einwirkt:
vielmehr ist dies dem Componisten anheim gestellt Offenbar
ist auch das Tonsystem der harmonischen Disciplin etwas anderes
als die Vocal- oder Instrumentalstimme der in dem Tonsysteme
sich bewegenden Melopoeie, deren Behandlung der Harmonik nicht
angehört. Ebenso verhält es sich nun auch in Beziehung auf die
Rhythmen, denn von keinem Rhythmus wird jemals die Theorie die
Bedeutung seines eigentümlichen Charakters angeben, auf den es
doch bei dem Zwecke der Composition ankommt.
Wemi ich hier wiederholt von eigentümlichem Charakter spreche,
so tue ich das mit Hinblick auf die Wirkung, welche die Musik
auf unser Oemüth ausübt. Der Grund dieser Wirkung besteht, sage
ich, entweder in der bestimmten Art und Weise, wie die Töne oder
wie die Taktzeiten zusammengestellt sind, oder in der Verbindung
des Harmonischen mit dem Khvthmischen, oder beide Ursachen
wirken zusammen. So ist von Olympus die in phrygischer Tonart
gesetzte Enharmonik mit dem Paeon Kpibatus verbunden. Hierdurch
wurde nämlich die Wirkung des Anfängst eiles im Komos auf Athene
hervorgebracht. Indem dann im weiteren Verlaufe des Stückes bloss
der Rhythmus in kunstreicher Weise verändert und statt des paeo-
31*
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484
Arisfoxcnus Vermischt«' Tischreden.
irischen der trochäische Rhythmus genommen wurde, wurde die
Olympische Enharmonik festgehalten. Aber obwohl das enharmo-
nische Tongeschlecht und die Phrygische Tonart und ausserdem das
ganze Tonsystem beibehalten wurde, so wurde doch die Wirkung
eine völlig andere, denn derjenige Theil, welcher genannt
wird, ist im Nomos der Athene von dem Anfangstheile der ethischen
Wirkung nach durchaus verschieden.
Wer mit der Kenntniss der musikalischen Theorie und Technik
das richtige musikalische Urtheil verbindet, der wird offenbar der
vollendete musische Künstler sein. Ein Musiker, welcher die do-
rische Tonart kennt, ohne dass er den eigenthümlichen Charakter
ihrer Anwendung zu beurtheilen versteht, der wird nicht wissen,
was er componirt und nicht einmal im Stande sein, das Ethos der
Tonart festzuhalten. Ebenso verhält es sich auch mit der gesummten
Rhythmik. Wer den Paeonischen Rhythmus kennt, wird deshalb,
weil er bloss die Bildung des paeonischen Taktes kennt noch nicht
die Eigentümlichkeit seiner Anwendung kennen. So muss denn nun
derjenige, welcher unterscheiden will, was irgend einer musikalischen
Kunstform eigentümlich und nicht eigentümlich ist, zum mindesten
zweierlei wissen: einmal muss er das Ethos kennen, um dessentwillen
die Composition gemacht ist, andererseits dasjenige; aus welchem
die Composition besteht — Das Gesagte wird genügend darthun,
dass weder die Harmonik, noch die Rhythmik, noch irgend eine
andere Disciplin, welche einen einzelnen Theil der Musik bildet, an
sich ausreicht, das Ethos der in ilir behandelten Kunstformen zu
erkeunen und das Weitere, was hiermit zusammenhängt, zu beur-
theilen.
V. Rhythmische Neuerungen der archaischen Zeit.
Plut. de mus. 12.
Auch über die Rhythmen giebt es eine Ueberlieferung. Denn
Arten und Unterarten der Rhythmen wurden hinzuerfunden, auch
neue Allen der Metropoeien und Rhythmopoeien.
Zuerst nämlich führte die (rhythmische) Neuerung des Terpan-
der eine schöne Weise in die musische Kunst ein.
Dann wandte nach der von Tcrpander aufgebrachten Weise
Polymnastus eine neue an, doch so, dass er am schönen Style festhielt
v
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VI. Urber die rhythmische Primär- Zeit.
485
Ebenso auch Thaletas undSakadas, denn auch diese waren treffliche
Meister in der Rhythmopoeie, die den schönen Styl nicht verliessen.
Es giebt auch eine Neuerung des Alkinan und des Stechichorus,
die ebenfalls nicht vom schönen Style sich entfernten.
VI. "Ueber die rhythmische Primiir-Zelt.
Porphyr, zu Ptolem. p. 25ö.
U«'ber die Unbegrenztheit der Tonstufen hat auch Aristoxenus vielfach
gesprochen. Iu der Abhandlung über die Tonoi sagt er folgendermaassen . . .
In derjenigen über die Primär- Zeit den Vorwurf, der ihn von einigen treffen
könnte, widerlegend, schreibt er folgendes:
Wenn bei einem jeden der Rhythmen die Arten des Tempo
unendlich sind, dann werden auch die Primär-Zeitcn eine unendlich
verschiedene Dauer haben. Das ist aus dem Vorhergesagten klar.
Das nämliche wird der Fall sein auch bezüglich der zweizeitigen,
3-zeitigcn und 4-zeitigen und der übrigen rhythmischen ZeitgrÖssen,
denn einer jeden der Priinär-Zeiten wird auch die 2-zeitige und die
3-zeitige und jede der übrigen angemessen sein.
Man muss sich hier nun in Acht nehmen vor der Irrung und
der durch sie hervorgebrachten Verwirrung, denn leicht kann einer,
welcher durch musikalische Kenntnisse nicht unterstützt wird und
solcher Theorien, welche wir darlegen, unkundig, in der Sophistik da-
gegen hinreichend bewandert ist, wie es irgendwo bei Ibykus heisst:
„mit rasendem Zornesmunde
mir Hader entgegen bringen",
indem er (der musikunkundige Sophist) sagt, es sei ungereimt, wenn
einer die Rhythmik eine Wissenschaft nenne und sie gleichwohl aus
unbestimmten, imaginären Elementen (Primär-Zeit) bestehen lasse,
denn das Unbestimmte sei " das Gegentheil aller Wissenschaft. Ich
denke, es wird dir jetzt klar sein, dass wir des Unbestimmten nicht
für unsere rhythmische Wissenschaft bedürfen. Denn wir setzen
nicht Takte aus unbestimmten ZeitgrÖssen zusammen, sondern viel-
mehr aus •begrenzten, begrenzt durch Grösse und Anzahl und durch
Maass und Ordnung in ihrem Verhältnisse zu einander. Und wenn
wir keine derartigen Takte annehmen, so statuiren wir auch keinen
derartigen Rhythmus, da alle Rhythmen aus Takten zusammenge-
setzt sind.
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486
Aristoxenus Vermischte Tischreden.
Ucberhaupt nun ist festzuhalten, welcher von den Rhythmen
auch genommen werde, z. B. der Trochäus: in irgend einem be-
stimmten Tempo angesetzt, wird er aus der Zahl jener unbestimmten
Primär-Zeiten Eine bestimmte für sich in Anspruch nehmen. Der-
selbe Fall ist es auch bezüglich der zwei-zeitigen, denn der Rhyth-
mus wird auch von diesen Eine, welche der genommenen Prima r-
Zeit symmetrisch ist, in Anspruch nehmen. Es ist also offenbar, dass
niemals die Rhythmik als eine Wissenschaft sich zeigen kann, welche
von der Idee der Unbegrenztheit und Unbestimmtheit Gebrauch
macht
Man muss sich nun überzeugen, dass auch bezüglich der har-
monischen Wissenschaft das nämliche zu sagen sein wird. Klar
nämlich ist uns auch dieses geworden, dass zwar bezüglich aller
Intervalle die Grössen unbestimmt sind, aber dass bei dieser Un-
bestimmtheit der Pykna dieses oder jenes System in dieser oder
jener Chroa zur Ausführung gebracht irgend ein bestimmtes Mege-
thos beanspruchen wird; nicht minder auch wird von den das Pyk-
non überragenden Intervallen, die an sich unbestimmt sind, ein jedes
irgend Ein Megethos, welches dem genommenen Pyknou symmetrisch
ist, fiir sich in Anspruch nehmen. „Ueherragend" nenne ich ein
solches wie das Intervall der Mese und Liehanos.
Der Rhythmik des AriBtoxenus kann dieses Bruchstück nicht angehören.
Denn obwohl dieselbe keineswegs vollständig uns vorliegt, ist doch gerade
die Lehre von der Primär-Zeit dort im Ganzen lückenlos erhalten, so dass fiir
das vorliegende Fragment „Ueber die Primär-Zeit" dort absolut kein Platz ist.
Was die Form der Darstellung in diesem bei Porphyrius erhaltenen Bruch-
stücke betrifft, so muss sich dieselbe zwar mehrfach mit derjenigen der theo-
retischen Schriften über Rhythmik und Melik berühren, denn wir haben hier
die dem Aristoxenus eigen thüinlichen Begriffe und Deductionen. Aber eine
auffallende Verschiedenheit zeigt die individuelle Färbung, der erregte fast
leidenschaftliche Ton, von welchem wir in jenen theoretischen Darstellungen
des Aristoxenus nichts bemerken. Nirgends kommt dort eine Wendung wie
hier: „Ich denke, es wird dir jetzt klar sein", vor — eine Beziehung auf eine
anwesende Person, an die sich Aristoxenus mit seinen Auseinandersetzungen
wendet. Das kann nur einer der dialogischen Schriften des Aristoxenus an-
gehören. Dem wird auch die grössere Lebendigkeit der Darstellung, das Ci-
tiren von Dichterversen (Ibykus) entsprechen. Alles weist darauf hin, dass
Porphyrius dies au* einer Schrift wie Athenäus 14, p. 632 und Themist. or. 33
entlehnt hat.
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*
Die harmonischen Grundsätze der Melodie-Begleitung
nach Aristoteles und Aristoxenus.
(Zu Abschn. II, S. 475).
Der willkürlichen Annahme, dass der tiefste Klami der sieben Oclavcnscalen
die harmonische Bedeutung der Tonica habe, widerspricht die Bescliaffenhcit
der Mixolydischen.
Von den sieben Octavengattungen der Griechen bedient »ich die moderne
Musik eigentlich nur einer einzigen, welche vom tiefsteu Intervalle bis zum
höchsten genau mit dem Lydiachen Schema der Alten übereinstimmt. Ks
ist dies das Schema der modernen Dur-Seala. Unsere Moll-Scala stimmt am
meisten mit dem Hypodorischen Octaven-Eidos überein; doch nur unser ab-
steigendes Moll, denn das aufsteigende verändert den sechsten und siebenten
Klang durch Halbton-Erhöhung.
Die Musik der sogenannten christlichen Kirchentöne bedient sieh dagegen
solcher Octaveu-Scalen , unter denen auch die übrigen Octavengattuugeu der
Griechen vertreten sind. Auch die antiken Nomenclaturen sind für unsere
Kirchentöne üblich geblieben, jedoch mit folgender Veränderung der Bedeu-
tung »1er griechischen Benennungen.
Altgriechische Octaven-Eide.
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Christliche Kirchentöne.
Vgl. Jourij v. Arnold die alten Kirchenmodi historisch und akustisch
entwickelt. 1879.
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488
Aristoxenus Vermischte Tischreden.
Der tiefste Ton der jedesmaligen Octave hat für das System der Kirehen-
töne immer die harmonische Geltung der Prime. der dritte Klang die der Terz,
der fünfte Klang die der Quinte oder Dominante. Diejenigen Kirchentöne.
bei denen der dritte Klang der Octave eine grosse Terz bildet, werden also
insofern unter die Kategorie der modernen Dur-Tonarten gehören; dagegen
in die Kategorie der Moll Tonarten sind diejenigen Kirchentöne zu setzen, in
welchen der dritte Klang der Octaven-Seala mit dem ersten Klange das Inter-
vall einer kleine Terz bildet. Die Kirchentöne in c, in g und in f würden also
bei der hier sich darbietenden grossen Terz in die Dur- Kategorie: die Kirchen-
töne in a, in d, in e und in h bei der hier gebotenen kleineu Terz in die Moll-
Kategorie gehören. Am häufigsten sind unter den Kirchentönen zunächst der
in c (mit unserem gewöhnlichen Dur identisch), sodann der Kirchen ton in a
(mit unserem Moll zusammenfallend, nur dass beim Aufsteigen eine Halbton -
Erhöhung der siebenten und sechsten Stufe nicht stattfindet \.
Auch die Kirchentöne in g, in e, in d sind häufig genug. Heispiele giebt
Bellermann Anonymus p. 36. 37.
Sehr selten dagegen ist der Kirchenton in f angewandt. Bellermann sagt:
„exemplum tarnen eins possit esse hymnus „Gottes Sohn ist kommen," cui
plura duobmj vel tribus vix poteris addere." •
Die Scala in h endlich kommt als Kirchenton niemals vor, „uusquam ad-
hibitam reperies in ecclesiae nostrae canninibus."
Bellermann und alle frühereu nahmen es als selbstverständlich an, dass,
wie bei den Scalen der Kireheutöne, so auch in den sieben Octavengattungen
der Griechen der jedesmalige Anfangston der betreffenden Scala die harmo-
nische Bedeutung der Prime oder Tonica gehabt habe. Ist dies der Fall, dann
(dies weiss Bellermann recht gut) wird freilich die Hypolydisehe und Mixoly-
dische Octavcngattung etwas durchaus Unmusikalisches sein. Die griechische
Musik könne aber nichts Unmusikalisches gehabt haben. Und so sucht denn
Bellennann allen Ernstes nachzuweisen, dass die Griechen weder eine Hypo-
lydisehe, noch eine Mixolydische Octavcngattung in Gebrauch gehabt hätten.
Dass Aristoxenus namentlich den Gebrauch des Mixolydischen Octaven-
Eidos mehrfach erwähnt, dass er sagt, sie sei die Tonart der Sappho, von
dieser habe sie die Tragödie entlehnt und mit der Doristi vereint, da das Do-
rische einen grossartigen und würdevollen, das Mixolydische einen wehmüthigen
Charakter habe, — dass Aristoxenus (denn von diesem stammt das betreffende
Fragment) oben S. 483 den praktischen Gebrauch des Hypodorischen, Mixo-
lydischen, Dorischen, Hypophrygischen und Phrygiscben durchaus coordi-
nirt, — dass bei Plato u. a, so ausführlich vom Ethos der Mixolydisti geredet
wird: — das Alles weiss ja Bellennann recht gut. Aber trotz alledem sagt
er zum Anonym, p. 36 nichts destoweniger: „faeile apparet, etiam haruin Septem
minus utiles ceteris esse Hypolydiam et Mixolydiam, quarum illa a primario
suo sono (f ) non ascendit in intervallum diatessaron, haec a suo (h) non in in-
tervallum diapente, quum ceterae quinque utroque hoc intervallo instruetae
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Die hann. Grundsätze der Melodie-Begleitung von Aristot. u. Aristox. 489
iniüto suaviorcs et utiliores »int ad inodulutionem. Itaque consentaneum est,
ha« duas, quae nostris sensibus displicent, ne veteribus quidem probatas esse,
qiii, quum nulli systematis sono intcrvalla diatessaron et diapente simul deessc
vellcut, eertc |)riraariutn eins sonum, ad quem, quasi ad fundainentnm, melo-
diam Semper reduei necesse est, neutro eorum carere passi sunt."
Darauf führt Bellermann aus. dass es bei Aristoxenus eine Stelle gebe,
welche das Hypolydisehe und Mixolydische Octavcusystcm für ekmelisch zu
erklären, also au» der praktischen Musik auszuscheiden scheine. Man wird es
von dein verdienten und sorgsamen Forscher nicht für glaublich halten, dass
jene Stelle des Aristoxenus, welche er als Zeugniss vorbringt, keine andere ist
als das 1. Problem des Abschn. XII. worin es heisst, dass auf der Scilla der
erste mit dein vierten Klange ein Quarten-Symphonie, mit dem fünften Klange
eine Quinten -Symphonie bilden müsse.- Namentlich die Worte: „Man inuss
aber wissen, dass das Gesagte für die emmelische Zusammensetzung des Sy-
steme« aus Intervallen nicht ausreicht. Denn wenn auch die betreffenden
Klänge die angegebnen Quarten- oder Quinten-Intervallen bilden, so kann
das System trotzdem ekmelisch construirt sein."
Aus dieser Stelle, wie es Bellermann that, zu folgern, dass hier Aristoxe-
nus das Hypolydisehe und Mixolydische System als ekmelisch aus der Musik
ausschliessc. das konnte wohl nur demjenigen passiren. welcher sich nicht die
Arbeit gemacht hatte (die Arbeit war früher keine geringe!) die Aristoxenischc
Harmonik im Zusammenhange zu studiien.
Es heisst eine Behauptung gegen dir unzweideutigste und klarste Ueher-
lieferung der Quellen griechischer Musik aufstellen, wenn man die Hypoly-
disehe und Mixolydische Octavengattung für etwas Ekmelisches im Sinne
des Aristoxenus erklärt. Nach Aristoxenus ist jede der von ihm statuirten
7 Ortaven-Kidc, unter denen er dem Mixolydisehcn die erste Stelle anweist,
em indisch. Er erklärt dies ausdrücklich in dem Prooimion der ersten Har-
monik § 18, wo er sich darüber ausspricht, dass es nach der nicht genugsam
überdachten Theorie des Eratokles mehr als 7 Octaven -Systeme geben würde,
welche nicht em indisch seien.
Bellermanns Schlussfolge ist: Die Octa\ engattungen der (»riechen ent-
sprechen unseren Kirchentönen und ihr tiefster Ton hat daher die hanno
nische Bedeutung der Prime oder Tonica. Bei der Mixolydisehcn Octaven
gattuug ist dies letztere unmöglich, denn h f ist eine falsche Quinte.
Daher kann die Mixolydische Tonart keine emmelische Tonart der Griechen
gewesen sein.
Das schliessliche Resultat Bellermanns ist ein unrichtiges, denn nach Ari-
stoxenus war die Mixolydische eine emmelische Octavengattung und ihre viel-
fache Anwendung in der Melik der Griechen ist aufs hinlänglichste bezeugt.
Aus diesem Grund«' müssen wir der von Bellermann als allgemein anerkannten
Praemisse die Richtigkeit abstreiten.
Nach den Regeln der Ixtgik haben wir vielmehr folgenden Schluss zu ziehen:
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-11)0
Aristoxenus Vermischte Tiselireden.
Wenn der tiefste Klang der antiken Octavengattungen dieselbe Function
hätte wie in den modernen Kirchentönen, dann hätte die Mixolydische Tonart
den Ton h zur Tonica, welcher mit f eine falsche Quinte bildet, würde also
ekmelisch sein. Da sie aber eine cmmelische war, und als solche vielfach in
der Musik der Alten augewandt wurde, so folgt mit Notwendigkeit au*< dem
Vorhandensein der Existenz der'Hypolydischen und Mixolydischen Octaven-
gattuug als erameliseher Systeme der Alten, dass die Behandhuig unserer
Kirchentonarten nicht auch für die sieben Octavengattungen der Griechen in
Anspruch genommen werden darf, dass es nicht der jedesmalige tiefste Ton
des Oetavensystemes ist, welcher die harmonische Bedeutung der Tonica hatte.
Octaven-Gattungen und Octaven -Clus sc ».
(eIotj -roä oia iraodiv und t^vt, Wj oid rcaaeiv).
Weiterhin auf p. 3b seines Anonymus macht Bellerinanu aufmerksam auf
Aristoteles polit. 4, 3 ojaoUd; 0 tyst xai ircoi t«; apu.ovta; u>; <paai Ttve;. xat yiy
tttl TtÖevxcu elor, 060, '•fjv Aiooiorl *al Tr(v *l>puyioTi, "a oe aX/.a ajvraftiaTa -ü.
;x.ev Ad'ip'.a, T'i oe <I>pj"yta xaXoSsiv. Dazu die Erläuterung Bellermauns : „Neque
inulto alitcr nos hodie, si illos quinque modos in classes dividere velünus, illos
duos, Dorium et Aeolium, molles vocemus, quorum alter a primario ineipit.
alter a quinto sono mollis scalac, contra Lydium et Hypophrygium duros, quum
alter a primo, alter a quinto durac scalae sono ineipiat; Phrygium vero. prop-
ter minorem tertiam (f ) mollibus, propter maiorem sextam (h) dwis modis con-
similem, medium inter illas classes collocemus, id quod Aristides fecisse vide-
tur, dicensp. 25: etol 5e ?<7> fhu Tpsi;, Acupto;, <Dpufto;, A6810;. Atque propter
hanc Dorii cum Aeolio et Lydii cum Jonio cognationem, quum saepissimc a
seriptoribus hi tres tantum afferantur, ut a Bacchio p. 12: Ol toj; Tpet; Tpö-o j;
aoovrec, tUa; aoovm; Aüoiov, «Pp^tov, Atäptov, simul intelligendus plerumque vi-
detur cum Dorio Aeolius et cum Lydio Jonius, quaemodmodum Aristidis ver-
bis T«i» ihn indicatum est.
Was icli von den Stellen des Aristides und Bacchius denke, um mit diesen
beiden zu beginnen, ist folgendes:
Da beide darin übereinstimmen, dass das Dorische, Phrygische, Lydischc
die drei Hauptscalen seien, und beide einen grossen Theil ihrer sonstigen
Angaben, wenigstens indirect, entschieden aus Aristoxenus gezogen haben, so
liegt es wenigstens nahe genug, auch die vorliegende Notiz auf Aristoxenus
zurückzuführen. Unsere übrigen Musiksehriftsteller, deren Darstellung auch
auf dieselbe Quelle wie bei Aristides und Bacchius zurückgeht, haben in diesem
Falle die in der gemeinsamen Quelle enthaltene Angabe über die Haupt-Scalen
ausgelassen, z. B. bei Pseudo-Euklid findet sie sieh nicht. Die sieben Octaven-
gattungen werden als sieben Eide bezeichnet. Als Klassifikation höherer Ord-
nung erhebt sich über dem Begriffe der Eide der Begriff der drei (Jene.
Sieben Octaven-Eide, drei Octaven-Grene ! Wenn wir das eine durch sieben
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Die härm, Grundsätze der Melodie Begleitung von Aristot. u. Aristox. 491
Octa vengattungen (wie wir zu thun pflegen) übersetzen, so gebührt dein
anderen die Ucbersetzung „drei Oetaven-Klassen", — „Genos" ist Klasse
als die umfassendere Kategorie — , „Eidos" ist Gattung als die engere Kategorie,
als Unterart! Man unterscheidet also für die verschiedenen Octaven drei Oetaven-
Klassen und sieben Oetaven-Gattungen. Von den Bezeichnungen der sieben
Oetaven-Gattungen kommen die Namen Dorisch, Phrygiseh, Lydisch zugleich
als Bezeichnung von Oetaven-Klassen vor, sie werden im engeren Sinne (als
Oetaven-Gattungen) und im weiteren Sinne (als Oetaven-Klassen) gebraucht.
Ks seheint kaum ein Bedenken zu haben, dass die Hypodorische Octaven -
Gattung der Dorischen Octavcn-Klasse angehört; in gleicher Weise die Hypo-
phrygische und die Hypolydisehe Octaven- Gattung — die eine der Phrygischen.
die andere der Lydischen Octaven-Klasse.
Indem wir die mit „Hypo" beginnenden Tennini der Oetaven-Gattungen
durch Composita mit „Unter" wiedergeben, dürfen wir den Thatbcstand nunmehr
so ausdrücken: die Dorische Octaven-Klasse zerfällt in eine Unter-Dorische und
in eine um eine Quinte höher beginnende Ober- Dorische Octaven-Gattung; die
Phrvgische Klasse in eine Unter-Phrygische und eine um eine Ober-Quinte höher
beginnende Ober-Phrygisehe ; die Lydische Klasse in eine Unter- Lydisehe und
eine um eine Ober-Quinte höher beginnend«» Ober- Lydische. Die Bezeichnungen
Ober -Dorisch, Ober- Phrygiseh, Ober- Lydisch kommen zwar als Termini
der Oetaven-Gattungen nicht vor; man gebraucht statt ihren die Nomina in-
composita, welche, wie gesagt, von den Alten sowohl im engeren Sinne des
Eidos, wie im weiteren Sinne des Genos angewandt werden.
So wären denn sechs von den sieben Oetaven-Gattungen unter die be-
treffenden Oetaven-Klassen subsumirt, wobei wir zu bemerken haben, dass
die Termini Unter- Dorisch und Unter- Plirygisch erst späteren Ursprunges sind;
die älteren Namen sind Acolisch und Jonisch oder Jastiseh. Für „Untcr-Ly-
disch" giebt es kein derartiges Nomen simplex ( — etwa einem Volksstammc
entnommen — ) als Nebenbenennung; Plato sagt „Auötorl /aXapd'S Aristoteles
„AuStoTi dvttjjiivr/', d. i. „nachgelassenes oder tieferes Lydisch", was ungefähr
mit „Unter- Lydisch" .auf dasselbe hinauskommt.
Während sich die Hypodorische, Hypophrygischc und Mypolydische
Octaven-Gattung schon durch die Benennung der Dorischen, Phrygischen und
Lydischen Octavcn-Klasse unterordnet, folgt aus dem Namen der Mixolydisehcn
Octaven-Gattung keineswegs, dass auch diese der Lydischen Octaven-Klasse
angehöre; vielmehr besagt der Name, dass hier eine Mischung des Lydischen
mit etwas anderem vorliege.
Was nun die Stelle Aristot. polit. 4, f.\ betrifft, laut welcher einige Musiker
nur zwei Gene, das Dorisehe und das Phrvgische annehmen und die übrigen
Syntagmata ebenfalls entweder als Dorische oder als Phrygi&che bezeichnen, so
kann dies schwerlich anders als so verstanden werden, dass einige unter den Mu-
sikern der Aristotel. Zeit das Phrygische mit dem Lydischen zusammen eine ein-
zige Klasse der Oetaven-Gattungen bilden Hessen. Es muss also zwischeu den
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492 Aristoxenus Vermischte Tischreden.
Gattungen der Dorischen Klasse einerseits und den Gattungen der Phrygischen
uncl Lydischeu Klasse andererseits ein derartiger Gegensatz bestanden haben,
dass Einige das Phrygische und das Lydische entgegen dein Dorischen in ein
und dieselbe Kategorie stellen konnten. Bellenuann erklärt dies so: das Do-
rische und Hypodorische seien Moll-Tonarten „quorum alter a primario ineipit,
alter a quinto sono mollis scalae", die Lydische und Hypophrygische Octaven-
Eidos dagegen seien Dur-Sealen „quum alter eorum a primo, alter a quinto
dnrae sealae sono ineipiat"; die Phrygische Octaven-Gattung habe eine kleine
Terz id f) und sei als solche eine Moll-Scala und habe ferner eine grosse
Sexie |d hl und sei insofern den Dur-Scalcn ähnlich. Also in die eine Klasse
des Aristoteles gehören nach Bellermann die Moll-Scalen: Dorisch und Hypo-
dorisch; in die zweite Klasse der Octaven-Gattuugen, welche mit gemeinsamem
Namen Phrygische Syntaginata heissen, gehören die beiden Dur-Scalen Ly-
disch und Hypophrygisch und die angeblieh halb dem Moll, halb dem Dur an-
gehörige Phrygische. Wie diesen beiden Klassen des Aristoteles die Mixoly-
dische und Hypolydische Octaven-Gattungen unterzuordnen seien, darauf glaubt
Hellermann nicht eingehen zu brauchen, weil er dieselben für unmelodisch und
trotz Sappho und der Tragödie bei den Griechen für ungebräuchlich hält, „nc
vetcribas quidem probatas."
Besondere Function der (hefischen Mexe.
Wir haben schon oben gesagt, dass, wenn Bellermann die Mixolydisehe
Octaven-Gattung der Praxis der alten Musik absprechen zu müssen glaubt
„weil sie unmelodisch" sei, trotzdem sie so fest wie nur möglich bezeugt ist.
so geschieht dies von Bellermann nur auf die Annahme hin. dass der tiefste
Ton einer jeden Octaven-Gattung als die Tonica der betreffenden Scalu zu
fassen sei. Es ist auch bereits von uns bemerkt worden: die Thatsache, dass
die Mixolydisehe Octaven-Gattung den Alten als emmelisch gilt, weis»« mit
Notwendigkeit darauf hin, dass die Behandlung der christlichen Kirchentöne
für die griechischen Octaven-Gattungeu nicht maassgebend sein kann, dass
diese vielmehr anders als die Kirchentöne gefasst werden müssen. Wenn
wir ihn nicht in griechischen Quellen finden, wird kein Aufschluss über die
Function eines bestimmten Klanges der Octaven-Gattung als Tonica zu erhalten
sein. Bei den griechischen Musikschriftstelleru finden wir nichts darüber. Um-
so mehr verdienen die Nachrichten Anderer zu Rathe gezogen zu werden. Und
hier können wir keinen bessereren Gewährsmann verlangen als den Lehrer
unseres Aristoxenus. Eine interessante Auseinandersetzung des Aristoteles in
seinen der Musik gewidmeten Problemen 19, 10 lehrt folgendes:
„Wenn man die Mese zu hoch oder zu tief stimmt, die übrigen
Saiten des Instrumentes aber in ihrer richtigen Stimmung gebraucht, so
haben wir nicht bloss bei der Mese, sondern auch bei den übrigen Tönen
das peinliche Gefühl einer unreinen Stimmung — : dann klingt Alles
unrein.
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Die härm. Grundsätze der Melodie-Hegleitung von Aristot. u. Aristox. 493
Hat aber die Mese ihr«* richtige Stimmung und ist etwa die Liclia-
uos oder ein auderer Ton verstimmt, dann zeigt sich die unreine Stim-
mung nur an der Stelle des Musikstückes, wo eben dieser verstimmte
Ton erklingt."
Weiter erfahren wir dort:
„In allen guten Compositionen ist die Mese ein sehr oft vorkom-
mender Klang, auf der alle gute Componisten mit Vorliebe verweilen, auf
die sie bald wieder zurückkehren wenn sie dieselbe verlassen
haben, was in dieser Weise bei keinem einzigen «1er anderen Klänge
geschieht.44
Daun wird diese musikalische Eigentümlichkeit mit einer Kigenheit der
griechischen Sprache verglichen: „Es giebt einige Partikeln, wie z. 13. re und
-M, die, wenn das Griechische ein wirklich griechisches Colorit haben soll,
häufig gebraucht werden müssen; — weiden sie nicht gebraucht, so erkennt
mau daran den Ausländer. Andere Partikeln dagegen können, ohne dem
griechischen Colorit Eintrag zu thun, ausgelassen werden. Was jene notwen-
digen Partikeln für die Sprache sind, das ist die *iizrk für die Musik: ihr häu-
figer Gebrauch verleiht den griechischen Melodieen ihr eigentliches Colorit.'"
Diese Auseinandersetzung hat der Fortsetzer der Aristotelischen Probleme
in 19. 36, nur nicht so klar "und umfassend, wiederholt.
Eine ähnliche Notiz, wie sie hier Aristoteles in seinen Probleiiien und der
anonyme Fortsetzer resp. Ueberarbeiter der Aristotelischen Probleme giebt,
finden wir auch bei dem späteren Schriftsteller Dio Chrysostom. GS, 7. Auch
hier heisst es vom Stimmen der Saiteninstrumente (der Lyra): „Man gebe
zuerst dem mittleren Klange (der Mesct die richtige Stimmung, dann nach
diesem auch den übrigen, welche, wenn das nicht geschehe, niemals harmonisch
klingen würden. '
Weder Aristoteles noch Dio Chrysostomos hält für nüthig anzugeben, ob
es sich hier um die dynamische oder um die thetische Mese handelt.
Nehmen wir an, es sei die dynamische Mese gemeint. Auf der Traus-
positious-Scala ohne Vorzeichen ist der Klang a die dynamische Mese. Der
Lyrode begleit«; auf dieser Scala ein Melos der ionischen oder hypophrygisehen
Octaven-Gattung g — g. Dann würde er also nach Aristoteles den Klang a
am häufigsten berühren und, wenn er ihn verlassen, immer wieder auf den
Klang a zurückkommen. Offenbar also würde der Lyra-Klang a der Schluss-
ton sein, welcher die Kruste der Lyra zu dem Schlusstone des hypophrygisehen
Gesänge* g angiebt. Das wäre nicht musikalisch, sondern absurd.
Er begleite mit seinem Spiele einen Gesang der mixolydischen Octaven-
Gattung h— h. Auch hier würde er mit dem Lyraklange a schliessen. Und
so weiter bei allen übrigen Octaven-Gattungen: der begleitende Lyrode schliesst
jedesmal das Melos in dem Lyraklange a. Denn dies a ist auf der Transpo-
sitions-Scalu ohne Vorzeichen stets und ständig die dynamische Mese.
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494
Aristoxenus Vermischte Tischreden.
Das würde die Stelle dea Aristoteles besagen, wenn er unter der Mese.
von welcher er spricht, die dynamische Mese verstände. Dann wäre die von
ihm mitgetheilte Thatsache so unsinnig, wie nur immer möglich.
Wir haben im Abschn. XIII nachgewiesen, dass der Unterschied dyna-
mischer und thetischer Onomasie schon bei Aristoxenus vorkommt Wir dürfen
rieshalb voraussetzen, dass auch schon Aristoxenus' Lehrer Aristoteles das
Wort M» se auch in thetiseher Onomasie gekannt habe. Führt in den musi-
kalischen Problemen des Aristoteles die Interpretation der Mese als dyna-
mischer Mese zu solchen Absurditäten, wie sie vorher angegeben sind, so
folgt natürlich, dass wir dort dsis Wort Mese als thetische Mese zu inter-
pretiren versuchen müssen. Alsdann hat jede Octaven-Gartung ihre eigene Mese.
Bei der dorischen Octave e— e würde der Ton a tlie thetische Mese sein.
Der Klang a wäre derjenige, mit welchem uach Aristoteles das dorische Melos
im begleitenden Saitenspiele abgeschlossen würde.
Für die phrygische Octave d— d ist der Ton g die thetische Mese. Mit
ihm würde nach Aristoteles das begleitende Saitenspiel für ein phrygische«
Melos abschliessen.
Für die lydische Octave c— c ist der Klang f die thetische Mese. Mit
diesem f würde nach Aristoteles die Krusis eines lydischen Melos auf dem
Instrumente abschliessen.
Es ergiebt sich, dass, wenn wir in der Stelle des Aristoteles die Mese als
thetische Mese interpretiren , dass wir dann zu Ergebnissen kommen, welche
keineswegs absurd genannt werden können.
Ein Gesang in der dorischen, in der phrygischeu, in der lydischen Octaven-
Gattung wird von dem Sänger in der thetisehen llypatc oder deren Octave
der thetisehen Xete ( c, d, c ) geschlossen sein, die Krusis des den (iesang
begleitenden Lyroden giebt zu dem jedesmaligen Sehlnsstone des Sängers die
jedesmalige Mese an: a zum Melodietone e; g zum Melodietöne d; f zum Me-
lodietone c.
So lässt also Aristoteles, falls er (was doch nicht anders möglich ist, denn
sonst wäre seine Angabe absurd) die Mese der thetisehen Onomusie meint , ein
dorisches, phrygisches, lydisches Melos des Sängers in der Krusis des den
Gesang begleitenden Lyroden in der Oberquarte abschliessen.
Wir sind gewohnt, uns den begleitenden Aecordton zunächst tiefer als
den Melodie-Ton zu denken. Hier ist es umgekehrt: der Melodie-Ton ist der
tiefere, der begleitende Aecordton der höher«-. Blicken wir zurück auf die
Aristoxenischen Angaben über Melodie- und begleitenden Aceord-Ton (S. 475 fl'.),
so werden wir dort ganz das nämliche finden: der tiefere Klang gehört dem
Melos, der höhere gehört der Krusis an.
Krusis
Dor. Phryg. Lyd.
a g f
e d c
■
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Die härm. Grundsätze der Melodie-Begleitung von Aristot. u. Aristox. 495
Ebenso Aristoteles an einer anderen Stelle der musikalischen Probl. 19, 12:
„oid ti tcbv yopodiv fj papt/rspa dt\ ~<j (jüXo; X'ifA^dvst;" Aristoteles redet von
zwei Instrumentalstiuiinen, von denen eine die Melodie, die andere die Beglei-
tung ausführt. Das Melos werde immer von der tieferen der beiden Saiten
übernommen.
Auch noch eine andere Stelle des Aristoteles Probl. 19,39 muss hier
herbeigezogen werden: „ayu^atvei Ytvesöai y.ailditep tot; utk» t?^ ujotjv xpoivjoi •
/.ai o'jtoi xd dXXa ou -poaayXoOvxe; £dv ei; tuOtöv y.axayrp£',pa»3iv c&ppatayot (xä/.-
Xov tu» tsXei f( Xynoüai tai; ^po toj xsXoy; ota^opai;." Die Lyroden, welche ein
Melos mit den unterhalb der Gesangnoten stehenden Instruinentalnoten
begleiten, wenn sie das Uebrige mit di vergütenden Aulostöncn begleitet
haben, kommen am Schlüsse wieder mit der Singstiinme zusammen und
haben dann am Ende einen grösseren Eindruck der Befriedigung, als der
Eindruck der Unbefriedigtheit war, welchen sie vor dem Ende bei der Diver-
genz der Melodietöne und der Krusistöne empfinden mussten. Der in der
Stelle vorkommende Ausdruck brÄ x-r> t»iip xpokiv bedeutet das Gegentheil
von -oooyopoa xpoüctv bei Flut de mus. 28, wo es von den Neuerungen des
Archiloehus heisst: „otovrai Ii xai x^v xpoüatv x-fjv •!>-' «jo^v xoyxov itpäixov eupetv,
xoy; o dpyalo'js zdvra; [wohl rdvxa zu schreiben] -pooyopoa xpoieiv," d. i. Ar-
ehilochus (glaubt man) habe zuerst eine Instrumentalbegleitung mit divergiren-
den Tönen in Aufnahme gebracht, während die Früheren Alles unison begleitet
hätten. Wir werden den Ausdruck, welcher eigentlich „unterhalb des Gesanges
begleiten von den stets unterhalb der Gesangsnoten stehenden Noten der
Krusis verstehen müssen, weil die früher von uns angeführte Stelle des* Ari-
stoteles Probl. 19,12 ausdrücklieh besagt, das« der dem Melos angehörende
Klang stets der tiefere sei. Es ist nicht zu denken, dass Aristoteles in den-
selben musikalischen Problemen jener ausdrückliehen Erklärung in 19,39 (mit
welcher Aristoxenus S. 47ö übereinstimmt! selber habe widersprechen können.
In dem musikalischen Probleme 19,39 besehreibt Aristoteles genau die
Eindrücke, welche wir bei Dissonanzen und bei den auflösenden Consonanzen
des Abschlusses empfinden. Es könnte scheinen, als ob mit dieser am Schlüsse
stattfindenden Auflösung die Homophonie gemeint sei, als ob diese es gewesen,
durch welche die Alten nach dem peinlichen Eindrucke, nach dem Ge-
fühle der Unbefriedigtheit bei den nicht uuisonen Accorden des Vorausgehen-
den, sich beim endlichen Schlüsse so sehr befriedigt gefühlt hätten. Aber in
demselben musikalischen Probleme fragt Aristoteles: „Aid xt t^oiov soxi xo ovio-
^arnoN xoy <if«>'f divo'j , d. i. weshalb befriedigt uns ein symphonirender Accord
noch mehr als der Gleichklang? Deshalb glauben wir die im weiteren Fort-
gange desselben Probleme« vorkommenden Worte: „sdv ei; xa&xöv xo-aoxpe^tu-
3iv e'icppoüvouai jtdXXov xijj xiXet tj Xuroviat Tai; zpo tcj x£Xoy; cia<popat;" nicht
sowohl von einem nach der vorhergehenden Divergenz der beiden Stimmen
am Schlüsse stattfindenden Gleichklange, als vielmehr von einem dort eintre-
tenden symphonischen Accorde im Sinne der Alten interpretiren zu müssen.
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490
Aristoxenus Vermischte Tischreden.
Nach der Aristotelischen Stelle von der schliessenden thetischen Mese der
Krusis wird *ich nämlich für ein Dorisc hes, Phrygisehes, Lydisches Melos fol-
gender symphonischer Ausgang ergeben
Dorisch Phryg. Lydisch
Krusis
Melos
Dieses Ergebuiss meiner Studien war schon in meiner griechischen Hat-
niouik des Jahres 1HG3 veröffentlicht worden. Ks fand diese „von allen frü-
heren abweichende Auffassung, welche eine so gänzliche Umwälzung in das
System der griechischen Musik hineinbringe", fast bei allen Forschern einen
grossen Widerspruch, bei Ziegler so sehr, das» er die Stelle des Ptolemäus
von der thetischen Ouomasie, auf welche sieh meine Auffassung des Aristoteles
stützt, durch überkühne Conjeetural-Kritik lieber gänzlich aus Ptolemäus zu
entfernen versuchte, ehe er mir das Hecht für die nothwendig daraus zu zie-
henden Consequcnzeu verstatten mochte. Ich gestehe, in dein Jahre 1SGM
nicht die gajiz richtigen Conscquenzeii gezogen zu haben.
Die thetische Mexe hei HypudorUcher, Hypophrygischer, ]lypolydi*cher Melodie.
Für die Dorische, Phrygische und Lydische Octaveugattung sehe ich mich
freilich ausser Stande, das damals veröffentlichte Ergebnis«, das ich soeben wieder-
hole, auch mir im geringsten zu modifiziren. Ich muss auch fortan dabei bleiben,
dass die thetische Mese der Dorischen, Phrygischen, Lydischen Octavengat-
tung die Tonica derselben bildet, — nicht wie Hellermanu und alle früheren
annehmen, die thetische Hypate, d. i. der jedesmalige tiefste Ton jener Scalen.
Dagegen spreche ich jetzt die Conjectur aus, dass die Hypo- Dorische, Hypo-
Phrygische, Hypo-Lydische Octaveugattung bezüglich der als Touica zu sta
tuirenden Mese als Unterarten ihres gleichnamigen Octaven-Geuos gelten müssen,
wie denn auch nachweislich z. U. Plato unter der Dorischeu Harmonie auch
die Hypo- Dorische begreift.
Schon in der zweiten Auflage der griechischen Harmonik (1867) war ich
thatsächlich davon zurückgekommen, für das Hypo-Dorische die thetische Mese
derselben Octaveugattung als Tonica anzusehen, aualog auch für die Hypo
Phrygische und Hypo-Lydische Octaveugattung. Aber die Bedeutung der drei
Octaven- Klassen als Oberarten der sieben Octaven-Gattuugen hatte ich da-
mals noch nicht erkannt.
Im Hypo-Dorischen hat die dorische, im Hypo- Phrygischen die phry-
gische, im Hypo-Lydische die lydische Mese die harmonische Function der
Tonica. Wenn ich abweichend von der griechischen Manier unserer modernen
Weise folge, indem ich den Accordton der Begleitung als den tieferen, den
Melodieton als den höheren Klang ansetze, dann wird das Verhältniss zwischen
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Die harm. Grundsätze der Melodie-Begleitung von Aristot. u. Aristox. 497
Tonica und Dominante innerhalb der griechischen Octavengattungen an Ueber-
sichtlichkeit auch für denjenigen, welcher mit moderner Musiktheorie weniger
vertraut ist, gewinnen.
A'joiov
| Vhot <
T£voc
A(£»pi&V Melos
y--^-
1
Et&o;
1
Etöoc
AuStov
=-±=-
i
/Idoriov
— r —
EtSoc
«Dpuftov
^=
Eläo;
'TzoBoCiptov
AtöXiov
Acupiov
Wenn wir uns buchstäblich an die alte Ueberlieferung des Aristoteles
und Aristoxenus anhalten wollen, dann müssen wir das vorliegende Schema
folgendermaassen schreiben:
Vlvoi AOStov
T£vo; «Pptiftov
f£vo; At6piov. Knute
=i 1
1
i
— •
I
— «
—
ElÖo;
~t
EÄ05
EiSo;
=P
EISo;
E100;
Ei8oc Meloi
' T?roX6Äiov
Auöiov
IddTtOV
«Ppu-ftov
Twoottipiov
Adjptov
I >
denn dies geht buchstäblich aus den herbeigezogenen Stellen hervor.
Sowohl aus Aristoxenus wie aus Aristoteles habe ich nachgewiesen, dass
das griechische Melos der classischen Zeit keineswegs auf die blossen Melodietöne
beschränkt war, dass, wenn es bei den Griechen auch keinen mehrstimmigen,
sondern einen einstimmigen Gesang gab, dass dessen ungeachtet die Mehr-
stimmigkeit der Musik dem classischen Griechen thum keineswegs unbe-
kannt war. Sie bestand in der Begleitung der gesungenen (Aristoxenus) oder
von einem Instrumente ausgeführten (Aristoteles) Melodie durch divergirende
Klänge der Instrumente.
Von den auf uns gekommenen Resten griechischer Musik muss ich an-
nehmen, dass das kleine Musikstück des Anonymus § 98 bei seinem von den
übrigen ganz abweichenden Charakter nicht eine antike Melodie, sondern eine
zu einer beim Anonymus nicht mehr erhaltenen Instrumental-Melodie auszu-
führende Krusis ist, zu welcher man die Melodie in folgender Art restituiren
kann:
Ariitoienu., Melik o. Rhythmik. 32
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498
Aristoxenus Vermischte Tischreden.
Natürlich ist diese bezüglich des Anonymus aufgestellte Vermuthung
für die jetzt in Rede stehenden Schlussfolgerungen irrelevant. Ich fahre fort
in der Rekapitulation meiner Schlussfolgerungen.
Wie gross die Anzahl der auf einen Melodieton kommenden Accordtöne
gewesen, darüber fehlt es uns technischerseita an allen Angaben. Zwar über-
liefert Plutarch de mus. 29 aus eiuem alten reichhaltigen Berichte, aas dem er
auch die vorher angeführte Stelle über die nicht unisone Krusis bei Archilochus
geschöpft hat, folgende Notiz: Adtao; Se 6 'Kpu-ioveu; d; rf)v oi&upa|A;itx^v ä-you-
fjieTaaTTjOa; to'j; £j8|j.oj; xal Tjj xö>v a6Xftv -oXucpuma xaxaxoXouJHjaa; rXetoot
xe ^ÖOYyot; xal Steppiup^voi; ypirjaduevo; et; ixetd&eaiv tty rpojrrdpyoyaav fjaYE
(xojaix-^v. Man wird dies schwerlich anders verstehen können, als dass Lasos.
der berühmte Vorgänger und Lehrer des Pindar, eine Vielstimmigkeit der be-
gleitenden Auloi eingeführt und hierbei mehrere und auscinanderliegende Accord-
Töne der Begleitung zur Anwendung gebracht und auf diese Weise die bisher be-
stehende (Terpandrische ) Musik auf einen anderen Standpunkt geführt habe. Dem
entsprechend finden wir auch, dass bei Pindar von einer gleichzeitigen Beglei-
tung durch Phormingcn und Auloi die Rede ist (also von einer Vielstimmig-
keit der begleitenden Saiten- und Blasmusik). Aber auch diese Angaben wollen
wir, da sie keine Special - Notizen geben, zur Seite lassen. Aristoxenus und
ebenso auch Aristoteles reden von einer der Melodie nicht unisonen Krusis,
in welcher dem Melodietone nur ein einziger oberhalb des Melodietones liegen-
der Accordton gegeben wird: das ist die positive Thatsache, an welche wir
uns anzuhalten haben.
Hinzu kommt die zweite nicht minder fest überlieferte Thatsache, dass
bei einem Melos der Dorischen, Phrygischeu , Lydischen Octavengattung durch
das die Krusis ausführende Instrument zum Schlusstone des Gesanges stets die
thetische Mese als gleichzeitiger Accordton angegeben wurde. Wer könnte
denken, dass Aristoteles in einem lediglich der Musik gewidmeten Theile
seiner Probleme dies leichthin ohne genaue Berücksichtung des von den Ly-
roden wirklich eingehaltenen Verfahrens gesagt haben könnte? Die Prantl schm
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Die barm. Grundsätze der Melodie-Begleitung von Aristot. u. Aristox. 49f)
Untersuchungen über die Probleme des Aristoteles geben die nöthigen Finger-
zeige, dass man zwischen den echten Problemen des A. und den später lünzu-
gefügten Problemen eines Umarbeiten* zu sondern habe, etwa eines späteren
Aristotelikers, welcher zum Theil dieselben Fragen (Probleme) wie der Meister
aufwirft und in dessen Weise zu beanworten sucht. Unser Aristotelisches
Problem über die Meso muss wohl zu den echten gehören, denn wie bereits
oben bemerkt, findet sich zu demselben auch ein Parallel-Problem des Um-
arbeite«. Es ist dies Verhältnis« ein ähnliches, wie es sich auch bei den Ari-
stoxenischen Problemen des Abschn. XII. findet, zu denen die Handschriften
noch vielfach die Reste einer Umarbeitung zurückgelassen haben. Auf den
Umarbeiter der Aristotelischen Probleme ist Problem 19, 36 zurückzuführen,
welches das echte Problem 19 in abgekürzter und weniger klaren Form
wiederholt.
Wer wollte es in Abrede stellen, dass die moderne Forschung über grie-
chische Musik nicht eher zum Abschluss kommt, ehe sie dem Aristotelischen
Probleme über die harmonische Bedeutung der Mese vollständig gerecht ge-
worden ist? Friedrich Bellermann hat es ebenso wenig wie Boeckli beachtet;
von Aeltercn weiss ich nur einen einzigen zu nennen, den verstorbenen Pro-
fessor Brahniss in Breslau, welcher in persönlicher Unterhaltung die bis-
herige Nichtbeachtung des Mesen-Problemes für auffallend genug und dasselbe
für hinreichend bedeutsam erklärte, um von Seiten der Musikforscher alle Auf-
merksamkeit in Anspruch zu nehmen.
Es wird jedoch aller Erklärung spotten, so lange mau nicht für die Mose
die thetische Onomasic des Ptolemäus nach der richtigen Interpretation des
alten Wallis zu Grunde legt. Hätten dies Bocckh und Bellermann gethan, so
hätten auch sie das Aristotelische Mesen-Problem verstanden.
Erleidet also, wie Ziegler sagt, durch die Beziehung der thetischen Ouo-
masie auf die Stelle des Aristoteles die bisherige seit Boeckh und Bellermann
vulgär gewordene Auffassung der griechischen Musik eine totale Umwälzung,
so wird diese von mir durch nichts als durch ein genaueres Eingehen auf die
alten Quellen herbeigeführt sein und in die Klasscu derjenigen Umwälzungen
gerechnet werden müssen, deren neues Ergebniss zugleich das bessere ist.
Steht doch diesem Ergebnisse der alten Quellen Nichts als die couveutionelle
auf Nichts basirte Annahme entgegen, dass es mit den antiken Octaven-Eide
keine andere Bewandniss haben könne als mit den christlichen Kirchentonarten,
in denen jeder tiefste Anfangston als Tonica fimgire.
Bellermann, wie alle früheren, ein Anhänger dieser Auuahme, sieht zwar
ein, dass unter ihrer Voraussetzung die Hypolydische und noch mehr die Mixo-
lydische Oetavengattung unharmonisch und ekmeliseh sein würden. Anstatt
aber sich hierdurch an die Fraglichkeit jener Voraussetzung erinnern zu lasscu,
macht er lieber den Versuch, für beide Octavengattungeu das Vorkommen in
der Praxis der alten Musik gegen die ausdrückliche Versicherung des Aristo-
xenus und Plato in Abrede zu stellen. Auch der von mir auf die harmonische
32*
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500
Aristoxenus Vermischte Tischreden.
Bedeutung der thetisehen Mose als Tonica gegründeten Auffassung, wie ich
sie in der ersten Auflage meiner griechischen Harmonik gefasst hatte, hält
Ziegler mit Recht die Hypolydische und Mixolydische Tonart entgegeu. Wen«
auch meine Deduktionen über die thetische Onomasie hierdurch nicht alterirt
werden können, so verdanke ich doch mittelbar dem Herrn Ziegler eine Mo-
difikation der früher von mir gezogenen Folgerungen. Wenn nämlich Aristo-
teles für die Mixolydischen Gesänge die thetische Mese dieser Octavengattung
als den Schlusstou der Krusis im Auge hätte, so würde das kaum eine mindere
Absurdität sein, als wenn man annehmen wollte, Aristoteles rede nicht von der
thetisehen, sondern von der dynamischen Mese.
Der Absurdität bezüglich der thetisehen Mese als Schlussklang der Krusis
entgehen wir nur dadurch, dass wir, wie ich es oben im Gegensatze zu meiner
früheren Auffassung dargestellt habe, die Stelle von der thetisehen Mese nicht
auf die Octavcngattungen, sondern auf die Octavenklassen beziehen. In welche
Klasse die Hypodorische, die Hypophrygische und die Hypolydische Octaven-
gattung gehört, geht unmittelbar aus der Benennung hervor. Für die Hypo-
dorische Octavengattung gilt die Dorische Mese, für die Hypophrygische die
Phrygische Mese, für die Hypolydische die Lydischc Mese als Tonica.
Die thetüche Mese bei Mixolydischer Melodie. Die übrigen hellenischen
Durscalen.
Aber die Mixolydische Octavengattung, was ist von dieser bezüglich der
Tonica zu halten? Ihr Name besagt nicht dies, dass sie zur Lydischen Octaven-
klasse gehört, sondern nur dies, dass die Alten darin eine Mixis mit dem Ly-
dischen erblickten. Es kann das wohl nur so gefasst werden, dass irgend eine
Eigentümlichkeit der Lydischen Octavenklasse auch in der mit dem Klange h
beginnenden Octavengattung vorkommt Nun finden wir bei dem Dichter
Pratinas fr. 5 Bergk folgende von den Früheren noch nicht für die Harmonik
verwerthete Stelle:
MifjTE o'jvtovov Stroxe, (i"/)T6 ?av dvei|j.£vav
Masrt p.oüaav, dXXd rav (ifoaav ve&v dpouptov
aMXiCe tu) fi-iXct
■zplr.zi tot zäotv doiooXa^paxTat; AloXlc Äpfwmot.
Hier ist die Rede von drei Harmonien oder Octavengattungen. Die eine
ist die Aiolis, der ältere Name für Hypodoristi. Sie soll in der Mitte liegen
zwischen zwei anderen, der syntonos Jasti und der aneimene Jasti. In der
letzteren hat man schon längst mit Recht die Hypophrygische oder Jastische
(bei Plato auch chalara Jasti genannt) erkannt. Sie beginnt mit dem Klange g.
Die Aeolische mit dem Klange a. Von beiden kann man also sagen, sie seien
einander benachbart. Nun soll die Aeolische (in a) die Mitte zwischen der
aneimene Jasti (in g) und der syntonos Jasti sein. Da muss also die letztere
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Die harin. Grandsätze der Melodie-Begleitung von Aristot u. Aristox. 501
nothwendig eine in h beginnende Harmonie oder Octavengattung sein. Anders
lässt sich die Stelle des Pratinas nicht interpretireu.
KP
KP > £
:< £
I :
Nun nennt Aristoxcnus das mit h beginnende Octaven-Eidos Mixolydisch,
eine Benennung, welche die allgemeine ist, auch bei Plato und Aristoteles
vorkommt Bei dem alten Pratinas aber ist die in h beginnende Harmonie
die von ihm als syntonos Jasti bezeichnete. Wir haben hier dieselbe Doppel-
namigkeit einer Octavengattung wie bei der in a und in g beginnenden, deren
erstere sowohl Aeolisch wie Hypodorisch genannt wird, während die zweite
die beiden Namen Hypophrygisch und Jastisch führt.
Es würde daraus folgen, dass die Mixolydischc Octavengattung, da sie
auch den Namen syntonos Jasti führt, in die Jastische oder Hypophrygische
Octaven-Klasse gehört
Plato Pol. 3, 398 stellt die Mixolydisti und die Syntonolydisti als Öptjvdt-
6etc ap|jL0v(at zusammen. Dann folgen bei ihm als fiaXaxal xal oupuroTixal dpjxo-
vlat die 'Iaarl xal A'jotoxt oitivcc /aXapal xaXoüvxai. Es muss also eine Bezie-
hung zwischen der Mixolydisehen Harmonie, welche bei Pratinas syntonos Jasti
genannt wird , und einer von Plato als Syntononlydisti bezeiclmeten Octaven-
gattung stattfinden. Auf die letztere haben wir hier näher einzugehen.
Pollux 4, 78 gebraucht den Namen ouvrovo« Au&wri, welcher zu dem Aus-
drucke des Pratinas oüvrovo; 'Ia;?i in einer noch augenfälligeren Parallele steht:
„xal dp(Aivia p.ev ouX^Ttx^) Amptrri xal (ßpuYiarl xoi A65to; xal 'Iwvixfj xal oüvto-
vo; Av&tarl "AvOirro; £;eüpr*." Von dem hier als Erfinder des syntonos Ly-
disti genannten Anthippos sang ein Pindarischer Paean (nach Plut de mus. 15),
dass er zur Hochzeit der Niobe ein Lydisches Lied gelehrt habo. Auch bei
Aristides p. 14. 15 wird aus
Stelle des Plato die Syntonolydisti und Jas genannt, aber offenbar so, dass
die diesen beiden Harmonien viudicirten Scalen durch irgend einen alten
Schreibfehler die umgekehrten Namen erhalten haben. Denn nach Aristides
Texte würde auf die Syntonolydisti die Octavengattung in g, auf die Jas die
Octavengattung in a kommen. Es gehört aber (das wissen wir sicher) der
Name Jas (oder Jasti) zu der sonst auch als Hypophrygisch bezeichneten Scala
in g, der Name Syntonolydisti muss mithin nothwendig in dem Originale des
Aristides der Scala in a zugekommen sein.
Fügen wir die von uns aus Pratinas und Plato herbeigezogenen zwei
Harmonieen oder Octavengattungen zu dem übrigen hinzu, so ergiebt sich:
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502
Aristoxcnus Vermischte Tischreden.
i-»
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.< "ri-
tt
x
» 2
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o
<
l
f=dL- -_£-■]
— 1:
3-
Wir haben, um dies gleich zu antieipiren, auf der vorstehenden Tabelle
die sechs Dur-Oetavengattungeu des griechischen Melos vor uns. Sie gehören
der Lydischen und der Phrygischeu Octaven-Klasse an, welche (um auch dies
hier noch anzuführen) nach Aristoteles Pol. 4, 3 unter die «Dpu-fta tJjvrdYuaTa
subsumirt werden. Die in d beginnende Phrygische Seala hat die Phrygische
Mese, d. i. den Ton g zur Tonica, — die in c beginnende Lydische Seala hat
die Lydische Mese, d. i. den Ton f zur Tonica. Hiernach stellt sich also das
Phrygische als ein von der Dominante beginnender und in der Dominaute
schliessender Abschnitt der g-Dur-Scala dar, von unserem g-Dur aber dadurch
verschieden, dass die griechische Seala statt des Klanges Ms den Klang f auf-
zuweisen hat. Es kommt also die phrvgische Octavengattung der Alten mit
unserem Mixolydischen Kircheutone überein.
Analog stellt sich die Lydische Harmonie als ein in der Dominante be-
ginnender und in der Dominante schliessender Abschnitt der f-Dur-Scala
heraus, von unserer modernen f-Dur dadurch verschieden, dass der griechischen
Seala statt des vierten Tones b der Ton h eigen ist. Am meisten kommt also
die Lydische Octavengattung der Alten mit unserem Lydischen Kirchentone
(in f I überein, nur dass dieser Lydische Kirchenton seine Seala in der Tonica,
nicht in der Dominante beginnt.
Das antike Hvpolydisch (in f ) und da* antike Hypophrygisch (in g) sind
harmonisch von dem Lydischen und Phrygischen nur dadurch verschieden,
dass die Scalen nicht von der Dominante zur Dominante, sondern von der
Tonica zur Tonica reichen. Für Hypolvdisti sagt Plato chalara Lydisti, für
Hypophrvgisti sagt er chalara Jasti, Pratinas sagt (was genau auf das näm-
liche hinauskommt) aneimene Jasti; derselbe Zusatz aneimene auch bei Aristo-
teles Pol. 8, 5 und 8, 7.
Aus der Stelle des Pratinas und des Plato (mit der dazu gehörigen alten
Interpretation bei Aristides) geht hervor, dass es ausser den in der Quinte und
in der Prime schlicssenden Abschnitten der beiden griechischen Dur-Tonarten,
auch Scalen gab, welche in ihrem Umfange von der Terz bis zur Terz der
betreffenden Dur-Scalen reichen. Unter die Lydische Octaven-KIasse fällt als
Terzen-Scala die syntonos Lydisti oder auch Syntouolydisti von a bis a (d. i. von
der Terze des durch falsche Quarte charukterisirten F-Dur). Unter die Phrygische
Octaven-Klasse fallt die bei Pratinas „syntonos Jasti", bei den übrigen „Mucoly-
disti" genannte Harmonie oder Octavengattung. Es ist bezeichnend, dass die
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Die harm. Grundsätze der Melodie-Begleitung von Aristot. u. Aristox. 503
Stelle der Platonischen Republik beide Oetavengattungen „Op^viooei; dpfxoviat"
nennt, wofür Aristoteles gleichbedeutend „ doupTixcorepco; " sagt Auch wo
unsere moderne Dur- Tonart die Melodie in der Terze abschließt, empfinden
wir fast stets den Eindruck des Wehmüthigen, wovon namentlich die in dieser
Weise gehaltenen deutschen Volkslieder den Beleg liefern. („Gang i ans Brün-
nele", „Muss i denn, muss i denn zum Städtle hinaus").
Wie es das griechische Melos mit der fehlenden grossen Septime des
Phrygischen Dur, mit der übermässigen Quarte des Lydischen Dur hält, das
erläutert das Jastische oder Hypophrygische Lied an Nemesis und die kleine
Instrumental -Melodie des Anonymus § 104 in einer Tonart, welche wir nach
dem Obigen nicht anders als Syntonolydisch bezeichnen dürfen :
Anonym, de mus. § 104.
Die althellenuchen Afoll-Scalen
sind die nach 8. 490 ff. zur Dorischen Octaven - Klasse gehörenden Eide.
Nach Aristoteles Pol. 4, 3, wonach von einigen Musikern nur zwei Hauptkatego-
rieen der Harmonieen statuirt werden, bilden sie die „auvraY^aTa Aojpta". Im
Allgemeinen ist das Dorische des Alterthums unser absteigendes Moll, — ohne
Erhöhung des sechsten und siebenten Tones beim Aufsteigen, — identisch mit
unserem Aeolischen Kirchentone. Nach der in den Aristotelischen Problemen
enthaltenen Angabe über die Mesc ist die Dorische Mese (a) als die Toniea
der gesammten Dorischen Octaven-Klasse aufzufassen. Schliesst das Dorische
in der Mese (dem fünften Klange der Scala), so heisst es „Dorisch" schlechthin;
schliesst es dagegen in der Prime, so heisst es „Hypodorisch", iu der älteren
Kunstsprache „Acolisch" (Heraklid Pont. ap. Athen. 14, 624). Wer die neuere
Nomenclatur aufgebracht, wissen wir nicht; Pindar und Pratinas gebrauchen
den älteren Namen, bei Aristoteles und Aristoxenus kommen beide Benen-
nungen vor. Plato Pol. 3, 398, nachdem er die Mis'AuSiorl xal SuvrovoXu&taTl
xal xoiaOtal Ttve; als ftpTjvwSei; ä&jjioviai, die yaXapa 'laaxl und yaXapa A'jowtI
als paXaxal xal cv^noTixal tcöv apjxovtäiv genannt hat, fährt dann fort: 'AXXa
xtv5yve6ei va Awpiari ).£iz«o8ai xal ^py-yta-ri. Wo bleibt da bei ihm die Aeolische
Harmonie? Nothweudig muss er sie unter der Dorischen mit inbegriffen haben.
Ebenso auch Plato in Lach. 188, und Aristoteles Pol. 8, 7. Nach der citirten
Stelle des Heraklides zeigt sich im AeoliBchen oder Hypodorischen das ritterlich
.aristokratische, etwas übermüthige Wesen des aeolischen Stammes; er erkennt
darin den Geist der adeligen Herren von Thessalien und Lesbos wieder, die
sich der Rosse, des geselligen Mahles, der Erotik erfreuen, aber bieder und ohne
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504
Aristoxenus Vermischte Tischreden.
Falsch sind. So ist die Aeolische Tonart nach ihm fröhlich und ausgelassen,
voller Schwung und Bewegung; es liegt etwas hochmüthiges aber nichts un-
edles darin, freudiger Stolz und Zuversicht.
Nach der Schilderung desselben Heraklides (a. a. O.), macht die dorische
Tonart nicht den Eindruck von Lust und Fröhlichkeit, sie zeigt vielmehr Herb-
heit, Härte und Strenge; aber sie hat das rftoi <iv&pfi>5e; xal (jicfaXoitpc^;; nach
Aristoxenus fAejaXorpcre« xal a$uop;aTix<5v und besitzt (worin alle Zeugnisse über-
einstimmen) den Charakter des Würdevollen, des Ruhigen und Festen, der
Mannhaftigkeit Nach Aristoteles Probl. 19, 48 eignet sich da« Dorische aber
nicht das Hypodorische und auch nicht das Hypophrygische für den tragischen
Chor, denn dem tragischen Chor sei ein wehmüthiges Melos angemessen, den
Personen der tragischen Bühne dagegen, die ja meist Heroen darstellen, ein
Melos von energischem Charakter (vgl. meine griechische Rhythmik und Har-
monik 1867, S. 273—281). In dem zuletzt Angegebenen liegt der Hauptunter-
schied, welchen der Grieche bei dem Dorischen gegenüber dem Aeolischcn
oder Hypodorischen empfand. Das Hypodorische macht dem Dorischen gegen-
über, dem es im Allgemeinen ganz und gar ähnlich ist, den Eindruck grösserer
Energie und Bestimmtheit. Das stimmt mit unserem obigen Ergebniss über
die harmonische Beschaffenheit beider Octavengattungeu aufe genaueste: beide
entsprechen unserer Moll-Scala (ohne Erhöhung des sechsten und siebenten
Tones), auf welcher das Dorische in der Quinte, das Aeolische oder Hypodo-
rische dagegen in der Prime abschliesst, jenes macht in seinem Schlüsse dem
der Quinte eigenen Eindruck der Unbestimmtheit, dieses dagegen als die auf
der Prime schlicssenden Tonart den Eindruck der Bestimmtheit und Energie.
Es ist dieser verschiedene Eindruck der beiden Gattungen des Dorischen Moll
ein ganz analoger wie bei den entsprechenden Octavengattungeu des Phry-
gischen Dur: der Primen -Schluss des Hypophrygischen oder Jastischen bedingt
das TjBos Ttpax-rtxöv, der diesem nach Aristot. Probl. 19, 48 eigen ist, der Quinten-
Schluss der Phrygischen Octavengattung den ihm eigenen Charakter der ip-
(Aovla £v&ot>3iooTtx^ xal ßaxyix^: in der That macht der Abschluss auf der Dur-
Quinte den Eindruck des Mystischen.
In den beiden Durklassen ergaben sich ausser der Primen- und Quinten-
Scala auch noch eine Terzen-Scala sowohl für die Phrygische wie für die Ly-
dische Klasse: dort die Mixolydisti oder syntonos Jasti, hier die Syntonolydisti
oder syntonos Lydisti. Beide bei ihrem Abschlüsse auf der Terze Durscaleu,
welche den Eindruck der Wehmuth erregen. Nun ist aber nach der Stolle
der Platonischen Republik: ,,Ttve; ojv ÖpTjvwSei; äpnovlai; Mi;oXu5tari xoti 2uv-
tovoX-j&iotI xal totaÜTot tive;" die Zahl der wehmüthigen Terzen-Species mit
derjenigen des Phrygischen und Lydischen Dur noch nicht abgeschlossen.
Giebt es auch eine Dorische Moll -Tonart mit Terzen -Schluss neben der in
der Prime schlicssenden Aiolisti und der in der Quinte schliessenden Do-
rieti? Das scheint so, denn Terpanders Musik, die sich blos im nationalen
Moll bewegte, wendet ausser der Aiolisti und der Doristi auch noch eine Boio-
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Die härm. Grundsätze der Melodie-Begleitung von Aristot u. Aristox. 505
tisti an. Letzteres kann nur die Terzen-Species des Dorischen Moll gewesen
sein, denn an eine der fremden Dur- Tonarten des Olympus darf man bei Ter-
pander nicht denken. Unter die ..TOtaD-ral tive;'* des Plato gehört also die in c
schlics8ende Terzen-Species des Dorischen Moll unter dem Namen BouutistI.
Aber auch aus dem Lydischen Dur des Olympus muss eine parallele
Moll-Tonart gebildet sein. Dies ist die Aoxoiatl in a, erfunden von dem Lokrer
Xenokritos, welche, wie wir aus Hcraklides Pontikus wissen, eine Harmonie
mit eigenem Charakter, also nicht identisch mit der ebenfalls in a beginnen-
den Aiolisti, und ebenso wenig identisch mit der in a beginnenden syntonos
Lydisti ist. Schwerlich kann also die Lokristi etwas anderes gewesen sein als
eine Quinten-Species in a, deren Tonica der Klang d war. Wir haben uns
diese Tonart in d als die parallele Molltonart des Phrygischen Dur zu denken,
von Xenokritos, einem der Meister der zweiten musischen Katastasis Spartas
erfunden, bei Pindars und Simonides Zeitgenossen wie Hcraklides berichtet
in hoher Achtung stehend, bei den Zeitgenossen des Hcraklides aber bereits
veraltet
Soll Piatos „TOiaD-rai tive;4' nicht blos von einer Tonart verstanden wer-
den, dann bliebe ausser der Terzen-Species des alten Dorischen Moll, der wir
den Namen Boiotisti vindiciren müssen, auch noch eine Terzen-Species des
Lokrischen Moll, für die sich in den Quellen ein spezieller Name durchaus
nicht ermitteln lässt.
1
Aiolisti
Boiotisti
Doristi
Dorisch Moll
a
h
c
d
e
f
g
a
1
2
3
4
5
t;
7
Jasti
synton. Jasti
Phrygisti
( Mixolydisti )
Phrygiach Dur
a
b
c
d
<•
f
g
1
2
3
4
r>
7
chalara
synton.
Lydisti
Lydisti
Lydisti
Lydisch Dur
f
g
a
h
e
d
e
f
1
2
3
4
5
6
7
synton.
Lokristi
Lydisches Moll
d
e
f
g
a
1.
c
d
1
2
3
4
r.
»;
7
Die Anzahl der griechischen Tonarten in dem Sinne, in welchem auch
unsere moderne Musik das Wort Tonarten versteht, beschränkt sich auf eine
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5ÜG
Aristoxenus Vermischte Tischreden.
Vierhcit: 1. das Dorische Moll, charakterisirt durch den mangelnden Leitton,
2. das Phrygische Dur, charakterisirt durch die mangelnde grosse Septime,
3. das Lydischc Dur, charakterisirt durch die mangelnde Quarte, 4. das Ly-
dische Moll, die parallele Molltonart des Lydischen Dur gen. Lokristi.
Nach der AnBehauung der (.1 riechen zerlegen sich die meisten dieser vier
Tonarten in je drei Species, je nachdem die in ihnen sieh bewegende Melodie
entweder a. in der Tonica (der thetischen Mesel, oder b) in der Quinte (der
thetischen Hypate), oder c) in der Terze (der thetischen Tritc) abschliesst.
Daher haben wir von einer Dorischen, Phrygischen u. s. w. Mesen-Species,
Hypaten-Species, Triten-Species zu sprechen, wenn wir die weitschichtige No-
nienclatur der griechischen Harmouieen vereinfachen wollen. Die Stelle der
Platonischen Republik, welche vom Ethos der Harmonieen handelt, setzt au
erste Stelle die Triten-Species, an zweite Stelle die Mesen-Species, an dritte
Stelle die Hypaten-Species, indem Plato sich durch die Reihenfolge dieser
( je den Quart-Sext-Accord der verschiedenen Tonarten bildenden \ Klänge, weiche
diese auf dem thetischen Dodekachorde von der Höhe nach der Tiefe zu ein-
nehmen, bestimmen lässt. Von den beiden Triten-Species, welche er durch
die Worte „%i\ xoiaytat ttve;" andeutet, Hess sich für die eine (in c) aus den
Nachrichten über die Tonarten Terpanders der alte Name Boentisch ausfindig
machen, für die andere (in f ) will sich nirgend eine Name ergeben. Die oben
von mir gebrauchte Bezeichnung „syntonos Lokristi" ist nach der Analogie
der Triten-Species der Dur-Tonarten gebildet.
Das System der griechischen Tonarten ist von überraschender Einfach-
heit und wird auch unseren Fachmusikern als etwas speeifisch Musikalisches
erscheinen müssen. Auf die positiven Berichte des Aristoxenus, Aristoteles,
Plato und Pratinas, welche nach ihrer musikalischen Bedeutung von den frü-
heren Forschern nicht gehörig beachtet waren, ist jenes System der griechischen
Tonarten aufgebaut und kann auf der Grundlage der richtig (nach Wallis) inter-
pretirten Stellen des Ptolemäus über die thetische önomasie immöglich anders
aufgebaut werden als es in dem Vorliegenden geschehen ist. Meine erste Ver-
öffentlichung des Systemes der griechischen Tonarten (in meiner griechischen
Harmonik 1863) hat ein deutscher Mitforscher als naive Thorheit verdächtigen
zu müssen geglaubt, indem es ihm gefiel, an Stelle der Ptolemäischen Ueber-
lieferung ohne jegliche Kritik etwas völlig Anderes zu conjiciren. Vor wenig
Jahren (während ich in Russland weilte) hat der gelehrte Direktor des Brüs-
seler Musik-Conservatoriums der nämlichen Auflassung der griechischen Ton-
arten die grösste Anerkennung gezollt und sie zur Grundlage seiner umfassen-
den „Histoire et Theorie de la Musique de l'antiquite, Gand 1875. 1881", ge-
macht. Es ist zu hoffen, dass meiner Auflassung der griechischen Tonarten
fortan auch bei den deutschen Mitforschern die Anerkennung nicht mehr ver-
sagt werde.
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Addenda und Corrigenda.
S. 104 Z. 17. 18. 19 iet zu ändern:
fjip'i; |x£po; fiipoc
— w O — S> ^/ — \J \J
;75 j"S J75
S. 165 Z. 5 v. u. Euklides Geometrie ist freilich nicht früher als Aristo*.
Harmonik
S. 183 Z. 6 v. u. war uns von den beiden ersten.
8. 185 Z. 1 nur zweimal statt nur eiumal.
S. 210 Z. 13 Der letzte Grund des Unterschiedes von Singen u. Sagen.
S. 235 Z. 3 v. u. § 40 statt § 39.
S. 236 Z. 3 v. u. Intervallen statt Systemen
S. 239 Z. 1 Sechstens statt Fünftens. Z. 5 Siebentens statt Sechstens.
S. 243 Z. 14:
Kleinere Intervalle als die Quarte.
• •» •« * Quarte
\ i I ft i X H ~2 2T
S. 248 § 53 Z. 4 Diesis (e e) statt Diesis (e e)
S. 260 erste Notenzeile
S. 261 unter der fünften und ebenso unter der sechsten Notenzeile
S. 262 § 58. Das hier vorhaudene Versehen wird in der den griechischen
Text enthaltenden Abtheilung seine Berichtigung erhalten.
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508 Addenda und Corrigenda.
S. 263 § 59. I>ie auf das Anmerkungs-Zeichen *) folgenden Worte mussten
als Anmerkung mit Petitlcttern statt mit Corpuslettern gesetzt werden.
S. 287:
Erste Notenzeile. Zweite Notenzeile.
2 3 5 U Ii 7
S. 310 15. Probl. Neben einem Ditonos ein Ganzton bloss oberhalb.
S. 344 § 17. Z. 6: Quinten-, Octaven-, Undecimen- und Doppeloctaren-
Systeme.
S. 356 Z. 18: b c d e f g a
•> « _ >
8. 403 Z. 1 1 v. u. zurückgeht statt ausgeht.
S. 412 Z. 1 mit dem übermässigen Ganzton statt mit dem grossen Ganzton.
8. 416 Z. 10 v. u. letzter Notenbuchstabe: es statt e.
i *
S. 423 siebente Scala fis g statt fis gis.
Elfte und zwölfte Scala:
i 1 1 | 1 11
f ges as f ces des es f
} 11*111
fis g a h c d c fis
S. 468. Z. 10 v. u. Die letzten 15 Worte des Absatzes gehören in die
Kategorie der S. LXXII befürchteten Irrungen. Sie müssen gestrichen werden.
S. 490 Z. v. o. „so folgt mit Notwendigkeit aus dem Vorhandensein der
Mixolydischen Octavengattung als eines cminelischen Systemes der Alten, dass".
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